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Daniel Kraus

Erinnerung.

Des grausen Kampfes wilder Donner schweiget,
Der Krieger steckt das blut'ge Rachschwert ein,
so sanft und lieblich auf uns nieder neiget
Des Friedens Bogen sich mit mildem Schein;
Doch es ertönet in den freien Lüften
Umher kein Völkerjubel froh und hehr;
Und banges Schweigen, wie bei stillen Grüften,
Liegt auf der ganzen Menschheit dumpf und schwer.

»Zu schrecklich bluten Millionen Wunden,
Nur langsam heilet sie die Hand der Zeit.
Zu viele Güter sind im Sturm entschwunden,
Zu viele Heiligthümer sind entweiht!
Die alte, schöne Zeit kehrt nicht mehr wieder,
Noch giebt das Grab nicht seinen Raub zurück,
Darum verstummen noch die frohen Lieder,
Darum trübt stets sich noch der scheue Blick.«

Doch, mag die Gegenwart uns nicht erfreuen,
So schau'n wir rückwärts in die Jugendwelt!
Da sehen wir noch eitel frohe Reihen,
Da liegt die ganze Gegend noch erhellt;
Da lacht uns noch die nie getrübte Freude
Harmloser Unschuld; in der jungen Brust
Erhob sich noch kein Sturm zu bangem Leide,
Noch wohnte drinn nur Fröhlichkeit und Lust.

O sel'ge Jugendzeit! wie glücklich machte
Uns alles noch, wie schön war die Natur,
Wenn rings umher der junge Lenz erwachte!
Wer dann beim ersten Ausflug auf die Flur
Das erste Schneckenhäuschen in der Hecke,
Das erste Veilchen in dem Grase fand,
War froher, als wer goldgefüllte Säcke
Errungen hat mit gierig karger Hand,

Dort lief der Knabe hinter seinem Reife
So froh einher im warmen Sonnenstrahl,
Und schöner klang am Bach die Weidenpfeife,
Als Symphonie und Chor im Opernsaal.
Wie fühlte sich mit seinem leichten Bogen
Der kleine Schütz in süßem Vollgenuß,
Wenn je sein Pfeil das nahe Ziel erflogen.
Ein zweiter Tell nach solchem Meisterschuß!

Dahin, dahin die holden Blüthentage!
Entschwunden ist der Jugend Rosenzeit,
Doch fern von uns sei jede finst're Klage!
Bleibt die Erinn'rung doch uns unentweiht.
Noch strahlet über uns dieselbe Sonne,
Noch wölbt sich über uns dasselbe Blau,
Noch bietet uns der Hain dieselbe Wonne,
Noch schmückt dasselbe Grün uns Wies' und Au.

Hinaus! im Freien finden wir sie wieder.
Die schöne Welt in der Erinnerung,
Es hört der Greis der muntern Enkel Lieder
Und fühlet sich in ihnen wieder jung.
So schwinden uns die schönen Zeiten nimmer
Bis einst das ew'ge Morgenroth erglüht.
Und dort in bess'rer Heimat dann auf immer
Uns Glücklichern ein schönerer Frühling blüht.

*

Die Nähe Gottes

Am Horeb stand vor einer Felsengrotte
Der müde Seher nach der Pilgerschaft.
Erfahren sollt' er hier von seinem Gotte
– Denn hingeschwunden war ihm Muth und Kraft –
Ein großes Zeichen, ihm zu neuer Stärke,
Getreu zu sein im mühevollen Werke.

Da braus't der Sturmwind her in lautem Grimme.
Es kracht der Berg, es reißt der Fels entzwei.
Der Seher horcht, denn seines Gottes Stimme
Erwartet bang er, doch – schon eilt vorbei
Der wilde Sturm, Elias steht beklommen:
Denn keinen Laut hat er von Gott vernommen.

Er sinnt und trauert; sieh! da bebt die Erde.
Der Boden schwanket unter seinem Fuß;
Ernst horcht er auf, was sich ereignen werde,
Weil nun das Zeichen wohl ihm kommen muß, –
Das Beben höret auf, die Schauer weichen;
Doch immer noch von seinem Gott kein Zeichen!

Jetzt flammt der Blitz aus nächtlich schwarzer Wolke,
Der Donner rollt, der Seher lauschet still,
Ob jetzt der Herr, wie dort zu seinem Volke,
Im ernsten Wetter mit ihm reden will? –
Der Blitz erbleicht, der Donner ist verhallet;
Noch ist von Gott ihm keine Stimm' erschallet.

Verwundert steht in ahnungsvollem Schweigen
Der Seher da vor seiner Felsenkluft;
Da säuselt's sanft und still in allen Zweigen,
Und ihn erquickt des Abends laue Luft,
Vorüber ist das grauenvolle Wetter,
In frischem Glanze zittern alle Blätter.

Der Wonne Schauer bebt durch seine Glieder,
Nun ist die große, sel'ge Stunde da.
Anbetend sinkt er aus sein Antlitz nieder,
Er fühlt es tief und innig: »Gott ist nah!
»Vergebens harrt' ich sein in knecht'schem Beben,
»Nur liebend soll zu ihm das Herz sich heben.«

*

Die Herbstzeitlose.

Schon drängt der Herbst, daß Alles muß verblüh'n,
Die Sense mäht das Wiesengras dahin.
Da sproßet spät ein Blümchen noch hervor,
Und schön, wie Lilien, hebt's den Kelch empor.

Es treibt nicht Blätter, bringet keine Frucht,
Und wer nach ew'gen Tagen es noch sucht,
Schon findet's nirgend mehr sein Späherblick,
Das Blümchen ließ nicht eine Spur zurück.

Der Herbst entrauscht, der Winter herrschet hart.
In Eis und Schnee liegt jeder Halm erstarrt;
Und, wie im Grab, still, einsam ruht die Flur,
Es schläft den Todesschlummer die Natur.

Der Winter flieht, das schauervolle Grau
Entweicht am Himmel schon dem müden Blau,
Die Flur ersteht, die Wiese schmückt sich neu.
Und freundlich kömmt der schöne Lenz herbei.

Ob spurlos auch das Blümchen einst verschwand.
Ob Alles schlief im weißen Grabgewand,
Ob nimmer du des Blümchens auch gedacht,
Doch hat es Blätter jetzt und Frucht gebracht,

O Sehender, tritt freudig denn hervor.
Und richte hoffend deinen Blick empor!
Vergiß des wunderbaren Blümchens nicht.
Und merke, was es tröstend zu dir spricht:

»Du siehst dein Sehnen hier noch nicht gestillt.
Und deine Wünsche nimmst du unerfüllt
Mit heißen Thränen in die Gruft hinab,
Du suchst, und findest nie doch bis ans Grab.

O weine nicht, getrost ermanne dich!
Ein schöner Frühlingsmorgen röthet sich,
Und was umsonst auf Erden du gesucht,
Dort reift sie herrlich deines Sehnens Frucht!«

*

Der Greis an die Sterne.

Oft Hab' ich in hehren Stunden, –
Wie so gerne! –
Aufgeblickt nach euch, ihr Sterne!
Ach, und Trost bei euch gefunden;
Denn auf langer Lebensbahn
Saht ihr stets mich freundlich an!

Wenn ich euch als Kind erblicket,
Hat mir immer
Euer milde klare Schimmer
Wonniglich das Herz erquicket,
Freundlich schien mir euer Licht.
Nennen konnt' ich euch noch nicht.

Mit den Freunden meiner Jugend
Freudebebend
Offnen Blick zu euch erhebend,
Weiht ich Gott mich und der Tugend;
Solcher Weihestunden Bild
Schwebt vor mir noch wahr und mild.

Wollte mich die Lust verführen,
So vermochte,
Wenn das Herz auch heftig pochte,
Euer Blick mich neu zu rühren;
Denn ihr rieft mir: fromm und rein
Soll das Herz des Christen sein!

Regten in des Jünglings Herzen
Sich die Triebe
Reiner, unschuldvoller Liebe;
Seine Freuden, seine Schmerzen
Hat er oft euch anvertraut,
Sehend zu euch aufgeschaut.

Mit der Gattin treu verbunden,
Süß in Träumen
Schwärmend, unter Blüthenbäumen
Sah'n in nächtlich stillen Stunden
Wir zu euern fernern Höh'n,
Freuten uns auf's Wiederseh'n.

Quälten Sorgen mich und Kummer, –
Stille! stille!
Rieft ihr ruhig leuchtend: stille!
Und ich sank in sanften Schlummer;
Unnennbare Himmelsruh'
Floß von euern Höh'n mir zu.

Aber mit erhöhtem Sehnen,
Schöne Sterne!
Blick' ich jetzt nach eurer Ferne
Oft mit heimlich stillen Thränen,
Aufwärts sehnt sich mein Gemüth,
Wenn ihr dort so freundlich glüht.

Wie's den Wand'rer sanft erquicket
Wenn im Dunkeln
Irrend, endlich er das Funkeln
Ferner Lichter froh erblicket,
Und sein Inn'res ahnend spricht,
Das ist deiner Heimat Licht.

So verheißt dem Lebensmüden
Euer Blinken,
Eur freundlich stilles Winken
Sel'ger Heimat süßen Frieden;
Und ich fühl' es voll Vertrau'n:
Bald werd' ich euch näher schau'n.

*

Der Kampfrichter.

Ein Zirkel gelehrter Herren umstand
Das herrliche Bild an des Zimmers Wand
Von Christus, wie er hoch und hehr
Einhergeht auf dem stürmischen Meer,
Und Petrus, wie er wankt und fällt,
Doch helfend der Herr ihn aufrecht hält.

Dort aber saß zu derselben Stunde
Entfernt in des Zimmers Hintergrunde
Die fromme Mutter, um sie herum
In traulicher Gruppe versammelt war
Die liebliche kleine Kinderschaar,
Las mit ihr im Evangelium.

Im Kreise der Herren ward's laut und warm,
Ein Kunstfieund nahm zuerst das Wort,
Hinweisend mit ausgestrecktem Arm
In hoher Begeisterung: »Sehet dort,
Und hier, und da – welche Meisterhand
Das schuf, welch ein Genius das erfand!
Die göttliche Haltung und Majestät
Des Heilands, der auf den Wogen geht,
Des Jüngers Schrecken in Todesgefahr,
Wie groß ist Alles, wie schön und wahr!«

Dort las im Buch auf der Mutter Knie
Ein zartes Mädchen, und schmiegt sich an sie:
»Da kamen Mütter mit ihren Kindern,
Die Jünger aber wollten's verhindern.«

Da begann hier der Gelehrten einer,
Und, wie er sich däuchte, gar kein kleiner,
Erzürnt aus voller Kehle zu schrei'n:
»Wie kann man auch so verblendet sein,
Zu sagen, es sei dieß Gemälde wahr?
Ist es doch jeglichem Schüler klar,
Mag er von Physik auch nur Etwas versteh'n.
Daß niemand kann auf dem Wasser geh'n.«

Dort sprach die Mutter zum zweiten Kind:
»Nu Strudelchen, lies mir nicht zu geschwind!
Und mit sanfter Stimm' und freundlichen Mienen
Las es: »Er aber sprach zu ihnen:
Nicht doch! laßt's ihnen nur unbenommen,
Und wehrt den Kleinen nicht zu mir zu kommen!«

Noch lauter erhob seine Stentorstimme
Nun hier ein frömmelnder Zelot,
Und ward in seinem gewalt'gen Grimme
Bald bleich, bald blau und bald wieder roth:
»Es gehöret das auch zu den letzten Plagen
Daß solche Frechheit in unsern Tagen
Wird von der Obrigkeit gelitten;
Ist er nicht auf dem Meere geschritten,
So mag ich gar nicht mehr an ihn glauben;
Der Wunder laß ich mir keines rauben.
Stand die Sonne nicht still zu Gibeon,
Der Mond nicht im Thale Ajalon,
So ist die ganze Bibel nicht wahr,
Denn Josua sprach es deutlich und klar.«

An solchen Streit aber kehrte sich nicht
Das Blondchen mit dem Engelsgesicht,
Und las: »Denn wahrlich ich sage euch,
Den Kindern ist das Himmelreich.«

Ein Vierter jetzo gar vornehm und zahm
Dazwischentretend das Wort aufnahm,
Er sprach in spöttischem, näselndem Ton:
»Ihr Herren habt nur ja Galle davon,
Drum seid doch verständig und laßt gewähren!
Es läßt sich Alles natürlich erklären.
Wobei es freilich an Tag wird kommen,
Daß der Künstler zu viel sich herausgenommen,
Wie früher schon Luther hat geirrt,
Und ein Wörtlein fälschlich interpretirt.
Ein Gelehrter, wie ich, der weiß es besser,
Hab' nicht, wie er, im Kloster studiert,
Denn, richt'ger ins Deutsche übertragen,
Schritt Jesus gar nicht auf dem Gewässer,
Sondern vielmehr in gutem Behagen
Nur an demselben Ufer entlang,
Drum war ihm auch kein Augenblick bang.«
So sprach das Männlein stolz und vermessen,
Als hätt' es die Weisheit mit Löffeln gegessen,
Aber heftiger ging der Streit nun los,
Und wurden alle Waffen bloß;
Es wurde bewiesen, es wurde gemeint,
Es wurde bejahet, es wurde verneint,
Es wurde geschimpfet und disputirt
Und der große und kleine Paulus zitirt.

Unterdessen macht von der Mutter Schoos
Ein munterer kleiner Knabe sich los,
Und seine leuchtenden Aeuglein sah'n
Gar innig das schöne Gemälde an,
Dann kehrt er freundlich zu ihr sich hin:
»Gelt Mutter, wenn so in den Fluthen ich bin,
Und bete zum Heiland in Todesgefahr,
So reicht er mir seine Rechte dar?«

Die Herren schwiegen und schauten sich an,
Und alles Streiten war abgethan.

Die Mutter vollendet in stiller Ruh
Ihr Werk, und machte das Büchlein zu,
Dann stand sie auf, ging lächelnd fort.
Noch wiederholend das letzte Wort
Aus ihrem Evangelium:
»Es sei denn, daß ihr kehret um,
Und werdet diesen Kindern gleich,
So kommt ihr nicht ins Himmelreich.«

*


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