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Karl Rudolf Tanner

Mutterglück.

Du weinest, Kind, an meiner Brust;
Sag an, du junges Licht,
Wer schon in deine erste Lust
Dir solche Dornen flicht.
Hier in der Treue sicherm Arm,
Am Mutterbusen liebewarm?

Doch weine nur! Das Menschenherz
Ist einmal so bestellt,
Daß sich die Freude mit dem Schmerz
Im tiefsten Grund gesellt, –
Daß oft im Glückesüberfluß
Die Wehmuth stille weinen muß.

Und wie die Mutter singt, erglänzt
Ihr Blick, die Wimper quillt.
Wie, wann es in den Thalen lenzt.
Der Weinstock übelschwillt.
Die Thräne, die sich reich ergießt.
Ist Seligkeit, die innen sprießt.

*

Abendgesang.

Die Sonne sank zu guter Ruh
Der Erde zu.
Die Nacht erwacht;
Schon hat ihr heimlich Flimmern
Mit Schimmern
Manch Sternlein angefacht.

O, du des Abends heil'ge Lust
In jeder Brust,
Willkomm, Willkomm!
Es tönt in Harfenweise
So leise
Der Lüftlein milder Strom.

O, du des Abends heil'ger Schmerz
In jedem Herz
Gegrüßt, gegrüßt!
Schon winkt des Mondes Scheinen,
Wie weinen,
Das sich mit Trost versüßt.

*

Lob der Lilie.

Den Sommer, der uns hoch beglückt.
Wer könnte voll ihn loben?
Er hat dich Lilie fein geschmückt.
Weiß, gleich dem Schnee, gewoben.

An deines Stengels grünem Strahl
Gar herrlich aufgeschwungen,
Bescheidne, nur dieß Eine Mal
Sei dir ein Lied gesungen.

So Gnade hat kein Blümchen nicht,
Das sonst die Menschen preisen;
Auf Erden und in Edens Licht
Kannst du die Heimat weisen.

Denn wie dich hier, dem Golde gleich,
Als Schmuck die Frauen küren,
Die Engel dort im blauen Reich
Dich auch in Händchen führen.

Der eignen Wonne unbewußt,
Was mag dir, Süße, gleichen,
Darf Rose mit der wunden Brust
Zu dir herüber reichen?

Schon winkt sie sinnend hingelehnt,
Derweil dein Blick verkündet,
Daß Liebe, die nach Lilien sehnt,
Auch diese schmelzt und zündet.

*

Das Land der Erinnerung.

Wenn ich der alten Zeiten sinne,
Und wie mein Glück in Asche schwand,
Führt mich der Schmerz mit milderm Sinne
In der Erinnrung stilles Land.

Dort schau ich klar geliebte Blüthen,
Die sich um mich als Bilder reihn;
Die Pracht, mit der sie lebend glühten,
Verbirgt mir ihr Gebrochensein.

*

Die Habsburg.

Zu Habsburg unterm Schlosse
Ist längst der Feind genaht;
Hin schwirren die Geschosse
Gewaltig früh und spat.

Er ist ein Schlimmgesinnter,
Zum Kampfe stets gericht;
Ihm beugen Lenz und Winter
Den Trotz der Sehnen nicht.

Er hat zum letzten Stürmen
Die Leitern schon gelegt,
Wer ist's, der rings den Thürmen
So kühnen Schwungs sich regt?

Baumstämme sind's, gefestet.
Mit Wurzeln eingefußt;
Sie tragen reich geästet
Ergrüntes Laub und Blust.

Es seufzet in vier Wänden
Das klüftige Gestein;
Die Hülfe, fern zu finden,
Kehrt nimmer, nimmer ein.

Das Herrnvolk liegt verschlafen,
Des Hornes Mund ist stumm;
Rost nagt die alten Waffen,
Im öden Heiligthum.

Die Burg ist stets geschwächter,
Die Todten ruhen aus.
Ihr, lebende Geschlechter,
Erbaut ein neues Haus.

*

Ermahnung.

Heb' empor die feuchten Augen,
Was dir welkte, schaue nicht!
Wage still den Trost zu saugen,
Der zu dir aus Sternen spricht.

Kannst du's auch nicht unterscheiden,
Glück und Frühling kehrt zurück,
Nacht wird Licht, und Glück aus Leiden,
Leid ist Knospe, Blume Glück.

*

Herbe Täuschung.

Siehe, wie die Herbstzeitlose,
Buhlend nach dem Schein der Rose,
Sich mit Frühlingsfarbe schminkt!
Aber weh der Seele, welche
Hingelockt zu ihrem Kelche,
Statt des Seimes Gifte trinkt.

Also weh, wenn falsche Herzen
Mit dir, heil'ge Liebe! scherzen, –
Deiner spotten, Zuversicht!
Hast du solchen Trug empfunden,
Zieh den Pfeil aus solchen Wunden,
Seele, du vermagst es nicht.

*

Frühlingsvertrauen.

Noch schleicht der Winter tückisch um,
Den Hut tief im Gesichte;
Doch Veil, Huflattig, Schlüsselblum'
Ersteigen kühn zu Lichte.

Der Falter auch mit gelbem Flug,
Und der in brauner Seide,
Sie haben, scheint's, des Schlaf's genug –
Sie flattern, waglich, beide.

Flieht! bald am Thor des Lebens dicht
Könnt euch der Pfeil erjagen!
»Das Hoffen drängt; wir zweifeln nicht,
»Was Lieb' und Glaube sagen.«

*

Maifeier.

Ein Kukuk hier, sein Buhle dort,
Wo hohe Wipfel ragen!
Horch, ringsum klingt es munter fort,
Was sie ohn' Ende fragen:

»O sagt, was könnte schöner sein,
Was süßer unterm Süßen,
Als obenher der Sonnenschein,
Und frisches Grün zu Füßen?

Was könnte, saget, schöner sein,
Was süßer unterm Süßen,
Als wenn zwei Herzen, jung und fein,
Im Mai sich freundlich grüßen?«

*

Abschied und Sehnen.

Hinter dieses Bürgleins Zinnen.
Winkt die Sonne gute Nacht;
Doch im Bergland tiefer innen.
Sind die Gluthen hell erwacht.

Also wann sie geht, die Süße,
Die man lang ans Herz gelegt,
Wird vom letzten ihrer Grüße
Noch zumeist die Brust bewegt.

Und die Wehmuth und das Sehnen,
Zwei Geschwister ernst und mild,
Spiegeln noch im Glanz der Thränen
Das entschwund'ne, schöne Bild.

*

Nachtgang.

Ich wandle in der Stille,
Bergüber geht mein Lauf;
Der Nachthauch trägt der Grille
Einsames Lied herauf.

Wohlan! Aus Waldesgründen
Ersteigt der Mond die Bahn;
Blaß-rege Schimmer zünden
Des Flusses Tiefen an.

Es bebet, gleich der Welle,
Das bang bewegte Herz;
Ist auch die Lust Geselle,
Freund ist doch nur der Schmerz.

*

Unmuth.

Ich wandle durch die Matten,
Die Blumen seh' ich nicht;
Wenn innen ist der Schatten,
Was frommt das äußre Licht?

Der Vöglein sind wohl viele; –
Den Sang vernehm' ich kaum,
Er weckt mit seinem Spiele.
Nur einen schwachen Traum.

Der Traum entflieht mit Eile,
Ihn ängstet dieser Ort:
Bin ich doch manche Meile
Von Glück und Frühling fort.

*

Der Herbstabend.

Rothe Wolken sind geschichtet,
Lachen mild ins Abendgold;
Doch der Mond, so blaß und hold,
Hat sein schmerzreich Lied gedichtet:

»Ach daß stets der dunkeln Trauer
Unsre Freuden Schwestern sind.« –
Dieß im Nachhall haucht der Wind
Durch des Waldhangs Espenschauer.

*

Trübe Maitage.

Ferne flieht, ihr Wolkenschatten,
Ab den jungen, grünen Matten!
Störet nicht die kurze Lust!
Diese Blumen unverschuldet
Haben Schmerz genug geduldet
An des Winters kalter Brust.

Mich, wie sie, bezwingt Verlangen
Nach der Sonne schönen Wangen,
Deren Auge Freude lenzt!
Auch der Mensch ist eine Blüthe –
Darbend, fehlt der Strahl der Güte,
Krank, wenn ihm nicht Liebe glänzt.

*

Das Gerede der Wellen.

Eine Welle sagt zur andern:
Ach! wie rasch ist dieses Wandern!
Und die zweite sagt zur dritten:
Kurz gelebt ist kurz gelitten!

*

Die Nonne im Sarge.

Vom Chore wird der Sarg getragen.
Im Schiffe bleibt er mitten steh'n;
Die sanften, todten Züge sagen:
Dir Herz, ist ach! so wohl gescheh'n.

Sie schlummert gleich der Frühlingsblüthe
Vom winterlichen Frost erfaßt,
Ein Rosenbild von Qual und Güte
Am kühlen Strahl des Monds erblaßt.

Man murmelt nun die alten Lieder,
Es wäre viel Gefühl darin!
Doch diese trocknen Augenlieder
Bezeugen, weh! den stumpfen Sinn.

Nur von den Schwestern einzig Eine,
Wie die Entschlafne schön und bleich, –
Sie schaut hinaus mit feuchtem Scheine
In dies erschloßne Schmerzen-Reich.

Und wie sie bangt und wie sie weinet,
Beweinet sie die Todte nicht;
Sie weint zum Sterne, welcher einet:
»Ich bin's, o Stern! Vergiß mein nicht!«

*

Am Flusse

Lächelnd auf des Kahnes Spitze
Wirft das Kind von seinem Sitze
Junger Blumen reichen Flug
In der Wellen raschen Zug.

Müßte es, was ich, erfahren,
Wüßt' es das in solchen Jahren,
Wohl, statt in des Flusses Pfaden,
Würd' es sie in Thränen baden!

*

Schöne Augenblicke.

Freundliche, heilige Zeit begeisterten Aufblicks zum Himmel,
Nahest du schnell wie der Blitz, deckt dich auch plötzlich die Nacht!
Sterblichen bleibt es verwehrt, zu weilen im Lande der Sehnsucht.
Aber die Sehnsucht drängt ewig zum Ewigen hin.

*

Blick ins Wasser.

In der Wasser Glanz und Schein,
Fühlst du Pein, schau hinein,
Bald wirst du genesen sein.
Ufer, Grund und Himmel zittern
In dem Spiegel klar und reich.
Sind die Bilder, die zersplittern,
Und sich sammeln und entwallen,
Nicht den Herzgefühlen gleich?
Ist ein Dunkel eingefallen,
Naht der Strahl. Der wird dein!
Hast du Pein, schau hinein
In der Wasser Glanz und Schein!

*

Zum zweiten Mal glücklich.

Der Lenze, Kukuk, dreißig sind's,
Seit ich dich einst gehöret,
Da du des Jünglings Schwärmersinn
Mit Freude süß bethöret.

So bleich erscheint die Zwischenzeit,
Die oft ich wund bemessen!
Du aber hast von deiner Lust
Nicht ein Gesetz vergessen.

Doch blüht nicht mir auch Liebe neu,
Die reicher nie begegnet?
Sprich, Vogel, wie vernahmst du das,
Daß so dein Lied mich segnet?

Zwei Jahre ist mein Büblein alt.
Ich führ's schon durch die Tannen,
Um drauf, was droben fröhlich klingt,
Des Kindes Ohr zu spannen.

Auch nach den Blümchen langt es hin,
Wir sind so ganz die gleichen,
Das Röcklein selber paßte gar,
Möcht' es an's Knie mir reichen.

*

Am Felsenhang.

Daß du es wagst, am Felsensaum
Dich so hervorzubiegen?
Gieb Acht, daß du nicht stürzest, Baum,
Da dich die Lüfte wiegen!

Dich lockt die freie Wolkenschau, –
Der Fluß im breiten Thale,
Das Himmel- und das Wasserblau
In seiner grünen Schale.

Gieb Acht, daß du nicht stürzest, Baum
Da dich die Lüfte wiegen:
Den Vögeln nur gebührt im Raum
Das Hin- und Wiederfliegen.

*

Im Gewitter.

Die Schwalben fliegen bang und tief
Auf nächtlich düstern Gründen hin,
Ein Regenschauer brauset schief
Und wandelt schwarz, das Licht entschlief.

Ich aber, schauend, hoffe gar;
Den Schmerz besiegt der feste Sinn:
Je dunkler ist die Wolkenschaar,
Je schneller wird mein Himmel klar.

*

Im Jenner 1841.

Traun! es reget sich tief, es regt sich die Hoffnung im Busen,
Mitten aus Schauer und Schnee seh ich den Frühling ersteh'n.
Seid ihr, du Schnee und du Eis, seid ihr nicht die berstende Hülle
Dessen, was athmet und fühlt, und nach dem Lichte sich drängt?

O! du geliebtestes Land, o! Schweiz, du geliebteste Erde,
Kämpfend mit wildem Gebraus däucht mir dein Frühling so nah!
Siehe, wie's sauset und tobt! Es wirbelt der Sturm durch die Gipfel,
Wäre nicht kundig der Blick, schien uns verloren das Land.
Aber es reget sich tief, es regt sich die Hoffnung im Busen:
Tage des Glanzes, des Glücks werden dir, Heimat, erblühn.

*

Tiefer im Lenze.

Und wie der Frühling reicher schwillt,
Verstummen meine Lieder;
Der Lenz, den nun der Lenz gestillt,
Legt sich zum Schlummer nieder.
Das Herz bedarf des Singens nicht,
Ist doch schon jeder Baum Gedicht.

*

Ehemals und Jetzt.

Als ich noch war ein Jüngling, und dann der Frühling kam,
Bedacht' ich erst zu lieben, eh' ich mir Blumen nahm,
Jetzt gierig, als ein Alter, greif ich nach Blumen gleich,
Ich weiß, die Blumen sterben, stet ist der Liebe Reich.

*

Heimzug

Daß die Heimat sie erreiche,
Hebt die Taube Blick und Flug:
Nach dem süßen Himmelreiche
Hat die Seele ihren Zug.

*

Der Schatten.

Der Schatten, der vom Baume fällt
Nach Morgen und nach Abend hin,
Vom Licht geboren, es zu fliehn,
Bezeugt er nicht die Doppelwelt?

Zwei Wesen hegt das Menschenherz,
Das durch das eine hofft und ringt,
Ins andre, gleich in Nacht, sich schlingt,
O! dieses Zwei ist Lust und Schmerz.

*

Aufschwung.

Wenn dich Schmerzen drängen, pressen.
Nach den Sternen sei der Zug.
Habt dort Beide Raums genug,
Mögt einander bald vergessen.

*

Zeit zum Beten.

Ja, jetzt ist es Zeit zu beten.
In der stillen Mitternacht,
Wann die Seele vor dem Schlummer.
Selbst sich denkend, sinnt und wacht;

Wann des Daseins dunkle Räthsel
Bilderreich vorüberfliehn.
Und sich tausend Zauberkreise,
Jeder düstrer, um dich ziehn.

Wann dann aus der Tiefe Schatten
Wieder heim die Seele klimmt.
Und sie, lauschend innern Tönen,
Froh und froher selbst sich stimmt.

Auf den Saiten, die erklingen,
Zittert dann, frohlockt ein Licht,
Lieblich, liebend schaut dein Vater,
Seele, dir ins Angesicht.

O! wie süß ist es, zu beten,
In dem stillen Zelt der Nacht,
Wann die Seele, vor dem Schlummer,
Selbst sich denkend, sinnt und wacht.

*

Die Alpenrose.

Ein Blümchen blüht in milder Pracht,
Wo hoch die Alpen ragen,
Und sieht es dort aus Myrthennacht
Als lichtes Röslein tagen.

Doch treu dem kühlen Vaterhaus
Mag's nicht in Beeten prangen;
Der Freier lockt mit Gold und Saus,
Frei Herz bleibt ungefangen.

»Mich bindet hier das süß're Band,«
Sprachs auf das dreiste Werben,
»Verstoßen in ein fremdes Land,
An Heimweh müßt' ich sterben.«

Und rollt der Sturm auf finstrer Bahn,
Es traut den Felsenstützen;
Die Wolke schmiegt als Kleid sich an,
Der Berge Gott wird schützen.

Bald kehrt zurück der sanfte Strahl,
Der Schauer sinkt zu Füßen;
Da heißt es hell das dunkle Thal
Durch seine Sennen grüßen.

Vernimm den Klang, hinauf zur Fluh!
Und hast du's nun gefunden,
Der holden Blume sage du,
Was voll die Brust empfunden:

»Ich will ein treuer Schweizer sein,
Der Heimat fest verbündet,
Das Herz sei stark, der Wille rein,
An deinem Licht entzündet!«

Da lacht es froh nach Bergmann's Brauch;
Es läßt zum Strauß sich pflücken,
Und spricht mit herzlich keuschem Hauch:
»Nimm hin, die Brust zu schmücken!«

Denn darum hat mich Gott gesät
Auf höh're Alpenauen,
Wo kaum die Sonne schlafen geht,
Und nah die Sterne schauen. –

Ein Zeichen sei ich ewig neu:
Den lieben Schweizerknaben,
Nicht alte Sitten ohne Scheu
Im Thale zu begraben.«

*

Mondliedchen.

Goldner Mond, wie strahlt dein Blick
Mir so traut entgegen!
Das ist eben dein Geschick,
Herzen sanft zu regen!
Eingesenkt ins Blau der Nacht,
Wie du wallst so glühend,
Werden folgsam deiner Macht
Alle Träume blühend.

*


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