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Vor langen Jahren lebte ein mächtiger Sultan, der einen Wesir namens Ibrahim hatte, dessen Tochter die schönste ihres Geschlechtes und die vollkommenste ihres Zeitalters war, weshalb man sie Wird-al-Ikmam oder die Rose unter den Blumen nannte. Es war der Gebrauch des Sultans Schamich, alljährlich die Edeln seines Königreiches und Personen, die sich in Künsten und Wissenschaften auszeichneten, zu versammeln, wobei sie auf königliche Kosten prächtig unterhalten wurden. Die ersteren entfalteten ihren Mut in kriegerischen vor dem Fürsten gehaltenen Übungen, die letzteren stellten die Hervorbringungen ihres Genius und ihrer Geschicklichkeit aus, und es wurden von sachkundigen Richtern denen, welche sie verdienten, Preise erteilt. An einem dieser festlichen Tage saß die Tochter des Wesirs auf einem vergitterten Balkone des Palastes, um den Spielen zuzusehen, und wurde von der männlichen Gestalt und der Gewandtheit eines jungen Edelmannes namens Ins-al-Wudschud, das heißt die Vollkommenheit der menschlichen Natur, so ergriffen, daß Liebe ihre ganze Seele erfüllte. Sie zeigte ihn einer Vertrauten und gab ihr einen Brief, den sie dem Gegenstande ihrer Liebe geben sollte. Der junge Mann, welcher ihre Lobeserhebungen gehört hatte, war von seinem guten Glücke entzückt, und als er am folgenden Tage von ihrer Schönheit so viel gesehen hatte, als durch den Golddraht des Balkons möglich war, entfernte er sich mit liebeentbranntem Herzen. Es wurden nun täglich, ja fast stündlich Briefe zwischen ihnen gewechselt; aber sie brannten vor Ungeduld nach einer Zusammenkunft, die endlich festgesetzt wurde. Das Briefchen, welches Zeit und Ort bestimmte, wurde jedoch leider von der Vertrauten verloren und dem Wesir gebracht, der, für die Ehre seiner Familie besorgt, seine Tochter noch in derselben Nacht in ein entferntes Schloß sandte, welches ihm gehörte und auf einer Insel stand, die sich in einem großen See befand, der von gebirgigen, wenig bewohnten Wüsten umgeben war. Das unglückliche Mädchen mußte sich ihrem Geschick unterwerfen; aber sie hatte die Klugheit, vor ihrer Abreise auf die Außenseite ihres Balkons folgende Verse zu schreiben:
»Ich beschwöre dich bei Gott, o Haus, verkünde dem Geliebten meinen Schmerz, das Zeichen meiner Liebe.
Und begrüße ihn mit dem reinsten Gruße von mir; denn ich muß fort von hier und weiß noch nicht, wohin.
Bei Nachtzeit eilen sie mit mir heimlich von hinnen; von dem Orte meiner Bestimmung ist mir nichts bekannt.
Die Flügel des Waldes bedecken die Reise, während die Vögel des Waldes auf den Ästen weinen und wehklagen.
Sie scheinen mir die Trennung von meinem Geliebten verkünden zu wollen.
Der bittere Kelch der Trennung ist für mich gefüllt, und das Geschick zwingt uns, ihn zu leeren.
Doch ich mische dieses Getränk mit süßer Hoffnung; aber ohne dich, Geliebter, ist Hoffnung von geringem Nutzen!«
Als am folgenden Morgen der Geliebte wie gewöhnlich unter dem Balkon erschien, auf welchem er seine Geliebte zu sehen hoffte, las er die unwillkommene Nachricht, die ihn auf einige Zeit seiner Sinne beraubte. Als er wieder etwas zu sich gekommen war, beschloß er, obgleich er des Sultans Hauptgünstling war, den Hof zu verlassen und seine Geliebte aufzusuchen. Er verließ, in eine Mönchskutte gekleidet, am folgenden Abend die Stadt und wanderte, sich der Vorsehung empfehlend, ohne zu wissen, wohin. So reiste er viele Wochen, ohne irgend eine Spur seiner Geliebten zu finden, als ihm plötzlich, da er eben durch einen dicken Wald ging, ein ungeheurer Löwe begegnete, dem er nicht entrinnen zu können glaubte; und nachdem er für das Glück seiner Geliebten gebetet und seine Seele Gott und dem Propheten empfohlen hatte, überließ er sich seinem Geschick und erwartete den Sprung und Anfall des Verschlingers. Wie groß war daher sein Erstaunen, als das königliche Tier, anstatt ihn zu seiner Beute zu machen, sich ihm freundlich näherte, ihm die Hände leckte und ihn mit einem mitleidigen Blicke ansah! Es ging um ihn herum und dann langsam vorwärts, wobei es sein Haupt bewegte, gleichsam zum Zeichen, daß der Jüngling ihm folgen sollte. Ins-al-Wudschud tat es und wurde von dem Löwen durch den Wald geführt. Plötzlich blieb das Tier, einen hohen Berg erklimmend, vor dem Eingange einer Höhle stehen, die mit einem eisernen Tore versperrt war, bewegte sodann sein Haupt, leckte seinem Begleiter nochmals die Hände und ging in den Wald zurück. Der Jüngling näherte sich nun der Höhle, und nachdem er an das Tor geklopft hatte, wurde es von einem ehrwürdigen Einsiedler geöffnet, der ihn willkommen hieß, ihm warmes Wasser brachte, um seine Füße zu waschen, und ihm allerlei Erfrischungen vorsetzte. Als er gegessen hatte, fragte ihn der Einsiedler, wie er in eine so wüste Gegend käme; und nachdem Ins-al-Wudschud seine Abenteuer erzählt hatte, rief jener aus: »Du bist ein Günstling des Himmels, sonst hätte dich der Löwe verschlungen, verzweifle also nicht an einem glücklichen Ausgange; denn meine Seele sagt mir, daß du glücklich sein wirst; auch soll es dir an meinem Beistande nicht fehlen.« Nachdem Ins-al-Wudschud dem Einsiedler für seine Gastfreundschaft und seine großmütigen Anerbietungen gedankt hatte, sagte ihm dieser, daß er seit beinahe zwanzig Jahren kein menschliches Antlitz gesehen außer ein paar Tage vor seiner Ankunft, wo er bei einer Wanderung über die Berge unten am Rande des großen Sees ein Lager und in diesem ein Gewühl von teilweise sehr reich gekleideten Männern und Weibern erblickt; ein Teil davon hätte sich auf einer stattlichen Jacht eingeschifft, und die übrigen hätten sodann, nachdem sie von ihnen Abschied genommen, ihre Zelte abgebrochen und ihren Rückweg angetreten, »höchstwahrscheinlich,« fuhr er fort, »hat diese Jacht deine Geliebte in das Schloß geführt, welches auf einer inmitten des Sees gelegenen Insel steht. Ist dies der Fall, so sollst du bald sicher landen; im übrigen muß die Vorsicht deine Leiterin sein. Ich will diese Nacht deiner in meinen Gebeten gedenken und nachsinnen, was ich zu deinem Besten tun kann.« Als er dies gesagt hatte, führte der Einsiedler den Wanderer in eine Kammer und überließ ihn dem Schlafe.
Die schöne Wird-al-Ikmam war in ihrem Gefängnisse höchst unmutig, und ihre Begleiterinnen versuchten es vergebens, sie zu ergötzen. Sie durchwandelte schwermütig die prächtigen Gärten des Schlosses, deren Gebüsche mit Vögeln aller Art angefüllt waren, welche herrlich sangen; aber das sanfte Girren der Turteltaube und die Klagetöne der Nachtigall um die geliebte Rose fesselten allein ihre Aufmerksamkeit. Stundenlang hörte sie ihnen auf einer Rasenbank zu und bildete sich ein, in diesen Tönen die Stimme ihres Geliebten zu vernehmen. Das war ihre tägliche Beschäftigung, und nie verließ sie den Garten, bis ihre Begleiterinnen sie zwangen, vor dem fallenden Nachttau ein Obdach zu suchen.
Wir kehren nun zu ihrem Geliebten zurück. Ermüdung und die tröstlichen Zusicherungen des freundlichen Einsiedlers hatten das Gemüt des Ins-al-Wudschud sehr beruhigt, und er schlief fest und ungestört, bis die Sonne schon hoch am Himmel stand. Als er nun erwacht war, half er dem Einsiedler seine Andacht verrichten, worauf sie zusammen ein aus Milch, Brot und Früchten bestehendes Mahl verzehrten. Als dies beendet war, bat ihn der Greis, aus dem Walde einige Bündel Palmenrinde zu holen, woraus er dann eine Art von kleinem Boote bildete, es dem Ins-al-Wudschud gab und zu ihm sagte: »Geh zu dem See und setze dies in das Wasser, woselbst es sogleich groß genug werden wird, dich zu fassen; steig dann nur hinein und überlaß alles übrige dem Himmel. Lebe wohl!«
Nachdem nun Ins-al-Wudschud von seinem ehrwürdigen Freunde, dem Einsiedler, mit vielen Danksagungen Abschied genommen hatte, tat er, wie dieser ihm geraten, und langte bald an dem Rande des Sees an, in welchen er sein kleines Fahrzeug gleiten ließ, das nun zu seinem großen Erstaunen sogleich eine mit aufgespannten Segeln versehene Barke ward. Er setzte sich hinein, und ein günstiger Wind ließ ihn bald das Land aus dem Gesichte verlieren. Einige Tage hindurch sah er nur Wasser und Himmel, doch endlich zeigte sich die Küste einer Insel, an welcher er landete und seine Barke an einen großen Baumstamm band. Er ging hierauf tiefer ins Land hinein und fand es schön und reich an grünen Wiesen, klaren Bächen und schattigen Hainen, auf deren mit herrlichen Früchten belasteten Bäumen Vögel aller Art in verschiedenen Weisen sangen. Als er sich durch den Genuß von Früchten erfrischt hatte, setzte er seinen Weg fort und gelangte endlich bis zu dem Torwege eines großen Gebäudes, den er verschlossen fand. Drei Tage wartete er in vergeblicher Hoffnung, jemand von den Bewohnern zu sehen. Endlich wurde am vierten die Pforte von einem Manne geöffnet, der, als er Ins-al-Wudschud sah, auf ihn zuging, ihn fragte, wer er wäre, woher er käme, und was ihn veranlaßte, dort zu harren. »Ich bin aus Ispahan,« versetzte Ins-al-Wudschud, »und wurde auf einer Handelsreise an diese Küste verschlagen, auf welche ich von allen Gefährten allein mich zu retten vermochte.« Als der Mann dies hörte, brach er in Tränen aus, umarmte ihn und sagte: »Gott bewahre dich vor ferneren Unglücksfällen! Auch ich bin aus Ispahan, wo auch mein Vetter wohnte, den ich ebenso innig liebte, als ich von ihm wiedergeliebt wurde. In dieser glücklichen Zeit meiner Jugend bekriegte uns ein übermächtiges Volk und entriß mich nebst andern Gefangenen meinem Vaterlande, worauf ich meinem gegenwärtigen Herrn als Sklave verkauft wurde. Aber komm, mein lieber Landsmann, tritt in den Palast und ruhe dich in meinem Zimmer aus, wo wir uns bemühen wollen, uns in unserem Elende gegenseitig zu trösten, bis die Vorsehung uns in unsere Heimat zurückführen wird.«
Ins-al-Wudschud nahm gern und willig eine solche freundliche Einladung an und erblickte, als er in den Hof trat, einen hohen, seine Äste weit ausbreitenden Baum, an dem mehrere goldene Käfige hingen, deren jeder einen schönen Vogel enthielt. Diese Vögel wetteiferten untereinander in melodischem Gesange und schienen den Eintretenden gleichsam willkommen zu heißen. Er fragte seinen Wirt, wem das prächtige Gebäude gehörte, und erhielt zur Antwort, daß es ein Besitztum des Wesirs Ibrahim wäre, der seine Tochter, um sie vor dem Wechsel des Schicksals zu bewahren, hätte hierher bringen lassen und sie jährlich nur einmal besuchte, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und sie mit dem nötigen Bedarfe für sie und ihre Begleitung zu versehen. Als Ins-al-Wudschud dies hörte, war er nahe daran, in lautes Entzücken auszubrechen; er hielt sich aber zurück und begnügte sich damit, zu sich selbst zu sagen: »Endlich habe ich den Aufenthalt meiner Geliebten erreicht und kann auf Erfüllung hoffen, welche mir bis jetzt noch so fern lag.« Seine reizende Schöne, die nichts weniger vermutete, als daß ihr Liebster ihr so nahe wäre, und die dieses einsamen Aufenthalts längst überdrüssig war, hatte aber diesen Abend beschlossen, aus ihrem Gefängnisse zu entfliehen. Sie ließ sich also in der Dunkelheit der Nacht aus dem Fenster ihres Schlafgemachs an einem seidenen Stricke herab, den sie aus zerschnittenen Kleidern geflochten hatte, und erreichte glücklich und unversehrt den Erdboden. Eilig floh sie zur Seeküste, wo sie ein Fischerboot sah, dessen Eigner sie zwar in der ersten Bestürzung für einen Geist hielt, da sie von Schönheit und Juwelen glänzte, endlich aber auf ihre Versicherungen, daß sie wirklich eine Frau wäre, sie in sein Fahrzeug aufnahm. Sie dankte ihm für seine Güte, die sie ihm durch manchen kostbaren Edelstein lohnte, und bat ihn, sie über den See zu fahren. Der Fischer spannte seine Segel auf, und der Wind war eine Zeitlang günstig; aber auf einmal erhob sich ein heftiger Sturm, der sie drei Tage lang in großer Gefahr hin und her und weit von ihrem Wege abtrieb. Endlich legte sich der Sturm, die See beruhigte sich, und es war Land zu sehen. Als sie sich der Küste näherten, erblickten sie eine ansehnliche Stadt, deren Gebäude ungewöhnlich prächtig erschienen. Sie gingen unter der Terrasse, die zu dem Palast des Sultans gehörte, vor Anker. Zufällig saß dieser, welcher Sultan Dara hieß, mit seiner Tochter auf einem Balkon, um der frischen Luft und des Anblicks des weiten, mit Schiffen aus allen Gegenden der Erde angefüllten Hafens zu genießen. Als er das Boot erblickte, gab er Befehl, daß man dessen Herrn und seine Mannschaft vor ihn bringen sollte. Sein Erstaunen bei dem Anblicke der schönen Wird-al-Ikmam war nicht gering. Aus ihrem reichen Anzuge, ihrem würdigen Anstand und Betragen schloß er, daß sie von hohem Range sein müßte; und nachdem sie auf sein Ersuchen sich neben seine Tochter gesetzt hatte, fragte er sie freundlich nach ihrem Vaterlande und der Ursache ihrer Reise in seine Hauptstadt, worauf sie ihm in beredter Kürze ihre Abenteuer erzählte. Der Sultan tröstete sie durch Zusicherungen seines Schutzes, versprach ihr, alle seine Macht anzuwenden, um sie mit ihrem Geliebten zu vereinigen, und sandte sogleich seinen Wesir an den Sultan Schamich ab mit kostbaren Geschenken und der Bitte, den Ins-al-Wudschud an seinen Hof zu senden.
Als der Wesir nach glücklicher Fahrt in der Hauptstadt des Sultans Schamich angelangt war, überreichte er die Geschenke und richtete seinen Auftrag aus, worauf der Sultan erwiderte, Ins-al-Wudschud hätte sich zu seinem großen Leidwesen schon seit einem Jahre von seinem Hofe entfernt, und er wüßte seitdem nichts von seinem Aufenthalte, würde aber seinem Wesir befehlen, den Gesandten, dessen Herrn er sich, soviel er vermöchte, gern gefällig zeigen wollte, zu geleiten, um ihn aufzusuchen. So reisten denn nach einigen Tagen die beiden Wesire ab, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollten. Endlich erreichten sie die Küste des Meeres Kunnus, woselbst sie sich auf einem gemieteten Fahrzeug einschifften und nach der gebirgigen Insel Tukkalla segelten, von welcher der Wesir des Sultans Schamich seinem Gefährten folgenden Bericht erstattete: »Diese Insel war einige Jahrhunderte früher von Geistern bewohnt. Eine Geisterprinzessin verliebte sich heftig in einen schönen jungen Mann, den Sohn eines Emirs von Kairo, welchen sie, über die Gärten seines Vaters unsichtbar hinfliegend, erblickte, als er in der Hitze des Tages schlief. Sie setzte sich neben ihn, und nachdem sie ihn sanft erweckt hatte und er nicht wenig erstaunte, ein so schönes weibliches Wesen so zuvorkommend gegen sich zu sehen, erwiderte er ihre Liebkosungen, und es fehlte nicht an gegenseitigen Beteuerungen von Liebe und Treue. Nach einigen glücklich verbrachten Stunden nahm die Prinzessin einen zärtlichen Abschied, versprach, ihn wieder zu besuchen, und verschwand aus seinem Blicke. Er blieb in Nachdenken über sein glückliches Abenteuer versunken, bis der Nachttau zu fallen begann, wo denn seine wegen seiner Gesundheit besorgten Eltern Sklaven absandten, um ihn in den Palast zu holen. Aber er wollte nicht mit ihnen gehen und sprach, wie es ihnen vorkam, so unzusammenhängend über seine Geliebte, daß sie glaubten, er wäre närrisch geworden, und ihn mit Gewalt zum Heimgehen nötigten. Seine Eltern waren beunruhigt, vergebens forderten sie ihn auf, etwas zu sich zu nehmen, er war betrübt und finster und ging endlich in sein Zimmer, wo er die ganze Nacht in rastloser Angst zubrachte und mit Ungeduld den Morgen erwartete, um sich nur wieder nach dem glücklichen Orte begeben zu können, wohin seine Geliebte wiederzukommen versprochen hatte.
Sobald der Morgen dämmerte, begab sich der Emirssohn in den Garten und wurde alsbald durch den Anblick seiner Geliebten erfreut; während sie sich aber wechselsweise die zärtlichste Liebe versicherten, erschien plötzlich die Mutter der Geisterprinzessin, welche aus dem Betragen ihrer Tochter den Verdacht eines heimlichen Liebeshandels geschöpft hatte. Auf die Liebenden losstürzend, ergriff sie ihre Tochter bei den Haaren, schlug sie und schalt sie in den härtesten Ausdrücken, daß sie die Ehre der Geister durch die Liebe zu einem elenden Sterblichen geschändet hätte, worauf die Prinzessin erwiderte, daß ihr Schelten vergeblich, ihre Liebe eine unvertilgbare und beständige wäre und sie sich lieber in tausend Stücke zerreißen lassen, als sich von dem Gegenstand ihrer Leidenschaft trennen würde. Da nun die Mutter den Fall als einen verzweifelten erkannte und selbst von der ungemeinen Schönheit des Jünglings gerührt wurde, der ihr zu Füßen fiel und um Gnade für seine Geliebte flehte, so gab sie endlich nach und willigte in ihre eheliche Verbindung. Sie wurde feierlich begangen und diese Insel, nach dem Namen der Prinzessin Tukkalla genannt, wurde zu ihrem Aufenthaltsorte bestimmt. Noch steht ihr prächtiger Palast nach dem Verlaufe vieler Jahrhunderte und ist jetzt in meinem Besitze. Hier hoffe ich meine einzige Tochter zu finden, die ich vor einem Jahre hierher brachte, um sie vor den Nachstellungen eines jungen Mannes zu sichern, auf den sie gegen meinen Willen ihre Neigung geworfen hatte.«
Die zwei Wesire landeten nun und begaben sich in den Palast; aber wie groß war das Erstaunen und der Verdruß Ibrahims, als er erfuhr, seine Tochter wäre entflohen, und niemand von ihren Umgebungen hätte trotz wiederholten Nachsuchungen in jedem Winkel der Insel seit ihrer Flucht irgend etwas von ihr erfahren. Da er unter der Dienerschaft des Palastes einen fremden, blassen, hagern und schwermütig aussehenden jungen Mann erblickte, fragte er, wer er wäre, und erhielt zur Antwort: ein junger Kaufmann aus Ispahan, der Schiffbruch gelitten und den man aus Menschenliebe aufgenommen hätte. Ibrahim bat nun den Wesir des Sultans Dara, zu seinem Herrn zurückzukehren und ihn von der Vergeblichkeit ihrer Nachsuchungen zu benachrichtigen, indem er ihn zugleich bat, den vermeintlichen Kaufmann in sein Gefolge aufzunehmen und ihn bis Ispahan, durch welche Stadt die Reise ging, mitzunehmen. Dies wurde bewilligt; die beiden Minister nahmen freundlich Abschied voneinander, und jeder zog seines Weges.
Dem Wesir des Sultans Dara gefiel das angenehme Wesen des vermeintlichen Kaufmanns so sehr, daß er sich sehr oft vertraulich mit ihm unterhielt. Diese Vertraulichkeit ermutigte den jungen Mann, ihn nach der Veranlassung einer so weiten Reise zu fragen. Der Wesir erzählte ihm nun von der Ankunft der schönen Wird-al-Ikmam an dem Hofe des Sultans Dara, von der Teilnahme, welche sie diesem Fürsten eingeflößt, von dessen Wunsch, ihrem Mißgeschick ein Ende zu machen, und von dem Zwecke seiner fruchtlosen Sendung. Bei diesen Worten konnte Ins-al-Wudschud sich nicht länger zurückhalten. Er nannte sich dem Wesir, der ihn mit Zärtlichkeit umarmte und ihm zu diesem Zusammentreffen, das ihn zu seiner Geliebten führte, Glück wünschte. Er behandelte ihn von nun an mit der größten Aufmerksamkeit, versah ihn mit reichen Kleidern und erwies ihm alle Achtung, die einer Person zukam, an welcher sein Sultan so lebhaften Anteil nahm. Ins-al-Wudschud, der nun in seinem Gemüte beruhigt und voll freudiger Erwartung war, lebte und blühte wieder auf, so daß er bei seiner Ankunft in der Hauptstadt des Sultans Dara alle seine frühere Männlichkeit und Schönheit wieder hatte.
Als der Wesir dem Sultan Dara den glücklichen Erfolg seiner Reise mitgeteilt hatte, verlangte dieser den jungen Mann zu sehen, der nun vor dem Throne erschien und sich mit der sicheren Ehrfurcht eines geübten Hofmannes betrug. Der Sultan begrüßte ihn freundlich, ließ ihn niedersitzen und sich dann von ihm seine Abenteuer erzählen. Er wob in seine beredte Erzählung poetische Anführungen und Stegreifverse ein, welche den verschiedenen Zufällen und Lagen angemessen waren. Der Sultan freute sich sehr über das Gehörte, schickte nach einem Kadi und nach Zeugen, um das Eheband zwischen dem glücklichen Ins-al-Wudschud und der schönen Wird-al-Ikmam zu knüpfen, und sandte zugleich einen Boten an den Sultan Schamich und seinen Wesir Ibrahim, die ihre vermeintlich unwiederbringlichen Verluste, der eine den seines Lieblings und der andere den seiner Tochter, beweinten. Sultan Dara behielt das glückliche Paar eine Zeitlang an seinem Hofe und entließ sie sodann mit köstlichen Geschenken in ihr eigenes Land, welches sie sicher erreichten. Dort empfingen sie der Sultan und der reuige Wesir mit der herzlichsten Freude, und dieser letztere machte durch sein jetziges Betragen seine frühere Härte und Strenge wieder gut. So genossen die Liebenden, durch die Gunst des Sultans und ihrer Familie beglückt, jeder Erdenfreude, bis der Todesengel sie in die Ewigkeit rief.