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Geschichte des Opiumessers und des Kadis.

Es lebte in einer Stadt ein dem Genusse des Opiums sehr ergebener Mann, der seinen Lebensunterhalt durch Fischen gewann. Wenn er verkauft hatte, was er gefangen, so kaufte er für einen Teil des eingenommenen Geldes die nötige Kost und für den andern Opium, womit er sich erquickte, bis er berauscht wurde: und das war einen Tag wie den andern der Fall. Als er eines Abends noch mehr als gewöhnlich zu sich genommen hatte, waren seine Sinne ungewöhnlich abgestumpft, und in diesem Zustande kam er aus seiner Wohnung herab auf den Marktplatz. Es war gerade Vollmond, und dieser schien so hell, daß der Opiumesser in der Verwirrung seines Kopfes den Mondschein auf dem Straßenpflaster für Wasser hielt und sich einbildete, er befände sich am Ufer eines Flusses. Er ging in seine Wohnung zurück und holte sich seine Angel, um mitten auf dem Markte zu fischen.

Er warf seine Angelschnur aus, die von starkem Bindfaden war, und hatte an den Angelhaken mehrere Fleischköder befestigt, als ein sehr großer Hund einen dieser Köder verschlang und, da der Haken ihm die Kehle verletzte, stark an der Schnur zog. Der Opiumesser, der einen großen Fisch gefangen zu haben glaubte, zog aus Leibeskräften, aber vergebens. Der Hund, dem der Haken große Schmerzen verursachte, heulte gräßlich, und der Opiumesser, welcher seine Beute nicht fahren lassen wollte und in den vermeintlichen Fluß zu fallen fürchtete, schrie laut um Hilfe. Die Wache kam, ergriff ihn und führte ihn, da sie ihn berauscht fand, gebunden zu dem Kadi.

Dieser Kadi pflegte sich oft selbst im geheimen durch Opium zu ergötzen. Als er nun den berauschten Fischer sah, fühlte er Mitleid mit ihm, befahl, ihn in ein Zimmer zu bringen, wo er seinen Rausch verschlafen konnte, und sagte zu sich selbst: »Das ist ein Mann nach meinem Herzen, und morgen abend will ich mich mit ihm ergötzen.« Man gab auf den Mann den Tag über wohl acht, und abends ließ ihn der Kadi in sein Zimmer holen, woselbst nach dem Essen jeder von beiden eine starke Dosis Opium zu sich nahm. Die Wirkung folgte schnell, und sie begannen zu singen, zu tanzen und tausend tolle Streiche zu begehen.

Der Lärm, welchen sie machten, zog die Aufmerksamkeit des Sultans auf sich, der mit seinem Wesir, beide als Kaufleute verkleidet, die Stadt durchstreifte. Da sie die Türen offen fanden, gingen sie in das Haus und fanden den Kadi und den Opiumesser auf dem Gipfel ihrer Lustigkeit. Endlich, nach manchen lächerlichen Possen, warf sich der Fischer in die Brust und sagte: »Ich bin der Sultan!« – »Und ich,« setzte der Kadi hinzu, »ich bin der Pascha!« – »Pascha,« fuhr der Fischer fort, »weißt du wohl, daß ich dir, wenn ich Lust habe, den Kopf abschlagen kann?« – »Ich weiß es,« erwiderte der Kadi; »aber jetzt bin ich des Enthauptens nicht wert, gib mir eine reiche Statthalterschaft, daß es sich der Mühe verlohnt, mich zu bestrafen.« – »Du sprichst wahr,« sagte der Fischer; »bevor ich dich töte, muß ich dich mästen.«

Der Sultan lachte über ihre Tollheiten und sagte zu dem Wesir: »Ich will mich morgen abend mit diesen lustigen Käuzen ergötzen«; stand sodann auf und entfernte sich mit seinem Minister.

Am nächsten Abend berauschten sich der Kadi und der Fischer aufs neue, und auch der Sultan erschien wieder nebst dem Wesir, jedoch in anderen Verkleidungen. Sie brachten ein starkes Konfekt von Opium mit, welches sie ihren Wirten anboten, die gierig davon aßen und nun toller wurden als je. Endlich sagte der Fischer, sich spreizend: »Der Sultan ist abgesetzt, ich bin Herrscher an seiner Stelle!« – »Wenn dich der Sultan nun hörte?« sagte der Fürst. »Widersetzt er sich mir,« rief der Fischer aus, »so will ich meinem Pascha befehlen, ihm den Kopf abzuschlagen; dich will ich aber wegen deiner unverschämten Frage sogleich bestrafen.« Er rannte nun auf den Sultan zu und packte ihn bei der Nase, indem der Kadi zu gleicher Zeit den Wesir angriff, und beide Angegriffenen konnten nur mit Mühe aus dem Hause entwischen.

Der Sultan beschloß trotz seiner gezwickten Nase, sich noch ferner mit den Opiumessern zu ergötzen, und ging am folgenden Abend in neuer Verkleidung mit dem Wesir in des Kadis Haus, wo er die Genossen in toller Lustigkeit fand. Sie hatten sich's in den Kopf gesetzt, zu tanzen, und tanzten mit solcher Heftigkeit und so lange, bis sie endlich vor Müdigkeit umfielen. Als sie sich etwas ausgeruht hatten, sagte der Fischer, den Sultan erblickend: »Woher kommst du?« – »Wir sind Fremde,« versetzte der Sultan, »und erst in dieser Nacht hier angekommen; da wir jedoch, indem wir durch die Straßen zogen, eure Lustigkeit hörten, so waren wir so dreist, einzutreten, um sie mit euch zu teilen. Fürchtet ihr euch denn aber nicht, daß der Sultan euch auf der Runde, die er zu machen pflegt, hören und wegen eurer Übertretung des Gesetzes bestrafen könnte?« – »Wie sollte uns der Sultan hören?« erwiderte der Fischer. »Der ist in seinem Palast, und wir sind in unserem Hause, vermutlich aber lustiger als er, der arme Kerl, der mit seinen schweren Regierungssorgen trotz seinem Glanze belastet ist.«

»Wie kommt's,« versetzte der Fürst, »daß ihr den Sultan nicht besucht habt? Denn ihr seid lustige Leute, und ich glaube, daß er euch aufmuntern würde.« – »Wir fürchten,« entgegnete der Fischer, »daß seine Wachen uns fortjagen möchten.« – »Keineswegs,« sagte der Sultan; »und wenn ihr wollt, so will ich euch ein Empfehlungsschreiben an ihn mitgeben, das er gewiß beachten wird, denn wir waren Jugendfreunde.« – »Wohlan, gebet es uns,« rief der Fischer. Der Sultan schrieb einen an sich selbst gerichteten Brief und ging.

Am Morgen gingen der Kadi und der Fischer in den Palast und übergaben das Schreiben einem von der Wache, der, als er es erblickte, es an sein Haupt hielt, sich niederwarf und sie dann zu dem Sultan führte. Als dieser den Brief gelesen hatte, befahl er, sie in besondere Zimmer zu führen und sie mit Achtung zu behandeln. Mittags wurde jedem ein Imbiß vorgesetzt und abends ein vollständiges Mahl, dem der Kaffee folgte. Nach zwei Stunden ließ der Sultan sie rufen, erwiderte ihre Begrüßung, ließ sie Platz nehmen und fragte, wer ihnen den Brief gegeben hätte.

»Mächtiger Sultan,« versetzte der Fischer, »in vergangener Nacht besuchten zwei Männer unser Haus und fragten, warum wir nicht zu Euer Majestät gingen und an Eurer Güte teilnähmen. Wir erwiderten, daß wir von den Wachen weggetrieben zu werden fürchteten, worauf er uns dieses Schreiben gab und uns sagte, wir möchten keine Furcht hegen und es als eine Empfehlung dem Sultan, mit dem er in seiner Jugend sehr vertraut und befreundet gewesen, übergeben. Wir folgten seiner Anweisung und haben seine Worte bewährt gefunden. Wir befragten die beiden Leute, woher sie kämen; aber sie sagten uns nur, daß sie in dieser Stadt fremd wären.« – »Es ist,« fuhr der Sultan fort, »unumgänglich notwendig, daß ihr sie in meine Gegenwart bringet; denn es ist lange her, daß ich meine alten Freunde nicht gesehen habe.« – »So erlaube uns,« sagte der Fischer, »nach Hause zu gehen, wo sie uns vermutlich wieder besuchen werden, und wir wollen sie nötigen, mit uns zu kommen.« – »Wie wollt ihr das machen,« sagte der Sultan, »da ihr gestern abend euren Gast nicht vom Entwischen abhalten konntet, obgleich ihr ihn bei der Nase hattet?«

Der arme Fischer und sein Gefährte, der Kadi, waren nicht wenig über die Entdeckung bestürzt, daß es der Sultan selber gewesen, der ihre Berauschung und ihre tollen Streiche gesehen hatte. Sie erblaßten, zitterten, warfen sich auf die Erde und schrieen: »Verzeihung, Verzeihung, gnädiger Herrscher, für die Beleidigungen, die wir in unserem Wahnsinne der geheiligten Person Euer Majestät angetan haben!«

Nachdem der Sultan herzlich über ihre Verwirrung gelacht hatte, sagte er: »Ich verzeihe euch, denn eure Beleidigungen waren unwillkürliche, obgleich ich, da ich als ein Zudringling in eure Wohnung kam, sie verdiente. Seid munter und setzet euch; aber jeder von euch muß mir seine Abenteuer oder eine andere hübsche Geschichte erzählen.« Der Kadi und der Fischer gehorchten, nachdem sie sich von ihrer Verwirrung erholt hatten, dem Sultan, und der Fischer erzählte, als sie sich gesetzt hatten, folgende Geschichte:

 


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