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»Herr,« sagte Scheherasade, »im Lande Yemen (dem glücklichen Arabien) herrschte ein Sultan, welchem drei Fürsten unterworfen waren. Er hatte vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter. Auch besaß er unermeßliche Schätze und unzählbare Herden an Kamelen, Pferden und Schafen und wurde von allen gleichzeitigen Herrschern gefürchtet.
Nach einer langen und glücklichen Regierung begann er an Altersschwäche zu leiden und ward endlich unfähig, in seinem Audienzsaal zu erscheinen, weshalb er seine Söhne vor sich kommen ließ und zu ihnen sagte: »Es ist mein Wunsch, vor meinem Tode alle meine Besitzungen unter euch zu teilen, damit ihr zufrieden, in brüderlicher Einigkeit und Liebe und meinem letzten Willen getreu leben möget.« Sie versprachen, ihm Gehorsam zu leisten.
Der Sultan fuhr hierauf fort: »Mein Wille ist, daß der älteste an meiner Stelle herrscht, der zweite meine Schätze und der dritte meine Viehherden besitze. Keiner beeinträchtige den andern in seinem Besitztume!«
Hierauf ließ er sie eine Übereinkunft unterzeichnen, sein Begehren zu erfüllen, und wurde bald nachher in die Gnade des Allmächtigen aufgenommen, worauf sein Söhne alles zu seinem Leichenbegängnisse Nötige besorgten. Sie wuschen seine Leiche, sargten sie ein, beteten über ihr und kehrten nach der Beerdigung in ihre Paläste zurück, wo ihre Wesire, ihre Staatsbeamten und alle Einwohner der Residenz sowohl von hohem als von niederem Stande, sowohl arme als reiche, ihnen ihr Beileid über den Verlust ihres Vaters bezeigten. Die Nachricht von dem Tode des Sultans verbreitete sich alsbald über alle Provinzen, und es kamen Gesandtschaften aus allen Städten, um ihr Bedauern zu äußern.
Nach diesen Trauerbezeigungen verlangte der älteste Prinz an der Stelle des Verstorbenen dessen Willen gemäß zum Sultan eingesetzt zu werden; das war aber nicht möglich, da jeder von den Brüdern ehrgeizig nach der Herrschaft strebte. So erhob sich über die Regierung ein Zwist unter ihnen, bis endlich der ältere Bruder, der einen Bürgerkrieg vermeiden wollte, zu seinen Brüdern sagte: »Lasset uns hingehen und uns der Entscheidung eines der zinspflichtigen Sultane unterwerfen, und derjenige von uns, dem er das Königreich zuspricht, beherrsche es in Frieden.« Hierzu gaben sie und ihre Wesire ihre Einwilligung und reisten unbegleitet nach der Hauptstadt des einen der untertänigen Sultane.
Als die Fürsten ihre Reise ungefähr zur Hälfte vollendet hatten, erreichten sie einen grünen, mit Kräutern und Blumen reich bedeckten Fleck, von einem klaren Bache durchrieselt, welchem zu Gefallen sie anhielten, um sich zu erfrischen. Sie setzten sich nieder und aßen, als einer von den Brüdern, der seine Augen auf das Gras warf, sagte: »Ein Kamel hat vor kurzem diesen Weg gemacht, halb mit Zuckerwerk und halb mit Getreide beladen.«
»Richtig,« rief der andere, »und auf einem Auge war es blind.«
»So ist's,« fuhr der dritte fort, »und es hatte seinen Schweif verloren.«
Kaum hatten sie diese Bemerkungen ausgesprochen, als der Eigentümer des Kamels (der gehört hatte, was sie sagten, und aus ihrer Beschreibung des Tieres und seiner Ladung schloß, daß sie es festgehalten haben müßten) auf sie loskam und ihnen zurief, sie hätten sein Kamel gestohlen. »Wir haben es weder gestohlen noch berührt,« erwiderten die Prinzen. »Beim Allah,« versetzte jener, »niemand als ihr kann es angehalten haben; und wenn ihr es nicht ausliefert, so werde ich mich beim Sultan über euch beklagen.« – »Wohlan,« sagten sie, »laß uns zum Sultan gehen.«
Als alle vier den Palast erreicht hatten, wurde die Ankunft der Prinzen gemeldet, und sie wurden zu einer Audienz gelassen, zu welcher der Eigentümer des Kamels ihnen folgte, indem er ausrief: »Diese Männer, Herr, haben mir mein Eigentum gestohlen, denn sie haben das Tier und seine Ladung beschrieben.«
Der Mann erzählte nun, was jeder der Fürsten gesagt hatte, worauf der Sultan sich erkundigte, ob das wahr wäre. Sie erwiderten: »Herr, wir haben das Kamel nicht gesehen; als wir aber, auf dem Rasen sitzend, einige Erfrischungen zu uns nahmen, bemerkten wir zufällig, daß ein Teil des Grases abgeweidet war, jedoch nur auf einer Seite, woraus wir folgerten, das Kamel wäre auf einem Auge blind. Wir sahen hierauf einen Haufen Kamelmist auf dem Boden, welches uns in der Vermutung übereinstimmen ließ, daß sein Schweif abgeschnitten sein müßte, weil es die Gewohnheit der Kamele ist, beim Misten mit ihren Schweifen zu wedeln und so den Kot hin und her zu streuen. Auf der Stelle, wo das Kamel gelegen hatte, sahen wir auf der einen Seite eine große Menge von Fliegen, aber keine auf der andern, woraus wir schlossen, daß einer der Körbe Zuckerwerk, der andere jedoch nur Getreide enthalten haben müßte.«
Als der Sultan dies hörte, sagte er zu dem Kläger: »Geh, Freund, und suche dein Kamel; denn diese Bemerkungen zeihen die Verklagten nicht des Diebstahls, sondern beweisen bloß ihren großen und durchdringenden Verstand.«
Der Sultan bestellte Zimmer für die Fürsten und befahl, sie sollten auf eine ihrem Range angemessene Weise behandelt und verpflegt werden, worauf er sie der Ruhe überließ. Als am Abend die gewöhnliche Speise aufgetragen wurde, sagte der älteste Prinz, der sich eines von den Broten genommen hatte: »Dieses Brot ist gewiß von einem kranken Weibe gebacken worden.« Der zweite, der von einem Zicklein kostete, rief aus: »Dieses Zicklein wurde von einer Hündin gesäugt«; und der dritte rief aus: »Dieser Sultan ist gewiß ein untergeschobenes Kind.«
In diesem Augenblicke trat der Sultan, welcher gehorcht hatte, plötzlich ein und rief aus: »Warum führt ihr solche beleidigende Reden?« – »Forsche,« erwiderten die Fürsten, »dem nach, was du gehört hast, du wirst alles richtig finden.«
Der Sultan begab sich in seinen Harem und erfuhr, als er nachfragte, daß das Weib, welches das Brot geknetet hatte, krank war. Er sandte hierauf zu dem Hirten, welcher gestand, daß, da die Mutter des Zickleins gestorben wäre, eine Hündin es gesäugt hätte. Hierauf stürzte er in heftiger Bewegung in das Zimmer der Sultanin-Mutter und bedrohte sie, sein Schwert schwingend, mit dem Tode, wenn sie nicht bekennte, ob er wirklich der Sohn des verstorbenen Sultans wäre oder nicht.
Die Sultanin erschrak und sagte: »Um mein Leben zu erhalten, muß ich die Wahrheit gestehen, wisse also, daß du der Sohn eines Kochs bist. Dein Vater hatte keine männlichen Nachkommen, worüber er sehr unmutig war. Da nun das Weib unsers Kochs mit mir an einem Tage gebar – ich eine Tochter und sie einen Sohn –, so schob ich diesen dem Sultan, dessen Kälte ich fürchtete, unter, und dieser Sohn bist du, der du jetzt sein Reich beherrschest.«
Der uneheliche Sultan verließ die Sultanin in Erstaunen über den Scharfsinn der Brüder, die er in seine Gegenwart berief und befragte, auf welche Gründe sie ihre richtigen Vermutungen über das Brot, das Zicklein und ihn selbst gestützt hätten.
»Herr,« antwortete der älteste Fürst, »als ich das Brot brach, zerfiel der Teig; woraus ich schloß, daß die Bäckerin nicht Kraft genug besessen hätte, um ihn hinlänglich zu kneten, und unwohl gewesen sein müßte.« – »Es ist, wie du gesagt,« erwiderte der Sultan. »Das Fett des Zickleins,« fuhr der zweite Bruder fort, »war durchaus nahe an den Knochen, und bei jedem anderen Tiere, den Hund ausgenommen, liegt es dicht unter der Haut. Daher meine Vermutung, daß eine Hündin das Zicklein gesäugt hätte.« – »Du hattest recht,« sagte der Sultan; »aber wie hast du meine Geburt erraten?«
»Mein Grund, dich für unecht zu halten,« sagte der jüngste Fürst, »war, daß du dich nicht mit uns zu Tische gesetzt hast, da du doch mit uns von gleichem Range bist. Jedermann hat Eigenheiten, die er von seinem Vater, seinem Großvater oder seiner Mutter erbt, von seinem Vater Großmut oder Geiz, von seinem Großvater Tapferkeit oder Feigheit, von seiner Mutter Schüchternheit oder Unverschämtheit.« – »Du hast wahr gesprochen,« versetzte der Sultan; »aber wie kämet ihr denn dazu, ein Urteil von mir zu verlangen, da ihr doch viel geschickter seid, schwierige Aufgaben zu lösen, als ich? Kehret in eure Heimat zurück und vertraget euch untereinander!«
Die Fürsten kehrten heim und befolgten den Willen ihres Vaters.