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Vierhundertundsiebenundsechzigste Nacht.

Geschichte des lendenlahmen Schulmeisters.

»Ich war, o mächtiger Sultan, einst ein Schulmeister und hatte nahe an siebzig Schüler in meiner Schule, auf deren Sitten ich nicht minder achtsam war als auf ihren Fleiß, und ich flößte ihnen so viel Ehrfurcht vor mir ein, daß, wenn ich nieste, sie ihre Bücher und Schreibereien hinlegten, mit gekreuzten Armen aufstanden und mit einer Stimme ausriefen: »Gott segne unsern Lehrer!«, worauf ich erwiderte: »Er segne mich und euch und alle, welche Kinder haben!« Wenn nun einer von den Knaben in diesen Wunsch nicht einstimmte, so pflegte ich ihn strenge zu züchtigen. An einem schönen Nachmittage baten mich meine Schüler um die Erlaubnis, einen gewissen Garten nahe bei der Stadt zu besuchen. Ich gewährte sie ihnen, und sie schossen Geld zusammen, um Zuckerwerk und Früchte einzukaufen. Ich begleitete sie auf diesem Spaziergange und freute mich ihrer Freude und ihrer kindischen Spiele. Gegen Abend machten wir uns auf den Heimweg, und meine Knaben, die vom Spielen sehr müde waren und viel Süßigkeiten und Früchte gegessen hatten, fühlten heftigen Durst, über den sie sich sehr beklagten. Endlich erreichten wir einen Ziehbrunnen, aber leider hatte er weder Strick noch Eimer. Ich bedauerte ihre Lage und beschloß, ihnen wo möglich zu helfen. Ich bat sie, mir ihre Turbane zu geben, die ich zusammenband; da sie aber alle zusammen nicht lang genug waren, um das Wasser zu erreichen, so befestigte ich einen der Turbane um meinen Leib, die Knaben mußten mich in den Brunnen hinablassen, ich füllte unten einen kleinen Becher, den ich bei mir hatte, und sie zogen ihn wiederholentlich herauf, bis ihr Durst gelöscht war. Ich verlangte sodann von ihnen, daß sie mich wieder hinaufziehen sollten, was sie auch versuchten, und ich hatte beinahe den Rand des Brunnens erreicht, als mich unglücklicherweise das Niesen ankam, worauf die Knaben allzumal unwillkürlich, wie sie es von der Schule her gewohnt waren, mich loslassend, ihre Arme kreuzten und ausriefen: »Gott segne unsern ehrwürdigen Lehrer!« Ich fiel nun plötzlich auf den Grund des Brunnens und brach meine Schenkel. Der Schmerz machte, daß ich laut aufschrie, und die Kinder rannten nach allen Seiten, um Hilfe zu suchen. Endlich wurde ich von einigen mitleidigen Vorübergehenden herausgezogen, auf einen Esel gesetzt und nach Hause gebracht, wo ich eine lange Zeit daniederlag und nie wieder genas, um meine Schule, wie sich's gebührte, halten zu können. So mußte ich meinen törichten Stolz büßen; denn hätte ich nicht so hartnäckig auf die Ehrerbietung meiner Schüler gedrungen, so würden sie mich wegen meines Niesens nicht haben fallen und die Beine brechen lassen.«

 


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