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Vierhundertundvierundsechzigste Nacht.

Geschichte des zurückgezogenen Weisen und seines Schülers.

Es lebte einst ein gelehrter und frommer Weiser, der, um sich seinen Studien und Untersuchungen ungestört zu widmen, sich von der Welt in eine Zelle einer der Hauptmoscheen der Stadt zurückgezogen hatte und sie nur auf die dringendsten Veranlassungen verließ.

Er hatte dieses zurückgezogene Leben einige Jahre hindurch geführt, als eines Tages ein Knabe in seine Zelle trat und als sein Schüler und Diener aufgenommen zu werden wünschte. Der Weise, dem sein Wesen gefiel, willigte ein, fragte, wer seine Eltern wären, und woher er käme; aber der Knabe wußte ihm nichts darauf zu antworten und sagte: »Frage nicht, wer ich bin, denn ich bin eine Waise und weiß nicht, ob ich dem Himmel oder der Erde angehöre.«

Der Greis drang nun nicht weiter in ihn, und der Knabe diente ihm mit der unfehlbarsten Pünktlichkeit und Aufmerksamkeit zwölf Jahre lang, während welcher Zeit er in allen Zweigen der Wissenschaft Unterricht erhielt und ein höchst ausgebildeter junger Mann ward.

Nach Ablauf der zwölf Jahre hörte der junge Mann eines Tages von einigen anderen jungen Männern die Schönheit der Tochter des Sultans preisen und sie sagen, daß ihre Schönheit die aller Prinzessinnen ihres Zeitalters überträfe. Diese Reden reizten seine Neugier, ein so liebenswürdiges Geschöpf zu sehen.

Er begab sich zu seinem Meister und sagte: »Herr, ich höre, daß der Sultan eine sehr schöne Tochter hat; meine Seele sehnt sich heftig nach einer Gelegenheit, sie zu sehen, sei es auch nur auf einen Augenblick.«

Der Weise rief aus: »Was haben Leute unserer Art mit Weibern überhaupt, und besonders mit Töchtern der Herrscher zu schaffen? Wir sind ein zurückgezogener Orden und sollen uns alles Umganges mit den Großen dieser Welt enthalten.« Der Greis fuhr fort, seinen Schüler vor den Eitelkeiten der Welt zu warnen und ihn von seinem Vorsatz abzureden; aber je mehr er ihn ermahnte und ihm Vorstellungen machte, je mehr bestand der junge Mann auf seinem Vorhaben und ward so schwermütig, daß seine Gesundheit dadurch in Gefahr geriet.

Den Weisen betrübte diese Schwermut, und er sagte endlich zu dem jungen Manne: »Wird ein Blick der Prinzessin deine Wünsche befriedigen?« – »Er wird es,« erwiderte der Schüler.

Der Weise bestrich nun eins seiner Augen mit einer Art von Salbe, und sogleich verschwand die eine Hälfte seines Leibes, und nur die andere blieb sichtbar. Der Weise befahl ihm nun, sich in die Mitte der Stadt zu verfügen.

Der Jüngling gehorchte seinem Befehl, aber er war kaum an Ort und Stelle, als ihn eine Menge von Neugierigen umgab, die über seinen Anblick staunten. Der Bericht von der so wunderbaren Erscheinung eines halben Mannes verbreitete sich alsbald durch die Stadt und gelangte bis in den Palast des Sultans, der nach dem vermeintlichen Ungeheuer schickte.

Der junge Mann wurde in den Palast geführt, wo der ganze Hof ihn anstaunte; hierauf führte man ihn in den Harem, um die Neugier der Frauen zu befriedigen. Hier sah er nun die Prinzessin und wurde durch den Glanz ihrer Reize so entzückt, daß er zu sich selbst sagte: »Wenn ich sie nicht heiraten kann, so will ich mich töten.«

Als der junge Mann aus dem Palast entlassen war, begab er sich nach Hause, das Herz voll Liebe für die Tochter des Sultans. Da fragte ihn der Weise, ob er die Prinzessin gesehen hätte. »Das hab' ich,« versetzte der Jüngling; »aber ein Blick ist nicht hinreichend, und ich habe keine Ruhe, bis ich neben ihr sitzen und meine Augen an ihr weiden kann, bis sie des Schauens müde sind.« – »Ach, mein Sohn,« rief der Greis aus, »ich fürchte für den Frieden deines Herzens; wir sind fromme Männer und sollten Versuchungen scheuen; auch schickt es sich nicht für uns, mit dem Sultan zu verkehren.« Hierauf entgegnete der junge Mann: »Mein Vater, wenn ich nicht neben ihr sitzen und ihren Hals mit meinen Händen berühren kann, so bringe ich mich ums Leben.«

Der Weise, über diese Worte bestürzt und für die Ruhe seines Schülers besorgt, sagte zu sich selbst: »Ich will wo möglich diesen jungen Mann bewahren, und vielleicht wird Allah seine Wünsche gewähren.« Hierauf bestrich er seine beiden Augen mit einem wunderbaren Wasser, welches die Wirkung hatte, ihn unsichtbar zu machen. Dann sagte er zu ihm: »Geh, mein Sohn, befriedige deine Wünsche; kehre aber zurück und bleib nicht lange von deiner Pflicht entfernt.«

Der junge Mann eilte nach dem königlichen Palaste und ging unbemerkt hinein nach dem Harem, woselbst er sich neben die Tochter des Sultans setzte. Eine Zeitlang begnügte er sich damit, ihre Schönheit anzustaunen; aber endlich berührte er ihren Hals leise mit seiner Hand. Sobald die Prinzessin diese Berührung fühlte, schrie sie laut aus: »Ich suche Hilfe bei Allah vor Satan, dem Verfluchten!« Ihre Mutter und die gegenwärtigen Frauen, die über ihr Aufschreien heftig erschraken, fragten begierig nach der Ursache, worauf sie entgegnete: »Iblis oder irgend ein andrer böser Geist hat mich diesen Augenblick am Halse berührt.«

Die darüber sehr bestürzte Mutter schickte nach ihrer Amme, die da meinte, als sie das Vorgefallene vernommen, daß zur Vertreibung böser Geister kein Mittel besser und entschiedener hülfe als der Rauch von angezündetem Kamelmiste, wovon sogleich ein Häufchen herbeigebracht und angezündet wurde. Der Rauch davon füllte das ganze Zimmer und griff die Augen des jungen Mannes dergestalt an, daß sie ihm voll Wasser traten: worauf er sie gedankenlos mit seinem Schnupftuche trocknete und so den Zaubersaft mit abwischte.

Kaum war dies geschehen, als der junge Mann sichtbar ward und die Prinzessin, ihre Mutter und die Frauen alle auf einmal ein Geschrei des Erstaunens und der Bestürzung ausstießen, worauf die Verschnittenen herbeikamen. Als sie den jungen Mann gewahr wurden, umgaben sie ihn, schlugen ihn unbarmherzig und schleppten ihn vor den Sultan, dem sie anzeigten, daß sie ihn im Harem gefunden hätten. Der erzürnte Sultan schickte nach dem Scharfrichter und befahl ihm, den Schuldigen zu ergreifen, ihm ein schwarzes, mit Flammen besätes Gewand anzuziehen, ihn auf ein Kamel zu setzen, zur Schau durch die Stadt zu führen und ihn dann hinzurichten.

Der Scharfrichter bemächtigte sich des jungen Mannes, kleidete ihn auf die vorgeschriebene Weise, setzte ihn auf das Kamel und führte ihn durch die Straßen der Stadt, voran Wachen und ein Ausrufer, der da schrie: »Sehet hier die Bestrafung dessen, der es gewagt hat, das Heiligtum des königlichen Harems zu verletzen!« Dem Zuge folgte eine unzählbare Volksmenge, die sowohl über die Schönheit des jungen Mannes als auch über seine geringe Bekümmernis um seine eigne Lage erstaunte.

Endlich gelangte der Zug auf den Platz vor der großen Moschee, und der Weise, durch den Lärm und den Zusammenlauf des Volkes gestört, öffnete das Fenster seiner Zelle und sah die schmachvolle Lage seines Schülers. Von Mitleid bewegt, rief er sogleich die Geister herbei (denn durch seine Kenntnis in der Magie und in jeder geheimen Wissenschaft hatte er sie alle in seiner Gewalt), befahl ihnen, den jungen Mann vom Kamele herabzunehmen und an seine Stelle unbemerkt einen hochbejahrten Mann zu setzen. Sie erfüllten diesen Befehl, und als die Menge den jungen Mann nach ihrer Meinung in einen wohlbekannten Greis verwandelt sah, so erschraken alle und riefen aus: »Himmel! der junge Mann ist also unser ehrwürdiges Oberhaupt der Kräuterverkäufer?«, denn der alte Mann trieb seit langer Zeit das Geschäft, Kräuter und Zuckerrohr bei dem Tore nahe der großen Moschee zu verkaufen, und war der Älteste seines Gewerbes.

Als der Scharfrichter die mit seinem Gefangenen vorgegangene Verwandlung sah, geriet er in große Verwirrung. Er kehrte mit dem alten auf dem Kamele sitzenden Mann, von der Menge begleitet, in den Palast zurück. Hier eilte er zu dem Sultan und sagte: »Herr, der junge Mann ist plötzlich verschwunden, und an seiner Stelle saß und sitzt ein ehrwürdiger Greis, den die ganze Stadt kennt.«

Der Sultan war nicht wenig bestürzt über diese Umwandlung und sagte zu sich selbst: »Wer das vermag, wird noch Erstaunenswerteres vermögen: er kann mich meiner Herrschaft entsetzen oder meinen Tod bewirken.«

Die Furcht des Sultans nahm so überhand, daß er, da er sich selber nicht zu helfen wußte, seinen Wesir rufen ließ und zu diesem sagte: »Rate mir, was ich in dem Vorfalle mit dem seltsamen jungen Manne tun soll; denn ich bin ganz verworren darüber.« Der Wesir neigte eine Weile nachdenkend sein Haupt und sagte darauf zu dem Sultan: »Herr, ohne die Hilfe der Geister oder eine andere unbegreifliche Macht hat niemand die Sache bewirken können, und er wird dir, wenn er erzürnt ist, in Zukunft in Betreff deiner Tochter noch eine größere Schmach zuzufügen imstande sein. Ich rate dir deshalb, in der ganzen Stadt ausrufen zu lassen, daß der Urheber jener Verwandlung, wenn er sich dir zu erkennen gibt, auf dein unverbrüchliches Sultanswort Vergebung erhalten soll. Meldet er sich, so verheirate ihn, wenn sein Gemüt vielleicht durch die Liebe versöhnt werden kann, mit deiner Tochter. Er hat sie und die andern Frauen des Harems schon gesehen, so daß nur diese Heirat mit der Prinzessin deine Ehre retten kann.«

Der Sultan billigte den Rat seines Wesirs, die Bekanntmachung wurde erlassen, und der Ausrufer gelangte, nachdem er mehrere Straßen durchzogen hatte, auf den Platz vor der großen Moschee. Als der Schüler die Bekanntmachung hörte, geriet er in Entzücken, eilte zu seinem Meister und erklärte seine Absicht, sich zu dem Sultan zu verfügen. »Mein Sohn,« sagte der Weise, »warum willst du das unternehmen? Hast du noch nicht genug gelitten?« Der junge Mann erwiderte, daß nichts ihn von seinem Vorhaben abbringen könnte, und der Weise sagte zu ihm: »Folge deinem Schicksale, und meine Gebete sollen dich begleiten!«

 

Vierhundertundfünfundsechzigste Nacht.

Der junge Liebende begab sich in das Bad und legte, nachdem er gebadet, seine reichste Kleidung an, worauf er sich dem Ausrufer zu erkennen gab, der ihn sogleich in den Palast des Sultans führte.

Hier verneigte er sich tief vor dem Sultan und sprach ein Gebet für dessen Heil und langes Leben. Der Sultan war über die männliche Schönheit, die Anmut und die Würde seiner Haltung erstaunt und sagte zu ihm: »Junger Fremdling, wer bist du, und woher kommst du?« – »Ich bin,« sagte der Jüngling, »der halbe Mann, den du sahst, und habe vollbracht, was dir schon bekannt ist.«

Der Sultan ließ ihn nun mit sich auf den Ehrenplatz setzen und unterhielt sich mit ihm über verschiedene Gegenstände. Er legte ihm mehrere schwierige wissenschaftliche Fragen vor, welche der junge Mann so richtig und treffend beantwortete, daß seine Kenntnisse ihn ganz in Erstaunen setzten und er ihn seiner Tochter ganz würdig fand. Er sagte hierauf zu ihm: »Junger Mann, es ist mein Wunsch, dich mit meiner Tochter zu verbinden; denn du hast sowohl sie als ihre Mutter schon gesehen, und nach dem Vorgefallenen wird niemand anders sie heiraten wollen.« Der junge Mann versprach zu gehorchen, doch müßte er sich zuvor mit seinen Freunden beraten. »Tu das,« sagte der Sultan, »und kehre schnell zurück!«

Der junge Mann begab sich zu dem Weisen, und nachdem er ihn von dem bei dem Sultan Vorgefallenen unterrichtet hatte, gab er ihm seinen Wunsch zu erkennen, die Prinzessin zu heiraten, worauf der Greis erwiderte: »Tu das, mein Sohn, es kann darin nichts Sträfliches liegen, da es eine gesetzmäßige Verbindung ist.« – »Aber ich wünsche,« sagte der Jüngling, »den Sultan einzuladen, dich zu besuchen.« – »Das soll er tun,« erwiderte der Weise. »Herr,« fuhr der Schüler fort, »seit ich zuerst zu Euch kam und Ihr mir die Ehre antatet, mich in Eure Dienste zu nehmen, habe ich Euch in keinem andern Wohnort als in dieser beschränkten Zelle gesehen, welche Ihr Tag und Nacht nicht verlassen habt: wie kann ich den Sultan einladen, hierher zu kommen?« – »Mein Sohn,« sagte der Greis, »geh du nur zum Sultan, verlaß dich auf Allah, der Wunder wirken kann, zu wessen Besten er Lust hat, und sage jenem: »Mein Meister grüßt dich und bittet um deine Gesellschaft bei einem Feste am fünften Tage nach dem heutigen.«

Der junge Mann tat, wie ihm geheißen war, kehrte dann zu seinem Meister zurück und wünschte sehnlich den fünften Tag herbei.

An diesem fünften Tage sagte nun der Weise zu seinem ungeduldigen Schüler: »Wir wollen uns in unser eigenes Haus begeben, welches wir zum Empfange des Sultans, den du zu mir führen mußt, bereiten wollen.«

Sie standen auf und gingen, bis sie in die Mitte der Stadt und zu einem großen Gebäude gelangten, dessen Wände in Haufen zusammengestürzt waren. »Dies, mein Sohn,« sagte der Weise, »ist meine Wohnung; eile und hole den Sultan!« Der Schüler rief voll Erstaunen aus: »Herr, dieser Aufenthalt ist ein Haufen von Trümmern; wie kann ich den Sultan hierher einladen? Welche Schande würde uns das machen!« – »Geh,« erwiderte der Weise, »und fürchte die Folgen nicht.«

Hierauf ging der Jüngling, konnte sich aber im Gehen nicht entbrechen, zu sich selbst zu sagen: »Gewiß muß mein Meister wahnsinnig sein, oder er denkt, uns zu foppen.« Als er den Palast erreicht hatte, fand er den Sultan seiner harrend, worauf er ihm seine Ehrfurcht bezeigte und zu ihm sagte: »Will mein Gebieter mich mit seiner Gesellschaft beehren?«

Der Sultan stand auf, bestieg sein Roß und folgte, begleitet von dem ganzen Hofe, dem Jünglinge zu dem von dem Greise gewählten Platze. Dort stand jetzt aber eine königliche Wohnung, an deren Pforten zahlreiche Diener in kostbaren Anzügen ehrfurchtsvoll der Ankunft des ehrwürdigen Sultans zu harren schienen. Als der junge Mann diese Verwandlung sah, war er kaum seiner Sinne mächtig. Er sagte zu sich selbst: »Wie ist aus diesem Haufen von Trümmern so schnell ein Palast, prächtiger als irgend einer des Sultans, geworden! Ich bin erstaunt; aber ich muß das Geheimnis für mich behalten.«

Sowohl der Sultan als seine Hofleute stiegen ab und traten in den Palast. Sie waren über den Glanz und die Pracht des ersten Hofes erstaunt, aber noch mehr über die noch größere eines zweiten, durch welchen sie in einen geräumigen Saal geführt wurden, in welchem der ehrwürdige Greis saß und sie erwartete. Der Sultan verneigte sich tief, worauf der Weise mit dem Haupte nickte, ohne jedoch aufzustehen. Der Sultan setzte sich hierauf nieder, der Greis begrüßte ihn, und sie begannen eine Unterhaltung über verschiedene Gegenstände; aber der Sultan war ganz verwirrt über das würdevolle Benehmen seines Wirtes und die glänzenden Gegenstände um ihn her. Endlich befahl der Greis seinem Schüler, an eine Tür zu klopfen und das Frühstück zu verlangen. Er tat es, die Tür öffnete sich, und es traten hundert Sklaven herein, die auf ihren Häuptern goldene Mulden trugen, in welchen sich Teller von Achat, Karniol und andern Steinen, mit Speisen angefüllt, befanden, welche sie vor dem Sultan in Ordnung aufstellten. Er war erstaunt, denn er besaß nichts von gleicher Pracht. Er nahm hierauf einen köstlichen Imbiß ein, ebenso der ehrwürdige Greis und alle Hofleute, bis sie satt waren, worauf sie Kaffee und verschiedene Arten von Sorbet tranken, wobei der Sultan und der Weise sich über religiöse und literarische Gegenstände unterhielten und der erstere von des letzteren Bemerkungen sehr erbaut war.

Als es Mittag war, gebot der Weise seinem Schüler, an eine andere Tür zu klopfen und das Mittagessen zu verlangen. Kaum hatte er das getan, als hundert von den vorigen verschiedene Sklaven erschienen und Mulden mit den köstlichsten Fleischspeisen hereintrugen. Sie breiteten vor dem Sultan den Eßteppich aus und setzten die Teller auf, welche dicht mit Edelsteinen besetzt waren, worüber der Sultan noch mehr erstaunte als vorher. Als alle sich satt gegessen hatten, wurden Gießkannen und Becken, einige von Gold, andre von Achat, herumgereicht, und sie wuschen ihre Hände. Sodann fragte der Greis den Sultan, ob er schon die Aussteuer bestimmt hätte, die sein Sohn der Prinzessin geben sollte, worauf der Sultan erwiderte, er hätte sie schon empfangen. Er sagte das aus Artigkeit; aber der Greis entgegnete, die Heirat könnte ohne Aussteuer nicht vollzogen werden. Er bot sodann eine große Geldsumme und viele Edelsteine im Namen seines Schülers dar, worauf er sich mit dem Sultan in ein anderes Zimmer begab, ihn dort mit einem glänzenden Anzuge bekleidete und auch jedem seiner Begleiter seinem Range gemäß reiche Anzüge schenkte. Der Sultan empfahl sich dem Greise und begab sich mit seinem künftigen Schwiegersohn in seinen Palast.

Als es Abend ward, führte man den jungen Mann in das Zimmer der Prinzessin, welches er mit den reichsten Teppichen geschmückt und von köstlichen Wohlgerüchen durchströmt fand; seine Braut war aber nicht da, worüber er etwas erstaunte, jedoch vermutete, ihre Ankunft würde um Mitternacht erfolgen, welche Stunde er nun mit Ungeduld erwartete. Sie kam, aber keine Braut. Tausend trübe Gedanken und Gefühle beunruhigten ihn nun, und er brachte die Nacht bis an den Morgen in rastloser Angst zu. Auch der Vater und die Mutter waren nicht minder ungeduldig; denn sie setzten voraus, daß sie bei ihrem Gemahle wäre, und erwarteten ängstlich die Überbringung der gewöhnlichen, die Vollziehung der Ehe bestätigenden Zeichen.

Bei Tagesanbruch ging die Mutter, unfähig, noch länger vergeblich zu harren, in das Zimmer der Tochter, woselbst der junge Mann sie voll Verdruß befragte, was das Kommen seiner Braut verhindert hätte. »Sie ist vor dir in dieses Zimmer gegangen,« sagte die Mutter. »Ich habe sie nicht gesehen,« erwiderte der Bräutigam, hierauf schrie die Sultanin laut auf und rief nach ihrer Tochter, die ihr einziges Kind war. Ihr Geschrei drang bis zum Sultan, der herbeieilte und erfuhr, daß die Prinzessin, die er, seitdem sie am Abend in das Zimmer gegangen war, nicht wieder gesehen hatte, vermißt wurde. Man durchsuchte vergebens den ganzen Palast, und der Sultan, die Sultanin und der Bräutigam betrübten sich auf das heftigste.

Um das Verschwinden der Prinzessin zu begreifen, muß man wissen, daß ein Geist sich oft damit ergötzte, den Harem des Sultans zu besuchen, und da er sich gerade in der Hochzeitsnacht dort befand, so wurde er von den Reizen der Braut so gefesselt, daß er sie zu rauben beschloß. Demnach machte er sich unsichtbar, erwartete sie in dem Hochzeitsgemach, ergriff sie, als sie eintrat, und entführte sie durch die Lüfte. Endlich langte er mit seiner Beute in einem weit von der Stadt entfernten Garten an, trug die Prinzessin in eine schattige Laube, setzte ihr köstliche Früchte vor, begnügte sich jedoch damit, ihre Schönheit anzustaunen.

Als der Bräutigam sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, gedachte er seines Lehrers und begab sich mit dem Sultan nach dem Palaste, wo das glänzende Fest stattgefunden hatte, hier fanden sie alles noch in derselben Ordnung wie an dem festlichen Tage und wurden von dem ehrwürdigen Greise gütig aufgenommen, der, als sie ihm den Verlust der Prinzessin erzählten, ihnen Trost einsprach. Er befahl hierauf, ihm eine Kohlenpfanne mit glühenden Kohlen zu bringen, in die er nach kurzem Nachsinnen wohlriechende Dinge warf, über welche er Bezauberungsformeln aussprach. Kaum hatte er diese beendet, als die Erde bebte, Wirbelwinde sausten, Blitze zuckten und Staubwolken die Luft verfinsterten, aus welchen beschwingte Truppen mit prächtigen Fahnen und gewaltigen Speeren herniedereilten. In ihrer Mitte erschienen drei Sultane der Geister, die sich vor dem Greise tief verneigten und alle zugleich ausriefen: »Heil dir, Meister, wir sind gekommen, um deinen Befehlen zu gehorchen!«

Der Greis erwiderte: »Ich befehle, daß ihr mir sogleich den verruchten Geist hierher schaffet, welcher die Braut meines Sohnes entführt hat.« Die Geister versetzten: »Dein Wille ist Gesetz!«, und sogleich wurden fünfzig abgesendet, um die Prinzessin in ihr Zimmer und den Schuldigen vor den Weisen zu bringen. Kaum erteilt, waren diese Befehle auch schon vollzogen. Zehn Geister trugen die Braut sorgfältig in ihr Zimmer, während die übrigen den verbrecherischen Geist ergriffen und vor den Weisen brachten, der den drei Geistersultanen den Befehl gab, ihn zu Asche zu verbrennen, was auch sogleich geschah. Bei diesem allen war der Sultan gegenwärtig und sah mit Staunen die furchtbar-riesenhaften Gestalten der Geister, deren untertänige Bereitwilligkeit, dem Greise zu gehorchen, ihn sehr verwunderte. Als der Schuldige zu Asche verbrannt war, erneuerte der Greis seine Beschwörungen, während welcher die Sultane der Geister mit ihrem Gefolge sich vor ihm verneigten und, als er geendet hatte, verschwanden.

Als der Sultan und der Bräutigam von dem Greise Abschied genommen hatten, kehrten sie in den Palast zurück, in welchem alles voll Freuden über die glückliche Rückkehr der Prinzessin war. Die Heirat wurde vollzogen, und der junge Mann fühlte sich so glücklich bei seiner Braut, daß er den Harem sieben Tage lang nicht verließ.

Am achten befahl der Sultan, öffentliche Lustbarkeiten zu veranstalten, und lud alle Bewohner der Stadt dazu ein, indem er bekanntmachen ließ, drei Tage lang sollte niemand, arm oder reich, in seinem Hause essen oder eine Lampe anzünden, sondern alle an den hochzeitlichen Festen teilnehmen. In den Höfen des Palastes waren Speisen und Getränke im Überfluß, und die Hofbeamten sorgten Tag und Nacht dafür, daß jeder Gast seinem Stande gemäß bewirtet wurde.

 


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