Emile Zola
Germinal
Emile Zola

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Drittes Kapitel

An einem Dienstag war's, da saß Suwarin schon um acht Uhr allein in der Trinkstube des Wirtshauses »zum wohlfeilen Trunk« an seinem gewohnten Platze, das Haupt an die Mauer gelehnt. Kein einziger Bergmann hatte mehr die zwei Sous für einen Schoppen Bier; niemals hatten die Trinkhäuser so wenig Gäste. Frau Rasseneur saß denn auch verdrossen vor ihrem Schankpult, während Rasseneur, vor dem gußeisernen Kamin stehend, mit nachdenklicher Miene dem rötlichen Rauch der Kohle zu folgen schien.

In der tiefen Stille der überheizten Stube waren plötzlich drei leise Schläge an eine Fensterscheibe hörbar, die Suwarin veranlaßten, den Kopf zu wenden. Er erhob sich, denn er hatte das Zeichen erkannt, dessen Etienne sich schon wiederholt bedient hatte, um ihn zu rufen, wenn er ihn von draußen sah, wie er an einem leeren Tische sitzend seine Zigarette rauchte. Doch ehe noch der Maschinist die Tür erreichte, hatte Rasseneur sie geöffnet; als er den Mann erkannte, der in der Helle des Fensters da stand, sagte er ihm:

»Hast du Furcht, daß ich dich verrate? ... Ihr könnt hier bequemer plaudern als auf der Straße.«

Etienne trat ein. Frau Rasseneur bot ihm höflich einen Schoppen an, doch er lehnte mit einer Handbewegung ab. Der Schankwirt fügte hinzu:

»Ich habe längst erraten, wo du dich verbirgst. Wenn ich ein Spion wäre, wie deine Freunde behaupten, hätte ich dir schon seit acht Tagen die Gendarmen schicken können.«

»Du hast es nicht nötig, dich zu verteidigen,« antwortete der junge Mann; ich weiß, daß du niemals dieses Brot gegessen hast ... Man kann verschiedene Ansichten haben und sich dennoch gegenseitig schätzen.«

Wieder trat eine Stille ein. Suwarin hatte sich wieder auf seinen Sessel niedergelassen mit dem Rücken gegen die Wand und blickte dem Rauch seiner Zigarette nach; aber seine Finger zitterten vor Ungeduld; er fuhr damit über seine Knie und suchte das warme Fell des Kaninchens Polen, das an diesem Abend abwesend war. Es war ein unbewußtes Mißbehagen; ihm fehlte etwas, und er wußte nicht was.

Etienne ließ sich auf der andern Seite des Tisches nieder und sagte endlich:

»Morgen wird in der Voreuxgrube die Arbeit aufgenommen. Der kleine Negrel ist mit den Belgiern eingetroffen.«

»Ja, sie sind nach Anbruch der Nacht ausgeladen worden«, murmelte Rasseneur, der neben ihm stand. »Wenn nur nicht wieder ein Gemetzel daraus wird.«

Dann fuhr er mit lauterer Stimme fort:

»Ich will mit dir nicht wieder Streit beginnen, aber es nimmt ein schlimmes Ende, wenn ihr in eurer Hartnäckigkeit beharrt ... Eure Geschichte ist genau dieselbe wie die deiner Internationale. Ich habe vorgestern Pluchart in Lille getroffen, wo ich zu tun hatte. Seine Maschine geht aus den Fugen, wie es scheint.«

Er führte Einzelheiten an. Der Bund hatte in einem Aufschwung seiner Propaganda, der die Bürgerklasse erzittern ließ, die Arbeiter der ganzen Welt erobert und ging jetzt in die Brüche, wurde mit jedem Tage mehr zerstört durch den innern Kampf der eitlen und ehrgeizigen Strebungen. Seitdem die Anarchisten in dem Bunde triumphierten und die Evolutionisten, die ursprünglich die Führung hatten, verdrängten, wackelte der ganze Bau; das ursprüngliche Ziel: die Reform des Lohnwesens, ging in dem Zwist der Parteien unter; die so künstlich und scharfsinnig errichteten Rahmen lösten sich im Hasse gegen die Disziplin. Man konnte schon jetzt das klägliche Ende dieser Massenerhebungen voraussehen, die einen Augenblick gedroht hatte, mit einem Hauch die alte, verrottete Gesellschaft hinwegzublasen.

»Pluchart ist ganz krank davon«, fuhr Rasseneur fort. »Zudem hat er keine Stimme mehr, und dennoch spricht er; ja, er will sogar in Paris sprechen. Er hat mir dreimal wiederholt, daß unser Streik gescheitert ist.«

Etienne schaute zu Boden und ließ ihn ausreden, ohne ihn zu unterbrechen. Er hatte am vorhergehenden Tage mit Kameraden gesprochen und den Hauch des Grolls und des Verdachtes verspürt, die ersten Anzeichen der Volksungunst, welche die Niederlage ankündigten. Er verharrte in düsterem Schweigen; er wollte seine Niedergeschlagenheit nicht eingestehen angesichts eines Mannes, der ihm vorausgesagt, daß auch ihn die Menge an dem Tage verhöhne, an dem sie für eine Enttäuschung Rache zu nehmen habe.

»Gewiß, der Streik ist gescheitert«, sagte er. »Ich weiß es so gut wie Pluchart. Aber das war vorauszusehen. Wir haben mit Widerwillen diesen Streik aufgenommen; wir haben nicht darauf gezählt, mit der Gesellschaft fertig zu werden ... Allein man betäubt sich, man hofft auf allerlei Dinge, und wenn dann die Geschichte schlecht ausgeht, vergißt man, daß man darauf gefaßt sein mußte; man jammert und hadert wie vor einer urplötzlichen Katastrophe.«

»Wenn du die Partie für verloren hältst, warum bringst du die Kameraden nicht zur Vernunft?« fragte Rasseneur.

Der junge Mann schaute ihn scharf an.

»Lassen wir das; es ist genug... Du hast deine Gedanken, ich habe die meinen. Ich bin bei dir eingetreten, um dir zu zeigen, daß ich dich dennoch achte. Aber ich glaube immerhin, daß, wenn wir in unserem Elend untergehen, unsere verhungerten Gerippe der Sache des Volkes mehr nützen als alle weise Politik... Ach, wenn einer dieser Saukerle von Soldaten mir eine Kugel mitten ins Herz schösse, wie schön wäre es, so zu enden!«

Seine Augen feuchteten sich in diesem Aufschrei, in dem der geheime Wunsch des Überwundenen sich aussprach, die Zuflucht, wo er für immer sein Leid hätte begraben wollen.

»Gut gesprochen!« erklärte Frau Rasseneur mit einem Blick auf ihren Mann, in dem sich die volle Verachtung ihrer radikalen Ansichten gegen ihn entlud.

Suwarin blickte noch traumverloren in die Ferne, tastete mit seinen nervösen Händen herum und schien nichts gehört zu haben. Sein blondes, mädchenhaftes Gesicht mit der dünnen Nase und den spitzigen Zähnchen nahm einen wilden Ausdruck an in einer mystischen Träumerei, in der blutige Bilder vorüberzogen. Er hatte laut zu träumen begonnen und antwortete auf ein Wort Rasseneurs über die Internationale, das er inmitten der Unterredung aufgefangen hatte.

»Alle sind Feiglinge; nur einen Mann hat es gegeben, der aus ihrer Maschine das furchtbare Werkzeug der Zerstörung hätte machen können. Aber man müßte wollen; niemand will, und darum scheitert die Revolution wieder einmal.«

Er fuhr fort, mit angewiderter Stimme über die Schwachsinnigkeit der Menschen zu klagen, während die anderen verwirrt dasaßen bei diesen im Dunkel gemachten Geständnissen eines Mondsüchtigen. In Rußland wollten die Dinge nicht vorwärts gehen; er war verzweifelt über die empfangenen Nachrichten. Seine ehemaligen Kameraden wurden sämtlich zu Politikern; die berüchtigten Nihilisten, vor denen ganz Europa zitterte, Popensöhne, Kleinbürger, Kaufleute: sie erhoben sich nicht über den Gedanken der nationalen Befreiung, schienen an die Erlösung der Welt zu glauben, wenn sie den Despoten getötet hätten; sobald er ihnen davon sprach, die alte Menschheit hinwegmähen zu wollen wie eine reife Frucht; sobald man nur das kindische Wort »Republik« aussprach, fühlte er sich unverstanden, beunruhigt, deklassiert, unter die schiffbrüchigen Führer des revolutionären Kosmopolitismus eingereiht. Indes wehrte sich sein Patriotenherz, und mit schmerzlicher Bitterkeit wiederholte er sein Lieblingswort:

»Lauter Dummheiten!... Niemals werden sie mit ihren Dummheiten vom Fleck kommen!«

Dann dämpfte er noch mehr die Stimme und erzählte in bitteren Worten seinen ehemaligen Brüderlichkeitstraum. Er hatte auf seinen Rang und sein Vermögen nur deshalb verzichtet und war unter die Arbeiter nur deshalb gegangen, weil er gehofft hatte, endlich die Gesellschaft der gemeinsamen Arbeit begründet zu sehen. Lange Zeit hatte er seine Taschen geleert, um die Münzen unter die Kinder der Arbeiterdörfer zu verteilen; er hatte den Bergleuten gegenüber eine brüderliche Zuneigung bekundet, ihr Mißtrauen belächelt und sie durch die ruhige Haltung eines pünktlichen, schweigsamen Arbeiters gewonnen. Allein die Verschmelzung wollte sich entschieden nicht vollziehen; er blieb ihnen ein Fremder mit seiner Verachtung aller Bande, mit seiner Entschlossenheit, seinen Mut zu bewahren abseits von allem Ruhm und allen Genüssen. Er war seit dem Morgen besonders erbittert durch eine Nachricht, die in allen Blättern zu lesen war.

Seine Stimme änderte sich; seine Augen wurden heller und waren jetzt auf Etienne gerichtet, an den er sich wandte.

»Begreifst du die Hutmacher von Marseille, die das große Los von hunderttausend Franken gewonnen und sogleich Rente gekauft haben mit der Erklärung, daß sie künftig müßig leben wollen?... Ja, das ist so euer Gedanke, ihr französischen Arbeiter: einen Schatz ausgraben und ihn nachher allein verzehren in einem Winkel der Selbstsucht und des Müßigganges. Ihr schreit lange gut gegen die Reichen: euch fehlt der Mut, den Armen das Geld wiederzugeben, welches das Glück euch zukommen läßt... Niemals seid ihr des Glückes würdig, solange ihr etwas besitzt und solange euer Haß gegen die Spießbürger einzig und allein von eurem wütenden Bedürfnisse kommt, euch an die Stelle dieser Spießbürger zu setzen.«

Rasseneur brach in ein Gelächter aus; der Gedanke, daß die zwei Hutmacher in Marseille auf das große Los hätten verzichten sollen, schien ihm blöd. Doch Suwarin erbleichte; sein verstörtes Antlitz ward furchtbar; in einem jener leidenschaftlichen Wutausbrüche, welche die Völker ausrotten, schrie er:

»Ihr alle werdet weggemäht, niedergeworfen, der Verwesung anheimgegeben. Es wird der erstehen, der euer Geschlecht von Feiglingen und Genußmenschen vernichten wird. Seht ihr meine Hände? Wenn meine Hände es vermöchten, würden sie die Erde packen und sie schütteln, bis sie in Stäubchen zerfiele, damit ihr unter den Trümmern liegen bleibt.«

»Gut gesagt!« wiederholte Frau Rasseneur mit ihrer höflichen und überzeugten Miene.

Abermals trat ein Schweigen ein. Dann sprach Etienne wieder von den belgischen Arbeitern und fragte Suwarin nach den Verfügungen, die man im Voreuxschachte getroffen. Doch der Maschinist war wieder in Nachdenken versunken und antwortete kaum. Er wußte nur, daß Kartuschen an die Soldaten verteilt wurden, welche die Grube bewachten, und das nervöse Spiel seiner Finger auf seinen Knien steigerte sich in einem Maße, daß er sich endlich dessen bewußt ward, was ihm fehlte: das seidenweiche, beruhigende Fell des Hauskaninchens.

»Wo ist Polen?« fragte er.

Der Schankwirt blickte auf seine Frau und lachte wieder. Nach einem kurzen Zögern entschloß er sich zu antworten.

»Polen liegt warm«, sagte er.

Seitdem Johannes das Kaninchen halb zu Tode gehetzt, hatte es nur mehr tote Junge geworfen. Um es nicht nutzlos zu füttern, hatte man sich just am nämlichen Tage ententschlossen, es zu schlachten und mit Kartoffeln zu braten.

»Jawohl, du hast heut abend einen Schenkel davon gegessen und dir die Finger darnach abgeleckt.«

Suwarin hatte nicht sogleich begriffen; dann war er leichenblaß geworden, und ein Ekel zog ihm das Kinn zusammen, während – trotz seines stoischen Willens, – zwei schwere Tränen ihm die Augen trübten.

Doch man hatte nicht Zeit, diese seine Erregtheit zu bemerken; die Tür wurde heftig aufgestoßen, und Chaval erschien, Katharina vor sich her schiebend. Nachdem er sich in allen Schenken von Montsou an Bier und Prahlereien berauscht, war er auf den Einfall gekommen, sich zum »wohlfeilen Trunk« zu begeben, um den Kameraden zu zeigen, daß er keine Furcht habe. Er trat ein und schrie seiner Geliebten zu:

»Du wirst da einen Schoppen Bier trinken, sage ich dir! Und dem ersten, der mich schief ansieht, schlage ich den Schädel ein.«

Katharina erbleichte, als sie Etienne erblickte. Als auch Chaval seiner ansichtig ward, verzog sich sein Gesicht zu einem boshaften Grinsen.

»Frau Rasseneur, zwei Schoppen! Wir trinken eins, weil die Arbeit wiederaufgenommen wird.«

Die Wirtin schenkte wortlos ein; ihr Bier war für jedermann da. Stille war eingetreten; weder der Schankwirt noch die beiden anderen hatten sich von ihrem Platze gerührt.

»Ich kenne Leute, die gesagt haben, daß ich ein Spion wäre,« hub Chaval in anmaßendem Tone wieder an; »und ich erwarte, daß sie es mir ins Gesicht sagen, damit man sich endlich auseinandersetzt.«

Niemand antwortete; die Männer wandten den Kopf weg und schauten die Wände an.

»Es gibt Tagediebe, und es gibt Leute, die es nicht sind«, fuhr er mit lauter Stimme fort. »Ich habe nichts zu verheimlichen; ich habe Deneulins schmutzige Baracke verlassen und fahre morgen im Voreuxschachte mit zwölf Belgiern an, deren Führung man mir anvertraut hat, weil man mich achtet. Wenn dies jemandem nicht recht ist, soll er es sagen; wir werden darüber reden.«

Als seine Herausforderungen mit demselben verächtlichen Schweigen aufgenommen wurden, erboste er sich gegen Katharina.

»Wirst du trinken, Himmelsakrament! Stoßen wir an auf das Krepieren aller Saukerle, die nicht arbeiten wollen!«

Sie stieß an, aber ihre Hand zitterte dabei dermaßen, daß man das leise Klirren der beiden Gläser hörte. Chaval hatte jetzt eine Handvoll Silbermünzen aus der Tasche geholt, die er mit der Aufdringlichkeit eines Berauschten auf dem Tische ausbreitete, wobei er stammelte, man verdiene das Geld im Schweiße seines Angesichtes, und die Müßiggänger könnten nicht zehn Sous aufweisen. Die Haltung der Kameraden erbitterte ihn, und er ging schließlich zu direkten Beleidigungen über.

»Des Nachts also kriechen die Maulwürfe hervor? Die Gendarmen scheinen zu schlafen, da man den Räubern begegnet!«

Etienne hatte sich entschlossen, aber sehr ruhig erhoben.

»Hör' einmal, du langweilst mich«, sagte er... »Ja, du bist ein Spion; dein Geld stinkt wieder nach irgendeinem Verrat, und es ekelt mich, deine Verräterhaut zu berühren. Gleichviel, ich bin dein Mann; es ist lange genug her, daß einer von uns beiden den andern hätte auffressen sollen.«

Chaval ballte die Fäuste.

»Man muß dir vieles sagen, um dich zu erwärmen, verdammter Feigling«, brummte er... »Mit dir allein will ich es aufnehmen; du sollst mir alle Schweinereien entgelten, ie man mir zugefügt hat.«

Katharina trat mit bittenden Händen zwischen sie; aber sie brauchten sie nicht erst zurückzudrängen, sie wich selbst langsam zurück, weil sie die Notwendigkeit des Kampfes fühlte. In stummem Entsetzen stand sie regungslos an der Mauer, dermaßen gelähmt, daß sie nicht einmal zitterte; die weit offenen Augen auf die beiden Männer gerichtet, die im Begriffe waren, sich ihrethalben zu töten.

Frau Rasseneur begnügte sich, die Schoppen von dem Schanktische wegzunehmen aus Furcht, daß sie zerbrochen werden könnten. Dann setzte sie sich wieder auf ihre Bänkchen, ohne eine ungeziemende Neugierde zu zeigen. Rasseneur hingegen meinte, man könne nicht zugeben, daß zwei alte Kameraden sich in solcher Weise gegenseitig erdrosselten, und wollte sich durchaus ins Mittel legen; Suwarin mußte ihn bei einer Schulter fassen und zum Tische zurückführen, wobei er sagte:

»Das geht dich nichts an... Einer ist zuviel; der Stärkere muß am Leben bleiben.«

Ohne den Angriff abzuwarten, hatte Chaval seine geballten Fäuste in die Luft gestreckt. Er war der Größere, schlotterig, nach dem Gesichte mit beiden Armen zielend, die er wütend auf und nieder fahren ließ, als handhabe er zwei Säbel. Dabei redete er immerfort, spreizte sich vor den Zuschauern und ließ ganze Breitseiten von Beschimpfungen los, die ihn noch mehr aufregten.

»Ha, verdammter Kerl, ich will deine Nase haben! Deine Nase will ich mir irgendwohin stecken!... Gib deine Fratze her, Hurenspiegel, daß ich einen Brei für die Schweine daraus mache! Wir werden dann sehen, ob die Dirnen dir noch nachrennen!«

Stumm, mit zusammengepreßten Zähnen stemmte Etienne seine kleine Gestalt fest auf, kämpfte regelrecht, Brust und Gesicht mit beiden Fäusten deckend; so spähte er nach den Blößen des Gegners, die Arme mit der Strammheit von Sprungfedern ausstreckend und dem Gegner furchtbare Stöße versetzend.

Anfänglich fügten sie einander wenig Schaden zu. Die geräuschvollen Mühlräder des einen, die kühle, zuwartende Haltung des andern verlängerten den Kampf. Ein Stuhl ward umgeworfen; ihre plumpen Schuhe zerstampften den weißen Sand, mit dem der Fußboden bestreut war. Aber allmählich kamen sie außer Atem; man hörte sie röcheln, während ihre roten Gesichter anschwollen wie von der Gewalt eines inneren Feuerherdes, dessen Flammen man durch die klaren Höhlen ihrer Augen sah.

»Getroffen!« heulte Chaval. »Das sitzt auf deinem Gerippe!«

In der Tat hatte seine Faust, gleich einer schief niederfahrenden Geißel, die Schulter seines Gegners getroffen. Dieser unterdrückte ein schmerzliches Grunzen; man hörte nur ein weiches Geräusch, den dumpfen Schlag auf die Muskeln. Etienne erwiderte ihn mit einem geradeaus, mitten auf die Brust geführten Stoße, der den andern niedergestreckt hätte, wenn er mit seinen fortwährenden Bocksprüngen sich nicht gerettet hätte. Indes traf ihn der Streich in der linken Seite noch mit solcher Wucht, daß er wankte und ihm der Atem ausblieb. Er ward von seiner Wut übermannt, weil er seine Arme schlaff werden fühlte, und zielte mit dem Stiefelabsatze nach dem Bauche seines Gegners.

»Nimm das für deine Eingeweide!« röchelte er. »Sie sollen mal raus ins Freie!«

Etienne wich dem Stoße aus, dermaßen entrüstet über diese Verletzung der Regeln, daß er sein Stillschweigen brach.

»Schweig, Vieh!« sagte er. »Und die Füße weg, sonst nehme ich einen Stuhl, um dich totzuschlagen!«

Jetzt nahm der Kampf eine ernstere Wendung. Rasseneur war empört und hätte sich abermals ins Mittel gelegt, hätte der strenge Blick seiner Frau ihn nicht zurückgehalten. Haben denn zwei Trinkgäste nicht das Recht, ihre Sache im Wirtshause auszutragen? Er begnügte sich denn, sich vor den Kamin hinzustellen, weil er fürchtete, daß sie ins Feuer stürzen könnten. Suwarin hatte sich mit seiner ruhigen Miene eine Zigarette gedreht, die er indes anzubrennen vergaß. Katharina stand noch immer unbeweglich an die Mauer gelehnt; nur ihre Hände hatte sie unbewußt an ihrem Körper emporgehoben; und hier krümmten sie sich und rissen in regelmäßigen Zuckungen an dem Stoff ihres Kleides. Sie gab sich alle Mühe, nicht zu schreien, nicht einen der beiden dadurch zu töten, daß sie einen Ruf der Bevorzugung ausstieß; im übrigen war sie dermaßen außer sich, daß sie nicht mehr wußte, wen sie vorziehen solle.

Chaval war bald erschöpft; in Schweiß gebadet schlug er auf gut Glück drein. Obgleich schon in Zorn geraten, fuhr Etienne fort, sich zu decken, parierte fast alle Hiebe, deren einige ihn streiften. So ward ihm ein Ohr gespalten, ein Stück Haut vom Halse weggerissen; letzteres verursachte ihm einen so brennenden Schmerz, daß er einen Fluch ausstieß und einen seiner geraden Stöße führte. Chaval sprang wieder beiseite und schützte so seine Brust; aber er hatte sich gebückt, und die Faust traf ihn im Gesicht, zerschlug ihm die Nase und ein Auge. Ein Blutstrahl schoß aus der Nase hervor, das Auge schwoll an und ward blau. Geblendet durch den roten Strom, betäubt durch die Erschütterung seines Schädels, fuchtelte der Erbärmliche mit den Armen blindlings in der Luft herum, als ein zweiter Streich ihn mitten in der Brust traf und ihm den Rest gab. Es folgte ein Krachen, und er sank rücklings nieder schwer wie ein Sack Gips, der niedergeworfen wird.

Etienne wartete.

»Erhebe dich,« sagte er; »wenn du noch willst, können wir von neuem anfangen.«

Chaval antwortete nicht; er war eine Weile ganz betäubt, dann begann er sich am Boden zu regen und die Glieder zu recken. Mühselig raffte er sich auf, blieb einen Augenblick auf den Knien wie eine Kugel und kramte in seiner Tasche herum. Als er sich erhoben hatte, stürzte er sich mit wildem Geheul abermals auf seinen Gegner.

Doch Katharina hatte gesehen, und unwillkürlich entfuhr ihr ein lauter Schrei; sie selbst war darüber erstaunt wie über das Geständnis einer Bevorzugung, die ihr unbekannt gewesen.

»Gib acht! Er hat sein Messer!«

Etienne hatte knapp Zeit, den ersten Stoß mit seinem Arm aufzufangen. Der Wollstoff seiner Jacke ward von der dicken Klinge durchschnitten, von einer jener Klingen, die durch einen kupfernen Ring in einem Heft von Buchsholz befestigt sind. Schon hatte er Chaval am Handknöchel gepackt, und es entspann sich ein furchtbarer Kampf, denn er wußte, daß er verloren sei, wenn er locker ließ; der andere suchte mit unablässigen Ruck seine Hand frei zu machen, um zuzustoßen. Die Waffe senkte sich nach und nach; die steifen Glieder ermatteten; zweimal schon hatte Etienne den kalten Stahl an seiner Haut gefühlt und mußte eine äußerste Anstrengung machen; er preßte den Handknöchel mit solcher Gewalt, daß das Messer der offenen Hand entfiel. Beide hatten sich zu Boden geworfen; er war es, der das Messer ergriff und es jetzt gegen den andern zückte. Er kniete auf Chaval und drohte ihm das Messer in den Hals zu stoßen.

»Verdammter Verräter!« rief er. Du mußt hin werden!«

Eine scheußliche Stimme erhob sich in ihm und betäubte ihn. Es kam aus seinem Innern und pochte in seinem Schädel gleich Hammerschlägen; es war eine plötzliche Mordgier, das Bedürfnis, Blut zu trinken. Noch niemals hatte der Anfall ihn dermaßen gepackt. Und doch war er nicht berauscht. Er kämpfte gegen das Erbübel mit dem verzweifelten Beben eines Liebeswütigen, der am Rande der Notzucht mit sich selbst kämpft. Schließlich überwand er sich und warf das Messer hinter sich, wobei er mit rauher Stimme murmelte:

»Steh auf und geh!«

Jetzt eilte Rasseneur herbei, aber ohne sich zu nahe zwischen sie zu wagen, aus Furcht, einen argen Hieb wegzubekommen. Er wollte nicht, daß man sich in seinem Hause abschlachte, und geriet in einen solchen Zorn, daß seine Frau, die jetzt vor dem Schankpulte stand, ihm bemerkte, daß er immer zu früh schreie. Suwarin, dem das Messer beinahe in die Beine gefahren war, entschloß sich endlich, seine Zigarette anzubrennen. War's denn aus? fragte er sich. Katharina schaute noch immer; sie war ganz wirr vor den zwei Männern, die beide lebten.

»Geh!« wiederholte Etienne. »Geh, oder ich mache dir den Garaus!«

Chaval erhob sich und wischte mit dem Handrücken das Blut weg, das noch immer reichlich aus seiner Nase floß; mit seiner blutbeschmierten Kinnlade und dem blau geschlagenen Auge wankte er hinaus, wütend über seine Niederlage. Katharina folgte ihm mechanisch. Doch da richtete er sich auf, und sein Haß brach in einer Flut unflätiger Schimpfreden los.

»Nein, nein!« rief er. »Wenn du ihn haben willst, schlafe bei ihm, schmutziges Vieh! Setze keinen Fuß mehr in meine Stube, wenn deine Haut dir lieb ist!«

Er schlug heftig die Tür zu. Tiefe Stille herrschte in der warmen Stube, wo man nur das leise Schnurren der Kohle hörte. Auf dem Boden war nichts mehr zu sehen als der umgestürzte Sessel und die Blutstropfen im Sande.


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