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Aber eben das ist etwas, das ich noch nicht recht einsehe, sagte der Prinz. Wozu hatten sie alle diese Zeugen nöthig? Mir däucht, die Ehre ihrer Tugend, wie sie es nennen, wäre am besten gerechtfertiget worden, wenn sie sich nie in den Fall gesetzt hätten ein Crocodill zu werden. So schliessen sie und ihres gleichen, erwiederte Mirabella. Sagen sie mir einmal, was für Ehre kan eine erzwungene Tugend machen? Welches Frauenzimmer ist nicht fähig, ihren Begierden Gewalt anzuthun, wenn sie zu gleicher Zeit die Unmöglichkeit, sie zu befriedigen, und eine schimpfliche Strafe vor Augen sieht? Aber der Liebe zur Tugend die Furcht der Schande, ja in gewissem Sinn die Tugend selbst aufopfern, das ist ein Grad von moralischem Heldenmuth, dessen nur die edelsten Seelen fähig sind.
Erklären sie mir doch das deutlicher, sagte Biribinker, ich bin sonst eben nicht der dummste, aber ich will gehangen seyn, wenn ich ein Wort von allem, was sie da sagten, verstanden habe.
Unsere Tugend, erwiederte die Fee, ist nur alsdann ein Verdienst, wenn es in unserer Willkühr stehet, ob wir sie behalten oder verlieren wollen. Lucretia würde nie als ein Muster der Keuschheit aufgestellt worden seyn, wenn sie den jungen Tarquinius in die Unmöglichkeit gesetzt hätte, einen Versuch auf ihre Ehre zu machen. Eine alltägliche Tugend würde ihr Schlafzimmer verrigelt haben; die erhabene Lucretia ließ es offen. Sie that noch mehr, sie ergab sich so gar, um Gelegenheit zu haben, durch das grosse Opfer, das sie der beleidigten Tugend brachte, der Welt zu zeigen, daß der kleinste Flecken, der ihren Glanz verdunkelt, mit Blut ausgelöscht zu werden verdient.
Sie sehen aus diesem Beyspiel, mein Prinz, wie weit die geläuterte Denkart grosser Seelen über die gemeinen Begriffe des moralischen Pöbels erhaben ist. Um eine Bezauberung aufzulösen, die meiner Tugend ihren grösten Werth, die Freywilligkeit und das Vergnügen der besiegten Schwierigkeit raubte, mußte ich mich so oft in den Fall setzen sie zu beleidigen, bis ich denjenigen gefunden hatte, der mich von einer Strafe befreyen konnte, wovon die blosse Vorstellung meiner edlen Denkungsart unerträglich war. Nun verstehen sie mich doch, hoffe ich?
Unvergleichlich, rief Biribinker aus, sie erklären sich immer dunkler. Aber das muß ich gestehen, daß sie, wenn sie es nicht übel nehmen wollen, die allersonderbarste Preciöse sind, die man vielleicht jemals in der Welt gesehen hat. Was sagen sie, versetzte die schöne Ondine sehr lebhaft? Wie? eine Preciöse? ich? eine Preciöse, sagen sie? Wahrhaftig sie kennen mich sehr schlecht, oder sie müssen in ihrem Leben keine Preciöse gesehen haben. Was finden sie geziertes oder gekünsteltes an meiner Person, an meinen Manieren, an meiner Kleidung, an meiner Art, mich auszudrücken? Was ist gezwungenes – – Mit einem Wort, wollen sie, daß ich ihnen Proben gebe, daß ich keine Preciöse bin? Biribinker erschrack über diesen unverhoften Antrag so sehr als über die Art, wie sie ihm bewies, daß es ihr Ernst sey. O! Madam, erwiederte er, ich glaube alles, was sie wollen! Ich brauche keine Probe, und ich sehe auch nicht wie ihre Tugend – – Meine Tugend, rief die Fee! eben meine Tugend fordert von mir, sie zu überzeugen, daß ich keine Preciöse bin. Wenn sie keine Preciöse sind, antwortete Biribinker, so schwöre ich ihnen, daß ich kein Salamander bin, und daß meine Natur nicht feurig genug ist – –
Fy, sagte die Ondine, schämen sie sich nicht, vor einem Frauenzimmer so unanständig zu reden? Was bilden sie sich ein? Wer fordert denn etwas von ihrer Natur, oder was geht es mich an, ob sie kalt oder feurig ist? Lassen sie sich sagen, daß sie ein Mensch ohne Delicatesse sind, der weder die Ohren noch die Wangen einer Dame zu schonen weißt. Wissen sie denn nicht, daß es ein Verbrechen ist, ein Frauenzimmer um einer Kleinigkeit willen erröthen zu machen. Unsere Tugend – – O! Madame, fiel ihr Biribinker in die Rede, ich bitte sie, nennen sie mir dieses Wort nicht mehr! Wenn sie nur wüßten, wie es ihren schönen Mund verzerrt! Und erlauben sie mir, ihnen mit aller der Delicatesse, deren ich fähig bin, zu sagen, daß ich so viel gethan zu haben glaube, als man von einem braven Mann fordern kan, indem ich ein Abentheuer zu Stande gebracht, woran fünfzig tausend tapfere Helden zu kurz gefallen sind. Was noch mehr zu thun seyn mag, überlasse ich den Salamandern, Sylphen, Gnomen, Faunen und Tritonen, welche nunmehr ein ofnes Feld haben, ihre Tugend im Athem zu erhalten. Alles, warum ich sie bitte, ist ihr Schutz und meine Entlassung.
Was ihre Entlassung betrift, antwortete die schöne Mirabella, die können sie sich selbst geben, denn sie wissen, daß ich sie nicht geruffen habe. Wenn sie aber meinen Schutz verlangen, so kan ich ihnen nicht bergen, daß ihr Glück von ihrer eigenen Aufführung abhangt. Wenn sie so fortfahren, so wird der Schutz aller Feen der ganzen Welt an ihnen verlohren seyn. Hat man jemals einen Liebhaber gesehen, wie sie sind? Sie ziehen den ganzen Tag in der Welt herum, ihre Geliebte zu suchen, und bringen die ganze Nacht in den Armen einer andern zu; den folgenden Morgen geht ihre Liebe wieder an, und den Abend drauf ihre Untreue. Was wollen sie, daß aus einer solchen Aufführung endlich werden soll? Ihre Schäferin müßte ausserordentlich gedultig seyn, wenn sie sich diese neue Art zu lieben gefallen lassen wollte – – – – Wahrhaftig! rief der Prinz, es steht ihnen recht wohl an, mir Vorwürfe von dieser Art zu machen! Ich mag nicht reden – – Aber glauben sie mir, ihr moralisiren fangt mir an beschwerlich zu werden, so eine grosse Meisterin sie immer darinn seyn mögen. Sagen sie mir lieber, wie ich meine geliebte Galactine aus den Händen des verfluchten Riesen befreyen kan, der sie gestern davon führte. – – – –
Bekümmern sie sich nicht um den Riesen, sagte die Fee; ein Nebenbuler, der sich die Zähne mit einem Zaunpfahl ausstochert, ist nicht halb so fürchterlich, als sie sich einbilden, und ich kenne einen gewissen Gnomen, der ihnen, so klein er ist, mehr Eintrag thun könnte als Caraculiamborix, wenn er gleich noch etliche hundert Ellen länger wäre als er ist. Kurz, sorgen sie für nichts, als wie sie ihre Schäferin wieder besänftigen wollen, das übrige wird sich von selbst geben; und sollten sie ja in Umstände kommen, wo sie meiner Hülfe benöthiget wären, so zerbrechen sie nur dieses Straussen-Ey, das ich ihnen gebe; es wird ihnen, auf mein Wort, keine geringere Dienste thun als die Erbsen-Schotte der Fee Cristalline.
Kaum hatte Mirabella das letzte Wort ausgesprochen, so verschwand sie, das Cabinet und der Pallast, und Biribinker befand sich, ohne zu wissen, wie es zugieng, an dem nehmlichen Orte, wo ihn der Riese Caraculiamborix bey seiner Schäferin überfallen hatte. Man kan nicht erstaunter seyn, als er es über die seltsame Dinge war, die ihm seit seiner Flucht aus dem grossen Bienenkorbe begegnet waren. Er rieb sich die Augen, kneipte sich in die Arme, zog sich bey der Nase, und hätte gerne gefragt, ob er oder ein anderer der Prinz Biribinker sey, wenn er jemand hätte fragen können. Je mehr er nachdachte, desto wahrscheinlicher kam es ihm vor, daß alles nur ein Traum gewesen sey; und er fieng schon an, sich in dieser Meynung zu bestärken, als er eine Jägerin aus dem Gebüsch hervor kommen sahe, die an Gestalt und Anstand nichts geringers als Diana selbst zu seyn schien. Ihr grünes Gewand, mit goldnen Bienen durchwürkt, war bis an die Knie aufgeschürzt, und unter ihrem Busen mit einem Gürtel von Diamanten gebunden; ein Theil ihrer schönen Haare war mit einer Perlenschnur in einen Knoten geknüpft, der Rest flatterte in kleinen Locken um ihre weisse Schultern. In der Hand trug sie einen Jagdspieß, und ein goldner Köcher klang auf ihrem Rücken. Dißmal, dachte Biribinker, weiß ich es doch gewiß, daß ich nicht träume, und indem er das dachte, kam ihm die Jägerin so nahe, daß er seine geliebte Galactine in ihr erkannte. Noch niemals war sie ihm so bezaubernd vorgekommen, als in diesem Aufzug, der ihr das Ansehen einer Göttin gab. Er vergaß auf einmal der Cristallinen und Mirabellen, die ihn vor kurzem so sehr bezaubert hatten, und indem er sich zu ihren Füssen warf, bezeugte er sein Vergnügen, sie wieder gefunden zu haben, in so lebhaften Ausdrücken, daß es der getreueste unter allen Liebhabern nicht besser hätte machen können. Allein die schöne Galactine wußte mehr von seinen Begebenheiten, als er sich einbildete. Wie? sagte sie, indem sie ihr anmuthiges Gesicht mit einem Unwillen, der ihm nur neue Reitzungen gab, von ihm wegwandte; unterstehst du dich noch, vor meine Augen zu kommen, nachdem du dich durch wiederhohlte Beleidigungen der Gnade verlustig gemacht, die ich dir schon einmal wiederfahren ließ? Göttliche Galactine, antwortete ihr Biribinker, zürnen sie nicht mit mir, wenden sie ihre Augen nicht so von mir ab, wenn sie nicht wollen, daß ich auf der Stelle zu ihren Füssen sterben soll. Weg mit diesem Unsinn, sagte die schöne Jägerin, den du gewohnt bist an eine jede zu verschwenden, die dir in den Weg kommt; du hast mich nie geliebt, wankelmüthiger; wer alle liebt, liebt keine.
Niemals, rief Biribinker, mit thränenden Augen, niemals hab ich eine andere geliebt als sie; und das ist so wahr, daß ich darauf schwören wollte, daß alles nur ein Traum war, was mir in einem gewissen Schlosse begegnet ist. Wenigstens versichere ich Ihnen, daß die Zerstreuungen, die sie mir so übel auslegen, ein blosses Spiel der Sinnen waren, woran mein Herz nicht den geringsten Antheil hatte. Eine feine Distinction, erwiederte die Jägerin; Zerstreuungen nennen sie das? ich sage ihnen, daß ich keinen Liebhaber verlange, der solchen Zerstreuungen unterworfen ist. Ich habe die Philosophie des Averroes nie studirt, und ich bin eine so materielle Creatur, daß ich nicht begreiffen kan, wie das Herz meines Liebhabers unschuldig seyn kan, wenn mir seine Sinnen untreu sind – – – –
Vergeben sie mir nur noch dieses einzige mal, sagte Biribinker schluchzend – – Ich, ihnen vergeben? unterbrach ihn die schöne Galactine; und warum sollte ich ihnen vergeben? Sehen sie mich einmal an; ist man vielleicht mit einem Gesicht, wie das meinige, zum Vergeben genöthigt? Oder meynen sie, daß ich, um Liebhaber zu haben, wenn ich ihrer haben will, so gedultig seyn müsse, als sie mich gerne finden möchten? Glauben sie mir, es liegt nur an mir, unter zwanzig andern, zu wählen, die den Werth eines Herzens, das sie so muthwillig von sich werfen, besser zu schätzen wissen.
Diese Worte, ob sie gleich mit einem Blick begleitet waren, der ihre Strenge zum wenigsten um die Hälfte milderte, brachten den armen Biribinker vollends zur Verzweiflung. Was hör ich, rief er, Grausame? So wollen sie dann meinen Tod? Können meine Thränen sie nicht erweichen? Nein, bey allen Göttern! ehe ich zugeben werde, daß ein anderer als Biribinker – – O! verhaßtestes unter allen Ungeheuern, rief die ergrimmte Galactine, lässest du mich noch einmal diesen abscheulichen Namen hören, der mir schon zweymal die Seele durchbort hat? Flieh auf ewig aus meinen Augen, oder erwarte das ärgste von dem immerwährenden Haß, den ich dir und deinem unseligen Namen geschworen habe.
Biribinker zitterte an allen Nerven, wie er seine Schöne auf einmal in eine so heftige Wuth ausbrechen sah; er verfluchte im Uebermaß seines Schmerzes den Namen Biribinker, und denjenigen, der ihm denselben gegeben hatte; und er würde vielleicht (denn für gewiß will ich es eben nicht sagen,) mit dem Kopf wider die nächste Eiche angeloffen seyn, wenn er nicht in eben dem Augenblicke sechs wilde Männer erblickt hätte, die in vollem Lauf aus dem Wald hervor stürmten, und vor seinen Augen sich der schönen Jägerin bemächtigten. Diese Wilden hatten eine mehr als menschliche Statur, um das Haupt und die Lenden waren sie mit Eichen-Zweigen bekränzt, auf der linken Schulter trugen sie eine stählerne Keule, und Biribinker fand sie in diesem Aufzug so fürchterlich, daß er, seiner angebohrnen Tapferkeit ungeachtet, allen Muth verlohr, seine Geliebte aus ihren Händen zu retten. In dieser dringenden Noth erinnerte er sich an das Straussen-Ey, das ihm die Fee Mirabella gegeben hatte; er zerbrach es mit bebender Hand, und erstaunte, wie man denken kan, so sehr als jemals, da er eine unendliche Menge von kleinen Nymphen, Tritonen und Delphinen heraus wimmeln sah, die sich augenblicklich in Lebens-Grösse ausdehnten, und die einen aus ihren Wasser-Krügen, die andern aus ihren Naslöchern eine so ungeheure Menge Wassers ausgossen, daß in weniger als einer Minute ein See um ihn her entstund, der den ganzen Horizont erfüllte. Er selbst befand sich auf dem Rücken eines Delphins, der so sanft mit ihm davon schwamm, daß er keine Bewegung spürte, und die Nymphen und Tritonen, die um ihn her plätscherten, bemühten sich, ihm durch Musik und muthwillige Spiele eine Lust zu machen. Aber Biribinker sahe nur nach dem Orte, wo er seine geliebte Galactine den Wilden hatte überlassen müssen, und da er, so weit sein schärfster Blick reichte, um und um nichts als Wasser sahe, betrübte er sich so herzlich, daß er sich etliche mal in die See stürtzen wollte. Er würde es auch gewiß gethan haben, wenn er nicht besorgt hätte, einer von den Nymphen, die um seinen Delphin schwammen, in die Arme zu fallen; welches ihn, (wie er sehr weißlich davor hielt,) leicht in eine Versuchung hätte setzen können, worinn die ewige Treue, die er seiner Schönen nunmehr angelobt hatte, in Gefahr gekommen wäre. Er trieb dißmal die Vorsichtigkeit so weit, daß er sich ein seidenes Schnupftuch um die Augen band, aus Furcht, von den Schönheiten zu sehr gerührt zu werden, die durch tausend verführerische Bewegungen seinen Augen nachstellten.
Auf diese Weise war er ohne den geringsten widrigen Zufall schon ein paar Stunden fort geschwommen, als er es endlich wagte, das Schnupftuch ein wenig weg zuschieben, um zu sehen, wo er wäre. Er fand zu seiner grossen Beruhigung, daß die Nymphen verschwunden waren; hingegen gewahrete er in der Ferne etwas, das wie der Rücken eines grossen Gebürges über die Wellen hervor ragte; er merkte auch, daß die See ausserordentlich ungestümm wurde, und bald darauf erhub sich ein so entsetzlicher Sturmwind mit so gewaltigen Regengüssen, daß es nicht anders war, als ob ein ganzer Ocean aus der Luft herab stürzte.