Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Die Abentheuer des
Don Sylvio von Rosalva.

Zweyter Theil.

Fünftes Buch.

Erstes Capitel.

Worinn der Autor das Vergnügen hat, von sich selbst zu reden.

Wir zweifeln sehr daran, ob, seit dem es Feen-Mährchen in der Welt gibt, ein von Feen beschützter Liebhaber, er mag nun ein Prinz, ein Ritter oder ein Schäfer gewesen seyn, sich jemals in so fatalen Umständen befunden habe, als diejenige waren, worinn wir unsern Helden zu Ende des vorigen Buchs verlassen mußten.

Es ist wahr, andre Feen-Helden haben auch ihre Anfechtungen; sie müssen sich oft mit Drachen, Meerwundern und blauen Centauren herum schlagen, sie kommen in Gefahr von Popanzen gefressen zu werden, sie werden von alten zahnlosen Feen entführt, die ihre Tugend auf die gefährlichsten Proben setzen, und am Ende sie oft gar in Papagayen, Kater oder Grillen verwandeln. Aber daß jemals eine so ausserordentliche Person wie der Günstling einer Königin der Salamander und der Liebhaber eines bezauberten Schmetterlings ist, von Gras-Menschern zerkratzt, und von Bauerjungen wäre abgeprügelt worden, davon wird man in der vollständigsten Sammlung aller Geschichten, die sich mit Es war einmal anfangen, vergebens ein Beyspiel suchen.

Der geneigte Leser wird hieraus die Folge ziehen, und weil er es vielleicht nicht thun möchte, so nimmt der Autor die Freyheit, es ihm hiemit zu verstehen zu geben, daß diese merkliche Verschiedenheit, die sich zwischen der Geschichte des Don Sylvio und andern Feen-Märchen findet, ein überaus günstiges Vorurtheil für die historische Treue und Wahrhaftigkeit des Autors erwecken müsse. Hätten wir unsern Helden in einem Wagen von Saphir mit Paradies-Vögeln bespannt reisen und alle Abend in einem bezauberten Pallast absteigen lassen, hätten wir ihm das rothe Hütchen des Prinzen Kobolt, den Pantoffel der Fee Moustasche, den Ring des Gyges, oder die Zauberruthe der königlichen Fee Trusio gegeben, um sich aus allen Nöthen heraus zu helfen; so hätte ein jedes Mädchen von zehen Jahren gemerkt, daß man ihm nur ein Mährchen erzähle. Aber ungeachtet unsre Geschichte so seltsam und wunderbar ist als irgend eine von denen, mit deren Anhörung sich der weise Sultan von Indien, Schach Baham, die Zeit zu vertreiben geruhte, so wird man uns doch nicht vorwerfen können, daß wir unserm Helden jemals ein Abentheuer aufstossen lassen, welches nicht vollkommen mit dem ordentlichen Lauf der Natur überein stimme, und dergleichen nicht alle Tage zu begegnen pflegen oder doch begegnen könnten, wie z. Ex. daß ein Frosch in Gefahr komme von einem Storchen verschlungen zu werden, oder daß einer ein Kleinod mit einem Bildniß finde, welches vermuthlich jemand anderer vorher verlohren hat. Wir haben ihn zu Fuß reisen lassen, und nicht einmal Sorge getragen, ihn vor Sümpfen und Froschgräben zu bewahren; wenn er schlief, so war es auf der harten Erde, oder in einem elenden Dorf-Wirthshause, wo ihm die Flöhe keine Ruhe liessen. An statt daß Rosenarmichte Nymphen oder Sylphen mit goldnen Flügeln ihm am blumichten Rande crystallner Brunnen, Nectar und Ambrosia hätten auftragen sollen, haben wir ihn aus dem Zwerch-Sack des Pedrillo bedient, und ganz neuer Dingen haben wir ihn nicht etwan von Riesen oder bezauberten Mohren, sondern von gemeinen Bauer-Jungen abpläuen lassen.

Wir hoffen, das sind Beweise, die für sich selbst reden, und wir wünschten, daß man von vielen berühmten Geschichtschreibern mit eben so gutem Fug sagen könnte, daß sie von der betrügerischen Neigung, ihre Gemählde und Charactere zu verschönern, oder ihren Begebenheiten einen Firniß von Wunderbarem zu geben, so entfernt gewesen seyn möchten, als wir, die wir uns bey Bekanntmachung dieser wahrhaften und glaubwürdigen Geschichte nicht etwan (wie junge, leichtsinnige Schwindelköpfe sich einbilden möchten) eine eitle Belustigung, sondern das gemeine Beste, und die Beförderung der Gesundheit unsrer geliebten Leser an Leib und Gemüth zum Endzweck vorgesetzt haben.

Vielleicht werden einige, deren Scharfsinn nicht tiefer als in die äussere Schaale der Dinge einzudringen pflegt, nicht begreiffen, wie die Geschichte des Don Sylvio zu einem so heilsamen Zweck sollte dienen können. Nun wär es uns zwar ein leichtes, sie aus den Schriften grosser Aertzte und Naturkündiger zu belehren, daß es ein gewisses Fieber gibt, dem die menschliche Seele vom vierzehenten Jahre ihres Alters bis zum grossen Stuffen-Jahre häuffig ausgesetzt ist, welches durch keine andere Arzney-Mittel sichrer vertrieben werden kan, als durch solche, die das Zwerchfell erschüttern, das Blut verdünnern, und die Lebensgeister aufmuntern, eben so wie der giftige Biß der Taranteln durch nichts anders als durch die sympathetische Kraft gewisser Tänze, die dem Krancken vorgespielt werden, geheilt werden kan. Wir könnten ihnen auch gar leicht mit vielen Gründen beweisen, daß die vorgedachten heilsamen Kräfte in dieser Geschichte verborgen liegen. Allein, da diese gedoppelte Bemühung, uns zum Mißvergnügen aller unsrer übrigen Leser zu lange von der Fortsetzung der Begebenheiten unsers Helden entfernen würde; so müssen wir es für dißmal zwar eines jeden eigenem Belieben überlassen, was er hievon dencken wolle; allein bey einer zweyten Ausgabe (wozu uns, ohne Ruhm zu melden, der gute Geschmack des Publici Hofnung macht) werden wir nicht unterlassen, ein medicinisches Gutachten über diese Materie, welches völlig zu unserm Vortheil ausfallen wird, beydrucken zu lassen, und zu dessen besserer Bestättigung ein Verzeichniß verschiedener merkwürdiger Curen beyzufügen, die einige Aerzte von unserer Bekanntschaft mit unserm Buche gemacht haben.

Inzwischen wünschten wir, daß irgend eine Europäische Academie, und wenn es auch nur die zu Pau in Bearn wäre, sich belieben lassen möchte, einen Preiß von fünfzig Ducaten auf die Untersuchung des manchfaltigen physicalischen, moralischen und politischen Nutzens zu setzen, welchen die menschliche Gesellschaft von Schriften, die (auf eine erlaubte Art) zu lachen machen, ziehen könnte; besonders auf die gründliche Erörterung der Frage: Ob es nicht dem gemeinen Besten so wohl als dem Vortheil der Buchhandlung, die bekanntlich einen so beträchtlichen Zweig des Europäischen Commercii ausmacht, weit zuträglicher wäre, wenn, an statt der Menge schlechter und mittelmäßiger moralischer Bücher in allen Formaten, welche unter viel versprechenden Titeln die arme Welt mit den alltäglichen Beobachtungen, schiefen, zusammen geraften und unverdauten Gedanken, frostigen Declamationen und frommen Wünschen ihrer langweiligen Verfasser bedrucken, alle halbe Jahre etliche Dutzend Bücher im Geschmack des Comischen Romans, des Baccalaureus von Salamanca, oder des Findlings, ja wenn es auch im Geschmack des Candid oder des Gargantua und Pantagruel wäre, auf die Messen kämen; Bücher, in denen die Wahrheit mit Lachen gesagt, die der Dummheit, Schwärmerey und Schelmerey ihre betrügliche Masken abziehen, die Menschen mit ihren Leidenschaften und Thorheiten, in ihrer wahren Gestalt und Proportion, weder vergrössert noch verkleinert abschildern, und von ihren Handlungen diesen Firniß wegwischen, womit Stolz, Selbstbetrug oder geheime Absichten sie zu verfälschen pflegen; Bücher, die mit desto besserm Erfolg unterrichten und bessern, da sie bloß zu belustigen scheinen, und die auch alsdann, wenn sie zu nichts gut wären, als beschäftigten Leuten in Erhohlungs-Stunden den Kopf auszustäuben, müßige Leute unschädlich zu beschäftigen, und überhaupt den guten Humor eines Volks zu unterhalten, immer noch tausendmal nützlicher wären als dieses längst ausgedroschne moralische Stroh, dieser methodische Mischmasch von mißgestalteten und buntscheckigten Ideen, diese frostigen oder begeisterten Capucinaden, welche hier gemeynt sind, und die (mit Erlaubniß der guten Absichten, wovon ihre Verfasser so viel Wesens machen) weit mehr am Kopf der Leser verderben, als sie an ihrem Herzen bessern können, und bloß deßwegen so wenig Schaden thun, weil sie ordentlicher Weise nur zum Einpacken anderer Bücher gebraucht werden.

Es wäre uns, um gewisser Ursachen willen, lieb gewesen, wenn wir Gelegenheit gefunden hätten, diese Anmerkung irgendwo dem Pedrillo, oder einer andern privilegirten Person von dieser Art in den Mund zu legen: denn einem Pedrillo, Launcellot Gobbo oder Gobbo Launcellot nimmt niemand übel, wenn er die Wahrheit sagt: Da es aber nicht füglich seyn konnte, so haben wir uns schon entschliessen müssen, sie im Vorbeygehen selbst zu sagen, und wollen deßwegen, wo und bey wem es nöthig ist, höflichst abgebeten haben.


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