Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Fünftes Capitel.

Der Autor hoft, daß dieses Capitel keiner Kammer-Jungfer in die Hände fallen werde.

Indessen, daß wir die Princeßinnen und Helden zu Bette gebracht haben, wo wir sie, so lang es ihnen gefällt, ruhig schlafen lassen wollen, hatte Pedrillo, (der, wie wir schon bemerkt haben, jederzeit von dem gegenwärtigen Augenblick abhieng) der Begierde nicht widerstehen können, mit der schönen Teresilla sich etwas genauer bekannt zu machen. Zu gutem Glück war niemand, der ihm den Vortheil eines Tête à Tête hätte streitig machen wollen; denn der Kammerdiener, der durch einen Streifschuß und zwey oder drey kleine Hiebe im Gefecht verwundet worden war, hatte sich bereits zur Ruhe begeben, und der Kutscher war kein Mann, der sich hätte unterstehen dürfen, seine Augen zu einer Kammer-Jungfer zu erheben.

Pedrillo machte sich also die Gelegenheit zu nutze, und unterhielt die Dame Teresilla, während daß eine dicke schmutzige Gallicierin in der Küche mit Zubereitung eines wohlbezwiebelten Hasenpfeffers von einer alten Haußkatze beschäftiget war.

Die Annehmlichkeiten ihres Umgangs verdoppelten den Eindruck, den die Rosen und Lilien ihres verjüngten Gesichts auf einen ehrlichen Bauer-Kerl machen konnten, der sie für natürlich hielt; und nachdem sie, der grossen Hitze wegen, sich zuletzt gar ihres Halßtuchs entlediget hatte, so stieg seine Leidenschaft, mit Ueberhüpfung aller Grade, wodurch eine platonische Liebe unvermerkt fortzuschleichen pflegt, auf einmal so hoch, daß die schöne Teresilla, so groß auch immer ihr Vertrauen auf die Stärke ihrer Tugend seyn mochte, gar bald Ursache bekam, sich in einiger Gefahr zu glauben.

Dem ungeachtet ist gewiß, daß sie, es seye nun aus guter Meynung von ihrem Gesellschafter, (denn wir haben schon bemerkt, daß er in der That ein viel versprechender Bursche war) oder aus jugendlicher Unerfahrenheit, oder aus irgend einer besondern Absicht, sich so mit ihm betrug, als ob sie nicht das geringste von ihm zu befürchten hätte. Das letztere läßt sich um so eher vermuthen, weil sie den Vortheil kaum bemerkte, den ihr die Schwachheit des armen Pedrillo zu geben schien, als sie die ganze Macht ihrer Reitzungen und ihrer Beredsamkeit anwandte, um den Namen und die Angelegenheiten seines Herrn von ihm heraus zu locken.

Allein Pedrillo, der eine ähnliche Beobachtung gemacht haben mochte, hatte sich vorgenommen, ihr sein Geheimniß so theuer zu verkauffen, als es nur immer möglich seyn möchte. Er drang also darauf, daß sie ihm zuerst die Geschichte der Donna Hyacinthe entdecken müßte, ehe er nur in Versuchung kommen könne, das ausdrückliche und scharfe Verbot seines Herrn so leichtsinniger Weise zu übertretten.

Die schöne, und wie wir vielleicht bald hinzu setzen müssen, die zärtliche Teresilla, welche merkte, daß sie mit einem Menschen zu thun hatte, bey dem durch allzu grosse Strenge nichts auszurichten war, trug nicht das geringste Bedenken, seine Neugier durch eine weitläuffige Erzählung zu befriedigen, welche, die Hauptumstände ausgenommen, so apocryphisch seyn mochte, als gemeiniglich die Erzählungen sind, so die Kammer-Mädchens von den Anecdoten ihrer gnädigen Frauen zu machen pflegen. Pedrillo erfuhr also, daß Donna Hyacinthe weder mehr noch weniger eine Donna sey als irgend eine, die ihre Wäsche an einen Zaun aufhängt, daß ihr Gesicht und ihre kleine Person ihren Adel, ihr Vermögen und alle ihre Rechte und Ansprüche in sich fasse, und daß man so gar vermuthe, daß sie ein Findel-Kind sey, dem seine Mutter nicht habe sagen können, wem es sein Daseyn zu danken habe. Sie habe seit einiger Zeit auf dem Theater zu Grenada ziemlich viel Aufsehens gemacht, und nicht weniger Liebhaber gehabt, als alle die Mannsleute, welche sie gesehen hätten, unter denen sich aber keiner mehr Mühe gegeben habe, ihr Herz zu erobern, als Don Fernand von Zamora, ein sehr reicher junger Cavalier, der einen ungeheuren Aufwand um ihrentwillen gemacht, ohne daß er, so viel man wisse, jemals das mindeste von ihr erhalten können. Kurz, unter so vielen, die um sie geseufzet hätten, sey Don Eugenio von Lirias, der einzige, dessen eben so tugendhafte als heftige Leidenschaft sie wo nicht aufzumuntern, doch wenigstens zu dulden geschienen habe. Allein wer die Donna Hyacinthe kenne, sey so blöde nicht, sich durch diesen Schein einer strengen Tugend hintergehen zu lassen. Es sey eine ausgemachte Sache, daß sie den Don Eugenio bis zur Ausschweiffung liebe, und daß sie nicht lange grausam gegen ihn geblieben seyn würde, wenn sie nicht im Sinn gehabt hätte, ihn so weit zu bringen, daß er endlich die Thorheit begienge, sie gar zu heurathen. In dieser Absicht habe sie ihn würklich überredet, sie vom Theater wegzunehmen, und auf einige Zeit in ein Closter zu Valencia zu thun, von wannen sie hernach unter einem andern Namen nach und nach in der Welt hätte erscheinen sollen. Allein zu allem Unglück seye dieses Vorhaben (die Dame Teresilla hätte, wenn sie gewollt hätte, gar wohl sagen können, von wem? denn sie war es selbst) dem Don Fernand etliche Wochen vor der Ausführung verrathen worden. Dieser habe die Verzweiflung über seine unglückliche Leidenschaft und andre Ursachen zum Vorwand genommen, sich von Grenada weg zu begeben, damit er indessen Anstalten machen könnte, sie seinem glücklichern Nebenbuhler zu entreissen. Er müsse, wie der Ausgang gezeigt, so gar den Tag gewußt haben, wenn Hyacinthe nach Valencia abgehen würde, kurz, er habe seine Maasregeln so gut genommen, daß er sie eine Stunde von Montesa überrascht und in seine Gewalt bekommen habe. Seine Absicht sey vermuthlich gewesen, sie auf eines seiner Güter in Arragon zu führen; allein das gute Glück ihrer Dame habe gewollt, daß sie unterwegs auf Don Eugenio, den man zu Valencia zu seyn geglaubt habe, gestossen seyen, da er in Begleitung seines Freundes Don Gabriel, dem Ansehen nach, einen blossen Spatzierritt gethan, und vermuthlich nichts wenigers besorgt habe, als seine Geliebte in den Händen eines Nebenbuhlers anzutreffen. Da sie nun einander so gleich erkannt, habe Don Eugenio, ungeachtet der Ueberlegenheit seiner Gegner, sich entschlossen gezeigt, lieber das Leben als seine geliebte Hyacinthe zu verliehren. Würde aber vermuthlich beyde zugleich verlohren haben, wenn ihm nicht ein glückliches Ungefehr in der Person des unbekannten jungen Ritters und des tapfern Pedrillo einen Beystand zugeschickt hätte, durch den sich der Sieg in etlichen Augenblicken für ihn erklärt habe.

Nachdem die gefällige Teresilla mit ihrer Erzählung fertig war, forderte sie, wie billig, eine gleiche Gefälligkeit von ihrem Gesellschafter; aber Pedrillo hatte schon wieder andere Schwierigkeiten in Bereitschaft; er verschanzte sich hinter die Wichtigkeit seines Geheimnisses, die Treue die er seinem Herrn schuldig sey, sein gegebenes Wort, und die Gefahr, in die er sich durch eine solche Indiscretion stürzen würde; kurz, sie verlohr alle ihre Wohlredenheit und so gar eine Menge kleiner Gunstbezeugungen an ihm, welche so unerheblich sie auch an sich selbst waren, doch ihrer Meynung nach, mehr als hinreichend hätten seyn sollen, ihn zu der lebhaftesten Erkenntlichkeit zu bewegen. Pedrillo bewieß ihr mit seiner gewöhnlichen Bündigkeit, daß ein Geheimniß von dieser Art sich nur einer Person anvertrauen lasse, für die man gar nichts geheimes habe; und er gieng endlich so weit, auf die Gefälligkeit, die sie von ihm forderte, einen Preiß zu setzen, welchen sie, ohne eben eine Lucretia zu seyn, hätte übermäßig finden können.

Cicero, dem alle Welt eingestehen muß, daß er ein unvergleichlicher Redner, ein grosser Staatsmann, ein mittelmäßiger Philosoph, und ein sehr kleiner General war, sagt an einem Ort seiner eben so angenehmen als lehrreichen Schriften, »Daß die Begierde nach Erkenntniß der stärkste unter allen natürlichen Trieben des Menschen sey. Der Trieb zum Wissen, sagt er, scheint so wesentlich in uns zu seyn, daß wir zu allem, was unsere Kenntniß erweitert, ohne Hofnung oder Absicht eines besondern Vortheils, von der Natur selbst dahin gerissen werden«; und nachdem er einige Beyspiele davon gegeben, setzte er hinzu: Homerus scheine dieses sehr wohl eingesehen zu haben, da er von den Syrenen dichte, daß die zauberische Kraft ihres Gesangs nicht so wohl in der Annehmlichkeit ihrer Stimme, oder der ungewöhnlichen Lieblichkeit der Melodie bestanden sey, als in der Versicherung, »daß sie alles wissen, was auf dem ganzen Erdboden geschehe, und in dem Versprechen ihre Zuhörer gelehrter wieder zu entlassen, als sie gekommen seyen«. Kein geringerer Reitz, glaubt er, hätte einen so grossen Mann als Ulysses war, so sehr dahin reissen können, daß, ohne die kluge Veranstaltung, welche die Fee Circe deswegen gemacht, selbst die Gewißheit eines unvermeidlichen Untergangs nicht vermögend gewesen wäre, ihn von den fatalen Klippen dieser Zauberinnen zurück zu halten.

Die junge und tugendhafte Teresilla gibt uns ein merkwürdiges Beyspiel, wie richtig diese Beobachtung des angezogenen römischen Schriftstellers ist. Der Preiß, den der eigennützige Pedrillo auf die Entdeckung seines Geheimnisses setzte, machte sie allerdings stutzen; sie ermangelte nicht ihre Bedenklichkeiten den Seinigen entgegen zu setzen, und wandte alles an, um ihn zu einem billigen Nachlaß zu bereden: Aber da er hartnäckig darauf bestand, daß sich seine Geschichte nirgend als in seiner Kammer erzählen lasse, so sah sie sich endlich genöthiget, alle ihre kleinen Scrupel der Begierde nach einer Erweiterung ihrer Erkenntnisse aufzuopfern, deren Wichtigkeit sie nach der Grösse des Preises abmaß. Sie versprach also, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er eine so ausnehmende Probe ihres Zutrauens nicht mißbrauchen wollte, ihn so bald das ganze Hauß in Ruhe seyn würde, in seiner Kammer zu besuchen; Pedrillo, der gegen die Billigkeit ihrer Bedingung nichts einwenden konnte versprach ihr alles was sie wollte, und beyde hielten ihr Wort so gewissenhaft, wie man sichs einbilden kan.


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