Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Drittes Capitel.

Innerliche Anfechtungen des Don Sylvio.

Don Sylvio, dem das Gewäsche des Pedrillo beschwehrlich war, bediente sich des Vorwands, daß er während der Nachmittags-Hitze ein paar Stunden ruhen möchte, um ihn zum schweigen zu bringen. Er stellte sich als ob er schliefe, und Pedrillo folgte seinem Beyspiel bald darauf in vollem Ernst; aber Don Sylvio war zu unruhig, als daß er hätte schlafen können. Tausend quälende Gedanken, die wider seinen Willen in ihm aufstiegen, brachten ihn endlich so weit, daß er zum erstenmal ein Mißtrauen in die Wahrheit seiner Einbildungen zu setzen anfieng. Wie? dacht er, wenn die Erscheinung, die ich von der Fee Radiante zu haben glaubte, ein blosses Spiel einer erhitzten Phantasie gewesen wäre? Je mehr er dieser Vermuthung nachsann, je wahrscheinlicher fand er sie, und die unglückliche Begebenheit mit den Gras-Nymphen, die er nun ziemlich geneigt war für das zu halten, was sie würklich waren, trieb diese Wahrscheinlichkeit in etlichen Minuten bis zur Gewißheit hinauf; denn es schien ihm unbegreiflich, daß ihn die Fee Radiante den Fäusten und Knitteln dieses groben Bauergesindels preiß gegeben haben würde, wenn sie ihm würklich ihren Schutz versprochen hätte.

Diese Zweifel ängsteten ihn unaussprechlich, er raffte alle seine Kräfte zusammen, sich ihrer zu erwähren, aber sie kamen immer mit verdoppelter Stärke wieder, und der Aufruhr, den sie in seinem Gehirn erregten, ward zuletzt so wild, daß der Ueberrest von Vernunft, den ihm die Feerey noch gelassen hatte, in gröster Gefahr war, vollends darüber verlohren zu gehen.

In diesen betrübten Umständen war das Bild seiner geliebten Schäferin das einzige, was in seiner von Zweifeln gleichsam überschwemmten Seele noch empor ragte, und im allgemeinen Umsturz seiner Ideen unerschüttert blieb. Wenn auch alles andre Einbildung ist, rief er, so weiß ich doch gewiß, o! du nahmenlose Unbekannte, daß es keine Einbildung ist, daß ich dich liebe. Es mag nun eine Fee seyn, die dein Bild in meinen Weg gelegt hat, oder ein glückliches Ungefehr mag es dahin geworfen haben, du magst eine Princeßin oder Schäferin seyn, du magst für mich bestimmt seyn, oder einst von einem glücklichern, als ich geliebt werden, du, die jetzt die schönste unter den Nymphen des Himmels bist: Wenn mein Verhängniß es so will, daß ich, deiner beraubt in Hofnungloser Liebe verschmachten soll, so ist doch keine Gewalt, die dein Bild aus meiner Seele reissen kan. Ich will dich suchen, durch alle Länder und Meere des Erdkreises, von einem Pol zum andern, vom ewigen Schnee der Cimmerischen Gebürge, bis in die glüenden Zonen, wo kein schattender Baum, keine kühle Quelle die brennende Hitze mildert, und wenn ich dich nicht finde, und die Erde dich, ihre schönste Zierde schon verlohren hat; was kan mich hindern, daß mein verlangender Geist von der Gewalt seiner unsterblichen Liebe empor gezogen, von Sphäre zu Sphäre irre, dich da zu suchen, wo deine Schönheit alle die namenlose Schönheiten des Ethers verdunkelt, oder herab in die unterirrdischen Gegenden steige, und unter den Schatten dich suche, die von deinen Augen angestralt den Verlust des Tages nicht mehr beklagen, und ein süsses Vergessen aller andern Wünsche aus deinen Blicken saugen.

Diese Dithyrambische Einfälle, so närrisch sie unsern weisen Lesern vorkommen mögen, machten eine sehr heilsame Würkung auf unsern Helden; denn er schlummerte unvermerkt darüber ein, und das war in seinen dermaligen Umständen das beste, was ihm begegnen konnte. Denn was kan der Unglückliche bessers thun als schlafen?

Don Sylvio fand dißmal in seinem Schlummer einen gedoppelten Vortheil, das Vergessen seines Kummers, und die Glückseligkeit eines angenehmen Traums, der wenigstens so lang er daurte, alle Würkungen der Wahrheit hatte. Es däuchte ihm, er sehe seine geliebte Princeßin, aber nicht in Gestalt einer Schäferin oder eines Sommervogels, sondern in ihrer eigenen, wie eine Göttin geschmückt; sie lag auf einer rosenfarben Wolke, die nahe bey ihm über dem Boden schwebte, und besprach sich eine geraume Zeit mit ihm; sie munterte ihn auf, den Muth nicht sinken zu lassen, und den Hindernissen großmüthig zu widerstehen, die ihre Feinde ihrem Glück in den Weg legten; sie versicherte ihn, daß die Zeit nicht lange mehr verziehen werde, da sie die Gestalt, worinn sie ihm jetzt sich zeige, durch ihn selbst wieder erhalten würde, und setzte auf eine eben so zärtliche als verbindliche Art hinzu, sie wünschte noch tausendmal liebenswürdiger zu seyn, um ihn für alles Ungemach belohnen zu können, womit er ihren Besitz erkauffen müsse. Don Sylvio wollte ihr eben diejenige Antwort hierauf geben, die ein jeder Liebhaber auf eine so schmeichlende Erklärung bereit hätte, als sie wieder verschwand.

Dieser Umstand war freylich gerade der unangenehmste in seinem ganzen Traume; aber das Vergnügen sie gesehen zu haben, und der liebliche Ton ihrer Tröstungen, der noch um sein entzücktes Ohr säuselte, machte ihn für alles schmerzhafte unempfindlich. Er vergaß aller seiner überstandenen Trübsale, verachtete alle künftige, und war jetzt nur begierig eine Reise fortzusetzen, wovon jeder Schritt ihn dem Ziele seiner Sehnsucht näher brachte. Er weckte also den Pedrillo, und nachdem er ihm voller Freuden seinen Traum erzählt hatte, befahl er ihm sich unverzüglich reisefertig zu machen.

Beym Sanct Velten, rief Pedrillo, das ist doch artig, wie unsre Träume in einander passen! Ihr habt eine Erscheinung von der Princeßin gehabt und ich vom Sylphen-Mädchen. Es kam mir vor, ich fände sie an dem nehmlichen Orte, wo ihr gestern schliefet, unter den Rosen liegen; aber ihre Frau, die Fee, war nicht dabey, und jetzt reuet es mich, daß ich sie nicht nach ihrem Namen fragte; aber wir hatten so viel andere Dinge zu schwatzen, daß ich es vergaß. Sapperment! die Zeit vergieng, daß ich nicht wußte, wo sie hinkam; wir waren wohl drey bis vier Stunden beysammen, denn die Sonne gieng unter, ohne daß wirs gewahr wurden, und doch däuchte michs nur ein Augenblick; es war mir nicht anders als ob ich selbst ein Sylphe wäre; wenn es mir das Leben gälte, so könnt ich euch nicht beschreiben, wie mir war, aber das ist gewiß, daß mir in meinem Leben nie so zu Muthe gewesen ist. Sagt ich nicht, das Glück würde uns auch einmal wieder anlachen? Diese Träume kamen gewiß nicht so von ungefähr; wer weiß was geschehen kan? Die Frau Rademante will es vielleicht auf einmal wieder einbringen, was sie bisher versäumt hat. Wir wollen sehen, sagte der Blinde: das Blatt kan sich schnell wenden. So viel versichere ich euch, Herr, wenn ich einmal den grünen Zwerg unter mich kriege, wie ich hoffe und glaube, so soll er die Rippen-Stösse mit Wucher wieder kriegen, womit er uns heute bedient hat, darauf kan er sich verlassen.


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