Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Zweytes Capitel.

Fortsetzung der Geschichte des Prinzen Biribinker.

Ich will ihnen, fuhr Don Gabriel in seiner Erzählung fort, die manchfaltigen Betrachtungen erlassen, welche Biribinker unterwegs mit sich selbst anstellte, um ihnen zu sagen, daß er gegen Mittag, da die Hitze unerträglich zu werden anfieng, an dem Eingang eines Waldes abstieg, und sich an den Rand eines kleinen Bachs setzte, der von Bäumen und Gebüschen umschattet war. Nicht lange so erblickte er eine Schäferin, die eine kleine Heerde rosenfarber Ziegen vor sich her trieb, um sie an dem Bache zu tränken, wo Biribinker im Schatten lag.

Denken sie, Don Sylvio, wie groß seine Entzückung seyn mußte, als er in dieser jungen Hirtin sein geliebtes Milchmädchen erkannte! Sie kam ihm noch zehenmal schöner vor, als da er sie das erstemal gesehen hatte; aber was ihn am meisten erfreute, war, daß sie an statt vor ihm zu fliehen immer näher herbey kam, und sich endlich, (wie es schien) ohne ihn zu bemercken, nicht weit von ihm ins Graß setzte. Der Prinz unterstund sich nicht sie anzureden, aber er sahe sie mit so durchdringenden feurigen Blicken an, daß die Steine im Bache bey nahe davon in Glas verwandelt worden wären. Die schöne Schäferin, welche sehr kalter Natur seyn mußte, um von so kräftigen Blicken nicht geröstet zu werden, flochte indessen ganz gelassen einen Blumenkranz, und unterließ nicht von Zeit zu Zeit einen Seitenblick auf ihn zu werfen, worinn er nichts weniger als Unwillen zu entdecken vermeynte. Dieses machte ihn so kühn, daß er näher zu ihr rückte, ohne daß sie es wahrnahm; denn sie spielte eben mit einer kleinen Ziege, die an statt der Haare lauter Silberfaden hatte, und mit Blumenkränzen und rosenfarben Bändern aufs artigste geziert war. Seine Augen sagten ihr aus diesem neuen Stand-Punct nicht weniger schönes als zuvor, und die ihrigen antworteten von Zeit zu Zeit so höflich, daß er sich endlich nicht länger halten konnte, sich zu ihren Füssen zu werfen, und ihr (nach seiner Gewohnheit) in sehr poetischen Redensarten zu wiederholen, was er vorher in einer weit verständlichern und überzeugendern Sprache gesagt hatte. Nachdem seine zärtliche Elegie zu Ende war, antwortete ihm die schöne Schäferin, mit einem Blick, welcher kaltsinniger anfieng als aufhörte: Ich weiß nicht ob ich sie recht verstanden habe, wollten sie mir alle diese Weile her nicht sagen, daß sie mich lieb hätten? – – Himmel! daß ich sie liebe! rief der entzückte Biribinker, sagen sie, daß ich sie anbete, daß ich meine schmachtende Seele zu ihren Füssen aushauche. Sehen sie, antwortete die Schäferin, ich bin nur ein ganz einfältiges Mädchen, ich verlange nicht, daß sie mich anbeten sollen, und sie sollen auch ihre Seele nicht aushauchen, denn ich denke nicht, daß sie zu viel davon haben; ich würde wohl zufrieden seyn, wenn sie mich nur liebten. Aber ich gestehe ihnen, daß ich schwerer zu überzeugen bin, als die Fee, mit der sie die vergangene Nacht zugebracht haben – – Götter! rief der bestürzte Prinz, was höre ich? – – Wie ist es möglich – – Wer kan ihnen – – Woher wissen sie – – ich weiß nicht was ich sage – – O! unglückseliger Biribinker.

Die schöne Schäferin that einen grossen Schrey, ehe er diesen fatalen Namen noch ganz ausgesprochen hatte. Ja wohl unglückseliger Biribinker, rief sie aus, indem sie sich mit grosser Hastigkeit vom Boden aufrafte; müssen sie mein Ohr schon wieder mit diesem schändlichen Namen beleidigen? Sie zwingen mich sie zu hassen und zu fliehen, da ich – – Hier wurde die erzürnte Galactine plötzlich von einem Anblick unterbrochen, der dem Prinzen und ihr selbst auf einmal alle andere Gedanken benahm. Sie sahen einen Riesen auf sie zu kommen, der an statt eines Kranzes ein paar junge Eichbäume um den Kopf geflochten hatte, und sich unterm Gehen die Zähne mit einem Zaunpfal ausstocherte. Er gieng gerade auf die Schäferin zu, und donnerte sie mit einer so entsetzlichen Stimme an, daß mehr als zwey hundert Dolen, die ihre Nester in seinem Bart hatten, mit grossem Gekrächze heraus geflogen kamen. Was hast du hier, rief er, mit diesem kleinen Zwerg, Püpchen? Folge mir augenblicklich, oder ich hacke dich zu kleinen Pastetchen; und du, sagte er zu dem Prinzen, indem er ihn in einen grossen Sack steckte, herein in meinen Sack. Nach diesem sehr laconischen Gruß schnürte er den Sack zu, nahm die Schäferin auf den Arm, und trabte davon. Biribinker glaubte in den leeren Raum gestürzt worden zu seyn, denn er fiel und fiel immer fort, ohne daß es ein Ende nehmen wollte. Endlich kam er doch auf den Boden, aber stieß den Kopf so stark an einem Weberknopf an, daß er etliche Minuten ganz betäubt da lag, und die Hirnschale gebrochen zu haben glaubte. Nach und nach erholte er sich wieder, und da besann er sich an die Erbsen-Schotte, die ihm Cristalline gegeben hatte; er brach sie auf, fand aber nichts als ein kleines Messer von Diamant mit einem Heft von einer Greiffen-Klaue, kaum so groß, daß man es mit drey Fingern fassen konnte. Ist das alles, dachte er, was die Fee Cristalline für mich thut? Was will sie, daß ich mit diesem Spielzeug machen soll? Es ist kaum groß genug, daß ich mir die Kehle damit abschneiden könnte, und vielleicht ist das auch ihre Meynung. Aber man muß doch alles andere vorher versuchen, ehe man sich die Kehle abschneide. Ich kan mit diesem Messerchen ein Loch in den Sack bohren, ob es gleich Mühe kosten wird, und wenn ich schon einen Sprung wagen muß, so will ich doch lieber alles wagen als Gefahr lauffen, daß dieser verfluchte Popanz kleine Bratwürstchen für seine Popänzchen aus mir macht. In dieser großmüthigen Entschliessung arbeitete der Prinz Biribinker, oder vielmehr das kleine Messer, worauf ein Talismann eingegraben war, so nachdrücklich, daß er in kurzer Zeit eine ziemliche Oefnung in den Sack machte, ungeachtet die Fäden des Gewebes so dick waren wie Anker-Seile. Er bemerkte, daß die Reise eben durch einen Wald gieng, und dachte seine Zeit so gut in Acht zu nehmen, daß er, indem er sich aus dem Sack heraus stürzte, an dem Wipfel eines hohen Baums sich halten könnte. Diesen Anschlag setzte er ungesäumt ins Werk, ohne daß es der Riese gewahr wurde; allein der Ast, an den er sich halten wollte, brach mit ihm, und der gute Biribinker fiel in ein ziemlich tiefes marmornes Brunnen-Becken voll Wassers, welches zu allem Glück unter ihm lag, denn was er für einen Wald angesehen hatte, befand sich ein sehr schöner Park, der zu einem nicht weit davon gelegenen Schloß gehörte. Er dachte, indem er untertauchte, zum wenigsten in das Caspische Meer gefallen zu seyn, oder besser zu sagen, er dachte gar nichts, so betäubt von Schrecken lag er da, und vermuthlich würde er in seinem Leben das Trockne nicht wieder gesehen haben, wenn nicht eine Nymphe, die sich eben in diesem Brunnen badete, zu seiner Rettung herbey geschwommen wäre. Die Gefahr, worinn sie einen so schönen jungen Menschen sah, machte sie vergessen, in was für einem Zustande sie selbst war, und in der That hätte er leicht ertrinken können, ehe sie ihre Kleider angezogen hätte. Kurz, Biribinker fühlte, da er zu sich selbst kam, daß sein Gesicht an dem schönsten Busen lag, der jemals gewesen ist, und da er die Augen aufthat, sahe er sich am Rande eines grossen Brunnens in den Armen einer Nymphe, die ihm, in dem ungekünstelten Aufzug, worinn er sie sah, beym ersten Anblick so viel und noch mehr Leben wieder gab, als er brauchte.

Dieses Abentheuer setzte ihn in ein so angenehmes Erstaunen, daß er kein Wort hervor bringen konnte. Allein die Nymphe merkte kaum, daß er wieder lebte, so rieß sie sich von ihm loß, und sprang ins Wasser. Biribinker, der sich einbildete, daß sie ihm entfliehen wolle, erhub ein so klägliches Geschrey, als ein kleiner Junge nur immer machen kan, wenn man ihm eine neue Puppe nehmen will. Die schöne Nymphe war wohl sehr weit von einem so grausamen Vorhaben entfernt; denn in wenigen Augenblicken sah er sie schon wieder mit einem Rücken, der die Lilien an Glanz übertraf, aus dem Wasser hervor ragen. Sie hob den Kopf ein wenig empor, aber kaum erblickte sie den Prinzen, so tauchte sie wieder unter, und plätscherte unter dem Wasser fort, bis sie an die andere Seite des Brunnens kam, wo ihre Kleider lagen. Allein da sie sah, daß ihr der Prinz folgte, erhub sie sich mit halbem Leib, aber ganz in ihre lange gelbe Haare eingehüllt, die ihr in dichten wallenden Locken bis zu den Füssen herab flossen, und seinen lüsternen Augen den Anblick von Schönheiten entzogen, welche fähig waren, einen Tithon zu verjüngen.

Sie sind sehr unbescheiden, Prinz Biribinker, sagte sie, daß sie sich in solchen Augenblicken aufdringen, da man allein seyn will.

Vergeben sie mir, schönste Nymphe, antwortete der Prinz, wenn mir ihre Bedenklichkeiten ein wenig unzeitig vorkommen; nach dem Dienst, den sie mir so großmüthig geleistet haben, dächte ich – – – –

Man sehe doch, rief die Nymphe aus, was für einen Uebermuth diese Mannsleute haben! Man untersteht sich nicht ihnen die mindeste kleine Höflichkeit zu erzeigen, ohne daß sie ihre Glossen darüber machen; und ein blosses Werk der Großmuth und des Mitleidens ist in ihren Augen schon eine Aufmunterung, wodurch sie berechtiget zu seyn glauben, sich Freyheiten mit uns heraus zu nehmen. Wie? weil ich gütig genug gewesen bin, ihnen das Leben zu retten, so glauben sie vielleicht – – – –

Sie sind sehr grausam, unterbrach sie der Prinz, daß sie dasjenige einem unbescheidenen Uebermuth beymessen, was eine nothwendige Würkung der Zauberey ihrer Reitzungen ist. Wenn sie mir das Leben wieder nehmen wollen, das sie mir gerettet haben (denn wer kan sie gesehen haben, und die Beraubung eines so entzückenden Anblicks ertragen?) so tödten sie mich wenigstens auf eine großmüthige Art; machen sie ein Denkmal ihrer alles bezwingenden Schönheit aus mir, und lassen mich hier in ihrem Anschauen zum Marmorbilde erstarren.

Sie haben, wie ich höre, eine hübsche Belesenheit in den Poeten, versetzte die Nymphe; wo nahmen sie doch diese Anspielung? – – War nicht einmal eine gewisse Medusa – – Sie haben ihren Ovidius gelesen, das ist gewiß, und man muß gestehen, daß sie ihrem Schulmeister Ehre machen.

Grausame! rief Biribinker mit Ungedult, was für ein Belieben finden sie, die Sprache meines Herzens, welches keinen Ausdruck für seine Empfindungen stark genug findet, mit den Figuren eines schülerhaften Witzes zu verwechseln? – – Sie nehmen ihre Zeit sehr übel, wenn sie disputiren wollen, fiel ihm die Nymphe ein, sehen sie denn nicht, wie viel Vortheile ich in dem Element, worinn ich bin, über sie habe? Aber ich bitte sie, gehen sie hinter diese Myrrthen-Hecken, und erlauben sie mir, daß ich mich ankleide, wenn sie so gut seyn wollen – – Würde es aber nicht großmüthiger von ihnen seyn, wenn sie mir erlaubten, daß ich sie ankleiden hülfe? – – Glauben sie das? erwiederte die Nymphe; ich danke ihnen für ihre Dienstfertigkeit; aber ich möchte ihnen nicht gerne Mühe machen, und sie sehen auch, daß ich Leute genug habe, die diese Arbeit besser gewohnt sind als sie.

Mit diesen Worten bließ sie in ein kleines Ammons-Horn, so ihr an einer Schnur der grösten und feinsten Perlen am Halse hieng, und in einem Augenblick erfüllte sich der ganze Brunnen mit jungen Nymphen, die plätschernd aus dem Wasser herauf fuhren, und einen Kreis um ihre Gebieterin machten. Biribinker konnte sich jetzt noch weniger entschliessen als zuvor auf die Seite zu gehen; aber die Nymphen erblickten ihn kaum, so spritzten sie ihm eine solche Menge Wassers ins Gesicht, daß er, aus Furcht ein anderer Actäon zu werden, so eilfertig davon lief, als ob er schon Hirschläufte hätte. Erfühlte sich alle Augenblicke an die Stirne, da er aber weder Geweyh noch Sprossen merkte, so schlich er wieder zurück, um hinter den Myrthen-Hecken der Ankleidung seiner schönen Nymphe zuzusehen. Allein er kam schon zu spät, die Nymphen waren wieder verschwunden, und indem er hinter der Hecke hervor gehen wollte, fehlte es nicht viel, daß er mit dem Kopf an die Stirne seiner Erretterin angeschlagen hätte; die im Begriff war, ihn zu suchen. Er erstaunte ungemein, da er sie sahe. Wie? Madame, rief er aus, nennen sie das angekleidet seyn?

Warum nicht? antwortete die Nymphe; sehen sie denn nicht, daß ich in einen siebenfachen Schleyer von Leinwand eingewickelt bin? – – Das gestehe ich, sagte der Prinz; wenn das Leinwand ist, so möchte ich wohl denjenigen sehen, der sie gewebt hat; denn das feinste Spinnen-Gewebe ist Segeltuch gegen dieses. Ich hätte geschworen, daß es Luft wäre. Es ist die feinste Art von gewebtem Wasser, versetzte sie, von einer Art trocknem Wasser, welches von Polypen gesponnen, und von unsern Mädchen gewebt wird; es ist die gewöhnliche Kleidung, die wir andern Ondinen zu tragen pflegen. Was für eine andere wollen sie, daß wir haben sollen, da wir uns weder vor Frost noch Hitze zu verwahren brauchen? Der Himmel verhüte, sagte Biribinker, daß ich ihnen eine andere wünsche; aber mich däucht, wenn sie es nicht ungnädig nehmen wollen, sie hätten vorhin nicht nöthig gehabt, so viel Umstände zu machen, wie sie aus dem Bade steigen wollten – – Hören sie, mein Herr von Honigseim, sagte die Nymphe mit einem kleinen spöttischen Naserümpfen, das ihr sehr gut ließ; wenn ich ihnen rathen dürfte, so gewöhnten sie sich das moralisiren ab, denn es ist gerade das, worauf sie sich am wenigsten verstehen. Wissen sie denn nicht, daß der Gebrauch über die Anständigkeit entscheidet? Man sieht wohl, daß sie die Welt nie anders als in einem Bienen-Korbe gesehen haben, und sie würden sehr wohl thun, wenn sie nach dem Rath des weisen Avicenna über nichts urtheilten, was sie zum erstenmal sehen. Aber lassen sie uns von etwas anderm reden. Sie haben noch nicht zu Mittag gegessen, nicht wahr? und so verliebt sie immer, mit gewissen Ausnahmen, in ihr Milchmädchen sind, so weiß ich doch wohl, daß sie nicht gewohnt sind, von Seufzern zu leben.


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