Christoph Martin Wieland
Geschichte der Abderiten
Christoph Martin Wieland

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5. Kapitel

Was zwischen dem Oberpriester und dem Archon vorgefallen – eines der lehrreichsten Kapitel in dieser ganzen Geschichte.

Während dies in dem Vorsaal des Oberpriesters verhandelt wurde, hatte sich dieser in eigner Person zum Archon erhoben, und über eine Sache, woran dem Archon viel gelegen sei, Audienz verlangt.

«O, das wird ganz gewiß die Frösche betreffen», sagte der Ratsherr Meidias, der eben allein bei dem Archon war, und ihm berichtet hatte, daß man den Nomophylax mit seinem ganzen Anhang nach dem Latonentempel habe gehen sehen.

«Daß doch der Henker – verzeih mirs Latona! – alle Frösche hätte!» rief Onokradias ungeduldig: «da wird mir der sauertöpfische Pfaffe die Ohren so voll Warums und Darums schwatzen, daß ich am Ende nicht wissen werde wo mir der Kopf steht! Helfen Sie mir, ich bitte Sie, von dem gespenstmäßigen alten Kerl!»

Meidias lachte über die Verlegenheit des Archons. «Hören Sie ihn immer an», sagte er; «aber halten Sie fest über Ihrem Ansehen, und an dem Grundsatze, daß Not kein Gesetz hat. Wir können uns doch wahrlich nicht von Fröschen auffressen lassen; und wenns so fortgehen sollte wie bisher, so möchte uns Latona eben sowohl allzumal in Frösche verwandeln. Es wäre immer noch das glücklichste was uns widerfahren könnte, wenn uns nicht bald auf andre Weise geholfen wird. Allenfalls kanns auch nicht schaden, wenn Euer Gnaden dem Priester zu verstehen geben, daß Jason auch einen Tempel zu Abdera hat, und daß Götter nur in so fern Götter sind als sie Gutes tun.»

«Schön, schön», sagte der Archon. «Wenn ich nur alles so behalten könnte, wie Sie mirs da gesagt haben! Aber ich will mich schon zusammen nehmen. Laßt den Priester nur anrücken! – Gehn Sie indessen in mein Kabinett, Meidias. Sie werden eine feine Anzahl kleiner Stücke von Parrhasius darin finden, die man nicht überall sieht. – Aber sagen Sie meiner Frau nichts davon! Sie verstehen mich doch?»

Meidias schlich sich in das Kabinett; der Archon stellte sich in Positur, und Stilbon wurde vorgelassen. «Gnädiger Herr Archon», sagte er, «ich komme Euer Gnaden einen guten Rat zu geben, weil ich eine große Meinung von Dero Weisheit hege und gern Unheil verhüten möchte.»

«Ich danke Ihnen für beides, Herr Oberpriester! Ein guter Rat findet, wie Sie wissen, eine gute Statt. Was haben Sie anzubringen?»

«Der Senat», fuhr Stilbon fort, «hat sich, wie ich höre, in Sachen die Frösche der Latona betreffend eines übereilten Schlusses schuldig gemacht –»

«Herr Oberpriester! – –»

«Ich sage nicht daß sie es aus bösem Willen getan haben. Die Menschen sündigen bloß, weil sie unwissend sind. Hier bringe ich Euer Gnaden ein Buch, woraus Sie sich belehren können was es mit unsern Fröschen für eine Bewandtnis hat. Es hat mir viele Mühe und Nachtwachen gekostet. Sie können daraus lernen, daß die Akademie, die von gestern her ist, kein Recht haben kann über Frösche zu erkennen, die so alt sind als die Gottheit der Latona. Die Frösche zu Abdera sind, wie wir alle wissen sollten, ganz ein ander Ding als die Frösche andrer Orte in der Welt. Sie gehören der Latona an. Sie sind niemals aussterbende Zeugen und lebendige Dokumente ihrer Gottheit. Es ist Unsinn, zu sagen daß ihrer zu viel sein könnten, und ein Sakrilegium, von Mitteln zu reden wodurch ihre Anzahl vermindert werden soll.»

«Ein Sakrilegium, Herr Oberpriester?»

«Ich verdiente nicht Oberpriester zu sein, wenn ich zu solchen Dingen schweigen wollte. Denn, wenn wir einmal zugelassen hätten, daß die Anzahl der Latonenfrösche vermindert werden dürfe: so möchten unsre noch schlimmern Nachkommen wohl gar so weit verfallen, sie gänzlich ausrotten zu wollen. Wie gesagt, in diesem Buche werden Euer Gnaden alles finden, was von der Sache zu glauben ist. Sorgen Sie dafür, daß Abschriften davon gemacht und jedes Haus mit einem Exemplar versehen werde. Ist dies geschehen, dann wird das sicherste sein gar nicht mehr über die Sache zu räsonieren. Die Akademie mag sonst Gutachten stellen worüber sie immer will. Die ganze Natur liegt vor ihr offen. Sie kann reden vom Elefanten bis zur Blattlaus, vom Adler bis zur Wassermotte, vom Walfisch bis zur Schmerle, und von der Zeder bis zum Lykopodion: aber von den Fröschen soll sie schweigen!»

«Herr Oberpriester», sagte der Archon, «die Götter sollen mich bewahren daß ich mir jemals einfallen lasse, zu untersuchen was es mit Ihren Fröschen für eine Bewandtnis hat. Ich bin Archon, um alles in Abdera zu lassen wie ich es gefunden habe. Indessen liegt am Tage, daß wir uns vor lauter Fröschen nicht mehr rühren können; und diesem Unwesen muß gesteuert werden. Denn schlimmer darfs nicht mit uns werden, das sehen Sie selbst. Unsre Voreltern begnügten sich den geheiligten Teich zu unterhalten, und wer seinen eignen Froschgraben haben wollte, dem stands frei. Dabei hätte mans lassen sollen. Da es aber nun einmal so weit mit uns gekommen ist, daß wir nächstens in Gefahr sind lebendig oder tot von Fröschen gefressen zu werden: so werden uns Euer Ehrwürden doch wohl nicht zumuten wollen, daß wirs darauf ankommen lassen sollen? Denn, wenn einer von Fröschen gefressen würde, so möchts ihm wohl ein schlechter Trost sein, zu denken daß es keine gemeine Frösche seien. Kurz und gut, Herr Oberpriester! die Akademie soll ihr Gutachten stellen weil ihrs vom Senat aufgetragen worden ist; und – mit aller Achtung die ich Euer Ehrwürden schuldig bin, ich werde Ihr Buch nicht lesen; und es soll mir ein- für allemal ausgemacht werden, ob die Frösche um der Abderiten willen, oder die Abderiten um der Frösche willen da sind. Denn so bald die Republik durch die Frösche in Gefahr gesetzt wird, sehen Sie, so wird eine Staatssache daraus, und da haben die Priester der Latona nichts drein zu reden, wie Sie wissen. Denn Not hat kein Gesetz, und – mit Einem Wort, Herr Oberpriester, wir wollen uns nicht von Ihren Fröschen fressen lassen. Sollten Sie aber wider Verhoffen darauf bestehen: so täte mirs leid, wenn ich Ihnen sagen müßte, daß der Latonentempel nicht der einzige in Abdera ist, und das goldne Vlies, dessen Verwahrung die Götter meiner Familie anvertraut haben, könnte vielleicht eine bisher noch unerkannte Tugend äußern, und Abdera auf einmal von – aller Not befreien. Mehr will ich nicht sagen. Aber merken Sie sich das, Herr Oberpriester! Der Krug geht so lange zum Wasser bis er bricht.»

Der gute Oberpriester wußte nicht ob er wache oder träume, da er den Archon, den er immer für einen wohldenkenden und exemplarischen Regenten gehalten hatte, eine solche Sprache führen hörte. Er stand eine Weile da, ohne ein Wort hervorbringen zu können; nicht weil er nichts zu sagen wußte, sondern weil er so viel zu sagen hatte, daß er nicht wußte wo er anfangen sollte. – «Das hätte ich nimmermehr für möglich gehalten», fing er endlich an, «daß ich die Zeit erleben sollte, wo der Oberpriester der Latona aus dem Munde eines Archons hören müßte was ich gehört habe!»

Dem Archon fing bei diesen Worten an unheimlich zu werden. Denn, weil er selbst nicht mehr so eigentlich wußte was er dem Oberpriester gesagt hatte, so wurde ihm bang, er möchte mehr gesagt haben als sich geziemte. Er sah mit einiger Verlegenheit nach der Kabinettür, als ob er seinen geheimen Rat Meidias gern zu Hülfe gerufen hätte. Da er sich aber diesmal allein helfen mußte, so zupfte er sich wechselsweise bald an der Nase bald am Bart, hustete, räusperte sich, und erwiderte endlich dem Oberpriester mit aller Würde, die er sich in der Eile geben konnte: «Ich weiß nicht wie ich das nehmen soll was Sie mir da sagten. Aber das weiß ich, wenn Sie was gehört zu haben glauben das Sie nicht hätten hören sollen, so müssen Sie mich ganz unrecht verstanden haben. Sie sind ein sehr gelehrter Mann, und ich trage alle mögliche Achtung für Ihre Person und Ihr Amt –»

«Sie wollen also mein Buch lesen?» fragte Stilbon.

«Das eben nicht; aber – wenn Sie darauf bestehen – wenn Sie glauben, daß es schlechterdings –»

«Man soll das Gute niemand aufdringen», sagte der Priester mit einer Empfindlichkeit über die er nicht Meister war. «Ich will es Ihnen da lassen. Lesen Sie es oder nicht! Desto schlimmer für Sie, wenn es Ihnen gleichgültig ist ob Sie richtig oder unrichtig denken –»

«Herr Oberpriester», fiel ihm der Archon, der endlich auch warm zu werden anfing, ins Wort, «Sie sind ein empfindlicher Mann wie ich sehe. Ich verdenk es Ihnen zwar nicht daß Ihnen die Frösche am Herzen liegen, denn dafür sind Sie Oberpriester: Sie sollten aber auch bedenken, daß ich Archon über Abdera und nicht über einen Froschteich bin. Bleiben Sie in Ihrem Tempel und regieren Sie dort wie Sie wollen und können; auf dem Rathause lassen Sie uns regieren. Die Akademie soll ihr Gutachten über die Frösche stellen, dafür geb ich Ihnen mein Wort! – und es soll Ihnen kommuniziert werden ehe der Senat einen Schluß darüber faßt, darauf können Sie sich auch verlassen!»

Der Oberpriester verschlang seinen Unwillen über den unerwarteten schlechten Erfolg seines Besuchs so gut er konnte, machte seinen Bückling, und zog sich zurück, mit der Versicherung, daß er vollkommen überzeugt sei, der Senat werde nichts in Sachen verfügen, ohne mit den Priestern des Latonentempels vorher einverstanden zu sein. Der Archon versicherte ihm dagegen zurück, daß ihm die Rechte des Latonentempels so heilig seien als die Rechte des Senats und das Beste der Stadt Abdera; und somit schieden sie, nach Gestalt der Sachen, noch ziemlich höflich von einander.

«Der Pfaffe hat mir warm gemacht», sagte der Archon zum Ratsherren Meidias, indem er sich mit seinem Schnupftuche die Stirne wischte.

«Sie haben sich aber auch tapfer gehalten», versetzte der Ratsherr. «Das Pfäffchen wird Gift und Galle kochen; aber seine Blitze sind nur von Bärenlappen. Man braucht sich nur auf seine Distinktionen und Syllogismen nicht einzulassen, so ist er geschlagen, und weiß weder wo aus noch wo an.»

«Ja, wenn der Nomophylax nicht hinter ihm stäke», erwiderte der Archon. «Ich wollte daß ich mich nicht so weit heraus gelassen hätte. Aber was das auch für eine Zumutung ist, das dicke Buch zu lesen, woran sich der hohläugige alte Kerl blind geschrieben hat! Wer hätte nicht ungeduldig werden sollen!»

«Sorgen Sie für nichts, Herr Archon! Wir haben die Akademie für uns, und in wenig Tagen sollen auch die Lacher in ganz Abdera auf unsrer Seite sein. Ich will Liedchen und Gassenhauer unter das Volk streuen. Der Balladenmacher Lelex soll mir die Geschichte der Lycischen Froschbauern in eine Ballade bringen, über die sich die Leute krank lachen sollen. Man muß die Herren mit ihren Fröschen lächerlich machen. Auf eine feine Art, versteht sich; aber Schlag auf Schlag, Gassenhauer auf Gassenhauer! Euer Gnaden sollen sehen, wie das Mittel anschlagen wird.»

«Ich will es herzlich wünschen», sagte der Archon; «denn Sie können sich kaum vorstellen, wie mir die verwetterten Frösche diesen nassen Sommer über meinen Garten zugerichtet haben! Ich kann den Jammer gar nicht mehr ansehen. Es fehlt uns nichts, als daß nächstens ein trocknes Jahr käme und uns noch eine Armee von Feldmäusen und Maulwürfen über den Hals schickte.»

«Fürs erste wollen wir uns die Frösche vom Leibe schaffen», versetzte Meidias: «für die Mäuse, die noch kommen sollen, wirds dann auch Mittel geben.»

«Aber was, zum Henker, soll ich mit dem dicken Buche machen, das mir der Oberpriester zurück gelassen hat?» sagte der Archon. – «Sie werden mir doch nicht zumuten wollen daß ichs lesen soll?»

«Da sei Jason und Medea vor, Herr Archon», versetzte Meidias. «Geben Sie mirs. Ich wills meinem Vetter Korax bringen, dem ohne Zweifel die Ausfertigung des Gutachtens von der Akademie aufgetragen werden wird. Er wird guten Gebrauch davon machen, dafür bin ich Ihnen Bürge.»

«Es mag schönes Zeug drin stehen» – sagte der Archon.

«Wenn es sonst zu nichts zu gebrauchen ist», erwiderte der Ratsherr, «so machen wirs zu Pulver, und gebens den Ratten ein, die, nach Euer Gnaden Weissagung, noch kommen sollen. Es muß ein herrliches Rattenpulver geben!»


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