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Das Ungemach, das die Abderiten von der ungeheuern Vermehrung ihrer heiligen Frösche erduldeten, wurde inzwischen von Tag zu Tag drückender, ohne daß der damalige Archon Onokradias (ein Schwiegersohn des berühmten Onolaus, und, die Wahrheit zu sagen, der lockerste Kopf, der jemals am Ruder von Abdera gewackelt hatte) vermocht werden konnte, die Sache vor den Senat zu bringen – bis bei einer großen Feierlichkeit, wo der Rat und die ganze Bürgerschaft in Prozession durch die Hauptstraßen ziehen mußte, das Unglück geschah, daß ein paar Dutzend Frösche, die sich zu weit aus ihren Gräben heraus gewagt hatten, im Gedränge des Volks zertreten wurden, und, aller schleunig vorgekehrten Hülfe ungeachtet, jämmerlich ums Leben kamen.
Dieser Vorfall schien so bedenklich, daß sich der Archon genötiget fand eine außerordentliche Ratsversammlung ansagen zu lassen, um zu beratschlagen, was für eine Genugtuung die Stadt für dieses zwar unvorsätzliche aber nichts desto weniger höchst unglückliche Sakrilegium der Latona zu leisten hätte, und durch was für Vorkehrungen einem ähnlichen Unglücke fürs künftige vorgebaut werden könnte.
Nachdem eine gute Weile viel Abderitische Plattheiten über die Sache vorgetragen worden waren, platzte endlich der Ratsherr Meidias, ein Verwandter und Anhänger des Philosophen Korax, heraus: «Ich begreife nicht, warum die Herren um ein halb Schock Frösche mehr oder weniger ein solches Aufheben machen mögen. Jedermann ist überzeugt, daß die Sache ein bloßer Zufall war, den uns Latona unmöglich übel nehmen kann; und, weil das Schicksal, das über Götter, Menschen und Frösche zu befehlen hat, doch nun einmal den Untergang einiger quakenden Geschöpfe bei dieser Gelegenheit verhängen wollte, möchtens doch anstatt vierundzwanzig eben so viele Myriaden gewesen sein!»
Es waren unter allen Ratsherren vielleicht nicht fünf, die in ihrem Hause oder in Privatgesellschaften (wenigstens seit Korax zuerst die Entdeckung gemacht) nicht tausendmal über die allzu große Vermehrung der Frösche geklagt hätten. Gleichwohl, da es in vollem Senat noch nie darüber zur Sprache gekommen war, stutzte jedermann über die Kühnheit des Ratsherrn Meidias, nicht anders als ob er der Latona selbst an die Kehle gegriffen hätte. Einige alte Herren sahen so erschrocken aus, als ob sie erwarteten, daß ihr Herr Kollege für diese verwegene Rede auf der Stelle zum Frosch werden würde.
«Ich hege alle gebührende Achtung für den geheiligten Teich, (fuhr Meidias, der alles wohl bemerkte, ganz gelassen fort) aber ich berufe mich auf die innere Überzeugung aller Menschen deren Mutterwitz noch nicht ganz eingetrocknet ist, ob jemand unter uns ohne Unverschämtheit leugnen könne, daß die Menge der Frösche in Abdera ungeheuer ist.»
Die Ratsherren hatten sich indessen von ihrem ersten Schrecken wieder erholt; und wie sie sahen, daß Meidias noch immer in seiner eignen Gestalt da saß, und ungestraft hatte sagen dürfen was sie im Grunde allesamt als Wahrheit fühlten, so fing einer nach dem andern an zu bekennen; und nach einer kleinen Weile zeigte sichs, daß der ganze Senat einhellig der Meinung war: es wäre zu wünschen, daß der Frösche in Abdera weniger sein möchten.
«Man ist in seinem eignen Hause nicht mehr vor ihnen sicher», sagte einer. – «Man kann nicht über die Straße gehen, ohne Gefahr zu laufen einen oder ein paar mit jedem Tritte zu zerquetschen», sagte ein andrer. – «Man hätte der Freiheit, Froschgräben anzulegen, gleich anfangs Schranken setzen sollen», sagte ein dritter. – «Wär ich damals im Senat gewesen, da die Stiftung der öffentlichen Froschteiche beschlossen wurde, ich würde meine Stimme nimmermehr dazu gegeben haben», sagte ein vierter. – «Wer hätte aber auch gedacht, daß sich die Frösche in wenig Jahren so unmenschlich vermehren würden?» sagte ein fünfter. – «Ich sah es wohl vorher», sagte der Präsident der Akademie; «aber ich habe mir zum Gesetz gemacht, mit den Priestern der Latona in Frieden zu leben.»
«Ich auch», sagte Meidias; «aber unsre Umstände werden dadurch nicht gebessert.»
«Was ist also bei so gestalten Sachen anzufangen, meine Herren?» fragte endlich in seinem gewöhnlichen nieselnden Tone der Archon Onokradias.
«Da sitzt eben der Knoten!» antworteten die Ratsherren aus Einem Munde. «Wenn uns nur jemand sagen wollte was anzufangen ist!»
«Was anzufangen ist?» rief Meidias hastig, und hielt plötzlich wieder ein.
Es erfolgte eine allgemeine Stille in der Ratsstube. Die weisen Männer ließen ihre Häupter auf die Brust fallen, und schienen mit Anstrengung aller ihrer Gesichtsmuskeln nachzusinnen was anzufangen sei.
«Aber wofür haben wir denn eine Akademie der Wissenschaften in Abdera?» rief nach einer Weile der Archon zu allgemeiner Verwunderung aller Anwesenden. Denn man hatte ihn seit seiner Erwählung zum Archontat noch nie seine Meinung in einer rhetorischen Figur vorbringen hören.
«Der Gedanke Seiner Hochweisheit ist unverbesserlich», versetzte der Ratsherr Meidias: «man trage der Akademie auf, ihr Gutachten zu geben, durch was für Mittel –»
«Das ists eben, was ich meine», unterbrach ihn der Ar chon: «wofür haben wir eine Akademie, wenn wir uns mit dergleichen subtilen Fragen die Köpfe zerbrechen sollen?»
«Vortrefflich!» rief eine Menge dicker Ratsherren, indem sie sich alle zugleich mit der flachen Hand über ihre platten Stirnen fuhren. – «Die Akademie! die Akademie soll ein Gutachten stellen!»
«Ich bitte Sie, meine Herren», rief Hypsiboas, einer der Häupter der Republik; denn er war zur Zeit Nomophylax, erster Froschpfleger, und Mitglied des ehrwürdigen Kollegiums der Zehnmänner. Aller dieser Würden ungeachtet lebte schwerlich in ganz Abdera ein Mann, der an Latonen und ihren Fröschen im Herzen weniger Anteil nahm als er. Aber weil ihm der Jasonide Onokradias bei der letzten Archonswahl vorgezogen worden war, so hatte er sichs zum Grundsatz gemacht, dem neuen Archon immer und in allem zuwider zu sein. Er wurde daher von den Jasoniden und ihren Freunden nicht unbillig beschuldiget: daß er ein unruhiger Kopf sei, und mit nichts geringerm umgehe als eine Partei im Rate zu formieren, die sich allen Absichten und Schlüssen der Jasoniden (welche freilich seit langer Zeit den Meister in der Stadt gespielt hatten) entgegen setzen sollte. – «Ich bitte Sie, meine Herren, übereilen Sie sich nicht», rief Hypsiboas: «die Sache gehört nicht vor die Akademie, sie gehört vor das Kollegium der Froschpfleger. Es wäre wider alle gute Ordnung, und würde von den Priestern der Latona als die gröbste Beleidigung aufgenommen werden müssen, wenn man eine Frage von dieser Natur und Wichtigkeit der Akademie auftragen wollte!»
«Es betrifft aber keine bloße Froschsache, Herr Nomophylax», sagte Meidias mit seiner gewöhnlichen spöttischen Gelassenheit; «leider! ist es, Dank sei den schönen Anstalten die man seit einigen Jahren getroffen hat, eine Staatssache –»
«Und vielleicht die wichtigste, die jemals ein allgemeines Zusammentreten aller vaterländisch gesinnten Gemüter notwendig gemacht hat», fiel ihm Stentor ins Wort; Stentor, einer der heißesten Köpfe in der Stadt, der seiner polternden Stimme wegen viel im Senat vermochte. Die Jasoniden hatten ihn, wiewohl er nur ein Plebejer war, durch die Vermählung mit einer natürlichen Tochter des verstorbenen Erzpriesters Agathyrsus auf ihre Seite gebracht, und pflegten sich gewöhnlich seiner guten Stimme zu bedienen, wenn etwas gegen den Nomophylax Hypsiboas durchzusetzen war, der eine eben so starke, wiewohl nicht völlig so polternde Stimme hatte als Stentor.
Wohl bekam es diesmal den Ohren der Abderitischen Ratsherren, daß sie durch das ewige Koax Koax ihrer Frösche ein wenig dickhäutig geworden waren; sie würden sonst in Gefahr gewesen sein, bei dieser Gelegenheit völlig taub zu werden. Aber man war solcher Artigkeiten auf dem Rathause zu Abdera schon gewohnt, und ließ also die beiden mächtigen Schreier, gleich zwei eifersüchtigen Bullen, einander so lange anbrüllen, bis sie – vor Heiserkeit nicht mehr schreien konnten.
Da es von diesem Augenblick an nicht mehr der Mühe wert war ihnen zuzuhören, so fragte der Archon den Stadtschreiber: wie viel die Uhr sei? – und auf die Versicherung, daß die Mittagsessenszeit heran nahe, wurde unverzüglich zur Umfrage geschritten.
Hier beliebe man sich zu erinnern, daß es auf dem Rathause zu Abdera bei Abfassung eines Schlusses niemals darum zu tun war, die Gründe, welche für oder wider eine Meinung vorgetragen worden waren, kaltblütig gegen einander abzuwägen, und sich auf die Seite desjenigen zu neigen, der die besten gegeben hatte: sondern man schlug sich entweder zu dem der am längsten und lautesten geschrien hatte, oder zu dem dessen Partei man hielt. Nun pflegte zwar die Partei des Archons in gewöhnlichen Sachen fast immer die stärkere zu sein; aber diesmal, da es (mit dem Präsidenten der Akademie zu reden) einen so schlüpfrigen Punkt betraf, würde Onokradias schwerlich die Oberhand erhalten haben, wenn Stentor seine Lunge nicht ganz außerordentlich angegriffen hätte. Es wurde also mit achtundzwanzig Stimmen gegen zweiundzwanzig beschlossen: daß der Akademie ein Gutachten abgefordert werden sollte, durch was für Mittel und Wege der übermäßigen Vermehrung der Frösche in und um Abdera (jedoch der schuldigen Ehrfurcht für Latonen und den Rechten ihres Tempels in alle Wege unbeschadet) Einhalt getan werden könnte.
Die Klausel hatte der Ratsherr Meidias ausdrücklich einrücken lassen, um der Partei des Nomophylax keinen Vorwand zu lassen, das Volk gegen die Majorität aufzuwiegeln. Aber Hypsiboas und sein Anhang versicherten, daß sie nicht so einfältig wären sich durch Klauseln eine Nase drehen zu lassen. Sie protestierten gegen den Schluß zum Protokoll, ließen sich davon Extractum in forma probante erteilen, und begaben sich unverzüglich in Prozession zu dem Oberpriester Stilbon, um Seiner Ehrwürden von diesem unerhörten Eingriffe in die Rechte der Froschpfleger und des Latonentempels Nachricht zu geben, und die Maßnehmungen mit ihm abzureden, welche zu Aufrechterhaltung ihres Ansehens schleunigst ergriffen werden müßten.