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Hippokrates traf, wie die Geschichte sagt, unsern Naturforscher bei der Zergliederung verschiedener Tiere an, deren innerlichen Bau und animalische Ökonomie er untersuchen wollte, um vielleicht auf die Ursachen gewisser Verschiedenheiten in ihren Eigenschaften und Neigungen zu kommen. Diese Beschäftigung bot ihnen reichen Stoff zu einer Unterredung an, welche Demokriten nicht lange über die Person des Fremden ungewiß ließ. Ihr gegenseitiges Vergnügen über eine so unvermutete Zusammenkunft war der Größe ihres beiderseitigen Wertes gleich, aber auf Demokrits Seite um so viel lebhafter, je länger er in seiner Abgeschiedenheit von der Welt des Umgangs mit einem Wesen seiner Art hatte entbehren müssen.
Es gibt eine Art von Sterblichen, deren schon von den Alten hier und da unter dem Namen der Kosmopoliten Erwähnung getan wird, und die – ohne Verabredung, ohne Ordenszeichen, ohne Loge zu halten, und ohne durch Eidschwüre gefesselt zu sein – eine Art von Brüderschaft ausmachen, welche fester zusammen hängt als irgend ein anderer Orden in der Welt. Zwei Kosmopoliten kommen, der eine von Osten, der andere von Westen, sehen einander zum ersten Male, und sind Freunde; – nicht vermöge einer geheimen Sympathie, die vielleicht nur in Romanen zu finden ist; – nicht, weil beschworne Pflichten sie dazu verbinden; sondern, weil sie Kosmopoliten sind. In jedem andern Orden gibt es auch falsche oder wenigstens unwürdige Brüder: in diesem hingegen ist dies eine völlige Unmöglichkeit; und das ist, deucht uns, kein geringer Vorzug der Kosmopoliten vor allen andern Gesellschaften, Gemeinheiten, Innungen, Orden und Brüderschaften in der Welt. Denn wo ist eine von allen diesen, welche sich rühmen könnte, daß sich niemals ein Ehrsüchtiger, ein Neidischer, ein Geiziger, ein Wucherer, ein Verleumder, ein Prahler, ein Heuchler, ein Zweizüngiger, ein heimlicher Ankläger, ein Undankbarer, ein Kuppler, ein Schmeichler, ein Schmarotzer, ein Sklave, ein Mensch ohne Kopf oder ohne Herz, ein Pedant, ein Mückensäuger, ein Verfolger, ein falscher Prophet, ein Gaukler, ein Plusmacher und ein Hofnarr in ihrem Mittel befunden habe? Die Kosmopoliten sind die einzigen, die sich dessen rühmen können. Ihre Gesellschaft hat nicht vonnöten, durch geheimnisvolle Zeremonien und abschreckende Gebräuche, wie ehmals die Ägyptischen Priester, die Unreinen von sich auszuschließen. Diese schließen sich selbst aus, und man kann eben so wenig ein Kosmopolit scheinen wenn man es nicht ist, als man sich ohne Talent für einen guten Sänger oder Geiger ausgeben kann. Der Betrug würde an den Tag kommen, so bald man sich hören lassen müßte. Die Art, wie die Kosmopoliten denken, ihre Grundsätze, ihre Gesinnungen, ihre Sprache, ihr Phlegma, ihre Wärme, sogar ihre Launen, Schwachheiten und Fehler, lassen sich unmöglich nachmachen, weil sie für alle, die nicht zu ihrem Orden gehören, ein wahres Geheimnis sind. Nicht ein Geheimnis, das von der Verschwiegenheit der Mitglieder, oder von ihrer Vorsichtigkeit nicht behorcht zu werden, abhängt; sondern ein Geheimnis, auf welches die Natur selbst ihren Schleier gedeckt hat. Denn die Kosmopoliten könnten es ohne Bedenken bei Trompetenschall durch die ganze Welt verkündigen lassen, und dürften sicher darauf rechnen, daß außer ihnen selbst kein Mensch etwas davon begreifen würde. Bei dieser Bewandtnis der Sache ist nichts natürlicher, als das innige Einverständnis und das gegenseitige Zutrauen, das sich unter zwei Kosmopoliten sogleich in der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft festsetzt. Pylades und Orestes waren, nach einer zwanzigjährigen Dauer ihrer durch alle Arten von Prüfungen und Opfern bewährten Freundschaft, nicht mehr Freunde, als es jene von dem Augenblick an, da sie einander erkennen, sind. Ihre Freundschaft hat nicht vonnöten durch die Zeit zur Reife gebracht zu werden; sie bedarf keiner Prüfungen: sie gründet sich auf das notwendigste aller Naturgesetze, auf die Notwendigkeit, uns selbst in demjenigen zu lieben der uns am ähnlichsten ist.
Man würde etwas wo nicht unmögliches, doch gewiß ungereimtes von uns verlangen, wenn man erwartete, daß wir uns über das Geheimnis der Kosmopoliten noch deutlicher heraus lassen sollten. Denn es gehört (wie wir deutlich genug zu vernehmen gegeben haben) zur Natur der Sache, daß alles, was man davon sagen kann, ein Rätsel ist, wozu nur die Glieder dieses Ordens den Schlüssel haben. Das einzige, was wir noch hinzu setzen können, ist, daß ihre Anzahl zu allen Zeiten sehr klein gewesen, und daß sie, ungeachtet der Unsichtbarkeit ihrer Gesellschaft, von jeher einen Einfluß in die Dinge dieser Welt behauptet haben, dessen Wirkungen desto gewisser und dauerhafter sind, weil sie kein Geräusch machen, und meistens durch Mittel erzielt werden, deren scheinbare Richtung die Augen der Menge irre macht. Wem dies ein neues Rätsel ist – den ersuchen wir lieber fortzulesen, als sich mit einer Sache, die ihn so wenig angeht, ohne Not den Kopf zu zerbrechen.
Demokrit und Hippokrates gehörten beide zu dieser wunderbaren und seltnen Art von Menschen. Sie waren also schon lange, wiewohl unbekannter Weise, die vertrautesten Freunde gewesen; und ihre Zusammenkunft glich vielmehr dem Wiedersehen nach einer langen Trennung, als einer neu angehenden Verbindung. Ihre Gespräche, nach welchen der Leser vielleicht begierig ist, waren vermutlich interessant genug um der Mitteilung wert zu sein. Aber sie würden uns zu weit von den Abderiten entfernen, die der eigentliche Gegenstand dieser Geschichte sind. Alles, was wir davon zu sagen haben, ist: daß unsre Kosmopoliten den ganzen Abend und den größten Teil der Nacht in einer Unterredung zubrachten, wobei ihnen die Zeit sehr kurz wurde; und daß sie ihrer Gegenfüßler, der Abderiten und ihres Senats, und der Ursache warum sie den Hippokrates hatten kommen lassen, so gänzlich darüber vergaßen, als ob niemals so ein Ort und solche Leute in der Welt gewesen wären.
Erst des folgenden Morgens, da sie nach einem leichten Schlaf von wenigen Stunden wieder zusammen kamen, um auf einer an die Gärten Demokrits grenzenden Anhöhe der Morgenluft zu genießen, erinnerte der Anblick der unter ihnen im Sonnenglanz liegenden Stadt den Hippokrates, daß er in Abdera Geschäfte habe. «Kannst du wohl erraten», sagte er zu seinem Freunde, «zu welchem Ende mich die Abderiten eingeladen haben?»
«Die Abderiten haben dich eingeladen?» rief Demokrit. «Ich hörte doch diese Zeit her von keiner Seuche, die unter ihnen wüte! Es ist zwar eine gewisse Erbkrankheit, mit der sie alle samt und sonders, bis auf sehr wenige, von alten Zeiten her behaftet sind: aber –»
«Getroffen, getroffen, guter Demokrit, dies ist die Sache!»
«Du scherzest», erwiderte unser Mann: «die Abderiten sollten zum Gefühl, wo es ihnen fehlte, gekommen sein? Ich kenne sie zu gut. Darin liegt eben ihre Krankheit, daß sie dies nicht fühlen.»
«Indessen», sagte der andre, «ist nichts gewisser, als daß ich jetzt nicht in Abdera wäre, wenn die Abderiten nicht von dem nämlichen Übel, wovon du sprichst, geplagt würden. Die armen Leute!»
«Ah! nun versteh ich dich! Deine Berufung konnte eine Wirkung ihrer Krankheit sein, ohne daß sie es selbst wußten. Laß doch sehen! – Ha! da haben wirs. Ich wette, sie haben dich kommen lassen, um dem ehrlichen Demokrit so viel Aderlässe und Niesewurz zu verordnen, als er vonnöten haben möchte, um ihres gleichen zu werden! Nicht wahr?»
«Du kennst deine Leute vortrefflich, wie ich sehe, Demokrit: aber um so kaltblütig von ihrer Narrheit zu reden, muß man so daran gewöhnt sein wie du.»
«Als ob es nicht allenthalben Abderiten gäbe.»
«Aber Abderiten in diesem Grade! Vergib mir, wenn ich deinem Vaterlande nicht so viel Nachsicht schenken kann als du. Indessen versichre dich, sie sollen mich nicht umsonst zu sich berufen haben!»