Christoph Martin Wieland
Geschichte der Abderiten
Christoph Martin Wieland

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4. Kapitel

Merkwürdiges Beispiel von der guten Staatswirtschaft der Abderiten. Beschluß der Digression über ihr Theaterwesen.

Ehe wir von dieser Abschweifung zum Verfolg unsrer Geschichte zurückkehren, möchte es nötig sein, dem geneigten Leser einen kleinen Zweifel zu benehmen, der ihm während vorstehender kurzen Abschattung des Abderitischen Schauspielwesens aufgestoßen sein möchte.

Es ist nicht wohl zu begreifen, wird man sagen, wie das Ärarium von Abdera, dessen Einkünfte eben nicht so gar beträchtlich sein konnten, eine so ansehnliche Nebenausgabe, wie ein tägliches Schauspiel mit allen seinen Artikeln ist, in die Länge habe bestreiten können; gesetzt auch, daß die Dichter ohne Sold noch Lohn, aus purem Patriotismus, oder um die bloße Ehre gedient hätten. Wofern aber dies letztere war, wird man kaum glaublich finden, daß es so manchen Theaterdichter von Profession in Abdera gegeben, und daß der große Hyperbolus, mit allem seinem Patriotismus und Eigennutz, es bis auf einhundertundzwanzig dramatische Stücke sollte getrieben haben.

Um nun den günstigen Leser nicht ohne Not aufzuhalten, wollen wir ihm nur gleich unverhohlen gestehen, daß ihre Theaterdichter keineswegs umsonst arbeiteten, (denn das große Gesetz, «dem Ochsen, der da drischt, sollst du nicht das Maul verbinden!» ist ein Naturgesetz, dessen allgemeine Verbindlichkeit auch sogar die Abderiten fühlten) und daß, vermöge einer besondern Finanzoperation, das Stadtärarium des Theaters halben eigentlich keine neue Ausgabe zu bestreiten hatte, sondern dieser Aufwand größten Teils an andern nötigern und nützlichern Artikeln erspart wurde.

Die Sache verhielt sich so. So bald die Gönner des Theaters sahen, daß die Abderiten Feuer gefaßt hatten, und Schauspiele zum Bedürfnis für sie geworden waren, ermangelten sie nicht, dem Volke durch die Zunftmeister vorstellen zu lassen: daß das Ärarium einem so großen Zuwachs von Ausgaben ohne neue Einnahmsquellen oder Einziehung andrer Ausgaben nicht gewachsen sei. Dies veranlaßte denn, daß eine Kommission niedergesetzt wurde, welche, nach mehr als sechzig zahlbaren Sitzungen, endlich einen Entwurf einer Einrichtung des gemeinen Abderitischen Theaterwesens vor Rat legte, den man so gründlich und wohl ausgesonnen fand, daß er stracks in einer allgemeinen Versammlung der Bürgerschaft zu einem Fundamentalgesetz der Stadt Abdera gestempelt wurde.

Wir würden uns ein Vergnügen daraus machen, dieses Abderitische Meisterstück auch vor unsre Leser zu legen, wenn wir ihnen Geduld genug zutrauen dürften es zu lesen. Sollte aber irgend ein gemeines Wesen in oder außer dem heiligen Römischen Reiche die Mitteilung desselben wünschen: so ist man erbötig, solche auf erfolgte Requisition, gegen bloße Erstattung der Schreibauslagen, unentgeltlich mitzuteilen. Alles, was wir hier davon sagen können, ist: daß, vermöge dieser Einrichtung, sine aggravio Publici, – durch bloße Ersparung einer Menge anderer Ausgaben, die man freilich in jedem andern Staate für nötiger und nützlicher als die Unterhaltung eines Nationaltheaters angesehen hätte – hinlängliche Fonds ausgemacht wurden, «die Abderiten wöchentlich viermal mit Schauspielen zu traktieren; sowohl Dichter, Schauspieler und Orchester, als die Herren Deputierten und den Nomophylax gehörig zu remunerieren; und überdies noch die beiden untersten Klassen der Zuschauer bei jeder Vorstellung viritim mit einem Pfennigbrot und zwei trocknen Feigen zu gratifizieren». – Der einzige Fehler dieser schönen Einrichtung war, daß die Herren von der Kommission sich in Berechnung der Einnahme und Ausgabe (wegen deren Richtigkeit man sich auf ihre bekannte Dexterität verließ) um achtzehntausend Drachmen (ungefähr dreitausend Taler schwer Geld) verrechnet hatten, die das Ärarium mehr bezahlen mußte, als die angewiesenen Fonds betrugen. Das war nun freilich kein ganz gleichgültiger Rechnungsverstoß! Indessen waren die Herren von Abdera gewohnt, so glattweg und bona fide bei ihrer Staatswirtschaft zu Werke zu gehen, daß etliche Jahre verstrichen, bis man gewahr wurde, woran es liege, daß sich alle Jahre ein Defizit von dreitausend Talern in der Hauptrechnung ergab. Wie man es endlich mit vieler Mühe heraus gebracht hatte, fanden die Häupter für nötig, die Sache vor das gesamte Volk zu bringen, und pro forma auf Einziehung der Schaubühne anzutragen. Allein die Abderiten gebärdeten sich zu diesem Vorschlag, als ob man ihnen Wasser und Feuer nehmen wolle. Kurz, es wurde ein Plebiscitum errichtet, daß die jährlich abgängigen drei Talente aus dem gemeinen Schatze, der im Tempel der Latona niedergelegt war, genommen werden sollten; und derjenige, der sich künftig unterfangen würde, auf Abschaffung der Schaubühne anzutragen, sollte für einen Feind der Stadt Abdera angesehen werden.

Die Abderiten glaubten nun ihre Sache recht klug gemacht zu haben, und pflegten gegen Fremde sich viel darauf zugut zu tun, daß ihre Schaubühne jährlich achtzig Talente (achtzigtausend Taler) und gleichwohl der Bürgerschaft von Abdera keinen Heller kostete. «Es kommt alles auf eine gute Einrichtung an», sagten sie. «Aber dafür haben wir auch ein Nationaltheater, wie kein andres in der Welt sein muß!» – «Das ist eine große Wahrheit», sagte Demokrit: «solche Dichter, solche Schauspieler, solche Musik, und wöchentlich viermal, für achtzig Talente! Ich wenigstens habe das an keinem andern Ort in der Welt angetroffen.»

Was man ihnen lassen mußte, war, daß ihr Theater für eines der prächtigsten in Griechenland gelten konnte. Freilich hatten sie dem Könige von Macedonien ihr bestes Amt versetzt, um es bauen zu können. Aber da ihnen der König zugestanden, daß der Amtmann, der Amtsschreiber und der Rentmeister allezeit Abderiten bleiben sollten, so konnte ja niemand was dagegen einzuwenden haben.

Wir bitten es den Lesern ab, wenn sie mit dieser allgemeinen Nachricht von dem Abderitischen Theaterwesen zu lange aufgehalten worden sind. Die Schauspielstunde ist inzwischen herbei gekommen, und wir versetzen uns also ohne weiters in das Amphitheater dieser preiswürdigen Republik, wo der geneigte Leser nach Gefallen, entweder bei dem kleinen dicken Ratsherrn, oder bei dem Priester Strobylus, oder bei dem Schwätzer Antistrepsiades, oder bei irgend einer von den schönen Abderitinnen, mit welchen wir sie in den vorigen Kapiteln bekannt gemacht haben, Platz zu nehmen belieben wird.


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