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Der Dienst der Latona war (wie Strobylus den Euripides versichert hatte) so alt zu Abdera, als die Verpflanzung der Lycischen Kolonie; und die äußerste Einfalt der Bauart ihres kleinen Tempels konnte als eine hinlängliche Bekräftigung dieser Tradition angesehen werden. So unscheinbar dieser Latonentempel war, so gering waren auch die gestifteten Einkünfte seiner Priester. Wie aber die Not erfindsam ist, so hatten die Herren schon von langem her Mittel gefunden, zu einiger Entschädigung für die Kargheit ihres ordentlichen Einkommens, den Aberglauben der Abderiten in Kontribution zu setzen; und da auch dieses nicht zureichen wollte, hatten sie es endlich dahin gebracht, daß der Senat (weil er doch von keiner Besoldungszulage hören wollte) zu Unterhaltung des geheiligten Froschgrabens gewisse Einkünfte aussetzte, deren größten Teil die genügsamen und billig denkenden Frösche ihren Versorgern überließen.
Eine ganz andre Beschaffenheit hatte es mit dem Tempel des Jason, dieses berühmten Anführers der Argonauten, welchem in Abdera die Ehre der Erhebung in den Götterstand und eines öffentlichen Dienstes widerfahren war, ohne daß wir hiervon einen andern Grund anzugeben wissen, als daß verschiedne der ältesten und reichsten Familien in Abdera ihr Geschlechtsregister von diesem Heros ableiteten. Einer von dessen Enkeln hatte sich, wie die Tradition sagte, in dieser Stadt niedergelassen, und war der gemeinsame Stammvater verschiedener Geschlechter geworden, von welchen einige noch in den Tagen unserer gegenwärtigen Geschichte in voller Blüte standen. Dem Andenken des Helden, von dem sie abstammten, zu Ehren, hatten sie anfangs, nach uraltem Gebrauch, nur eine kleine Hauskapelle gestiftet. Mit der Länge der Zeit war eine Art von öffentlichem Tempel daraus geworden, den die Frömmigkeit der Abkömmlinge Jasons nach und nach mit vielen Gütern und Einkünften versehen hatte. Endlich, als Abdera durch Handelschaft und glückliche Zufälle eine der reichsten Städte in Thracien geworden war, entschlossen sich die Jasoniden, ihrem vergötterten Ahnherrn einen Tempel zu erbauen, dessen Schönheit der Republik und ihnen selbst bei der Nachwelt Ehre machen könnte. Der neue Jasontempel wurde ein herrliches Werk, und machte mit den dazu gehörigen Gebäuden, Gärten, Wohnungen der Priester, Beamten, Schutzverwandten usw. ein ganzes Quartier der Stadt aus. Der Erzpriester desselben mußte allezeit von der ältesten Linie der Jasoniden sein: und da er, bei sehr beträchtlichen Einkünften, auch die Gerichtsbarkeit über die zu dem Tempel gehörigen Personen und Güter ausübte; so ist leicht zu erachten, daß die Oberpriester der Latona alle diese Vorzüge nicht mit gleichgültigen Augen ansehen konnten, und daß zwischen diesen beiden Prälaten eine Eifersucht obwalten mußte, die auf die Nachfolger forterbte, und bei jeder Gelegenheit in ihrem Betragen sichtbar wurde.
Der Oberpriester der Latona wurde zwar als das Haupt der ganzen Abderitischen Priesterschaft angesehen; allein der Erzpriester Jasons machte mit seinen Untergebenen ein besonderes Kollegium aus, welches zwar unter dem Schutze der Stadt Abdera stand, aber von aller Abhängigkeit, wie sie Namen haben mochte, frei war. Die Feste des Latonentempels waren zwar die eigentlichen großen Festtage der Republik; allein da die Mäßigkeit seiner Einkünfte keinen sonderlichen Aufwand zuließ, so war das Fest des Jason, welches mit ungemeiner Pracht und großen Feierlichkeiten begangen wurde, in den Augen des Volks wo nicht das vornehmste, wenigstens das worauf es sich am meisten freute; und alle die Ehrerbietung, die man für das Altertum des Latonendienstes hegte, und der große Glaube des Pöbels an den Oberpriester desselben und seine heiligen Frösche, konnte doch nicht verhindern, daß die größere Figur, die der Erzpriester machte, ihm nicht auch einen höhern Grad von Ansehen hätte geben sollen. Und wiewohl das gemeine Volk überhaupt mehr Zuneigung zu dem Latonenpriester trug: so wurde doch dieser Vorzug dadurch wieder überwogen, daß der Priester Jasons mit den aristokratischen Häusern in einer Verbindung stand, die ihm so viel Einfluß gab, daß es einem ehrgeizigen Manne an diesem Platz ein leichtes gewesen wäre, einen kleinen Tyrannen von Abdera vorzustellen.
Zu so vielen Ursachen der alt hergebrachten Eifersucht und Abneigung zwischen den beiden Fürsten der Abderitischen Klerisei, kam bei Strobylus und Agathyrsus noch ein persönlicher Widerwille, der eine natürliche Frucht des Kontrastes ihrer Sinnesarten war.
Agathyrsus, mehr Weltmann als Priester, hatte in der Tat vom letztern wenig mehr als die Kleidung. Die Liebe zum Vergnügen war seine herrschende Leidenschaft. Denn, wiewohl es ihm nicht an Stolz fehlte, so kann man doch von niemand sagen daß er ehrgeizig sei, so lange sein Ehrgeiz eine andre Leidenschaft neben sich herrschen läßt. Er liebte die Künste und den vertraulichen Umgang mit Virtuosen aller Arten, und stand in dem Ruf, einer von den Priestern zu sein, die wenig Glauben an ihre eignen Götter haben. Wenigstens ist nicht zu leugnen, daß er öfters ziemlich frei über die Frösche der Latona scherzte; und es war jemand, der es beschwören wollte, aus seinem eignen Munde gehört zu haben: «Die Frösche dieser Göttin wären schon längst alle in elende Poeten und Abderitische Sänger verwandelt worden.» – Daß er mit Demokriten in ziemlich gutem Vernehmen lebte, war auch nicht sehr geschickt, seine Orthodoxie zu bestätigen. Kurz, Agathyrsus war ein Mann von munterm Temperament, hellem Kopf und ziemlich freiem Leben, beliebt bei dem Abderitischen Adel, noch beliebter bei dem schönen Geschlecht, und, wegen seiner Freigebigkeit und Jasonmäßigen Figur, beliebt sogar bei den untersten Klassen des Volks.
Nun hätte die Natur in ihrer launigsten Minute keinen völligern Gegenfüßler von allem, was Agathyrsus war, hervorbringen können, als den Priester Strobylus. Dieser Mann hatte (wie viele seines gleichen) ausfindig gemacht, daß eine in Falten gelegte Miene und ein steifes Wesen unfehlbare Mittel sind, bei dem großen Haufen für einen weisen und unsträflichen Mann zu gelten. Da er nun von Natur ziemlich sauertöpfisch aussah, so hatte es ihm wenig Mühe gekostet, sich diese Gravität anzugewöhnen, die bei den meisten weiter nichts beweist als die Schwere ihres Witzes und die Ungeschliffenheit ihrer Sitten. Ohne Sinn für das Große und Schöne, war er ein geborner Verächter aller Talente und Künste die diesen Sinn voraussetzen; und sein Haß gegen die Philosophie war bloß eine Maske für den natürlichen Groll eines Dummkopfes gegen alle, die mehr Verstand und Wissenschaft haben als er. In seinen Urteilen war er schief und einseitig, in seinen Meinungen eigensinnig, im Widerspruch hitzig und grob, und, wo er entweder in seiner eignen Person oder in den Fröschen der Latona beleidigt zu sein glaubte, äußerst rachgierig; aber nichts desto weniger bis zur Niederträchtigkeit geschmeidig, so bald er eine Sache, an der ihm gelegen war, nicht ohne Hülfe einer Person die er haßte durchsetzen konnte. Überdies stand er mit einigem Grund in dem Rufe, daß er mit einer gehörigen Dose von Dariken und Philippen zu allem in der Welt zu bringen sei, was mit dem Äußerlichen seines Charakters nicht ganz unverträglich war.
Aus so entgegen gesetzten Gemütsarten und aus so vielen Veranlassungen zu Neid und Eifersucht auf Seiten des Priesters Strobylus, entsprang notwendig bei beiden ein wechselseitiger Haß, der den Zwang, den ihnen ihr Stand und Platz auferlegte, mit Mühe ertrug, und nur darin verschieden war, daß Agathyrsus den Oberpriester zu sehr verachtete, um ihn sehr zu hassen, und dieser jenen zu sehr beneidete, um ihn so herzlich verachten zu können als er wohl gewünscht hätte.
Zu diesem allen kam noch, daß Agathyrsus, kraft seiner Geburt und ganzen Lage, für die Aristokratie, Strobylus hingegen, ungeachtet seiner Verhältnisse zu einigen Ratsherren, ein erklärter Freund der Demokratie, und nächst dem Zunftmeister Pfriem derjenige war, der durch seinen persönlichen Charakter, seine Würde, seine schwärmerische Hitze, und eine gewisse populare Art von Beredsamkeit den meisten Einfluß auf den Pöbel hatte.
Man sieht nun leicht voraus, daß die Sache mit dem Eselsschatten oder Schattenesel notwendig eine ernsthafte Wendung nehmen mußte, so bald ein paar Männer wie die beiden Hohenpriester von Abdera darein verwickelt wurden.
Strobylus hatte, so lange der Prozeß vor den Stadtrichtern geführt wurde, nicht anders Teil daran genommen, als daß er sich gelegentlich erklärte, er würde an des Zahnarztes Platz eben so gehandelt haben. Aber kaum erfuhr er durch die Dame Salabanda, seine Nichte, daß Agathyrsus die Sache seines in der ersten Instanz verurteilten Schutzverwandten zu seiner eignen mache: so fühlte er sich auf einmal berufen, sich mit an die Spitze der Partei des Beklagten zu stellen, und die Kabale des Zunftmeisters mit allem Ansehen, das er bei den Ratsherren sowohl als bei dem Volke hatte, zu unterstützen.
Salabanda war zu sehr gewohnt ihre Hand in allen Abderitischen Händeln zu haben, als daß sie unter den letzten gewesen sein sollte, die in dem gegenwärtigen Partei nahmen. Außer ihrem Verhältnisse zu dem Priester Strobylus hatte sie noch eine besondere Ursache, es mit ihm zu halten; eine Ursache, die darum nicht weniger wog, weil sie solche in Petto behielt. Wir haben bei einer andern Gelegenheit erwähnt, daß diese Dame, es sei nun aus bloß politischen Absichten, oder daß sich vielleicht auch ein wenig Koketterie – und wer weiß, ob nicht auch zuweilen das, was man in der Sprache der neuern Französischen feinen Welt das Herz einer Dame nennt, mit einmischen mochte: genug, ausgemacht war es, daß sie immer eine Anzahl demütiger Sklaven an der Hand hatte, unter denen (wie man glaubte) doch immer wenigstens der eine oder andre wissen müsse, wofür er diene. Die geheime Chronik von Abdera sagte, der Erzpriester Agathyrsus hätte eine geraume Zeit die Ehre gehabt, einer von den letztern zu sein; und in der Tat kamen eine Menge Umstände zusammen, warum man dieses Gerücht für etwas mehr als eine bloße Vermutung halten konnte. So viel ist gewiß, daß die vertrauteste Freundschaft seit geraumer Zeit unter ihnen obgewaltet hatte, als die Milesische Tänzerin nach Abdera kam, und dem flatterhaften Jasoniden in kurzem so merkwürdig wurde, daß Salabanda endlich nicht länger umhin konnte sich selbst für aufgeopfert zu halten.
Agathyrsus besuchte zwar ihr Haus noch immer auf dem Fuß eines alten Bekannten, und die Dame war zu politisch, um in ihrem äußern Betragen gegen ihn die geringste Veränderung durchscheinen zu lassen. Aber ihr Herz kochte Rache. Sie vergaß nichts, was den Erzpriester immer tiefer in die Sache verwickeln und immer mehr in Feuer setzen konnte; heimlich aber beleuchtete sie alle seine Schritte und Tritte, und alle großen und kleinen Vorder- und Hintertüren, die zu seinem Kabinett führen konnten, so genau, daß sie seine Intrige mit der jungen Gorgo gar bald entdeckte, und den Priester Strobylus in den Stand setzen konnte, den Eifer des Erzpriesters für die Sache des Eseltreibers in ein eben so verhaßtes Licht zu stellen, als sie selbst unter der Hand bemüht war, ihm einen lächerlichen Anstrich zu geben.
Agathyrsus, so wenig es ihm kostete, politische und ehrgeizige Vorteile dem Interesse seiner Vergnügungen aufzuopfern, hatte doch Augenblicke, wo der kleinste Widerstand in einer Sache, an der ihm im Grunde gar nichts gelegen war, seinen ganzen Stolz aufrührisch machte; und so oft dies geschah, pflegte ihn seine Lebhaftigkeit gemeiniglich unendlich weiter zu führen, als er gegangen wäre, wenn er die Sache einiger kühlen Überlegung gewürdiget hätte. Die Ursache, warum er sich anfangs mit diesem abgeschmackten Handel bemengt hatte, fand jetzt zwar nicht länger Statt. Denn die schöne Gorgo hatte, ungeachtet des Unterrichts ihrer Mutter Krobyle, entweder nicht Geschicklichkeit oder nicht Ausdaurungskraft genug gehabt, den anfänglich entworfnen Verteidigungsplan gegen einen so gefährlichen und erfahrnen Belagerer gehörig zu befolgen. Allein er war nun einmal in die Sache verwickelt; seine Ehre war dabei betroffen; er empfing täglich und stündlich Nachrichten, wie unziemlich der Zunftmeister und der Priester Strobylus mit ihrem Anhang wider ihn loszögen, wie sie drohten, wie übermütig sie die Sache durchzusetzen hofften, und dergleichen – und dies war mehr als es brauchte, um ihn dahin zu bringen, daß er seine ganze Macht anzuwenden beschloß, um Gegner, die er so sehr verachtete, zu Boden zu werfen, und für die Verwegenheit, sich gegen ihn aufgelehnt zu haben, zu züchtigen. Der Kabalen der Dame Salabanda ungeachtet (die nicht fein genug gesponnen waren, um ihm lange verborgen zu bleiben), war der größte Teil des Senats auf seiner Seite; und wenn gleich seine Gegner nichts unterließen, was das Volk gegen ihn erbittern konnte, so hatte er doch, zumal unter den Zünften der Gerber, Fleischer und Bäcker, einen Anhang von derben stämmichten Gesellen, die eben so hitzig vor der Stirne als nervig von Armen, und auf jeden Wink bereit waren, für ihn und seine Partei, je nachdem es nötig wäre, zu schreien oder zuzuschlagen.