Christoph Martin Wieland
Geschichte der Abderiten
Christoph Martin Wieland

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Zweites Buch

Hippokrates in Abdera.

1. Kapitel

Eine Abschweifung über den Charakter und die Philosophie des Demokritus, welche wir den Leser nicht zu überschlagen bitten.

Wir wissen nicht, wie Demokrit es angefangen, um sich die neugierigen Weiber vom Halse zu schaffen. Genug, daß uns diese Beispiele begreiflich machen, wie ein bloßer zufälliger Einfall Gelegenheit habe geben können, den unschuldigen Naturforscher in den Ruf zu bringen, als ob er Abderit genug gewesen sei, alle die Märchen, die er seinen albernen Landsleuten aufheftete, selbst zu glauben. Diejenigen, die ihm dies zum Vorwurf nachgesagt haben, berufen sich auf seine Schriften. Aber schon lange vor den Zeiten des Vitruvius und Plinius wurden eine Menge unechter Büchlein mit viel bedeutenden Titeln unter seinem Namen herum getragen. Man weiß, wie gewöhnlich diese Art von Betrug den müßigen Graeculis der spätern Zeiten war. Die Namen Hermes Trismegistus, Zoroaster, Orpheus, Pythagoras, Demokritus, waren ehrwürdig genug, um die armseligsten Geburten schaler Köpfe verkäuflich zu machen; insonderheit nachdem die Alexandrinische Philosophenschule die Magie in eine Art von allgemeiner Achtung, und die Gelehrten in den Geschmack gebracht hatte, sich bei den Ungelehrten das Ansehen zu geben, als ob sie gewaltige Wundermänner wären, die den Schlüssel zur Geisterwelt gefunden hätten, und für die nun in der ganzen Natur nichts geheimes sei. Die Abderiten hatten den Demokrit in den Ruf der Zauberei gebracht, weil sie nicht begreifen konnten, wie man ohne ein Hexenmeister zu sein so viel wissen könne, als sie – nicht wußten; und spätere Betrüger fabrizierten Zauberbücher in seinem Namen, um von jenem Ruf bei den Dummköpfen Vorteile zu ziehen.

Überhaupt waren die Griechen große Liebhaber davon, mit ihren Philosophen den Narren zu treiben. Die Athener lachten herzlich, als ihnen der witzige Possenreißer Aristophanes weis machte, Sokrates halte die Wolken für Göttinnen, messe aus, wie viele Flohfüße hoch ein Floh springen könneNichts ist möglicher, als daß Sokrates wirklich einmal etwas gesagt haben konnte, das zu diesem Aristophanischen Spaß Anlaß gegeben. Er durfte nur in einer Gesellschaft, wo die Rede von Größe und Kleinheit war, den Irrtum angemerkt haben, den man gewöhnlich begeht, da man von Groß und Klein als von wesentlichen Eigenschaften spricht, und nicht bedenkt, daß es bloß auf den Maßstab ankommt, ob eben dasselbe Ding groß oder klein sein soll. Er konnte nach seiner scherzhaften Art gesagt haben: man habe unrecht, den Sprung eines Flohs nach der Attischen Elle zu messen; man müsse, um die Schnellkraft des Flohs mit derjenigen eines Luftspringers zu vergleichen, nicht den menschlichen Fuß, sondern den Flohfuß zum Maß nehmen, wenn man anders den Flöhen Gerechtigkeit widerfahren lassen wolle und dergleichen. Nun brauchte nur ein Abderit in der Gesellschaft zu sein, so können wir sicher darauf rechnen, daß er es als eine große Ungereimtheit, die dem Philosophen entfahren sei, nach seiner eignen Art wieder erzählt haben werde: und wenn gleich Aristophanes klug genug war zu begreifen, daß Sokrates etwas kluges gesagt haben werde; so war es doch für einen Mann von seiner Profession und zu seiner Absicht, den Philosophen lächerlich zu machen, schon genug, daß man diesem Einfall eine Wendung geben konnte, wodurch er geschickt wurde, die Zwerchfelle der Athener, welche (den Geschmack und den Witz abgerechnet) ziemlich Abderiten waren, einen Augenblick zu erschüttern. , lasse sich, wenn er meditieren wolle, in einem Korbe aufhängen, damit die anziehende Kraft der Erde seine Gedanken nicht einsauge, usw. und es dünkte sie überaus kurzweilig, den Mann, der ihnen immer die Wahrheit und also oft unangenehme Dinge sagte, wenigstens auf der Bühne platte Pedantereien sagen zu hören. Und wie mußte sich nicht Diogenes (der unter den Nachahmern des Sokrates noch am meisten die Miene seines Originals hatte) von diesem Volke, das so gern lachte, mißhandeln lassen! Sogar der begeisterte Plato und der tiefsinnige Aristoteles blieben nicht von Anklagen frei, wodurch man sie zu dem Haufen der alltäglichen Menschen herab zu setzen suchte. Was Wunder also, daß es dem Manne nicht besser ging, der so verwegen war mitten unter Abderiten Verstand zu haben!

Demokrit lachte zuweilen, wie wir alle, und würde vielleicht, wenn er zu Korinth oder Smyrna oder Syrakus oder an irgend einem andern Orte der Welt gelebt hätte, nicht mehr gelacht haben, als jeder andre Biedermann, der sich, aus Gründen oder von Temperaments wegen, aufgelegter fühlt die Torheiten der Menschen zu belachen als zu beweinen. Aber er lebte unter Abderiten. Es war einmal die Art dieser guten Leute, immer etwas zu tun, worüber man entweder lachen oder weinen oder ungehalten werden mußte: und Demokrit lachte, wo ein Phocion die Stirne gerunzelt, ein Cato gepoltert, und ein Swift zugepeitscht hätte. Bei einem ziemlich langen Aufenthalt in Abdera konnte ihm also die Miene der Ironie wohl eigentümlich werden: aber daß er im buchstäblichen Verstande immer aus vollem Halse gelacht habe, wie ihm ein Dichter, der die Sachen gern übertreibt, nachsagtPerpetuo risu pulmonem agitare solebat
Democritus. –               Juvenal. Sat. X. 33.
, dies hätte wenigstens niemand in Prosa sagen sollen.

Doch diese Nachrede möchte immer hingehen, zumal da ein so gepriesener Philosoph wie Seneca unsern Freund Demokrit über diesen Punkt rechtfertigt, und sogar nachahmenswürdig findet. «Wir müssen uns dahin bestreben», sagt Seneca, «daß uns die Torheiten und Gebrechen des großen Haufens samt und sonders nicht hassenswürdig, sondern lächerlich vorkommen; und wir werden besser tun, wenn wir uns hierin den Demokrit als den Heraklit zum Muster nehmen. Dieser pflegte, so oft er unter die Leute ging, zu weinen; jener, zu lachen; dieser sah in allem unserm Tun eitel Not und Elend; jener eitel Tand und Kinderspiel. Nun ist aber freundlicher, das menschliche Leben anzulachen als es anzugrinsen; und man kann sagen, daß sich derjenige um das Menschengeschlecht verdienter macht, der es belacht, als der es bejammert. Denn jener läßt uns doch noch immer ein wenig Hoffnung übrig; dieser hingegen weint alberner Weise über Dinge, die er bessern zu können verzweifelt. Auch zeigt derjenige eine größere Seele, der, wenn er einen Blick über das Ganze wirft, sich nicht des Lachens – als jener, der sich der Tränen nicht enthalten kann; denn er gibt dadurch zu erkennen, daß alles, was andern groß und wichtig genug scheint um sie in die heftigsten Leidenschaften zu setzen, in seinen Augen so klein ist, daß es nur den leichtesten und kaltblütigsten unter allen Affekten in ihm erregen kann.»Bei allem dem erklärt sich doch Seneca bald darauf, daß es noch besser und einem weisen Manne anständiger sei, die herrschenden Sitten und Fehler der Menschen sanft und gleichmütig zu ertragen, als darüber zu lachen oder zu weinen. Mich dünkt, er hätte mit wenig Mühe finden können, daß es – noch was bessers gibt als dies Bessere. Warum immer lachen, immer weinen, immer zürnen, oder immer gleichgültig sein? Es gibt Torheiten, welche belachenswert sind; es gibt andere, die ernsthaft genug sind um dem Menschenfreunde Seufzer auszupressen; andre, die einen Heiligen zum Unwillen reizen könnten; endlich noch andre, die man der menschlichen Schwachheit zugut halten soll. Ein weiser und guter Mann (nisi pituita molesta est, wie Horaz weislich ausbedingt) lacht oder lächelt, bedauert oder beweint, entschuldigt oder verzeiht, je nachdem es Personen und Sachen, Ort und Zeit mit sich bringen. Denn lachen und weinen, lieben und hassen, züchtigen und los lassen, hat seine Zeit, sagt Salomon, welcher älter, klüger und besser war als Seneca mit allen seinen Antithesen.

Im Vorbeigehen deucht mich, die Entscheidung des Sophisten Seneca habe Verstand; wiewohl er vielleicht besser getan hätte, seine Gründe weder so weit herzuholen, noch in so gekünstelte Antithesen einzuschrauben. Doch, wie gesagt, der bloße Umstand, daß Demokrit unter Abderiten lebte, und über Abderiten lachte, macht den Vorwurf, von welchem die Rede ist, (wie übertrieben er auch sein mag) zum erträglichsten unter allem, was unserm Weisen aufgebürdet worden ist. Läßt doch Homer die Götter selbst über einen weit weniger lächerlichen Gegenstand – über den hinkenden Vulkan, der aus der gutherzigen Absicht, Friede unter den Olympiern zu stiften, den Mundschenken macht – in ein unauslöschliches Gelächter ausbrechen! Aber das Vorgeben, daß Demokrit sich selbst freiwillig des Gesichts beraubt habe, und die Ursache, warum er das getan haben soll, dies setzt auf Seiten derjenigen, bei denen es Eingang finden konnte, eine Neigung voraus, die wenigstens ihrem Kopfe wenig Ehre macht.

«Und was für eine Neigung mag denn das sein?» – Ich will es euch sagen, lieben Freunde, und gebe der günstige Himmel, daß es nicht gänzlich in den Wind gesagt sein möge!

Es ist die armselige Neigung, jeden Dummkopf, jeden hämischen Buben für einen unverwerflichen Zeugen gelten zu lassen, so bald er einem großen Manne irgend eine überschwengliche Ungereimtheit nachsagt, welche sogar der alltäglichste Mensch bei fünf gesunden Sinnen zu begehen unfähig wäre.

Ich möchte nicht gern glauben, daß diese Neigung so allgemein sei als die Verkleinerer der menschlichen Natur behaupten: aber dies wenigstens lehrt die Erfahrung, daß die kleinen Anekdoten, die man von großen Männern auf Unkosten ihrer Vernunft zirkulieren zu lassen pflegt, sehr leicht bei den meisten Eingang finden. Doch vielleicht ist dieser Hang im Grunde nicht sträflicher als das Vergnügen, womit die Sternseher Flecken in der Sonne entdeckt haben? Vielleicht ist es bloß das Unerwartete und Unbegreifliche, was die Entdeckung solcher Flecken so angenehm macht? Außerdem findet sich auch nicht selten, daß die armen Leute, indem sie einem großen Manne Widersinnigkeiten andichten, ihm (nach ihrer Art zu denken) noch viel Ehre zu erweisen glauben; und dies mag wohl, was die freiwillige Blindheit unsers Philosophen betrifft, der Fall bei mehr als Einem Abderitischen Gehirne gewesen sein.

«Demokrit beraubte sich des Gesichtes», sagt man, «damit er desto tiefer denken könnte. Was ist hierin so unglaubliches? Haben wir nicht Beispiele freiwilliger Verstümmelungen von ähnlicher Art? Kombabus – Origenes –»

Gut! – Kombabus und Origenes warfen einen Teil ihrer selbst von sich, und zwar einen Teil, den wohl die meisten (im Fall der Not) mit allen ihren Augen, und wenn sie deren so viel als Argus hätten, erkaufen würden. Allein sie hatten auch einen großen Beweggrund dazu. Was gibt der Mensch nicht um sein Leben! Und was tut oder leidet man nicht, um der Günstling eines Fürsten zu bleiben, oder gar eine Pagode zu werden! – Demokrit hingegen konnte keinen Beweggrund von dieser Stärke haben. Es möchte noch hingehen, wenn er ein Metaphysiker oder ein Poet gewesen wäre. Dies sind Leute, die zu ihrem Geschäfte des Gesichts entbehren können. Sie arbeiten am meisten mit der Einbildungskraft, und diese gewinnt sogar durch die Blindheit. Aber wenn hat man jemals gehört, daß ein Beobachter der Natur, ein Zergliederer, ein Sternseher, sich die Augen ausgestochen hätte, um desto besser zu beobachten, zu zergliedern und nach den Sternen zu sehen?

Die Ungereimtheit ist so handgreiflich, daß Tertullian die angebliche Tat unsers Philosophen aus einer andern Ursache ableitet, die ihm aber zum wenigsten eben so ungereimt hätte vorkommen müssen, wenn er nicht gerade vonnöten gehabt hätte, die Philosophen, die er zu Boden legen wollte, in Strohmänner zu verwandeln. «Er beraubte sich der Augen», sagt TertullianApolog. C. 46. , «weil er kein Weib ansehen konnte, ohne ihrer zu begehren.» – Ein feiner Grund für einen Griechischen Philosophen aus dem Jahrhunderte des Perikles! Demokrit, der sich gewiß nicht einfallen ließ weiser sein zu wollen als Solon, Anaxagoras, Sokrates, hatte auch vonnöten zu einem solchen Mittel seine Zuflucht zu nehmen! Wahr ists, der Rat des letzternMemorab. Socrat. Lib. I. Cap. 3. Num. 14. (der Demokriten gewiß nichts unbekanntes war, weil er Verstand genug hatte, sich ihn selbst zu geben) verfängt sehr wenig gegen die Gewalt der Liebe; und einem Philosophen, der sein ganzes Leben dem Erforschen der Wahrheit widmen wollte, war allerdings sehr viel daran gelegen, sich vor einer so tyrannischen Leidenschaft zu hüten. Allein von dieser hatte auch Demokrit, wenigstens in Abdera, nichts zu besorgen. Die Abderitinnen waren zwar schön; aber die gütige Natur hatte ihnen die Dummheit zum Gegengift ihrer körperlichen Reizungen gegeben. Eine Abderitin war nur schön bis sie – den Mund auftat, oder bis man sie in ihrem Hauskleide sah. Leidenschaften von drei Tagen waren das Äußerste, was sie einem ehrlichen Manne, der kein Abderit war, einflößen konnte; und eine Liebe von drei Tagen ist einem Demokrit am Philosophieren so wenig hinderlich, daß wir vielmehr allen Naturforschern, Zergliederern, Meßkünstlern und Sternsehern demütig raten wollten, sich dieses Mittels, als eines vortrefflichen Rezepts gegen Milzbeschwerungen, öfters zu bedienen, wenn nicht zu vermuten wäre, daß diese Herren zu weise sind eines Rates vonnöten zu haben. Ob Demokrit selbst die Kraft dieses Mittels zufälliger Weise bei einer oder der andern von den Abderitischen Schönen, die wir bereits kennen gelernt, versucht haben möchte, können wir aus Mangel authentischer Nachrichten weder bejahen noch verneinen. Aber daß er, um gar nicht oder nicht zu stark von so unschädlichen Geschöpfen eingenommen zu werden, und weil er auf allen Fall sicher war daß sie ihm die Augen nicht auskratzen würden, – schwach genug gewesen sei, sich solche selbst auszukratzen: dies mag Tertullian glauben so lang' es ihm beliebt; wir zweifeln sehr, daß es jemand mitglauben wird.

Aber alle diese Ungereimtheiten werden unerheblich, wenn wir sie mit demjenigen vergleichen, was ein sonst in seiner Art sehr verdienter Sammler von Materialien zur Geschichte des menschlichen Verstandes die Philosophie des Demokritus nennt. Es würde schwer sein, von einem Haufen einzelner Trümmer, Steine und zerbrochner Säulen, die man als vorgebliche Überbleibsel des großen Tempels zu Olympia aus unzähligen Orten zusammen gebracht hätte, mit Gewißheit zu sagen, daß es wirklich Trümmer dieses Tempels seien. Aber was würde man von einem Manne denken, der – wenn er diese Trümmer, so gut es ihm in der Eile möglich gewesen wäre, auf einander gelegt, und mit etwas Lehm und Stroh zusammengeflickt hätte – ein so armseliges Stückwerk, ohne Plan, ohne Fundament, ohne Größe, ohne Symmetrie und Schönheit, für den Tempel zu Olympia ausgeben wollte?

Überhaupt ist es gar nicht wahrscheinlich, daß Demokrit ein System gemacht habe. Ein Mann, der sein Leben mit Reisen, Beobachtungen und Versuchen zubringt, lebt selten lange genug, um die Resultate dessen was er gesehen und erfahren in ein kunstmäßiges Lehrgebäude zusammen zu fügen. Und in dieser Rücksicht könnte wohl auch Demokrit, wiewohl er über ein Jahrhundert gelebt haben soll, noch immer zu früh vom Tod überrascht worden sein. Aber, daß ein solcher Mann, mit dem durchdringenden Verstande und mit dem brennenden Durste nach Wahrheit, den ihm das Altertum einhellig zuschreibt, fähig gewesen sei, handgreiflichen Unsinn zu behaupten, ist noch etwas weniger als unwahrscheinlich. «Demokrit (sagt man uns) erklärte das Dasein der Welt lediglich aus den Atomen, dem leeren Raum, und der Notwendigkeit oder dem Schicksal. Er fragte die Natur achtzig Jahre lang, und sie sagte ihm kein Wort von ihrem Urheber, von seinem Plan, von seinem Endzweck? Er schrieb den Atomen allen einerlei Art von Bewegung zu, und wurde nicht gewahrBrucker, Histor. Crit. Philos. T. I p. 1190. , daß aus Elementen, die sich in parallelen Linien bewegen, in Ewigkeit keine Körper entstehen können? Er leugnete, daß die Verbindung der Atomen nach dem Gesetze der Ähnlichkeit geschehe; er erklärte alles in der Welt aus einer unendlich schnellen aber blinden Bewegung: und behauptete gleichwohl daß die Welt ein Ganzes sei?» usw. Diesen und andern ähnlichen Unsinn setzt man auf seine Rechnung; zitiert den Stobäus, Sextus, Censorinus; und bekümmert sich wenig darum, ob es unter die möglichen Dinge gehöre, daß ein Mann von Verstand (wofür man gleichwohl den Demokrit ausgibt) so gar erbärmlich räsonieren könnte. Freilich sind große Geister von der Möglichkeit sich zu irren, oder unrichtige Folgerungen zu ziehen, eben so wenig frei als kleine; wiewohl man gestehen muß, daß sie unendlichemal seltener in diese Fehler fallen, als es die Liliputer gern hätten: aber es gibt Albernheiten die nur ein Dummkopf zu denken oder zu sagen fähig ist, so wie es Untaten gibt die nur ein Schurke begehen kann. Die besten Menschen haben ihre Anomalien, und die Weisesten leiden zuweilen eine vorüber gehende Verfinsterung; aber dies hindert nicht, daß man nicht mit hinlänglicher Sicherheit von einem verständigen Manne sollte behaupten können: daß er gewöhnlich, und besonders bei solchen Gelegenheiten, wo auch die Dümmsten allen den ihrigen zusammen raffen, wie ein Mann von Verstand verfahren werde.

Diese Maxime könnte uns, wenn sie gehörig angewendet würde, im Leben manches rasche Urteil, manche von wichtigen Folgen begleitete Verwechslung des Scheins mit der Wahrheit ersparen helfen. Aber den Abderiten half sie nichts. Denn zum Anwenden einer Maxime wird gerade das Ding erfordert – das sie nicht hatten. Die guten Leute behalfen sich mit einer ganz andern Logik als vernünftige Menschen; und in ihren Köpfen waren Begriffe assoziiert, die, wenn es keine Abderiten gäbe, sonst in aller Ewigkeit nie zusammen kommen würden. Demokrit untersuchte die Natur der Dinge, und bemerkte Ursachen gewisser Naturbegebenheiten ein wenig früher als die Abderiten: also war er ein Zauberer. – Er dachte über alles anders als sie, lebte nach andern Grundsätzen, brachte seine Zeit auf eine ihnen unbegreifliche Art mit sich selbst zu: – also war es nicht recht richtig in seinem Kopfe; der Mann hatte sich überstudiert, und man besorgte, daß es einen unglücklichen Ausgang mit ihm nehmen werde. – Solche Schlüsse machen die Abderiten aller Zeiten und Orte!


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