Edgar Wallace
Gangster in London
Edgar Wallace

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24

Leslie Ranger war an dem Morgen in froher Stimmung in ihre Wohnung zurückgekehrt. Sie hatte eine Besprechung mit dem Personalchef einer sehr vornehmen alten Finanzfirma gehabt, und halb und halb hatte man ihr den Posten einer Sekretärin mit einem Jahresgehalt von siebenhundert Pfund schon zugesagt.

Als sie in den Vorraum trat, sah sie, daß ein Brief unter der Tür durchgeschoben worden war. An der Handschrift erkannte sie, daß die Nachricht von Eddie Tanner kam.

Würden Sie so liebenswürdig sein und mich um elf Uhr dreißig besuchen? Ich glaube, ich habe eine gute Sache für Sie.

Sie atmete erleichtert auf bei dem Gedanken, daß sie bereits eine Stellung gefunden hatte. Eddie Tanner war ihr sympathisch, aber sein Wesen beunruhigte sie. Sie hätte ihn anrufen und ihm sagen können, daß sie bereits bei der Firma Dorries untergekommen war. Aber das wäre zu unhöflich gewesen. So machte sie sich also zum Berkeley Square auf.

Ein livrierter Diener begrüßte sie lächelnd, und sie folgte ihm in ihr früheres kleines Büro, das Eddie sich jetzt als Arbeitszimmer eingerichtet hatte.

Er schob einen Stuhl an den Schreibtisch. »Nehmen Sie Platz, Miss Ranger, und erzählen Sie mir, was es Neues gibt!«

»Das ist nett, daß Sie mich zuerst erzählen lassen. Ich habe nämlich eine Stelle in Aussicht. Bei Dorries, einer der ältesten Firmen der City . . .«

Er lächelte. »Ja, alt ist die Firma, aber bißchen in Verfall geraten. Früher hatte sie viele Niederlassungen in Indien. Neulich sagte mir jemand, sie sei wieder saniert. Ich kann mir vorstellen, daß das eine gute, anständige Stellung ist.« Er sah sie merkwürdig an. »Aber hören Sie deshalb doch ruhig an, was ich Ihnen anzubieten habe!« Er stand am Schreibtisch und klopfte mit den Fingern leise auf die polierte Fläche. »Haben Sie schon mal daran gedacht, zu heiraten?«

Sie war so erstaunt, daß sie nicht gleich antworten konnte.

»Eine komische Frage – nicht wahr? Aber haben Sie nicht etwa doch an eine Ehe gedacht, und zwar im Zusammenhang mit mir? Sie könnten an meiner Seite ein glänzendes Leben führen . . .«

Endlich fand sie die Sprache wieder. »Sie wollen – Sie haben doch nicht die Absicht . . . Sie möchten mir einen Antrag machen, Mr. Tanner?«

»Sie können ruhig ›Eddie‹ sagen, wenn Sie nichts dagegen haben! Das verpflichtet Sie zu nichts, und es klingt viel freundlicher. Als Terry Weston Sie zum erstenmal traf, bat er Sie auch, ihn beim Vornamen zu nennen . . . Stimmt das nicht?«

Woher wußte er das nur?

»Es kommt nicht darauf an, woher ich das weiß.« Er lächelte über ihre Verwirrung. »Manchmal kann ich Gedanken lesen . . . Ich habe Sie wirklich gern, und das ist mehr wert als eine uferlose Leidenschaft. Sie würden es gut bei mir haben . . .«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein?« fragte er. Merkwürdigerweise war er nicht verletzt über ihre Ablehnung; er schien nicht einmal enttäuscht zu sein. »Können Sie sich nicht dazu entschließen . . .? Wirklich schade!« Er lächelte sie wieder freundlich an.

»Es tut mir so unendlich leid«, erwiderte sie stockend. »Es ist eine große Ehre . . .«

»Nein, es ist keine Ehre!« unterbrach er sie. »Glauben Sie mir! Ich bin schon dreimal verheiratet gewesen . . . Es ist wirklich keine Ehre für eine Frau, mich zu heiraten.« Er steckte die Hände in die Taschen und schritt im Zimmer auf und ab. »Sie hätten meinen Antrag ja auch nur angenommen, weil Sie wissen, daß ich Ihnen ein angenehmes Leben verschaffen kann; nicht, weil Sie mich lieben. Ich weiß genau, wann eine Frau mich liebt. Ich fühle das. Nur ein einziges Mal habe ich das erlebt. Drei Wochen nach der Hochzeit kam die Frau ins Irrenhaus. Sie hatte sich falsche Vorstellungen vom Leben gemacht – Illusionen. Auch über mich . . . Nach der Scheidung wurde sie geheilt, heiratete aufs neue und hatte drei Kinder. Jetzt ist sie Erste Vorsitzende des Frauenverbandes gegen den Alkohol. Seit vielen Jahren bezieht sie eine jährliche Unterstützung von mir, obwohl sie weiß, daß ich mein Geld mit Alkoholschmuggel verdiene . . .«

Leslie starrte ihn an. »Waren Sie – Alkoholschmuggler?«

Er nickte. »Das war auch der Alte – ich meine meinen Onkel Decadon. Sie glauben nicht, was der alles gemacht hat!« Er lachte. Zum erstenmal sah sie ihn so vergnügt. »Onkel Elijah hat mehr Alkohol nach den Staaten verfrachtet als irgendein andrer Bürger von England. Er war Eigentümer der beiden ersten heimlichen Kneipen in Chikago, finanzierte den berüchtigten Dean O'Banion und gab eine Million Dollar aus, um dessen Gegner Scarface über den Haufen zu knallen. Ja, ich glaube wohl, daß Sie das nicht geahnt haben. Und doch hat er alles von London aus dirigiert; er war in seinem ganzen Leben nur dreimal in Chikago. Ich war sein Agent und Hauptvertreter dort, und oft hat er versucht, mich übers Ohr zu hauen. Deshalb kam ich auch so häufig nach London.«

»Wer hat Mr. Decadon erschossen?« fragte Leslie ernst.

Eddie schien nicht im geringsten verwirrt oder verlegen. »Er hat sich selber umgebracht«, entgegnete er kühl. »Vergießen Sie nur keine Träne um Onkel Elijah! Er war ein ganz hartgesottener Sünder!«

»Aber jetzt haben Sie es nicht mehr nötig, Ihr Geld mit Schmuggel zu verdienen?«

Er lächelte belustigt. »Nein. Ich lasse mich jetzt als Landjunker in England nieder, kaufe ein Gut und verbringe meine Tage in Frieden.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das liegt Ihnen nicht.«

»Sie beurteilen mich richtig!« Er reichte ihr die Hand. »Sehr bedauerlich, daß wir nicht zu einer Verständigung gekommen sind! Meiner Meinung nach ist es töricht von Ihnen, mein Angebot nicht anzunehmen; aber ich muß Sie trotzdem bewundern . . . Ich begleite Sie nicht bis zur Haustür, und zwar aus Gründen, die ich Ihnen nicht näher erklären kann. Alberto wird Ihnen ein Taxi besorgen; er ist tapfrer als ich.«

Sie wunderte sich über diese sonderbare Bemerkung.

Als sie später am Vormittag Terry sah, sagte sie ihm nichts von Eddies Angebot und ihrem Besuch am Berkeley Square. Er war mit einem Ingenieur zum Cavendish Square gekommen, um den Absturz des Flugzeugs noch genauer zu untersuchen. Nachher versäumte er natürlich nicht, bei ihr vorzusprechen.

Als er von der guten Stellung hörte, die sie in Aussicht hatte, war er begeistert. »Dorries? Gute, alte Firma . . . Und Sie haben wirklich Glück, daß man Ihnen ein derartiges Gehalt bietet! Wie sind Sie denn dazu gekommen?«

»Wahrscheinlich durch die Vermittlungszentrale. Ich erhielt eine telefonische Aufforderung, mich vorzustellen. Die Büroräume liegen in einem ruhigen, stillen Haus in Austin Friars. Es gehört eine kleine Bank dazu und ein Exportgeschäft. Morgen trete ich meine Stellung hoffentlich schon an.« –

Und am nächsten Tag war sie pünktlich um neun bei der Firma und wurde fest angestellt.

Als man ihr das Büro zeigte, in dem sie arbeiten sollte, glaubte sie zu träumen. Es war ein vornehmer, mit dunklem Eichenholz getäfelter Raum. An den Wänden hingen die Bilder der großen Dorries, die früher einmal die Firma geleitet hatten.

»Ja, es stimmt, Miss Ranger!« erwiderte der Prokurist auf ihre Frage. »Mr. Dorries hat ausdrücklich Anweisung gegeben, daß Sie in diesem Hauptbüro arbeiten sollen.«

»Ist er hier?«

»Nein, er kommt niemals her. Er wohnt in Kent. Unser Geschäft geht nicht mehr so flott wie früher und hat leider nicht mehr seine einstige Bedeutung.«

Der alte Prokurist unterhielt sich eine Stunde lang mit ihr und erklärte ihr die bei Dorries üblichen Geschäftsmethoden. Sie erkannte sofort, daß die Firma bei diesem Betrieb allmählich sanft entschlummern würde. Ein deprimierender Gedanke!

Am Nachmittag hatte sie eine Unterredung mit dem Leiter der Bankabteilung. Dabei entdeckte sie zu ihrem Erstaunen, daß sie gewissermaßen die Leiterin der Firma geworden war. Sie hatte Vollmacht, Schecks in jeder Höhe zu zeichnen und rechtsgültige Verträge zu schließen, Sie unterstand nur der etwas undeutlich umschriebenen Kontrolle Dorries und seines Partners Pattern.

»Für eine junge Dame Ihres Alters eine außerordentlich große Verantwortung!« meinte der Bankleiter freundlich. »Wir haben ein offenes Kontokorrent von achtzigtausend Pfund, außerdem ein Deposit von über hunderttausend.«

Auch den übrigen Angestellten wurde sie vorgestellt. Unter ihnen war auch ein energischer, verhältnismäßig junger Mann, ein Mr. Morris. Er erregte sofort ihr Interesse, denn er war verschlossen und schweigsam. Bei dem Prokuristen und den älteren Angestellten war er höchst unbeliebt, obwohl er erst seit drei Monaten als Kassierer in der Firma arbeitete.

 

Leslie hatte noch nicht einen Tag in der Firma verbracht, als sie schon herausfand, daß dieser wenig beliebte Kassierer der einzige Tüchtige im Haus war. Er leitete das im Augenblick wieder ziemlich bedeutende Importgeschäft und entschied über Kredite, die die Firma gab. In allen Dingen wußte er Bescheid, verabredete die Besprechungen, die Leslie mit den Vertretern anderer Firmen führen mußte, hielt sie auf dem laufenden über den Bankkredit und beriet sie bei allen Transaktionen.

Als sie abends das Büro verließ, bat sie der Prokurist noch um eine Unterredung. »Ich muß Ihnen noch etwas mitteilen, was ich heute morgen vergessen habe, Miss Ranger. Unser Mr. Dorries läßt Sie bitten, unter keinen Umständen die Geschäfte der Firma mit irgend jemand Außenstehendem zu besprechen.«

»Die Warnung ist überflüssig!« erwiderte sie, fast ein wenig verletzt. –

Die ersten drei Tage vergingen ihr sehr schnell. Sie versuchte, neuere Methoden einzuführen, den Geschäftsgang zu verbessern und Vorurteile beiseite zu räumen. Aber dadurch machte sie sich natürlich ebenso unbeliebt wie der Kassierer.

Am Sonnabend erhielt sie einen Brief von dem Rechtsanwalt der Firma. Darin wurde ihr mitgeteilt, daß ihre Chefs mit ihrer Tätigkeit außerordentlich zufrieden wären und ihr Gehalt auf zweitausend Pfund jährlich erhöht hätten.

Als sie fortging, kam der Prokurist zu ihr und rieb sich vergnügt die Hände.

»Sie haben uns wirklich Glück gebracht! In der letzten Woche haben wir achtzehn neue Konten eröffnet!«

Leslie kam ihren Instruktionen getreulich nach und sprach auch mit Terry nicht über geschäftliche Angelegenheiten. Er wußte nur, daß sie sich in ihrer neuen Stellung außerordentlich wohl fühlte.


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