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Die Polizei hatte das Haus geräumt, als Leslie am nächsten Morgen zum Berkeley Square kam, und sie fühlte sich ein wenig erleichtert. Es war ihr sehr unangenehm gewesen, daß sie unter Aufsicht der Beamten hatte arbeiten müssen. Sie machte sich nun daran, alle Akten in Ordnung zu bringen.
Nachdem sie sich eine halbe Stunde damit beschäftigt hatte, kam Eddie zu ihr. »Nun, Sie haben wohl bis jetzt noch kein Glück gehabt?«
»Ich bin sicher, daß das Testament an Mr. Jerrington geschickt worden ist, wenn Sie das meinen. Haben Sie sich schon mit den Rechtsanwälten in Verbindung gesetzt?«
»Ja, ich war dort; aber Jerrington liegt im Krankenhaus, und gestern ist anscheinend seine ganze Privatkorrespondenz gestohlen worden. Am hellichten Tag hat ein Räuber den Bürovorsteher überfallen und ausgeplündert. Ich las es in der Zeitung.«
Sie sah ihn bestürzt an. »Wie unangenehm für Sie!«
»Ja – leider«, erwiderte er mit einem undurchdringlichen Lächeln. »In England scheinen sonderbare Zustände einzureißen. Früher wäre so etwas kaum möglich gewesen.« Er sah sich um. »Ich glaube, da kommt unser gemeinsamer Freund Weston!«
Eddie hatte mit seinen scharfen Ohren das Läuten der Hausglocke gehört und ging zur Tür, um Danes abzufangen, der öffnen wollte. »Wenn es Mr. Weston sein sollte, so bringen Sie ihn bitte hierher!«
Er wandte sich wieder an Leslie. »Er hat sich telefonisch angemeldet. Hoffentlich ist er nicht von Allermans verrückten Ideen angesteckt! Ah, guten Morgen, Inspektor!«
»Guten Morgen!« Terry zeigte eine etwas frostige Liebenswürdigkeit, die Leslie wenig behagte. Er reichte ihr die Hand zum Gruß – eine Formalität, die er Eddie Tanner gegenüber vergaß.
»Wir sprachen gerade über den Diebstahl der Privatbriefe Mr. Jerringtons«, erklärte Eddie.
»Darüber wollte ich auch mit Ihnen reden!« Terry sah ihn scharf an. »Ein ungewöhnlicher Vorfall – besonders unter den gegenwärtigen Umständen . . .«
Eddie fuhr sich mit der Hand übers Haar und runzelte die Stirn. »Ich kenne nicht alle näheren Umstände, aber es war, in der Tat, ein sehr unglücklicher Zufall . . .«
»Sie haben doch am Nachmittag noch das Büro der Rechtsanwälte aufgesucht?«
Tanner nickte. »Selbstverständlich. Jerrington ist ja mein Rechtsbeistand – oder war wenigstens der meines Onkels. Es sind viele Dinge aufzuklären. Vor allem war mein Onkel stark an einem Ölfeld in einer gewissen Stadt Tacan interessiert. Soviel ich weiß, liegt sie in Oklahoma.« Er sah zu Leslie hinüber. »Haben Sie vielleicht etwas davon gehört?«
»Nein, ich habe von Mr. Decadons Kapitalanlagen nur wenig erfahren.«
»Ich möchte gern wissen, ob dieses Tacan wirklich existiert . . .« Diese Angelegenheit schien Tanner mehr zu beschäftigen als Jerringtons gestohlene Privatbriefe.
»Das ist im Augenblick wohl nicht so wichtig«, brummte Terry. Dann sah er plötzlich das wahre Gesicht Eddie Tanners, der ihn mit eisigen Blicken anstarrte. Es lag weder Ärger noch Vorwurf darin, aber noch nie hatte er eine so tödliche Kälte in den Augen eines Mannes gesehen.
»Für mich ist die Sache wichtig!« erklärte Eddie kühl.
Leslie fühlte die unausgesprochene Feindschaft zwischen den beiden und suchte zu vermitteln. »Ich kann Ihnen leicht sagen, wo Tacan liegt, Mr. Tanner. Wir haben ein gutes Lexikon.« Sie ging in die Bibliothek und nahm ein großes Buch vom Regal. Als sie es öffnete, fiel ein Schriftstück auf den Boden. Sie bückte sich, nahm es auf, stieß einen kleinen Schrei aus und eilte ins Büro zurück. »Sehen Sie her!« rief sie. »Das Testament!«
Terry riß es ihr erregt aus der Hand.
»Geben Sie her. Wo haben Sie es gefunden?«
»In dem Lexikon, das ich aufschlagen wollte!«
Terry las schnell das Dokument durch, das nur aus wenigen Zeilen bestand.
Ich, Elija Decadon, erkläre bei klarem Verstand, daß dies mein letzter Wille und mein Testament ist. Ich überlasse all mein Besitztum nach meinem Tode ohne Einschränkung Edwin Charles Tanner, dem Sohn meiner Schwester Elisabeth, geb. Decadon, und ich hoffe, daß er das Vermögen gut verwalten und anwenden möge – besser, als ich fürchte.
Das Blatt war in Decadons charakteristischer Handschrift unterschrieben. Darunter standen die Namen und Adressen der drei Zeugen. Leslies Name war ausgestrichen; der Alte hatte die Anfangsbuchstaben seines Namens danebengesetzt. »Seltsam, daß Miss Ranger gerade in diesem Augenblick das Lexikon aufschlagen mußte!« sagte Terry langsam. »Ich nehme an, daß Sie das Testament Ihren Anwälten schicken wollen, damit es nicht verlorengeht?« Er überreichte Eddie das Dokument. »Ich gratuliere Ihnen, Mr. Tanner! Es war also überhaupt nicht notwendig, dieses Papier zu vernichten. Es muß eine große Überraschung für Sie gewesen sein.«
Eddie erwiderte nichts darauf.
Danes aber, der ihn aus dem Zimmer kommen sah, nahm an, daß sich sein neuer Herr über irgend etwas amüsiere . . .