Edgar Wallace
Gangster in London
Edgar Wallace

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18

Es gibt in Scotland Yard eine besondere Abteilung, über die nicht gesprochen wird. Ihre Beamten haben häufig sehr unangenehme Pflichten zu erfüllen. Man könnte schon allein die Tatsache ihres Bestehens als einen Vorwurf gegen die beste Polizeitruppe der Welt betrachten.

Der Leiter dieser Abteilung wurde in das Büro von Direktor Wembury befohlen.

»Stellen Sie bitte Inspektor Tetley unter schärfste Beobachtung!« ordnete er an. »Sie dürfen ihn weder Tag noch Nacht aus dem Auge lassen! Sein Büro und seine Wohnung müssen durchsucht werden, ohne daß er davon erfährt. Es ist auch möglich, daß er ohne besonderen Befehl verhaftet werden muß, nur auf persönliche Anweisung von mir oder Chefinspektor Weston oder Captain Allerman.«

Der Beamte hatte schon zuviel erstaunliche Dinge gehört, um in diesem Falle überrascht zu sein. »Ich werde mich persönlich um die Angelegenheit kümmern.« –

Zwanzig besonders ausgewählte Detektive kamen in Westons Büro und besahen sich Bomben-Pouliskis Bild, um sich dann wieder zu entfernen.

Kurz vor Mitternacht ereignete sich in einem der vornehmen Nachtklubs ein merkwürdiger Zwischenfall. Ein vergnügter Herr kam, von einer sehr schönen Dame begleitet, in das Lokal und fragte nach einem Tisch. Er hatte ein rundes Gesicht, trug eine Brille und sprach mit sanftem, südlichem Akzent.

Fünf Minuten später setzte sich ein anderer, der, gegen jede Vorschrift des Klubs, nicht im Abendanzug war, dem Fremden gegenüber. »Ich möchte draußen mit Ihnen sprechen«, erklärte er. »Falls Sie die Hand in die Tasche stecken, schieße ich Sie über den Haufen! Verstanden?«

»Wer sind Sie denn? Von Scotland Yard? Gut – ich werde Sie begleiten!« Der Herr erhob sich und sagte einige beruhigende Worte zu seiner Begleiterin. In der Halle fragte er nach seinem Mantel.

»Es ist ein warmer Abend – Sie brauchen ihn nicht!« sagte der Detektiv.

Pouliski bemerkte jetzt, daß etliche entschlossen dreinschauende Leute im Vestibül standen . . .

Ein Telefonanruf aus dem Präsidium erreichte Jiggs, aber er war nicht sehr begeistert darüber. »Gut – ich werde zugegen sein, wenn Sie ihn verhören!«

Als Pouliski in Terry Westons Büro trat, sah er Jiggs Allerman, blieb einen Augenblick stehen, riß sich dann aber zusammen und ging zwei Schritte weiter.

»Darf ich Ihnen einen Stuhl anbieten?« fragte Jiggs. »Wie geht es Ihnen denn? Wir haben uns ja lange nicht gesehen!«

Pouliski betrachtete kritisch den Stuhl, befühlte ihn und ließ sich dann nieder. »Mein Name ist George Adlon Green«, erklärte er würdevoll. »Sie werden das in meinem Paß bestätigt finden. Es muß irgendein Irrtum vorliegen . . .«

»Ganz bestimmt!« erwiderte Jiggs. »Sie sind also George Adlon Green, Graf von Terrytown, Marquis von Michigan und König aller Verbrecher?«

Pouliski starrte den Captain frech an und wandte sich dann an Wembury. »Was will dieser Herr?«

»Sie haben drei Narben unter der rechten Schulter«, erinnerte Jiggs. »Ich fürchte, die haben Sie nicht wegmassieren können?« Er sah, daß Wembury die Stirn runzelte, und schwieg während des weiteren Verhörs.

Zunächst wurde der Paß des Mr. Green untersucht und in Ordnung befunden. Es war bezeichnend, daß er ihn in der Brusttasche seines Smokings trug. Feuerwaffen hatte er nicht bei sich, und auch bei der Befragung machte er keine Fehler.

Ja, er erinnerte sich, daß er vor dem Gerichtsgebäude mit jemand gesprochen hatte, er habe nach dem Weg nach Highgate gefragt. Er behauptete, in London niemand zu kennen, und gab an, mit seiner Schwägerin auf einer Erholungsreise zu sein und eine Wohnung in Bloomsbury gemietet zu haben.

Der Bahnbeamte, der der älteren Dame in ihr Abteil geholfen hatte, und der Schlafwagenschaffner des Schottland-Expreß warteten im Vorzimmer und wurden hereingerufen. Aber es kam nichts Rechtes dabei heraus. Der Schaffner schien seiner Sache beinahe sicher, aber einen Eid konnte er nicht darauf leisten.

Nachdem Pouliski einstweilen abgeführt worden war, hielten die Kriminalisten eine kurze Besprechung ab.

»Wir haben kaum genügend Beweismaterial gegen ihn, um ihn festzuhalten«, erklärte Wembury. »Selbst eine etwaige Paßfälschung wäre eine Angelegenheit der amerikanischen Behörden, nicht der unsrigen.«

Jiggs sah ihn düster an. »Mr. Wembury, dort drüben sitzt der Mörder von Sir George Gilsant!« sagte er langsam, als ob er jedes Wort abwägen müßte. »Ob sich sein Komplice an der Schießerei beteiligte, ist eine Sache für sich. Pouliski jedenfalls ist ein Mörder und ein Bombenspezialist. Was fangen Sie mit ihm an? Wollen Sie ihn des Landes verweisen?«

Wembury schüttelte den Kopf. »Wir können die Wahrheit nicht aus ihm herauspressen. Uns sind die Hände gebunden.«

Jiggs dachte nach. »Gut – dann lassen Sie ihn gehen! Aber ich werde ihn nach Hause begleiten . . . Denn ich dulde auf keinen Fall, daß ein kaltblütiger Mörder ungeschoren Scotland Yard verläßt und sich obendrein ins Fäustchen lacht!«

Pouliski wurde wieder hereingebracht.

»Wir werden Sie nicht hierbehalten, Mr. Green. Captain Allerman bringt Sie nach Hause.«

Der Gefangene wurde bleich. »Ich brauche keine Begleitung!« widersprach er heftig. »Ich traue diesem Menschen nicht!«

»Sie werden hübsch brav mit mir kommen, Liebling!« entgegnete Jiggs und nahm ihn am Arm. Terry Westons Wagen wartete in der Nähe des Eingangs. »Können Sie chauffieren, mein Junge?«

»Nein!« sagte Green unnötig laut.

»Versuchen Sie's getrost einmal! Sie konnten früher doch ganz gut Auto fahren? Ich setze mich hinter Sie und erzähle Ihnen, wohin Sie fahren sollen.«

Terry war den beiden nach unten gefolgt und sah dem Wagen nach, der sich nicht westwärts, sondern in Richtung der City entfernte.

Ein zweiter Wagen fuhr in gewisser Entfernung hinterher, und zwar über Whitechapel und Commercial Road bis hinaus nach Epping. Dort hielt das erste Auto eine Stunde lang, und das zweite blieb inzwischen in derselben respektvollen Entfernung.

Kurz vor drei Uhr morgens kehrte Jiggs wieder nach London zurück. Er saß nun selber am Steuer, Pouliski auf einem der hinteren Sitze. Vor dem Präsidium ließ Jiggs seinen Begleiter aussteigen und brachte ihn zu Wembury, der noch anwesend war.

»Ich glaube, wir lassen den Mann frei«, erklärte Allerman. »Es scheint, daß ich mich geirrt habe.«

Terry trat in dem Augenblick ein und blieb erstaunt stehen.

»Na schön!« entschied Wembury. »Soll er gehen!«

Jiggs begleitete Pouliski auf die Straße und besorgte ein Auto für ihn.

Drei Beobachter sahen es . . . Einer ging zu einer Fernsprechzelle und nannte eine Nummer. »Pouliski hat sich mit der Polizei verständigt«, meldete er. – Kurzes Schweigen auf der Gegenseite. Dann: »Gut! Besorgt es ihm!« –

»Zum Teufel, was hat das zu bedeuten?« fragte Wembury, als Jiggs wieder nach oben kam.

»Der Kerl ist tatsächlich der Mörder! Ich weiß nicht, wer ihn auf der Fahrt nach Schottland begleitet hat; wahrscheinlich weiß er das selber nicht. Aber er hat nicht nur Gilsant umgebracht, sondern auch die Bombe in mein Hotelzimmer praktiziert . . .«

»Und Sie ließen ihn laufen . . .?«

»Ich habe ihn nicht laufen lassen – ich habe ihm das Todesurteil gesprochen! Den ganzen Weg bis nach Epping hin und zurück bin ich von einem Wagen verfolgt worden, und daraus ziehe ich meine Schlüsse.« –

Jiggs behielt recht. Ein Polizist, der auf seinem Patrouillengang durch den Saint-James-Park kam, fand in den frühen Morgenstunden einen Mann, dessen Füße aus dem Gebüsch hervorschauten. Es stellte sich heraus, daß der Mann aus allernächster Nähe erschossen worden war. Nach seinem Paß konnte man ihn als einen Mr. Green identifizieren . . .


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