Edgar Wallace
Gangster in London
Edgar Wallace

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23

Den ganzen Abend hatte die Polizei erfolglos nach dem Wagen gesucht, von dem aus Kerky Smith beschossen worden war. Die schöne Limousine von Kerky war von Kugeln durchlöchert, der Chauffeur war tot.

Inzwischen hatte das Innenministerium einen Ausschuß zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit gebildet. Man überlegte dort, ob man Mr. Smith ausweisen und an Bord des ersten Schiffes bringen sollte, das nach den Staaten fuhr.

Auch Jiggs wurde um seinen Rat gefragt. Aber er sprach sich entschieden gegen einen derartigen Schritt aus. »Kerky ist darauf vorbereitet, England zu verlassen, und wenn Sie ihn ausweisen, geht er nach Paris. Daran können Sie ihn nicht hindern. Nein, lassen Sie ihn nur in London! Er wird schon zu gegebener Zeit verschwinden. Und glauben Sie mir: In der nächsten Woche haben wir Ruhe! Die Blauen und die Grünen müssen zunächst ihre eignen Streitigkeiten austragen. Und wenn sie sich nicht einigen können, kratzen sie sich gegenseitig die Augen aus.«

Jiggs hatte seine Erfahrungen mit den Methoden der Gangster, und die folgenden Ereignisse gaben ihm recht.

Am Morgen nach dem Angriff auf Kerkys Auto fand ein Polizist in der Seven-Sisters-Road, einer belebten Verkehrsstraße, im Vorgarten eines besseren Hauses einen Mann, der drei Schußwunden hatte und schon seit einiger Zeit tot war. Der Polizeiarzt wurde gerufen und erklärte, daß der Mann an einer anderen Stelle ermordet und später in den Garten geschleppt worden war.

Beinahe gleichzeitig hörten drei Arbeiter, die an einem der Abzugskanäle im Norden der Stadt beschäftigt waren, zwei schwere Plumpse im Wasser. Sie gingen dem Schall nach und fanden im Kanal zwei Tote. Als sie in die Höhe sahen, bemerkten sie gerade noch, wie oben der Deckel auf den Einstiegschacht geschoben wurde. Die beiden waren mit Gummiknüppeln niedergeschlagen und dann durch den Kopf geschossen worden. Man fand keine Papiere in ihren Taschen, aber als man die Kleider durchsuchte, entdeckte man bei dem einen die Firmenmarke eines Schneiders in Cincinnati.

Terry besah sich die Toten am nächsten Morgen im Schauhaus. Eines der beiden grauen Gesichter kam ihm merkwürdig bekannt vor. Wenige Stunden vorher hatte man die Leute fotografiert, und mit den Abzügen ging er zu Leslie.

Als er eintrat, hatte sie gerade ihr Frühstück beendet. »Vielleicht können Sie mir helfen – das heißt: falls es Ihnen möglich ist, die Fotografie eines Mannes zu betrachten, der gestern erschossen wurde?«

Sie verzog das Gesicht, nahm aber den Abzug.

Terry sah sofort, daß sie den Toten wiedererkannte.

»Wer ist es?«

»Einer der neuen Dienstboten, die ich in Mr. Tanners Haus sah. Vor zwei Tagen war ich dort, um einige Bücher zurückzubringen, die Mr. Decadon mir geliehen hatte.«

»Etwas Ähnliches habe ich erwartet.«

Sie schauderte. »Das sind ja fürchterliche Zustände! Gestern abend wurde mit einem Maschinengewehr auf Albuquerque Smith geschossen . . .«

»Deshalb würde ich mir keine grauen Haare wachsen lassen«, sagte Terry.

Er brachte die Fotos zum Berkeley Square.

Eddie Tanner identifizierte die beiden Leute, ohne zu zögern: »Sie waren bei mir angestellt und gingen gestern abend frühzeitig fort. Als ich heute erfuhr, daß sie die Nacht ausgeblieben waren, wollte ich sie entlassen. Wo hat man sie gefunden?«

Terry erzählte es ihm.

»Tut mir leid«, bedauerte Eddie. »Es waren willige Leute, arbeitsam und zuvorkommend. Aber keine Engländer. Wahrscheinlich hatten sie einen Streit mit Landsleuten? Ich möchte nur wissen, wann es der Polizei gelingt, diesen Bandenkrieg in London zu stoppen.«

»Wir wollen lieber fragen, wann Sie damit aufhören«, sagte Terry geradezu.

Eddie lächelte. »Ich fürchte, Jiggs Allerman hat Ihnen eine falsche Meinung von mir beigebracht.«

Terry verabschiedete sich.

»Ich möchte Sie nicht zum Portal begleiten«, erklärte Tanner. »Auf der anderen Seite irgendwo – wo, weiß ich selber nicht – lauert jemand mit einem Maschinengewehr, das genau auf meine Haustür eingestellt ist . . . Aber ich werde die Tür vorher weit öffnen lassen, damit der Bursche genau sieht, wer Sie sind, und Ihnen nicht ein paar Bleibrocken entgegenschickt.«

Terry begab sich sofort zur benachbarten Polizeistation und sprach dort mit dem Bezirksinspektor.

»Irgendwo am Berkeley Square hat sich ein Kerl mit einem Maschinengewehr eingenistet. Nehmen Sie alle Leute, die Ihnen zur Verfügung stehen, und suchen Sie jedes leere Haus, alle Dächer und die Gartenanlagen ab! Ich glaube zwar nicht, daß Sie ihn fangen; aber wir dürfen nichts außer acht lassen. Berichten Sie mir telefonisch nach Scotland Yard!« –

An diesem Tag jagten sich die Ereignisse in wildem Tempo. In der Park Lane brach plötzlich ein Mann blutend zusammen. Er war erschossen worden, obwohl kein Mensch eine Detonation gehört hatte und der Täter nicht zu entdecken war.

In einem italienischen Restaurant trafen sich vier Leute und ließen sich ihre Getränke in ein Privatzimmer bringen; sie gaben an, daß sie eine halbe Stunde geschäftlich miteinander zu sprechen hätten. Als der Inhaber später nach oben ging, weil er den Raum anderweitig vergeben wollte, antwortete ihm niemand auf sein Klopfen; und bei seinem Eintritt fand er zu seinem Entsetzen zwei der Leute ermordet vor. Die beiden anderen waren verschwunden.

Terry hörte von den Verbrechen, als er von einer fruchtlosen Reise zurückkam. Er hatte den Eigentümer eines verdächtigen Flugzeugs einem Verhör unterworfen.

»Die Sache verläuft durchaus normal«, erklärte Jiggs. »Genau nach den alten Spielregeln: Ein Mörder wird seinerseits von einem anderen ermordet.« –

Noch vor Mitternacht erlebte London eine neue Aufregung. Zwei Autos rasten in schnellster Fahrt Piccadilly entlang, fuhren auf der falschen Seite und sausten durch den regen Verkehr in die Coventry Street. Direkt dem Eckhaus gegenüber eröffnete ein Mann, der neben dem Chauffeur des zweiten Wagens saß, das Maschinengewehrfeuer auf den ersten, von dem es sofort erwidert wurde. Beide Fahrzeuge bogen, ständig feuernd, in den Leicester Square ein. Aus dem Empire-Theater kamen gerade die letzten Besucher. Sie ergriffen die Flucht, und es entstand eine wüste Panik. Die Wagen jagten zum Trafalgar Square, dann die Northumberland Avenue hinunter zum Themseufer. Plötzlich geriet das erste Auto ins Schleudern, prallte krachend gegen einen Laternenpfahl und ging in Flammen auf. Das zweite raste weiter; aber Zeugen wollen gesehen haben, daß der Maschinengewehrschütze noch in den brennenden Wagen hineinschoß.

Vorüberkommende Chauffeure bemühten sich, die Flammen zu löschen. Ein Polizist riß die brennende Autotür auf und versuchte, die Leute, die in dem Wagen zusammengebrochen waren, herauszuziehen; aber erst als die Flammen mit einem Feuerlöscher erstickt waren, gelang es. Drei Männer hatten auf dem Rücksitz gesessen. Die Geschosse hatten sie wahrscheinlich schon niedergemäht, bevor der Wagen in Brand geriet. Der Lenker atmete noch, aber auch er war siebenmal getroffen worden. –

Am nächsten Morgen ließ sich Kerky Smith sehr frühzeitig mit Berkeley Square verbinden. »Sind Sie dort, Eddie? Darf ich Sie vielleicht heute zum Essen einladen?«

»Hoffentlich gibt es was Anständiges?«

»Alles, was Sie nur haben wollen, Eddie! Die schönsten Pfirsiche, echt russischen Kaviar und so weiter. Kommen Sie ruhig, alter Junge.«

»Ich werde mir die Sache überlegen.«

Eine halbe Stunde später wurde Eddie in Kerkys Privaträume geführt. Mr. Smith war allein; der Tisch war für zwei gedeckt.

»Was wollen Sie trinken: Kaffee oder Tee?« fragte Kerky vergnügt, »Ich mache Sie höflichst darauf aufmerksam, daß beides vergiftet ist . . . Sie hätten Ihren Privatchemiker mitbringen sollen! Na, es freut mich, daß wir endlich mal zusammensitzen und uns aussprechen können. – In der letzten Zeit ist allerhand Verschwendung in London getrieben worden. Das muß aufhören!«

»Dafür wird vermutlich die Polizei sorgen«, meinte Eddie Tanner und warf zwei Stück Zucker in seine Kaffeetasse.

»Glaub' ich auch . . . Vorige Nacht hatte ich übrigens einen merkwürdigen Traum, Eddie, und zwar: daß sich die Leute mit den grünen und den blauen Briefen auf einer Basis von vierzig zu sechzig verständigten und dann nur noch eine Art von Warnungen ausschickten – rot gedruckt . . .«

»Ich halte nichts von sechzig und vierzig. Das sind meine Unglückszahlen. Ich bin Mitglied eines Fünfzig-Fünfzig-Klubs . . . Und wenn ich diesen verdammten Burschen trauen könnte, die mir ›Fünfzig-Fünfzig!‹ in die Ohren schreien, wäre ich bestimmt für die rote Farbe.«

»Also: abgemacht!« grinste Kerky. »Von jetzt ab werden nur noch rote Briefe versandt . . . Wer ist eigentlich im Augenblick Ihr Adjutant? Wie ich hörte, hat man Tomaso in einem Abzugskanal gefunden . . . Wirklich schade!«

»Ich wiederum«, lächelte Eddie, »habe gehört, daß der Junge, der ihn hineingeworfen hat, gestern in einem Auto verbrannte . . . Wirklich schade!«

Smith reichte ihm die Hand über den Tisch, und Tanner schüttelte sie. Mit einem bedeutungsvollen, harten Griff wurde der Friede besiegelt.

Dann sprach Kerky über andere Dinge. »Ich habe heute morgen von Ihrem Onkel in der Zeitung gelesen. In dem Artikel steht, er hätte starke Geschäftsinteressen in Amerika gehabt. Ich möchte nur wissen, wie viele Leute eine Ahnung davon haben, daß er Alkoholschmuggelbanden finanzierte und daß er damals das Geld dafür gab, als sie Al Capone in Cicero beinahe erwischten . . .«

»Ja, er war ein unternehmungslustiger alter Herr! Aber warum reden Sie eigentlich von diesen Geschichten? Sie scheinen nur daran zu denken, wie die Grünen und die Blauen die Sache teilen, weil Sie meinen, das Teilen beginne schon beim Tod des Alten. Ausgeschlossen, mein Lieber! Wir ziehen einen Strich unter alles, was bisher war, und fangen von vorn an. Einverstanden?«

Kerky nickte. »Ich mußte die Sache doch nur mal zur Sprache bringen«, entschuldigte er sich.

Von diesem Zeitpunkt an wurden nur noch rote Briefe gedruckt. Man nahm die besten Ausdrücke und Wendungen aus den blauen und grünen Formularen und setzte den Text neu.

Und es wäre sicherlich ein glattes, glänzendes Geschäft geworden, wenn nicht – Leslie Ranger gewesen wäre . . .


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