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III. Die Änderungen der Distanz zwischen dem Ich und den Dingen als Ausdruck für die Stilverschiedenheiten des Lebens. Moderne Tendenzen auf Distanz-Vergrößerung und -Verkleinerung. Rolle des Geldes in diesem Doppelprozeß. Der Kredit. Die Herrschaft der Technik. – Die Rhythmik oder Symmetrie der Lebensinhalte und ihr Gegenteil. Das Nacheinander und das Nebeneinander beider Tendenzen, die Entwicklungen des Geldes als Analogie und als Träger derselben. – Das Tempo des Lebens, seine Veränderungen und die des Geldbestandes. Die Konzentration des Geldverkehrs. Die Mobilisierung der Werte. Beharrung und Bewegung als Kategorien des Weltverständnisses, ihre Synthese in dem Relativitätscharakter des Seins, das Geld als historisches Symbol desselben.

Man macht sich selten klar, in welchem Umfang unsere Vorstellungen von den seelischen Prozessen bloß symbolische Bedeutung besitzen. Die primitive Not des Lebens hat uns gezwungen, die räumliche Außenwelt zum ersten Objekt unserer Aufmerksamkeit zu machen; für ihre Inhalte und Verhältnisse gelten deshalb zunächst die Begriffe, durch die wir ein beobachtetes Dasein außerhalb des beobachtenden Subjekts vorstellen; sie ist der Typus des Objekts überhaupt und ihren Formen muß sich jede Vorstellung fügen, die für uns Objekt werden soll. Diese Forderung ergreift die Seele selbst, die sich zum Gegenstand ihrer eigenen Beobachtung macht. Vorher allerdings scheint sich noch die Beobachtung des Du einzustellen, ersichtlich das dringendste Erfordernis des Gemeinschaftslebens und der individuellen Selbstbehauptung. Allein da wir die Seele des Anderen niemals unmittelbar beobachten können, da er unserer Wahrnehmung niemals mehr, als Eindrücke äußerer Sinne gewährt, so ist alle psychologische Kenntnis seiner ausschließlich eine Hineindeutung von Bewußtseinsvorgängen, die wir in unserer Seele wahrnehmen und auf jenen übertragen, wenn physische Eindrücke von ihm her uns dazu anregen – so wenig diese Übertragung, ausschließlich für ihren Zielpunkt interessiert, sich von ihrem Ausgangspunkt Rechenschaft ablegen mag. Sobald die Seele sich selbst zum Objekt ihres Vorstellens macht, kann sie es nur unter dem Bilde räumlicher Vorgänge. Wenn wir von Vorstellungen sprechen und ihrer Verbindung, von ihrem Aufsteigen in das Bewußtsein und ihrem Sinken unter die Schwelle desselben, von inneren Neigungen und Widerständen, von der Stimmung mit ihren Erhebungen und Tiefständen, so ist jeder dieser und unzähliger Ausdrücke des gleichen Gebietes ersichtlich äußerlichen Wahrnehmbarkeiten entnommen. Wir mögen davon durchdrungen sein, daß die Gesetzlichkeit unseres Seelenlebens völlig anderen Wesens ist, als die eines äußeren Mechanismus – vor allem, weil jenem die feste Umschriebenheit und sichere Wiedererkennbarkeit der einzelnen Elemente fehlt – so stellen wir uns doch unvermeidlich die »Vorstellungen« als eine Art Wesen vor, die miteinander in die mechanischen Beziehungen des Verbindens und Trennens, des Hebens und Herabdrückens treten. Wir sind dabei überzeugt – und die Praxis gibt uns recht –, daß diese, nach dem Typus anschaulicher Vorgänge geschehende Deutung des Inneren die Wirklichkeit dieses letzteren gültig vertritt, gerade wie dem Astronomen die Rechnung auf dem Papiere die Bewegungen der Gestirne so erfolgreich repräsentiert, daß das Resultat jener durchaus das Bild darstellt, das von dem Resultat der realen Kräfte bewahrheitet wird.

Dieses Verhältnis aber wird nun auch rückläufig gültig, als Deutung des äußeren Geschehens nach den Inhalten des Innenlebens. Ich meine hier nicht, daß ja auch jenes von vornherein nur eine Welt von Vorstellungen ist, sondern, nachdem einmal auf dieser oder einer anderen erkenntnistheoretischen Basis ein relatives Außen einem relativen Innern gegenübergestellt ist, dienen die spezifischen Erscheinungen des letzteren dazu, das erstere zu einem verständlichen Bilde zu gestalten. So kommt wohl der einheitliche Gegenstand aus der Summe seiner Eigenschaften, die allein er uns doch darbietet, nur so zustande, daß wir ihm die Einheitsform unseres Ich leihen, an der wir im tiefsten erfahren, wie eine Fülle von Bestimmungen und Schicksalen an einer beharrenden Einheit haften kann. Nicht anders dürfte es sich, wie man oft betont hat, mit der Kraft und der Ursächlichkeit äußerer Dinge verhalten: die Gefühle der physisch-psychischen Spannung, des Impulses, der Willenshandlung projizieren wir in die Dinge hinein, und wenn wir hinter ihre unmittelbare Wahrnehmbarkeit jene deutenden Kategorien setzen, so orientieren wir uns eben in ihnen nach den Gefühlserfahrungen unserer Innerlichkeit. Und so stößt man vielleicht, sobald man unter jener ersten Symbolisierung des Innern durch das Körperhafte eine tiefere Schicht aufgräbt, auf den entgegengesetzten Zusammenhang. Wenn wir einen seelischen Vorgang als Verbindung von Vorstellungen bezeichnen, so war dies allerdings eine Erkenntnis seiner nach räumlichen Kategorien; aber diese Kategorie der Verbindung selbst hat vielleicht ihren Sinn und ihre Bedeutung in einem bloß innerlichen, gar nicht anschaulichen Vorgang. Was wir als in der Außenwelt verbunden, d.h. doch, irgendwie vereinheitlicht und ineinander seiend, bezeichnen, bleibt doch in der Außenwelt ewig nebeneinander, und mit seinem Verbundensein meinen wir etwas, was nur aus unserem Inneren, allem Äußeren unvergleichbar, in die Dinge hineingefühlt werden kann: jenes also das Symbol für das, was uns an diesen nicht festzustellen und unmittelbar überhaupt nicht auszudrücken ist. So besteht ein Relativismus, gleichsam ein unendlicher Prozeß zwischen dem Inneren und dem Äußeren: eines, als das Symbol des anderen, dieses zur Vorstellbarkeit und Darstellbarkeit bringend, keines das erste, keines das zweite, sondern in ihrem Aufeinander-Angewiesensein die Einheit ihres, d.h. unseres Wesens verwirklichend.

Dieser gegenseitigen symbolisierenden Deutung sind die seelischen und die körperhaften Daseinsinhalte um so unbedenklicher zugängig, je einfacher sie sind. Bei den einfachen Prozessen der Verbindung, Verschmelzung, Reproduktion der Vorstellungen können wir noch einigermaßen die Idee einer allgemeinen Formgesetzlichkeit festhalten, die der inneren wie der äußeren Welt ein analoges Verhalten vorschreibt und so die eine zur Stellvertretung der anderen geeignet macht. Bei komplizierteren und eigenartigeren seelischen Gebilden wird die Bezeichnung nach Analogien der räumlichen Anschaulichkeit immer diffiziler; immer dringender ist sie auf die Anwendbarkeit in einer Vielheit von Fällen angewiesen, um nicht zufällig und spielerisch zu erscheinen und um eine feste, wenn auch nur symbolische Beziehung zu der seelischen Wirklichkeit zu besitzen. Und von sich selbst ausgehend wird diese letztere den Weg in die Dinge, deren Sinn und Bedeutung nach sich interpretierend, um so schwerer und unsicherer finden, je spezieller oder zusammengesetzter die Vorgänge auf beiden Seiten sind; denn um so unwahrscheinlicher und schwerer herausfühlbar wird jene geheimnisvolle Formgleichheit innerer und äußerer Erscheinungen, die der Seele eine Brücke von den einen in die anderen baut. – Hiermit sollen Erwägungen eingeleitet werden, die eine Reihe mannigfaltiger innerer Kulturerscheinungen zusammenfassen und dadurch, daß diese alle die Deutung nach je einer und derselben anschaulichen Analogie gestatten, einleuchtend machen sollen, daß sie alle einem und demselben Stil des Lebens angehören.

Eines der häufigsten Bilder, unter denen man sich die Organisation der Lebensinhalte deutlich zu machen pflegt, ist ihre Anordnung zu einem Kreise, in dessen Zentrum das eigentliche Ich steht. Es gibt einen Modus des Verhältnisses zwischen diesem Ich und den Dingen, Menschen, Ideen, Interessen, den wir nur als Distanz zwischen beiden bezeichnen können. Was uns zum Objekt wird, das kann, inhaltlich ungeändert bleibend, nahe an das Zentrum heran- oder bis zur Peripherie unseres Blick- und Interessenkreises abrücken; aber dies bewirkt nicht etwa, daß unser inneres Verhältnis zu diesem Objekt sich ändere, sondern umgekehrt, wir können gewisse Verhältnisse des Ich zu seinen Inhalten nur durch das anschauliche Symbol einer bestimmten oder sich ändernden Distanz zwischen beiden bezeichnen. Es ist von vornherein schon ein symbolischer Ausdruck für einen an sich unsagbaren Sachverhalt, wenn wir unser inneres Dasein in ein zentrales Ich und darumgelagerte Inhalte scheiden; und angesichts der ungeheueren Unterschiede der sinnlich-äußerlichen Eindrücke von den Dingen je nach ihrem Abstand von unseren Organen – Unterschiede, nicht nur der Deutlichkeit, sondern der Qualität und des ganzen Charakters der empfangenen Bilder – liegt es nahe, jene Symbolisierung dahin auszudehnen, daß die Verschiedenheit auch der innerlichsten Verhältnisse zu den Dingen als Verschiedenheit der Distanz zu ihnen gedeutet werde.

Von den Erscheinungen, die von hier aus gesehen eine einheitliche Reihe bilden, hebe ich zunächst die künstlerischen hervor. Die innere Bedeutsamkeit der Kunststile läßt sich als eine Folge der verschiedenen Distanz auslegen, die sie zwischen uns und den Dingen herstellen. Alle Kunst verändert die Blickweite, in die wir uns ursprünglich und natürlich zu der Wirklichkeit stellen. Sie bringt sie uns einerseits näher, zu ihrem eigentlichen und innersten Sinn setzt sie uns in ein unmittelbareres Verhältnis, hinter der kühlen Fremdheit der Außenwelt verrät sie uns die Beseeltheit des Seins, durch die es uns verwandt und verständlich ist. Daneben aber stiftet jede Kunst eine Entfernung von der Unmittelbarkeit der Dinge, sie läßt die Konkretheit der Reize zurücktreten und spannt einen Schleier zwischen uns und sie, gleich dem feinen bläulichen Duft, der sich um ferne Berge legt. An beide Seiten dieses Gegensatzes knüpfen sich gleich starke Reize; die Spannung zwischen ihnen, ihre Verteilung auf die Mannigfaltigkeit der Ansprüche an das Kunstwerk, gibt jedem Kunststil sein eigenes Gepräge. Ja, die bloße Tatsache des Stiles ist an sich schon einer der bedeutsamsten Fälle von Distanzierung. Der Stil in der Äußerung unserer inneren Vorgänge besagt, daß diese nicht mehr unmittelbar hervorsprudeln, sondern in dem Augenblick ihres Offenbarwerdens ein Gewand umtun. Der Stil, als generelle Formung des Individuellen, ist für dieses eine Hülle, die eine Schranke und Distanzierung gegen den anderen, der die Äußerung aufnimmt, errichtet. Diesem Lebensprinzip aller Kunst: uns den Dingen dadurch näher zu bringen, daß sie uns in eine Distanz von ihnen stellt – entzieht sich auch die naturalistische Kunst nicht, deren Sinn doch ausschließlich auf Überwindung der Distanz zwischen uns und der Wirklichkeit gerichtet scheint. Denn nur eine Selbsttäuschung kann den Naturalismus verkennen lassen, daß auch er ein Stil ist, d. h. daß auch er die Unmittelbarkeit des Eindrucks von ganz bestimmten Voraussetzungen und Forderungen her gliedert und umbildet – unwiderleglich durch die kunstgeschichtliche Entwicklung bewiesen, in der alles das, was eine Epoche für das wörtlich treue und genau realistische Bild der Wirklichkeit hielt, durch eine spätere als vorurteilsvoll und verfälscht erkannt worden ist, während sie nun erst die Dinge, wie sie wirklich sind, darstelle. Der künstlerische Realismus verfällt demselben Fehler wie der wissenschaftliche, wenn er meint, ohne ein Apriori auszukommen, ohne eine Form, die, aus den Anlagen und Bedürfnissen unserer Natur quellend, der sinnlichen Wirklichkeit Gewandung oder Umgestaltung zuwachsen läßt. Diese Umformung, die sie auf dem Wege in unser Bewußtsein erleidet, ist zwar eine Schranke zwischen uns und ihrem unmittelbaren Sein, aber zugleich die Bedingung, sie vorzustellen und darzustellen. Ja, in gewissem Sinn mag der Naturalismus eine ganz besondere Distanzierung den Dingen gegenüber bewirken, wenn wir nämlich auf die Vorliebe achten, mit der er seine Gegenstände im allertäglichsten Leben, im Niedrigen und Banalen sucht. Denn da er eben zweifellos auch eine Stilisierung ist, so wird diese für ein feineres Empfinden – das im Kunstwerk die Kunst und nicht seinen, auch auf beliebig andere Weise darstellbaren Gegenstand sieht – um so fühlbarer, an je näherem, roherem, irdischerem Materiale sie sich vollzieht.

Im ganzen nun geht das ästhetische Interesse der letzten Zeit auf Vergrößerung der durch das Kunstwerden der Dinge geschaffenen Distanz gegen sie. Ich erinnere an den ungeheueren Reiz, den zeitlich und räumlich weit entfernte Kunststile für das Kunstgefühl der Gegenwart besitzen. Das Entfernte erregt sehr viele, lebhaft auf- und abschwingende Vorstellungen und genügt damit unserem vielseitigen Anregungsbedürfnis; doch klingt jede dieser fremden und fernen Vorstellungen wegen ihrer Beziehungslosigkeit zu unseren persönlichsten und unmittelbaren Interessen nur leise an und mutet deshalb geschwächten Nerven nur eine behagliche Anregung zu. Was wir den »historischen Geist« in unserer Zeit nennen, ist vielleicht nicht nur eine begünstigende Veranlassung dieser Erscheinung, sondern quillt mit ihr aus der gleichen Ursache. Und wechselwirkend macht er, mit der Fülle der inneren Beziehungen, die er uns zu räumlich und zeitlich weit abstehenden Interessen gewährt, uns immer empfindlicher gegen die Chocs und Wirrnisse, die uns aus der unmittelbaren Nähe und Berührung mit Menschen und Dingen kommen. Die Flucht in das Nicht-Gegenwärtige wird erleichtert, verlustloser, gewissermaßen legitimiert, wenn sie zu der Vorstellung und dem Genuß konkreter Wirklichkeiten führt – die aber eben weit entfernte, nur ganz mittelbar zu fühlende sind. Daher nun auch der jetzt so lebhaft empfundene Reiz des Fragmentes, der bloßen Andeutung, des Aphorismus, des Symbols, der unentwickelten Kunststile. Alle diese Formen, die in allen Künsten heimisch sind, stellen uns in eine Distanz von dem Ganzen und Vollen der Dinge, sie sprechen zu uns »wie aus der Ferne«, die Wirklichkeit gibt sich in ihnen nicht mit gerader Sicherheit, sondern mit gleich zurückgezogenen Fingerspitzen. Das äußerste Raffinement unseres literarischen Stiles vermeidet die direkte Bezeichnung der Objekte, streift mit dem Worte nur eine abgelegene Ecke ihrer, faßt statt der Dinge nur die Schleier, die um die Dinge sind. Am entschiedensten beweisen wohl die symbolistischen Neigungen in bildenden und redenden Künsten eben dieses. Hier wird die Distanz, die die Kunst schon als solche zwischen uns und die Dinge stellt, noch um eine Station erweitert, indem die Vorstellungen, die den Inhalt des schließlich zu erregenden Seelenvorganges bilden, in dem Kunstwerke selbst überhaupt kein sinnliches Gegenbild mehr haben, sondern erst durch Wahrnehmbarkeiten ganz anderen Inhaltes zum Anklingen gebracht werden. In alledem zeigt sich ein Zug des Empfindens wirksam, dessen pathologische Ausartung die sogenannte »Berührungsangst« ist: die Furcht, in allzu nahe Berührung mit den Objekten zu kommen, ein Resultat der Hyperästhesie, der jede unmittelbare und energische Berührung ein Schmerz ist. Daher äußert sich auch die Feinsinnigkeit, Geistigkeit, differenzierte Empfindlichkeit so überwiegend vieler moderner Menschen im negativen Geschmack, d.h. in der leichten Verletzbarkeit durch Nicht-Zusagendes, in dem bestimmten Ausschließen des Unsympathischen, in der Repulsion durch Vieles, ja oft durch das Meiste des gebotenen Kreises von Reizen, während der positive Geschmack, das energische Ja-Sagen, das freudige und rückhaltlose Ergreifen des Gefallenden, kurz die aktiv aneignenden Energien große Fehlbeträge aufweisen.

Es erstreckt sich aber jene innere Tendenz, die wir unter dem Symbol der Distanz betrachten, weit über das ästhetische Gebiet hinaus. So muß der philosophische Materialismus, der die Wirklichkeit unmittelbar zu fassen glaubte, auch heute wieder vor subjektivistischen oder neu-kantischen Theorien zurückweichen, die die Dinge erst durch das Medium der Seele brechen oder destillieren lassen, ehe sie sie zu Erkenntnissen werden lassen. Der Subjektivismus der neueren Zeit hat dasselbe Grundmotiv, von dem uns die Kunst getragen schien: ein innigeres und wahreres Verhältnis zu den Dingen dadurch zu gewinnen, daß wir, uns in uns selbst zurückziehend, von ihnen abrücken, oder die immer bestehende Distanz gegen sie nun bewußt anerkennen. Und wenn dieser Subjektivismus unvermeidlicher Weise mit dem stärkeren Selbstbewußtsein unserer Innerlichkeit diese auch häufiger betonen und besprechen läßt, so ist doch andrerseits mit ihm eine neue, tiefere, bewußtere Scham verbunden, eine zarte Scheu, das Letzte auszusprechen oder auch einem Verhältnis die naturalistische Form zu geben, die sein innerstes Fundament fortwährend sichtbar machte. Und auf weiteren wissenschaftlichen Gebieten: innerhalb der ethischen Überlegungen tritt die platte Nützlichkeit als Wertmaßstab des Wollens immer weiter zurück, man sieht, daß dieser Charakter des Handelns eben nur dessen Beziehung zu dem Allernächstliegenden betrifft und daß es deshalb seine eigentümliche Direktive, die es über seine bloße Technik als Mittel heraushebe, von höher aufblickenden, oft religiösen, der sinnlichen Unmittelbarkeit kaum verwandten Prinzipien erhalten muß. Endlich: über der spezialistischen Detailarbeit erhebt sich von allen Seiten her der Ruf nach Zusammenfassung und Verallgemeinerung, also nach einer überschauenden Distanz von allen konkreten Einzelheiten, nach einem Fernbild, in dem alle Unruhe des Nahewirkenden aufgehoben und das bisher nur Greifbare nun auch begreifbar würde.

Diese Tendenz würde vielleicht nicht so wirksam und merkbar sein, wenn ihr nicht die entgegengesetzte zur Seite ginge. Das geistige Verhältnis zur Welt, das die moderne Wissenschaft stiftet, ist tatsächlich nach beiden Seiten hin auszudeuten. Gewiß sind schon allein durch Mikroskop und Teleskop unendliche Distanzen zwischen uns und den Dingen überwunden worden; aber sie sind doch für das Bewußtsein erst in dem Augenblick entstanden, in dem es sie auch überwand. Nimmt man hinzu, daß jedes gelöste Rätsel mehr als ein neues aufgibt und das Näher-Herankommen an die Dinge uns sehr oft erst zeigt, wie fern sie uns noch sind – so muß man sagen: die Zeiten der Mythologie, der ganz allgemeinen und oberflächlichen Kenntnisse, der Anthropomorphisierung der Natur lassen in subjektiver Hinsicht, nach der Seite des Gefühls und des, wie immer irrigen, Glaubens, eine geringere Distanz zwischen Menschen und Dingen bestehen, als die jetzige. Alle raffinierten Methoden, durch die wir in das Innere der Natur eindringen, ersetzen doch nur sehr langsam und stückweise ihre innig vertraute Nähe, die die Götter Griechenlands, die Deutung der Welt nach menschlichen Impulsen und Gefühlen, die Lenkung ihrer durch einen persönlich eingreifenden Gott, ihre teleologische Einstellung auf das Wohl des Menschen, der Seele gewährt haben. Wir können das also zunächst so bezeichnen, daß die Entwicklung auf eine Überwindung der Distanz in relativ äußerlicher Hinsicht, auf eine Vergrößerung derselben in innerlicher Hinsicht ginge. Hier kann das Recht dieses symbolischen Ausdrucks sich wieder an seiner Anwendbarkeit auf einen ganz anderen Inhalt zeigen. Die Verhältnisse des modernen Menschen zu seinen Umgebungen entwickeln sich im ganzen so, daß er seinen nächsten Kreisen ferner rückt, um sich den ferneren mehr zu nähern. Die wachsende Lockerung des Familienzusammenhanges, das Gefühl unerträglicher Enge im Gebundensein an den nächsten Kreis, dem gegenüber Hingebung oft ebenso tragisch verläuft wie Befreiung, die steigende Betonung der Individualität, die sich gerade von der unmittelbaren Umgebung am schärfsten abhebt – diese ganze Distanzierung geht Hand in Hand mit der Knüpfung von Beziehungen zu dem Fernsten, mit dem Interessiertsein für weit Entlegenes, mit der Gedankengemeinschaft mit Kreisen, deren Verbindungen alle räumliche Nähe ersetzen. Das Gesamtbild aus alledem bedeutet doch ein Distanznehmen in den eigentlich innerlichen Beziehungen, ein Distanzverringern in den mehr äußerlichen. Wie die kulturelle Entwicklung bewirkt, daß das früher unbewußt und instinktiv Geschehende später mit klarer Rechenschaft und zerlegendem Bewußtsein geschieht, während andrerseits vieles, wozu es sonst angespannter Aufmerksamkeit und bewußter Mühe bedurfte, zu mechanischer Gewöhnung und instinktmäßiger Selbstverständlichkeit wird – so wird hier, entsprechend, das Entfernteste näher, um den Preis, die Distanz zum Näheren zu erweitern.

Der Umfang und die Intensität der Rolle, die das Geld in diesem Doppelprozeß spielt, ist zunächst als Überwindung der Distanz sichtbar. Es bedarf keiner Ausführung, daß allein die Übersetzung der Werte in die Geldform jene Interessenverknüpfungen ermöglicht, die nach dem räumlichen Abstand der Interessenten überhaupt nicht mehr fragen; erst durch sie kann, um ein Beispiel aus hunderten zu nennen, ein deutscher Kapitalist, aber auch ein deutscher Arbeiter an einem spanischen Ministerwechsel, an dem Ertrage afrikanischer Goldfelder, an dem Ausgange einer südamerikanischen Revolution real beteiligt sein. Bedeutsamer aber erscheint mir das Geld als Träger der entgegengesetzten Tendenz. Jene Lockerung des Familienzusammenhanges geht doch von der wirtschaftlichen Sonderinteressiertheit der einzelnen Mitglieder aus, die nur in der Geldwirtschaft möglich ist. Sie bewirkt vor allem, daß die Existenz auf die ganz individuelle Begabung gestellt werden kann; denn nur die Geldform des Äquivalents gestattet die Verwertung sehr spezialisierter Leistungen, die ohne diese Umsetzung in einen allgemeinen Wert kaum zu gegenseitigem Austausch gelangen könnten. Indem sie nun weiter auch die individuelle Anknüpfung nach außen erleichtert, den Eintritt in fremde Kreise, die nur nach der geldwerten Leistung oder dem Geldbeitrag ihrer Mitglieder fragen, – formt sie die Familie zum äußersten Gegensatz der Struktur, die der mehr kollektive Besitz, insbesondere als Grundeigentum, ihr verlieh. Dieser schuf eine Solidarität der Interessen, die sich soziologisch als eine Kontinuität im Zusammenhang der Familienmitglieder darstellte, während die Geldwirtschaft diesen eine gegenseitige Distanzierung ermöglicht, ja sogar aufdrängt. Über das Familienleben hinaus ruhen gewisse weitere Formen des modernen Daseins gerade auf der Distanzierung durch den Geldverkehr. Denn er legt eine Barriere zwischen die Personen, indem immer nur der eine von zwei Kontrahenten das bekommt, was er eigentlich will, was seine spezifischen Empfindungen auslöst, während der andere, der zunächst nur Geld bekommen hat, eben jenes erst bei einem Dritten suchen muß. Daß jeder von beiden mit einer ganz anderen Art von Interesse an die Transaktion herangeht, fügt dem Antagonismus, den schon die Entgegengesetztheit der Interessen von vornherein bewirkt, eine neue Fremdheit hinzu. In demselben Sinne wirkt die früher behandelte Tatsache, daß das Geld eine durchgängige Objektivierung des Verkehrs mit sich bringt, ein Ausschalten aller personalen Färbung und Richtung – im Verein mit der anderen, daß die Zahl der auf Geld gestellten Verhältnisse stetig zunimmt und die Bedeutung des Menschen für den Menschen mehr und mehr, wenn auch oft in sehr versteckter Form, auf geldmäßige Interessen zurückgeht. Auf diese Weise entsteht wie gesagt eine innere Schranke zwischen den Menschen, die aber allein die moderne Lebensform möglich macht. Denn das Aneinander-Gedrängtsein und das bunte Durcheinander des großstädtischen Verkehrs wären ohne jene psychologische Distanzierung einfach unerträglich. Daß man sich mit einer so ungeheuren Zahl von Menschen so nahe auf den Leib rückt, wie die jetzige Stadtkultur mit ihrem kommerziellen, fachlichen, geselligen Verkehr es bewirkt, würde den modernen, sensibeln und nervösen Menschen völlig verzweifeln lassen, wenn nicht jene Objektivierung des Verkehrscharakters eine innere Grenze und Reserve mit sich brächte. Die entweder offenbare oder in tausend Gestalten verkleidete Geldhaftigkeit der Beziehungen schiebt eine unsichtbare, funktionelle Distanz zwischen die Menschen, die ein innerer Schutz und Ausgleichung gegen die allzu gedrängte Nähe und Reibung unseres Kulturlebens ist.

Die gleiche Funktion des Geldes für den Lebensstil steigt nun noch tiefer in das Einzelsubjekt selbst hinab, als Distanzierung nicht gegen andere Personen, sondern gegen die Sachgehalte des Lebens. Schon daß ein Vermögen heute aus Produktionsmitteln, statt wie in primitiven Epochen aus Konsumtionsmitteln besteht, ist eine enorme Distanzierung. Wie sich in die Herstellung der Kulturobjekte selbst immer mehr und mehr Stationen einschieben – indem das Produkt immer weiter vom Rohstoff abliegt –, so stellt die jetzige Art des Vermögensbesitzes den Eigentümer technisch und infolgedessen auch innerlich in eine viel weitere Entfernung von dem definitiven Zwecke alles Vermögens, als zu den Zeiten, wo Vermögen nur die Fülle unmittelbarer Konsumtionsmöglichkeiten bedeutete. Auf dem Gebiet der Produktion wird der gleiche innere Erfolg durch die Arbeitsteilung begünstigt, die durch das Geldwesen wechselwirkend bedingt ist. Je weniger jeder Einzelne ein Ganzes schafft, desto durchgehender erscheint sein Tun als bloßes Vorstadium, desto weiter scheint die Quelle seiner Wirksamkeiten von deren Mündung, dem Sinn und Zweck der Arbeit, abgerückt. Und nun unmittelbar: wie sich das Geld zwischen Mensch und Mensch schiebt, so zwischen Mensch und Ware. Seit der Geldwirtschaft stehen uns die Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs nicht mehr unmittelbar gegenüber, unser Interesse an ihnen wird erst durch das Medium des Geldes gebrochen, ihre eigene sachliche Bedeutung rückt dem Bewußtsein ferner, weil ihr Geldwert diese aus ihrer Stelle in unseren Interessenzusammenhängen mehr oder weniger herausdrängt. Erinnern wir uns der früheren Ausmachungen, wie oft das Zweckbewußtsein auf der Stufe des Geldes halt macht, so zeigt sich, daß das Geld uns mit der Vergrößerung seiner Rolle in immer weitere psychische Distanz zu den Objekten stellt, oft in eine solche, daß ihr qualitatives Wesen uns davor ganz außer Sehweite rückt und die innere Berührung mit ihrem vollen, eigenen Sein durchbrochen wird. Und das gilt nicht nur für die Kulturobjekte. Unser ganzes Leben wird durch die Entfernung auch von der Natur gefärbt, die das geldwirtschaftliche und das davon abhängige städtische Leben erzwingt. Allerdings wird vielleicht erst durch sie die eigentlich ästhetische und romantische Empfindung der Natur möglich. Wer es nicht anders kennt, als in unmittelbarer Berührung mit der Natur zu leben, der mag ihre Reize wohl subjektiv genießen, aber ihm fehlt die Distanz zu ihr, aus der allein ein eigentlich ästhetisches Betrachten ihrer möglich ist, und durch die außerdem jene stille Trauer, jenes Gefühl sehnsüchtigen Fremdseins und verlorener Paradiese entsteht, wie sie das romantische Naturgefühl charakterisieren. Wenn der moderne Mensch seine höchsten Naturgenüsse in den Schneeregionen der Alpen und an der Nordsee zu finden pflegt, so ist das wohl nicht allein durch das gesteigerte Aufregungsbedürfnis zu erklären; sondern auch so, daß diese unzugängige, uns eigentlich zurückstoßende Welt die äußerste Steigerung und Stilisierung dessen darstellt, was uns Natur überhaupt noch ist: ein seelisches Fernbild, das selbst in den Augenblicken körperlicher Nähe wie ein innerlich Unerreichbares, ein nie ganz eingelöstes Versprechen vor uns steht und selbst unsere leidenschaftlichste Hingabe mit einer leisen Abwehr und Fremdheit erwidert. Daß erst die moderne Zeit die Landschaftsmalerei ausgebildet hat – die, als Kunst, nur in einem Abstand vom Objekte und im Bruch der natürlichen Einheit mit ihm leben kann – und daß auch erst sie das romantische Naturgefühl kennt, das sind die Folgen jener Distanzierung von der Natur, jener eigentlich abstrakten Existenz, zu der das auf die Geldwirtschaft gebaute Stadtleben uns gebracht hat. Und dem widerspricht nicht, daß gerade der Geldbesitz uns die Flucht in die Natur gestattet. Denn gerade daß sie für den Stadtmenschen nur unter dieser Bedingung zu genießen ist, das schiebt – in wie vielen Umsetzungen und bloßen Nachklängen auch immer – zwischen ihn und sie jene Instanz ein, die nur verbindet, indem sie zugleich trennt.

Im weiteren Maße tritt diese Bedeutung des Geldwesens an seiner Steigerung, dem Kredite, hervor. Der Kredit spannt die Vorstellungsreihen noch mehr und mit einem entschiedeneren Bewußtsein ihrer unverkürzlichen Weite aus, als die Zwischeninstanz des baren Geldes es für sich tut. Der Drehpunkt des Verhältnisses zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer ist gleichsam aus der gradlinigen Verbindung ihrer hinaus und in einer weiten Distanz von ihnen festgelegt: die Tätigkeit des Einzelnen wie der Verkehr bekommt dadurch den Charakter der Langsichtigkeit und den der gesteigerten Symbolik. Indem der Wechsel oder überhaupt der Begriff der Geldschuld die Werte weit abliegender Objekte vertritt, verdichtet er sie ebenso in sich, wie der Blick über eine räumliche Entfernung hin die Inhalte der Strecke in perspektivischer Verkürzung zusammendrängt. Und wie uns das Geld von den Dingen entfernt, aber auch – in diesen gegensätzlichen Wirkungen seine spezifische Indifferenz zeigend – sie uns näher bringt, so hat die Kreditanweisung ein doppeltes Verhältnis zu unserem Vermögensbestande. Vom Checkverkehr ist einerseits hervorgehoben worden, daß er ein Palliativmittel gegen Verschwendungen bilde; manche Individuen ließen sich angesichts ihres Kassenbarbestandes leichter zu unnützen Ausgaben verleiten, als wenn sie denselben im Depot eines Dritten haben und erst durch eine Anweisung darüber verfügen müssen. Andrerseits aber scheint mir die Versuchung zum Leichtsinn gerade besonders verführerisch, wenn man das viele wegzugebende Geld nicht vor sich sieht, sondern nur mit einem Federzug darüber verfügt. Die Form des Scheckverkehrs rückt uns einerseits durch den mehrgliedrigen Mechanismus zwischen uns und dem Gelde, den wir immer erst in Bewegung zu setzen haben, von diesem ab, andrerseits aber erleichtert sie uns die Aktion damit, nicht nur wegen der technischen Bequemlichkeit, sondern auch psychologisch, weil das bare Geld uns seinen Wert sinnlicher vor Augen stellt und uns damit die Trennung von ihm erschwert.

Von den einschlägigen Bedeutungen des Kreditcharakters des Verkehrs greife ich nur eine heraus, welche zwar nicht durchgehend, aber sehr bezeichnend ist. Ein Reisender erzählt, ein englischer Kaufmann habe ihm einmal definiert: »ein gewöhnlicher Mann ist, wer Waren gegen bare Zahlung kauft, ein Gentleman der, dem ich Kredit gebe und der mich alle sechs Monate mit einem Scheck bezahlt«. Hier ist zunächst die Grundempfindung bemerkenswert: daß nicht ein Gentleman vorausgesetzt wird, der dann als solcher Kredit erhält, sondern daß derjenige, der Kredit beansprucht, eben ein Gentleman ist. Daß so der Kreditverkehr als der vornehmere erscheint, geht wohl auf zweierlei Empfindungsrichtungen zurück. Zunächst darauf, daß er Vertrauen fordert. Es ist das Wesen der Vornehmheit, ihre Gesinnung und deren Wert nicht sowohl vorzudemonstrieren, als den Glauben daran einfach vorauszusetzen – weshalb denn auch, entsprechend, alles ostentative Hervorkehren des Reichtums so spezifisch unvornehm ist. Gewiß enthält jedes Vertrauen eine Gefahr; der vornehme Mensch verlangt, daß man im Verkehr mit ihm diese Gefahr auf sich nehme, und zwar mit der Nüance, daß er, in der absoluten Sicherheit über sich selbst, dies gar nicht als eine Gefahr anerkennt und deshalb sozusagen keine Risikoprämie dafür gewährt: aus eben dieser Grundempfindung heraus sagt das Schillersche Epigramm, daß adlige Naturen nicht mit dem, was sie tun, sondern nur mit dem, was sie sind, zahlen. Es ist begreiflich, wie die bare, Zug um Zug erfolgende Zahlung für jenen Kaufmann etwas kleinbürgerliches hatte, sie rückt die Momente der wirtschaftlichen Reihe in ängstliche Enge zusammen, während der Kredit eine Distanz zwischen ihnen ausspannt, die er vermittels des Vertrauens beherrscht. Es ist allenthalben das Schema höherer Entwicklungsstufen, daß das ursprüngliche Aneinander und die unmittelbare Einheit der Elemente aufgelöst wird, damit sie, verselbständigt und voneinander abgerückt, nun in eine neue, geistigere, umfassendere Synthese vereinheitlicht werden. Im Kreditverkehr wird statt der Unmittelbarkeit der Wertausgleichung eine Distanz gesetzt, deren Pole durch den Glauben zusammengehalten werden; wie Religiosität um so höher steht, eine je unermeßlichere Distanz sie – im Gegensatz zu allem Anthropomorphismus und allen sinnlichen Erweisen – zwischen Gott und der Einzelseele bestehen läßt, um gerade damit das äußerste Maß des Glaubens hervorzurufen, das jene Distanz überbrücke. Daß bei dem größeren Verkehr innerhalb der Kaufmannschaft das Vornehmheitsmoment beim Kredite nicht mehr fühlbar wird, liegt daran, daß er hier eine unpersönliche Organisation geworden ist und das Vertrauen den eigentlich persönlichen Charakter – ohne den die Kategorie der Vornehmheit nicht anwendbar ist – verloren hat: der Kredit ist eine technische Verkehrsform ohne, oder mit sehr herabgestimmten, psychologischen Obertönen geworden. – Und zweitens: jene Aufhäufung der kleinen Schulden bis zu der schließlichen Bezahlung mit dem Scheck bewirkt eine gewisse Reserve des Abnehmers gegenüber dem Kaufmann, die fortwährende und unmittelbare Wechselwirkung, die bei jedesmaligem barem Bezahlen eintritt, wird aufgehoben, die Lieferung des Kaufmanns hat, äußerlich angesehen, sozusagen ästhetisch, die Form eines Tributes, einer Darbringung an einen Mächtigen, die dieser, wenigstens in dem einzelnen Falle, ohne Gegenleistung hinnimmt. Indem nun auch am Ende der Kreditperiode die Auszahlung nicht von Person zu Person erfolgt, sondern auch durch ein Kreditpapier, durch die Anweisung auf das gleichsam objektive Depot bei der Scheckbank, wird diese Reserve des Subjekts fortgesetzt und so von allen Seiten her die Distanz zwischen dem »Gentleman« und dem Krämer betont, die den Begriff des ersteren entstehen läßt und für die diese Art des Verkehrs allerdings der adäquate Ausdruck ist.

Ich begnüge mich mit diesem singulären Beispiel für die distanzierende Wirkung des Kredites auf den Lebensstil und schildere nur noch einen sehr allgemeinen, auf die Bedeutung des Geldes zurückweisenden Zug des letzteren. Durch die moderne Zeit, insbesondere, wie es scheint, durch die neueste, geht ein Gefühl von Spannung, Erwartung, ungelöstem Drängen – als sollte die Hauptsache erst kommen, das Definitive, der eigentliche Sinn und Zentralpunkt des Lebens und der Dinge. Dies hängt ersichtlich von dem hier oft hervorgehobenen Übergewicht ab, das mit gewachsener Kultur die Mittel über die Zwecke des Lebens gewinnen. Neben dem Gelde ist hierfür vielleicht der Militarismus das schlagendste Beispiel. Das stehende Heer ist bloße Vorbereitung, latente Energie, Eventualität, deren Definitivum und Zweck nicht nur jetzt verhältnismäßig selten eintritt, sondern auch mit allen Kräften zu vermeiden gesucht wird; ja, die äußerste Anspannung der militärischen Kräfte wird als das einzige Mittel gepriesen, ihre eigene Entladung zu verhindern. An diesem teleologischen Gewebe haben wir also den Widerspruch der Übertönung des Zwecks durch das Mittel zu absoluter Höhe gehoben: indem der wachsenden Bedeutung des Mittels eine gerade in demselben Maß wachsende Perhorreszierung und Verneinung seines Zwecks entspricht. Und dieses Gebilde durchdringt das Volksleben mehr und mehr, greift in den weitesten Umkreis personaler, innerpolitischer und Produktionsverhältnisse ein, gibt gewissen Altersstufen und gewissen sozialen Kreisen direkt und indirekt ihre Färbung! Weniger kraß, aber gefährlicher und schleichender tritt diese Richtung auf das Illusorisch-Werden der Endzwecke vermittels der Fortschritte und der Bewertung der Technik auf. Wenn die Leistungen derselben in Wirklichkeit zu demjenigen, worauf es im Leben eigentlich und schließlich ankommt, eben doch höchstens im Verhältnis von Mittel oder Werkzeug, sehr oft aber in gar keinem stehen – so hebe ich von den mancherlei Veranlassungen, diese Rolle der Technik zu verkennen, nur die Großartigkeit hervor, zu der sie sich in sich entwickelt hat. Es ist einer der verbreitetsten und fast unvermeidlichen menschlichen Züge, daß die Höhe, Größe und Vollendung, welche ein Gebiet innerhalb seiner Grenzen und unter den ihm eignen Voraussetzungen erlangt hat, mit der Bedeutsamkeit dieses Gebietes als ganzen verwechselt wird; der Reichtum und die Vollkommenheit der einzelnen Teile, das Maß, in dem das Gebiet sich seinem eignen immanenten Ideale nähert, gilt gar zu leicht als Wert und Würde desselben überhaupt und in seinem Verhältnis zu den anderen Lebensinhalten. Die Erkenntnis, daß etwas in seinem Genre und gemessen an den Forderungen seines Typus sehr hervorragend sei, während dieses Genre und Typus selbst weniges und niedriges bedeute – diese Erkenntnis setzt in jedem einzelnen Falle ein sehr geschärftes Denken und differenziertes Wertempfinden voraus. Wie häufig unterliegen wir der Versuchung, die Bedeutung der eignen Leistung dadurch zu exaggerieren, daß wir der ganzen Provinz, der sie angehört, übertriebene Bedeutung beilegen! – indem wir ihre relative Höhe auf jenes Ganze überfließen lassen und sie dadurch zu einer absoluten steigern. Wie oft verleitet der Besitz einer hervorragenden Einzelheit irgendeiner Wertart – von den Gegenständen der Sammelmanien anfangend bis zu den spezialistischen Kenntnissen eines wissenschaftlichen Sondergebietes – dazu, eben diese Wertart als ganze im Zusammenhange des Wertkosmos so hoch zu schätzen, wie jene Einzelheit es innerhalb ihrer verdient! Es ist, im Grunde genommen, immer der alte metaphysische Fehler: die Bestimmungen, welche die Elemente eines Ganzen untereinander, also relativerweise, aufzeigen, auf das Ganze zu übertragen – der Fehler, aus dem heraus z.B. die Forderung ursächlicher Begründung, die für alle Teile der Welt und für deren Verhältnis untereinander gilt, auch dem Ganzen der Welt gegenüber erhoben wird. Den Enthusiasten für die moderne Technik würde es wahrscheinlich sehr wunderlich vorkommen, daß ihr inneres Verhalten demselben Formfehler unterliegen soll, wie das der spekulierenden Metaphysiker. Und doch ist es so: die relative Höhe, welche die technischen Fortschritte der Gegenwart gegenüber den früheren Zuständen und unter vorausgesetzter Anerkennung gewisser Ziele erreicht haben, wächst ihnen zu einer absoluten Bedeutung dieser Ziele und also jener Fortschritte aus. Gewiß haben wir jetzt statt der Tranlampen Azetylen und elektrisches Licht; allein der Enthusiasmus über die Fortschritte der Beleuchtung vergißt manchmal, daß das Wesentliche doch nicht sie, sondern dasjenige ist, was sie besser sichtbar macht; der förmliche Rausch, in den die Triumphe von Telegraphie und Telephonie die Menschen versetzt haben, läßt sie oft übersehen, daß es doch wohl auf den Wert dessen ankommt, was man mitzuteilen hat, und daß dem gegenüber die Schnelligkeit oder Langsamkeit des Beförderungsmittels sehr oft eine Angelegenheit ist, die ihren jetzigen Rang nur durch Usurpation erlangen konnte. Und so auf unzähligen Gebieten.

Dieses Übergewicht der Mittel über die Zwecke findet seine Zusammenfassung und Aufgipfelung in der Tatsache, daß die Peripherie des Lebens, die Dinge außerhalb seiner Geistigkeit, zu Herren über sein Zentrum geworden sind, über uns selbst. Es ist schon richtig, daß wir die Natur damit beherrschen, daß wir ihr dienen; aber in dem herkömmlichen Sinne doch nur für die Außenwerke des Lebens richtig. Sehen wir auf dessen Ganzheit und Tiefe, so kostet jenes Verfügenkönnen über die äußere Natur, das die Technik uns einträgt, den Preis, in ihr befangen zu sein und auf die Zentrierung des Lebens in der Geistigkeit zu verzichten. Die Illusionen dieses Gebietes zeichnen sich deutlich an den Ausdrücken, die ihm dienen und mit denen eine auf ihre Objektivität und Mythenfreiheit stolze Anschauungsweise das direkte Gegenteil dieser Vorzüge verrät. Daß wir die Natur besiegen oder beherrschen, ist ein ganz kindlicher Begriff, da er irgendeinen Widerstand, ein teleologisches Moment in der Natur selbst voraussetzt, eine Feindseligkeit gegen uns, da sie doch nur gleichgültig ist, und alle ihre Dienstbarkeit ihre eigene Gesetzmäßigkeit nicht abbiegt – während alle Vorstellungen von Herrschaft und Gehorsam, Sieg und Unterworfensein nur darin Sinn haben, daß ein entgegenstehender Wille gebrochen ist. Dies ist freilich nur das Gegenstück zu der Ausdrucksweise, daß die Wirksamkeit der Naturgesetze den Dingen einen unentrinnbaren Zwang auferlege. Denn zunächst wirken Naturgesetze überhaupt nicht, da sie nur die Formeln für die allein möglichen Wirksamkeiten: der einzelnen Stoffe und Energien, sind. Die Naivität einer mißverstandenen Naturwissenschaftlichkeit: als ob die Naturgesetze als reale Mächte die Wirklichkeit lenkten, wie ein Herrscher sein Reich, steht insofern auf einem Blatt mit der unmittelbaren Lenkung der irdischen Dinge durch den Finger Gottes. Und nicht weniger irreführend ist der vorgebliche Zwang, das Müssen, dem das Naturgeschehen unterliegen soll. Unter diesen Kategorien empfindet nur die menschliche Seele das Gebundensein an Gesetze, weil solchem in ihr Regungen entgegenstehen, die uns in andere Richtungen führen möchten. Das natürliche Geschehen als solches aber steht ganz jenseits der Alternative von Freiheit und Zwang, und mit dem »Müssen« wird in das einfache Sein der Dinge ein Dualismus hineingefühlt, der nur für bewußte Seelen einen Sinn hat. Wären dies alles auch nur Fragen des Ausdrucks, so leitet dieser doch alle oberflächlicher Denkenden auf anthropomorphistische Irrwege, und zeigt, daß die mythologische Denkweise auch innerhalb der naturwissenschaftlichen Weltanschauung ein Unterkommen findet. Jener Begriff einer Herrschaft des Menschen über die Natur erleichtert die selbstschmeichlerische Verblendung über unser Verhältnis zu ihr, die doch selbst auf dem Boden dieses Gleichnisses nicht unvermeidlich wäre. Der äußerlichen Objektivität und Sichtbarkeit nach ist allerdings die wachsende Herrschaft auf der Seite des Menschen; aber damit ist noch gar nicht entschieden, daß der subjektive Reflex, die nach innen schlagende Bedeutung dieser historischen Tatsache nicht im entgegengesetzten Sinn verlaufen könne. Man lasse sich nicht durch das ungeheure Maß von Intelligenz beirren, vermöge dessen die theoretischen Grundlagen jener Technik hervorgebracht sind und das allerdings den Traum Platos: die Wissenschaft zur Herrscherin des Lebens zu machen, – zu verwirklichen scheint. Aber die Fäden, an denen die Technik die Kräfte und Stoffe der Natur in unser Leben hineinzieht, sind ebensoviele Fesseln, die uns binden und uns unendlich Vieles unentbehrlich machen, was doch für die Hauptsache des Lebens gar sehr entbehrt werden könnte, ja müßte. Wenn man schon auf dem Gebiet der Produktion behauptet, daß die Maschine, die den Menschen doch die Sklavenarbeit an der Natur abnehmen sollte, sie zu Sklaven eben an der Maschine selbst herabgedrückt hat, – so gilt es für feinere und umfassendere innerliche Beziehungen erst recht: der Satz, daß wir die Natur beherrschen, indem wir ihr dienen, hat den fürchterlichen Revers, daß wir ihr dienen, indem wir sie beherrschen. Es ist sehr mißverständlich, daß die Bedeutsamkeit und geistige Potenz des modernen Lebens aus der Form des Individuums in die der Massen übergegangen wäre; viel eher ist sie in die Form der Sachen übergegangen, lebt sich aus in der unübersehbaren Fülle, wunderbaren Zweckmäßigkeit, komplizierten Feinheit der Maschinen, der Produkte, der überindividuellen Organisationen der jetzigen Kultur. Und entsprechend ist der »Sklavenaufstand«, der die Selbstherrlichkeit und den normgebenden Charakter des starken Einzelnen zu entthronen droht, nicht der Aufstand der Massen, sondern der der Sachen. Wie wir einerseits die Sklaven des Produktionsprozesses geworden sind, so andrerseits die Sklaven der Produkte: d. h., was uns die Natur vermöge der Technik von außen liefert, ist durch tausend Gewöhnungen, tausend Zerstreuungen, tausend Bedürfnisse äußerlicher Art über das Sich-Selbst-Gehören, über die geistige Zentripetalität des Lebens Herr geworden. Damit hat das Dominieren der Mittel nicht nur einzelne Zwecke, sondern den Sitz der Zwecke überhaupt ergriffen, den Punkt, in dem alle Zwecke zusammenlaufen, weil sie, soweit sie wirklich Endzwecke sind, nur aus ihm entspringen können. So ist der Mensch gleichsam aus sich selbst entfernt, zwischen ihn und sein Eigentlichstes, Wesentlichstes, hat sich eine Unübersteiglichkeit von Mittelbarkeiten, technischen Errungenschaften, Fähigkeiten, Genießbarkeiten geschoben.

Solcher Betonung der Mittelinstanzen des Lebens, gegenüber seinem zentralen und definitiven Sinne, wüßte ich übrigens keine Zeit, der dies ganz fremd gewesen wäre, entgegenzustellen. Vielmehr, da der Mensch ganz auf die Kategorie von Zweck und Mittel gestellt ist, so ist es wohl sein dauerndes Verhängnis, sich in einem, Widerstreit der Ansprüche zu bewegen, die der Zweck unmittelbar, und die die Mittel stellen; das Mittel enthält immer die innere Schwierigkeit, für sich Kraft und Bewußtsein zu verbrauchen, die eigentlich nicht ihm, sondern einem andern gelten. Aber es ist ja gar nicht der Sinn des Lebens, die Dauer versöhnter Zustände, nach der es strebt, auch wirklich zu erlangen. Es mag sogar für die Schwungkraft unserer Innerlichkeit gerade darauf ankommen, jenen Widerspruch lebendig zu erhalten, und an seiner Heftigkeit, an dem Überwiegen der einen oder der anderen Seite, der psychologischen Form, in der jede von beiden auftritt, dürften sich die Lebensstile mit am charakteristischsten unterscheiden. Für die Gegenwart, in der das Vorwiegen der Technik ersichtlich ein Überwiegen des klaren, intelligenten Bewußtseins – als Ursache wie als Folge – bedeutet, habe ich hervorgehoben, daß die Geistigkeit und Sammlung der Seele, von der lauten Pracht des naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters übertäubt, sich als ein dumpfes Gefühl von Spannung und unorientierter Sehnsucht rächt; als ein Gefühl, als läge der ganze Sinn unserer Existenz in einer so weiten Ferne, daß wir ihn gar nicht lokalisieren können und so immer in Gefahr sind, uns von ihm fort, statt auf ihn hin zu bewegen – und dann wieder, als läge er vor unseren Augen, mit einem Ausstrecken der Hand würden wir ihn greifen, wenn nicht immer gerade ein Geringes von Mut, von Kraft oder von innerer Sicherheit uns fehlte. Ich glaube, daß diese heimliche Unruhe, dies ratlose Drängen unter der Schwelle des Bewußtseins, das den jetzigen Menschen vom Sozialismus zu Nietzsche, von Böcklin zum Impressionismus, von Hegel zu Schopenhauer und wieder zurück jagt – nicht nur der äußeren Hast und Aufgeregtheit des modernen Lebens entstammt, sondern daß umgekehrt diese vielfach der Ausdruck, die Erscheinung, die Entladung jenes innersten Zustandes ist. Der Mangel an Definitivem im Zentrum der Seele treibt dazu, in immer neuen Anregungen, Sensationen, äußeren Aktivitäten eine momentane Befriedigung zu suchen; so verstrickt uns dieser erst seinerseits in die wirre Halt- und Ratlosigkeit, die sich bald als Tumult der Großstadt, bald als Reisemanie, bald als die wilde Jagd der Konkurrenz, bald als die spezifisch moderne Treulosigkeit auf den Gebieten des Geschmacks, der Stile, der Gesinnungen, der Beziehungen offenbart. Die Bedeutung des Geldes für diese Verfassung des Lebens ergibt sich als einfacher Schluß aus den Prämissen, die alle Erörterungen dieses Buches festgestellt haben. Es genügt also die bloße Erwähnung seiner Doppelrolle: das Geld steht einmal in einer Reihe mit all den Mitteln und Werkzeugen der Kultur, die sich vor die innerlichen und Endzwecke schieben und diese schließlich überdecken und verdrängen. Bei ihm treten, teils wegen der Leidenschaft seines Begehrtwerdens, teils wegen seiner eigenen Leerheit und bloßen Durchgangscharakters die Sinnlosigkeit und die Folgen jener teleologischen Verschiebung am auffälligsten hervor; allein insofern ist es doch nur die graduell höchste all jener Erscheinungen, es übt die Funktion der Distanzierung zwischen uns und unseren Zwecken nur reiner und restloser als die anderen technischen Mittelinstanzen, aber prinzipiell in keiner anderen Weise; auch hier zeigt es sich als nichts Isoliertes, sondern nur als der vollkommenste Ausdruck von Tendenzen, die sich auch unterhalb seiner in einer Stufenfolge von Erscheinungen darstellen. Nach einer anderen Richtung freilich stellt sich das Geld jenseits dieser ganzen Reihe, indem es nämlich vielfach der Träger ist, durch den die einzelnen, jene Umbildung erfahrenden Zweckreihen ihrerseits erst zustande kommen. Es durchflicht dieselben als Mittel der Mittel, als die allgemeinste Technik des äußeren Lebens, ohne die die einzelnen Techniken unserer Kultur unentstanden geblieben wären. Also auch nach dieser Wirkungsrichtung hin zeigt es die Doppelheit seiner Funktionen, durch deren Vereinigung es die Form der größten und tiefsten Lebenspotenzen überhaupt wiederholt: daß es einerseits in den Reihen der Existenz als ein Gleiches oder allenfalls ein Erstes unter Gleichen steht, und daß es andrerseits über ihnen steht, als zusammenfassende, alles Einzelne tragende und durchdringende Macht. So ist die Religion eine Macht im Leben, neben seinen andern Interessen und oft gegen sie, einer der Faktoren, deren Gesamtheit das Leben ausmacht, und andrerseits die Einheit und der Träger des ganzen Daseins selbst – einerseits ein Glied des Lebensorganismus, andrerseits diesem gegenüberstehend, indem sie ihn in der Selbstgenügsamkeit ihrer Höhe und Innerlichkeit ausdrückt. –

Ich komme nun zu einer zweiten Stilbestimmtheit des Lebens, die nicht, wie die Distanzierung, durch eine räumliche, sondern durch eine zeitliche Analogie bezeichnet wird; und zwar, da die Zeit inneres und äußeres Geschehen gleichmäßig umfaßt, wird die Wirklichkeit damit unmittelbarer und mit geringerer Inanspruchnahme der Symbolik als in dem früheren Falle charakterisiert. Es handelt sich um den Rhythmus, in dem die Lebensinhalte auftreten und zurücktreten, um die Frage, inwieweit die verschiedenen Kulturepochen überhaupt die Rhythmik in dem Abrollen derselben begünstigen oder zerstören, und ob das Geld nicht nur in seinen eigenen Bewegungen daran teil hat, sondern auch jenes Herrschen oder Sinken der Periodik des Lebens von sich aus beeinflußt. Auf den Rhythmus von Hebung und Senkung ist unser Leben in all seinen Reihen eingestellt; die Wellenbewegung, die wir in der äußeren Natur unmittelbar und als die zugrunde liegende Form so vieler Erscheinungen erkennen, beherrscht auch die Seele im weitesten Kreise. Der Wechsel von Tag und Nacht, der unsere ganze Lebensform bestimmt, zeichnet uns die Rhythmik als allgemeines Schema vor; wir können nicht zwei, dem Sinne nach koordinierte Begriffe aussprechen, ohne daß psychologisch der eine den Akzent der Hebung, der andere den der Senkung erhielte: so ist z. B. »Wahrheit und Dichtung« etwas ganz anderes als »Dichtung und Wahrheit«. Und wo von drei Elementen das dritte dem zweiten koordiniert sein soll, ist auch dies psychologisch nicht vollkommen zu realisieren, sondern die Wellenform des Seelischen strebt dem dritten einen dem ersten ähnlichen Akzent zu geben: z. B. ist das Vermaß Zeichen gar nicht völlig korrekt auszusprechen, sondern unvermeidlich wird die dritte Silbe schon wieder etwas stärker als die zweite betont. Die Einteilung der Tätigkeitsreihen, im großen wie im kleinen, in rhythmisch wiederholte Perioden dient zunächst der Kraftersparnis. Durch den Wechsel innerhalb der einzelnen Periode werden die Tätigkeitsträger, physischer oder psychischer Art, abwechselnd geschont, während zugleich die Regelmäßigkeit des Turnus eine Gewöhnung an den ganzen Bewegungskomplex schafft, deren allmähliches Festerwerden jede Wiederholung erleichtert. Der Rhythmus genügt gleichzeitig den Grundbedürfnissen nach Mannigfaltigkeit und nach Gleichmäßigkeit, nach Abwechslung und nach Stabilität: indem jede Periode für sich aus differenten Elementen, Hebung und Senkung, quantitativen oder qualitativen Mannigfaltigkeiten besteht, die regelmäßige Wiederholung ihrer aber Beruhigung, Uniformität, Einheitlichkeit im Charakter der Reihe bewirkt. An der Einfachheit oder der Komplikation der Rhythmik, der Länge oder Kürze ihrer einzelnen Perioden, ihrer Regelmäßigkeit, ihren Unterbrechungen, oder auch ihrem Ausbleiben finden die individuellen und die sozialen, die sachlichen und die historischen Lebensreihen gleichsam ihre abstrakte Schematik. Innerhalb der hier fraglichen Kulturentwicklungen begegnen zunächst eine Reihe von Erscheinungen, die in früheren Stadien rhythmisch, in späteren aber kontinuierlich oder unregelmäßig verlaufen. Vielleicht die auffallendste: der Mensch hat keine bestimmte Paarungszeit mehr, wie sie fast bei allen Tieren besteht, bei denen sich sexuelle Erregtheit und Gleichgültigkeit scharf gegeneinander absetzen; unkultivierte Völker weisen mindestens noch Reste dieser Periodik auf. Die Verschiedenheit in der Brunstzeit der Tiere hängt wesentlich daran, daß die Geburten zu derjenigen Jahreszeit erfolgen müssen, in der Nahrungs- und klimatische Verhältnisse für das Aufbringen der Jungen am günstigsten sind; tatsächlich werden auch bei einigen der sehr rohen Australneger, die keine Haustiere haben und deshalb regelmäßigen Hungersnöten unterliegen, nur zu einer bestimmten Zeit des Jahres Kinder geboren. Der Kulturmensch hat sich durch seine Verfügung über Nahrung und Wetterschutz hiervon unabhängig gemacht, so daß er in dieser Hinsicht seinen individuellen Impulsen und nicht mehr allgemein, also notwendig rhythmisch, bestimmten, folgt: die oben genannten Gegensätze der Sexualität sind bei ihm in ein mehr oder weniger fluktuierendes Kontinuum übergegangen. Immerhin ist festgestellt, daß die noch beobachtbare Periodizität des Geburtenmaximums und -minimums in wesentlich Ackerbau treibenden Gegenden entschiedener ist als in industriellen, auf dem Lande entschiedener als in Städten. Weiter: das Kind unterliegt einem unbezwinglichen Rhythmus von Schlafen und Wachen, von Betätigungslust und Abgespanntheit, und annähernd ist das auch noch in ländlichen Verhältnissen zu beobachten – während für den Stadtmenschen diese Regelmäßigkeit der Bedürfnisse (nicht nur ihrer Befriedigungen!) längst durchbrochen ist. Und wenn es wahr ist, daß die Frauen die undifferenziertere, der Natur noch unmittelbarer verbundene Stufe des Menschlichen bezeichnen, so könnte die Periodik, die ihrem physiologischen Leben einwohnt, als Bestätigung dafür dienen. Wo der Mensch noch unmittelbar von der Ernte oder dem Jagdertrag, weiterhin von dem Eintreffen des umherziehenden Händlers oder von dem periodischen Markte abhängig ist, da muß sich das Leben nach sehr vielen Richtungen hin in einem Rhythmus von Expansion und Kontraktion bewegen. Für manche Hirtenvölker, die sogar schon höher stehen wie jene Australneger, z. B. manche Afrikaner, bedeuten die Zeiten, in denen es an Weideland fehlt, doch eine jährlich wiederkehrende halbe Hungersnot. Und selbst wo nicht eine eigentliche Periodik vorliegt, da zeigt doch die primitive Wirtschaft für den Selbstbedarf in bezug auf die Konsumtion wenigstens jenes wesentliche Moment ihrer: das unvermittelte Überspringen der Gegensätze ineinander, von Mangel zu Überfluß, von Überfluß zu Mangel. Wie sehr die Kultur hier Ausgleichung bedeutet, ist ersichtlich. Nicht nur sorgt sie dafür, daß das ganze Jahr über alle erforderlichen Lebensmittel in ungefähr gleichem Quantum angeboten werden, sondern vermöge des Geldes setzt sie auch die verschwenderische Konsumtion herab: denn jetzt kann der zeitweilige Überfluß zu Gelde gemacht und sein Genuß dadurch gleichmäßig und kontinuierlich über das ganze Jahr verteilt werden. Ich erwähne hier endlich, ganz jenseits aller Wirtschaft und nur als charakteristisches Symbol dieser Entwicklung, daß auch in der Musik das rhythmische Element das zuerst ausgeprägte und gerade auf ihren primitivsten Stufen äußerst hervortretende ist. Ein Missionar ist in Aschanti bei der wirren Disharmonie der dortigen Musik von dem wunderbaren Takthalten der Musiker überrascht, die chinesische Theatermusik in Kalifornien soll, obgleich ein ohrenzerreißender unmelodischer Lärm, doch strenge Taktmäßigkeit besitzen, von den Festen der Wintunindianer erzählt ein Reisender: »Dann kommen auch Gesänge, in denen jeder Indianer seine eigenen Gefühle ausdrückt, wobei sie seltsamerweise vollkommen Takt miteinander halten.« Tiefer hinabsteigend: gewisse Insekten bringen einen Laut zur Bezauberung der Weibchen hervor, der in einem und demselben, scharf rhythmisch wiederholten Ton besteht – im Unterschied gegen die höher entwickelten Vögel, in deren Liebesgesang die Rhythmik ganz hinter die Melodie zurücktritt. Und auf den höchsten Stufen der Musik wird bemerkt, daß neuerdings die Entwicklung vom Rhythmischen ganz abzuweichen scheine, nicht nur bei Wagner, sondern auch bei gewissen Gegnern von ihm, die in ihren Texten dem Rhythmischen aus dem Wege gehen und den Korintherbrief und den Prediger Salomonis komponieren; der scharfe Wechsel von Hebung und Senkung macht ausgeglichneren oder unregelmäßigeren Formen Platz. Sehen wir von dieser Analogie wieder auf das wirtschaftliche und allgemeine Kulturleben zurück, so scheint dasselbe von einer durchgängigen Vergleichmäßigung ergriffen, seit man für Geld alles zu jeder Zeit kaufen kann und deshalb die Regungen und Reizungen des Individuums sich an keinen Rhythmus mehr zu halten brauchen, der, von der Möglichkeit ihrer Befriedigung aus, sie einer transindividuellen Periodizität unterwürfe. Und wenn die Kritiker der jetzigen Wirtschaftsordnung gerade ihr den regelmäßigen Wechsel zwischen Überproduktion und Krisen vorwerfen, so wollen sie damit doch gerade das noch Unvollkommene an ihr bezeichnen, das in eine Kontinuität der Produktion wie des Absatzes überzuführen sei. Ich erinnere an die Ausdehnung des Transportwesens, das von der Periodizität der Fahrpost zu den zwischen den wichtigsten Punkten fast ununterbrochen laufenden Verbindungen und bis zum Telegraphen und Telephon fortschreitet, die die Kommunikation überhaupt nicht mehr an eine Zeitbestimmtheit binden; an die Verbesserung der künstlichen Beleuchtung, die den Wechsel von Tag und Nacht mit seinen, das Leben rhythmisierenden Folgen immer gründlicher paralysiert; an die gedruckte Literatur, die uns, unabhängig von dem eigenen organischen Wechsel des Denkprozesses zwischen Anspannungen und Pausen, in jedem Momente, wo wir es gerade wünschen, mit Gedanken und Anregungen versorgt. Kurz, wenn die Kultur, wie man zu sagen pflegt, nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit überwindet, so bedeutet dies, daß die Bestimmtheit zeitlicher Abteilungen nicht mehr das zwingende Schema für unser Tun und Genießen bildet, sondern daß dieses nur noch von dem Verhältnis zwischen unserem Wollen und Können und den rein sachlichen Bedingungen ihrer Betätigung abhängt. Also: die generell dargebotenen Bedingungen sind vom Rhythmus befreit, sind ausgeglichener, um der Individualität Freiheit und mögliche Unregelmäßigkeit zu verschaffen; in diese Differenzierung sind die Elemente von Gleichmäßigkeit und Verschiedenheit, die im Rhythmus vereint sind, auseinandergegangen.

Es wäre indes ganz irrig, die Entwicklung des Lebensstiles in die verführerisch einfache Formel zu bannen, daß er von der Rhythmik seiner Inhalte zu einer von jedem Schema unabhängigen Bewährung derselben weiterschritte. Dies gilt vielmehr nur für bestimmte Abschnitte der Entwicklung, deren Ganzes tiefere und verwickeltere Nachzeichnungen fordert. Ich untersuche deshalb zunächst die psychologisch-historische Bedeutung jener Rhythmik, wobei ich ihr rein physiologisch veranlaßtes Auftreten, das nur die Periodik der äußeren Natur wiederholt, außer acht lasse.

Man kann den Rhythmus als die auf die Zeit übertragene Symmetrie bezeichnen, wie die Symmetrie als Rhythmus im Raum. Wenn man rhythmische Bewegungen in Linien zeichnet, so werden diese symmetrisch; und umgekehrt: die Betrachtung des Symmetrischen ist ein rhythmisches Vorstellen. Beides sind nur verschiedene Formen desselben Grundmotives. Wie in den Künsten des Ohres der Rhythmus, so ist in denen des Auges die Symmetrie der Anfang aller Gestaltung des Materiales. Um überhaupt in die Dinge Idee, Sinn, Harmonie zu bringen, muß man sie zunächst symmetrisch gestalten, die Teile des Ganzen untereinander ausgleichen, sie ebenmäßig um einen Mittelpunkt herum ordnen. Die formgebende Macht des Menschen gegenüber der Zufälligkeit und Wirrnis der bloß natürlichen Gestaltung wird damit auf die schnellste, sichtbarste und unmittelbarste Art versinnlicht. Die Symmetrie ist der erste Kraftbeweis des Rationalismus, mit dem er uns von der Sinnlosigkeit der Dinge und ihrem einfachen Hinnehmen erlöst. Deshalb sind auch die Sprachen unkultivierter Völker oft viel symmetrischer gebaut, als die Kultursprachen, und sogar die soziale Struktur zeigt z. B. in den »Hundertschaften«, die das Organisationsprinzip der verschiedensten Völker niederer Stufe bilden, die symmetrische Einteilung als einen ersten Versuch der Intelligenz, die Massen in eine überschaubare und lenkbare Form zu bringen. Die symmetrische Anordnung ist, wie gesagt, durchaus rationalistischen Wesens, sie erleichtert die Beherrschung des Vielen und der Vielen von einem Punkte aus. Die Anstöße setzen sich länger, widerstandsloser, berechenbarer durch ein symmetrisch angeordnetes Medium fort, als wenn der innere Bau und die Grenzen der Teile unregelmäßig und fluktuierend sind. Wenn Dinge und Menschen unter das Joch des Systems gebeugt – d. h. symmetrisch angeordnet – sind, so wird der Verstand am schnellsten mit ihnen fertig. Daher hat sowohl der Despotismus wie der Sozialismus besonders starke Neigungen zu symmetrischen Konstruktionen der Gesellschaft, beide, weil es sich für sie um eine starke Zentralisierung der letzteren handelt, um derentwillen die Individualität der Elemente, die Ungleichmäßigkeit ihrer Formen und Verhältnisse zur Symmetrie nivelliert werden muß. In äußerlichem Symbol: Ludwig XIV. soll seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben, um Türen und Fenster symmetrisch zu haben. Und ebenso konstruieren sozialistische Utopien die lokalen Einzelheiten ihrer Idealstädte oder -staaten immer nach dem Prinzip der Symmetrie: entweder in Kreisform oder in quadratischer Form werden die Ortschaften oder Gebäude angeordnet. In Campanellas Sonnenstaat ist der Plan der Reichshauptstadt mathematisch abgezirkelt, ebenso wie die Tageseinteilung der Bürger und die Abstufung ihrer Rechte und Pflichten. Rabelais' Orden der Thelemiten lehrt, in Opposition zu Monis, einen so absoluten Individualismus, daß es in diesem Utopien keine Uhr geben darf, sondern alles nach Bedürfnis und Gelegenheit geschehen soll; aber der Stil der unbedingten Ausgerechnetheit und Rationalisierung des Lebens verlockt ihn doch, die Gebäulichkeiten seines Idealstaates genau symmetrisch anzuordnen: ein Riesenbau in Form eines Sechsecks, in jeder Ecke ein Turm, sechzig Schritt im Durchmesser. Die »Bauhütte« der mittelalterlichen Baugenossenschaften mit ihrer strengen, abgezirkelten, Alles normierenden Lebensweise und Verfassung war möglichst in quadratischer Form gebaut. Dieser allgemeine Zug sozialistischer Pläne zeugt nur in roher Form für die tiefe Anziehungskraft, die der Gedanke der harmonischen, innerlich ausgeglichenen, allen Widerstand der irrationalen Individualität überwindenden Organisation des menschlichen Tuns ausübt. Die symmetrisch-rhythmische Gestaltung bietet sich so als die erste und einfachste dar, mit der der Verstand den Stoff des Lebens gleichsam stilisiert, beherrschbar und assimilierbar macht, als das erste Schema, vermöge dessen er sich in die Dinge hineinbilden kann. Aber eben damit ist auch die Grenze für Sinn und Recht dieses Lebensstiles angedeutet. Denn nach zwei Seiten hin wirkt er vergewaltigend: einmal auf das Subjekt, dessen Impulse und Bedürfnisse doch nicht in prästabilierter, sondern jedesmal nur glücklich-zufälliger Harmonie mit jenem feststehenden Schema auftreten; und nicht weniger der äußeren Wirklichkeit gegenüber, deren Kräfte und Verhältnisse zu uns sich nur gewaltsam in einen so einfachen Rahmen fassen lassen. Unter richtiger Verteilung auf die verschiedenen Geltungsgebiete kann man dies, mit nur scheinbarer Paradoxie, so aussprechen: die Natur ist nicht so symmetrisch wie die Seele es fordert, und die Seele nicht so symmetrisch, wie die Natur es fordert. Alle Gewalttätigkeiten und Inadäquatheiten, die die Systematik gegenüber der Wirklichkeit mit sich bringt, kommen auch der Rhythmisierung und Symmetrie in der Gestaltung der Lebensinhalte zu. Wie es am Einzelmenschen zwar eine erhebliche Kraft verrät, wenn er Personen und Dinge sich assimiliert, indem er ihnen die Form und das Gesetz seines Wesens aufzwingt, wie aber der noch größere Mensch den Dingen in ihrer Eigenart gerecht wird und sie gerade mit dieser und gemäß ihrer in den Kreis seiner Zwecke und seiner Macht hineinzieht – so ist es zwar schon eine Höhe des Menschlichen, die theoretische und praktische Welt in ein Schema von uns aus zu zwingen; größer aber ist es, die eigenen Gesetze und Forderungen der Dinge anerkennend und ihnen folgsam, sie erst so in unser Wesen und Wirken einzubauen. Denn das beweist nicht nur eine sehr viel größere Expansionsfähigkeit und Bildsamkeit des letzteren, sondern es kann auch den Reichtum und die Möglichkeiten der Dinge viel gründlicher ausschöpfen. Deshalb sehen wir zwar auf manchen Gebieten den Rhythmus als das spätere, das rationalistisch-systematische Prinzip als die nicht zu überwindende Entwicklungsstufe, andere aber lassen diese der Gestaltung von Fall zu Fall Platz machen und lösen die Vorbestimmtheit des mitgebrachten Schemas in die wechselnden Ansprüche der Sache selbst auf. So sehen wir z. B. daß erst in höheren Kulturverhältnissen die Einrichtung regelmäßiger Mahlzeiten den Tag im allgemeinen rhythmisch gliedert; eine Mehrzahl fester täglicher Mahlzeiten scheint bei keinem Naturvolk vorzukommen. Im Gegensatz dazu haben wir freilich schon oben bemerkt, daß in bezug auf das Ganze der Ernährung Naturvölker oft einen regelmäßigen Rhythmus von Entbehrungsperioden und Zeiten schwelgerischen Verjubelns haben, den die höhere Wirtschaftstechnik völlig beseitigt hat. Allein jene Gleichmäßigkeit täglicher Mahlzeiten erreicht ihre große Stabilität zwar auf sehr hohen, vielleicht aber doch nicht auf den allerhöchsten Stufen der sozialen und geistigen Skala. In der obersten Gesellschaftsschicht erleidet dieselbe durch den Beruf, die Geselligkeit und komplizierte Rücksichten vielerlei Art wieder manchen Abbruch, und zu eben demselben werden den Künstler und den Gelehrten die wechselnden Anforderungen der Sache wie der Stimmungen des Tages veranlassen. Dies weist schon darauf hin, wie sehr der Rhythmus der Mahlzeiten – und sein Gegenteil – dem der Arbeit entspricht. Auch hier lassen verschiedene Reihen ganz verschiedene Verhältnisse erkennen. Der Naturmensch arbeitet genau so unregelmäßig, wie er ißt. Auf gewaltige Kraftanstrengungen, zu denen die Not oder Laune ihn treibt, folgen Zeiten absoluter Faulheit, beides ganz zufällig und prinziplos abwechselnd. Wahrscheinlich mit Recht hat man, wenigstens für die nördlicheren Länder, mit dem pflugmäßigen Ackerbau erst eine feste Ordnung der Tätigkeiten, einen sinnvollen Rhythmus von Anspannung und Abspannung der Kräfte beginnen lassen. Diese Rhythmik erreicht ihren äußersten Grad etwa bei der höheren Fabrikarbeit und bei der Arbeit in Bureaus jeder Art. Auf den Gipfeln der kulturellen Tätigkeit, der wissenschaftlichen, politischen, künstlerischen, kommerziellen, pflegt sie wieder stark herabzusinken; so daß sogar, wenn wir etwa von einem Schriftsteller hören, daß er täglich zu gleicher Minute die Feder in die Hand nimmt und sie zu gleicher wieder fortlegt, dieser stationäre Rhythmus der Produktion uns gegen ihre Inspiration und innere Bedeutung mißtrauisch macht. Aber auch innerhalb des Lohnarbeitertums führt die Entwicklung, wenn auch aus ganz anderen Motiven, zu Ungleichmäßigkeit und Unberechenbarkeit als der späteren Stufe. Bei dem Aufkommen der englischen Großindustrie litten die Arbeiter außerordentlich darunter, daß jede Absatzstockung den Betrieb eines Großunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler kleiner gestört hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen pflegte. Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat gearbeitet, jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren die Löhne jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte jeder Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung. Unter diesen Umständen, so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor, unter dem alten System weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des neuen mit der größeren Unregelmäßigkeit der Beschäftigung überhaupt zu bezahlen. So hat der Kapitalismus und die entsprechende wirtschaftliche Individualisierung, mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes – darum auch meist ihre Inhalte! – zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel zufälligeren Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte bestanden, wo die größere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch den sonstigen Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren Rhythmus verlieh. Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben neuere Untersuchungen nachgewiesen, daß derselbe früher, insbesondere bei dem primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vorkommenden Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Charakter besessen, denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung der Werkzeuge und der Individualisierung der Arbeit, wieder eingebüßt habe. Nun enthält zwar gerade der moderne Fabrikbetrieb wieder stark rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter an die Strenge gleichmäßig wiederholter Bewegungen binden, haben sie eine ganz andere subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik. Denn diese folgte den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer Energetik, die jetzige aber entweder unmittelbar der rücksichtslos objektiven Maschinenbewegung oder dem Zwange für den einzelnen Arbeiter, als Glied einer Gruppe von Arbeitern, deren jeder nur einen kleinen Teilprozeß verrichtet, mit den anderen Schritt zu halten. Vielleicht erzeugte dies eine Abstumpfung des Gefühls für den Rhythmus überhaupt, die die folgende Erscheinung deuten könnte. Die alten Gesellenschaften kämpften wie die heutigen Gewerkvereine um kürzere Arbeitszeit. Aber während die Gesellenschaften die Arbeit von 5 oder 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends akzeptierten, also eigentlich für den ganzen Tag bis zur Schlafenszeit und dafür energisch auf einen ganz freien Tag drangen – kommt es heute auf Kürzung der täglichen Arbeitszeit an. Die Periode, in der der regelmäßige Wechsel von Arbeit und Erholung stattfindet, ist also für den modernen Arbeiter kürzer geworden. Bei den älteren Arbeitern war das rhythmische Gefühl weit und ausdauernd genug, um sich an der Wochenperiode zu befriedigen. Jetzt aber bedarf dieses – was vielleicht Folge, vielleicht Ausdruck gesunkener Nervenkraft ist – häufigerer Reizung, die Alternierung muß rascher erfolgen, um zu jenem subjektiv erwünschten Erfolge zu kommen.

Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema. Es zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe: aus der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich bewegt haben muß, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sachlichen und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines rhythmischen und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, anschmiegt. Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der zweiten zur dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen. Noch im 16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so großartigen Geldverkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, außerhalb der regelmäßigen Wechselmessen eine erheblichere Geldsumme aufzutreiben; die Verbreitung dieser Möglichkeit auf jeden beliebigen Augenblick, in dem der Einzelne Geld bedarf, bezeichnet den Übergang zu der vollen Entwicklung der Geldwirtschaft. Immerhin ist es für die Fluktuation zwischen rhythmischer und unrhythmischer Gestaltung des Geldwesens und für das Empfinden derselben bezeichnend, daß von den an die mittelalterliche Schwierigkeit und Irrationalität des Geldverkehrs Gewöhnten der Antwerpener Verkehr eine »unaufhörliche Messe« genannt wurde. Ferner: solange der einzelne Geschäftsmann alle Zahlungen unmittelbar aus seiner Kasse leistet, bzw. in dieselbe einnimmt, muß er zu den Zeiten, wo regelmäßig größere Summen fällig werden, einen erheblichen Barbestand beschaffen, und andrerseits in den Zeiten überwiegender Eingänge dieselben sogleich zweckmäßig unterzubringen wissen. Die Konzentrierung des Geldverkehrs in den großen Banken enthebt ihn dieses periodischen Zwanges zur Anhäufung und Drainierung; denn nun werden, indem er und seine Geschäftsfreunde mit derselben Girobank arbeiten, Aktiva und Passiva einfach durch buchmäßige Übertragung saldiert, so daß der Kaufmann nur noch eines relativ geringfügigen und immer gleichbleibenden Kassenbestandes für die täglichen Ausgaben bedarf, während die Bank selbst, weil die Ein- und Ausgänge von den verschiedenen Seiten sich im ganzen paralysieren, einen relativ viel kleineren Barbestand, als sonst der individuelle Kaufmann, zu halten braucht. Endlich ein letztes Beispiel. Der mehr oder weniger periodische Wechsel von Not und Plethora in Zeiten unentwickelter Geldkultur bewirkt einen entsprechend periodischen Wechsel des Zinsfußes zwischen großer Billigkeit und schwindelhafter Höhe. Die Vervollkommnung der Geldwirtschaft hat nun diese Schwankungen derartig ausgeglichen, daß der Zinsfuß, mit früheren Zeiten verglichen, kaum noch aus seiner Stabilität weicht und daß eine Änderung des englischen Bankdiskonts um ein Prozent schon als ein Ereignis von großer Bedeutsamkeit gilt; wodurch denn der Einzelne in seinen Dispositionen außerordentlich beweglicher und von der Bedingtheit durch Schwankungen befreit wird, die oberhalb seiner liegen und deren Rhythmus die Erfordernisse seines eigenen Geschäftsgebahrens in eine ihnen oft genug widerstrebende Formung zwang.

Die Gestaltungen, die der Rhythmus oder sein Gegenteil den Daseinsinhalten verleiht, verlassen nun aber ihre Form als wechselnde Stadien einer Entwicklung und bieten sich im Zugleich dar. Das Lebensprinzip, das man mit dem Symbol des Rhythmisch-Symmetrischen, und dasjenige, das man als das individualistisch-spontane bezeichnen kann, sind die Formulierungen tiefster Wesensrichtungen, deren Gegensatz nicht immer, wie in den bisherigen Beispielen, durch Einstellung in Entwicklungsgänge versöhnbar ist, sondern die dauernden Charaktere von Individuen und Gruppen abschließend bezeichnet. Die systematische Lebensform ist nicht nur, wie ich schon hervorhob, die Technik zentralistischer Tendenzen, mögen sie despotischer oder sozialistischer Art sein, sondern sie gewinnt außerdem einen Reiz für sich: die innere Ausgeglichenheit und äußere Geschlossenheit, die Harmonie der Teile und Berechenbarkeit ihrer Schicksale verleiht allen symmetrisch-systematischen Organisationen eine Anziehung, deren Wirkungen weit über alle Politik hinaus an unzähligen öffentlichen und privaten Interessen gestaltende Macht übt. Mit ihr sollen die individuellen Zufälligkeiten des Daseins eine Einheit und Durchsichtigkeit erhalten, die sie zum Kunstwerk macht. Es handelt sich um den gleichen ästhetischen Reiz, wie ihn die Maschine auszuüben vermag. Die absolute Zweckmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Bewegungen, die äußerste Verminderung der Widerstände und Reibungen, das harmonische Ineinandergreifen der kleinsten und der größten Bestandteile: das verleiht der Maschine selbst bei oberflächlicher Betrachtung eine eigenartige Schönheit, die die Organisation der Fabrik in erweitertem Maße wiederholt und die der sozialistische Staat im allerweitesten wiederholen soll. Aber diesem Reize liegt, wie allem Ästhetischen, eine letztinstanzliche Richtung und Bedeutsamkeit des Lebens zum Grunde, eine elementare Beschaffenheit der Seele, von der auch die ästhetische Anziehung oder Bewährung nur eine Erscheinung an äußerem Stoffe ist; wir haben jene nicht eigentlich, wie wir ihre Ausgestaltungen im Material des Lebens: ästhetische, sittliche, soziale, intellektuelle, eudämonistische, haben, sondern wir sind sie. Diese äußersten Entscheidungen der menschlichen Naturen sind mit Worten nicht zu bezeichnen, sondern sie sind nur aus jenen einzelnen Darstellungen ihrer als deren letzte Triebkräfte und Direktiven herauszufühlen. Darum ist der Reiz der entgegengesetzten Lebensform ebenso indiskutabel, in dessen Empfinden sich die aristokratischen und die individualistischen Tendenzen – in welcher Provinz unserer Interessen sie auch auftreten mögen – begegnen. Die historischen Aristokratien vermeiden gern die Systematik, die generelle Formung, die den Einzelnen in ein ihm äußeres Schema einstellt, jedes Gebilde – politischer, sozialer, sachlicher, personaler Art – soll sich gemäß der echt aristokratischen Empfindung als eigenartiges in sich zusammenschließen und bewähren. Der aristokratische Liberalismus des englischen Lebens findet deshalb in der Asymmetrie, in der Befreiung des individuellen Falles von der Präjudizierung durch sein Pendant, den typischsten und gleichsam organischsten Ausdruck seiner innersten Motive. Ganz direkt hebt Macaulay, der begeisterte Liberale, dies als die eigentliche Stärke des englischen Verfassungslebens hervor. »Wir denken,« so sagt er, »gar nicht an die Symmetrie, aber sehr an die Zweckmäßigkeit; wir entfernen niemals eine Anomalie, bloß weil sie eine Anomalie ist; wir stellen keine Normen von weiterem Umfang auf, als es der besondere Fall, um den es sich gerade handelt, erfordert. Das sind die Regeln, die im ganzen, vom König Johann bis zur Königin Viktoria, die Erwägungen unserer 250 Parlamente geleitet haben.« Hier wird also das Ideal der Symmetrie und logischen Abrundung, die allem Einzelnen von einem Punkte aus seinen Sinn gibt, zugunsten jenes anderen verworfen, das jedes Element sich nach seinen eigenen Bedingungen unabhängig ausleben und so natürlich das Ganze eine regellose und unausgeglichene Erscheinung darbieten läßt. Und es ist ersichtlich, wie tief in die persönlichen Lebensstile dieser Gegensatz heruntersteigt. Auf der einen Seite die Systematisierung des Lebens: seine einzelnen Provinzen harmonisch um einen Mittelpunkt geordnet, alle Interessen sorgfältig abgestuft und jeder Inhalt eines solchen nur soweit zugelassen, wie das ganze System es vorzeichnet; die einzelnen Betätigungen regelmäßig abwechselnd, zwischen Aktivitäten und Pausen ein festgestellter Turnus, kurz, im Nebeneinander wie im Nacheinander eine Rhythmik, die weder der unberechenbaren Fluktuation der Bedürfnisse, Kraftentladungen und Stimmungen, noch dem Zufall äußerer Anregungen, Situationen und Chancen Rechnung trägt – dafür aber eine Existenzform eintauscht, die ihrer selbst dadurch völlig sicher ist, daß sie überhaupt nichts in das Leben hineinzulassen strebt, was ihr nicht gemäß ist oder was sie nicht zu ihrem System passend umarbeiten kann. Auf der anderen Seite: die Formung des Lebens von Fall zu Fall, die innere Gegebenheit jedes Augenblickes mit den koinzidierenden Gegebenheiten der Außenwelt in das möglichst günstige Verhältnis gesetzt, eine ununterbrochene Bereitheit zum Empfinden und Handeln zugleich mit einem steten Hinhören auf das Eigenleben der Dinge, um ihren Darbietungen und Forderungen, wann immer sie eintreten, gerecht zu werden. Damit ist freilich die Berechenbarkeit und sichere Abgewogenheit des Lebens preisgegeben, sein Stil im engeren Sinne, das Leben wird nicht von Ideen beherrscht, die in ihrer Anwendung auf sein Material sich immer zu einer Systematik und festen Rhythmik ausbreiten, sondern von seinen individuellen Elementen aus wird es gestaltet, unbekümmert um die Symmetrie seines Gesamtbildes, die hier nur als Zwang, aber nicht als Reiz empfunden würde. – Es ist das Wesen der Symmetrie, daß jedes Element eines Ganzen nur mit der Rücksicht auf ein anderes und auf ein gemeinsames Zentrum seine Stellung, sein Recht, seinen Sinn erhält; wogegen, sobald jedes Element nur sich selbst gehorcht und sich nur um seiner selbst willen und aus sich selbst entwickelt, das Ganze unvermeidlich unsymmetrisch und zufällig ausfallen wird. Gerade angesichts seines ästhetischen Reflexes zeigt dieser Widerstreit sich als das grundlegende Motiv aller Prozesse, die zwischen einem sozialen Ganzen – politischer, religiöser, familiärer, wirtschaftlicher, geselliger und sonstiger Art – und seinen Individuen spielen. Das Individuum begehrt, ein geschlossenes Ganzes zu sein, eine Gestaltung mit eigenem Zentrum, von dem aus alle Elemente seines Seins und Tuns einen einheitlichen, aufeinander bezüglichen Sinn erhalten. Soll dagegen das überindividuelle Ganze in sich abgerundet sein, soll es mit selbstgenugsamer Bedeutsamkeit eine eigene objektive Idee verwirklichen – so kann es jene Abrundung seiner Glieder nicht zulassen: man kann keinen Baum aus Bäumen erwachsen lassen, sondern nur aus Zellen, kein Gemälde aus Gemälden, sondern aus Pinselstrichen, deren keiner für sich Fertigkeit, Eigenleben, ästhetischen Sinn besitzt. Die Totalität des Ganzen – so sehr sie nur in gewissen Aktionen Einzelner, ja vielleicht innerhalb jedes Einzelnen praktische Wirklichkeit gewinnt – steht in einem ewigen Kampfe gegen die Totalität des Individuums. Das ästhetische Bild desselben ist deshalb so besonders nachdrücklich, weil sich gerade der Reiz der Schönheit immer nur an ein Ganzes knüpft – habe es unmittelbare, habe es durch Phantasie ergänzte Anschaulichkeit, wie das Fragment; es ist der ganze Sinn der Kunst, aus einem zufälligen Bruchstück der Wirklichkeit, dessen Unselbständigkeit durch tausend Fäden mit dieser verbunden ist, eine in sich ruhende Totalität, einen jedes Außerhalbseiner unbedürftigen Mikrokosmos zu gestalten. Der typische Konflikt zwischen dem Individuum und dem überindividuellen Sein ist darstellbar als das unvereinbare Streben beider, zu einem ästhetisch befriedigenden Bilde zu werden.

Das Geld scheint zunächst nur der Ausprägung einer dieser Gegensatzformen zu dienen. Denn es selbst ist absolut formlos, es enthält in sich nicht den geringsten Hinweis auf eine regelmäßige Hebung und Senkung der Lebensinhalte, es bietet sich jeden Augenblick mit der gleichen Frische und Wirksamkeit dar, es nivelliert durch seine Fernwirkungen wie durch seine Reduktion der Dinge auf ein und dasselbe Wertmaß unzählige Schwankungen, gegenseitige Ablösungen von Distanz und Annäherung, Schwingung und Stillstand, die dem Individuum sonst allgemeingültige Abwechslungen in seinen Betätigungs- und Empfindungsmöglichkeiten auferlegten. Es ist sehr bezeichnend, daß man das kursierende Geld flüssig nennt: wie einer Flüssigkeit fehlen ihm die inneren Grenzen, und nimmt es die äußeren widerstandslos von der festen Fassung an, die sich ihm jeweilig bietet. So ist es das durchgreifendste, weil für sich völlig indifferente Mittel für die Überführung eines uns überindividuell zwingenden Rhythmus von Lebensbedingungen in eine Ausgeglichenheit und Schwankungslosigkeit derselben, die unseren persönlichen Kräften und Interessen eine freiere, einerseits individuellere, andrerseits reiner sachliche Bewährung gestattet. Dennoch: gerade dieses an sich wesenlose Wesen des Geldes ermöglicht, daß es sich auch der Systematik und Rhythmik des Lebens leihe, wo das Entwicklungsstadium der Verhältnisse oder die Tendenz der Persönlichkeit darauf hindrängt. Während wir gesehen haben, daß zwischen liberaler Verfassung und Geldwirtschaft eine enge Korrelation besteht, war doch nicht weniger bemerkbar, daß der Despotismus im Gelde eine unvergleichlich zweckmäßige Technik findet, ein Mittel, die räumlich fernsten Punkte seiner Herrschaft an sich zu binden, die bei Naturalwirtschaft immer zu Abschnürung und Verselbständigung neigen. Und während die individualistische Sozialform Englands an der Ausbildung des Geldwesens groß geworden ist, zeigt sich dasselbe nicht nur in dem Sinn als Vorläufer sozialistischer Formen, daß es durch einen dialektischen Prozeß in diese als in seine Negation umschlage, sondern ganz direkt geben, wie wir an manchen Stellen sahen, spezifisch geldwirtschaftliche Verhältnisse die Skizze oder den Typus der vom Sozialismus erstrebten ab.

Hier ordnet sich das Geld einer uns schon früher wichtig gewordenen Kategorie von Lebensmächten ein, deren sehr eigenartiges Schema es ist, daß sie ihrem Wesen und ursprünglichen Sinne nach sich über die Gegensätze erheben, in die die betreffende Interessenprovinz auseinandergeht, als die ungeteilte Indifferenz derselben jenseits ihrer stehen – dann oder zugleich aber in den Gegensatz der Einzelheiten hinuntersteigen: sie werden Partei, wo sie soeben Unbeteiligte oder Richter gewesen waren. So zunächst die Religion – die der Mensch braucht, um die Entzweiung zwischen seinen Bedürfnissen und deren Befriedigung, zwischen seinem Sollen und seiner Praxis, zwischen seinem Idealbild der Welt und der Wirklichkeit zu versöhnen. Hat er sie aber einmal geschaffen, so bleibt sie nicht in der Höhe, die sie in ihren höchsten Augenblicken erreicht, sondern steigt selbst auf den Kampfplatz hinunter, wird eine Seite im Dualismus des Daseins, den sie eben noch in sich vereinheitlichte. Die Religion steht einerseits dem, was wir als unser ganzes Leben empfinden, als äquivalente Macht gegenüber, sie ist eine Totalität jenseits aller Relativitäten unserer sonstigen Menschlichkeit; und andrerseits steht sie doch wieder im Leben, als eines seiner Elemente und erst in der Wechselwirkung mit allen anderen die Ganzheit desselben ausmachend. So ist sie ein ganzer Organismus und zugleich ein Glied, ein Teil des Daseins und zugleich das Dasein selbst auf einer höheren, verinnerlichten Stufe. Die gleiche Form zeigt das Verhalten des Staates. Sicher ist es dessen Sinn, über den Parteien und den Konflikten ihrer Interessen zu stehen, und dieser abstrakten Höhe verdankt er seine Macht, seine Unberührbarkeit, seine Stellung als letzte Instanz der Gesellschaft. Mit alledem nun ausgerüstet, pflegt er dennoch in jenen Streit der partikularen Gesellschaftsmächte einzutreten, die Partei der einen gegen gewisse andere zu ergreifen, die, obgleich von ihm in seinem weiteren Sinne mitumfaßt, ihm in seinem engeren Sinne wie Macht zu Macht gegenüberstehen. Das ist die Doppelstellung oberster Instanzen, die sich innerhalb der Metaphysik wiederholt, wenn sie etwa der Gesamtheit des Seins geistiges Wesen zuschreibt, das Absolute, das alle Erscheinungen trägt oder ausmacht, für eine geistige Substanz erklärt. Aber dieses Absolute muß sie zugleich als ein Relatives anerkennen. Denn in der Wirklichkeit steht dem Geiste nicht nur eine Körperlichkeit gegenüber, so daß er in diesem Gegensatz erst sein eigenes Wesen findet, sondern es begegnen geistige Erscheinungen unterwertiger Art, Böses, Träges, Feindseliges; und eine derartige Metaphysik wird solches nicht als dem Geiste zugehörig betrachten, der ihr die absolute Substanz des Seins ist. Sondern dieser wird als Partei, Ausgleichung, spezifischer Wert allem ungeistigeren und unvollkommenen Sein entgegengestellt, das er doch andrerseits, da er das Absolute ist, soeben noch mitumfaßt hat. Am durchgreifendsten wird diese Doppelexistenz am Begriff des Ich wirksam. Das Ich, dessen Vorstellung die Welt ist, steht jedem einzelnen Inhalt derselben in gleich beherrschender Höhe gegenüber, jenseits aller Qualitäten, Unterschiede und Konflikte, die nur innerhalb seiner, sozusagen als Privatangelegenheiten seiner Inhalte untereinander, stattfinden. Aber unser tatsächliches Lebensgefühl läßt das Ich nicht in dieser Höhe stehen, es identifiziert es mit gewissen seiner Inhalte mehr als mit anderen – gerade wie die Religiosität Gott an bestimmten Stellen besonders eingreifen sieht, während er doch an allen anderen nicht weniger wirksam sein müßte –, das Ich wird zu einem einzelnen Inhalte seiner selbst, es differenziert sich, freundlich oder feindlich, sich hoch oder niedrig abmessend, gegen die übrige Welt und ihre Partikularitäten, während der Sinn seiner es doch oberhalb aller dieser gestellt hatte. Dies also ist der Formtypus, in dem das Verhältnis des Geldes zu seinem Herrschaftsgebiete sich mit jenen, inhaltlich ihm so fremden Mächten begegnet. Auch sein Wesen liegt in der abstrakten Höhe, mit der es sich über alle Einzelinteressen und Stilgestaltungen des Lebens erhebt; es gewinnt seine Bedeutung in und aus den Bewegungen, den Konflikten, den Ausgleichungen aller dieser, ein parteiloses Allgemeines, das in sich nicht den geringsten Anhaltspunkt für oder gegen den Dienst eines spezifischen Interesses enthält. Und nun, ausgerüstet mit all der unvergleichlichen Fernwirksamkeit, Konzentriertheit der Kraft, Überall-Eindringlichkeit, wie sie gerade die Folge seiner Entfernung von allem Partikularen und Einseitigen ist, begibt es sich in den Dienst der partikularen Begehrung oder Lebensgestaltung. Und hier tritt, innerhalb der betonten allgemeinen Gleichheit mit Gebilden wie Religion, Staat, metaphysischer Geistigkeit des Seins ein merkwürdiger Unterschied gegen diese hervor. Sie alle, wenn sie sich auf das Niveau der singulären Interessen und Standpunkte hinabbegeben, treten im Konflikt je zweier entschieden auf die Seite des einen, dem Gegner aber entgegen; sie verbünden oder identifizieren sich mit einer der spezifischen Differenzen, deren Indifferenz sie darstellten, und schließen nun die je andere von sich aus. Das Geld aber stellt sich fast jeder Tendenz in dem Umkreis, für den es gilt, gleichmäßig zur Verfügung, es lebt jedenfalls nicht in der Form des Antagonismus gegen anderes, die jene anderen Mächte annehmen, sobald sie sich aus ihrem allgemeinen Sinne in einen partikularen umsetzen. Das Geld bewahrt wirklich das Umfassende, das seinen allgemeinen Sinn ausmacht, auch in der Gleichmäßigkeit, mit der es sich den Gegensatzpaaren leiht, wenn sie auseinandertretend ihr allgemeines Verhältnis zum Gelde für die Ausgestaltung ihrer Unterschiede und das Ausfechten ihrer Konflikte benutzen. Die Objektivität des Geldes ist praktisch kein Jenseits der Gegensätze, das dann nur von einem dieser illegitim gegen den anderen ausgenutzt würde; sondern diese Objektivität bedeutet von vornherein den Dienst beider Seiten des Gegensatzes.

Aber damit fällt das Geld nicht etwa in die breite Kategorie, der die Luft angehört, die die sonst Unterschiedensten doch unterschiedslos atmen, oder die Waffen, deren Gleichartigkeit sich nicht der Benutzung durch alle Parteien verweigert. Das Geld ist zwar das umfassendste Beispiel auch für diese Tatsache: daß auch die radikalsten Unterschiede und Gegnerschaften in der Menschenwelt immer noch für Gleichheiten und Gemeinsamkeiten Raum geben – aber es ist doch noch mehr. Jener Typus unparteiischer Dinge bleibt den inneren Tendenzen, denen sie dienen, etwas schlechthin Äußerliches. Dagegen, so fremd das Geld auch seinem abstrakten Wesen nach allen Innerlichkeiten und Qualitäten gegenübersteht, so zeigt es, als der ökonomische Extrakt des Wertkosmos in dessen ganzer Ausdehnung, doch sehr häufig die geheimnisvolle Fähigkeit, dem ganz spezifischen Wesen und Tendenz jeder von zwei entgegengesetzten Einseitigkeiten zu dienen; die eine entnimmt dem allgemeinen Wertreservoir, das es darstellt, gerade die Kräfte, die Ausdrucksmittel, die Verbindungs- oder Verselbständigungsmöglichkeiten, die ihrer Eigenart angepaßt sind, während es der inhaltlich entgegengesetzten nicht weniger biegsame und schmiegsame, nicht weniger gerade ihrer Innerlichkeit entgegenkommende Hilfen bietet. Das ist die Bedeutung des Geldes für den Stil des Lebens, daß es gerade vermöge seines Jenseits aller Einseitigkeit einer jeden solchen wie ein eigenes Glied ihrer zuwachsen kann. Es ist das Symbol, im Engen und Empirischen, der unsagbaren Einheit des Seins, aus der der Welt in ihrer ganzen Breite und all ihren Unterschieden ihre Energie und Wirklichkeit strömt. Denn so wird die Metaphysik sich doch wohl die an sich unerkennbare Struktur der Dinge subjektiv deutend auseinanderlegen müssen: daß die Inhalte der Welt, einen bloß geistigen Zusammenhang bildend, in bloßer Ideellität bestehen und nun – natürlich nicht in zeitlichem Prozeß – über sie das Sein kommt; wie man es ausgedrückt hat: daß das Was sein Daß gewinnt. Niemand wüßte zu sagen, was dieses Sein denn eigentlich ist, das den wirklichen Gegenstand von dem qualitativ nicht von ihm unterschiedenen, aber bloß gültigen, bloß logischen Sachgehalt unterscheidet. Und dieses Sein, so leer und abstrakt sein reiner Begriff ist, erscheint als der warme Strom des Lebens, der sich in die Schemata der Dingbegriffe ergießt, der sie gleichsam aufblühen und ihr Wesen entfalten läßt, gleichviel wie unterschieden oder einander feindselig ihr Inhalt und ihr Verhalten sei. Aber es ist ihnen doch nichts äußerliches oder fremdes, sondern ihr eigenes Wesen ist es, das das Sein aufnimmt und in wirksame Wirklichkeit entwickelt Dieser Kraft des Seins nähert sich von allem Äußerlich-Praktischen – für das jede Analogie mit dem Absoluten immer nur unvollständig gelten kann – das Geld am meisten. Wie jene steht es seinem Begriffe nach ganz außerhalb der Dinge und deshalb gegen ihre Unterschiede völlig gleichgültig, so daß jedes einzelne es ganz in sich aufnehmen und mit ihm gerade sein spezifisches Wesen zur vollkommensten Darstellung und Wirksamkeit bringen kann. Seine Bedeutung für die Entwicklung der Lebensstile, die man als den rhythmischen und den individuell-sachlichen bezeichnen kann, habe ich deshalb herausgehoben, weil die unvergleichliche Tiefe ihres Gegensatzes den Typus dieser Wirksamkeit des Geldes sehr rein hervorleuchten läßt. –

Endlich gibt es eine dritte Beeinflussung, durch die das Geld den Inhalten des Lebens ihre Form und Ordnung bestimmen hilft; sie betrifft das Tempo des Verlaufs derselben, in dem sich die verschiedenen historischen Epochen, die Zonen der gleichzeitigen Welt, die Individuen desselben Kreises unterscheiden. Unsere innere Welt ist gleichsam nach zwei Dimensionen ausgedehnt, deren Maße über das Lebenstempo bestimmen. Je tiefer die Unterschiede zwischen den Vorstellungsinhalten – selbst bei gleicher Zahl der Vorstellungen – in einer Zeiteinheit sind, desto mehr lebt man, eine desto größere Lebensstrecke gleichsam wird zurückgelegt. Was wir als das Tempo des Lebens empfinden, ist das Produkt aus der Summe und der Tiefe seiner Veränderungen. Die Bedeutung, die dem Gelde für die Herstellung des Lebenstempos einer gegebenen Epoche zukommt, mag zunächst aus den Folgen hervorleuchten, die eben die Veränderung der Geldverhältnisse für die Veränderung jenes Tempos aufweisen.

Man hat behauptet, daß die Vermehrung des Geldquantums, sei es durch Metallimporte, oder durch Verschlechterung des Geldes, durch positive Handelsbilanzen oder durch Papiergeldausgabe, den inneren Status des Landes ganz ungeändert lassen müßte. Denn wenn man von den wenigen Personen absehe, deren Einkommen in nicht vermehrbaren festen Bezügen besteht, so sei zwar bei Geldvermehrung jede Ware oder Leistung mehr Geld wert, als vorher, allein da jedermann sowohl Konsument wie Produzent sei, so nehme er als letzterer nur soviel mehr ein, wie er als ersterer mehr ausgebe, und alles bleibe beim Alten. Selbst wenn eine solche proportionale Preissteigerung der objektive Effekt der Geldvermehrung wäre, so würde sie dennoch sehr wesentliche psychologische Veränderungserscheinungen mit sich bringen. Man entschließt sich nicht leicht, einen über dem bisherigen und gewohnten liegenden Preis für eine Ware anzulegen, selbst wenn das eigene Einkommen inzwischen gestiegen ist; und man läßt sich andrerseits durch gewachsenes Einkommen leicht zu allerhand Aufwendungen bestimmen, ohne zu bedenken, daß jenes Plus durch die Preissteigerung der täglichen Bedürfnisse ausgeglichen wird. Die bloße Vermehrung des Geldquantums, das man auf einmal in der Hand hat, vermehrt, ganz unabhängig von allen Überlegungen ihrer bloßen Relativität, die Versuchung zum Geldausgeben und bewirkt damit einen gesteigerten Warenumsatz, also eine Vermehrung, Beschleunigung und Vermannigfaltigung der ökonomischen Vorstellungen. Jener Grundzug unseres Wesens: das Relative psychologisch zum Absoluten auswachsen zu lassen – nimmt der Beziehung zwischen einem Objekte und einem bestimmten Geldquantum ihren fließenden Charakter und verfestigt sie zu sachlicher, dauernder Angemessenheit. Dadurch entsteht nun, sobald das eine Glied des Verhältnisses sich ändert, eine Erschütterung und Desorientierung. Die Alterierung in den Aktiven und den Passiven gleicht sich in ihren psychologischen Wirkungen keineswegs unmittelbar aus, von jeder Seite her wird das Bewußtsein der ökonomischen Prozesse in der bisherigen Stetigkeit seines Verlaufs unterbrochen, der Unterschied gegen den vorigen Stand macht sich auf jeder gesondert geltend. Solange die neue Anpassung nicht vollzogen ist, wird die gleichmäßige Vermehrung des Geldes zu fortwährenden Differenzgefühlen und psychischen Chocs Veranlassung geben, so die Unterschiede, das Sich-Gegeneinander-Absetzen innerhalb der ablaufenden Vorstellungen vertiefen und damit das Tempo des Lebens beschleunigen. Deshalb ist es mindestens mißverständlich, wenn man aus der dauernden Steigerung der Einkommen auf eine »Konsolidierung der Gesellschaft« geschlossen hat. Gerade vermöge der Vermehrung des Geldeinkommens ergreift die unteren Stände eine Erregtheit, die, je nach dem Parteistandpunkt, als Begehrlichkeit und Neuerungssucht, oder als gesunde Entwicklung und Schwungkraft gedeutet wird, aber bei größerer Stabilität des Einkommens und der Preise – die zugleich Stabilität der sozialen Abstände bedeutet – jedenfalls ausbleibt.

Die beschleunigenden Wirkungen der Geldvermehrung auf den Ablauf der ökonomisch-psychischen Prozesse verraten sich am ehesten in den Entwicklungen schlechten Papiergeldes – gerade wie manche Seiten der normalen Physiologie durch pathologische und Entartungsfälle ihre hellste Beleuchtung empfangen. Der unorganische und unfundamentierte Geldzufluß bewirkt zunächst ein sprunghaftes und der inneren Regulierung entbehrendes Steigen aller Preise. Die erste Geldplethora reicht aber immer nur aus, um den Ansprüchen gewisser Warenkategorien zu genügen. Deshalb zieht jede Ausgabe von unsolidem Papiergeld die zweite nach sich, und die zweite noch weitere. »Jeder Vorwand – so wird über Rhode-Island vom Anfang des 18. Jahrhunderts berichtet – diente zu weiterer Vermehrung der Noten. Und wenn das Papiergeld alle Münze aus dem Lande getrieben hatte, war die Knappheit des Silbers ein neuer Grund weiterer Emissionen.« Das ist das Tragische solcher Operationen, daß die zweite Emission nötig ist, um den Ansprüchen zu genügen, die aus der ersten folgen. Das wird sich um so umfassender geltend machen, je mehr das Geld selbst das unmittelbare Zentrum der Bewegungen ist: die Preisrevolutionen infolge von Papiergeldüberschwemmungen führen zu Spekulationen, die zu ihrer Abwicklung immer gewachsene Geldvorräte erfordern. Man kann sagen, daß die Tempo-Beschleunigung des sozialen Lebens durch Geldvermehrung am sichtbarsten da eintreten wird, wo es sich um Geld seiner reinen Funktionsbedeutung nach, ohne irgendeinen Substanzwert, handelt; die Steigerung des gesamten ökonomischen Tempos findet hier gleichsam noch in einer höheren Potenz statt, weil sie jetzt sogar rein immanent beginnt, d. h. sich in erster Instanz in der Beschleunigung der Geldfabrikation selbst offenbart. Es ist für diesen Zusammenhang beweisend, wenn in Ländern, deren wirtschaftliches Tempo überhaupt ein rapides ist, das Papiergeld jenem Anwachsen seiner Quantität ganz besonders schnell unterliegt. Über Nordamerika sagt ein genauer Kenner in dieser Beziehung: »Man kann nicht erwarten, daß ein Volk, so ungeduldig gegenüber kleinen Gewinnen, so durchdrungen davon, daß sich Reichtum aus Nichts oder wenigstens aus sehr wenig machen läßt – sich die Selbstbeschränkungen auferlegen wird, die in England oder Deutschland die Gefahren der Papiergeldemissionen auf ein Minimum reduzieren.« Die Beschleunigung des Lebenstempos durch die Papiergeldvermehrungen liegt aber insbesondere in den Umwälzungen des Besitzes, die von ihnen ausgehen. So geschah es sehr sichtbar in der nordamerikanischen Papiergeldwirtschaft bis zum Unabhängigkeitskriege. Das massenhaft fabrizierte Geld, das am Anfang noch zu höherem Wert kursiert hatte, erlitt die fürchterlichsten Einbußen. Dadurch konnte heute arm sein, wer gestern noch reich war; und umgekehrt, wer dauernde Werte für geliehenes Geld erworben hatte, zahlte seine Schuld in inzwischen entwertetem Gelde zurück und wurde dadurch reich. Dies machte es nicht nur zum dringenden Interesse eines jeden, seine wirtschaftlichen Operationen mit größter Beschleunigung abzuwickeln, Abschlüsse auf lange Sicht zu vermeiden und rasch zugreifen zu lernen – sondern jene Besitzschwankungen erzeugten auch die fortwährenden Unterschiedsempfindungen, die plötzlichen Risse und Erschütterungen innerhalb des ökonomischen Weltbildes, die sich in alle möglichen anderen Provinzen des Lebens fortpflanzen und so als wachsende Intensität seines Verlaufes oder Steigerung seines Tempos empfunden werden. Man hat deshalb geradezu dem schlechteren – neben dem besseren – Geld eine Nützlichkeit zugesprochen: es sei richtig, Schulden mit schlechterem Gelde abzahlen zu lassen, weil in der Regel die Schuldner die aktiven wirtschaftlichen Produzenten seien, die Gläubiger dagegen passive Konsumenten, denen der Verkehr sehr viel weniger Leben als jenen verdanke. Anfangs des 18. Jahrhunderts wurde in Konnektikut, anfangs des 19. in England das ungedeckte Papiergeld zwar nicht zum gesetzlichen Umlaufsmittel gemacht, aber jeder Gläubiger war gezwungen, es als Schuldzahlung anzunehmen. Daß nach unverhältnismäßiger Papierausgabe dann die Krisis das wirtschaftliche Leben in demselben Verhältnis retardiert und erstarren läßt, beweist gerade die spezifische Bedeutung des Geldes für sein Tempo. Auch hier entspricht seine Rolle für den objektiven Verlauf der Wirtschaft der des Vermittlers für die subjektive Seite derselben: denn es ist mit Recht bemerkt worden, daß die Vermehrung der Tauschmittel über das Bedürfnis hinaus den Tausch verlangsamt, gerade wie die Vermehrung der Makler zwar bis zu einem gewissen Punkte verkehrserleichternd, über diesen hinaus aber verkehrserschwerend wirke. Ganz prinzipiell angesehen, ist das Geld freilich um so beweglicher, je schlechter es ist, denn jeder wird es so schnell wie möglich loszuwerden suchen. Der naheliegende Einwurf: daß zu einem Handel doch zwei gehören, und daß die Leichtigkeit des Weggebens schlechten Geldes durch die Bedenklichkeit, es anzunehmen, paralysiert werde – ist nicht ganz zutreffend, weil schlechtes Geld immerhin besser ist als gar keines (was man entsprechend von schlechter Ware nicht immer sagen kann). Von der Abneigung des Warenbesitzers gegen das schlechte Geld muß also seine Neigung für Geld überhaupt abgezogen werden; so daß die Neigung des Käufers und die Abneigung des Verkäufers, das schlechte Geld gegen Ware zu tauschen, sich nicht ganz die Wage halten, sondern die letztere, als die schwächere, die durch die erstere nahegelegte Zirkulationsbeschleunigung nicht entsprechend hemmen kann. Andrerseits wird der Besitzer eines schlechten oder nur unter bestimmten Umständen wertvollen Geldes an der Aufrechterhaltung des Zustandes, unter dem sein Besitz Wert hat, lebhaft interessiert sein. Als die fürstlichen Schulden von der Mitte des 16. Jahrhunderts an so gestiegen waren, daß es allenthalben Staatsbankrotte gab, und in Frankreich das Mittel der Rentenverkäufe bis zum Extrem ausgenutzt wurde, hob man zur Verteidigung derselben – denn sie waren außerordentlich unsicher – hervor, daß dadurch die Anhänglichkeit der Bürger als Rentenbesitzer an den König, und ihr Interesse, ihn zu erhalten, sehr gestärkt würden. Es ist bezeichnend, daß das Wort Partisan ursprünglich einen Geldmann bezeichnet, der an einer Anleihe der Krone (parti) beteiligt war, dann aber durch die Interessensolidarität zwischen solchen Bankiers und dem Finanzminister, unter Mazarin und Fouquet, die Bedeutung: unbedingter Anhänger – erwarb und seitdem behielt. Gerade bei größter Unsolidität des französischen Finanzwesens also fand dies statt, während bei der Besserung unter Sully die Partisans in den Hintergrund getreten waren. Und später betonte Mirabeau bei Einführung der Assignaten, daß überall, wo ein Stück davon sich befände, auch der Wunsch nach der Beständigkeit ihres Kredites bestehen müßte: Vous compterez un défenseur nécessaire à vos mesures, un créancier interessé à vos succès. So schafft ein derartiges Geld eine besondere Parteiung, und, auf dem Grunde einer neuen Beharrungstendenz, eine neue Lebhaftigkeit der Gegensätze. –

Solche Erfolge der vermehrten Umlaufsmittel treten nun aber tatsächlich in um so höherem Maße ein, als die bisherige Voraussetzung: daß die Verbilligung des Geldes jeden als Konsumenten und Produzenten gleichmäßig trifft – eine viel zu einfache ist. In Wirklichkeit ergeben sich viel kompliziertere und bewegtere Erscheinungen. Zunächst objektiv: die Geldvermehrung bewirkt anfänglich nur die Verteuerung einiger Waren und läßt die anderen vorerst auf dem alten Niveau. Man hat gemeint feststellen zu können, daß es eine bestimmte und langsame Reihenfolge war, in der die Preise der europäischen Waren seit dem 16. Jahrhundert, infolge des einströmenden amerikanischen Metalles, gestiegen sind. Die Geldmehrung innerhalb eines Landes trifft zunächst immer nur bestimmte Kreise, die den Strom abfangen. Es werden also in erster Linie diejenigen Waren im Preise steigen, um welche nur die Angehörigen dieses Kreises konkurrieren, während andere Waren, deren Preis durch die große Masse bestimmt wird, noch unverändert billig bleiben. Das allmähliche Eindringen der Geldvermehrung in weitere Kreise führt zu Ausgleichungsbestrebungen, das bisherige Preisverhältnis der Waren untereinander wird aus seiner Beständigkeit geworfen, das Budget des einzelnen Hauses muß durch die Ungleichmäßigkeit, mit der die Höhen der einzelnen Posten sich ändern, Störungen und Verschiebungen erfahren – kurz, die Tatsache, daß jede Geldvermehrung in einem Wirtschaftskreise die Preise der Waren ungleichmäßig beeinflußt, muß eine erregende Wirkung auf den Vorstellungsverlauf der wirtschaftenden Personen ausüben, fortwährende Differenzempfindungen, Unterbrechungen der gewohnten Proportionen, Forderung von Ausgleichungsversuchen zur Folge haben. Offenbar wird dieser – teils beschleunigende, teils lähmende – Einfluß nicht nur von der Ungleichmäßigkeit der Preise, sondern auch von Ungleichmäßigkeit innerhalb der Geldwerte selbst ausgehen: das heißt also, nicht nur von einem definitiv verschlechterten, sondern ebenso, oder vielleicht noch mehr, von einem in seinem Werte fortwährend schwankenden Gelde. Über die Zeit vor der großen englischen Münzumprägung von 1570 wird berichtet: »Wären alle Schillinge auf den Wert von Groats herabgesetzt worden, so hätte sich der Verkehr verhältnismäßig leicht daran anpassen können. Was aber jede Zahlung zu einer Kontroverse machte, das war, daß ein Schilling 12 Pence wert war, ein anderer 10, ein dritter 8, 6, ja 4!«

Den Ungleichheitserscheinungen im Preise der Waren entspricht es, daß von einer Änderung des Geldstandes gewisse Personen und Berufe in ganz besonderer Weise profitieren, gewisse andere ganz besonders leiden. In früheren Zeiten traf dies vor allem den Bauern. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde der englische Bauer, unwissend und hilflos, wie er war, förmlich zerquetscht zwischen den Leuten, die ihm Geld zu zahlen hatten und es nur nach dem Nennwert taten, und denen, die von ihm Geld zu bekommen hatten und es nach Gewicht forderten. Ebenso war es später in Indien bei jeder neuen Verdünnung des Geldes: wenn der Landmann seine Ernte verkaufte, wußte er nie, ob das erhaltene Geld ihm dienen würde, wenn er nachher seine Hypothekenzinsen zu zahlen hatte. Man hat längst beobachtet, daß eine allgemeine Erhöhung der Preise sich dem Arbeitslohn am spätesten mitteilt. Je widerstandsloser eine wirtschaftliche Schicht ist, desto langsamer und spärlicher sickert die Geldvermehrung zu ihr durch, ja sie gelangt häufig erst dann als Einnahmesteigerung zu ihr, wenn sie sich in den Konsumartikeln dieser Schicht schon lange als Preiserhöhung geltend gemacht hat. Dadurch entstehen Chocs und Erregungen vielerlei Art, die aufgetretenen Differenzen zwischen den Schichten fordern fortwährende Anspannung des Bewußtseins, weil, vermöge des neuen Umstandes der vermehrten Umlaufsmittel, zur Bewahrung des Status quo ante – sowohl was das Verhältnis der Schichten zueinander, wie was die Lebenshaltung der einzelnen betrifft – jetzt nicht mehr konservatives oder defensives Beharren, sondern positiver Kampf und Eroberung erforderlich ist. Dies ist eine wesentliche Ursache, aus der jede Vermehrung des Geldquantums so anregend auf das Tempo des sozialen Lebens wirkt: weil sie über die bereits bestehenden Unterschiede hinaus neue schafft, Spaltungen, bis hinein in das Budget der Einzelfamilie, an denen das Bewußtsein fortwährende Beschleunigungen und Vertiefungen seines Verlaufes finden muß. Es liegt übrigens auf der Hand, daß ein erheblicher Geldabfluß ähnliche Erscheinungen, nur gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen, hervorrufen muß. Darin aber zeigt sich das enge Verhältnis des Geldes zu dem Tempo des Lebens, daß ebenso seine Vermehrung wie seine Verminderung, durch ihre ungleichmäßige Ausbreitung, jene Differenzerscheinungen ergeben, die sich psychisch als Unterbrechungen, Anreizungen, Zusammendrängungen des Vorstellungsverlaufes spiegeln. – Diese Bedeutung der Änderungen des Geldstandes ist nur ein Phänomen oder eine Akkumulierung der Bedeutung des Geldes für das Verhältnis der Dinge, d. h. ihrer seelischen Äquivalente. Das Geld hat eine neue Gleichung zwischen den Dingen gestiftet. Man vergleicht sie sonst untereinander nach ihrem direkten Nutzungs-, ihrem ästhetischen, ethischen, Arbeits-, eudämonistischen Wert, nach hundert Beziehungen der Quantität und Qualität; und ihre Gleichheit in einer dieser Beziehungen kann unter vollständiger Ungleichheit in anderer bestehen. Ihr Geldwert nun schafft eine Gleichung und Vergleichung zwischen ihnen, die keineswegs eine stetige Funktion der anderen, aber doch immer der Ausdruck irgendwelcher, aus jenen entstandener bzw. kombinierter Wertgedanken ist. Jeder Wertgesichtspunkt, von dem aus die Dinge eine Rangierung, jenseits der sonstigen und diese durchquerend gewinnen, ist zugleich eine Lebendigkeit mehr in ihrem Verhältnis, eine Anregung zu vorher ungekannten Kombinationen und Verdrängungen, Verwandtschafts- und Differenzstiftungen – denn unsere Seele ist wie in einer dauernden Bestrebung, Ungleiches gegeneinander auszugleichen, dem Gleichen Unterschiede aufzudrängen. Indem das Geld nun in einem Umfang, wie kein anderer Wertgesichtspunkt, den Dingen Gleichheiten und Ungleichheiten verleiht, erregt es unzählige Bemühungen, diese mit den Rangierungen aus den anderen Werten heraus im Sinne jener zweifachen Tendenzen zu verbinden.

Abgesehen nun von den Folgen der Veränderungen des Geldbestandes, die das Tempo des Lebens gleichsam als eine Funktion der Veränderungen jenes erscheinen lassen, tritt die Zusammendrängung der Lebensinhalte noch in einer anderen Folge des Geldverkehrs hervor. Es ist diesem nämlich eigentümlich, daß er zur Konzentration an verhältnismäßig wenigen Plätzen drängt. In bezug auf lokale Diffusion kann man eine Skala der ökonomischen Objekte aufstellen, von der ich hier nur ganz im Rohen einige der charakteristischsten Stufen andeute. Sie beginnt mit dem Ackerbau, dessen Natur jeder Zusammenrückung seiner Gebietsteile widersteht; er schließt sich unabwendbar dem ursprünglichen Außereinander des Raumes an. Die industrielle Produktion ist schon komprimierbarer: der Fabrikbetrieb stellt eine räumliche Kondensierung gegenüber dem Handwerk und der Hausindustrie dar, das moderne Industriezentrum ist ein gewerblicher Mikrokosmos, in den jede in der Welt vorhandene Gattung von Rohstoffen strömt, um zu Formen gestaltet zu werden, deren Ursprünge weltweit auseinanderliegen. Das äußerste Glied dieser Stufenleiter bilden die Geldgeschäfte. Das Geld steht vermöge der Abstraktheit seiner Form jenseits aller bestimmten Beziehungen zum Raum: es kann seine Wirkungen in die weitesten Fernen erstrecken, ja es ist gewissermaßen in jedem Augenblick der Mittelpunkt eines Kreises potenzieller Wirkungen; aber es gestattet auch umgekehrt, die größte Wertsumme in die kleinste Form zusammenzudrängen – bis zu dem 10-Millionen-Dollar-Scheck, den Jay Gould einmal ausstellte. Der Komprimierbarkeit der Werte vermöge des Geldes, und des Geldes vermöge seiner immer abstrakteren Formen entspricht nun die der Geldgeschäfte. In dem Maß, in dem die Wirtschaft eines Landes mehr und mehr auf Geld gestellt wird, schreitet die Konzentrierung seiner Finanzaktionen in großen Knotenpunkten des Geldverkehrs vor. Von jeher war die Stadt im Unterschied vom Lande der Sitz der Geldwirtschaft; dies Verhältnis wiederholt sich zwischen Klein- und Großstädten, so daß ein englischer Historiker sagen konnte, London habe, in seiner ganzen Geschichte, niemals als das Herz von England gehandelt, manchmal als sein Gehirn, aber immer als sein Geldbeutel; und schon am Ende der römischen Republik heißt es, jeder Pfennig, der in Gallien ausgegeben werde, gehe durch die Bücher der Finanziers in Rom. An dieser Zentripetalkraft der Finanz hängt das Interesse beider Parteien: der Geldnehmer, weil sie wegen der Konkurrenz der zusammenströmenden Kapitalien billig borgen (in Rom stand der Zinsfuß halb so hoch als sonst durchschnittlich im Altertum), der Geldgeber, weil sie das Geld zwar nicht so hoch, wie an isolierten Punkten, ausleihen, aber des Wichtigeren sicher sind, jederzeit überhaupt Verwendung dafür zu finden; weshalb man denn auch bemerkt hat, daß Kontraktionen des Geldmarktes im Zentrum desselben immer schneller überwunden werden, als an den verschiedenen Punkten seiner Peripherie. Indem das Geld diese, seinem Wesen als Tendenz innewohnende Zentralisierung gefunden hat, hat es das Präliminarstadium überwunden, in dem es sich nur in den Händen zerstreuter Einzelpersonen akkumulierte. Gerade der durch das Geld ausgeübten Übermacht Einzelner hat die Zentralisierung des Geldverkehrs an den Börsen entgegengewirkt; so sehr die Börsen von Lyon und Antwerpen im 16. Jahrhundert einzelnen Geldmagnaten enorme Gewinne ermöglichten, so war doch mit ihnen die Macht des Geldes in einem Zentralgebilde objektiviert, dessen Kräfte und Normen auch dem mächtigsten Einzelnen überlegen waren und es verhinderten, daß je wieder ein einzelnes Haus den Gang der Weltgeschichte so bestimmte, wie die Fugger es noch konnten. Der tiefere Grund für die Bildung von Finanzzentren liegt offenbar in dem Relativitätscharakter des Geldes: weil es einerseits nur die Wertverhältnisse der Waren untereinander ausdrückt, weil andrerseits jedes bestimmte Quantum seiner einen weniger unmittelbar festzustellenden Wert besitzt, als das irgendeiner anderen Ware, sondern mehr als jede andere ausschließlich durch Vergleichung mit dem angebotenen Gesamtquantum überhaupt eine Bedeutung erhält – so wird seine maximale Konzentrierung auf einen Punkt, das fortwährende Gegeneinanderhalten möglichst großer Summen, die Ausgleichung eines überwiegenden Teiles von Angebot und Nachfrage überhaupt, zu seiner größeren Wertbestimmtheit und Verwendbarkeit führen. Ein Scheffel Getreide hat eine gewisse Bedeutung an jedem noch so isolierten Platze, so große Unterschiede auch sein Geldpreis aufweise. Ein Geldquantum aber hat seine Bedeutung nur im Zusammentreffen mit anderen Werten; mit je mehren es zusammentrifft, um so sicherer und gerechter erlangt es jene; deshalb drängt nicht nur »alles nach Golde« – die Menschen wie die Dinge – sondern das Geld drängt auch seinerseits nach »Allem«, es sucht sich mit anderem Gelde, mit allen möglichen Werten und ihren Besitzern zusammenzubringen. Und der gleiche Zusammenhang in umgekehrter Richtung: der Konflux vieler Menschen erzeugt ein besonders starkes Bedürfnis nach Geld. In Deutschland entstand eine hauptsächliche Nachfrage nach Geld durch die Jahrmärkte, die die Territorialherren einrichteten, um an Münztausch und Warenzoll zu profitieren. Durch diese zwangsweise Konzentrierung des Handelsverkehrs eines größeren Territoriums an einem Punkte wurde Kauflust und Umsatz sehr gesteigert, der Gebrauch des Geldes wurde erst dadurch zur allgemeinen Notwendigkeit. Wo nur immer viele Menschen zusammenkommen, wird Geld verhältnismäßig stärker erfordert werden. Denn wegen seiner an sich indifferenten Natur ist es die geeignetste Brücke und Verständigungsmittel zwischen vielen und verschiedenen Persönlichkeiten; je mehre es sind, desto spärlicher werden die Gebiete, auf denen andere als Geldinteressen die Basis ihres Verkehrs bilden können.

Aus all diesem ergibt sich, in wie hohem Maße das Geld die Steigerung des Lebenstempos bezeichnet, wie es sich an der Zahl und Mannigfaltigkeit der einströmenden und einander ablösenden Eindrücke und Anregungen mißt. Die Tendenz des Geldes, zusammenzufließen und sich, wenn auch nicht in der Hand eines Einzelnen, so doch in lokal engbegrenzten Zentren zu akkumulieren, die Interessen der Individuen und damit sie selbst an solchen zusammenzuführen, sie auf einem gemeinsamen Boden in Berührung zu bringen, und so – wie es auch in der von ihm dargestellten Wertform liegt – das Mannigfaltigste in den kleinsten Umfang zu konzentrieren – diese Tendenz und Fähigkeit des Geldes hat den psychischen Erfolg, die Buntheit und Fülle des Lebens, das heißt also sein Tempo zu steigern. Schon sonst ist der Zusammenhang davon betont worden, daß mit dem aufkommenden Kapitalismus in Deutschland – als im 15. Jahrhundert einerseits der Welthandel, andrerseits die Finanzzentren mit dem raschen Umsatz billigen Geldes entstanden – zuerst der moderne Begriff der Zeit durchdrang, als eines durch Brauchbarkeit und Knappheit bestimmten Wertes. Damals begannen die Turmuhren die Viertelstunden zu schlagen, und Sebastian Franck, der mit am frühesten, wenn auch mit am pessimistischsten, die revolutionierende Bedeutung des Geldes eingesehen hat, nennt auch zuerst die Zeit ein teures Gut. Das entschiedenste Symbol für diese ganzen Korrelationen ist die Börse. Hier haben die ökonomischen Werte und Interessen, vollständig auf ihren Geldausdruck reduziert, ihre und ihrer Träger engste lokale Vereinigung erreicht, um damit ihre rascheste Ausgleichung, Verteilung, Abwägung zu gewinnen. Diese doppelte Kondensiertheit: der Werte in die Geldform und des Geldverkehrs in die Börsenform – ermöglicht es, daß die Werte in der kürzesten Zeit durch die größte Zahl von Händen hindurchgejagt werden: an der New Yorker Börse wird jährlich der fünffache Betrag der Baumwollernte in Spekulationen in Baumwolle umgesetzt, und schon 1887 verkaufte diese Börse fünfzigmal das Erträgnis des Jahres in Petroleum: die Häufigkeit der Umsätze steigt in dem Maße, in dem der Kurs eines Wertes schwankt – ja, die Kursschwankungen waren es, die im 16. Jahrhundert überhaupt erst ein regelmäßiges Börsengeschäft in den »Königsbriefen«, den fürstlichen Schuldverschreibungen, entwickelten. Denn mit ihnen, die von dem wechselnden Kredit z. B. der französischen Krone ausgingen, war ein ganz anderer Anstoß zu Kauf und Verkauf gegeben, als bei Stabilität des Wertes bestanden hatte. Die Möglichkeit, die das Geld gewährt, jeden Schätzungswechsel unbedingt nachgiebig auszudrücken, muß diesen selbst unendlich steigern, ja vielfach erzeugen. Und davon ist es nun sowohl Ursache wie Wirkung, daß die Börse, das Zentrum des Geldverkehrs und gleichsam der geometrische Ort all jener Schätzungswechsel, zugleich der Punkt der größten konstitutionellen Aufgeregtheit des Wirtschaftslebens ist: ihr sanguinisch-cholerisches Schwanken zwischen Optimismus und Pessimismus, ihre nervöse Reaktion auf Ponderabilien und Imponderabilien, die Schnelligkeit, mit der jedes den Stand verändernde Moment ergriffen, aber auch wieder vor dem nächsten vergessen wird – alles dies stellt eine extreme Steigerung des Lebenstempos dar, eine fieberhafte Bewegtheit und Zusammendrängung seiner Modifikationen, in der der spezifische Einfluß des Geldes auf den Ablauf des psychischen Lebens seine auffälligste Sichtbarkeit gewinnt.

Endlich muß die Geschwindigkeit, die der Zirkulation des Geldes gegenüber der aller anderen Objekte eigen ist, das allgemeine Lebenstempo unmittelbar und in demselben Maße steigern, in dem das Geld das allgemeine Interessenzentrum wird. Die Rundheit der Münzen, infolge deren sie »rollen müssen«, symbolisiert den Rhythmus der Bewegung, die das Geld dem Verkehr mitteilt: selbst wo die Münze ursprünglich eckig war, muß der Gebrauch zunächst die Ecken abgeschliffen und sie der Rundung angenähert haben; physikalische Notwendigkeiten haben so der Intensität des Verkehrs die ihm dienlichste Werkzeugsform verschafft. Vor hundert Jahren gab es in den Nilländern sogar vielfach Kugelgeld, aus Glas, Holz, Achat – durch die Verschiedenheit der Stoffe beweisend, daß seine Form der Grund der ihm nachgesagten Beliebtheit war. So ist es doch mehr als ein zufälliges Zusammentreffen der Bezeichnungen, wenn ganzen Geldsummen gegenüber das Prinzip der »Abrundung« auftaucht, und zwar erst mit steigender Geldwirtschaft. Die Abrundung ist ein relativ moderner Begriff. Die primitivste Form der Anweisungen auf das englische Schatzamt waren Kerbhölzer, die auf ganz beliebige, ungleichmäßige Beträge lauteten und vielfach als Geld kursierten. Erst im 18. Jahrhundert wurden sie durch indossable Papierscheine ersetzt, welche bestimmte runde Beträge von 5 Pfund aufwärts darstellten. Es ist überhaupt auffällig, wie wenig man früher, selbst bei großen Beträgen, auf Abrundung sah. Fälle wie die, daß die Fugger 1530 für den Kaiser Ferdinand 275 333 fl. und 20 kr. auszuzahlen übernahmen und daß ihnen 1577 Kaiser Maximilian II. 220 674 fl. schuldete, sind nicht selten. Die Entwicklung des Aktienwesens geht denselben Gang. Das Aktienkapital der Ostindischen Kompanie in den Niederlanden ließ sich im 17. Jahrhundert in ganz beliebig große Stücke zerlegen. Erst die Beschleunigung des Verkehrs brachte es dahin, daß schließlich eine feste Einheit von 500 Pfund Vlämisch der allein gehandelte Teilbetrag und »eine Aktie« schlechthin wurde. Noch heute sind es die Plätze des größeren Geldverkehrs, in denen auch der Kleinhandel sich nach runden Summen vollzieht, während die Preise an abgelegenen Orten dem Großstädter merkwürdig wenig abgerundet vorkommen. Die schon oben hervorgehobene Entwicklung von unbehilflich großen zu zerkleinerten Münz- und Anweisungswerten hat offenbar dieselbe Bedeutung für die Steigerung des Verkehrstempos wie die Abrundung, was schon die physikalische Analogie nahelegt. Das Bedürfnis, das Geld klein zu machen, steigt mit der Raschheit des Verkehrs überhaupt, und es ist für diese Zusammenhänge von Bedeutung, daß eine Note der englischen Bank 1844 durchschnittlich nach ihrer Ausgabe 57 Tage lief, bevor sie zur Einlösung präsentiert wurde, 1871 dagegen nur 37 Tage! Vergleicht man etwa die Zirkulationsfähigkeit von Grund und Boden mit der des Geldes, so erhellt unmittelbar der Unterschied des Lebenstempos zwischen Zeiten, wo jener und wo dieses den Angelpunkt der ökonomischen Bewegungen ausmacht. Man denke z. B. an den Charakter der Steuerleistungen in Hinsicht auf äußere und innere Schwankungen, je nachdem sie von dem einen oder von dem anderen Objekt erhoben werden. Im angelsächsischen und normannischen England galten alle Auflagen ausschließlich dem Landbesitz; im 12. Jahrhundert schritt man dazu, Pachtzinse und Viehbesitz zu belasten; bald nachher wurden bestimmte Teile des beweglichen Eigentums (der 4., 7., 13. Teil) als Steuer erhoben. So wurden die Steuerobjekte immer beweglicher, bis schließlich das Geldeinkommen als das eigentliche Fundament der Besteuerung auftritt. Damit erhält diese einen bis dahin unerhörten Grad von Beweglichkeit und Nüanzierung und bewirkt, bei größerer Sicherheit des Gesamterträgnisses, doch eine sehr viel größere Variabilität und jährliche Schwankung in der Leistung des Einzelnen. – Aus dieser unmittelbaren Bedeutung und Betonung vom Boden oder vom Geld für das Tempo des Lebens erklärt sich einerseits der große Wert, den sehr konservative Völker auf den Ackerbau legen. Die Chinesen sind überzeugt, daß nur dieser die Ruhe und Beständigkeit der Staaten sichert, und wohl aus diesem Zusammenhange heraus haben sie auf den Verkauf von Ländereien einen ungeheueren Stempel gesetzt; so daß die meisten Landkäufe dort nur privatim und unter Verzicht auf die grundbuchliche Eintragung vollzogen werden. Wo indes jene durch das Geld getragene Beschleunigung des wirtschaftlichen Lebens sich durchgesetzt hat, da sucht sie nun, andrerseits, die ihr widerstrebende Form des Grundbesitzes dennoch nach sich zu rhythmisieren. Im 18. Jahrhundert gab der pennsylvanische Staat Hypotheken auf Privatländereien und ließ die einzelnen Abschnitte derselben als Papiergeld kursieren: Franklin schrieb darüber, diese Scheine seien in Wirklichkeit gemünztes Land. Entsprechend ist bei uns von konservativer Seite hervorgehoben worden, daß die Hypothekengesetzgebung der letzten Jahrzehnte auf eine Verflüssigung des Grundbesitzes hinarbeite und diesen in eine Art Papiergeld verwandle, das man in beliebig vielen Anteilsscheinen weggeben könne; so daß, wie auch Waldeck sich ausdrückte, der Grundbesitz nur dazusein scheine, um subhastiert zu werden. Bezeichnend genug mobilisiert das moderne Leben seine Inhalte auch im äußerlichsten Sinne und an manchen Punkten außerhalb der allbekannten. Das Mittelalter und noch die Renaissance hatte das, was uns jetzt »Mobilien« in engster Bedeutung sind, wenig im Gebrauch. Schränke, Kredenzen, Sitzbänke waren in die Täfelung eingebaut, Tische und Stühle so schwer, daß sie oft unbeweglich waren, die kleinen, hin und her zu schiebenden Einrichtungsgegenstände fehlten fast ganz. Seitdem erst sind die Möbel gleichsam mobil geworden wie das Kapital. Und endlich exemplifiziere ich diese Macht der geldwirtschaftlichen Bewegung, die übrigen Lebensinhalte ihrem Tempo zu unterwerfen, an einer Rechtsbestimmung. Es ist ein alter juristischer Grundsatz, daß ein Gegenstand, der seinem rechtmäßigen Eigentümer entfremdet worden ist, diesem unter allen Umständen zurückgegeben werden muß, selbst wenn der augenblickliche Besitzer ihn ehrlich erworben hat. Nur in bezug auf Geld gilt dies nicht: nach römischem wie nach modernen Rechten darf eine gestohlene Geldsumme, sobald sie von einer dritten Person gutgläubig erworben ist, dieser nicht wieder zugunsten des Bestohlenen abgenommen werden. Ersichtlich wird diese Ausnahme durch die Praxis des Geschäftsverkehrs gefordert, der ohne dieselbe außerordentlich erschwert, beunruhigt, unterbrochen sein würde. Nun hat man aber neuerdings diesen Erlaß der Restitution auch auf alle übrigen Objekte ausgedehnt, soweit sie im Bereich des Handelsgesetzbuches stehen. Das bedeutet also: die Zirkulationsbeschleunigung im Warenverkehr nähert jede Ware dem Charakter des bloßen Geldes an, läßt sie nur als Geldwert funktionieren und unterwirft sie deshalb nur den Bestimmungen, welche das Geld zum Zweck der Leichtigkeit seines Verkehrs fordern muß! –

Wenn man den Beitrag zur Bestimmung des Lebenstempos charakterisieren will, den das Geld durch seinen eigenen Charakter und abgesehen von seinen zuerst besprochenen technischen Folgen liefert, so könnte man es mit folgender Überlegung. Die genauere Analyse des Beharrungs- und Veränderungsbegriffes zeigt einen doppelten Gegensatz in der Art, wie er sich verwirklicht. Sehen wir die Welt auf ihre Substanz hin an, so münden wir leicht auf der Idee eines εν και παν, eines unveränderlichen Seins, das durch den Ausschluß jeder Vermehrung oder Verminderung den Dingen den Charakter eines absoluten Beharrens erteilt. Sieht man andrerseits auf die Formung dieser Substanz, so ist in ihr die Beharrung absolut aufgehoben, unaufhörlich setzt sich eine Form in die andere um und die Welt bietet das Schauspiel eines Perpetuum mobile. Dies ist der kosmologische, oft genug ins Metaphysische hinaus gedeutete Doppelaspekt des Seienden. Innerhalb einer tiefer gelegenen Empirie indes verteilt sich der Gegensatz zwischen Beharrung und Bewegung in anderer Weise. Wenn wir nämlich das Weltbild, wie es sich unmittelbar darbietet, betrachten, so sind es gerade gewisse Formen, die eine Zeit hindurch beharren, während die realen Elemente, die sie zusammensetzen, in fortwährender Bewegung befindlich sind. So beharrt der Regenbogen bei fortwährender Lageveränderung der Wasserteilchen, die organische Form bei stetem Austausch der sie erbauenden Stoffe, ja, an jedem unorganischen Ding, das eine Weile als solches besteht, beharrt doch nur das Verhältnis und die Wechselwirkung seiner kleinsten Teile, während diese selbst in unaufhörlichen molekularen Bewegungen, unserem Auge entzogen, begriffen sind. Hier ist also die Realität selbst in rastlosem Flusse, und während wir diesen, sozusagen wegen mangelnder Sehschärfe, nicht unmittelbar konstatieren können, verfestigen sich die Formen und Konstellationen der Bewegungen zu der Erscheinung des dauernden Objektes.

Neben diesen beiden Gegensätzen in der Anwendung des Beharrungs- und Bewegungsbegriffes auf die vorgestellte Welt steht ein dritter. Die Beharrung kann nämlich einen Sinn haben, der sie jenseits jeder noch so ausgedehnten Zeitdauer stellt. Der einfachste, aber für uns hier zureichende Fall derselben ist das Naturgesetz. Die Gültigkeit des Naturgesetzes beruht darin, daß aus einer gewissen Konstellation von Elementen eine bestimmte Wirkung sachlich notwendig erfolgt. Diese Notwendigkeit ist also ganz unabhängig davon, wann ihre Bedingungen sich in der Wirklichkeit etwa einstellen; einmal oder millionenmal, jetzt oder in hunderttausend Jahren; die Gültigkeit des Gesetzes ist eine ewige im Sinne der Zeitlosigkeit; es schließt seinem Wesen und Begriffe nach jegliche Veränderung oder Bewegung von sich aus. Dafür ist es hier unwesentlich, daß wir keinem einzelnen Naturgesetz diese unbedingte Gültigkeit mit unbedingter Sicherheit zusprechen dürfen: und zwar nicht nur wegen der unvermeidlichen Korrigierbarkeit unseres Erkennens überhaupt, das die oft wiederholte, aber zufällige Kombination der Erscheinungen durch kein unfehlbares Kriterium von dem wirklichen gesetzlichen Zusammenhang unterscheiden kann; sondern vor allem, weil jedes Naturgesetz doch nur für eine bestimmte geistige Verfassung gilt, während für eine andere eine abweichende Formulierung desselben Sachverhaltes Wahrheit bedeuten würde. Da nun aber der menschliche Geist einer, wie auch langsamen und unmerkbaren Entwicklung unterliegt, so kann es kein, in einem gegebenen Augenblick gültiges Gesetz geben, das der Umwandlung im Laufe der Zeiten entzogen wäre. Allein dieser Wechsel betrifft nur den jeweils erkennbaren Inhalt der Naturgesetzlichkeit, nicht den Sinn und Begriff derselben; die Idee des Gesetzes, die über jeder einzelnen ihrer unvollkommenen Verwirklichungen steht, aus der diese aber doch ihr ganzes Recht und Bedeutung ziehen – beruht in jenem Jenseits aller Bewegung, jenem Gelten, das von allen Gegebenheiten, weil sie veränderlich sind, unabhängig ist. Zu dieser eigentümlichen absoluten Form des Beharrens muß es ein Seitenstück in einer entsprechenden Form der Bewegung geben. Wie sich das Beharren über jede noch so weite Zeitstrecke hinaus steigern läßt, bis in der ewigen Gültigkeit des Naturgesetzes oder der mathematischen Formel jede Beziehung auf einen bestimmten Zeitmoment schlechthin ausgelöscht ist: so läßt sich die Veränderung und Bewegung als eine so absolute denken, daß überhaupt ein bestimmtes Zeitmaß derselben nicht mehr besteht; geht alle Bewegung zwischen einem Hier und einem Dort vor sich, so ist bei dieser absoluten Veränderung – der species aeternitatis mit umgekehrtem Vorzeichen – das Hier vollkommen verschwunden. Haben jene zeitlosen Objekte ihre Gültigkeit in der Form des Beharrens, so diese in der Form des Übergangs, der Nicht-Dauer. Es ist mir nun kein Zweifel, daß auch dieses Gegensatzpaar weit genug ist, um ein Weltbild darein zu fassen. Wenn man, einerseits, alle Gesetze kennte, die die Wirklichkeit beherrschen, so würde diese letztere durch den Komplex jener tatsächlich auf ihren absoluten Gehalt, ihre zeitlos ewige Bedeutung zurückgeführt sein – wenngleich sich die Wirklichkeit selbst daraus noch nicht konstruieren ließe, weil das Gesetz als solches, seinem ideellen Inhalt nach, sich gegen jeden einzelnen Fall seiner Verwirklichung ganz gleichgültig verhält. Gerade weil aber der Inhalt der Wirklichkeit restlos in den Gesetzen aufgeht, die unaufhörlich Wirkungen aus Ursachen hervortreiben und, was soeben Wirkung war, im gleichen Augenblick schon als Ursache wirken lassen – gerade deshalb kann man nun, andrerseits, die Wirklichkeit, die konkrete, historische, erfahrbare Erscheinung der Welt in jenem absoluten Flusse erblicken, auf den Heraklits symbolische Äußerungen hindeuten. Bringt man das Weltbild auf diesen Gegensatz, so ist alles überhaupt Dauernde, über den Moment Hinausweisende aus der Wirklichkeit herausgezogen und in jenem ideellen Reich der bloßen Gesetze gesammelt; in der Wirklichkeit selbst dauern die Dinge überhaupt keine Zeit, durch die Rastlosigkeit, mit der sie sich in jedem Moment der Anwendung eines Gesetzes darbieten, wird jede Form schon im Augenblick ihres Entstehens wieder aufgelöst, sie lebt sozusagen nur in ihrem Zerstörtwerden, jede Verfestigung ihrer zu dauernden – wenn auch noch so kurz dauernden – Dingen ist eine unvollkommene Auffassung, die den Bewegungen der Wirklichkeit nicht in deren eigenem Tempo zu folgen vermag. So ist es das schlechthin Dauernde und das schlechthin Nicht-Dauernde, in die und deren Einheit das Ganze des Seins ohne Rest aufgeht.

Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt nun gibt es sicher kein deutlicheres Symbol als das Geld. Die Bedeutung des Geldes liegt darin, daß es fortgegeben wird; sobald es ruht, ist es nicht mehr Geld seinem spezifischen Wert und Bedeutung nach. Die Wirkung, die es unter Umständen im ruhenden Zustand ausübt, besteht in einer Antizipation seiner Weiterbewegung. Es ist nichts als der Träger einer Bewegung, in dem eben alles, was nicht Bewegung ist, völlig ausgelöscht ist, es ist sozusagen actus purus; es lebt in kontinuierlicher Selbstentäußerung aus jedem gegebenen Punkt heraus und bildet so den Gegenpol und die direkte Verneinung jedes Fürsichseins.

Aber vielleicht bietet es jener entgegengesetzten Art, die Wirklichkeit zu formulieren, sich nicht weniger als Symbol dar. Das einzelne Geldquantum freilich ist seinem Wesen nach in unablässiger Bewegung; aber gerade nur, weil der von ihm dargestellte Wert sich zu den einzelnen Wertgegenständen verhält, wie das allgemeine Gesetz zu den konkreten Gestaltungen, in denen es sich verwirklicht. Wenn das Gesetz, selbst jenseits aller Bewegungen stehend, doch deren Form und Grund darstellt, so ist der abstrakte Vermögenswert, der nicht in Einzelwerte auseinandergegangen ist und als dessen Träger das Geld subsistiert, gleichsam die Seele und Bestimmung der wirtschaftlichen Bewegungen. Während es als greifbare Einzelheit das flüchtigste Ding der äußerlich-praktischen Welt ist, ist es seinem Inhalte nach das beständigste, es steht als der Indifferenz- und Ausgleichungspunkt zwischen all ihren sonstigen Inhalten, sein ideeller Sinn ist, wie der des Gesetzes, allen Dingen ihr Maß zu geben, ohne sich selbst an ihnen zu messen, ein Sinn, dessen totale Realisierung freilich erst einer unendlichen Entwicklung gelänge. Es drückt das Verhältnis aus, das zwischen den wirtschaftlichen Gütern besteht und bleibt der Strömung dieser gegenüber so stabil, wie eine Zahlenproportion es gegenüber den vielfachen und wechselnden Gegenständen tut, deren Verhältnis sie angibt, und wie die Formel des Gravitationsgesetzes gegenüber den Materienmassen und ihren unendlich mannigfaltigen Bewegungen. Wie der allgemeine Begriff, in seiner logischen Gültigkeit von der Zahl und Modifikation seiner Verwirklichungen unabhängig, sozusagen das Gesetz eben dieser angibt, so ist das Geld – d. h. derjenige innere Sinn, durch den das einzelne Metall- oder Papierstück zum Gelde wird – der Allgemeinbegriff der Dinge, insofern sie wirtschaftlich sind. Sie brauchen nicht wirtschaftlich zu sein; wenn sie es aber sollen, so können sie es nur so, daß sie sich dem Gesetz des Wert-Werdens fügen, das im Gelde verdichtet ist.

Die Beobachtung, daß dieses eine Gebilde an jenen beiden Grundformen, die Wirklichkeit auszudrücken, gleichmäßig teil hat, gibt auf ihren Zusammenhang Anweisung: ihr Sinn ist tatsächlich ein relativer, d. h. jede findet ihre logische und psychologische Möglichkeit, die Welt zu deuten, an der anderen. Nur weil die Realität sich in absoluter Bewegtheit befindet, hat es einen Sinn, ihr gegenüber das ideelle System zeitlos gültiger Gesetzlichkeiten zu behaupten; umgekehrt: nur weil diese bestehen, ist jener Strom des Daseins überhaupt bezeichenbar und greifbar, statt in ein unqualifizierbares Chaos auseinanderzufallen. Die allgemeine Relativität der Welt, auf den ersten Blick nur auf der einen Seite dieses Gegensatzes heimisch, zieht in Wirklichkeit auch die andere in sich ein und zeigt sich als Herrscherin, wo sie eben nur Partei zu sein schien – wie das Geld über seine Bedeutung als einzelner Wirtschaftswert die höhere baut: den abstrakten Wirtschaftswert überhaupt darzustellen, und beide Funktionen in unlösliche Korrelation, in der keine die erste ist, verschlingt.

Indem hier nun ein Gebilde der historischen Welt das sachliche Verhalten der Dinge symbolisiert, stiftet es zwischen jener und diesem eine besondere Verbindung. Je mehr das Leben der Gesellschaft ein geldwirtschaftliches wird, desto wirksamer und deutlicher prägt sich in dem bewußten Leben der relativistische Charakter des Seins aus, da das Geld nichts anderes ist, als die in einem Sondergebilde verkörperte Relativität der wirtschaftlichen Gegenstände, die ihren .Wert bedeutet. Und wie die absolutistische Weltansicht eine bestimmte intellektuelle Entwicklungsstufe darstellte, in Korrelation mit der entsprechenden praktischen, ökonomischen, gefühlsmäßigen Gestaltung der menschlichen Dinge, – so scheint die relativistische das augenblickliche Anpassungsverhältnis unseres Intellekts auszudrücken oder, vielleicht richtiger: zu sein, bestätigt durch das Gegenbild des sozialen und des subjektiven Lebens, das in dem Gelde ebenso den real wirksamen Träger wie das abspiegelnde Symbol seiner Formen und Bewegungen gefunden hat.


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