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Wenn wir die Verfeinerungen, die vergeistigten Formen des Lebens, die Ergebnisse der inneren und äußeren Arbeit an ihm als Kultur bezeichnen, so ordnen wir diese Werte damit in eine Blickrichtung, in der sie durch ihre eigene und sachliche Bedeutung noch nicht ohne weiteres stehen. Inhalte der Kultur sind sie uns, insofern wir sie als gesteigerte Entfaltungen natürlicher Keime und Tendenzen ansehen, gesteigert über das Maß der Entwicklung, Fülle und Differenzierung hinaus, das ihrer bloßen Natur erreichbar wäre. Eine naturgegebene Energie oder Hinweisung – die freilich nur dasein muß, um hinter der wirklichen Entwicklung zurückzubleiben – bildet die Voraussetzung für den Begriff der Kultur. Denn von diesem aus gesehen sind die Werte des Lebens eben kultivierte Natur, sie haben hier nicht die isolierte Bedeutung, die sich gleichsam von oben her an dem Ideal des Glücks, der Intelligenz, der Schönheit mißt, sondern sie erscheinen als Entwicklungen einer Grundlage, die wir Natur nennen und deren Kräfte und Ideengehalt sie überschreiten, insofern sie eben Kultur werden. Wenn deshalb ein veredeltes Gartenobst und eine Statue gleichermaßen Kulturprodukte sind, so deutet die Sprache doch jenes Verhältnis sehr fein an, indem sie den Obstbaum selbst kultiviert nennt, während der rohe Marmorblock keineswegs zur Statue »kultiviert« ist. Denn in dem ersteren Falle nimmt man eine natürliche Triebkraft und Angelegtheit des Baumes in der Richtung jener Früchte an, die durch intelligente Beeinflussung über ihre natürliche Grenze hinausgetrieben ist, während wir in dem Marmorblock keine entsprechende Tendenz auf die Statue hin voraussetzen; die in ihr verwirklichte Kultur bedeutet die Erhöhung und Verfeinerung gewisser menschlicher Energien, deren ursprüngliche Äußerungen wir als »natürliche« bezeichnen.
Nun scheint es zunächst selbstverständlich, daß unpersönliche Dinge nur gleichnisweise als kultiviert zu bezeichnen sind. Denn jene durch Willen und Intellekt bewirkte Entfaltung des Gegebenen über die Grenze seines bloß natürlichen Sich-Auslebens hinaus lassen wir doch schließlich nur uns selbst oder solchen Dingen zukommen, deren Entwicklungen sich an unsere Impulse anschließen und rückwirkend unsere Gefühle anregen. Die materiellen Kulturgüter: Möbel und Kulturpflanzen, Kunstwerke und Maschinen, Geräte und Bücher, in denen natürliche Stoffe zu ihnen zwar möglichen, durch ihre eigenen Kräfte aber nie verwirklichten Formen entwickelt werden, sind unser eigenes, durch Ideen entfaltetes Wollen und Fühlen, das die Entwicklungsmöglichkeiten der Dinge, soweit sie auf seinem Wege liegen, in sich einbezieht; und das verhält sich nicht anders als mit der Kultur, die das Verhältnis des Menschen zu anderen und zu sich selbst formt: Sprache, Sitte, Religion, Recht. Insofern diese Werte als kulturell angesehen werden, unterscheiden wir sie von den Ausbildungsstufen der in ihnen lebendigen Energien, die sie sozusagen von sich aus erreichen können und die für den Kultivierungsprozeß ebenso nur Material sind, wie Holz und Metall, Pflanzen und Elektrizität. Indem wir die Dinge kultivieren, d. h. ihr Wertmaß über das durch ihren natürlichen Mechanismus uns geleistete hinaus steigern, kultivieren wir uns selbst: es ist der gleiche, von uns ausgehende und in uns zurückkehrende Werterhöhungsprozeß, der die Natur außer uns oder die Natur in uns ergreift. Die bildende Kunst zeigt diesen Kulturbegriff am reinsten, weil in der größten Spannung der Gegensätze. Denn hier scheint zunächst die Formung des Gegenstandes sich jener Einfügung in den Prozeß unserer Subjektivität völlig zu entziehen. Das Kunstwerk deutet uns doch gerade den Sinn der Erscheinung selbst, liege ihm dieser nun in der Gestaltung der Räumlichkeit oder in den Beziehungen der Farben oder in der Seelenhaftigkeit, die so in wie hinter dem Sichtbaren lebt. Immer aber gilt es, den Dingen ihre Bedeutung und ihr Geheimnis abzuhören, um es in reinerer oder deutlicherer Gestalt, als zu der ihre natürliche Entwicklung es gebracht hat, darzustellen – nicht aber im Sinne chemischer oder physikalischer Technologie, die die Gesetzlichkeiten der Dinge erkundet, um sie in unsere, außerhalb ihrer selbst gelegenen Zweckreihen einzustellen; vielmehr, der artistische Prozeß ist abgeschlossen, sobald er den Gegenstand zu dessen eigenster Bedeutung entwickelt hat. Tatsächlich ist hiermit dem bloß artistischen Ideal auch genügt, denn für dieses ist die Vollendung des Kunstwerkes als solchen ein objektiver Wert, völlig unabhängig von seinem Erfolge für unser subjektives Fühlen: das Stichwort des l'art pour l'art bezeichnet treffend die Selbstgenügsamkeit der rein künstlerischen Tendenz. Anders aber vom Standpunkte des Kulturideals. Das Wesentliche dieses ist eben, daß es die Eigenwertigkeit der ästhetischen, wissenschaftlichen, sittlichen, eudämonistischen, ja der religiösen Leistung aufhebt, um sie alle als Elemente oder Bausteine in die Entwicklung des menschlichen Wesens über seinen Naturzustand hinaus einzufügen; oder genauer: sie sind die Wegstrecken, die diese Entwicklung durchläuft. Freilich muß sie sich in jedem Augenblick auf einer dieser Strecken befinden; sie kann niemals ohne einen Inhalt rein formell und an sich selbst verlaufen; allein darum ist sie mit diesem Inhalt noch nicht identisch. Die Kulturinhalte bestehen aus jenen Gebilden, deren jedes einem autonomen Ideal untersteht, nun aber betrachtet unter dem Blickpunkt der von ihnen getragenen und durch sie hindurchbewegten Entwicklung unserer Kräfte oder unseres Seins über das Maß hinaus, das als das bloß natürliche gilt. Indem der Mensch die Objekte kultiviert, schafft er sie sich zum Bilde: insofern die transnaturale Entfaltung ihrer Energien als Kulturprozeß gilt, ist sie nur die Sichtbarkeit oder der Körper für die gleiche Entfaltung unserer Energien. – Freilich ist in der Entwicklung des einzelnen Lebensinhaltes die Grenze, an der seine Naturform in seine Kulturform übergeht, eine fließende und es wird sich über sie keine Einstimmigkeit erzielen lassen. Es meldet sich damit aber nur eine der allgemeinsten Schwierigkeiten des Denkens. Die Kategorien, unter die die einzelnen Erscheinungen gebracht werden, um damit der Erkenntnis, ihren Normen und Zusammenhängen, anzugehören, sind mit Entschiedenheit gegeneinander abgegrenzt, geben sich oft erst an diesem Gegensatz wechselseitig ihren Sinn, bilden Reihen mit diskontinuierlichen Stufen. Die Einzelheiten aber, deren Rangierung unter diese Begriffe gefordert wird, pflegen ihre Stellen hier durchaus nicht mit der entsprechenden Eindeutigkeit zu finden; vielmehr sind es oft quantitative Bestimmungen an ihnen, die über die Zugehörigkeit zu dem einen oder zu dem anderen Begriff entscheiden, so daß angesichts der Kontinuität alles Quantitativen, der immer möglichen Mitte zwischen zwei Maßen, deren jedes einer entschiedenen Kategorie entspricht, die singulare Erscheinung bald der einen, bald der anderen zugeteilt werden kann, und so als eine Unbestimmtheit zwischen ihnen, ja als eine Mischung von Begriffen erscheint, die ihrem eigenen Sinn nach sich gegenseitig ausschließen. Die prinzipielle Sicherheit der Abgrenzung zwischen Natur und Kultur, mit der die eine gerade da beginnt, wo die andere aufhört, leidet also unter der Unsicherheit über die Einordnung der Einzelerscheinung so wenig, wie die Begriffe des Tages und der Nacht darum ineinander verschwimmen, weil man eine Dämmerstunde bald dem einen, bald der anderen zurechnen mag.
Dieser Erörterung des allgemeinen Kulturbegriffs stelle ich nun ein besonderes Verhältnis innerhalb der gegenwärtigen Kultur gegenüber. Vergleicht man dieselbe etwa mit der Zeit vor hundert Jahren, so kann man – viele individuelle Ausnahmen vorbehalten – doch wohl sagen: die Dinge, die unser Leben sachlich erfüllen und umgeben, Geräte, Verkehrsmittel, die Produkte der Wissenschaft, der Technik, der Kunst – sind unsäglich kultiviert; aber die Kultur der Individuen, wenigstens in den höheren Ständen, ist keineswegs in demselben Verhältnis vorgeschritten, ja vielfach sogar zurück gegangen. Dies ist ein kaum eines Einzelbeweises bedürftiges Verhältnis. Ich hebe darum nur weniges hervor. Die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten haben sich, im Deutschen wie im Französischen, seit hundert Jahren außerordentlich bereichert und nuanciert; nicht nur die Sprache Goethes ist uns geschenkt, sondern es ist noch eine große Anzahl von Feinheiten, Abtönungen, Individualisierungen des Ausdrucks hinzugekommen. Dennoch, wenn man das Sprechen und Schreiben der Einzelnen betrachtet, so wird es als ganzes immer inkorrekter, würdeloser und trivialer. Und inhaltlich: der Gesichtskreis, aus dem die Konversation ihre Gegenstände schöpft, hat sich objektiv, durch die vorgeschrittene Theorie und Praxis, in derselben Zeit erheblich erweitert; und doch scheint es, als ob die Unterhaltung, die gesellschaftliche wie auch die intimere und briefliche, jetzt viel flacher, uninteressanter und weniger ernsthaft wäre als am Ende des 18. Jahrhunderts. In diese Kategorie gehört es, daß die Maschine so viel geistvoller geworden ist als der Arbeiter. Wieviele Arbeiter, sogar unterhalb der eigentlichen Großindustrie, können heute die Maschine, an der sie zu tun haben, d. h. den in der Maschine investierten Geist verstehen? Nicht anders liegt es in der militärischen Kultur. Was der einzelne Soldat zu leisten hat, ist im wesentlichen seit lange unverändert geblieben, ja, in manchem durch die moderne Art der Kriegführung herabgesetzt. Dagegen sind nicht nur die materiellen Werkzeuge derselben, sondern vor allem die jenseits aller Individuen stehende Organisation des Heeres unerhört verfeinert und zu einem wahren Triumph objektiver Kultur geworden. Und auf das Gebiet des rein Geistigen hinsehend – so operieren auch die kenntnisreichsten und nachdenkendsten Menschen mit einer immer wachsenden Zahl von Vorstellungen, Begriffen, Sätzen, deren genauen Sinn und Inhalt sie nur ganz unvollständig kennen. Die ungeheure Ausdehnung des objektiv vorliegenden Wissensstoffes gestattet, ja erzwingt den Gebrauch von Ausdrücken, die eigentlich wie verschlossene Gefäße von Hand zu Hand gehen, ohne daß der tatsächlich darin verdichtete Gedankengehalt sich für den einzelnen Gebraucher entfaltete. Wie unser äußeres Leben von immer mehr Gegenständen umgeben wird, deren objektiven, in ihrem Produktionsprozeß aufgewandten Geist wir nicht entfernt ausdenken, so ist unser geistiges Innen- und Verkehrsleben – was ich oben schon in anderem Zusammenhang hervorhob – von symbolisch gewordenen Gebilden erfüllt, in denen eine umfassende Geistigkeit aufgespeichert ist – während der individuelle Geist davon nur ein Minimum auszunutzen pflegt. Gewissermaßen faßt sich das Übergewicht, das die objektive über die subjektive Kultur im 19. Jahrhundert gewonnen hat, darin zusammen, daß das Erziehungsideal des 18. Jahrhunderts auf eine Bildung des Menschen, also einen persönlichen, inneren Wert ging, aber im 19. Jahrhundert durch den Begriff der »Bildung« im Sinn einer Summe objektiver Kenntnisse und Verhaltungsweisen verdrängt wurde. Diese Diskrepanz scheint sich stetig zu erweitern. Täglich und von allen Seiten her wird der Schatz der Sachkultur vermehrt, aber nur wie aus weiter Entfernung ihr folgend und in einer nur wenig zu steigernden Beschleunigung kann der individuelle Geist die Formen und Inhalte seiner Bildung erweitern.
Wie erklärt sich nun diese Erscheinung? Wenn alle Kultur der Dinge, wie wir sahen, nur eine Kultur der Menschen ist, so daß nur wir uns ausbilden, indem wir die Dinge ausbilden – was bedeutet jene Entwicklung, Ausgestaltung, Vergeistigung der Objekte, die sich wie aus deren eigenen Kräften und Normen heraus vollzieht und ohne daß sich einzelne Seelen darin oder daran entsprechend entfalteten? Hierin liegt eine Steigerung des rätselhaften Verhältnisses vor, das überhaupt zwischen dem Leben und den Lebensprodukten der Gesellschaft einerseits und den fragmentarischen Daseinsinhalten der Individuen andrerseits besteht. In Sprache und Sitte, politischer Verfassung und Religionslehren, Literatur und Technik ist die Arbeit unzähliger Generationen niedergelegt, als gegenständlich gewordener Geist, von dem jeder nimmt, so viel wie er will oder kann, den aber überhaupt kein Einzelner ausschöpfen könnte; zwischen dem Maß dieses Schatzes und dem des davon Genommenen bestehen die mannigfaltigsten und zufälligsten Verhältnisse, und die Geringfügigkeit oder Irrationalität der individuellen Anteile läßt den Gehalt und die Würde jenes Gattungsbesitzes so unberührt, wie irgendein körperliches Sein es von seinem einzelnen Wahrgenommen- oder Nichtwahrgenommenwerden bleibt. Wie sich der Inhalt und die Bedeutung eines vorliegenden Buches als solche indifferent zu seinem großen oder kleinen, verstehenden oder verständnislosen Leserkreise verhält, so steht auch jedes sonstige Kulturprodukt dem Kulturkreise gegenüber, zwar bereit, von jedem ergriffen zu werden, für diese Bereitheit aber immer nur eine sporadische Aufnahme findend. Diese verdichtete Geistesarbeit der Kulturgemeinschaft verhält sich also zu ihrer Lebendigkeit in den individuellen Geistern wie die weite Fülle der Möglichkeit zu der Begrenzung der Wirklichkeit. Das Verständnis der Daseinsart solcher objektiven Geistesinhalte fordert ihre Einstellung in eine eigenartige Organisation unserer weltauffassenden Kategorien. Innerhalb dieser wird dann auch das diskrepante Verhältnis der objektiven und der subjektiven Kultur, das unser eigentliches Problem bildet, seine Stelle finden.
Wenn der Platonische Mythus die Seele in ihrer Präexistenz das reine Wesen, die absolute Bedeutung der Dinge schauen läßt, so daß ihr späteres Wissen nur eine Erinnerung an jene Wahrheit sei, die gelegentlich sinnlicher Anregungen in ihr auftauche – so ist das nächste Motiv dafür freilich die Ratlosigkeit, wo denn unsere Erkenntnisse herstammen mögen, wenn man ihnen, wie Plato es tut, den Ursprung aus der Erfahrung verweigert. Allein über diese Gelegenheitsursache ihrer Entstehung hinweg ist in jener metaphysischen Spekulation ein erkenntnistheoretisches Verhalten unserer Seele tiefsinnig angedeutet. Mögen wir nämlich unser Erkennen als eine unmittelbare Wirkung äußerer Gegenstände ansehen, oder als einen rein inneren Vorgang, innerhalb dessen alles Außen eine immanente Form oder Verhältnis seelischer Elemente ist – immer empfinden wir unser Denken, insoweit es uns für wahr gilt, als die Erfüllung einer sachlichen Forderung, als das Nachzeichnen einer ideellen Vorzeichnung. Selbst wenn eine genaue Abspiegelung der Dinge, wie sie an sich sind, unser Vorstellen ausmachte, so würde die Einheit, Richtigkeit und Vollendung, der sich die Erkenntnis, ein Stück nach dem anderen erobernd, ins unendliche nähert, doch nicht den Gegenständen selbst zukommen. Vielmehr, das Ideal unseres Erkennens würde immer nur ihr Inhalt in der Form des Vorstellens sein, denn auch der äußerste Realismus will nicht die Dinge, sondern die Erkenntnis der Dinge gewinnen. Wenn wir die Summe von Bruchstücken, die in jedem gegebenen Augenblick unseren Wissensschatz ausmacht, also im Hinblick auf die Entwicklung bezeichnen, zu der dieser strebt und an der sich jedes gegenwärtige Stadium in seiner Bedeutung mißt – so können wir das auch nur durch die Voraussetzung, die jener Platonischen Lehre zum Grunde liegt: daß es ein ideales Reich der theoretischen Werte, des vollendeten intellektuellen Sinnes und Zusammenhanges gibt, das weder mit den Objekten zusammenfällt – da diese ja eben erst seine Objekte sind – noch mit dem jeweilig erreichten, psychologisch wirklichen Erkennen. Dieses letztere vielmehr bringt sich erst allmählich und immer unvollkommen mit jenem das alle überhaupt mögliche Wahrheit einschließt, zur Deckung, es ist wahr in dem Maße, in dem ihm das gelingt. Die Grundtatsache dieses Gefühles: daß unser Erkennen in jedem Augenblick der Teil eines nur ideell vorhandenen, aber uns zur psychischen Verwirklichung dargebotenen und sie fordernden Komplexes der Erkenntnisse ist – diese scheint für Plato bestanden zu haben; nur daß er sie als einen Abfall des wirklichen Erkennens von dem einstigen Besitze dieser Totalität ausdrückte, als ein Nicht-Mehr, was wir heute als ein Noch-Nicht auffassen müssen. Das Verhältnis selbst aber kann offenbar bei beiden Deutungen – wie sich ja die identische Summe sowohl durch Subtraktion Von Höherem, wie durch Addition von Niedrigerem herstellen läßt – als das ganz gleich gefühlte zum Grunde liegen. Die eigentümliche Daseinsart dieses Erkenntnisideals, das unseren wirklichen Erkenntnissen als Norm oder Totalität gegenübersteht, ist dieselbe, wie sie der Gesamtheit sittlicher Werte und Vorschriften, gegenüber dem tatsächlichen Handeln der Individuen, zukommt. Hier, auf dem ethischen Gebiet, ist uns das Bewußtsein geläufiger, daß unser Tun eine in sich gültige Norm vollständiger oder mangelhafter verwirklicht. Diese Norm, – welche übrigens ihrem Inhalte nach für jeden Menschen und für jede Epoche seines Lebens verschieden sein mag – ist weder in Raum und Zeit auffindbar, noch fällt sie mit dem ethischen Bewußtsein zusammen, das sich vielmehr als von ihr abhängig empfindet. Und so ist dies schließlich die Formel unseres Lebens überhaupt, von der banalen Praxis des Tages bis zu den höchsten Gipfeln der Geistigkeit: in allem Wirken haben wir eine Norm, einen Maßstab, eine ideell vorgebildete Totalität über uns, die eben durch dies Wirken in die Form der Realität übergeführt wird – womit nicht nur das Einfache und Allgemeine gemeint ist, daß jedes Wollen durch irgendein Ideal gelenkt wird. Sondern es steht ein bestimmter, mehr oder weniger deutlicher Charakter unseres Handelns in Frage, der sich nur so ausdrücken läßt, daß wir mit diesem Handeln, gleichviel ob es seinem Werte nach etwa sehr kontra-ideal ist, eine irgendwie vorgezeichnete Möglichkeit, gleichsam ein ideelles Programm erfüllen. Unsere praktische Existenz, unzulänglich und fragmentarisch, wie sie ist, erhält eine gewisse Bedeutsamkeit und Zusammenhang dadurch, daß sie sozusagen die Teilverwirklichung einer Ganzheit ist. Unser Handeln, ja unser gesamtes Sein, schönes wie häßliches, rechtes wie irrendes, großes wie kleinliches erscheint einem Schatze von Möglichkeiten entnommen, derart, daß es sich in jedem Augenblick zu seinem ideell bestimmten Inhalt verhält, wie das konkrete Einzelding zu seinem Begriff, der sein inneres Gesetz und logisches Wesen ausspricht, ohne in der Bedeutung dieses Inhalts von dem Ob, Wie und Wieoft seiner Verwirklichungen abhängig zu sein. Wir können uns das Erkennen gar nicht anders denken, als daß es diejenigen Vorstellungen innerhalb des Bewußtseins verwirklichte, die an der gerade fraglichen Stelle sozusagen darauf gewartet haben. Daß wir unsere Erkenntnisse notwendige nennen, das heißt, daß sie ihrem Inhalte nach nur in einer Weise dasein können, das ist doch nur ein anderer Ausdruck für die Bewußtseinstatsache, daß wir sie als psychische Realisierungen jenes ideell bereits feststehenden Inhaltes empfinden. Diese eine Weise bedeutet indes keineswegs, daß es für alle Mannigfaltigkeit der Geister nur eine Wahrheit gibt. Vielmehr: wenn auf der einen Seite ein bestimmt angelegter Intellekt, auf der anderen eine bestimmte Objektivität gegeben ist, so ist damit dasjenige, was gerade für diesen Geist »Wahrheit« ist, sachlich präformiert, wie es das Resultat einer Rechnung ist, wenn ihre Faktoren gegeben sind; bei jeder Änderung der mitgebrachten geistigen Struktur ändert sich der Inhalt dieser Wahrheit, ohne darum weniger objektiv und unabhängig von allem, in diesem Geiste erfolgenden Bewußtwerden festzustehen. Die ganze unverbrüchliche Anweisung, die wir bestimmten Wissenstatsachen entnehmen, daß nun auch bestimmte andere angenommen werden müssen, bedeutet die Gelegenheitsursache, die jenes Wesen unserer Erkenntnisse sichtbar macht: jede einzelne dieser das Bewußtwerden von etwas, das innerhalb des sachlich determinierten Zusammenhanges der Erkenntnisinhalte bereits gültig und festgelegt ist. Von der psychologischen Seite endlich angesehen, gehört dies zu der Theorie, nach der alles Fürwahrhalten ein gewisses Gefühl ist, das Vorstellungsinhalte begleitet; was wir beweisen nennen, ist nichts als die Herbeiführung einer psychologischen Konstellation, auf die hin jenes Gefühl eintritt. Kein sinnliches Wahrnehmen oder logisches Folgen ist unmittelbar die Überzeugung von einer Wirklichkeit; sondern dies sind pur Bedingungen, die das übertheoretische Gefühl der Bejahung, der Zustimmung, oder wie man dieses eigentlich unbeschreibliche Wirklichkeitsgefühl nennen mag, hervorrufen. Dieses bildet das psychologische Vehikel zwischen den beiden erkenntnistheoretischen Kategorien: dem gültigen, durch seinen inneren Zusammenhang getragenen, jedem Element seine Stelle anweisenden inhaltlichen Sinn der Dinge und unserem Vorstellen ihrer, das ihre Wirklichkeit innerhalb eines Subjekts bedeutet.
Dieses allgemeine und grundlegende Verhältnis findet nun in dem zwischen dem vergegenständlichten Geist und Kultur und dem individuellen Subjekt eine Analogie in engeren Maßen. Wie wir unsere Lebensinhalte, erkenntnistheoretisch betrachtet, einem Reiche des sachlich Geltenden entnehmen, so beziehen wir, historisch angesehen, ihren überwiegenden Teil aus jenem Vorrat aufgespeicherter Geistesarbeit der Gattung; auch hier liegen präformierte Inhalte vor, der Verwirklichung in individuellen Geistern sich darbietend, aber auch jenseits solcher ihre Bestimmtheit festhaltend, die doch auch hier keineswegs die eines materiellen Gegenstandes ist; denn selbst wenn der Geist an Materien gebunden ist, wie in Geräten, Kunstwerken, Büchern, so fällt er doch nie mit dem zusammen, was an diesen Dingen sinnlich wahrnehmbar ist. Er wohnt ihnen in einer nicht weiter definierbaren potenziellen Form ein, aus der heraus ihn das individuelle Bewußtsein aktualisieren kann. Die objektive Kultur ist die historische Darstellung oder – vollkommenere oder unvollkommenere – Verdichtung jener sachlich gültigen Wahrheit, von der unsere Erkenntnis eine Nachzeichnung ist. Wenn wir sagen dürfen, das Gravitationsgesetz habe gegolten, bevor Newton es aussprach, so ruht das Gesetz als solches doch nicht in den realen Materienmassen, da es nur die Art bedeutet, in der sich deren Verhältnisse in einem bestimmt organisierten Geist darstellen, und da die Gültigkeit dieses Gesetzes gar nicht davon abhängt, daß es in der Wirklichkeit Materie gibt. Insofern also liegt es weder in den objektiven Dingen selbst, noch in den subjektiven Geistern, sondern in jener Sphäre des objektiven Geistes, von der unser Wahrheitsbewußtsein einen Abschnitt nach dem andern zur Wirklichkeit in ihm verdichtet. Wenn dies nun aber an dem fraglichen Gesetze durch Newton vollbracht ist, so ist es in den objektiven historischen Geist eingerückt und seine ideelle Bedeutung innerhalb dieses ist nun wieder von seiner Wiederholung in einzelnen Individuen prinzipiell unabhängig.
Indem wir diese Kategorie des objektiven Geistes als der historischen Darstellung des gültigen Geistesgehaltes der Dinge überhaupt gewinnen, zeigt sich, wieso der Kulturprozeß, den wir als eine subjektive Entwicklung erkannten – die Kultur der Dinge als eine Kultur der Menschen –, sich von seinem Inhalt trennen kann; dieser Inhalt nimmt, in jene Kategorie tretend, gleichsam einen anderen Aggregatzustand an, und damit ist die prinzipielle Grundlage für die Erscheinung geschaffen, die uns als gesonderte Entwicklung der sachlichen und der personalen Kultur entgegentrat. Mit der Vergegenständlichung des Geistes ist die Form gewonnen, die ein Konservieren und Aufhäufen der Bewußtseinsarbeit gestattet; sie ist die bedeutsamste und folgenreichste unter den historischen Kategorien der Menschheit. Denn sie macht zur geschichtlichen Tatsache, was als biologische so zweifelhaft ist: die Vererbung des Erworbenen. Wenn man es als den Vorzug des Menschen den Tieren gegenüber bezeichnet hat, daß er Erbe und nicht bloß Nachkomme wäre, so ist die Vergegenständlichung des Geistes in Worten und Werken, Organisationen und Traditionen der Träger dieser Unterscheidung, die dem Menschen erst seine Welt, ja: eine Welt schenkt.
Ist dieser objektive Geist der geschichtlichen Gesellschaft nun ihr Kulturinhalt im weitesten Sinne, so mißt sich die praktische Kulturbedeutung seiner einzelnen Bestandteile dennoch an dem Umfang, in dem sie zu Entwicklungsmomenten der Individuen werden. Denn angenommen, jene Entdeckung Newtons stünde nur in einem Buch, von dem niemand weiß, so wäre sie zwar immer noch objektiv gewordener Geist und ein potenzieller Besitz der Gesellschaft, aber kein Kulturwert mehr. Da dieser extreme Fall in unzähligen Abstufungen auftreten kann, so ergibt sich unmittelbar, daß in einer größeren Gesellschaft immer nur ein gewisser Teil der objektiven Kulturwerte zu subjektiven werden wird. Betrachtet man die Gesellschaft als ein Ganzes, das heißt, ordnet man die in ihr überhaupt objektiv werdende Geistigkeit in einen zeitlich-sachlichen Komplex, so ist die gesamte Kulturentwicklung, für die man so einen einheitlichen Träger fingiert hat, reicher an Inhalten, als die jedes ihrer Elemente. Denn die Leistung jedes Elementes steigt in jenen Gesamtbesitz auf, aber dieser nicht zu jedem Element hinab. Der ganze Stil des Lebens einer Gemeinschaft hängt von dem Verhältnis ab, in dem die objektiv gewordene Kultur zu der Kultur der Subjekte steht. Auf die Bedeutung der numerischen Bestimmtheiten habe ich schon hingedeutet. In einem kleinen Kreise von niedriger Kultur wird jenes Verhältnis nahezu eines der Deckung sein, die objektiven Kulturmöglichkeiten werden die subjektiven Kulturwirklichkeiten nicht weit überragen. Eine Steigerung des Kulturniveaus – insbesondere, wenn es mit einer Vergrößerung des Kreises gleichzeitig ist – wird das Auseinanderfallen beider begünstigen: es war die unvergleichliche Situation Athens in seiner Blütezeit, daß es bei all seiner Kulturhöhe gerade dies – außer etwa in bezug auf die höchsten philosophischen Bewegungen – zu vermeiden wußte. Aber die Größe des Kreises macht an und für sich das Auseinandertreten des subjektiven und des objektiven Faktors noch nicht verständlich. Es gilt vielmehr jetzt, die konkreten, wirkenden Ursachen der letzteren Erscheinung aufzusuchen.
Will man diese und die Stärke ihres gegenwärtigen Auftretens in einen Begriff konzentrieren, so ist dieser: Arbeitsteilung, und zwar sowohl nach ihrer Bedeutung innerhalb der Produktion wie der Konsumtion. In ersterer Hinsicht ist oft genug hervorgehoben worden, wie die Vollendung des Produkts auf Kosten der Entwicklung des Produzenten zustande kommt. Die Steigerung der physisch-psychischen Energien und Geschicklichkeiten, die sich bei einseitiger Tätigkeit einstellt, pflegt für die einheitliche Gesamtpersönlichkeit wenig Nutzen abzuwerfen: sie läßt diese sogar vielfach verkümmern, indem sie ihr ein für die harmonische Gestaltung des Ich unentbehrliches Kraftquantum entsaugt, oder sie entwickelt sich in anderen Fällen wenigstens wie in Abschnürung von dem Kern der Persönlichkeit, als eine Provinz mit uneingeschränkter Autonomie, deren Erträge nicht der Zentralstelle zufließen. Die Erfahrung scheint zu zeigen, daß die innere Ganzheit des Ich sich im wesentlichen in Wechselwirkung mit der Geschlossenheit und Abrundung der Lebensaufgabe herstellt.
Wie uns die Einheit eines Objekts überhaupt so zustande kommt, daß wir die Art, wie wir unser »Ich« fühlen, in das Objekt hineintragen, es nach unserem Bilde formen, in welchem die Vielheit der Bestimmungen zu der Einheit des »Ich« zusammenwächst – so wirkt, im psychologisch-praktischen Sinne, die Einheit des Objekts, das wir schaffen, und ihr Mangel auf die entsprechende Formung unserer Persönlichkeit. Wo unsere Kraft nicht ein Ganzes hervorbringt, an dem sie sich nach der ihr eigentümlichen Einheit ausleben kann, da fehlt es an der eigentlichen Beziehung zwischen beiden, die inneren Tendenzen der Leistung ziehen sie zu den anderweitigen, mit ihr erst eine Totalität bildenden Leistungen Anderer, auf den Produzenten aber weist sie nicht zurück. Infolge solcher, bei großer Spezialisierung eintretenden Inadäquatheit zwischen der Existenzform des Arbeiters und der seines Produktes löst sich das letztere besonders leicht und gründlich von dem ersteren ab, sein Sinn strömt ihm nicht von dessen Seele zu, sondern von seinem Zusammenhang mit anderswoher stammenden Produkten, es fehlt ihm wegen seines fragmentarischen Charakters das Wesen der Seelenhaftigkeit, das sonst dem Arbeitsprodukt, sobald es ganz als Werk eines Menschen erscheint, so leicht angefühlt wird. So kann es seine Bedeutsamkeit weder als Spiegelung einer Subjektivität, noch in dem Reflex suchen, den es als Ausdruck der schaffenden Seele in diese zurückwirft, sondern kann sie ausschließlich als objektive Leistung, in seiner Wendung vom Subjekt weg, finden. Dieser Zusammenhang zeigt sich nicht minder an seinem äußersten Gegensatz, dem Kunstwerk. Dessen Wesen widerstrebt völlig jener Aufteilung der Arbeit an eine Mehrzahl von Arbeitern, deren keiner für sich ein Ganzes leistet. Das Kunstwerk ist unter allem Menschenwerk die geschlossenste Einheit, die sich selbst genügendste Totalität – selbst den Staat nicht ausgenommen. Denn so sehr dieser, unter besonderen Umständen, mit sich selbst auskommen mag, so saugt er doch seine Elemente nicht so vollständig in sich ein, daß nicht ein jedes noch ein Sonderleben mit Sonderinteressen führte: immer nur mit einem Teile der Persönlichkeit, deren andere sich anderen Zentren zuwenden, sind wir dem Staate verwachsen. Die Kunst dagegen beläßt keinem aufgenommenen Element eine Bedeutung außerhalb des Rahmens, in den sie es einstellt, das einzelne Kunstwerk vernichtet den Vielsinn der Worte und der Töne, der Farben und der Formen, um nur ihre ihm zugewandte Seite für das Bewußtsein bestehen zu lassen. Diese Geschlossenheit des Kunstwerks aber bedeutet, daß eine subjektive Seeleneinheit in ihm zum Ausdruck kommt; das Kunstwerk fordert nur einen Menschen, diesen aber ganz und seiner zentralsten Innerlichkeit nach: es vergilt dies dadurch, daß seine Form ihm der reinste Spiegel und Ausdruck des Subjekts zu sein gestattet. Die völlige Ablehnung der Arbeitsteilung ist so Ursache wie Symptom des Zusammenhanges, der zwischen der in sich fertigen Totalität des Werkes und der seelischen Einheit besteht. Umgekehrt, wo jene herrscht, bewirkt sie eine Inkommensurabilität der Leistung mit dem Leistenden, dieser erblickt sich nicht mehr in seinem Tun, das eine allem Persönlich-Seelischen so unähnliche Form darbietet und nur als eine ganz einseitig ausgebildete Partialität unseres Wesens erscheint, gleichgültig gegen die einheitliche Ganzheit desselben. Die stark arbeitsteilige, mit dem Bewußtsein dieses Charakters vollbrachte Leistung drängt also schon von sich aus in die Kategorie der Objektivität, die Betrachtung und Wirkung ihrer als einer rein sachlichen und anonymen wird für den Arbeitenden selbst immer plausibler, der sie nicht mehr in die Wurzel seines Gesamtlebenssystems hinabreichen fühlt.
Je vollständiger ein Ganzes aus subjektiven Beiträgen den Teil in sich einsaugt, je mehr es der Charakter jedes Teiles ist, wirklich nur als Teil dieses Ganzen zu gelten und zu wirken, desto objektiver ist das Ganze, desto mehr lebt es ein Leben jenseits aller Subjekte, die es produzierten. – Im ganzen entspricht jener Spezialisierung der Produktion eine Verbreiterung der Konsumtion: wie selbst der in seinem Geistesleben spezialisierteste, fachmäßig einseitigste Mensch der Gegenwart eben doch seine Zeitung liest, und damit eine so umfassende geistige Konsumtion übt, wie sie vor hundert Jahren auch dem in seiner geistigen Aktivität vielseitigsten und weitestausgreifenden Menschen nicht möglich war. Die Erweiterung der Konsumtion aber hängt an dem Wachsen der objektiven Kultur, denn je sachlicher, unpersönlicher ein Produkt ist, für desto mehr Menschen ist es geeignet. Damit der Konsum des Einzelnen ein so breites Material finden könne, muß dieses sehr vielen Individuen zugängig und anziehend gemacht, kann nicht auf subjektive Differenziertheiten des Begehrens angelegt sein, während andrerseits gerade nur die äußerste Differenzierung der Produktion imstande ist, die Objekte so billig und massenhaft herzustellen, wie es der Umfang des Konsums fordert. So ist der letztere wiederum ein Band, das die Objektivität der Kultur mit ihrer Arbeitsteilung zusammenhängen läßt.
Endlich wirkt der Prozeß, den man als Trennung des Arbeiters von seinem Arbeitsmittel bezeichnet und der doch auch eine Arbeitsteilung ist, ersichtlich im gleichen Sinn. Indem es jetzt die Funktion des Kapitalisten ist, die Arbeitsmittel zu erwerben, zu organisieren, auszuteilen, haben diese letzteren für den Arbeiter eine ganz andere Objektivität, als sie für denjenigen haben müssen, der am eigenen Material und mit eigenen Werkzeugen arbeitet. Diese kapitalistische Differenzierung trennt die subjektiven und die objektiven Bedingungen der Arbeit gründlich voneinander – eine Trennung, zu der, als beide noch in einer Hand vereinigt waren, gar keine psychologische Veranlassung vorlag. Indem die Arbeit selbst und ihr unmittelbarer Gegenstand verschiedenen Personen zugehören, muß sich für das Bewußtsein des Arbeiters der objektive Charakter dieser Gegenstände außerordentlich scharf betonen, um so schärfer, als die Arbeit und ihre Materie doch andrerseits wieder eine Einheit sind und so gerade ihr nahes Aneinander ihre jetzigen Gegenrichtungen am fühlbarsten machen muß. Und das findet seine Fortsetzung und Gegenbild darin, daß außer dem Arbeitsmittel auch noch die Arbeit selbst sich von dem Arbeiter trennt: denn dies ist die Bedeutung der Erscheinung, die man damit bezeichnet, daß die Arbeitskraft eine Ware geworden ist. Wo der Arbeiter an eigenem Material schafft, verbleibt seine Arbeit innerhalb des Umkreises seiner Persönlichkeit, und erst das vollendete Werk verläßt denselben beim Verkauf. Mangels der Möglichkeit indes, seine Arbeit in dieser Weise zu verwerten, stellt er sie für einen Marktpreis in die Verfügung eines Anderen, trennt sich also von ihr von dem Augenblick an, wo sie ihre Quelle verläßt. Daß sie nun Charakter, Bewertungsweise, Entwicklungsschicksale mit allen Waren überhaupt teilt, das bedeutet eben, daß sie dem Arbeiter selbst gegenüber etwas Objektives geworden ist, etwas, das er nicht nur nicht mehr ist, sondern eigentlich auch nicht mehr hat. Denn sobald seine potenzielle Arbeitsmenge sich in wirkliches Arbeiten umsetzt, gehört nicht mehr sie, sondern ihr Geldäquivalent ihm, während sie selbst einem Anderen, oder genauer: einer objektiven Arbeitsorganisation zugehört. Das Ware-Werden der Arbeit ist also auch nur eine Seite des weitausgreifenden Differenzierungsprozesses, der aus der Persönlichkeit ihre einzelnen Inhalte herauslöst, um sie ihr als Objekte, mit selbständiger Bestimmtheit und Bewegung, gegenüberzustellen. Schließlich zeigt sich das Ergebnis dieses Schicksals der Arbeitsmittel und Arbeitskraft an ihrem Produkt. Daß das Arbeitsprodukt der kapitalistischen Epoche ein Objekt mit entschiedenem Fürsichsein, eigenen Bewegungsgesetzen, dem herstellenden Subjekt selbst fremdem Charakter ist, wird da zur eindringlichsten Vorstellung werden, wo der Arbeiter genötigt ist, sein eigenes Arbeitsprodukt, wenn er es haben will, zu kaufen. – Dies ist nun ein allgemeines Schema der Entwicklung, das weit über den Lohnarbeiter hinaus gilt. Die ungeheure Arbeitsteilung z.B. in der Wissenschaft bewirkt es, daß nur äußerst wenige Forscher sich die Vorbedingungen ihrer Arbeit selbst beschaffen können; unzählige Tatsachen und Methoden muß man einfach als objektives Material von außen aufnehmen, ein geistiges Eigentum Anderer, an dem sich die eigene Arbeit vollzieht. Ich erinnere für das Gebiet der Technik daran, daß noch am Anfang des 19. Jahrhunderts, als besonders in der Textil- und Eisenindustrie die großartigsten Erfindungen rasch aufeinander folgten, die Erfinder nicht nur die Maschinen, die sie ersannen, eigenhändig und ohne Beihilfe anderer Maschinen herstellen, sondern meistens noch vorher die dazu erforderlichen Werkzeuge selbst ausdenken und anfertigen mußten. Den jetzigen Zustand in der Wissenschaft kann man als eine Trennung des Arbeiters von seinen Arbeitsmitteln im weiteren Sinne bezeichnen, und jedenfalls in dem hier fraglichen. Denn in dem eigentlichen Prozeß der wissenschaftlichen Produktion scheidet sich nun doch ein dem Produzenten gegenüber objektives Material von dem subjektiven Prozeß seiner Arbeit. Je undifferenzierter der Wissenschaftsbetrieb noch war, je mehr der Forscher alle Voraussetzungen und Materialien seiner Arbeit persönlich erarbeiten mußte, desto weniger bestand für ihn der Gegensatz seiner subjektiven Leistung und einer Welt objektiv feststehender wissenschaftlicher Gegebenheiten. Und auch hier erstreckt sich dieser in das Produkt der Arbeit hinein: auch das Ergebnis selbst, so sehr es als solches die Frucht subjektiven Bemühens ist, muß um so eher in die Kategorie einer objektiven, von dem Produzenten unabhängigen Tatsache aufsteigen, je mehr Arbeitsprodukte Anderer schon von vornherein in ihm zusammengebracht und wirksam sind. Darum sehen wir auch, daß in der Wissenschaft der geringsten Arbeitsteilung, der Philosophie – insbesondere in ihrem metaphysischen Sinne – einerseits das aufgenommene objektive Material eine durchaus sekundäre Rolle spielt, andrerseits das Produkt sich am wenigsten von seinem subjektiven Ursprung gelöst hat, vielmehr ganz als Leistung dieser einen Persönlichkeit auftritt.
Wenn so die Arbeitsteilung – die ich hier in ihrem weitesten Sinne, die Produktionsteilung wie die Arbeitszerlegung wie die Spezialisation einschließend verstehe – die schaffende Persönlichkeit von dem geschaffenen Werk abtrennt und dies letztere eine objektive Selbständigkeit gewinnen läßt, so stellt sich Verwandtes in dem Verhältnis der arbeitsteiligen Produktion zum Konsumenten ein. Hier handelt es sich um die Herleitung innerer Folgen aus allbekannten äußeren Tatsachen. Die Kundenarbeit, die das mittelalterliche Handwerk beherrschte und erst im letzten Jahrhundert ihren rapidesten Rückgang erfahren hat, beließ dem Konsumenten ein persönliches Verhältnis zur Ware: da sie speziell für ihn bereitet war, sozusagen eine Wechselwirkung zwischen ihm und dem Produzenten darstellte, so gehörte sie, in einigermaßen ähnlicher Weise wie diesem, innerlich auch ihm zu. Wie man den schneidenden Gegensatz von Subjekt und Objekt in der Theorie dadurch versöhnt hat, daß man dieses in jenem als seine Verstellung bestehen ließ, so kommt der gleiche Gegensatz in der Praxis nicht zur Entfaltung, solange das Objekt entweder nur durch ein Subjekt, oder um eines Subjektes willen entsteht. Indem die Arbeitsteilung die Kundenproduktion zerstört – schon weil der Abnehmer sich wohl mit einem Produzenten, aber nicht mit einem Dutzend Teilarbeiter in Verbindung setzen kann – verschwindet die subjektive Färbung des Produkts auch nach der Seite des Konsumenten hin, denn es entsteht nun unabhängig von ihm, die Ware ist nun eine objektive Gegebenheit, an die er von außen herantritt und die ihr Dasein und Sosein ihm gleichsam als etwas Autonomes gegenüberstellt. Der Unterschied z. B. zwischen dem modernen, auf die äußerste Spezialisierung gebauten Kleidermagazin und der Arbeit des Schneiders, den man ins Haus nahm, charakterisiert aufs schärfste die gewachsene Objektivität des wirtschaftlichen Kosmos, seine überpersönliche Selbständigkeit im Verhältnis zum konsumierenden Subjekt, mit dem er ursprünglich verwachsen war. Man hat hervorgehoben, daß mit der Zerspaltung der Arbeit in immer speziellere Teilleistungen die Tauschverhältnisse immer vielgliedriger, vermittelter werden und damit die Wirtschaft immer mehr Beziehungen und Obligationen enthalten müsse, die nicht unmittelbar gegenseitig sind. Es liegt auf der Hand, wie sehr der Gesamtcharakter des Verkehrs damit objektiviert ist, wie die Subjektivität sich brechen, in kühle Reserviertheit und anonyme Objektivität übergehen muß, wenn zwischen den Produzenten und den, der sein Produkt aufnimmt, sich so und so viele Zwischeninstanzen schieben, die den einen ganz aus dem Blickkreise des anderen rücken.
Mit dieser dem Abnehmer gegenüber bestehenden Autonomie der Produktion hängt eine Erscheinung der Arbeitsteilung zusammen, die jetzt ebenso alltäglich, wie in ihrer Bedeutung wenig erkannt ist. Von den früheren Gestaltungen der Produktion her herrscht im ganzen die einfache Vorstellung, daß die niederen Schichten der Gesellschaft für die höheren arbeiten; daß die Pflanzen vom Boden, die Tiere von den Pflanzen, der Mensch von den Tieren lebt, das wiederhole sich, mit moralischem Recht oder Unrecht, im Bau der Gesellschaft: je höher die Individuen sozial und geistig stehen, desto mehr gründet sich ihre Existenz auf die Arbeit der tieferstehenden, die sie ihrerseits nicht mit Arbeit für diese, sondern nur mit Geld vergelten. Diese Vorstellung ist nun ganz unzutreffend, seit die Bedürfnisse der unteren Massen durch den Großbetrieb gedeckt werden, der unzählige wissenschaftliche, technische, organisatorische Energien oberster Stufen in seinen Dienst gestellt hat. Der große Chemiker, der in seinem Laboratorium über Darstellung der Teerfarben sinnt, arbeitet für die Bäuerin, die beim Krämer sich das bunteste Halstuch aussucht; wenn der Großkaufmann in weltumspannenden Spekulationen amerikanisches Getreide in Deutschland importiert, so ist er der Diener des ärmsten Proletariers; der Betrieb einer Baumwollspinnerei, in der Intelligenzen hohen Ranges tätig sind, ist von Abnehmern in der tiefsten sozialen Schicht abhängig. Diese Rückläufigkeit der Dienste, in der die niederen Klassen die Arbeit der höheren für sich kaufen, liegt jetzt schon in unzählbaren, unser ganzes Kulturleben bestimmenden Beispielen vor. Möglich aber ist diese Erscheinung nur durch die Objektivierung, die die Produktion sowohl dem produzierenden wie dem konsumierenden Subjekt gegenüber ergriffen hat und durch die sie jenseits der sozialen oder sonstigen Unterschiede dieser beiden steht. Dies Indienstnehmen der höchsten Kulturproduzenten seitens der niedrigststehenden Konsumenten bedeutet eben, daß kein Verhältnis zwischen ihnen besteht, sondern daß ein Objekt zwischen sie geschoben ist, an dessen einer Seite gleichsam die Einen arbeiten, während die Anderen von der anderen her es konsumieren, und das beide trennt, indem es sie verbindet. Die Grundtatsache selbst ist ersichtlich eine Arbeitsteilung: die Technik der Produktion ist so spezialisiert, daß die Handhabung ihrer verschiedenen Teile nicht nur an immer mehr, sondern auch an immer verschiedenere Personen übergeht – bis es eben schließlich dahin kommt, daß ein Teil der Arbeit an den niedrigsten Bedürfnisartikeln von den höchststehenden Individuen geleistet wird, gerade wie umgekehrt, in ganz entsprechender Objektivierung, die maschinentechnische Arbeitszerlegung bewirkt, daß an den raffiniertesten Produkten der höchsten Kultur die rohesten Hände mitarbeiten (man denke etwa an eine heutige Druckerei im Unterschied gegen die Herstellung der Bücher vor Erfindung der Buchdruckerkunst!). An dieser Umkehrung des für typisch geltenden Verhältnisses zwischen oberen und tieferen Gesellschaftsschichten tritt also aufs klarste heraus: die Arbeitsteilung bewirkt, daß jene für diese arbeiten, die Form aber, in der dies allein geschehen kann, ist das völlige Objektivwerden der Produktionsleistung selbst, sowohl den einen wie den anderen als Subjekten gegenüber. Jene Umkehrung ist nichts als eine äußerste Konsequenz des Zusammenhanges, der zwischen der Arbeitsteilung und der Objektivierung der Kulturinhalte besteht.
Hat bisher die Arbeitsteilung als eine Spezialisierung der persönlichen Tätigkeiten gegolten, so wirkt die Spezialisierung der Gegenstände selbst nicht weniger dazu, sie in jene Distanz zu den Subjekten zu stellen, die als Selbständigkeit des Objekts erscheint, als Unfähigkeit des Subjekts, jenes sich zu assimilieren und seinem eigenen Rhythmus zu unterwerfen. Dies gilt zunächst für die Arbeitsmittel. Je mehr diese differenziert, aus einer Vielheit spezialisierter Teile zusammengesetzt sind, desto weniger kann die Persönlichkeit des Arbeitenden sich durch sie hindurch ausdrücken, desto weniger ist seine Hand im Produkte zu erkennen. Die Werkzeuge, mit denen die Kunst arbeitet, sind relativ ganz undifferenziert und geben deshalb der Persönlichkeit den weitesten Spielraum, sich mittels ihrer zu entfalten; sie. stellen sich ihr nicht gegenüber wie die industrielle Maschine, die durch ihre spezialistische Komplikation selbst gleichsam die Form personaler Festigkeit und Umschriebenheit hat, so daß der Arbeiter sie nicht mehr wie jene, an sich unbestimmteren, mit seiner Persönlichkeit durchdringen kann. Die Werkzeuge des Bildhauers sind seit Jahrtausenden nicht aus ihrer völligen Unspezialisiertheit heraus weiter entwickelt worden, und wo dies bei einem Kunstmittel allerdings und so entschieden geschehen ist, wie bei dem Klavier, da ist sein Charakter auch ein sehr objektiver, der schon viel zu viel für sich ist und deshalb dem Ausdruck der Subjektivität eine viel härtere Schranke setzt, als z. B. die an sich technisch viel weniger differenzierte Geige. Der automatische Charakter der modernen Maschine ist der Erfolg einer weit getriebenen Zerlegung und Spezialisierung von Stoffen und Kräften, gerade wie der gleiche Charakter einer ausgebildeten Staatsverwaltung sich nur auf Grund einer raffinierten Arbeitsteilung unter ihren Trägern erheben kann. Indem die Maschine aber zur Totalität wird, einen immer größeren Teil der Arbeit auf sich nimmt, steht sie ebenso dem Arbeiter als eine autonome Macht gegenüber, wie er ihr gegenüber nicht als individualisierte Persönlichkeit, sondern nur als Ausführer einer sachlich vorgeschriebenen Leistung wirkt. Man vergleiche etwa den Arbeiter in der Schuhfabrik mit dem Kundenschuhmacher, um zu sehen, wie sehr die Spezialisierung des Werkzeugs die Wirksamkeit der persönlichen Qualitäten, hoch- wie minderwertiger, lähmt, und Objekt und Subjekt als voneinander ihrem Wesen nach unabhängige Potenzen sich entwickeln läßt. Während das undifferenzierte Werkzeug wirklich eine bloße Fortsetzung des Armes ist, steigt überhaupt erst das spezialisierte in die reine Kategorie des Objektes auf. In sehr bezeichnender und auf der Hand liegender Weise vollzieht sich dieser Prozeß auch an den Kriegswerkzeugen; seinen Gipfel bildet dann das spezialisierteste und als Maschine vollkommenste, das Kriegsschiff: an ihm ist die Objektivierung so weit vorgeschritten, daß in einem modernen Seekrieg überhaupt kaum noch ein anderer Faktor entscheidet, als das bloße Zahlenverhältnis der Schiffe gleicher Qualität!
Der Objektivierungsprozeß der Kulturinhalte, der, von der Spezialisation dieser getragen, zwischen dem Subjekt und seinen Geschöpfen eine immer wachsende Fremdheit stiftet, steigt nun endlich in die Intimitäten des täglichen Lebens hinunter. Die Wohnungseinrichtungen, die Gegenstände, die uns zu Gebrauch und Zierde umgeben, waren noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, von den Bedürfnissen der unteren bis zu denen der Schichten der höchsten Bildung hinauf, von relativ großer Einfachheit und Dauerhaftigkeit. Hierdurch entstand jenes »Verwachsen« der Persönlichkeiten mit den Gegenständen ihrer Umgebung, das schon der mittleren Generation heute als eine Wunderlichkeit der Großeltern erscheint. Diesen Zustand hat die Differenzierung der Objekte nach drei verschiedenen Dimensionen hin, und immer mit dem gleichen Erfolge, unterbrochen. Zunächst ist es schon die bloße Vielheit sehr spezifisch gestalteter Gegenstände, die ein enges, sozusagen persönliches Verhältnis zu den einzelnen erschwert: wenige und einfache Gerätschaften sind der Persönlichkeit leichter assimilierbar, während eine Fülle von Mannigfaltigkeiten dem Ich gegenüber gleichsam Partei bildet; das findet seinen Ausdruck in der Klage der Hausfrauen, daß die Pflege der Wohnungsausstattung einen förmlichen Fetischdienst fordere und in dem gelegentlich hervorbrechenden Haß tieferer und ernsterer Naturen gegen die zahllosen Einzelheiten, mit denen wir unser Leben behängen. Der erstere Fall ist deshalb kulturell so bezeichnend, weil die sorgende und erhaltende Tätigkeit der Hausfrau früher umfänglicher und anstrengender war als jetzt. Allein zu jenem Gefühl der Unfreiheit den Objekten gegenüber kam es nicht, weil sie der Persönlichkeit enger verbunden waren. Die wenigen, undifferenzierteren Gegenstände konnte diese eher mit sich durchdringen, sie setzten ihr nicht die Selbständigkeit entgegen wie ein Haufe spezialisierter Dinge. Diese erst, wenn wir ihnen dienen sollen, empfinden wir als eine feindliche Macht. Wie Freiheit nichts Negatives ist, sondern die positive Erstreckung des Ich über ihm nachgebende Objekte, so ist umgekehrt Objekt für uns nur dasjenige, woran unsere Freiheit erlahmt, das heißt wozu wir in Beziehung stehen, ohne es doch unserem Ich assimilieren zu können. Das Gefühl, von den Äußerlichkeiten erdrückt zu werden, mit denen das moderne Leben uns umgibt, ist nicht nur die Folge, sondern auch die Ursache davon, daß sie uns als autonome Objekte gegenübertreten. Das Peinliche ist, daß diese vielfachen umdrängenden Dinge uns im Grunde eben gleichgültig sind, und zwar aus den spezifisch geldwirtschaftlichen Gründen der unpersönlichen Genesis und der leichten Ersetzbarkeit. Daß die Großindustrie den sozialistischen Gedanken nährt, beruht nicht nur auf den Verhältnissen ihrer Arbeiter, sondern auch auf der objektiven Beschaffenheit ihrer Produkte: der moderne Mensch ist von lauter so unpersönlichen Dingen umgeben, daß ihm die Vorstellung einer überhaupt anti-individuellen Lebensordnung immer näher kommen muß – freilich auch die Opposition dagegen. Die Kulturobjekte erwachsen immer mehr zu einer in sich zusammenhängenden Welt, die an immer wenigeren Punkten auf die sujektive Seele mit ihrem Wollen und Fühlen hinuntergreift. Und dieser Zusammenhang wird von einer gewissen Selbstbeweglichkeit der Objekte getragen. Man hat hervorgehoben, daß der Kaufmann, der Handwerker, der Gelehrte heute weit weniger beweglich ist, als etwa in der Reformationszeit. Materielle wie geistige Objekte bewegen sich jetzt eben selbständig, ohne personalen Träger oder Transporteur. Dinge und Menschen sind auseinandergetreten. Der Gedanke, die Arbeitsmühe, die Geschicklichkeit haben durch ihre steigende Investierung in objektiven Gebilden, Büchern und Waren, die Möglichkeit einer Eigenbewegung erhalten, für die der moderne Fortschritt in Transportmitteln nur die Verwirklichung oder der Ausdruck ist. Durch ihre eigene impersonale Beweglichkeit erst vollendet sich die Differenzierung der Objekte vom Menschen zu selbstgenugsamem Zusammenschluß. Das restlose Beispiel für diesen mechanischen Charakter der modernen Wirtschaft ist der Warenautomat; mit ihm wird nun auch aus dem Detailverkauf, in dem noch am längsten der Umsatz durch Beziehung von Person zu Person getragen worden ist, die menschliche Vermittelung völlig ausgeschaltet und das Geldäquivalent maschinenartig in die Ware umgesetzt. Auf anderer Stufe wird dasselbe Prinzip auch schon in dem Fünfzig-Pfennig-Bazar und ähnlichen Geschäften wirksam, in denen der wirtschaftspsychologische Prozeß nicht von der Ware zum Preise, sondern vom Preise zur Ware geht. Denn hier werden durch die apriorische Preisgleichheit sämtlicher Gegenstände vielerlei Überlegungen und Abwägungen des Käufers, vielerlei Bemühungen und Explikationen des Verkäufers wegfallen und so der wirtschaftliche Akt seine personalen Instanzen sehr schnell und gegen sie indifferent durchlaufen.
Auf den gleichen Erfolg wie diese Differenzierung im Nebeneinander führt die im Nacheinander. Der Wechsel der Mode unterbricht jenen inneren Aneignungs- und Einwurzelungsprozeß zwischen Subjekt und Objekt, der es zur Diskrepanz beider nicht kommen läßt. Die Mode ist eines jener gesellschaftlichen Gebilde, die den Reiz von Unterschied und Abwechslung mit dem von Gleichheit und Zusammenschluß in einer besonderen Proportion vereinen. Jede Mode ist ihrem Wesen nach Klassenmode, das heißt sie bezeichnet jedesmal eine Gesellschaftsschicht, die sich durch die Gleichheit ihrer Erscheinung ebensowohl nach innen einheitlich zusammenschließt, wie nach außen gegen andere Stände abschließt. Sobald nun die untere Schicht, die es der oberen nachzutun sucht, ihrerseits die Mode aufgenommen hat, wird sie von der letzteren verlassen, und eine neue kreiert. Deshalb hat es freilich wohl überall Moden gegeben, wo soziale Unterschiede sich einen Ausdruck in der Sichtbarkeit gesucht haben. Allein die soziale Bewegung seit hundert Jahren hat ihr ein ganz besonderes Tempo verliehen. Und zwar einerseits durch das Flüssigwerden der klassenmäßigen Schranken und das vielfache individuelle, manchmal auch ganze Gruppen umfassende Aufsteigen von einer Schicht in die höhere, andrerseits durch die Vorherrschaft des dritten Standes. Der erstere Umstand bewirkt, daß die Moden der in dieser Hinsicht führenden Schichten äußerst schnell wechseln müssen, denn das Nachdrängen der unteren, das der bestehenden Mode ihren Sinn und Reiz raubt, erfolgt jetzt sehr bald. Das zweite Moment wird dadurch wirksam, daß der Mittelstand und die städtische Bevölkerung, im Gegensatz zu dem Konservativismus der höchsten und der bäurischen Stände, der der eigentlichen Variabilität ist. Unruhige, nach Abwechslung drängende Klassen und Individuen finden in der Mode, der Wechsel- und Gegensatzform des Lebens, das Tempo ihrer eigenen psychischen Bewegungen wieder. Wenn die heutigen Moden lange nicht so extravagant und kostspielig sind wie die früherer Jahrhunderte, dafür aber sehr viel kürzere Lebensdauer haben, so liegt dies daran, daß sie viel weitere Kreise in ihren Bann ziehen, daß es den Tieferstehenden jetzt sehr viel leichter gemacht werden muß, sie sich anzueignen, und daß ihr eigentlicher Sitz der wohlhabende Bürgerstand geworden ist. Der Erfolg dieses Umsichgreifens der Mode, sowohl in Hinsicht der Breite wie ihres Tempos, ist, daß sie als eine selbständige Bewegung erscheint, als eine objektive, durch eigene Kräfte entwickelte Macht, die ihren Weg unabhängig von jedem Einzelnen geht. So lange die Moden – und es handelt sich hier keineswegs nur um Kleidermoden – noch relativ längere Zeit dauerten und relativ enge Kreise zusammenhielten, mochte es zu einem sozusagen persönlichen Verhältnis zwischen dem Subjekt und den einzelnen Inhalten der Mode kommen. Die Schnelligkeit ihres Wechsels – also ihre Differenzierung im Nacheinander – und der Umfang ihrer Verbreitung lösen diesen Konnex, und wie es mit manchen anderen sozialen Palladien in der Neuzeit geht, so auch hier: die Mode ist weniger auf den Einzelnen, der Einzelne weniger auf die Mode angewiesen, ihre Inhalte entwickeln sich wie eine evolutionistische Welt für sich.
Wenn so die Differenzierung allverbreiteter Kulturinhalte nach den formalen Seiten des Neben- und Nacheinander sie zu einer selbständigen Objektivität zu gestalten hilft, so will ich nun, drittens, von den inhaltlich in diesem Sinne wirksamen Momenten ein einzelnes anführen. Ich meine die Vielheit der Stile, mit denen die täglich anschaubaren Objekte uns entgegentreten – vom Häuserbau bis zu Buchausstattungen, von Bildwerken bis zu Gartenanlagen und Zimmereinrichtungen, in denen Renaissance und Japonismus, Barock und Empire, Prärafaelitentum und realistische Zweckmäßigkeit sich nebeneinander anbauen. Dies ist der Erfolg der Ausbreitung unseres historischen Wissens, welche nun wieder in Wechselwirkung mit jener hervorgehobenen Variabilität des modernen Menschen steht. Zu allem historischen Verständnis gehört eine Biegsamkeit der Seele, eine Fähigkeit, sich in die von dem eigenen Zustand abweichendsten seelischen Verfassungen hineinzufühlen und sie in sich nachzuformen – denn alle Geschichte, mag sie noch so sehr von Sichtbarkeiten handeln, hat Sinn und Verstandenwerden nur als Geschichte zum Grunde liegender Interessen, Gefühle, Strebungen: selbst der historische Materialismus ist nichts als eine psychologische Hypothese. Damit einem der Inhalt der Geschichte zum Eigentum werde, bedarf es deshalb einer Bildsamkeit, Nachbildsamkeit der auffassenden Seele, einer innerlichen Sublimierung der Variabilität. Die historisierenden Neigungen unseres Jahrhunderts, seine unvergleichliche Fähigkeit, das Fernliegendste – im zeitlichen wie im räumlichen Sinne – zu reproduzieren und lebendig zu machen, ist nur die Innenseite der allgemeinen Steigerung seiner Anpassungsfähigkeit und ausgreifenden Beweglichkeit. Daher die verwirrende Mannigfaltigkeit der Stile, die von unserer Kultur aufgenommen, dargestellt, nachgefühlt werden. Wenn nun jeder Stil wie eine Sprache für sich ist, die besondere Laute, besondere Flexionen, eine besondere Syntax hat, um das Leben auszudrücken, so tritt er unserem Bewußtsein offenbar so lange nicht als eine autonome Potenz, die ein eigenes Leben lebt, entgegen, als wir nur einen einzigen Stil kennen, in dem wir uns und unsere Umgebung gestalten. Niemand empfindet an seiner Muttersprache, solange er sie unbefangen redet, eine objektive Gesetzmäßigkeit, an die er sich wie an ein Jenseits seines Subjekts zu wenden hat, um von ihr die nach unabhängigen Normen geprägte Ausdrucksmöglichkeit für seine Innerlichkeit zu entlehnen. Vielmehr, Ausgedrücktes und Ausdruck sind in diesem Fall Unmittelbar eines, und als ein selbständiges, uns gegenüberstehendes Sein empfinden wir nicht nur die Muttersprache, sondern die Sprache überhaupt erst, wenn wir fremde Sprachen kennen lernen. So werden Menschen eines ganz einheitlichen, ihr ganzes Leben umschließenden Stiles denselben auch in fragloser Einheit mit den Inhalten desselben vorstellen. Da sich alles, was sie bilden oder anschauen, ganz selbstverständlich in ihm ausdrückt, so liegt gar keine psychologische Veranlassung vor, ihn von den Stoffen dieses Bildens und Anschauens gedanklich zu trennen und als ein Gebilde eigener Provenienz dem Ich gegenüberzustellen. Erst eine Mehrheit der gebotenen Stile wird den einzelnen von seinem Inhalt lösen, derart, daß seiner Selbständigkeit und von uns unabhängigen Bedeutsamkeit unsere Freiheit, um oder einen anderen zu wählen, gegenübersteht. Durch die Differenzierung der Stile wird jeder einzelne und damit der Stil überhaupt zu etwas Objektivem, dessen Gültigkeit vom Subjekte und dessen Interessen, Wirksamkeiten, Gefallen oder Mißfallen unabhängig ist. Daß die sämtlichen Anschauungsinhalte unseres Kulturlebens in eine Vielheit von Stilen auseinandergegangen sind, löst jenes ursprüngliche Verhältnis zu ihnen, in dem Subjekt und Objekt noch gleichsam ungeschieden ruhen, und stellt uns einer Welt nach eigenen Normen entwickelter Ausdrucksmöglichkeiten, der Formen, das Leben überhaupt auszudrücken, gegenüber, so daß eben diese Formen einerseits und unser Subjekt andrerseits wie zwei Parteien sind, zwischen denen ein rein zufälliges Verhältnis von Berührungen, Harmonien und Disharmonien herrscht.
Dies ist also ungefähr der Umkreis, in dem Arbeitsteilung und Spezialisation, persönlichen wie sachlichen Sinnes, den großen Objektivationsprozeß der modernsten Kultur tragen. Aus all diesen Erscheinungen setzt sich das Gesamtbild zusammen, in dem der Kulturinhalt immer mehr und immer gewußter objektiver Geist wird, gegenüber nicht nur denen, die ihn aufnehmen, sondern auch denen, die ihn produzieren. In dem Maß, in dem diese Objektivation vorschreitet, wird die wunderliche Erscheinung begreiflicher, von der wir ausgingen: daß die kulturelle Steigerung der Individuen hinter der der Dinge – greifbarer wie funktioneller wie geistiger – merkbar zurückbleiben kann.
Daß gelegentlich auch das Umgekehrte stattfindet, beweist die gleiche gegenseitige Verselbständigung beider Formen des Geistes. In etwas versteckter und umgebildeter Art liegt dies etwa in folgender Erscheinung. Die bäuerliche Wirtschaft scheint in Norddeutschland nur bei einer Art Anerbenrecht auf die Dauer erhaltbar, d. h. nur dann, wenn einer der Erben den Hof übernimmt und die Miterben mit geringeren Quoten abfindet, als sie nach dem Verkaufswert desselben bekommen würden. Bei der Berechnung nach dem letzteren – der momentan den Ertragswert weit übersteigt – wird der Hof bei der Abfindung derart mit Hypotheken überlastet, daß nur ein ganz minderwertiger Betrieb möglich bleibt. Dennoch fordert das moderne, individualistische Rechtsbewußtsein diese mechanische, geldmäßige Gleichberechtigung aller Erben und gibt nicht einem einzelnen Kinde den Vorteil, der doch zugleich die Bedingung für den objektiv vollkommenen Betrieb wäre. Zweifellos sind hierdurch oft Kulturerhöhungen einzelner Subjekte erreicht worden, um den Preis, daß die Kultur des Objekts relativ zurückgeblieben ist. Mit großer Entschiedenheit tritt eine derartige Diskrepanz an eigentlichen sozialen Institutionen auf, deren Evolution ein schwerfälligeres und konservativeres Tempo zeigt, als die der Individuen. Unter dieses Schema gehören die Fälle, die dahin zusammengefaßt worden sind, daß die Produktionsverhältnisse, nachdem sie eine bestimmte Epoche über bestanden haben, von den Produktionskräften, die sie selbst entwickelten, überflügelt werden, so daß sie den letzteren keinen adäquaten Ausdruck und Verwendung mehr gestatten. Diese Kräfte sind zum großen Teil personalen Wesens: was die Persönlichkeiten zu leisten fähig oder zu wollen berechtigt sind, findet keinen Platz mehr in den objektiven Formen der Betriebe. Die erforderliche Umänderung dieser erfolgt immer erst, wenn die dahin drängenden Momente sich zu Massen angehäuft haben; bis dahin bleibt die sachliche Organisierung der Produktion hinter der Entwicklung der individuellen wirtschaftlichen Energien zurück. Nach diesem Schema verlaufen viele Veranlassungen zur Frauenbewegung. Die Fortschritte der modernen industriellen Technik haben außerordentlich viele hauswirtschaftliche Tätigkeiten, die früher den Frauen oblagen, außerhalb des Hauses verlegt, wo ihre Objekte billiger und zweckmäßiger hergestellt werden. Dadurch ist nun sehr vielen Frauen der bürgerlichen Klasse der aktive Lebensinhalt genommen, ohne daß so rasch sich andere Tätigkeiten und Ziele an die leergewordene Stelle eingeschoben hätten; die vielfache »Unbefriedigtheit« der modernen Frauen, die Unverbrauchtheit ihrer Kräfte, die zurückschlagend jede mögliche Störung oder Zerstörung bewirken, ihr teils gesundes, teils krankhaftes Suchen nach Bewährungen außerhalb des Hauses – ist der Erfolg davon, daß die Technik in ihrer Objektivität einen eigenen und schnelleren Gang genommen hat, als die Entwicklungsmöglichkeiten der Personen. Aus einem entsprechenden Verhältnis soll der vielfach unbefriedigende Charakter moderner Ehen folgen. Die festgewordenen, die Individuen zwingenden Formen und Lebensgewohnheiten der Ehe stünden einer persönlichen Entwicklung der Kontrahenten, insbesondere der der Frau gegenüber, die weit über jene hinausgewachsen sei. Die Individuen wären jetzt auf eine Freiheit, ein Verständnis, eine Gleichheit der Rechte und Ausbildungen angelegt, für die das eheliche Leben, wie es nun einmal traditionell und objektiv gefestigt ist, keinen rechten Raum gäbe. Der objektive Geist der Ehe, so könnte man dies formulieren, sei hinter den subjektiven Geistern an Entwicklung zurückgeblieben. Nicht anders das Recht: von gewissen Grundtatsachen aus logisch entwickelt, in einem Kodex fester Gesetze niedergelegt, von einem besonderen Stande getragen, gewinnt es den anderweitigen, von den Personen empfundenen Verhältnissen und Bedürfnissen des Lebens gegenüber jene Starrheit, durch die es sich schließlich wie eine ewige Krankheit forterbt, Vernunft zum Unsinn, Wohltat zur Plage wird. Sobald die religiösen Impulse sich zu einem Schatz bestimmter Dogmen kristallisiert haben und diese arbeitsteilig durch eine, von den Gläubigen gesonderte, Körperschaft getragen werden, geht es der Religion nicht besser. Behält man diese relative Selbständigkeit des Lebens im Auge, mit der die objektiv gewordenen Kulturgebilde, der Niederschlag der geschichtlichen Elementarbewegungen, den Subjekten gegenüberstehen, so dürfte die Frage nach dem Fortschritt in der Geschichte viel von ihrer Ratlosigkeit verlieren. Daß sich Beweis und Gegenbeweis mit gleicher Plausibilität an jede Beantwortung derselben knüpfen läßt, liegt vielleicht oft daran, daß beide gar nicht denselben Gegenstand haben. So kann man z. B. mit demselben Recht den Fortschritt wie die Unveränderlichkeit in der sittlichen Verfassung behaupten, wenn man einmal auf die festgewordenen Prinzipien, die Organisationen, die in das Bewußtsein der Gesamtheit aufgestiegenen Imperative hinsieht, das andere Mal auf das Verhältnis der Einzelpersonen zu diesen objektiven Idealen, die Zulänglichkeit oder Unzulänglichkeit, mit der sich das Subjekt in sittlicher Hinsicht benimmt. Fortschritte und Stagnation können so unmittelbar nebeneinander liegen, und zwar nicht nur in verschiedenen Provinzen des geschichtlichen Lebens, sondern in einer und derselben, je nachdem man die Evolution der Subjekte oder die der Gebilde ins Auge faßt, die zwar aus den Beiträgen der Individuen entstanden sind, aber ein eigenes, objektiv geistiges Leben gewonnen haben.
Nun sich neben die Möglichkeit, daß die Entwicklung des objektiven Geistes die des subjektiven überhole, die entgegengesetzte gestellt hat, blicke ich noch einmal auf die Bedeutung der Arbeitsteilung für die Verwirklichung der ersteren zurück. Jene doppelte Möglichkeit ergibt sich, kurz zusammengefaßt, auf folgende Weise. Daß der in Produktionen irgendwelcher Art vergegenständlichte Geist dem einzelnen Individuum überlegen ist, liegt an der Komplikation der Herstellungsweisen, die außerordentlich viel historische und sachliche Bedingungen, Vor- und Mitarbeiter voraussetzen. Dadurch kann das Produkt Energien, Qualitäten, Steigerungen in sich sammeln, die ganz außerhalb des einzelnen Produzenten liegen. Dies aber wird insbesondere in der spezifisch modernen Technik als Folge der Arbeitsteilung auftreten. Solange das Produkt im wesentlichen von einem einzelnen Produzenten oder durch eine wenig spezialisierte Kooperation hergestellt wurde, konnte der in ihm objektivierte Gehalt an Geist und Kraft den der Subjekte nicht erheblich übersteigen. Erst eine raffinierte Arbeitsteilung macht das einzelne Produkt zur Sammelstelle von Kräften, die aus einer sehr großen Anzahl von Individuen auserlesen sind; so daß es, als Einheit betrachtet und mit irgendwelchem Einzelindividuum verglichen, dieses jedenfalls nach einer ganzen Reihe von Seiten hin überragen muß; und diese Aufhäufung von Eigenschaften und Vollkommenheiten an dem Objekt, das ihre Synthese bildet, geht ins unbegrenzte, während der Ausbau der Individualitäten für jeden gegebenen Zeitabschnitt an der Naturbestimmtheit derselben eine unverrückbare Schranke findet. Aber wenn die Tatsache, daß das objektive Werk einzelne Seiten sehr vieler Persönlichkeiten in sich einsaugt, ihm so eine objektivüberragende Entwicklungsmöglichkeit gewährt, so versagt sie ihm doch auch Vollkommenheiten, die sich gerade nur durch die Synthese der Energien in einem Subjekt verwirklichen. Der Staat und zwar insbesondere der moderne ist hier das umfassendste Beispiel. Wenn nämlich der Rationalismus es als logisch widerspruchsvoll gebrandmarkt hat, daß der Monarch, der doch nur ein einzelner Mensch sei, über eine ungeheure Anzahl anderer Menschen herrsche, so ist dabei übersehen, daß die letzteren, insofern sie eben diesen Staat unter dem Monarchen bilden, gar nicht in demselben Sinn »Menschen« sind, wie dieser es ist. Sie geben vielmehr nur einen gewissen Bruchteil ihres Seins und ihrer Kräfte in den Staat hinein, mit anderen reichen sie in andere Kreise, die Gesamtheit ihrer Persönlichkeit wird überhaupt von keinem erfaßt. Diese aber setzt der Monarch in das Verhältnis ein, und also mehr als jeder einzelne seiner Untertanen für sich. Solange freilich das Regiment in dem Sinne unumschränkt ist, daß der Herrscher unmittelbar über die Personen in dem ganzen Umfang ihres Seins verfügen kann, mag jene Unverhältnismäßigkeit bestehen. Der moderne Rechtsstaat dagegen grenzt den Bezirk genau ab, mit dem die Personen in die Staatssphäre hineinfallen, er differenziert jene, um aus gewissen ausgesonderten Elementen ihrer sich selbst zu bilden. Je entschiedener diese Differenzierung ist, als ein desto objektiveres, von der Form individueller Seelenhaftigkeit gelöstes Gebilde steht der Staat dem Individuum gegenüber. Daß er so eine Synthese aus den differenzierten Elementen der Subjekte ist, macht ihn ersichtlich ebenso zu einem unter-persönlichen, wie zu einem über-persönlichen Wesen. Wie mit dem Staat aber verhält es sich mit allen Gebilden des objektiven Geistes, die durch Zusammenfügung differenzierter individueller Leistungen entstehen. Denn so sehr diese an sachlich-geistigem Gehalt und Entwickelbarkeit desselben jeden individuellen Intellekt übertreffen, so empfinden wir sie doch in demselben Maß, in dem die Differenziertheit und Anzahl der arbeitsteiligen Elemente zunimmt, als bloßen Mechanismus, dem die Seele fehlt. Aufs deutlichste tritt hier der Unterschied hervor, den man als den von Geist und Seele bezeichnen kann. Geist ist der objektive Inhalt dessen, was innerhalb der Seele in lebendiger Funktion bewußt wird; Seele ist gleichsam die Form, die der Geist, d. h. der logisch-begriffliche Inhalt des Denkens, für unsere Subjektivität, als unsere Subjektivität, annimmt. Der Geist in diesem Sinne ist deshalb nicht an die Gestaltung zur Einheit gebunden, ohne die es keine Seele gibt. Es ist, als ob die geistigen Inhalte irgendwie verstreut da wären und erst die Seele führte sie in sich einheitlich zusammen, ungefähr wie die unlebendigen Stoffe in den Organismus und die Einheit seines Lebens einbezogen werden. Darin liegt die Größe wie die Grenze der Seele gegenüber den einzelnen, in ihrer selbständigen Gültigkeit und sachlichen Bedeutsamkeit betrachteten Inhalten ihres Bewußtseins. In so leuchtender Vollkommenheit und restlosem Sich-Selbst-Genügen auch Plato das Reich der Ideen zeichnen mag, die doch nichts anderes sind, als die von aller Zufälligkeit des Vorgestelltwerdens gelösten Sachinhalte des Denkens, und so unvollkommen, bedingt und dämmernd ihm die Seele des Menschen mit ihrer blassen, verwischten, kaum erhaschten Abspiegelung jener reinen Bedeutsamkeiten erscheinen mag – für uns ist jene plastische Klarheit und logische Formbestimmtheit nicht der einzige Wertmaßstab der Ideale und Wirklichkeiten. Uns ist die Form persönlicher Einheit, zu der das Bewußtsein den objektiven geistigen Sinn der Dinge zusammenführt, von unvergleichlichem Wert: hier erst gewinnen sie die Reibung aneinander, die Leben und Kraft ist, hier entwickeln sich erst jene dunklen Wärmestrahlen des Gemütes, für die die klare Perfektion rein sachlich bestimmter Ideen keinen Platz und kein Herz hat. So aber verhält es sich auch mit dem Geiste, der durch Vergegenständlichung unserer Intelligenz sich der Seele als Objekt gegenüberstellt. Und zwar wächst der Abstand zwischen beiden offenbar in demselben Maße, in dem der Gegenstand durch das arbeitsteilige Zusammenwirken einer wachsenden Anzahl von Persönlichkeiten entsteht; denn in eben diesem Maß wird es unmöglich, in das Werk die Einheit der Persönlichkeit hineinzuarbeiten, hineinzuleben, an welche sich für uns gerade der Wert, die Wärme, die Eigenart der Seele knüpft. Daß dem objektiven Geist durch die moderne Differenziertheit seines Zustandekommens eben diese Form der Seelenhaftigkeit fehlt – in engem Zusammenhang mit dem mechanischen Wesen unserer Kulturprodukte – das mag der letzte Grund der Feindseligkeit sein, mit der sehr individualistische und vertiefte Naturen jetzt so häufig dem »Fortschritt der Kultur« gegenüberstehen. Und zwar um so mehr, als diese, durch die Arbeitsteilung bestimmte Entwicklung der objektiven Kultur eine Seite oder Folge der allgemeinen Erscheinung ist, die man so auszudrücken pflegt: daß das Bedeutende in der gegenwärtigen Epoche nicht mehr durch die Individuen, sondern durch die Massen geschehe. Die Arbeitsteilung bewirkt in der Tat, daß der einzelne Gegenstand schon ein Produkt der Masse ist; die, unsere Arbeitsorganisation bestimmende, Zerlegung der Individuen in ihre einzelnen Energien und die Zusammenführung des so Herausdifferenzierten zu einem objektiven Kulturprodukt hat zur Folge, daß in diesem einzelnen um so weniger Seele ist, je mehr Seelen an seiner Herstellung beteiligt waren. Die Pracht und Größe der modernen Kultur zeigt so einige Analogie mit jenem strahlenden Ideenreiche Platos, in dem der objektive Geist der Dinge in makelloser Vollendung wirklich ist, dem aber die Werte der eigentlichen, nicht in Sachlichkeiten auflösbaren Persönlichkeit fehlen – ein Mangel, den alles Bewußtsein des fragmentarischen, irrationalen, ephemeren Charakters der letzteren nicht .unfühlbar machen kann. Ja, die personale Seelenhaftigkeit besitzt als bloße Form einen Wert, der sich neben aller Minderwertigkeit und Kontraidealität ihres jeweiligen Inhalts behauptet; sie bleibt als eine eigentümliche Bedeutsamkeit des Daseins, all seiner Objektivität gegenüber, selbst in den Fällen bestehen, von denen wir ausgingen und in denen die individuell-subjektive Kultur einen Rückschritt zeigt, während die objektive fortschreitet.
Für jede Kulturgemeinschaft ist offenbar das Verhältnis, in dem ihr objektiv gewordener Geist und seine Entwicklung zu den subjektiven Geistern steht, von äußerster Wichtigkeit, und zwar gerade nach der Seite ihres Lebensstiles hin: denn wenn der Stil die Bedeutung hat, eine beliebige Verschiedenheit von Inhalten sich formgleich ausdrücken zu lassen, so kann doch sicher die Relation zwischen objektivem und subjektivem Geist in bezug auf Quantität, Höhenmaß, Entwicklungstempo bei sehr verschiedenen Inhalten des kulturellen Geistes dennoch die gleiche sein. Gerade die allgemeine Art, wie das Leben sich abspielt, der Rahmen, den die soziale Kultur den Impulsen des Individuums darbietet, wird durch Fragen wie diese umschrieben: ob der Einzelne sein Innenleben in Nähe oder in Fremdheit zu der objektiven Kulturbewegung seiner Zeit weiß, ob er diese als eine überlegene, von der er gleichsam nur den Saum des Gewandes berühren kann, empfindet, oder seinen personalen Wert allem verdinglichten Geiste überlegen; ob innerhalb seines eigenen Geisteslebens die objektiven, historisch gegebenen Elemente eine Macht eigener Gesetzmäßigkeit sind, so daß diese und der eigentliche Kern seiner Persönlichkeit sich wie unabhängig voneinander entwickeln, oder ob die Seele sozusagen Herr im eigenen Hause ist oder wenigstens zwischen ihrem innersten Leben und dem, was sie als impersonale Inhalte in dasselbe aufnehmen muß, eine Harmonie in bezug auf Höhe, Sinn und Rhythmus herstellt. Diese abstrakten Formulierungen zeichnen doch das Schema für unzählige konkrete Interessen und Stimmungen des Tages und des Lebens und damit also das Maß, in dem die Beziehungen zwischen objektiver und subjektiver Kultur den Stil des Daseins bestimmen.
Wurde nun die gegenwärtige Gestaltung dieses Verhältnisses von der Arbeitsteilung getragen, so ist sie auch ein Abkömmling der Geldwirtschaft. Und zwar einmal, weil die Zerlegung der Produktion in sehr viele Teilleistungen eine mit absoluter Genauigkeit und Zuverlässigkeit funktionierende Organisation fordert, wie sie, seit dem Aufhören der Sklavenarbeit, nur bei Geldentlohnung der Arbeiter herstellbar ist. Jede anders vermittelte Beziehung zwischen Unternehmer und Arbeiter würde unberechenbarere Elemente enthalten, teils weil naturales Entgelt nicht so einfach beschaffbar und genau bestimmbar ist, teils weil nur das reine Geldverhältnis den bloß sachlichen und automatischen Charakter hat, ohne den sehr differenzierte und komplizierte Organisationen nicht auskommen. Und dann, weil der wesentliche Entstehungsgrund des Geldes überhaupt in dem Maße wirksamer wird, in dem die Produktion sich mehr spezialisiert. Denn es handelt sich doch im wirtschaftlichen Verkehr darum, daß der eine fortgibt, was der andere begehrt, wenn dieser andere dem ersteren dasselbe tut. Jene Sittenregel: den Menschen zu tun, wovon man wünscht, daß sie es einem tun – findet das umfassendste Beispiel ihrer formalen Verwirklichung an der Wirtschaft. Wenn nun ein Produzent für den Gegenstand A, den er in Tausch geben will, auch einen Abnehmer bereit findet, so wird der Gegenstand B, den dieser letztere dagegen zu geben imstande ist, jenem häufig gar nicht erwünscht sein. Daß so die Verschiedenheit der Begehrungen zwischen zwei Personen nicht immer mit der Verschiedenheit der Produkte zusammenfällt, die sie beide anzubieten haben, fordert bekanntlich die Einschiebung eines Tauschmittels; so daß, wenn die Besitzer von A und von B sich nicht über unmittelbaren Tausch einigen können, der erstere sein A gegen Geld fortgibt, für das er sich nun das ihm erwünschte C verschaffen kann, während der Besitzer von B das Geld für den Kauf von A dadurch beschafft, daß er mit seinem B einem Dritten gegenüber ebenso verfährt. Da es also die Verschiedenheit der Produkte, bzw. der auf sie gerichteten Begehrungen ist, um derentwillen es überhaupt zum Geld kommt, so wird seine Rolle ersichtlich um so größer und unentbehrlicher werden, je verschiedenartigere Gegenstände der Verkehr einschließt; oder, von der anderen Seite gesehen: zu einer erheblichen Spezifikation der Leistungen kann es überhaupt erst kommen, wenn man nicht mehr auf unmittelbaren Austausch angewiesen ist. Die Chance, daß der Abnehmer eines Produkts seinerseits gerade ein Objekt anzubieten habe, das jenem Produzenten genehm ist, sinkt in dem Maße, in dem die Spezifizierung der Produkte und die der menschlichen Wünsche steigt. Es ist nach dieser Richtung hin also gar kein neu eintretendes Moment, das die moderne Differenzierung an die Alleinherrschaft des Geldes knüpft; sondern die Verbindung zwischen beiden Kulturwerten findet schon in der Tiefe ihrer Wurzeln statt, und daß die Verhältnisse der Spezialisation, die ich schilderte, durch ihre Wechselwirkung mit der Geldwirtschaft eine völlige historische Einheit mit ihr bilden – das ist nur die graduelle Steigerung einer mit dem Wesen beider gegebenen Synthese.
Durch diese Vermittlung hindurch knüpft sich also der Stil des Lebens, insoweit er von dem Verhältnis zwischen objektiver und subjektiver Kultur abhängig ist, an den Geldverkehr. Und zwar wird hierbei das Wesen des letzteren völlig durch den Umstand enthüllt, daß er sowohl das Übergewicht des objektiven Geistes über den subjektiven, wie auch die Reserve, unabhängige Steigerung (und Eigenentwicklung des letzteren trägt. Was die Kultur der Dinge zu einer so überlegenen Macht gegenüber der der Einzelpersonen werden läßt, das ist die Einheit und autonome Geschlossenheit, zu der jene in der Neuzeit aufgewachsen ist. Die Produktion, mit ihrer Technik und ihren Ergebnissen, erscheint wie ein Kosmos mit festen, sozusagen logischen Bestimmtheiten und Entwicklungen, der dem Individuum gegenübersteht, wie das Schicksal es der Unstätheit und Unregelmäßigkeit unseres Willens tut. Dieses formale Sich-selbst-gehören, dieser innere Zwang, der die Kulturinhalte zu einem Gegenbild des Naturzusammenhanges einigt, wird erst durch das Geld wirklich: das Geld funktioniert einerseits als das Gelenksystem dieses Organismus; es macht seine Elemente gegeneinander verschiebbar, stellt ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit und Fortsetzbarkeit aller Impulse zwischen ihnen her. Es ist andrerseits dem Blute zu vergleichen, dessen kontinuierliche Strömung alle Verästelungen der Glieder durchdringt, und, alle gleichmäßig ernährend, die Einheit ihrer Funktionen trägt. Und was das zweite betrifft: so ermöglicht das Geld, indem es zwischen den Menschen und die Dinge tritt, jenem eine sozusagen abstrakte Existenz, ein Freisein von unmittelbaren Rücksichten auf die Dinge und von unmittelbarer Beziehung zu ihnen, ohne das es zu gewissen Entwicklungschancen unserer Innerlichkeit nicht käme; wenn der moderne Mensch unter günstigen Umständen eine Reserve des Subjektiven, eine Heimlichkeit und Abgeschlossenheit des persönlichsten Seins – hier nicht im sozialen, sondern in einem tieferen, metaphysischen Sinn – erringt, die etwas von dem religiösen Lebensstil früherer Zeiten ersetzt, so wird das dadurch bedingt, daß das Geld uns in immer steigendem Maße die unmittelbaren Berührungen mit den Dingen erspart, während es uns doch zugleich ihre Beherrschung und die Auswahl des uns Zusagenden unendlich erleichtert.
Und deshalb mögen diese Gegenrichtungen, da sie nun einmal eingeschlagen sind, auch einem Ideal absolut reinlicher Scheidung zustreben: in dem aller Sachgehalt des Lebens immer sachlicher und unpersönlicher wird, damit der nicht zu verdinglichende Rest desselben um so persönlicher, ein um so unbestreitbareres Eigen des Ich werde. Ein bezeichnender Einzelfall dieser Bewegung ist die Schreibmaschine; das Schreiben, ein äußerlich-sachliches Tun, das doch in jedem Fall eine charakteristisch-individuelle Form trägt, wirft diese letztere nun zugunsten mechanischer Gleichförmigkeit ab. Damit ist aber nach der anderen Seite hin das Doppelte erreicht: einmal wirkt nun das Geschriebene seinem reinen Inhalte nach, ohne aus seiner Anschaulichkeit Unterstützung oder Störung zu ziehen, und dann entfällt der Verrat des Persönlichsten, den die Handschrift so oft begeht, und zwar vermöge der äußerlichsten und gleichgültigsten Mitteilungen nicht weniger als bei den intimsten. So sozialisierend also auch alle derartigen Mechanisierungen wirken, so steigern sie doch das verbleibende Privateigentum des geistigen Ich zu um so eifersüchtigerer Ausschließlichkeit. Freilich ist diese Vertreibung der subjektiven Seelenhaftigkeit aus allem Äußerlichen dem ästhetischen Lebensideal ebenso feindlich, wie sie dem der reinen Innerlichkeit günstig sein kann – eine Kombination, die ebenso die Verzweiflung rein ästhetisch gestimmter Persönlichkeiten an der Gegenwart erklärt, wie die leise Spannung, die zwischen derartigen Seelen und solchen, die nur auf das innere Heil gerichtet sind, jetzt in gleichsam unterirdischeren Formen – ganz anderen als zur Zeit Savonarolas – aufwächst. Indem das Geld ebenso Symbol wie Ursache der Vergleichgültigung und Veräußerlichung alles dessen ist, was sich überhaupt vergleichgültigen und veräußerlichen läßt, wird es doch auch zum Torhüter des Innerlichsten, das sich nun in eigensten Grenzen ausbauen kann.
Inwieweit dies nun freilich zu jener Verfeinerung, Besonderheit und Verinnerlichung des Subjekts führt, oder ob es umgekehrt die unterworfenen Objekte gerade durch die Leichtigkeit ihrer Erlangung zu Herrschern über den Menschen werden läßt – das hängt nicht mehr vom Gelde, sondern eben vom Menschen ab. Die Geldwirtschaft zeigt sich auch hier in ihrer formalen Beziehung zu sozialistischen Zuständen; denn was von diesen erwartet wird: die Erlösung von dem individuellen Kampf ums Dasein, die Sicherung der niedrigeren und die leichte Zugängigkeit der höheren Wirtschaftswerte – dürfte gleichfalls die differenzierende Wirkung üben, daß ein gewisser Bruchteil, der Gesellschaft sich in eine bisher unerhörte und von allen Gedanken an das Irdische entfernteste Höhe der Geistigkeit erhebt, während ein anderer Bruchteil gerade in einen ebenso unerhörten praktischen Materialismus versänke.
Im großen und ganzen wird das Geld wohl am wirksamsten an denjenigen Seiten unseres Lebens, deren Stil durch das Übergewicht der objektiven Kultur über die subjektive bestimmt wird. Daß es aber auch den umgekehrten Fall zu stützen sich nicht weigert, das stellt Art und Umfang seiner historischen Macht in das hellste Licht. Man könnte es höchstens nach mancher Richtung hin der Sprache vergleichen, die sich ebenfalls den divergentesten Richtungen des Denkens und Fühlens unterstützend, verdeutlichend, herausarbeitend leiht. Es gehört zu jenen Gewalten, deren Eigenart gerade in dem Mangel an Eigenart besteht, die aber dennoch das Leben sehr verschieden färben können, weil das bloß Formale, Funktionelle, Quantitative, das ihre Seinsart ist, auf qualitativ bestimmte Lebensinhalte und -richtungen trifft und diese zur weiteren Zeugung qualitativ neuer Bildungen bestimmt. Seine Bedeutung für den Stil des Lebens wird dadurch, daß es beiden möglichen Verhältnissen zwischen dem objektiven und dem subjektiven Geist zur Steigerung und Reife hilft, nicht aufgehoben, sondern gesteigert, nicht widerlegt, sondern erwiesen.