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Sechstes Kapitel. Der Stil des Lebens.

I. Durch die Geldwirtschaft vermitteltes Übergewicht der intellektuellen über die Gefühlsfunktionen; Charakterlosigkeit und Objektivität des Lebensstiles. Die Doppelrolle des Intellekts wie des Geldes; ihrem Inhalte nach überpersönlich, ihrer Funktion nach individualistisch und egoistisch; Beziehung zu dem Rationalismus des Rechtes und der Logik. Das rechnende Wesen der Neuzeit.

In diesen Untersuchungen ist öfters erwähnt worden, daß die seelische Energie, die die spezifischen Erscheinungen der Geldwirtschaft trägt, der Verstand ist, im Gegensatz zu denjenigen, die man im allgemeinen als Gefühl oder Gemüt bezeichnet und die in dem Leben der nicht geldwirtschaftlich bestimmten Perioden und Interessenprovinzen vorzugsweise zu Worte kommen. Dies ist zunächst die Folge des Mittelscharakters des Geldes. Alle Mittel als solche bedeuten, daß die Verhältnisse und Verkettungen der Wirklichkeit in unseren Willensprozeß aufgenommen werden. Sie sind nur durch ein objektives Bild tatsächlicher Kausalverknüpfungen möglich, und offenbar würde ein Geist, welcher die Gesamtheit dieser fehlerlos überschaute, für jeden Zweck von jedem Ausgangspunkt aus die geeignetsten Mittel geistig beherrschen. Aber dieser Intellekt, der die vollendete Möglichkeit der Mittel in sich bärge, würde darum noch nicht die geringste Wirklichkeit eines solchen produzieren, weil dazu die Setzung eines Zweckes gehört, im Verhältnis zu dem jene realen Energien und Verbindungen erst die Bedeutung von Mitteln erhalten und der seinerseits nur durch eine Willenstat kreiert werden kann. So wenig in der objektiven Welt, wenn kein Wille zu ihr hinzutritt, etwas Zweck ist, so wenig in der Intellektualität, die doch nur eine vollkommenere oder unvollkommenere Darstellung des Weltinhaltes ist. Und vom Willen hat man richtig gesagt, aber meistens falsch verstanden, daß er blind ist. Er ist es nämlich nicht in demselben Sinne, wie Hödhr oder der geblendete Cyklop, die aufs Geratewohl losstürmen; er wirkt nichts Unvernünftiges, im Sinne des Wertbegriffes Vernunft, sondern er kann überhaupt nichts wirken, wenn er nicht irgendeinen Inhalt erhält, der niemals in ihm selbst liegt; denn er ist nichts anderes als eine der psychologischen Formen (wie das Sein, das Sollen, das Hoffen usw.), in denen Inhalte in uns leben, eine der – wahrscheinlich in begleitenden Muskel- oder sonstigen Gefühlen psychisch realisierten – Kategorien, in die wir den an sich bloß ideellen Gehalt der Welt fassen, damit er für uns eine praktische Bedeutung gewinne. So wenig also der Wille – der bloße, zu einer gewissen Selbständigkeit gesteigerte Name dieser Form – von sich aus irgendeinen bestimmten Inhalt erkürt, so wenig geht aus dem bloßen Bewußtsein der Weltinhalte, also aus der Intellektualität, irgendeine Zwecksetzung hervor. Vielmehr, zu der völligen Indifferenz jener und aus ihnen selbst nicht berechenbar, tritt an irgendeinem Punkte ihre Betonung durch den Willen. Ist dies erst einmal geschehen, so findet freilich rein logisch und durch die theoretische Sachlichkeit bestimmt, die Überleitung des Willens auf andere, mit jener ersten kausal verbundene Vorstellungen statt, die nun als »Mittel« zu jenem »Endzweck« gelten. Überall, wo der Intellekt uns führt, sind wir schlechthin abhängig, denn er führt uns nur durch die sachlichen Zusammenhänge der Dinge, er ist die Vermittlung, durch die das Wollen sich dem selbständigen Sein anpaßt. Fassen wir den Begriff der Mittelberechnung in voller Schärfe, so sind wir, in ihr verweilend, rein theoretische, absolut nicht-praktische Wesen. Das Wollen begleitet die Reihe unserer Überlegungen nur wie ein Orgelpunkt oder wie die allgemeine Voraussetzung eines Gebietes, in dessen inhaltliche Einzelheiten und Verhältnisse sie nicht eingreift, in das aber erst sie Leben und Wirklichkeit einströmen läßt.

Die Anzahl und Reihenlänge der Mittel, die den Inhalt unserer Tätigkeit bilden, entwickelt sich also proportional mit der Intellektualität, als dem subjektiven Repräsentanten der objektiven Weltordnung. Da nun jedes Mittel als solches völlig indifferent ist, so knüpfen sich alle Gefühlswerte im Praktischen an die Zwecke, an die Haltepunkte des Handelns, deren Erreichtheit nicht mehr in die Aktivität, sondern nur in die Rezeptivität unserer Seele ausstrahlt. Je mehr solcher Endstationen unser praktisches Leben enthält, desto stärker wird sich also die Gefühlsfunktion gegenüber der Intellektfunktion betätigen. Die Impulsivität und Hingegebenheit an den Affekt, die von Naturvölkern so vielfach berichtet wird, hängt sicher mit der Kürze ihrer teleologischen Reihen zusammen. Ihre Lebensarbeit hat nicht die Kohäsion der Elemente, die in höheren Kulturen durch den einheitlich das Leben durchziehenden »Beruf« geschaffen wird, sondern besteht aus einfachen Interessenreihen, die, wenn sie ihr Ziel überhaupt erreichen, es mit relativ wenig Mitteln tun; wozu besonders viel die Unmittelbarkeit der Bemühung um den Nahrungserwerb beiträgt, die dann in höheren Verhältnissen fast durchgehends vielgliedrigen Zweckreihen Platz macht. Unter diesen Umständen ist Vorstellung und Genuß von Endzwecken ein relativ häufiger, das Bewußtsein der sachlichen Verknüpfungen und der Wirklichkeit, die Intellektualität, tritt seltener in Funktion, als die Gefühlsbegleitungen, die sowohl die unmittelbare Vorstellung wie den realen Eintritt der Endzwecke charakterisieren. Noch das Mittelalter hatte durch die ausgedehnte Produktion für den Selbstbedarf, durch die Art des Handwerksbetriebes, durch die Vielfachheit und Enge der Einungen, vor allem durch die Kirche eine viel größere Zahl definitiver Befriedigungspunkte des Zweckhandelns, als die Gegenwart, in der die Umwege und Vorbereitungen zu solchen ins Endlose wachsen, wo der Zweck der Stunde so viel häufiger über die Stunde hinaus, ja, über den Gesichtskreis des Individuums hinausliegt. Diese Verlängerung der Reihen bringt das Geld zunächst dadurch zustande, daß es ein gemeinsames, zentrales Interesse über sonst auseinanderliegenden schafft und sie dadurch in Verbindung bringt, so daß die eine zur Vorbereitung der anderen, ihr sachlich ganz fremden, werden kann (indem z. B. der Geldertrag der einen und damit sie als Ganzes zum Unternehmen der anderen dient). Das Wesentliche aber ist die allgemeine, nach ihrem Zustandekommen bereits früher besprochene Tatsache, daß das Geld allenthalben als Zweck empfunden wird und damit außerordentlich viele Dinge, die eigentlich den Charakter des Selbstzwecks haben, zu bloßen Mitteln herabdrückt. Indem nun aber das Geld selbst überall und zu allem Mittel ist, werden dadurch die Inhalte des Daseins in einen ungeheuren teleologischen Zusammenhang eingestellt, in dem keiner der erste und keiner der letzte ist. Und da das Geld alle Dinge mit unbarmherziger Objektivität mißt und ihr Wertmaß, das sich so herausstellt, ihre Verbindungen bestimmt – so ergibt sich ein Gewebe sachlicher und persönlicher Lebensinhalte, das sich an ununterbrochener Verknüpftheit und strenger Kausalität dem naturgesetzlichen Kosmos nähert und von dem alles durchflutenden Geldwert so zusammengehalten wird, wie die Natur von der alles belebenden Energie, die sich ebenso wie jener in tausend Formen kleidet, aber durch die Gleichmäßigkeit ihres eigentlichen Wesens und die Rückverwandelbarkeit jeder ihrer Umsetzungen jedes mit jedem in Verbindung setzt und jedes zur Bedingung eines jeden macht. Wie nun aus der Auffassung der natürlichen Prozesse alle Gefühlsbetonungen verschwunden und durch die eine objektive Intelligenz ersetzt worden sind, so scheiden die Gegenstände und Verknüpfungen unserer praktischen Welt, indem sie mehr und mehr zusammenhängende Reihen bilden, die Einmischungen des Gefühles aus, die sich nur an teleologischen Endpunkten einstellen, und sind nur noch Objekte der Intelligenz, die wir an der Hand dieser benutzen. Die steigende Verwandlung aller Lebensbestandteile in Mittel, die gegenseitige Verbindung der sonst mit selbstgenügsamen Zwecken abgeschlossenen Reihen zu einem Komplex relativer Elemente ist nicht nur das praktische Gegenbild der wachsenden Kausalerkenntnis der Natur und der Verwandlung des Absoluten in ihr in Relativitäten; sondern, da alle Struktur von Mitteln – für unsere jetzige Betrachtung – eine von vorwärts betrachtete Kausalverbindung ist, so wird damit auch die praktische Welt mehr und mehr zu einem Problem für die Intelligenz; oder genauer: die vorstellungsmäßigen Elemente des Handelns wachsen objektiv und subjektiv zu berechenbaren, rationellen Verbindungen zusammen und schalten dadurch die gefühlsmäßigen Betonungen und Entscheidungen mehr und mehr aus, die sich nur an die Cäsuren des Lebensverlaufes, an die Endzwecke in ihm, anschließen.

Diese Beziehung zwischen der Bedeutung des Intellekts und der des Geldes für das Leben läßt die Epochen oder Interessengebiete, wo beides herrscht, zunächst negativ bestimmen: durch eine gewisse Charakterlosigkeit. Wenn Charakter immer bedeutet, daß Personen oder Dinge auf eine individuelle Daseinsart, im Unterschiede und unter Ausschluß von allen anderen, entschieden festgelegt sind, so weiß der Intellekt als solcher davon nichts: denn er ist der indifferente Spiegel der Wirklichkeit, in der alle Elemente gleichberechtigt sind, weil ihr Recht hier in nichts anderem als in ihrem Wirklichsein besteht. Gewiß sind auch die Intellektualitäten der Menschen charakteristisch unterschieden: allein genau angesehen, sind dies entweder Unterschiede des Grades: Tiefe oder Oberflächlichkeit, Weite oder Beschränktheit – oder solche, die durch den Beisatz anderer Seelenenergien, des Fühlens oder Wollens, entstehen. Der Intellekt, seinem reinen Begriff nach, ist absolut charakterlos, nicht im Sinne des Mangels einer eigentlich erforderlichen Qualität, sondern weil er ganz jenseits der auswählenden Einseitigkeit steht, die den Charakter ausmacht. Eben dies ist ersichtlich auch die Charakterlosigkeit des Geldes. Wie es an und für sich der mechanische Reflex der Wertverhältnisse der Dinge ist und allen Parteien sich gleichmäßig darbietet, so sind innerhalb des Geldgeschäftes alle Personen gleichwertig, nicht, weil jede, sondern weil keine etwas wert ist, sondern nur das Geld. Die Charakterlosigkeit aber des Intellekts wie des Geldes pflegt über diesen reinen, negativen Sinn hinauszuwachsen. Wir verlangen von allen Dingen – vielleicht nicht immer mit sachlichem Recht – Bestimmtheit des Charakters und verdenken es dem rein theoretischen Menschen, daß sein Alles-Verstehen ihn bewegt, alles zu verzeihen – eine Objektivität, die wohl einem Gotte, aber niemals einem Menschen zukäme, der sich damit in offenbaren Widerspruch sowohl gegen die Hinweisungen seiner Natur wie gegen seine Rolle in der Gesellschaft setze. So verdenken wir es der Geldwirtschaft, daß sie ihren zentralen Wert der elendesten Machination als ein völlig nachgiebiges Werkzeug zur Verfügung stellt; denn dadurch, daß sie es der hochsinnigsten Unternehmung nicht weniger leiht, wird dies nicht gut gemacht, sondern gerade nur das völlig zufällige Verhältnis zwischen der Reihe der Geldoperationen und der unserer höheren Wertbegriffe, die Sinnlosigkeit des einen, wenn man es am anderen mißt, in das hellste Licht gestellt. Die eigentümliche Abflachung des Gefühlslebens, die man der Jetztzeit gegenüber der einseitigen Stärke und Schroffheit früherer Epochen nachsagt; die Leichtigkeit intellektueller Verständigung, die selbst zwischen Menschen divergentester Natur und Position besteht – während selbst eine intellektuell so überragende und theoretisch so interessierte Persönlichkeit wie Dante noch sagt, gewissen theoretischen Gegnern dürfe man nicht mit Gründen, sondern nur mit dem Messer antworten; die Tendenz zur Versöhnlichkeit, aus der Gleichgültigkeit gegen die Grundfragen des Innenlebens quellend, die man zuhöchst als die nach dem Heil der Seele bezeichnen kann und die nicht durch den Verstand zu entscheiden sind – bis zu der Idee des Weltfriedens, die besonders in den liberalen Kreisen, den historischen Trägern des Intellektualismus und des Geldverkehrs gepflegt wird: alles dies entspringt als positive Folge jenem negativen Zuge der Charakterlosigkeit. An den Höhenpunkten des Geldverkehrs wird diese Farblosigkeit sozusagen zur Farbe von Berufsinhalten. In den modernen Großstädten gibt es eine große Anzahl von Berufen, die keine objektive Form und Entschiedenheit der Betätigung aufweisen: gewisse Kategorien von Agenten, Kommissionäre, all die unbestimmten Existenzen der Großstädte, die von den verschiedenartigsten, zufällig sich bietenden Gelegenheiten, etwas zu verdienen, leben. Bei diesen hat das ökonomische Leben, das Gewebe ihrer teleologischen Reihen überhaupt keinen sicher anzugebenden Inhalt, außer dem Geldverdienen, das Geld, das absolut Unfixierte, ist ihnen der feste Punkt, um den ihre Tätigkeit mit unbegrenzter Latitüde schwingt. Eine besondere Art von »unqualifizierter Arbeit« liegt hier vor, neben der die gewöhnlich so bezeichnete sich doch noch als qualifiziert herausstellt: nämlich dadurch, daß das Wesen der letzteren in der bloßen Muskelarbeit besteht, bei völligem Überwiegen des aufgewendeten Energie quantums über die Form seiner Äußerung, bekommt diese Arbeit der niedrigsten Arbeiter doch eine spezifische Färbung, ohne die schon die bloßen, neuerdings in England gemachten Versuche, sie in Gewerkvereinen zu organisieren, nicht möglich wären. Sehr viel mehr entbehren jene, den divergentesten Verdienstgelegenheiten nachgehenden Existenzen jeder apriorischen Bestimmtheit ihres Lebensinhaltes – im Unterschiede vom Bankier, bei dem das Geld nicht nur der Endzweck, sondern auch das Material der Tätigkeit ist, als welches es durchaus besondere, festgelegte Direktiven, eigenartige Interessiertheiten, Züge eines bestimmten Berufscharakters zeitigen kann. Erst bei jenen problematischen Existenzen haben die Wege zu dem Endziel Geld jede sachliche Einheit oder Verwandtschaft abgestreift. Das Nivellement, das das Geldziel den einzelnen Betätigungen und Interessen bereitet, findet erst hier ein Minimum von Widerstand, die Bestimmtheit und Färbung, die der Persönlichkeit aus ihren ökonomischen Tätigkeiten kommen könnte, ist aufgehoben. Nun ist offenbar eine solche Existenz nur bei nicht gewöhnlicher Intellektualität von irgendwelchem Erfolge, ja Möglichkeit, und zwar in jener Form, die man als »Schlauheit« bezeichnet – womit man die Lösung der Klugheit von jeder Festgelegtheit durch die Normen der Sache oder der Idee und ihre vorbehaltlose Dienstbarkeit für das jeweilige persönliche Interesse meint. Zu diesen »Berufen« – denen gerade das »Berufensein«, d. h. die feste ideelle Linie zwischen der Person und einem, Lebensinhalt fehlt – sind begreiflicherweise die überhaupt entwurzelten Menschen disponiert und ebenso begreiflich ruht auf ihnen der Verdacht der Unzuverlässigkeit; wie sogar schon in Indien gelegentlich der Name für Kommissionär, Vermittler, zugleich der Name für jemanden geworden ist who lives by cheating his fellow-creatures. Jene großstädtischen Existenzen, die nur auf irgendeine, völlig unpräjudizizierte Weise Geld verdienen wollen und dazu um so mehr des Intellekts als allgemeiner Funktion bedürfen, weil spezielle Sachkenntnis für sie nicht in Frage kommt – stellen ein Hauptkontingent zu jenem Typus unsichrer Persönlichkeiten, die man nicht recht greifen und »stellen« kann, weil ihre Beweglichkeit und Vielseitigkeit es ihnen erspart, sich sozusagen in irgendeiner Situation festzulegen. Daß das Geld und die Intellektualität den Zug der Unpräjudiziertheit oder Charakterlosigkeit gemeinsam haben, das ist die Voraussetzung dieser Erscheinungen, die auf einem anderen Boden als auf der Berührungsfläche jener beiden Mächte nicht wachsen könnten.

Gegen derartige Züge der Geldwirtschaft ist die Heftigkeit der modernen Wirtschaftskämpfe, in denen kein Pardon gegeben wird, doch nur eine scheinbare Gegeninstanz, da sie durch das unmittelbare Interesse am Gelde selbst entfesselt werden. Denn nicht nur, daß diese in einer objektiven Sphäre vor sich gehen, in der die Persönlichkeit nicht sowohl als Charakter, sondern als Träger einer bestimmten sachlichen Wirtschaftspotenz wichtig ist und wo der todfeindliche Konkurrent von heute der Kartellgenosse von morgen ist; sondern vor allem: die Bestimmungen, die ein Gebiet innerhalb seiner erzeugt, können durchaus denen heterogen sein, die es außerhalb seiner gelegenen, aber von ihm beeinflußten, mitteilt. So kann eine Religion innerhalb ihrer Anhänger und ihrer Lehre die Friedfertigkeit selbst und doch sowohl den Ketzern wie den ihr benachbarten Lebensmächten gegenüber äußerst streitbar und grausam sein; so kann ein Mensch in Anderen Gefühle und Gedanken hervorrufen, die seinen eigenen Lebensinhalten völlig heterogen sind, so daß er gibt, was er selbst nicht hat; so mag eine Kunstrichtung ihrer eigenen Überzeugung und artistischen Idee nach völlig naturalistisch sein, in dem Verhältnis der Unmittelbarkeit und bloßen Reproduktion zur Natur stehend, während die Tatsache, daß es überhaupt eine so treue Hingabe an die Erscheinung des Wirklichen und eine künstlerische Bemühung um ihre Abspiegelung gibt, im System des Lebens ein absolut ideales Moment ist und sich, im Vergleich zu dessen anderen Bestandteilen, weit über alle naturalistische Wirklichkeit hinaushebt. So wenig die Schärfe theoretisch-logischer Kontroversen hindert, daß die Intellektualität doch ein Prinzip der Versöhnlichkeit ist – denn sobald der Streit aus dem Gegensatz der Gefühle oder der Wollungen oder der unbeweisbaren, nur gefühlsmäßig anerkennbaren Axiome in die theoretische Diskussion übergegangen ist, muß er prinzipiell beigelegt werden können –, so wenig hindern die Interessenkämpfe in der Geldwirtschaft, daß diese doch ein Prinzip der Indifferenz ist, die Gegnerschaften aus dem eigentlich Persönlichen heraushebt und ihnen einen Boden bietet, auf dem schließlich immer eine Verständigung möglich ist. Gewiß hat die rein verstandesmäßige Behandlung der Menschen und Dinge etwas Grausames; aber sie hat dies nicht als positiven Impuls, sondern als einfache Unberührtheit ihrer bloß logischen Konsequenz durch Rücksichten, Gutmütigkeit, Zartheiten; weshalb denn auch entsprechend der rein geldmäßig interessierte Mensch es gar nicht zu begreifen pflegt, wenn man ihm Grausamkeit und Brutalität vorwirft, da er sich einer bloßen Folgerichtigkeit und reinen Sachlichkeit seines Verfahrens, ohne irgendeinen bösen Willen, bewußt ist. Bei alledem ist festzuhalten, daß es sich nur um das Geld als Form der Wirtschaftsbewegungen handelt, denen darum doch aus anderweitigen, inhaltlichen Motiven noch ganz davon abweichende Züge kommen können. Man kann dieses Jenseits der Charakterbestimmtheiten, in das das Leben, unbeschadet aller sonstigen, gegensatzverschärfenden Folgen der Intellektualität und der Geld Wirtschaft, durch sie gestellt wird, als Objektivität des Lebensstiles bezeichnen. Dies ist nicht ein Zug, der sich der Intelligenz hinzugesellte, sondern er ist ihr Wesen selbst; sie ist die einzige dem Menschen zugängliche Art, auf die er zu den Dingen ein nicht durch die Zufälligkeit des Subjektes bestimmtes Verhältnis gewinnen kann. Angenommen selbst, daß die gesamte objektive Wirklichkeit durch die Funktionen unseres Geistes bestimmt ist, so nennen wir eben diejenigen Funktionen die intelligenten, durch die sie uns als die objektive, im spezifischen Sinne des Wortes, erscheint, so sehr die Intelligenz selbst auch durch anderweitige Kräfte belebt und dirigiert sei. Das glänzendste Beispiel für diese Zusammenhänge ist Spinoza: ein objektivstes Verhalten zur Welt, jeder einzelne Akt der Innerlichkeit als ein harmonisches Weiterklingen der Notwendigkeiten des allgemeinen Daseins gefordert, den Unberechenbarkeiten der Individualität nirgends gestattet, die logisch-mathematische Struktur der Welteinheit zu durchbrechen, die Funktion, die dieses Weltbild und seine Normen trägt, die rein intellektuelle; auf das bloße Verstehen der Dinge ist diese Weltanschauung selbst subjektiv aufgebaut, und es reicht zur Erfüllung ihrer Forderungen aus; diese Intellektualität selbst aber allerdings auf ein tief religiöses Fühlen gegründet, auf eine völlig über-theoretische Beziehung zum Grunde der Dinge, die nur nie in das Einzelne des in sich geschlossenen intellektuellen Prozesses eingreift. Im großen zeigt das indische Volk dieselbe Verbindung. Aus den ältesten wie aus modernen Zeiten wird berichtet, daß zwischen den kämpfenden Heeren indischer Staaten der Landmann ruhig sein Feld bebauen könne, ohne von einer feindlichen Partei belästigt zu werden; denn er sei »der gemeinsame Wohltäter von Freund und Feind«. Offenbar ist dies ein äußerstes Maß objektiver Behandlung der praktischen Dinge: die als natürlich erscheinenden subjektiven Impulse sind völlig zugunsten einer nur der sachlichen Bedeutung der Elemente entsprechenden Praxis ausgeschaltet, die Differenzierung des Verhaltens folgt nur noch einer objektiven Angemessenheit statt denen der persönlichen Leidenschaft. Aber dieses Volk war auch völlig intellektualistisch gestimmt: an scharfer Logik, grüblerischer Tiefe der Weltkonstruktion, ja, einer kahlen Verstandesmäßigkeit selbst seiner gigantischsten Phantasien wie seiner gesteigertsten ethischen Ideale war es in alten Zeiten allen anderen ebenso überlegen, wie es an ausstrahlender Wärme des eigentlichen Gemütslebens und an Willenskraft hinter sehr vielen zurückstand; es war ein bloßer Zuschauer und logischer Konstrukteur des Weltlaufs geworden – aber daß es das geworden war, das ruhte dennoch auf letzten Entscheidungen des Gefühles, auf einer Unermeßlichkeit des Leidens, die zu einem metaphysisch-religiösen Fühlen seiner kosmischen Notwendigkeit auswuchs, weil der Einzelne mit ihm weder innerhalb der Gefühlsprovinz selbst, noch durch die Ableitungen einer energischen Lebenspraxis fertig werden konnte.

Eben diese Objektivität der Lebensverfassung geht auch von deren Beziehung zum Gelde aus. Ich habe in früherem Zusammenhang darauf hingewiesen, eine wie große Erhebung über die ursprüngliche undifferenzierte Subjektivität des Menschen schon der Handel darstellt. Noch heute gibt es Völker in Afrika und Mikronesien, die keinen anderen Besitzwechsel als in der Form des Raubes und des Geschenkes kennen. Wie aber dem höheren Menschen neben und über den subjektivistischen Antrieben von Egoismus und Altruismus – in deren Alternative die Ethik leider noch die menschlichen Motivierungen einzusperren pflegt – objektive Interessen erwachsen, ein Hingegebensein oder Verpflichtetsein, das gar nicht mit Verhältnissen von Subjekten, sondern mit sachlichen Angemessenheiten und Idealen zu tun hat: so entwickelt sich, jenseits der egoistischen Impulsivität des Raubes und der nicht geringeren altruistischen des Geschenkes, der Besitzwechsel nach der Norm objektiver Richtigkeit und Gerechtigkeit, der Tausch. Das Geld aber stellt das Moment der Objektivität der Tauschhandlungen gleichsam in reiner Abgelöstheit und selbständiger Verkörperung dar, da es von allen einseitigen Qualifikationen der tauschbaren Einzeldinge frei ist und deshalb von sich aus zu keiner wirtschaftlichen Subjektivität ein entschiedeneres Verhältnis hat als zu einer anderen – gerade wie das theoretische Gesetz die für sich seiende Objektivität des Naturgeschehens darstellt, der gegenüber jeder einzelne, von jenem bestimmte Fall als zufällig – das Seitenstück zu dem Subjektiven im Menschlichen – erscheint. Daß dennoch die verschiedenen Persönlichkeiten gerade zum Gelde die verschiedensten inneren Beziehungen haben, beweist gerade seine Jenseitigkeit von jeder subjektiven Einzelheit; es teilt diese mit den anderen großen historischen Potenzen, die weiten Seen gleichen, aus denen man von jeder Seite her und alles das schöpfen kann, was das mitgebrachte Gefäß nach Form und Umfang gestattet. Die Objektivität des gegenseitigen Verhaltens der Menschen – die freilich nur eine Formung eines ursprünglich von subjektiven Energien gelieferten Materiales ist, aber eine von schließlich selbständigem Bestände und Normgebung – gewinnt an den rein geldwirtschaftlichen Interessen ihre restloseste Ausprägung. Was gegen Geld fortgegeben wird, gelangt an denjenigen, der das meiste dafür gibt, gleichgültig, was und wer er sonst sei; wo andere Äquivalente ins Spiel kommen, wo man um Ehre, um Dienstleistung, um Dankbarkeit sich eines Besitzes entäußerst, sieht man sich die Beschaffenheit der Person an, der man gibt. Und umgekehrt, wo ich selbst um Geld kaufe, ist es mir gleichgültig, von wem ich das kaufe, was mir erwünscht und den Preis wert ist; wo man aber um den Preis der Dienstleistung, der persönlichen Verpflichtung in innerlicher und äußerlicher Beziehung erwirbt, da prüft man genau, mit wem man zu tun hat, weil wir nichts anderes von uns als gerade nur Geld jedem Beliebigen geben mögen. Die Bemerkung auf den Kassenscheinen, daß der Wert derselben dem Einlieferer »ohne Legitimationsprüfung« ausgezahlt wird, ist bezeichnend für die absolute Objektivität, mit der in Geldsachen verfahren wird. Auf ihrem Gebiete findet sich selbst bei einem sehr viel leidenschaftlicheren Volke als den Indem doch ein Gegenstück zu jener Exemtion des Ackerbauers von den kriegerischen Bewegungen: bei einigen Indianern darf der Händler unbehelligt durch Stämme ziehen und Handel treiben, die mit dem seinigen auf dem Kriegsfuß stehen! Das Geld stellt Handlungen und Verhältnisse des Menschen so außerhalb des Menschen als Subjektes, wie das Seelenleben, soweit es rein intellektuell ist, aus der persönlichen Subjektivität in die Sphäre der Sachlichkeit, die es nun abspiegelt, eintritt. Damit ist ersichtlich ein Überlegenheitsverhältnis angelegt. Wie der, der das Geld hat, dem überlegen ist, der die Ware hat, so besitzt der intellektuelle Mensch als solcher eine gewisse Macht gegenüber dem, der mehr im Gefühle und Impulse lebt. Denn soviel wertvoller des letzteren Gesamtpersönlichkeit sein mag, so sehr seine Kräfte in letzter Instanz jenen überflügeln mögen – er ist einseitiger, engagierter, vorurteilsvoller als jener, er hat nicht den souveränen Blick und die ungebundenen Verwendungsmöglichkeiten über alle Mittel der Praxis wie der reine Verstandesmensch. Aus diesem Überlegenheitsmoment heraus, in dem das Geld und die Intellektualität durch ihre Objektivität gegenüber jedem singulären Lebensinhalt zusammentreffen, hat Comte in seinem Zukunftsstaat an die Spitze der weltlichen Regierung die Bankiers gestellt, da sie die Klasse der allgemeinsten und abstraktesten Funktionen bildeten. Und dieser Zusammenhang klingt schon bei den mittelalterlichen Gesellenverbänden an, in denen der Seckelmeister zugleich der Vorstand der Bruderschaft zu sein pflegt.

Diese Begründung der Korrelation zwischen Intellektualität und geldmäßiger Wirtschaft auf die Objektivität und charakterologische Unbestimmtheit, die beiden gemeinsam wären, begegnet nun aber einer sehr entschiedenen Gegeninstanz. Neben der unpersönlichen Sachlichkeit nämlich, die der Intelligenz ihren Inhalten nach eigen ist, steht eine äußerst enge Beziehung, die sie gerade zur Individualität und zum ganzen Prinzip des Individualismus besitzt; das Geld seinerseits, so sehr es die impulsiv-subjektivistischen Verfahrungsweisen in überpersönliche und sachlich normierte überführt, ist dennoch die Pflanzstätte des wirtschaftlichen Individualismus und Egoismus. Hier liegen also offenbar Mehrdeutigkeiten und Verschlingungen der Begriffe vor, die klar auseinandergelegt werden müssen, um den durch sie bezeichenbaren Lebensstil zu verstehen. Jene Doppelrolle, die sowohl der Intellekt wie das Geld spielen, wird begreiflich, sobald man ihren Inhalt, den Sachgehalt ihres Wesens, von der Funktion unterscheidet, die diesen trägt, bzw. von der Verwendung, die von ihm gemacht wird. In dem ersteren Sinne hat der Intellekt einen nivellierten, ja, man möchte sagen: kommunistischen Charakter. Zunächst, weil es das Wesen seiner Inhalte ist, daß sie allgemein mitteilbar sind, und daß, ihre Richtigkeit vorausgesetzt, jeder hinreichend vorgebildete Geist sich von ihnen muß überzeugen lassen können – wozu es auf den Gebieten des Willens und des Gefühles gar kein Analogon gibt. Auf diesen hängt jede Übertragung der gleichen inneren Konstellation von der mitgebrachten und jedem Zwange nur bedingt nachgiebigen Verfassung der individuellen Seele ab; ihr gegenüber gibt es keine Beweise, wie sie dem Intellekt, wenigstens prinzipiell, zu Gebote stehen, um die gleiche Überzeugung durch die Gesamtheit der Geister zu verbreiten. Die Belehrbarkeit, die ihm allein eigen ist, bedeutet, daß man sich auf einem mit Allen gemeinsamen Niveau befindet. Dazu kommt, daß die Inhalte der Intelligenz, von ganz zufälligen Komplikationen abgesehen, die eifersüchtige Ausschließlichkeit nicht kennen, die die praktischen Lebensinhalte so oft besitzen. Gewisse Gefühle, z. B. die mit dem Verhältnis zwischen einem Ich und einem Du verbundenen, würden ihr Wesen und ihren Wert völlig verlieren, wenn eine Mehrzahl sie genau so teilen dürfte; gewissen Willenszielen ist es unbedingt wesentlich, daß Andere von ihnen, sowohl dem Erstreben wie dem Erreichen nach, ausgeschlossen sind. Theoretische Vorstellungen dagegen gleichen, wie man wohl gesagt hat, der Fackel, deren Licht darum nicht geringer wird, daß beliebig viele andere an ihr entzündet werden; indem die potenzielle Unendlichkeit ihrer Verbreitung gar keinen Einfluß auf ihre Bedeutung hat, entzieht sie sie mehr als alle sonstigen Lebensinhalte dem Privatbesitz Endlich bieten sie sich durch die Fixierung, über die sie verfügen, in einer Art dar, die von der Aufnahme ihres Inhaltes alle individuellen Zufälligkeiten, wenigstens prinzipiell, ausschließt. Wir haben gar keine Möglichkeit, Gefühlsbewegungen und Willensenergien in so restloser und unzweideutiger Weise niederzulegen, daß jeder in jedem Augenblick darauf zurückgreifen und an der Hand des objektiven Gebildes den gleichen inneren Vorgang immer wieder erzeugen kann – wozu wir allein intellektuellen Inhalten gegenüber in der in Begriffen und ihrer logischen Verknüpfung sich bewegenden Sprache ein zulängliches, von der individuellen Disposition relativ unabhängiges Mittel besitzen. Nach ganz anderer Richtung aber entwickelt sich nun die Bedeutung des Intellektes, sobald die realen geschichtlichen Kräfte mit jenen abstrakten Sachlichkeiten und Möglichkeiten seines Inhaltes zu schalten beginnen. Zunächst ist es gerade die Allgemeingültigkeit der Erkenntnis und ihre daraus folgende Eindringlichkeit und Unwiderstehlichkeit, die sie zu einer furchtbaren Waffe der irgend hervorragenderen Intelligenzen macht. Gegen einen überlegenen Willen können wenigstens die nicht suggestiblen Naturen sich wehren; einer überlegenen Logik aber kann man sich nur durch ein eigensinniges: Ich will nicht – entziehen, womit man sich denn doch als den schwächeren bekennt. Es kommt hinzu, daß zwar die großen Entscheidungen zwischen den Menschen von den überintellektuellen Energien ausgehen, der tägliche Kampf um das Sein und Haben aber durch das einzusetzende Maß von Klugheit entschieden zu werden pflegt. Die Macht der größeren Intelligenz beruht gerade auf dem kommunistischen Charakter ihrer Qualität: weil sie inhaltlich das Allgemeingültige und überall Wirksame und Anerkannte ist, gibt schon das bloße Quantum ihrer, das jemandem durch seine Anlage zugängig ist, ihm einen unbedingteren Vorsprung, als ein qualitativ individuellerer Besitz es könnte, der eben wegen seiner Individualität nicht überall verwendbar ist und nicht ebenso an jedem Punkte der praktischen Welt irgendein Herrschaftsgebiet findet. Hier wie sonst ist es gerade der Boden des gleichen Rechtes für Alle, der die individuellen Unterschiede zur vollen Entwicklung und Ausnutzung bringt. Gerade weil die bloß verstandesmäßige, auf die unbegründbaren Betonungen des Wollens und Fühlens verzichtende Vorstellung und Ordnung der menschlichen Verhältnisse keinen a priori gegebenen Unterschied zwischen den Individuen kennt, hat sie ebensowenig Grund, dem a posteriori hervortretenden irgend etwas von der Ausdehnung abzuschneiden, zu der er von sich aus gelangen kann – was durch den sozialen Pflichtwillen wie durch die Gefühle von Liebe und Mitleid so oft geschieht. Darum ist die rationalistische Weltauffassung – die, unparteiisch wie das Geld, auch das sozialistische Lebensbild genährt hat – die Schule des neuzeitlichen Egoismus und des rücksichtslosen Durchsetzens der Individualität geworden. Für die gewöhnliche – nicht gerade vertiefte – Anschauung ist das Ich im Praktischen nicht weniger als im Theoretischen die selbstverständliche Grundlage und das unvermeidlich erste Interesse; alle Motive der Selbstlosigkeit erscheinen nicht als ebenso natürliche und autochthone, sondern als nachträgliche und gleichsam künstlich angepflanzte. Der Erfolg davon ist, daß das Handeln im selbstischen Interesse als das eigentlich und einfach »logische« gilt. Alle Hingabe und Aufopferung scheint aus den irrationalen Kräften des Gefühls und Willens zu fließen, so daß die bloßen Verstandesmenschen dieselbe als einen Beweis mangelnder Klugheit zu ironisieren oder als den Umweg eines versteckten Egoismus zu denunzieren pflegen. Gewiß ist dies schon deshalb irrig, weil auch der egoistische Wille eben Wille ist, so gut wie der altruistische, und so wenig wie dieser aus dem bloßen verstandesmäßigen Denken herausgepreßt werden kann; dieses vielmehr kann, wie wir sahen, immer nur die Mittel, für das eine wie für das andere, an die Hand geben, es steht dem praktischen Zweck, der diese auswählt und verwirklicht, völlig indifferent gegenüber. Allein da jene Verbindung der reinen Intellektualität mit dem praktischen Egoismus nun einmal eine verbreitete Vorstellung ist, so wird sie wohl, wenn auch nicht mit der angeblichen logischen Unmittelbarkeit, so doch auf irgendwelchen psychologischen Umwegen irgendeine Wirklichkeit haben. Aber nicht nur der eigentlich ethische Egoismus, sondern auch der soziale Individualismus erscheint als das notwendige Korrelat der Intellektualität. Aller Kollektivismus, der eine neue Lebenseinheit aus und über den Individuen schafft, scheint dem nüchternen Verstände etwas Mystisches, ihm Undurchdringliches zu enthalten, sobald er es eben nicht in die bloße Summe der Individuen auflösen kann – wie die Lebenseinheit des Organismus, soweit er ihn nicht als Mechanismus der Teile verstehen kann. Darum ist mit dem Rationalismus des 18. Jahrhunderts, der sich zur Revolution aufgipfelte, ein strenger Individualismus verbunden, und erst die Opposition gegen den ersteren, die von Herder über die Romantik führte, hat mit der Anerkennung der überindividuellen Gefühlspotenzen des Lebens auch die überindividuellen Kollektivitäten als Einheiten und historische Wirklichkeiten anerkannt. Die Allgemeingültigkeit der Intellektualität ihren Inhalten nach wirkt, indem sie für jede individuelle Intelligenz gilt, auf eine Atomisierung der Gesellschaft hin, sowohl vermittels ihrer wie von ihr aus gesehen erscheint jeder als ein in sich geschlossenes Element neben jedem anderen, ohne daß diese abstrakte Allgemeinheit irgendwie in die konkrete überginge, in der der Einzelne erst mit den anderen zusammen eine Einheit bildete. Endlich hat die innere Zugängigkeit und Nachdenkbarkeit theoretischer Erkenntnisse, die sich niemandem so prinzipiell versagen können, wie gewisse Gefühle und Wollungen es tun, eine Konsequenz, die ihr praktisches Resultat direkt umkehrt. Zunächst bewirkt gerade jene allgemeine Zugängigkeit, daß Umstände ganz jenseits der personalen Qualifikation über die tatsächliche Ausnutzung derselben entscheiden: was zu dem ungeheuren Übergewicht des unintelligentesten »Gebildeten« über den klügsten Proletarier führt. Die scheinbare Gleichheit, mit der sich der Bildungsstoff jedem bietet, der ihn ergreifen will, ist in der Wirklichkeit ein blutiger Hohn, gerade wie andere Freiheiten liberalistischer Doktrinen, die den Einzelnen freilich an dem Gewinn von Gütern jeder Art nicht hindern, aber übersehen, daß nur der durch irgendwelche Umstände schon Begünstigte die Möglichkeit besitzt, sie sich anzueignen. Da nun die Inhalte der Bildung – trotz oder wegen ihres allgemeinen Sich-Darbietens – schließlich nur durch individuelle Aktivität angeeignet werden, so erzeugen sie die unangreifbarste, weil (ungreifbarste Aristokratie, einen Unterschied zwischen Hoch und Niedrig, der nicht wie ein ökonomisch-sozialer durch ein Dekret oder eine Revolution auszulöschen ist, und auch nicht durch den guten Willen der Betreffenden; Jesus konnte dem reichen Jüngling wohl sagen: Schenke deinen Besitz den Armen, aber nicht: Gib deine Bildung den Niederen. Es gibt keinen Vorzug, der dem Tieferstehenden so unheimlich erschiene, dem gegenüber er sich so innerlich zurückgesetzt und wehrlos fühlte, wie der Vorzug der Bildung; weshalb denn Bestrebungen, die auf die praktische Gleichheit ausgingen, so oft und in so vielen Variationen die intellektuelle Bildung perhorreszierten: von Buddha, den Zynikern, dem Christentum in gewissen seiner Erscheinungen an bis zu Robespierres: nous n'avons pas besoin de savants. Wozu das sehr Wesentliche kommt, daß die Fixierung der Erkenntnisse durch Sprache und Schrift – abstrakt betrachtet, ein Träger ihres kommunistischen Wesens – eine Anhäufung und namentlich Verdichtung derselben ermöglicht, die die Kluft zwischen Hoch und Niedrig in dieser Hinsicht sich stetig erweitern läßt. Der intellektuell beanlagte oder material sorgenfreiere Mensch wird um so mehr Chancen haben, über die Masse hinauszuragen, je größer und zusammengedrängter der vorliegende Bildungsstoff ist. Wie dem Proletarier heute mancherlei früher versagte Komforts und Kulturgenüsse zugängig sind, zugleich aber – besonders wenn wir mehrere Jahrhunderte und Jahrtausende zurücksehen – die Kluft zwischen seiner Lebenshaltung und der der höheren Stände doch viel größer geworden ist: so bringt die allgemeine Erhöhung des Erkenntnisniveaus durchaus keine allgemeine Nivellierung, sondern das Gegenteil davon hervor.

Ich habe dies so ausführlich erörtert, weil die Gegensätzlichkeit des Sinnes, die der Begriff der Intellektualität zeigt, am Gelde ihre genaue Analogie findet. Dem Verständnis des Geldes dient so nicht nur seine Wechselwirkung mit der Intellektualität, durch die ihre Formen sich gegenseitig anähnlichen, sondern vielleicht auch der damit gegebene Hinweis auf ein tiefer gelegenes, ihnen gemeinsames Prinzip, das die Gleichheit ihrer Entwicklung trägt – etwa auf jene fundamentale Beschaffenheit oder Stimmung der historischen Elemente, die, indem sie die Formung derselben bewirkt, ihren Stil ausmacht. Wie sehr nun das Geld auf der Basis seiner prinzipiellen All-Zugänglichkeit und Objektivität dennoch der Ausbildung der Individualität und Subjektivität dient; wie gerade seine Immer- und Allgleichheit, sein qualitativ kommunistischer Charakter bewirkt, daß jeder quantitative Unterschied sogleich zu qualitativen Differenzen führt – ist in den vorangehenden Kapiteln beschrieben. Es zeigt sich aber auch hier in der mit keinem anderen Kulturfaktor vergleichbaren Ausbreitung seiner Macht, die die entgegengesetztesten Lebenstendenzen zu gleichen Rechten trägt, als die Verdichtung der rein formalen Kulturenergie, die jedem beliebigen Inhalt zugesetzt werden kann, um ihn in seiner eigenen Richtung zu steigern und zu immer reinerer Darstellung zu bringen. Ich hebe deshalb nur einige spezielle Analogien mit der Intellektualität hervor, des Inhalts, daß die Unpersönlichkeit und Allgemeingültigkeit seines abstrakten, sachlichen Wesens, sobald es auf seine Funktion und Verwendung ankommt, in den Dienst des Egoismus und der Differenzierung tritt. Der Charakter des Rationellen und Logischen, der sich am Egoismus herausstellte, haftet auch an der vollen und rücksichtslosen Ausnutzung des Geldbesitzes. Wir haben früher als das Bezeichnende des Geldes andern Besitzen gegenüber festgestellt, daß es keinerlei Hinweis auf irgendeine bestimmte Verwendungsart und ebendeshalb keinerlei Hemmung in sich schließt, durch die ihm die eine Verwendung ferner oder schwieriger wäre als die andere; in jede, gerade fragliche, geht es restlos auf, ohne daß ein Verhältnis seiner Qualität zu der der realen Objekte spezifisch fördernd oder abbiegend wirkte – darin den logischen Formen selbst vergleichbar, die sich jedem beliebigen Inhalt, seiner Entwicklung oder Kombination gleichmäßig darbieten und eben dadurch freilich dem sachlich Unsinnigsten und Verderblichsten dieselbe Chance der Darstellung und formalen Richtigkeit wie dem Wertvollsten gewähren; und nicht weniger den Schematen des Rechtes analog, dem es oft genug an Schutzvorrichtungen dagegen fehlt, daß das schwerste materielle Unrecht sich mit unangreifbarer formaler Gerechtigkeit ausstatte. Diese absolute Möglichkeit, die Kräfte des Geldes bis aufs Letzte auszunutzen, erscheint nun nicht nur als Rechtfertigung, sondern sozusagen als logisch-begriffliche Notwendigkeit, es auch wirklich zu tun. Da es in sich weder Direktiven noch Hemmungen enthält, so folgt es dem je stärksten subjektiven Impuls, – der auf den Gebieten der Geldverwendung überhaupt der egoistische zu sein pflegt. Jene Hemmungsvorstellungen: daß an einem bestimmten Gelde »Blut klebt« oder ein Fluch haftet, sind Sentimentalitäten, die mit der wachsenden Indifferenz des Geldes – indem es also immer mehr bloß Geld wird – ihre Bedeutung ganz einbüßen. Die rein negative Bestimmung, daß keinerlei Rücksicht sachlicher oder ethischer Art, wie sie sich aus andern Besitzarten ergibt, die Verwendung des Geldes bestimmt, wächst ohne weiteres zur Rücksichtslosigkeit als einer ganz positiven Verhaltungsart aus. Seine Nachgiebigkeit, die aus seinem völligen Gelöstsein von singulären Interessen, Ursprüngen und Beziehungen folgt, enthält als anscheinend logische Konsequenz die Aufforderung, uns in den von ihm beherrschten Lebensprovinzen keinerlei Zwang anzutun. An seiner absoluten Sachlichkeit, die gerade aus dem Ausschluß jeder einseitigen Sachlichkeit hervorgeht, findet der Egoismus reinen Tisch vor, wie er ihn auch an der bloßen Intellektualität fand – aus keinem anderen Grunde, als weil diese Triebfeder die logisch einfachste und nächstliegende ist, so daß die rein formalen und indifferenten Lebensmächte an ihr ihre erste, gleichsam natürliche und wahlverwandte Erfüllung finden.

Es ist nicht nur, wie ich es oben berührte, die Rechtsform überhaupt, die sich mit der reinen Intellektualität und dem Geldverkehr darin trifft, daß sie alle sich dem sachlich und sittlich perversesten Inhalte nicht entziehen; sondern es ist vor allem das Prinzip der Rechtsgleichheit, in dem diese Diskrepanz zwischen der Form und dem realen Inhalt gipfelt. Alle drei: das Recht, die Intellektualität, das Geld, sind durch die Gleichgültigkeit gegen individuelle Eigenheit charakterisiert; alle drei ziehen aus der konkreten Ganzheit der Lebensbewegungen einen abstrakten, allgemeinen Faktor heraus, der sich nach eigenen und selbständigen Normen entwickelt und von diesen aus in jene Gesamtheit der Interessen des Daseins eingreift und sie nach sich bestimmt. Indem alle drei also Inhalten, gegen die sie ihrem Wesen nach gleichgültig sind, Formen und Richtungen vorzuschreiben mächtig sind, bringen sie unvermeidlich die Widersprüche, die uns hier beschäftigen, in die Totalität des Lebens hinein. Wo die Gleichheit die formalen Fundamente der Beziehungen zwischen Menschen ergreift, wird sie zum Mittel, ihre individuellen Ungleichheiten zum schärfsten und folgenreichsten Ausdruck zu bringen, der Egoismus hat sich, indem er die Schranken der formalen Gleichheit einhält, mit inneren und äußeren Hindernissen abgefunden und besitzt nun gerade in der Allgemeingültigkeit jener Bestimmungen eine Waffe, die, weil sie jedem dient, auch gegen jeden dient. Die Formen der Rechtsgleichheit bezeichnen den Typus hierfür, den einerseits die Intellektualität in ihrer oben geschilderten Bedeutung, andrerseits das Geld wiederholt: seine allgemeine Zugängigkeit und Gültigkeit, sein potenzieller Kommunismus beseitigt sowohl für die Oben- wie für die Unten- wie für die Gleichstehenden gewisse Schranken, die aus der apriorischen, standesmäßigen Abgrenzung der Besitzarten gefolgt waren. So lange der Grundbesitz und die Berufe in den Händen bestimmter Klassen waren, brachten sie Verpflichtungen gegen die Tieferstehenden, Solidaritäten der Genossen, selbstverständliche Begehrlichkeitsgrenzen der Ausgeschlossenen mit sich, zu denen für einen »aufgeklärten« Rationalismus kein Grund mehr vorliegt, sobald jeder Besitz in einen Wert überführbar ist, von dessen unbegrenzter Erwerbung niemand prinzipiell fernzuhalten ist – womit natürlich die Frage nach der Gesamt-Zu- oder Abnahme des Egoismus im Lauf der Geschichte keineswegs entschieden ist.

Endlich erwähne ich das äußerst Charakteristische, daß auch jene Aufhäufung intellektueller Errungenschaften, die dem irgendwie Begünstigten einen unverhältnismäßigen und rapid wachsenden Vorsprang gönnt, in den Akkumulierungen des Geldkapitals ihre Analogie findet. Die Struktur der geldwirtschaftlichen Verhältnisse, die Art, wie das Geld Renten und Gewinn erzielt, bringt es mit sich, daß es von einer gewissen Höhe ab sich wie von selbst vermehrt, ohne durch verhältnismäßige Arbeit des Besitzers befruchtet zu werden. Dies entspricht der Struktur der Erkenntnisse in der Kulturweit, die von einem bestimmten Punkte an einen immer geringeren Selbsterwerb des Einzelnen fordern, weil sich die Wissensinhalte in verdichteter und mit ihrer größeren Höhe immer konzentrierterer Form darbieten. Auf den Höhen der Bildung fordert jeder weitere Schritt oft im Verhältnis zu dem Tempo der Erwerbungen niederer Stufen ebenso viel weniger Mühe, wie er einen höheren Erkenntnisertrag liefert. Wie die Objektivität des Geldes ihm schließlich ein von personalen Energien relativ unabhängiges »Arbeiten« gestattet, dessen sich aufhäufende Erträge wie automatisch zu weiteren Aufhäufungen in steigenden Proportionen führen – so bewirkt das Objektivwerden der Erkenntnisse, die Lösung der Resultate der Intelligenz von dem Prozesse der letzteren selbst, daß diese Resultate sich zu verdichteten Abstraktionen aufhäufen, und daß man sie, wenn man nur schon hoch genug steht, wie Früchte pflücken kann, die ihren Reifeprozeß ohne unser Zutun vollzogen haben.

Als Erfolg von alledem wird das Geld, das seinem immanenten Wesen und seinen begrifflichen Bestimmungen nach ein absolut demokratisches, nivelliertes, jede individuelle Sonderbeziehung ausschließendes Gebilde ist, gerade von den auf allgemeine Gleichheit ausgehenden Bestrebungen aufs entschiedenste verworfen – die gleiche Konsequenz aus den gleichen Voraussetzungen, wie wir sie der Intellektualität gegenüber beobachten konnten. Die Allgemeinheit im logisch-inhaltlichen Sinne und die im sozial-praktischen Sinne fallen in diesen beiden Provinzen auseinander. In anderem gehen sie oft genug zusammen: so hat man es als das Wesen der Kunst – gleichviel, ob erschöpfend oder nicht – bezeichnet, daß ihr Inhalt die typisch-allgemeinen Züge der Erscheinungen darstelle, damit aber auch an die typischen Seelenregungen der Gattung in uns appelliere, ihren prinzipiellen Anspruch auf allgemeine subjektive Anerkennung auf die Ausschaltung alles Zufällig-Individuellen in ihrem Objekte gründe. So erheben sich die Gebilde der Religion ihrem Begriff nach über alle Besonderheit irdischer Gestaltung zum Absolut-Allgemeinen und gewinnen eben dadurch die Beziehung zu dem Allgemeinsten und alle Individuen Verbindenden in der Menschenwelt; sie erlösen uns von dem bloß Individuellen in uns, indem sie dieses durch die All-Einheit ihres Inhalts auf die fundamentalen, als die gemeinsamen Wurzeln alles Menschlichen empfundenen Züge zurückführen. Ebenso verhält sich die Moral im Sinne Kants. Die Handlungsweise, welche eine logische Verallgemeinerung verträgt, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, sei zugleich sittliches, für jeden Menschen ohne Ansehn der Person gültiges Gebot, das Kriterium: daß man sich die praktische Maxime als Naturgesetz denken könne, also ihre begriffliche, objektive Allgemeinheit, entscheidet über die Allgemeinheit für alle Subjekte, die sie als moralische Forderung besitzt. Im Gegensatz zu diesen Gebilden scheint das moderne Leben an anderen gerade eine Spannung zwischen der sachlich-inhaltlichen und der praktisch-personalen Allgemeinheit aufwachsen zu lassen. Gewisse Elemente gewinnen immer größere Allgemeinheit ihres Inhalts, ihre Bedeutung wird über immer mehr Einzelheiten und Beziehungen mächtig, ihr Begriff schließt, unmittelbar oder mittelbar, einen immer größeren Teil der Wirklichkeit ein; so das Recht, die Prozesse und Ergebnisse der Intellektualität, das Geld. Hand in Hand damit geht aber die Zuspitzung derselben zu subjektiv differenzierten Lebensgestaltungen, die Ausnutzung ihrer ausgreifenden, allen Interessenstoff ergreifenden Bedeutung für die Praxis des Egoismus, die erschöpfende Entwicklung personaler Unterschiede an diesem nivellierten, allgemein zugängigen und gültigen, und deshalb jedem Sonderwillen gegenüber widerstandslosen Material. Die Wirrnis und das Gefühl geheimen Selbstwiderspruches, das den Stil der Gegenwart an so vielen Punkten charakterisiert, wird zum Teil auf dieser Unausgeglichenheit und Gegenbewegung beruhen, die zwischen dem Sachgehalt, der objektiven Bedeutung jener Gebiete und ihrer personalen Verwendung und Ausgestaltung in Hinsicht auf Allgemeinheit und Gleichheit besteht. –

Ich komme in dem Stilbilde der Gegenwart auf einen letzten Zug, dessen Rationalistik den Einfluß des Geldwesens sichtbar macht. Die geistigen Funktionen, mit deren Hilfe sich die Neuzeit der Welt gegenüber abfindet und ihre inneren – individuellen und sozialen – Beziehungen regelt, kann man großenteils als rechnende bezeichnen. Ihr Erkenntnisideal ist, die Welt als ein großes Rechenexempel zu begreifen, die Vorgänge und qualitativen Bestimmtheiten der Dinge in einem System von Zahlen aufzufangen, und Kant glaubt in der Naturlehre nur soviel eigentliche Wissenschaft zu finden, wie in ihr Mathematik angewandt werden kann. Aber nicht nur die körperliche Welt gilt es mit Wägen und Messen geistig zu bezwingen; den Wert des Lebens selbst wollen Pessimismus wie Optimismus durch ein gegenseitiges Aufrechnen von Lust und Leid festsetzen, der zahlenmäßigen Fixierung beider Faktoren mindestens als ihrem Ideal zustrebend. In derselben Richtung liegt die vielfache Bestimmung des öffentlichen Lebens durch Majoritätsbeschlüsse. Die Majorisierung des Einzelnen durch die Tatsache, daß andere, von vornherein doch nur gleichberechtigte, anderer Meinung sind, ist keineswegs so selbstverständlich, wie sie uns heute erscheint; alte germanische Rechte kennen sie nicht: wer dem Beschluß der Gemeinde nicht zustimmt, ist auch nicht durch ihn gebunden; im Stammesrat der Irokesen, in den aragonesischen Cortes bis ins 16. Jahrhundert hinein, im polnischen Reichstag und anderen Gemeinschaften gab es keine Überstimmung; der nicht einstimmige Beschluß war ungültig. Das Prinzip, daß die Minorität sich zu fügen hat, bedeutet, daß der absolute oder qualitative Wert der individuellen Stimme auf eine Einheit von rein quantitativer Bedeutung reduziert ist. Die demokratische Nivellierung, der jeder für einen und keiner für mehr als einen gilt, ist das Korrelat oder die Voraussetzung dieses rechnenden Verfahrens, in dem das arithmetische Mehr oder Weniger unbenannter Einheiten die innere Wirklichkeit einer Gruppe ausdrückt und ihre äußere lenkt. Dieses messende; wägende, rechnerisch exakte Wesen der Neuzeit ist die reinste Ausgestaltung ihres Intellektualismus, der freilich auch hier über der abstrakten Gleichheit die selbstsüchtigste Besonderung der Elemente wachsen läßt: denn mit feiner instinktiver Einsicht versteht die Sprache unter einem »berechneten« Menschen schlechthin einen, der im egoistischen Sinne berechnet ist. Gerade wie bei der Verwendung von »verständig« oder »vernünftig«, wird hier der scheinbar ganz unparteiische Formalismus des Begriffes in seiner Disposition, sich gerade mit einem bestimmten einseitigen Inhalt zu erfüllen, durchschaut.

Der hiermit charakterisierte zeitpsychologische Zug, der sich in so entschiedenen Gegensatz zu dem mehr impulsiven, auf das Ganze gehenden, gefühlsmäßigen Wesen früherer Epochen stellt, scheint mir in enger kausaler Verbindung mit der Geldwirtschaft zu stehen. Sie bewirkt von sich aus die Notwendigkeit fortwährender mathematischer Operationen im täglichen Verkehr. Das Leben vieler Menschen wird von solchem Bestimmen, Abwägen, Rechnen, Reduzieren qualitativer Werte auf quantitative ausgefüllt. Eine viel größere Genauigkeit und Grenzbestimmtheit mußte in die Lebensinhalte durch das Eindringen der Geldschätzung kommen, die jeden Wert bis in seine Pfennigdifferenzen hinein bestimmen und spezifizieren lehrte. Wo die Dinge in ihrem unmittelbaren Verhältnisse zueinander gedacht werden – also nicht auf ihren Generalnenner Geld reduziert sind –, da findet viel mehr Abrundung, Setzen von Einheit gegen Einheit statt. Die Exaktheit, Schärfe, Genauigkeit in den ökonomischen Beziehungen des Lebens, die natürlich auf seine anderweitigen Inhalte abfärbt, hält mit der Ausbreitung des Geldwesens Schritt – freilich nicht zur Förderung des großen Stiles in der Lebensführung. Erst die Geldwirtschaft hat in das praktische Leben – und wer weiß, ob nicht auch in das theoretische – das Ideal zahlenmäßiger Berechenbarkeit gebracht. Auch von dieser Wirkung aus gesehen stellt sich das Geldwesen als bloße Steigerung und Sublimierung des wirtschaftlichen Wesens überhaupt dar. Über die Handelsgeschäfte zwischen dem englischen Volke und seinen Königen, in denen jenes, besonders im 13. und 14. Jahrhundert, diesen allerhand Rechte und Freiheiten abkaufte, bemerkt ein Historiker: »Dies ermöglichte für schwierige Fragen, die in der Theorie unlösbar waren, eine praktische Entscheidung. Der König hat Rechte als Herr seines Volkes, das Volk hat Rechte als freie Männer und als Stände des Reiches, das der König personifiziert. Die Feststellung der Rechte eines jeden, prinzipiell äußerst schwer, wurde in der Praxis leicht, sobald sie auf eine Frage von Kauf und Verkauf zurückgeführt war.« Das heißt also, sobald ein qualitatives Verhältnis praktischer Elemente ganz von derjenigen Bedeutung seiner repräsentiert wird, die seine Behandlung als Handelsgeschäft zuläßt, gewinnt es eine Genauigkeit und Fixierungsmöglichkeit, die seinem direkten, den ganzen Umfang seiner Qualitäten einschließenden Ausdruck versagt bleibt. Hierzu bedarf es nun noch nicht unbedingt des Geldes, da derartige Transaktionen auch oft durch Hingabe naturaler Werte, z. B. von Wolle, abgeschlossen wurden. Es ist aber offenbar, daß, was hier das Handelsgeschäft überhaupt für die Präzisierung der Werte und Ansprüche leistete, durch das Geld in sehr viel schärferer und exakterer Weise geleistet werden kann. Auch nach dieser Seite hin darf man vielleicht sagen, daß sich das Geldgeschäft zum Handelsgeschäft überhaupt verhält, wie dieses zu der sonstigen, vor dem Tausch bestehenden Bestimmtheit oder Verhältnis der Dinge; es drückt sozusagen das reine Geschäft an der geschäftsmäßigen Behandlung der letzteren aus, wie die Logik die Begreiflichkeit an den begreiflichen Dingen darstellt. Und indem nun das abstrakte Gebilde, das den aus den Dingen herausgezogenen Wert ihrer ausmacht, die Form arithmetischer Genauigkeit und damit die unbedingte rationale Bestimmtheit besitzt, muß dieser Charakter auf die Dinge selbst zurückstrahlen. Wenn es wahr ist, daß die jeweilige Kunst allmählich die Art bestimmt, wie wir die Natur sehen, wenn die spontane und subjektive Abstraktion aus der Wirklichkeit, die der Künstler vollzieht, das scheinbar so unmittelbare sinnliche Bild derselben für unser Bewußtsein formt – so wird wohl der Überbau der Geldrelationen über der qualitativen Wirklichkeit in noch viel eingreifenderer Weise das innere Bild derselben nach seinen Formen bestimmen. Durch das rechnerische Wesen des Geldes ist in das Verhältnis der Lebenselemente eine Präzision, eine Sicherheit in der Bestimmung von Gleichheiten und Ungleichheiten, eine Unzweideutigkeit in Verabredungen und Ausmachungen gekommen – wie sie auf äußerlichem Gebiet durch die allgemeine Verbreitung der Taschenuhren bewirkt wird. Die Bestimmung der abstrakten Zeit durch die Uhren wie die des abstrakten Wertes durch das Geld geben ein Schema feinster und sicherster Einteilungen und Messungen, das, die Inhalte des Lebens in sich aufnehmend, diesen wenigstens für die praktisch-äußerliche Behandlung eine sonst unerreichbare Durchsichtigkeit und Berechenbarkeit verleiht. Die rechnende Intellektualität, die in diesen Formen lebt, mag von ihnen wiederum einen Teil der Kräfte beziehen, mit denen sie das moderne Leben beherrscht. Wie in einen Brennpunkt werden alle diese Beziehungen durch die negative Instanz gesammelt, daß der Typus von Geistern, welche der ökonomischen Betrachtung und Begründung der menschlichen Dinge am fernsten und feindlichsten gegenüberstehen würden: Goethe, Carlyle, Nietzsche – zugleich einerseits prinzipiell anti-intellektualistisch gestimmt sind, und andrerseits jene rechnerisch-exakte Naturdeutung völlig ablehnen, die wir als das theoretische Gegenbild des Geldwesens erkannten.


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