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Innerhalb der Geistesgeschichte begegnet uns eine Entwicklung, die, so einfach ihr Schema ist, durch ihre umfassende und tiefgreifende Verwirklichung zu den bedeutsamsten Formen der geistigen Realität gehört. Wir finden nämlich gewisse Gebiete zuerst von je einem Charakterzuge uneingeschränkt beherrscht; die Entwicklung zerspaltet die Einheitlichkeit des einzelnen in mehrere Teilgebiete, von welchen nun eines den Charakter des Ganzen im engeren Sinne und im Gegensatz gegen die anderen Teile repräsentiert. Oder, anders ausgedrückt: bei allem relativen Gegensatz zweier Elemente eines Ganzen können doch beide den Charakter des einen von ihnen, aber in absoluter Form, gemeinsam tragen. So könnte z. B. der moralphilosophische Egoismus recht haben, daß wir überhaupt nicht anders als im eigenen Interesse und um persönlicher Lust willen handeln können. Dann aber müßte weiterhin zwischen einem Egoismus im engeren und einem im weiteren Sinne unterschieden werden; wer seinen Egoismus an dem Wohlergehen anderer, etwa unter Aufopferung des eignen Lebens, befriedigt, den würden wir zweifellos weiter einen Altruisten nennen und ihn von demjenigen unterscheiden, dessen Handeln nur auf Schädigung und Unterdrückung anderer geht; diesen müssen wir als den Egoisten schlechthin bezeichnen, so sehr der Egoismus, in seiner absoluten und weitesten Bedeutung sich mit jedem Handeln als solchem deckend, auch jenen ersteren einschließen mag. – Ferner: die erkenntnistheoretische Lehre, daß alles Erkennen ein rein subjektiver, ausschließlich im Ich verlaufender und vom Ich bestimmter Prozeß ist, mag ihre Richtigkeit haben; dennoch unterscheiden wir nun solche Vorstellungen, die objektiv wahr sind, von den nur subjektiv, durch Phantasie, Willkür, Sinnestäuschung erzeugten – wenngleich, absolut genommen, auch jene objektiveren Erkenntnisse bloß subjektiver Provenienz sein mögen. Die Entwicklung geht auf immer gründlichere, bewußtere Scheidung zwischen den objektiven und den subjektiven Vorstellungen, die sich ursprünglich in einem unklaren psychologischen Indifferenzzustand bewegten. An dem Verhältnis des Menschen zu seinem Besitz scheint sich diese Fortschrittsform zu wiederholen. Prinzipiell angesehen ist jeder Besitz eine Erweiterung des Ich, eine Erscheinung innerhalb des subjektiven Lebens, und sein ganzer Sinn besteht in dem Bewußtseins- bzw. Gefühlsreflex, den die durch ihn bezeichnete Beziehung zu den Dingen in der Seele auslöst. In dem gleichen Sinne ist alles, was mit den Besitzgegenständen geschieht, eine Funktion des Subjekts, das sich selbst, seinen Willen, sein Gefühl, seine Denk art in sie ausströmt und an ihnen ausprägt. Historisch indes stellt sich, worauf ich schon früher hindeutete, diese absolute Bedeutung des praktischen Besitzes, gerade wie die des intellektuellen Besitzes, zunächst in einem Indifferenzzustand dar, der das Ich und die Dinge verschmilzt und jenseits des Gegensatzes zwischen beiden steht. Die altgermanische Verfassung, die den Besitz unmittelbar an die Person knüpfte, der spätere Feudalismus, der umgekehrt die Person an den Besitz band; die enge Verbindung mit der Gruppe überhaupt, die jedes Mitglied a priori in seine ökonomische Stellung hineinwachsen läßt; die Erblichkeit der Berufe, durch welche Tätigkeit und Position einerseits, die familiäre Persönlichkeit andrerseits, zu Wechselbegriffen werden; jede ständische oder zunftartige Verfassung der Gesellschaft, die ein organisches Verweben der Persönlichkeit mit ihrem ökonomischen Sein und Haben bedingt – dies alles sind Zustände von Undifferenziertheit zwischen Besitz und Person; ihre ökonomischen Inhalte oder Funktionen und diejenigen, welche das Ich im engeren Sinne ausmachen, stehen in sehr unmittelbarer gegenseitiger Bedingtheit. Ersichtlich wirkt diese Gefühlsweise, wenn in primitiven Zeiten dem Toten seine eigentlich persönlichen Besitzstücke ins Grab mitgegeben werden – nicht weniger aber, wenn der angelsächsische König, während dieser Usus besteht, doch beim Tod des Dienstmannes das Anspruchsrecht auf dessen Rüstung hat; denn diese bleibt dem König als Rudiment und Ersatz der Persönlichkeit, die mit ihr verbunden war. Ganz allgemein: wie das Denken des primitiven Menschen keine gesonderten Kategorien für die bloß subjektive Einbildung und die objektiv wahre Vorstellung besitzt, so unterscheidet seine Praxis auch nicht klar zwischen der eigenen Gesetzmäßigkeit der Dinge (wo er diese anerkennt, nimmt sie leicht wieder die personifizierende Gestalt eines göttlichen Prinzips an) und der nach innen konzentrierten, von dem Äußeren unabhängigen Persönlichkeit. Die Entwicklung über dieses Stadium hinaus besteht nun in der Sonderung jener Elemente. Alle höhere wirtschaftliche Technik beruht auf einer Verselbständigung der ökonomischen Prozesse: sie werden von der Unmittelbarkeit der personalen Interessen gelöst, sie funktionieren, als ob sie Selbstzwecke wären, ihr mechanischer Ab lauf wird immer weniger von den Unregelmäßigkeiten und Unberechenbarkeiten des personalen Elementes gekreuzt. Und auf der andern Seite differenziert sich eben dieses zu wachsender Selbständigkeit, das Individuum erhält eine Ausbildungsfähigkeit, die zwar nicht von seiner ökonomischen Lage (überhaupt, wohl aber von den apriorischen Bestimmtheiten derselben. immer unabhängiger wird. Bei dieser sondernden Entwicklung der objektiven und der subjektiven Momente der Lebenspraxis bleibt natürlich die oben bezeichnete Tatsache unbewußt, daß im letzten Grunde und absolut genommen, die Gesamtheit dieser Praxis doch nur menschlich-subjektiver Natur ist: die Einrichtung einer Maschine oder einer Fabrik, so sehr sie den Gesetzen der Sache gemäß ist, wird doch schließlich auch von den persönlichen Zwecken, von der subjektiven Denkfähigkeit des Menschen umfaßt. Aber dieser allgemeine und absolute Charakter hat sich im relativen Sinne auf eines der Elemente konzentriert, in die das Ganze des Gebietes auseinandergegangen ist.
Wenn wir die Rolle des Geldes in diesem Differenzierungsprozeß untersuchen, so fällt zunächst auf, daß derselbe sich an die räumliche Entfernung zwischen dem Subjekt und seinem Besitz knüpft. Der Aktieninhaber, der mit der Geschäftsführung der Gesellschaft absolut nichts zu tun hat; der Staatsgläubiger, der das ihm verschuldete Land nie betreten hat; der Großgrundbesitzer, der seine Ländereien in Pacht ausgetan hat – sie alle überlassen ihre Besitzquanten einem rein technischen Betriebe, dessen Früchte sie allerdings ernten, mit dem an und für sich sie aber gar nichts zu schaffen haben. Und das eben ist ausschließlich durch das Geld möglich. Erst wenn der Ertrag des Betriebes eine Form annimmt, in der er ohne weiteres an jeden Punkt übertragbar ist, gewährt er, durch die Entfernung zwischen Besitz und Besitzer, beiden jenes hohe Maß von Unabhängigkeit, sozusagen von Eigenbewegung: dem einen die Möglichkeit, ausschließlich nach den inneren Anforderungen der Sache betrieben zu werden, dem anderen die Möglichkeit, sein Leben ohne Rücksicht auf die spezifischen Anforderungen seines Besitzes einzurichten. Die Fernwirkung des Geldes gestattet dem Besitz und dem Besitzer so weit auseinanderzutreten, daß jedes seinen eigenen Gesetzen ganz anders folgen kann, als da der Besitz noch in unmittelbarer Wechselwirkung mit der Person stand, jedes ökonomische Engagement zugleich ein persönliches war, jede Wendung in der persönlichen Direktive oder Stellung zugleich eine solche innerhalb der ökonomischen Interessen bedeutete. So äußert sich, wie schon angeführt, die Solidarität zwischen Person und Besitz bei sehr vielen Naturvölkern aller Erdteile darin, daß der letztere, soweit er ganz individuell, erobert oder erarbeitet ist, mit dem Besitzenden ins Grab geht. Es liegt auf der Hand, wie sehr hierdurch auch die objektive Kultur hintangehalten wird, deren Fortschritt gerade auf dem Weiterbauen auf ererbten Produkten ruht. Erst durch die Vererbung erstreckt sich der Besitz über die Grenze des Individuums hinaus und beginnt, eine sachliche und für sich entwickelbare Existenz zu führen. Für jenes personale, dem Eigener gleichsam angewachsene Wesen des Besitzes ist es bezeichnend, daß im frühgermanischen Recht jede Schenkung im Falle der Undankbarkeit des Beschenkten und in einigen anderen Fällen widerrufbar war. Weniges zeigt so schaff den ganz personalen Charakter jener frühen Besitzformen: eine rein individuell-ethische Beziehung zwischen Schenker und Beschenktem hat eine unmittelbare rechtlich-ökonomische Folge. Schon äußerlich widerstrebt die Geldwirtschaft der hiermit ausgedrückten Empfindungsweise; das naturale Geschenk kann wirklich in natura zurückgegeben werden, das Geldgeschenk aber, nach ganz kurzer Zeit, nicht mehr als »dasselbe«, sondern nur dem gleichen Werte nach. Damit ist die Beziehung geschwächt oder vernichtet, die für das Gefühl noch zwischen dem naturalen Geschenk und seinem Geber fortbestehen und die Rückforderbarkeit begründen mochte; die Geldform des Geschenks entfernt und entfremdet es ihm sehr viel definitiver. Wegen dieses Auseinandertreibens von Sache und Person sind auch Zeitalter der ausgebildetsten und ganz objektiv gewordenen Technik zugleich solche der individualisiertesten und subjektivsten Persönlichkeiten: der Beginn der römischen Kaiserzeit und die letzten 100–150 Jahre sind beides Zeiten intensivster Geldwirtschaft. Der technisch verfeinerte Charakter der Rechtsbegriffe stellt sich gleichfalls erst als Korrelat jenes abstrakten Individualismus her, der mit der Geldwirtschaft Hand in Hand geht. Bevor, zugleich mit dieser, das römische Recht in Deutschland rezipiert wurde, kannte das deutsche Recht keine Stellvertretung in Rechtssachen, nicht die Institution der juristischen Person, nicht das Eigentum als Gegenstand freier individueller Willkür, sondern nur als Träger von Rechten und Pflichten. Ein mit solchen Begriffen arbeitendes Recht ist nicht mehr möglich, wo das Individuum sich von der Verschmelzung mit besonderen Bestimmtheiten des Besitzes, der sozialen Position, der materialen Inhalte des Seins gelöst hat und jenes völlig freie und auf sich gestellte, aber von allen speziellen Daseinstendenzen begrifflich geschiedene Wesen geworden ist, das allein in die Geldwirtschaft hineingehört und so jene Lebensinteressen, als rein sachlich gewordene, der logisch-abstrakten römischen Rechtstechnik überlassen kann. Das Verhältnis zwischen dem Grund und Boden und dem Besitzer hat in Deutschland die Stadien durchgemacht, daß zuerst der Grundbesitz aus der personalen Stellung in der Gemeinde geflossen war, und dann umgekehrt die Person durch ihren Besitz bestimmt war, bis schließlich die Verselbständigung des Grundbesitzes einen ganz anderen Sinn annimmt, einen solchen, in dem sie gleichsam am anderen Ende die Persönlichkeit als völlig selbständige hervortreten läßt. In der Urzeit hatte die Personalität die dinglichen Beziehungen überdeckt und verschlungen, in der Patrimonialzeit diese umgekehrt jene. Die Geldwirtschaft differenziert beides, Sachlichkeit bzw. Besitz und Persönlichkeit werden gegeneinander selbständig. Die Aufgipfelung, die dieser formale Prozeß am Gelde selbst erlebt, kann nicht schärfer als durch den Ausdruck der ausgebildetsten Geldwirtschaft bezeichnet werden: daß das Geld »arbeitet«, d. h. seine Funktionen nach Kräften und Normen übt, die mit denen seiner Besitzer keineswegs identisch, sondern von diesen relativ unabhängig sind. Wenn Freiheit bedeutet, nur den Gesetzen des eigenen Wesens zu gehorchen, so gibt die durch die Geldform des Ertrages ermöglichte Entfernung zwischen Besitz und Besitzer beiden eine sonst unerhörte Freiheit: die Arbeitsteilung zwischen der Subjektivität und den Normen der Sache wird eine vollkommene, jedes hat nun seine Aufgaben, wie sie sich aus seinem Wesen ergeben, für sich zu lösen, in Freiheit von der Bedingtheit durch das ihm innerlich fremde andere.
Diese Differenzierung durch das Geld und diese individuelle Freiheit durch die Differenzierung betrifft aber nicht nur den Rentenempfänger; das Arbeitsverhältnis entwickelt Ansätze, freilich schwerer erkennbare, in der gleichen Richtung. Die ökonomische Organisation der früheren Jahrhunderte, jetzt die zurückgebliebenen Formen derselben, Handwerk und Kleinhandel, ruhen auf dem Verhältnis persönlicher Unterordnung des Gesellen unter den Meister, des Angestellten unter den Ladenbesitzer usw. Auf diesen Stufen vollzieht sich die Wirtschaft durch ein Zusammenwirken von Faktoren, das durchaus persönlich-unmittelbarer Natur ist und in jedem einzelnen Fall im Geiste der leitenden Persönlichkeit und mit Unterordnung der übrigen unter deren Subjektivität verläuft. Dieses Verhältnis nimmt einen anderen Charakter an durch das steigende Übergewicht der objektiven und technischen Elemente über die personalen. Der Leiter der Produktion und der niedrigere Arbeiter, der Direktor und der Verkäufer im großen Magazin, sind nun gleichmäßig einem objektiven Zweck Untertan, und erst innerhalb dieses gemeinsamen Verhältnisses besteht die Unterordnung fort als technische Notwendigkeit, in der die Anforderungen der Sache, der Produktion als eines objektiven Prozesses, zum Ausdruck kommen. Wenn nun auch dieses Verhältnis nach manchen persönlich sehr empfindlichen Seiten für den Arbeiter härter sein mag als das frühere, so enthält es doch ein Element der Freiheit, indem seine Unterordnung nicht mehr subjektiv-personaler, sondern technischer Natur ist. Zunächst wird klar, daß schon jene prinzipielle Befreiung, die im Übergang der Unterordnung in die objektive Form liegt, aufs engste an die unbedingtere Wirksamkeit des Geldprinzips gebunden ist. Solange das Lohnarbeitsverhältnis als ein Mietsvertrag angesehen wird, enthält es wesentlich ein Moment der Unterordnung des Arbeiters unter den Unternehmer: denn der arbeitende Mensch wird gemietet, wie es heute noch am schroffsten bei unseren Dienstboten ausgebildet ist, wo wirklich der Mensch mit dem ganzen, sachlich gar nicht genau umschriebenen Komplex seiner Kräfte gemietet wird und so als ganze Person in das Verhältnis der Unfreiheit und Unterordnung unter einen anderen Menschen eintritt. Sobald der Arbeitsvertrag aber, die Geldwirtschaftlichkeit in ihre letzten Konsequenzen verfolgend, als Kauf der Ware Arbeit auftritt, so handelt es sich um die Hingabe einer völlig objektiven Leistung, die, wie man es formuliert hat, als Faktor in den kooperativen Prozeß eingestellt wird und in diesem sich mit der Leistung des Unternehmers, ihr gewissermaßen koordiniert, zusammenfindet. Das gewachsene Selbstgefühl des modernen Arbeiters muß damit zusammenhängen: er empfindet sich nicht mehr als Person untertänig, sondern gibt nur eine genau festgestellte – und zwar auf Grund des Geldäquivalentes so genau festgestellte – Leistung hin, die die Persönlichkeit als solche gerade um so mehr freiläßt, je sachlicher, unpersönlicher, technischer sie selbst und der von ihr getragene Betrieb ist. Für den Betriebsleiter selbst zeitigt die durchgedrungene Geldwirtschaft das gleiche Resultat von der Seite her, daß er nun seine Produkte für den Markt herstellt, d. h. für gänzlich unbekannte und gleichgültige Konsumenten, die nur durch das Medium des Geldes mit ihm zu tun haben. Dadurch wird die Leistung in einer Weise objektiviert, die die individuelle Persönlichkeit viel weniger in sie verflicht und von ihr abhängig macht, als da noch lokale und persönliche Rücksichten auf den bestimmten Abnehmer – insbesondere wenn man mit ihm im naturalen Austauschverhältnis stand – die Arbeit beeinflußten. Die Entwicklung des oben berührten Dienstboten Verhältnisses zu persönlicher Freiheit nimmt ihren Weg ebenso über die vergrößerte Wirkung des Geldes. Jene persönliche Bindung, die sich in den »ungemessenen« Diensten des Dienstboten ausspricht, knüpft sich wesentlich an die Hausgenossenschaft desselben. Daraus, daß er im Hause der Herrschaft wohnt und beköstigt, gelegentlich auch bekleidet wird, ergibt es sich unvermeidlich, daß sein Quantum von Diensten sachlich unbestimmt ist und ebenso den wechselnden Ansprüchen der Hausvorkommnisse folgt, wie er sich überhaupt der Hausordnung fügen muß. Nun scheint die Entwicklung allmählich dahin zu gehen, daß die häuslichen Dienste mehr und mehr außerhalb wohnenden Personen arbeitsteilig übertragen werden, so daß diese nur ganz Bestimmtes zu leisten haben und ausschließlich mit Geld abgelohnt werden. Die Auflösung der naturalwirtschaftlichen Hausgemeinschaft würde damit einerseits zu einer objektiven Fixierung und einem mehr technischen Charakter der Dienste führen, in unmittelbarer Konsequenz davon aber zu einer völligen Unabhängigkeit und Auf-sich-selbst-Stehen der leistenden Person.
Wenn die Entwicklung des Arbeitsverhältnisses in dieser durch das Geld ermöglichten Linie fortschreitet, so erreicht sie vielleicht die Aufhebung gewisser Übel, die man gerade der modernen Geldwirtschaft zum besonderen Vorwurf gemacht hat. Das Motiv des Anarchismus liegt in der Perhorreszierung der Über- und Unterordnung zwischen den Menschen, und wenn innerhalb des Sozialismus dieses sozusagen formale Motiv durch mehr materiale ersetzt wird, so gehört es doch auch zu seinen Grundtendenzen, die Unterschiede der menschlichen Lagen zu beseitigen, durch welche der eine ohne weiteres befehlen kann, der andere ohne weiteres gehorchen muß. So sehr für die Denkweisen, denen das Maß der Freiheit zugleich das Maß alles sozial Notwendigen ist, die Beseitigung von Über- und Unterordnung eine durch sich selbst begründete Forderung ist, so wäre doch die auf Über- und Unterordnung ruhende Gesellschaftsordnung an und für sich nicht schlechter als eine Verfassung völliger Gleichheit, wenn nicht mit jener Gefühle von Unterdrückung, Leid, Entwürdigung verbunden wären. Würden jene Theorien psychologische Klarheit über sich selbst besitzen, so müßten sie einsehen, daß die Gleichstellung der Individuen ihnen gar nicht das absolute Ideal, gar nicht der kategorische Imperativ ist, sondern das bloße Mittel, um gewisse Leidgefühle zu beseitigen, gewisse Befriedigungsgefühle zu erzeugen; wobei nur von jenen abstrakten Idealisten abgesehen wird, für die die Gleichheit ein formal-absoluter und selbst um den Preis aller möglichen inhaltlichen Nachteile, ja, des Pereat mundus, erforderter Wert ist. Wo aber eine Forderung ihre Bedeutung nicht in sich, sondern von ihren Folgen zu Lehen trägt, da ist es prinzipiell stets möglich, sie durch eine andere zu ersetzen: denn die gleiche Folge kann durch sehr verschiedene Ursachen hervorgerufen werden. Diese Möglichkeit ist im vorliegenden Falle deshalb sehr wichtig, weil alle bisherige Erfahrung gezeigt hat, welches ganz unentbehrliche Organisationsmittel die Über- und Unterordnung ist, und daß mit ihr eine der fruchtbarsten Formen der gesellschaftlichen Produktion verschwände. Die Aufgabe ist also, die Über- und Unterordnung, soweit sie diese Folgen hat, beizubehalten und zugleich jene psychologischen Folgen, um derentwillen sie perhorresziert wird, zu beseitigen. Diesem Ziele nähert man sich offenbar in dem Maße, in welchem alle Über- und Unterordnung eine bloß technische Organisationsform wird, deren rein objektiver Charakter gar keine subjektiven Empfindungen mehr hervorruft. Es kommt darauf an, die Sache und die Person so zu scheiden, daß die Erfordernisse der ersteren, welche Stelle im gesellschaftlichen Produktions- oder Zirkulationsprozesse sie auch der letzteren anweisen, die Individualität, die Freiheit, das innerste Lebensgefühl derselben ganz unberührt lassen. Eine Seite dieser Verfassung ist innerhalb eines Standes schon verwirklicht – im Offiziersstand. Die blinde Subordination unter den Vorgesetzten wird hier nicht als Entwürdigung empfunden, weil sie nichts als das technisch unumgängliche Erfordernis für die militärischen Zwecke ist, denen auch jeder Vorgesetzte selbst in nicht weniger strenger, aber auch nicht weniger objektiver Weise unterworfen ist. Die persönliche Ehre und Würde steht ganz jenseits dieser Über- und Unterordnung, diese haftet sozusagen nur der Uniform an und ist nur eine Bedingung der Sache, von der kein Reflex auf die Person fällt. In anderer Wendung tritt diese Differenzierungserscheinung bei rein geistigen Beschäftigungen auf. Zu allen Zeiten hat es Persönlichkeiten gegeben, die sich bei völliger Untergeordnetheit und Abhängigkeit der äußeren Lebensstellung absolute geistige Freiheit und individuelle Produktivität gewahrt haben, insbesondere allerdings in Zeiten, wo sehr festgewordene soziale Ordnungen durch einströmende Bildungsinteressen gekreuzt werden und jene bestehen bleiben, während diese ganz neue innere Rangierungen und Kategorien schaffen – wie etwa in der Epoche des Humanismus und in der letzten Zeit des ancien régime. Es ließe sich nun denken, daß, was in diesen Fällen ganz einseitig ausgebildet ist, zur sozialen Organisationsform überhaupt würde. Über- und Unterordnung in allen möglichen Gestalten ist jetzt die technische Bedingung für die Gesellschaft, ihre Zwecke zu erreichen; allein sie wirft einen Reflex auch auf die innerliche Bedeutung des Menschen, auf die Freiheit seiner Ausbildung, auf sein rein menschliches Verhältnis zu anderen Individuen. Indem diese Verquickung gelöst, alles Oben- und Untenstehen, alles Befehlen und Gehorchen eine bloß äußerliche Verfassungstechnik würde, welche auf die individuelle Stellung und Entwicklung in allem übrigen weder Licht noch Schatten werfen kann, würden alle jene Leidgefühle schwinden, um derentwillen man heute, wo das Äußerliche und bloß Zweckmäßige der sozialen Hierarchie doch noch mit dem Persönlich-Subjektiven des Individuums allzueng assoziiert ist, nach einer Beseitigung jener Hierarchie überhaupt rufen kann. Man würde durch diese Objektivierung des Leistens und seiner organisatorischen Bedingungen alle technischen Vorteile der letzteren behalten und ihre Benachteiligungen der Subjektivität und Freiheit vermeiden, auf die sich heute der Anarchismus und teilweise der Sozialismus gründet. Das aber ist die Richtung der Kultur, die, wie wir oben sahen, die Geldwirtschaft anbahnt. Die Trennung des Arbeiters von seinem Arbeitsmittel, die als Besitzfrage für den Knotenpunkt des sozialen Elends gilt, würde sich in einem anderen Sinne gerade als eine Erlösung zeigen: wenn sie die personale Differenzierung des Arbeiters als Menschen von den rein sachlichen Bedingungen bedeutete, in die die Technik der Produktion ihn stellt. So würde das Geld eine jener nicht seltenen Entwicklungen vollziehen, in denen die Bedeutung eines Elementes direkt in ihr Gegenteil umschlägt, sobald sie aus ihrer ursprünglichen beschränkten Wirksamkeit sich zu einer durchgehenden, konsequenten, überall hindringenden entfaltet hat. Indem das Geld gleichsam einen Keil zwischen die Person und die Sache treibt, zerreißt es zunächst wohltätige und stützende Verbindungen, leitet aber doch jene Verselbständigung beider gegeneinander ein, in der jedes von beiden seine volle, befriedigende, von dem andern ungestörte Entwicklung finden kann.
Wo die Arbeitsverfassung, bzw. das allgemeine soziale Verhältnis aus der personalen in die sachliche Form – und, parallel damit, aus der naturalwirtschaftlichen in die geldwirtschaftliche übergeht, finden wir zunächst oder partiell eine Verschlechterung in der Stellung des Untergeordneten. Die Entlohnung des Arbeiters in Naturalien hat, gegenüber dem Geldlohn, neben all ihren Gefahren sicher manche Vorteile. Denn die Geldleistung bezahlt ihre größere äußere Bestimmtheit, sozusagen ihre logische Präzision, mit der größeren Unsicherheit ihres schließlichen Wertquantums. Brot und Wohnung haben für den Arbeiter einen, man möchte sagen, absoluten Wert, der als solcher zu allen Zeiten derselbe ist; die Wertschwankungen, denen nichts Empirisches sich entziehen kann, fallen hier dem Arbeitgeber zur Last, der sie dadurch für den Arbeiter ausgleicht. Der gleiche Geldlohn dagegen kann heute etwas völlig anderes bedeuten als vor einem Jahre, er verteilt die Chancen der Schwankungen zwischen Geber und Empfänger. Allein diese Unsicherheit und Ungleichmäßigkeit, die oft genug recht empfindlich sein mag, ist doch das unvermeidliche Korrelat der Freiheit. Die Art, auf die die Freiheit sich darstellt, ist Unregelmäßigkeit, Unberechenbarkeit, Asymmetrie; weshalb denn – wie später noch ausführlich zu erörtern ist – freiheitliche politische Verfassungen, wie die englische, durch ihre inneren Anomalien, ihren Mangel an Planmäßigkeit und systematischem Aufbau charakterisiert sind, während despotischer Zwang allenthalben auf symmetrische Strukturen, Gleichförmigkeit der Elemente, Vermeidung alles Rhapsodischen ausgeht. Die Schwankungen der Preise, unter denen der Geldlohn empfangende Arbeiter ganz anders als der in Naturalien entlohnte leidet, haben so einen tiefen Zusammenhang mit der Lebensform der Freiheit, die dem Geldlohn ebenso entspricht, wie die Naturalentlohnung der Lebensform der Gebundenheit. Gemäß der Regel, die weit über die Politik hinaus gilt: wo eine Freiheit ist, da ist auch eine Steuer – zahlt der Arbeiter in den Unsicherheiten des Geldlohnes die Steuer für die durch diesen bewirkte oder angebahnte Freiheit. – Ganz Entsprechendes nehmen wir wahr, wo umgekehrt die Leistungen des sozial Tieferstehenden aus der naturalen in die Geldform übergehen. Die Naturalleistung schafft ein gemütlicheres Verhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten. In dem Korn, dem Geflügel, dem Wein, die der Grundholde in den Herrenhof liefert, steckt unmittelbar seine Arbeitskraft, es sind gleichsam Stücke von ihm, die sich von seiner Vergangenheit und seinem Interesse noch nicht völlig gelöst haben; und entsprechend werden sie unmittelbar von dem Empfänger genossen, er hat ein Interesse an ihrer Qualität und sie gehen sozusagen ebenso in ihn persönlich ein, wie sie von jenem persönlich ausgehen. Es wird damit also eine viel engere Verbindung zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem hergestellt, als durch die Geldleistung, in der die personalen Momente von beiden Seiten her verschwinden. Deshalb hören wir, daß im frühen mittelalterlichen Deutschland durchaus die Sitte herrschte, die Leistungen der Hörigen durch kleine Gefälligkeiten zu mildern; allenthalben erhielten sie bei der Entrichtung der Abgaben eine kleine Gegengabe, mindestens Speise und Trank. Diese wohlwollende, sozusagen anmutige Behandlung der Verpflichteten hat sich in dem Maße verloren, in dem an die Stelle der Naturalleistungen mehr und mehr Geldleistungen und an die Stelle der unter ihren Grundholden lebenden Grund- und Landesherren die härteren Beamten traten. Denn diese Einsetzung der Beamten bedeutete die Objektivierung des Betriebes: der Beamte leitete ihn nach den unpersönlichen Anforderungen der Technik, die ein möglichst großes objektives Erträgnis liefern sollte. Er stand mit derselben entpersonalisierenden Wirkung zwischen dem Hörigen und dem Herrn, wie sich das Geld zwischen die Leistung des einen und den Genuß des andern schob, eine trennende Selbständigkeit der Mittelinstanz, die sich auch darin zeigte, daß die Verwandlung der Naturalfronen in Geldzinsung dem Gutsverwalter ganz neue Gelegenheiten zu Unredlichkeiten gegenüber dem fernen Herrn gab. So sehr der Bauer von dem Persönlichkeitscharakter des Verhältnisses profitiert und nach dieser Seite hin unter seiner Versachlichung und Zugeldesetzung zunächst leiden mag, so war dieses doch, wie ich oben auseinandersetzte, der unumgängliche Weg, der zur Aufhebung der Leistungen der Hörigen überhaupt führte.
Neben der skizzierten Phänomenenreihe, welche auf dieses Endziel hinaussieht, steht eine andere, die auf den ersten Blick die genau entgegengesetzte Konsequenz zeigt. Es scheint z. B., als ob der Stücklohn dem bisher charakterisierten Fortschritt der Geldkultur mehr entspräche; als der Stundenlohn. Denn der letztere steht dem Indienstnehmen des ganzen Menschen, mit seinen gesamten, aber nicht sicher bestimmbaren Kräften, viel näher, als der Stücklohn, wo die einzelne, genau bestimmte, aus dem Menschen völlig herausobjektivierte Leistung vergolten wird. Dennoch ist augenblicklich der Stundenlohn dem Arbeiter im allgemeinen günstiger – außer wo technische Umstände, z. B. rasche Änderung der Maschinen im Sinne der Produktivitätssteigerung, für den Stücklohn sprechen –, gerade weil sich die Entlohnung hier nicht mit derselben Strenge wie beim Stücklohn nur nach der vollbrachten Leistung richtet; sie bleibt dieselbe, auch wenn Pausen, Verlangsamungen, Versehen, ihr Resultat irgendwie alterieren. So erscheint der Stundenlohn menschenwürdiger, weil er ein größeres Vertrauen voraussetzt, und er gibt innerhalb der Arbeit doch etwas mehr tatsächliche Freiheit, als der Stücklohn, trotzdem (oder hier vielmehr: weil) der Mensch als ganzer in das Arbeitsverhältnis eintritt und so die Unbarmherzigkeit des rein objektiven Maßstabes gemildert wird. Die Steigerung dieses Verhältnisses ist in der »Anstellung« zu erblicken, in der die einzelne Leistung noch viel weniger den unmittelbaren Maßstab der Entlohnung abgibt, sondern die Summe derselben, die Chance aller dazwischentretenden menschlichen Unzulänglichkeiten einschließend, bezahlt wird. Am deutlichsten wird dies bei der Stellung des höheren Staatsbeamten, dessen Gehalt überhaupt keine quantitative Beziehung zu seinen einzelnen, Leistungen mehr hat, sondern ihm nur die standesgemäße Lebenshaltung ermöglichen soll. Als kürzlich auf einen Gerichtsbeschluß hin einem preußischen Beamten, der durch eigenes schweres Verschulden längere Zeit an seiner Funktionierung verhindert war, ein Teil seines Gehaltes für diese Zeit einbehalten wurde, hob das Reichsgericht das Urteil auf: denn das Gehalt eines Beamten sei keine pro rata geltende Gegenleistung für seine Dienste, sondern eine »Rente«, welche dazu bestimmt sei, ihm die Mittel zu seinem, dem Amte entsprechenden standesgemäßen Unterhalt zu geben. Hier wird die Entlohnung also prinzipiell gerade auf das personale Element unter Ausschluß einer genauen objektiven Äquivalenz gerichtet. Freilich sind diese Gehälter immer auf längere Perioden hinaus festgelegt, und bei dem Schwanken des Geldwertes in diesen wird gerade durch die Stabilität des Einkommens die Stabilität der Lebenshaltung verhindert, während die Bezahlung der Einzelleistung viel leichter den Veränderungen des Geldwertes folgt. Allein das entkräftet meine Deutung dieses Verhältnisses so wenig, daß es vielmehr die Unabhängigkeit des persönlichen Elementes von dem ökonomischen, auf die es ankommt, erst recht hervorhebt. Daß die Honorierung hier nur ganz im allgemeinen erfolgt und sich nicht den einzelnen Wechselfällen der ökonomischen Entwicklung anschmiegt, bedeutet ja gerade die Absonderung der Persönlichkeit als eines Ganzen von der Einzelheit ökonomisch bewertbarer Leistungen; und der stabile Gehalt verhält sich zu der wechselnden Höhe seiner Einzelverwertungen, wie die ganze Persönlichkeit zu der unvermeidlich wechselnden Qualität ihrer einzelnen Leistungen. – Die äußerste, wenngleich nicht immer als solche erkennbare Stufe dieser Phänomenenreihe hegt in der Honorierung jener idealen Funktionen, deren Inkommensurabilität mit irgendwelchen Geldsummen jede »angemessene« Bezahlung illusorisch macht. Die Bedeutung der Bezahlung kann hier nur sein, daß man das Entsprechende beiträgt, um dem Leistenden die angemessene Lebenshaltung zu ermöglichen, nicht aber, daß sie und die Leistung sich sachlich entsprächen. Deshalb wird dem Portraitmaler das Honorar gleichmäßig bezahlt, ob das Bild ganz gelungen ist oder nicht, dem Konzertgeber das Eintrittsgeld, auch wenn er nachher schlecht spielt, dem Arzt seine Taxe, ob der Patient geheilt wird oder stirbt – während auf niedrigeren Gebieten das Ob und Wieviel der Zahlung viel direkter und genauer von dem Ausfall der Leistung abhängt. Wie sehr der sachliche Zusammenhang zwischen der Leistung und dem Äquivalent hier durchbrochen ist, lehrt auf den ersten Blick das Mißverhältnis ihrer Quantitäten. Wer für ein Gemälde, Theater, Belehrung noch einmal so viel Geld aufwendet, als für andere, und in beiden Fällen angemessen gezahlt zu haben glaubt, kann doch nicht sagen: dieses Bild ist genau noch einmal so schön wie das andere, diese Belehrung genau doppelt so tief und wahr wie die andere. Und selbst, wenn man die Bezahlung jenseits der objektiven Schätzung und auf die verschiedenen Quanten des subjektiven Genusses stellen wollte, würde man, auf je höhere Gebiete man kommt, um so weniger die genauen Verhältnisse zwischen jenen behaupten wollen, auf die die Geldäquivalente logische Anweisung geben. Schließlich tritt die völlige Beziehungslosigkeit des Entlohnungsquantums zu der Leistung etwa am schärfsten hervor, wenn man für das Spiel eines Musikvirtuosen, das uns zu den höchsten Stufen der in uns entwickelbaren Empfindungen gehoben hat, ein paar Mark bezahlt. Einen Sinn erhält ein derartiges Äquivalent nur von dem Standpunkt aus, daß es sich überhaupt gar nicht mit der einzelnen Leistung dem Werte nach decken, sondern nur zu demjenigen Unterhalt des Künstlers beitragen soll, der ein geeignetes Fundament für seine Leistung bildet. So scheint also gerade bei den höchsten Produktionen die Entwicklung umzubiegen: das Geldäquivalent gilt nicht mehr der einzelnen Leistung, unter Beziehungslosigkeit zu der dahinterstehenden Person, sondern gerade dieser Person als ganzer, unter Beziehungslosigkeit zu ihrer einzelnen Leistung.
Sieht man aber näher zu, so strebt diese Erscheinungsreihe doch demselben Punkte zu, wie jene andere, die ihr Ideal in der reinen Sachlichkeit der ökonomischen Stellung fand. Beide münden gleichmäßig an einer völligen gegenseitigen Verselbständigung der ökonomischen Leistung und der Persönlichkeit. Denn nichts anderes bedeutet es, wenn der Beamte oder der Künstler nicht für seine einzelne Leistung honoriert wird, sondern wenn es der Sinn seines Honorars ist, ihm eine gewisse persönliche Lebenshaltung zu ermöglichen. Allerdings ist hier, im Gegensatz zu der früheren Reihe, das Persönliche mit dem Ökonomischen in Verbindung gesetzt; aber doch so, daß innerhalb des Komplexes der Persönlichkeit selbst die Leistungen, für welche allerdings im letzten Grunde das Äquivalent gegeben wird, sich gerade sehr scharf gegen die Gesamtpersönlichkeit, als die Grundlage jener Leistungen, absetzen. Die Befreiung der Persönlichkeit, die in ihrer Differenzierung von der objektiven Leistung liegt, wird in gleicher Weise vollzogen: ob nun von der wachsenden Objektivierung der Leistung ausgehend, die schließlich für sich allein in die ökonomische Zirkulation eintritt und die Persönlichkeit ganz draußen läßt – oder anhebend von der Honorierung bzw. Unterhaltung der Persönlichkeit als ganzer, aus der dann die einzelne Leistung ohne direktes und singuläres ökonomisches Äquivalent hervorgeht. In beiden Fällen wird die Persönlichkeit von dem Zwange befreit, den ihre unmittelbare ökonomische Verkettung mit der einzelnen objektiven Leistung ihr auferlegt.
Nun erscheint freilich die zu zweit behandelte Reihe weniger geldwirtschaftlich bedingt als die erste. Wo die gegenseitige Verselbständigung zwischen Person und Leistung von der Betonung der letzteren ausgeht, muß das Geld eine größere Rolle spielen, als wo umgekehrt die Persönlichkeit sozusagen das aktive Element in dem Prozesse ist, sie von der Leistung zu sondern; denn das Geld hat vermöge seines unpersönlichen Charakters und seiner unbedingten Nachgiebigkeit eine besonders starke Wahlverwandtschaft zu der einzelnen Leistung als solcher und eine besondere Kraft, sie hervorzuheben: wogegen jene Höhe und Sicherheit der Lebenshaltung, mit der der Persönlichkeit als ganzer das Äquivalent für ihre Bewährungen geboten wird, ebensogut auch in den primitiveren Wirtschaftsformen, durch Belehnung mit einem Stück Land oder mit Regalien irgendwelcher Art eintreten konnte. Die spezifische Bedeutung des Geldes innerhalb dieser Reihe geht nicht von der Seite des Empfangenden, sondern des Gebenden aus. Denn es ermöglicht, jenes Gesamtäquivalent für das Lebenswerk eines Arbeitenden aus den Beiträgen vieler zusammenzusetzen, mögen dies nun die Eintrittsgelder von Konzertbesuchern sein, oder die Aufwendungen der Bücherkäufer, oder die Steuern der Bürger, aus denen die Beamtengehälter gezahlt werden Das tritt recht an dem Zusammenhang hervor, den die Geldwirtschaft ersichtlich mit dem Aufkommen mechanischer Reproduktionen hat. Sobald der Buchdruck erfunden ist, wird für das elendeste Machwerk derselbe Bogenpreis bezahlt wie für die erhabenste Dichtung, sobald es Photographien gibt, ist eine solche der Bella di Tiziano nicht teurer als die einer Chansonettensängerin, sobald mechanische Herstellungsweisen von Geräten bestehen, ist eines im edelsten Stil nicht kostbarer als manches im geschmacklosesten. Wenn der Schöpfer des einen mehr Geld verdient, als der des anderen, so bewirkt dies nur die größere Anzahl derer, von denen jeder für das Produkt dennoch nur ebensoviel zahlt, wie jeder Abnehmer des anderen. Liegt hierin schon an und für sich der demokratische Charakter des Geldes, gegenüber den Ausstattungen der zu honorierenden Persönlichkeiten durch Einzelpersonen in den Formen des Feudalismus oder des Mäcenatentums, so dient diese Anonymität des Geldgebers, im Gegensatz zu den genannten anderen Formen, sicherlich der subjektiven Unabhängigkeit und freien Entwicklung der die Leistung anbietenden Person. Insbesondere das Überhandnehmen der mechanischen Reproduktionsweisen mit jener Folge, den Geldpreis von der Qualität unabhängig zu machen, zerschneidet das Band, das die spezifische Bezahlung für die spezifische Leistung zwischen Abnehmern und Produzenten geknüpft hatte. So tut in dem Differenzierungsprozesse zwischen Person und Leistung das Geld seinen Dienst für die Unabhängigkeit des Leistenden schließlich ebenso, wenn die Lösung jener ehemals verschmolzenen Elemente von der Verselbständigung der Person, wie wenn sie von der Verselbständigung der Leistung ausging.
Sehen wir hier auf den Anfang dieser Überlegungen zurück, so zeigt sich der ganze beschriebene Sonderungsprozeß zwischen der Person und der Sache im genauen Sinne doch als eine Differenzierung innerhalb der ersteren: es sind die verschiedenen Interessen und Betätigungssphären der Persönlichkeit, die durch die Geldwirtschaft ihre relative Selbständigkeit erhalten. Wenn ich sagte, daß das Geld die ökonomische Leistung aus dem Ganzen der Persönlichkeit herauslöst, so bleibt, absolut genommen, jene doch immer ein Teil der Persönlichkeit, diese andrerseits bedeutet jetzt nicht mehr ihr absolutes Ganze, sondern nur noch die Summe derjenigen psychischen Inhalte und Energien, die nach Aussonderung der ökonomischen übrig bleiben. So kann man die Wirkung des Geldes als eine Atomisierung der Einzelpersönlichkeit bezeichnen, als eine innerhalb ihrer vor sich gehende Individualisierung. Dies ist doch aber nur eine in das Individuum hinein fortgesetzte Tendenz der ganzen Gesellschaft: wie das Geld auf die Elemente des Einzelwesens, so wirkt es vor allem auf die Elemente der Gesellschaft, auf die Individuen. Der letztere, der Tatsache nach oft betonte Erfolg der Geldwirtschaft heftet sich zunächst daran, daß das Geld eine Anweisung auf die Leistungen anderer ist. Während in vorgeldwirtschaftlichen Zeiten der Einzelne unmittelbar auf seine Gruppe angewiesen war und der Austausch der Dienste jeden eng mit der Gesamtheit verband, trägt nun jeder seinen Anspruch auf die Leistungen von anderen in verdichteter, potenzieller Form mit sich herum. Er hat die Wahl, wann und wo er ihn geltend machen will, und löst damit die Unmittelbarkeit der Beziehungen, die die frühere Austauschform gestiftet hatte. Diese äußerst bedeutsame Kraft des Geldes, dem Individuum eine neue Selbständigkeit den unmittelbaren Gruppeninteressen gegenüber zu verleihen, äußert sich keineswegs nur gelegentlich des fundamentalen Gegensatzes zwischen Natural- und Geldwirtschaft, sondern auch innerhalb der letzteren. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts schrieb der italienische Publizist Botero: »Wir haben in Italien zwei blühende Republiken, Venedig und Genua. Die Venetianer, welche sich mit reellem Warenhandel beschäftigen, sind zwar als Privatleute nur mäßig reich geworden, haben aber dafür ihren Staat außerordentlich groß und reich gemacht. Die Genuesen dagegen haben sich ganz dem Geldgeschäft ergeben und hierdurch ihren Privatbesitz sehr vermehrt, während ihr Staatswesen verarmt ist.« Indem die Interessen auf das Geld gestellt werden und soweit der Besitz in Geld besteht, muß der Einzelne die Tendenz und das Gefühl einer selbständigeren Bedeutung dem sozialen Ganzen gegenüber bekommen, er verhält sich zu diesem nun wie Macht zu Macht, weil er frei ist, sich seine Geschäftsbeziehungen und Kooperationen über all, wo er will, zu suchen; das Warengeschäft dagegen, selbst wenn es sich räumlich so weit erstreckt wie das der Venetianer, muß vielmehr Mitwirkende und Angestellte im nächsten Kreise suchen, seine umständlichere und substanziellere Technik legt ihm überhaupt lokale Bedingungen auf, von denen das Geldgeschäft frei ist. Noch entschiedener tritt dies natürlich an dem Unterschied zwischen Grund- und Geldbesitz hervor. Es beweist die Tiefe dieses soziologischen Zusammenhanges, daß man hundert Jahre nach jener Äußerung Boteros gerade an sie die Betrachtung geknüpft hat, welche Gefahr es für den Staat wäre, wenn das Hauptvermögen der herrschenden Klasse aus Mobiliarbesitz besteht, den man in Zeiten der öffentlichen Not in Sicherheit bringen kann, während die Grundbesitzer durch ihr Interesse unlösbar mit dem Vaterlande verbunden sind. In England ist das steigende Übergewicht des industriellen Reichtums über den in Grundbesitz angelegten dafür verantwortlich gemacht worden, daß das kommunal-soziale Interesse der obersten Klasse sich verloren hat. Das alte Self-Government ruhte auf der persönlichen Staatstätigkeit der letzteren, die jetzt immer mehr direkten Staatsorganen Platz macht. Die bloße Geldsteuer, mit der man sich jetzt abfindet, dokumentiert den Zusammenhang, der zwischen der gewachsenen Geldmäßigkeit aller Verhältnisse und dem Niedergang jener alten Sozialverpflichtungen stattfindet.
Nun macht das Geld nicht nur die Beziehung der Einzelnen zur Gruppe überhaupt zu einer viel unabhängigeren, sondern der Inhalt der speziellen Assoziationen und das Verhältnis der Teilnehmer zu ihnen unterliegt einem ganz neuen Differenzierungsprozeß. Die mittelalterliche Korporation schloß den ganzen Menschen in sich ein: eine Zunft der Tuchmacher war nicht eine Assoziation von Individuen, welche die bloßen Interessen der Tuchmacherei pflegte, sondern eine Lebensgemeinschaft in fachlicher, geselliger, religiöser, politischer und vielen sonstigen Hinsichten. Um so sachliche Interessen sich eine solche Assoziation auch gruppieren mochte, sie lebte doch, ganz unmittelbar in ihren Mitgliedern und diese gingen restlos in ihr auf. Im Gegensatz zu dieser Einheitsform hat nun die Geldwirtschaft unzählige Assoziationen ermöglicht, die entweder von ihren Mitgliedern nur Geldbeiträge verlangen oder auf ein bloßes Geldinteresse hinausgehen: zuhöchst die Aktiengesellschaft, bei der der Vereinigungspunkt der Teilhaber ausschließlich in dem Interesse an der Dividende liegt; so ausschließlich, daß es wohl jedem Einzelnen ganz gleichgültig ist, was die Gesellschaft denn eigentlich produziert. Die sachliche Zusammenhangslosigkeit des Subjekts mit dem Objekt, an dem es ein bloßes Geldinteresse hat, spiegelt sich in seiner personalen Zusammenhangslosigkeit mit den anderen Subjekten, mit denen ihn ein ausschließliches Geldinteresse verbindet. Hiermit ist nun eine der wirkungsvollsten kulturellen Formungen gegeben: die Möglichkeit des Individuums, sich an Assoziationen zu beteiligen, deren objektiven Zweck es fördern oder genießen will, ohne daß für die Persönlichkeit im übrigen die Verbindung irgendeine Bindung mit sich brächte. Das Geld hat es bewirkt, daß man sich mit Anderen vereinigen kann, ohne etwas von der persönlichen Freiheit und Reserve aufgeben zu brauchen. Das ist der fundamentale, unsäglich bedeutungsvolle Unterschied gegen die mittelalterliche Einungsform, die zwischen dem Menschen als Menschen und dem Menschen als Mitglied einer Vereinigung nicht unterschied; sie zog das gesamtwirtschaftliche wie das religiöse, das politische wie das familiäre Interesse gleichmäßig in ihren Kreis. Die dauernde Vereinigung kennt in jenem urwüchsigen Stadium noch nicht die Form des bloßen »Beitrages«, am wenigsten die Herstellung ihrer ganzen Substanz aus solchen und aus »beschränkten Haftungen«. Wie man wohl im großen und ganzen und mit den bei so allgemeinen Behauptungen nötigen Reserven sagen kann, daß die Verhältnisse der Menschen untereinander früher entschiedenere waren, weniger durch Vermittlungen, Mischungen, Vorbehalte undeutlich gewordene, daß es weniger problematische und »halbe« Verhältnisse gab: so stand die Beziehung des Einzelnen zur Assoziation viel mehr unter dem Zeichen des Ganz oder Garnicht, sie duldete nicht eine Zerlegbarkeit, durch die ein bloßes Partikelchen der im übrigen unabhängigen Persönlichkeit in sie hinein gegeben werden kann und die in der Hingabe und Entnahme von Geld als dem einzigen assoziativen Bande ihre absolute Vollendung findet. Und dies gilt nicht nur für Einzelne, sondern auch für Kollektivindividuen. Die Geldform des Gemeininteresses gewährt auch Vereinigungen die Möglichkeit zu einer höheren Einheit zusammenzutreten, ohne daß die einzelne auf ihre Unabhängigkeit und Sonderart zu verzichten braucht. Nach 1848 bildeten sich in Frankreich Syndikate von Arbeiter-Assoziationen desselben Gewerkes, derart, daß jede ihren unteilbaren Fonds an dieses Syndikat ablieferte und so eine unteilbare gemeinsame Kasse zustande kam. Diese sollte namentlich Engros-Einkäufe ermöglichen, Darlehen gewähren usw. Die Syndikate hatten aber durchaus nicht den Zweck, die teilhabenden Assoziationen zu einer einzigen zu vereinigen, sondern jede sollte ihre besondere Organisation beibehalten. Dieser Fall ist deshalb so bezeichnend, weil die Arbeiter damals in einer wahren Leidenschaft der Assoziationsbildung befangen waren. Lehnten sie nun die hier so naheliegende Verschmelzung ausdrücklich ab, so müssen sie besonders starke Gründe für gegenseitige Reserve gehabt haben – und fanden dabei die Möglichkeit, die dennoch vorhandene Einheit ihrer Interessen in jener Gemeinsamkeit des bloßen Geldbesitzes wirksam werden zu lassen. Ja, auf Grund dieser vollen subjektiven Freiheit, die die bloße Geldbeteiligung den Mitgliedern der Assoziation läßt, sind gewisse Vereinigungen überhaupt erst möglich geworden. Der Gustav-Adolf-Verein, jene große Gemeinschaft zur Unterstützung bedürftiger evangelischer Gemeinden, hätte gar nicht zur Existenz und Wirksamkeit kommen können, wenn nicht der Charakter (oder vielmehr die Charakterlosigkeit) der Geldbeiträge die konfessionellen Unterschiede der Beitragenden verwischt hätte. Zu keiner anderen Einungsform wären Lutheraner, Reformierte, Unierte zu bewegen gewesen. Dasselbe gilt, wenn das gemeinsame Geldinteresse sozusagen ein passives wird. Der englische Klerus bildete bis ziemlich tief in das Mittelalter hinein durchaus keine Einheit; insbesondere gehörten die Bischöfe, als Feudalherren, zu den Lords, in sozialer und politischer Absonderung von dem niederen Klerus. Dies fand namentlich solange statt, als nur der Grundbesitz, an dem letzterer nicht teil hatte, besteuert wurde. Sobald aber besondere Besteuerungen des gesamten geistlichen Einkommens aufkamen, war durch Opposition dagegen oder durch Bewilligung ein gemeinsames Interesse für den ganzen Stand geschaffen, das der beste Kenner jener Zeit für eins der Hauptbindemittel hält, die überhaupt den Klerus erst als einheitlichen Stand schufen. Schon die Anfänge der Geldwirtschaft zeitigen Entwicklungen der wirtschaftlichen Vereinigung aus demselben Grundmotiv heraus. Die Vermehrung und vermehrte Bedeutung des Kapitals erzeugte vom 14. Jahrhundert an das Bedürfnis, dasselbe in der Familie ungeteilt zu erhalten. Denn indem die Anteile aller Erben einheitlich zusammenblieben, übten sie weit reichere Wirkungen zugunsten eines jeden, als er bei ihrer Aufteilung erreichen konnte. Es begann also in Deutschland der Eintritt aller Erben in die ungeteilte Erbschaft und der Weiterbestand des alten Geschäfts zu gesamter Hand. Daran knüpften sich nun zwei Konsequenzen. Es entstand innerhalb der Familie die Trennung von Hauswirtschaft und Geschäft, so daß Familienmitglieder mit getrennter Hauswirtschaft und separatem Vermögen doch Teilhaber der einen ungeteilten »Firma« bleiben konnten; während die Bedeutung des Geldkapitals die alte Familienwirtschaft überhaupt gesprengt hatte, schuf es nun doch über dieser Trennung eine neue Vereinigung, in deren reine Sachlichkeit die von den eigentlichen Privatinteressen gelösten, ausschließlichen Vermögensinteressen eingingen. Und zweitens, wurde dieser Gemeinsamkeitsmodus nun auch von solchen nachgeahmt, welche nicht einmal in einer ursprünglichen Familienbeziehung standen; nachdem einmal aus der Hauswirtschaft sich das »Geschäft« herausgelöst hatte, wurde es auch von Nichtverwandten als Vereinigungsform der bloßen arbeitenden Kapitalien gewählt, so daß schon anfangs des 15. Jahrhunderts die offene Handelsgesellschaft gebräuchlich wird. Zu einer reinen Vermögensgenossenschaft, d. h. einer solchen, in der das gemeinsam besessene Vermögen sich zu einer selbständigen, jenseits der Einzelanteile stehenden Einheit und Rechtspersönlichkeit objektiviert hat und der Teilhaber nur mit einem bestimmten Teile seines Vermögens und sonst überhaupt nicht mit seiner Person beteiligt ist – ist es erst seit dem Durchdringen der Geldwirtschaft gekommen. Das Geld allein konnte solche Gemeinsamkeiten zustande bringen, die das einzelne Mitglied überhaupt nicht präjudizieren: es hat den Zweckverband zu seinen reinen Formen entwickelt, jene Organisationsart, die sozusagen das Unpersönliche an den Individuen zu einer Aktion vereinigt und uns die bisher einzige Möglichkeit gelehrt hat, wie sich Personen unter absoluter Reserve alles Persönlichen und Spezifischen vereinigen können. – Die zersetzende und isolierende Wirkung des Geldes ist nicht nur ganz im allgemeinen Bedingung und Korrelat dieser versöhnenden und verbindenden; sondern in einzelnen historischen Verhältnissen übt das Geld zugleich die auflösende und die vereinigende Wirkung. So z. B. im Familienleben, dessen organische Einheit und Enge einerseits durch die Folgen der Geldwirtschaft zerstört worden ist, während man andrerseits gerade unter Anerkennung hiervon hervorgehoben hat, daß die Familie fast nichts mehr sei, als eine Organisation der Erbfolge. Wenn unter mehreren Interessen, die die Vereinigung eines Kreises ausmachen, das eine auf alle anderen zerstörend wirkt, so wird natürlich dieses selbst die anderen überleben und schließlich noch die einzige Verbindung zwischen den Elementen darstellen, deren sonstige Zusammenhänge es zernagt hat. Nicht nur auf Grund seines immanenten Charakters, sondern gerade weil es auf so viele andere Verbindungsarten der Menschen destruktiv wirkt, sehen wir das Geld den Zusammenhang zwischen sonst ganz zusammenhangslosen Elementen herstellen. Und es gibt heute vielleicht keine Assoziation von Menschen mehr, die nicht, als Ganzes, irgendein Geldinteresse einschlösse, und sei es nur die Saalmiete einer religiösen Korporation.
Durch den Charakter des Zweckverbandes aber, den das Einungsleben deshalb mehr und mehr annimmt, wird es mehr und mehr entseelt; die ganze Herzlosigkeit des Geldes spiegelt sich so in der sozialen Kultur, die von ihm bestimmt wird. Vielleicht, daß die Kraft des sozialistischen Ideals zum Teil einer Reaktion auf diese entstammt; denn indem es dem Geldwesen den Krieg erklärt, will es die Isolierung des Individuums seiner Gruppe gegenüber, wie sie in der Form des Zweckverbandes verkörpert ist, aufheben und appelliert zugleich an alle innigen und enthusiastischen Gefühle für die Gruppe, die sich in dem Einzelnen erwecken lassen. Freilich ist der Sozialismus auf eine Rationalisierung des Lebens gerichtet, auf die Beherrschung seiner zufälligen und einzigartigen Elemente durch die Gesetzmäßigkeiten und Berechnungen des Verstandes; allein zugleich ist er den dumpfen kommunistischen Instinkten wahlverwandt, die als Erbschaft längst verschollener Zeiten noch in den abgelegeneren Winkeln der Seelen ruhen. In dieser Zweiheit von Motivierungen, deren psychische Standorte einander polar entgegengesetzt sind, und die ihn einerseits als das äußerste Entwicklungsprodukt der rationalistischen Geldwirtschaft, andrerseits als die Verkörperung des undifferenziertesten Instinktes und Gefühlslebens zeigen, liegt wohl die Eigenart seiner Anziehungskraft: er ist Rationalismus und Reaktion auf den Rationalismus. Der Sozialismus hat an der alten Gentilverfassung mit ihrer kommunistischen Gleichheit sein begeisterndes Ideal gefunden, während das Geldwesen das Individuum auf sich rückwärts konzentriert und ihm als Objekte der persönlichen und Gemütshingabe einerseits nur die allerengsten individuellen Beziehungen, wie Familie und Freundschaft, andrerseits nur den weitesten Kreis, etwa des Vaterlandes oder der Menschheit überhaupt, übrig gelassen hat – beides soziale Bildungen, die sich, wenn auch aus verschiedenen Gründen, der objektiven Vereinigung zu isolierten Zwecken völlig fremd gegenüberstellen. Hier wird nun eine der umfassendsten und tiefgreifendsten soziologischen Normen wirksam. Zu den wenigen Regeln nämlich, die man mit annähernder Allgemeinheit für die Form der sozialen Entwicklung aufstellen kann, gehört wohl diese: daß die Erweiterung einer Gruppe Hand in Hand geht mit der Individualisierung und Verselbständigung ihrer einzelnen Mitglieder. Die Evolution der Gesellschaften pflegt mit einer relativ kleinen Gruppe zu beginnen, welche ihre Elemente in strenger Bindung und Gleichartigkeit hält, und zu einer relativ großen vorzuschreiten, die ihren Elementen Freiheit, Fürsichsein, gegenseitige Differenzierung gewährt. Die Geschichte der Familienformen wie die der Religionsgemeinden, die Entwicklung der Wirtschaftsgenossenschaften wie die der politischen Parteien zeigt allenthalben diesen Typus. Die Bedeutung des Geldes für die Entwicklung der Individualität steht deshalb in engstem Zusammenhange mit der, die es für die Vergrößerung der sozialen Gruppen besitzt. Für diese letztere bedarf es hier keines ausführlichen Beweises mehr: die Wechselwirkung zwischen der Geldwirtschaft und der Größe des Wirtschaftskreises habe ich früher aufgezeigt. Je mehr Menschen miteinander in Beziehung treten, desto abstrakter und allgemeingültiger muß ihr Tauschmittel sein; und umgekehrt, ist erst einmal ein solches geschaffen, so gestattet es eine Verständigung auf sonst unzugängliche Entfernungen hin, eine Einbeziehung der allermannigfaltigsten Persönlichkeiten in die gleiche Aktion, eine Wechselwirkung und damit Vereinheitlichung von Menschen, die wegen ihres räumlichen, sozialen, personalen und sonstigen Interessenabstandes in gar keine andere Gruppierung zu bringen wären.
In wie enger Korrelation Geldwirtschaft, Individualisierung und Vergrößerung des sozialen Kreises stehen, offenbart zunächst der Charakter des Handelsgewerbes, das einerseits mit dem Vordringen der Geldwirtschaft, andrerseits mit der Erweiterung der Beziehungen, dem Hinausgreifen über die enge, sich selbst genügende Gruppe der Primitivzeit in offensichtlichem Zusammenhang steht. Und nun hat der Handel dadurch individuellen Charakter, daß er – von seinen höchsten Stufen abgesehen – keine so komplizierte Technik wie das Handwerk und keine so traditionell festgelegte wie der Landbau besitzt. Der Handeltreibende ist deshalb nicht in dem Maße, wie es in den anderen Erwerbstypen gilt, auf Unterweisung – die immer engeren Zusammenhang mit der unmittelbaren Umgebung involviert –, auf personale und objektive Tradition – die die individuelle Sonderart nivelliert –, auf Erblichkeit – die das frühere Handwerk und noch jetzt der Landbesitz voraussetzt – angewiesen. Aus Indien wird berichtet, daß die Erblichkeit der Berufe in dem Handelsgewerbe nicht so entschieden sei, wie in den industriellen. Es ist die Technik des Handels, die es dem wandernden, die Gruppengrenzen durchbrechenden Kaufmann, dem Pionier der Geldwirtschaft, erleichtert, sich jenen Vergleichmäßigungen und Verschmelzungen der anderen Berufe zu entziehen und sich auf sein individuelles Können und Wagen zu stellen. Ich zeige die gleiche Korrelation an einem etwas abseits liegenden Fall. Ob der Sieger eines Wettbewerbes durch einen Ehrenpreis oder einen Geldpreis ausgezeichnet wird, ist innerlich ein großer Unterschied. Mit dem Geldpreis ist er abgefunden, er hat seinen Lohn dahin; der Ehrenpreis wirkt weiter, er gibt der ganzen Persönlichkeit ein Relief (das natürlich unter gewissen Umständen, aber nicht dem Grundgedanken nach, auch zu dem Geldpreise noch hinzutreten kann): der Geldpreis bezieht sich auf die Leistung, der Ehrenpreis auf den Leistenden. Nun aber ist eine Ehrung in dem letzteren Sinne meistens nur innerhalb eines relativ kleinen Kreises möglich. Schon diejenige Ehre, die keine Auszeichnung des Individuums bedeutet, entsteht nur innerhalb einer kleineren Gruppe, welche durch die bestimmt umschriebene Ehrenhaftigkeit ihrer Mitglieder sich gegen ihre Umgebung geschlossen, kräftig, unangreifbar erhält: so die Offiziersehre, die Kaufmanns ehre, die Familienehre, ja sogar die oft hervorgehobene Spitzbubenehre. Jede Ehre ist ursprünglich Standes- oder Klassenehre, und die allgemein menschliche oder ganz individuelle Ehre enthält nur diejenigen Anforderungen an den Einzelnen, in denen alle kleineren Gruppen innerhalb einer größeren übereinstimmen. Die Ehre nun, welche ihren Träger nicht Anderen einordnen, sondern unter ihnen hervorheben soll, bedarf nicht weniger einer gewissen Enge und Solidarität des Kreises; der Name des olympischen Siegers hallte durch das ganze, kleine und in diesem Interesse eng zusammengehörige Griechenland. Der Geldpreis trägt den egoistischen Charakter, den sehr große Kreise ihren Individuen nahelegen; den unegoistischen, der der Solidarität des kleineren entspricht, symbolisiert es aufs schönste, daß der goldene Kranz, den der athenische Rat der Fünfhundert für gute Amtsführung erhielt, alsdann in einem Tempel aufbewahrt wurde. Innerhalb kleinerer und geschlossener Interessenkreise, z. B. bei einigen Sportangelegenheiten, Industriefächern usw. ist noch jetzt der Ehrenpreis völlig gerechtfertigt. In dem Maße aber, in dem die Einschränkung und Homogeneität des Kreises einer Weite und gegenseitigen Fremdheit seiner Elemente Platz macht, muß an die Stelle des Ehrenpreises, der auf die Mitwirkung der gesamten Gruppe rechnet, der Geldpreis treten, der die abschließende, über sich nicht hinausweisende Anerkennung der Leistung darstellt. Die Vergrößerung des sozialen Kreises fordert so den Übergang zum geldmäßigen Ausdruck, des Verdienstes, weil sie unweigerlich die Atomisierung eben dieses Kreises bedeutet; die Unmöglichkeit, die gleiche Stimmung in derselben Weise, wie es bei einem kleinen Kreise möglich ist, durch einen großen fortzupflanzen, macht die Belohnung durch ein Mittel notwendig, bei dem der zu Belohnende nicht mehr auf eine Übereinstimmung und Bereitwilligkeit der ganzen Gruppe angewiesen ist.
Man kann in diesem Zusammenhang betonen, daß die Beziehung des Geldes zur Ausdehnung der sozialen Gruppe eine ebenso enge ist, wie nach unseren früheren Ausmachungen zur Objektivierung der Lebensinhalte. Dieser Parallelismus ist kein zufälliger. Was wir die objektive Bedeutung der Dinge nennen, das ist in praktischer Hinsicht ihre Gültigkeit für einen größeren Kreis von Subjekten; indem sie aus ihrer ersten Bindung an das Einzelsubjekt oder einen kleinen Kreis, aus der Zufälligkeit subjektiver Deutung herauswachsen, wird die Vorstellung oder Gestaltung ihrer eine für immer weitere Kreise gültige und bedeutsame (auch wenn die Hindernisse der Lage es zu dieser Anerkennung durch die Gesamtheit in Wirklichkeit nicht kommen lassen), und eben damit erreichen sie, was wir ihre objektive Wahrheit oder ihre sachlich angemessene Gestaltung nennen – so sehr die ideelle Gültigkeit, auf die die letzteren Begriffe hindeuten, in ihrem Fürsichsein alle Beziehung auf Anerkannt- oder Nicht-Anerkanntwerden ablehnen mag. Die Bedeutung des Geldes nach beiden Seiten hin bestätigt die Enge dieser Korrelation, die sich auf vielerlei speziellen Gebieten geltend macht. Das Handelsrecht des deutschen Mittelalters war ursprünglich nur das Genossenschaftsrecht der einzelnen Kaufmannskollegien gewesen. Es bildete sich zu einem gemeinen Rechte unter der universalistischen Vorstellung, daß der gesamte Kaufmannsstand des Reiches, ja, der Welt eigentlich eine große Gilde bilde. Und damit entwickelte sich das gemeine Recht des Handelsstandes zu einem gemeinen Recht der Handelsgeschäfte. Hier tritt sehr klar hervor, wie das Recht, indem es von einem engeren zu einem absolut weiten Kreise vorschreitet, sich überhaupt von der Beziehung auf bloße Personen löst und zu einem Rechte der objektiven Transaktionen wird. Und eben dieselbe Entwicklung war es, die von einer immer gründlicheren Durchführung des Geldverkehres ebenso getragen wurde, wie sie andrerseits diese trug.
Schon die technische Schwierigkeit, die Werte der Naturalwirtschaft auf weithin zu transportieren, muß diese auf relative Kleinheit der einzelnen Wirtschaftskreise beschränken, während das Geld gerade durch seine absolute Beweglichkeit das Band bildet, das die größte Ausdehnung des Kreises mit der Verselbständigung der Persönlichkeiten verbindet. Der vermittelnde Begriff für diese Korrelation zwischen dem Geld einerseits und der Vergrößerung des Kreises wie der Differenzierung der Individuen andrerseits ist oft das Privateigentum überhaupt. Der kleine und naturalwirtschaftliche Kreis neigt zu Gemeineigentum. Jede Vergrößerung desselben drängt auf Aussonderung der Anteile; bei sehr gewachsener Zahl von Genossen wird die Verwaltungstechnik des Gemeinbesitzes so kompliziert und konfliktsreich, die Entstehungswahrscheinlichkeit unverträglicher oder über die kommunistische Enge hinausdrängender Individuen wächst so sehr, die dem Gemeinbesitz widerstrebende Arbeitsteilung und Intensität der Ausnutzung wird zu einer solchen Notwendigkeit, daß man den Privatbesitz als eine direkte Folge der quantitativen Mehrung der Gruppe bezeichnen kann. Eine irländische Handschrift des 12. Jahrhunderts berichtet, daß die Aufteilungen des Bodens wegen der zu groß gewordenen Zahl der Familien stattfanden; und in Rußland, wo sich der Übergang vom Gesamt- zum Sondereigentum noch beobachtbar vollzieht, ist es ganz deutlich, daß die bloße Vermehrung der Bevölkerung ihn trägt oder beschleunigt. Das Geld aber ist ersichtlich das geeignetste Substrat der privaten und persönlichen Besitzform. Die gesonderte Verteilung, die Fixierung der Vermögensrechte, die Realisierung der einzelnen Ansprüche ist erst durch das Geld ohne weiteres möglich geworden: Das primäre und reinste Schema der Quantitätserweiterung des wirtschaftlichen Lebenskreises ist der Tausch überhaupt; mit ihm greift das Individuum ganz prinzipiell – viel mehr als mit Raub und Geschenk – über seine solipsistische Peripherie hinaus. Tausch aber ist, seiner Idee nach, erst bei Privateigentum möglich; aller Kollektivbesitz enthält eine Tendenz zur »Toten Hand«, während die spezifischen Wünsche des Einzelnen und seine Ergänzungsbedürftigkeit ihm den Tausch nötig machen. Der Besitz muß sich erst auf das Individuum, konzentriert haben, um von da aus wieder sich durch den Tausch zu verbreiten. Das Geld, als der absolute Träger und Verkörperung des Tausches, wurde durch diese Vermittlung des Privateigentums, mit seiner Angewiesenheit auf den Austausch, zum Vehikel jener Erweiterung der Wirtschaft, jenes Hineinbeziehens unbegrenzt vieler Kontrahenten durch das Hin und Her des Tausches. Darum wehrt sich aber das Geld auch – und dies ist die Kehrseite eben derselben Tatsache – gegen gewisse kollektivistische Verfügungen, die sich innerhalb der Naturalwirtschaft von selbst ergeben. Im Mittelalter galt die Theorie, daß eine Geldleistung nur von demjenigen zu fordern wäre, der sie persönlich versprochen hätte; die Mitglieder der Stände, die in der bewilligenden Versammlung nicht gegenwärtig waren, versagten deshalb oft die Leistung. Anfangs des 13. Jahrhunderts steht es in England noch nicht formell fest, daß der Beschluß des Supreme Council der Ständevertretung alle Untertanen in Sachen der Besteuerung auch gegen den Willen des Einzelnen binden solle. Und als in Deutschland am Ende des Mittelalters die Landstände vielfach dem Landesherrn gegenüber eine als Einheit wirkende Körperschaft bildeten und ihre Aktionen nicht die summierten Aktionen von Einzelnen, sondern solche der Gesamtheit der Stände waren, da erhielt sich doch die erstere Vorstellung noch am längsten bei der Steuerbewilligung; hier schien am längsten die Gesamtheit nur die Summe der Einzelnen zu vertreten, so daß jeder Einzelne sich dem gemeinsamen Beschluß entziehen konnte. Das gleiche Motiv macht sich unter sehr veränderten Umständen geltend, indem bei zunehmender Zentralisation der Staatsverwaltung dennoch den lokalen Verbänden eine relative Freiheit der Finanzgebarung gelassen wird. Die deutsche Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte z. B. scheint dahin zu neigen, die sozialen, politischen, ethischen Aufgaben der Kommunen als solcher einzuengen und sie zu lokalen Organen des Regierungswillens herabzudrücken; wogegen man ihnen innerhalb der Vermögensverwaltung erhebliche Autonomie einräumt. Es ist in demselben Sinn, wenn man es als den Hauptnachteil der Geldstrafe hervorgehoben hat, daß das Geld im Besitze des Staates lange nicht so wirtschaftlich fruchtbar zu machen ist, wie es in den Händen des Individuums wäre. Deshalb ist es schon eine technische Zweckmäßigkeit in bezug auf die Geldgebarung, demjenigen eine gewisse Freiheit zu lassen, den man in allen übrigen Beziehungen beschränkt – eine etwas verkleidete praktische Folge und Wendung der Schwierigkeit, der die kollektivistische Verfügung über Geld begegnet.
Eine solche Schwierigkeit besteht nämlich trotz der Eignung des Geldes, das zusammenhaltende Interesse für Vereinigungen sonst unvereinbarer Individuen abzugeben. Beides geht schließlich auf eine und dieselbe Wirkung seiner zurück: Sonderung und gegenseitige Unabhängigkeit den Elementen zu gewähren, die vorher in ursprünglicher Lebenseinheit bestanden haben. Diese Zersetzung trifft einerseits die Einzelpersönlichkeiten und ermöglicht dadurch, daß sich ihre gleichartigen Interessen, wie unabhängig von dem Divergenten und Unversöhnlichen an ihnen, zu einem Kollektivgebilde zusammentun. Sie trifft aber auch andrerseits die Gemeinschaften und erschwert den nun scharf differenzierten Individuen die innere und äußere Vergemeinsamung. Das Schema dieses Widerspruchs, weit über diesen Fall hinausgreifend, durchzieht das ganze gesellschaftliche Leben. Es stammt daher, daß das Individuum einerseits ein bloßes Element und Glied der sozialen Einheit ist, andrerseits aber doch selbst ein Ganzes, dessen Elemente eine relativ geschlossene Einheit bilden. Die Rolle, die ihm als bloßem Organ zukommt, wird deshalb häufig mit derjenigen kollidieren, die es als ganzer und eigener Organismus spielen kann oder will. Derselbe Einfluß, der das aus Individuen zusammengegliederte soziale Ganze trifft und außerdem das Individuum als ein Ganzes selbst, löst an beiden formal gleiche Wirkungen aus, die eben deshalb, da das Individuum jene zwei völlig heterogenen Bedeutungen repräsentiert, oft genug in inhaltliche Gegensätze auslaufen. Darum ist es zwar ein praktischer, aber durchaus kein logischer, theoretisch unauflösbarer Widerspruch, daß das Geld, an der Gesellschaft ebenso wie an den Einzelnen auf Differenzierung der Elemente wirkend, in der einen Hinsicht Erschwerung, in der anderen Erleichterung ebendesselben Geschehens mit sich bringt. Die angedeutete Erschwerung der kollektivistischen Verfügung über Geld hängt nun, ganz im allgemeinen, so zusammen. Jeder andere Besitz weist, wie oben betont wurde, durch seine technischen Bedingungen auf eine gewisse Art seiner Verwendung hin, die Freiheit der Disposition über ihn hat vermöge dieser eine sachliche Schranke. Wogegen der Verwendung des Geldes eine solche völlig fehlt, also die gemeinsame Disposition Mehrerer darüber den dissentierenden Tendenzen einen weitesten Spielraum gibt. Damit aber setzt sich die Geld Wirtschaft in entschiedenen Gegensatz gegen die Lebensbedingungen der kleinen Wirtschaftskreise, die so vielfach gerade auf gemeinsame Verfügungen, einheitliche Maßregeln angewiesen sind. Man kann, freilich mit sehr starker Verkürzung, sagen, daß der kleine Kreis sich durch Gleichheit und Einheitlichkeit, der große durch Individualisierung und Arbeitsteilung erhält. Indem das Geld als ein abstraktes Gebilde sich aus den wirtschaftlichen Wechselwirkungen eines relativ großen Kreises herstellt, indem es andrerseits durch seinen bloßen Quantitätscharakter den genauesten mechanischen Ausdruck jedes Sonderanspruchs, jedes Wertes individueller Leistung, jeder personalen Tendenz gestattet, vollendet es im Wirtschaftlichen erst jene allgemeine soziologische Korrelation zwischen der Ausdehnung der Gruppe und der Ausbildung der Individualität.
Die Beziehung des Geldes zum Privateigentum und damit zur freien Ausbildung der Persönlichkeit heftet sich, wie gesagt, vor allem an seine Beweglichkeit und wird deshalb an seinem Gegensatz, dem Besitz des Bodens, besonders durchsichtig. Das Grundeigentum strebt in zwei Richtungen über die Bindung an das Individuum hinaus: gleichsam nach der Breitendimension, indem es sich mehr als alles andere zum Kollektivvermögen einer Gruppe eignet, nach der Tiefendimension, indem es das vorzüglichste Objekt der Vererbung ist. Wenn das Gesamteigen der primitiven Gruppe aus Grundstücken besteht, so führt die Entwicklung wiederum in zwei hauptsächlichen Richtungen darüber hinaus. Zunächst dadurch, daß die Nahrung aus einem Besitz beweglicheren Charakters gewonnen wird; sobald dies geschieht, ist auch sogleich das Sondereigen da. Bei Nomadenvölkern finden wir durchgehends, daß das Land zwar Gemeingut der Sippe ist und den einzelnen Familien nur zur Benutzung angewiesen wird; allein das Vieh ist überall Privateigentum dieser einzelnen Familien. Die nomadische Sippe ist, so viel wir wissen, in bezug auf den Herdenbesitz niemals kommunistisch gewesen. Tatsächlich sind auch sonst in vielen Gesellschaften die Mobilien schon Sondereigentum gewesen, als der Boden noch lange Gemeinbesitz war. Andrerseits knüpft sich die Entstehung des Privateigens an diejenigen Tätigkeiten, welche nicht des Grundes und Bodens als Materiales bedürfen. In dem Rechte der indischen Geschlechtsgenossenschaft entsteht der Gedanke, daß dasjenige, was nicht vermittels des Familienvermögens – das eben vorzüglich aus Grundstücken gebildet ist – erworben wird, auch nicht in dieses zu fließen habe. Der Erwerb einer persönlichen Geschicklichkeit also, wie das Erlernen eines Handwerks, wird als das hauptsächlichste Mittel zum Gewinn eines Sondergutes und zur Selbständigkeit der Persönlichkeit genannt. Der Handwerker, der seine Geschicklichkeit überallhin mit sich nimmt, hat eben in ihr jenes bewegliche Gut, das, gerade wie in anderer Weise der Viehbesitz, den Einzelnen von dem Bodenbesitz mit seinem Kollektivcharakter loslöste. Endlich: die Überführung der gemeinschaftlichen Lebensform in eine individualistische ist ein zweckmäßiges Mittel, um bei sich auflösender Naturalwirtschaft die bisher auf sie gegründete Genossenschaft so weit wie möglich zu konservieren. Bis zum 13. Jahrhundert bestand das Vermögen der kirchlichen Genossenschaften wesentlich in Grundbesitz, und ihre Geschäftsführung beruhte auf dem Prinzip der Gemeinwirtschaft. Das Sinken der naturalwirtschaftlichen Erträge schuf ihr seitdem große Not; aber eben die zur Herrschaft gelangende Geldwirtschaft, die dies verschuldete, bot zugleich ein gewisses Heilmittel. Man zerschlug nämlich die Einnahmen der Stifter und sogar der Klöster mehr oder weniger weitgehend in einzelne Gehälter, Pfründen, und konnte nun mehrere derselben, aus ganz getrennten Orten, vermöge der Geldform des Ertrages einer einzigen Person zusprechen. Dadurch war es möglich, bei sinkenden Gesamteinnahmen doch wenigstens das Einkommen der führenden und repräsentierenden Persönlichkeiten der Genossenschaften auf gleicher Höhe zu halten – so sehr dies auf Kosten der niederen Kleriker geschah, die nun ihrerseits als Mietlinge den Dienst an der Gemeinde versahen. Dieser Vorgang zeigt sehr deutlich, wie die zurücktretende Bedeutung des Bodens selbst so eng auf Zusammenschluß und Einheit angelegte Gruppen, wie die kirchlichen, aus der kollektivistischen Lebensform in die individualistische hineintreibt, und wie die eindringende Geldwirtschaft ebensowohl Ursache als – durch die Zerlegung und Mobilisierung der Grundstücke – das Mittel dieses Prozesses bildet. Daß heute gerade der Bauer als der entschiedenste Gegner sozialistischer Bestrebungen gilt, hat wohl zunächst den Grund, daß er, in zweckmäßiger Anpassung an die Technik seines Betriebes, äußerst konservativ ist: da nun einmal individuelles Eigentum besteht, so hält er an demselben ebenso fest, wie er vor Jahrhunderten an der gemeinen Mark, ja noch vor viel kürzerer Zeit wenigstens an der Gemengelage festgehalten hat. Auch hat der moderne Sozialismus ein Hauptmotiv, das jener alten Kollektivität des Grundbesitzes als etwas völlig Heterogenes gegenübersteht und ihn der innersten Lebensrichtung des Landwirts völlig entfremdet: die restlose Beherrschung der Produktion durch den Verstand, den Willen, die organisierende Berechnung des Menschen. Die Verfassung der Fabrik und die Konstruktion der Maschine stellt dem Industriearbeiter täglich vor Augen, daß zweckmäßige Bewegungen und Wirkungen mit absoluter Zuverlässigkeit zustande gebracht, persönliche und aus dem Innern der Dinge hervorbrechende Störungen völlig vermieden werden können. Diese Erreichung der Zwecke vermöge eines durchsichtigen und dirigierbaren Mechanismus arbeitet einem sozialen Ideal vor, das die Gesamtheit mit dem souveränen Rationalismus der Maschine, unter Ausschaltung aller privaten Impulse, organisieren will. Dagegen sind die Arbeit des Bauern und ihre Erfolge von ebenso unbeeinflußbaren wie unberechenbaren Kräften abhängig, seine Gedanken gehen auf die Gunst eines nicht zu rationalisierenden Faktors und auf das jeweilige Ausnutzen irregulärer Bedingungen. So bilden sich seine Ideale dem sozialistischen entgegengesetzt, das nicht die Gunst, sondern das Ausschalten aller Zufälligkeit und eine Organisation der Lebenselemente anstrebt, die, was bei den bäuerlichen Interessen gar nicht in Frage kommt, jedes derselben berechenbar macht. Jene absolute Beherrschung der Gesamtproduktion durch Verstand und Willen ist technisch freilich nur bei absoluter Zentralisierung der Produktionsmittel – in der Hand der »Gesellschaft« – möglich, aber es liegt auf der Hand, wie weit die alte naturalwirtschaftliche Kollektivität in ihrem Kern und Sinn von dieser sozialistischen absteht, deren Idee sich deshalb auch gerade über der geldwirtschaftlichsten und mobilisiertesten Eigentumsgestaltung erheben konnte so sehr, wie ich oben erwähnte, jener primitive Kommunismus als Instinkt und nebelhaftes Ideal zu den Triebkräften des Sozialismus beisteuern mag.
Historisch besteht jedenfalls die Korrelation zwischen Naturalwirtschaft und Kollektivität, der auf der anderen Seite die zwischen Mobilisierung des Besitzes und Individualisierung desselben entspricht. Deshalb trägt, in enger Beziehung zu seinem Charakter als Kollektivgut, der Boden auch einen besonderen Charakter als Erbgut. Wenn wir die Familienverfassungen in ihren wirtschaftlichen Gestaltungen verfolgen, so sehen wir oft, daß der Unterschied des Erbgutes gegen das selbsterworbene Gut sich mit dem des unbeweglichen gegen das bewegliche Vermögen deckt. In den nordwestlichen Distrikten von Indien ist es ein und dasselbe Wort (jalm), das einerseits das Recht der Erstgeburt, andrerseits, im engeren Sinne, das Eigentum an Grund und Boden bedeutet. Umgekehrt kann das mobile Gut einen so engen Zusammenhang mit der Persönlichkeit haben, daß bei ganz primitiven und oft gerade ganz armen Völkern die Erbschaften an solchen Dingen überhaupt nicht angetreten, sondern, wie aus den verschiedensten Weltgegenden mitgeteilt wird, die Gebrauchsgegenstände des Toten vernichtet werden. Gewiß sind hierzu mystische Vorstellungen wirksam: als ob der Geist des Verstorbenen durch diese Gegenstände angelockt und rückkehrend allerlei Schaden anrichten würde. Allein das beweist ja gerade die enge Verbindung, die zwischen jenen und der Persönlichkeit besteht, so daß der Aberglaube durch sie seinen speziellen Inhalt erhält! Von den Nikobaren wird berichtet, daß es dort als Unrecht gilt, einen Verwandten zu beerben, und deshalb seine Hinterlassenschaft zerstört wird – ausgenommen Bäume und Häuser. Diese tragen den Charakter des immobilen Besitzes, so daß ihre Verbindung mit dem Individuum eine lockere ist und sie zum Übergang auf Andere geeigneter sind. Wir empfinden den Dingen gegenüber das doppelte Verhältnis: der Mensch bleibt und die Dinge wechseln – und: die Dinge bleiben und die Menschen wechseln. Wo nun das erstere überwiegt, im Mobiliarbesitz, fällt unvermeidlich der Bedeutsamkeitston auf den Menschen, die Vorstellung neigt dazu, das Individuum als das Wesentliche zu betonen. Wo umgekehrt die Objekte dem Menschen gegenüber beharren und überleben, tritt das Individuum zurück; der Grund und Boden erscheint als der Fels, an dem das Leben des Einzelnen wie die Welle aufrauscht und abfließt. Damit schafft der Immobiliarbesitz begreiflich die Disposition zu dem Zurücktreten des Einzelnen, das hier dessen Verhältnis zu der Kollektivität als eine Analogie seines Verhältnisses zu den Dingen erscheinen läßt. Daher nun auch die enge Beziehung, die der Grundbesitz gerade zu der auf das Prinzip der Erblichkeit gegründeten Aristokratie hat. Ich erinnere an das früher Erwähnte, wie sehr das aristokratische Prinzip der Familienkontinuität im alten Griechenland in religiös gefesteter Wechselwirkung mit der zentralen Stellung des Grundbesitzes stand: die Veräußerung des Grundbesitzes war nicht nur eine Pflichtverletzung gegen die Kinder, sondern, in noch betonterem Maße, den Ahnen gegenüber! Man hat ferner hervorgehoben, daß, wo die königlichen Lehen rein naturalwirtschaftlicher Art waren, wie im frühen mittelalterlichen Deutschland – während in Ländern, die der Geldwirtschaft etwas näher standen, Lehensverhältnisse leicht auf andere als dingliche Benefizien gegründet werden konnten – sie auf aristokratischen Charakter der ganzen Institution hinwirkten. Das Erbprinzip aber steht im großen und ganzen im Gegensatz zum Individualprinzip. Es bindet den Einzelnen in die Reihe der nacheinander lebenden Personen, wie das Kollektivprinzip ihn in die der nebeneinander lebenden bindet; so garantiert auch im Biologischen die Vererbung die Gleichheit der Generationen. An der Schranke des Vererbungsprinzips macht die wirtschaftliche Individualisierung Halt. Im 13. und 14. Jahrhundert hatte sich zwar die deutsche Einzelfamilie wirtschaftlich vom »Geschlecht« emanzipiert und trat als selbständiges Vermögenssubjekt auf. Aber damit war auch die Differenzierung beendet. Weder der Hausvater, noch Frau oder Kinder hatten scharf bestimmte individuelle Rechte an das Vermögen; es verblieb als Stock der Familiengenerationen. Die einzelnen Familienglieder waren nach dieser Richtung hin noch nicht individualisiert. Die Herausbildung der wirtschaftlichen Individualität beginnt hier also an dem Punkte, wo der Erbgang endet: an der Einzelfamilie, und hört dort wieder auf, wo er noch herrscht: innerhalb der Einzelfamilie; erst wo, wie in der Neuzeit, die Vererbung wesentlich bewegliches Vermögen betrifft, wird dieser Inhalt ihrer mit seinen individualistischen Konsequenzen freilich Herr über ihr formal anti-individualistisches Wesen. Ja selbst die Forderungen der Praxis können dieses oft nicht überwinden, wo es an dem Charakter des Grundbesitzes seine Stütze findet. Es könnte nämlich mancher Schattenseite unseres bäuerlichen Erbrechts in einzelnen Fällen abgeholfen werden, wenn die Bauern testierten. Allein das tun sie sehr selten. Das Testament ist zu individuell gegenüber der Intestaterbfolge. Die Verfügung über den Besitz nach ganz persönlichem, von der Üblichkeit und Allgemeinheit abweichendem Belieben ist ein zu starker Anspruch an die Differenziertheit des Bauern. So dokumentiert sich überall die Immobilität des Besitzes, mag sie mit seiner Kollektivität oder seiner Erblichkeit verbunden sein, als das Hemmnis, dessen Zurückweichen einen proportionalen Fortschritt der Differenzierung und persönlichen Freiheit gestattet. Insofern das Geld das beweglichste unter allen Gütern ist, muß es den Gipfel dieser Tendenz darstellen und ist nun auch tatsächlich derjenige Besitz, der die Lösung des Individuums von den vereinheitlichenden Bindungen, wie sie von anderen Besitzobjekten ausstrahlen, am entschiedensten bewirkt.