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Bei alledem muß festgehalten werden, daß so nur eine Richtung der Entwicklung bestimmt wird, der Entwicklung, die mit einem wirklichen Werte des Geldstoffes, allen anderen Werten koordiniert, begonnen hat. Deshalb müssen einige naheliegende Vorstellungen widerlegt werden, die scheinbar mit der unsrigen von der Wertlosigkeit der Geldsubstanz übereinstimmen, indem sie den Unterschied des Geldes gegen alle anderen Werte betonen und mit diesem beweisen wollen, daß das Geld prinzipiell kein Wert derselben Art wie diese sein kann. Es wurde damit, wie so oft, in der Form der Erstarrung und Vorwegnahme festgelegt, was sich nur in unendlicher Annäherung vollziehen kann. Aus der Abwehr des dogmatischen Wertes des Geldes dürfen wir nicht in ein Dogma von seinem Nichtwert verfallen, zu dem die folgenden Vorstellungen verführen könnten. Es scheint, als ob selbst das nutzbarste Objekt, um als Geld zu funktionieren, auf seine Nützlichkeit verzichten müßte. Wenn z. B. in Abessinien besonders zugeschnittene Stücke Steinsalz als Scheidemünze kursieren, so sind sie doch eben Geld nur dadurch, daß man sie nicht als Salz gebraucht. An der Somaliküste zirkulierten früher Stücke blauen Baumwollstoffes, jedes zwei Ellen groß, als Geld; ein so großer Fortschritt im Sinne des Geldverkehrs dies auch gegenüber dem Zeuggeld ist, das man beliebig zerschneidet und zusammensetzt, so deutet diese Form des Gebrauchs doch eben die Tendenz an, auf die Verwendung des Zeuges als Zeug zu verzichten. Der mögliche Nutzen von Gold und Silber für technische und ästhetische Zwecke kann so lange nicht verwirklicht werden, wie sie als Geld zirkulieren; und so mit allen Geldarten. Von den vielerlei Wirkungen, mit denen die Geldstoffe in unsere Zweckprovinzen hineinstrahlen, müssen alle übrigen schweigen, wenn ihre Wirkung als Geld eintreten soll. In dem Augenblick, in dem sie ihren praktischen, ästhetischen oder sonstigen Wert entfalten, sind sie der Zirkulation entzogen, sind sie nicht mehr Geld. Alle anderen Werte mag man untereinander vergleichen und sie nach dem Maße ihres Nutzbarkeitsquantums austauschen, um sich eben dieses zu eigen zu machen; aus dieser Reihe aber tritt das Geld völlig heraus. Denn sobald man es in demselben Sinne verwendete wie den erhaltenen Gegenwert, würde es eben nicht mehr Geld sein. Zu der besonderen Eignung der Edelmetalle als Geldstoffe mag es beitragen, daß sie besonders leicht aus jeder Formung zu anderweitigem Zwecke in die Geldform zurückverwandelt werden können; darum aber stehen sie doch in jedem gegebenen Augenblick nicht weniger vor der Alternative, entweder Geld oder Schmuckstück zu sein, anders ausgedrückt: entweder als Geld oder als Gebrauchswert zu funktionieren. Scheinbar freilich wird gerade dadurch das Geld in die anderen Wertkategorien wieder eingestellt. Denn wenn ich einen Meter Brennholz kaufe, so werte ich doch auch seine Substanz nur nach dem, was sie mir als Heizmaterial leistet, nicht aber nach einer anderen, etwa außerdem noch möglichen Verwendung. In Wirklichkeit aber liegt es ganz anders. Wenn man behauptet, der Wert des Geldes bestehe in dem Werte seiner Substanz, so heißt das, er liegt in denjenigen Seiten oder Kräften dieser Substanz, nach denen oder mit denen sie gerade nicht Geld ist. Der Widersinn, den dies zu enthalten scheint, weist darauf hin, daß das Geld nicht notwendig von Substanzen, die »an sich«, d. h. in anderweitigen Beziehungen, wertvoll sind, getragen zu werden braucht, sondern daß es genügt, wenn gerade nur die Fähigkeit, als Geld zu funktionieren, auf irgendeine sonst irrelevante Substanz übertragen wird. Ob solcher Verzicht auf alle diejenigen Wertfunktionen, auf die man den notwendigen Wert der Geldsubstanz begründet hat, mit Recht auf die Möglichkeit eines Geldes schließen läßt, das von vornherein nur Geld und weiter nichts sei – gilt es zu prüfen.
Es handelt sich hier um die äußerst wichtige Erscheinung des Objekts mit mehreren Funktionsmöglichkeiten, von denen nur die eine, unter Ausschluß der anderen, verwirklicht werden kann, und um die Frage, wie eben diese verwirklichte in ihrer Bedeutung und ihrem Werte durch das Zurücktreten der übrigen modifiziert wird. Um der gesuchten Einsicht willen, die auf das Nebeneinander verschiedener Möglichkeiten geht, darf man wohl hervorheben, wie das Nacheinander mannigfaltiger Funktionen auf die schließlich die anderen überlebende wirkt. Wenn der reuige Sünder einen höheren Wert für die sittliche Weltordnung haben soll als der Gerechte, der niemals gestrauchelt ist, so zieht die sittliche Höhe jenes solche Bewertung doch nicht aus dem Momente, in dem sie nun wirklich vorhanden ist – denn der ethische Inhalt eben dieses Momentes ist ja vorausgesetztermaßen von der Verfassung des von vornherein Gerechten nicht unterschieden – sondern aus den vorangegangenen, sittlich anders gerichteten, und der Tatsache, daß diese jetzt nicht mehr bestehen. Oder wenn nach starken Hemmungen unserer Tätigkeit, äußerlicher Erzwungenheit ihrer Richtung wieder Freiheit und Selbstbestimmung eintritt, so knüpft sich nun an unser Tun ein spezifisches Wohl- und Wertgefühl, das gar nicht aus den einzelnen Inhalten desselben oder ihrem Erfolge quillt, sondern ausschließlich daraus, daß die Form der Abhängigkeit beseitigt ist: genau dasselbe Tun würde, an eine ununterbrochene Reihe unabhängiger Handlungen sich anschließend, eben dieses Reizes entbehren, der aus dem bloßen Vorbeisein jener früheren Lebensform quillt. Solcher Erfolg des Nicht seienden für das Seiende erscheint etwas modifiziert und unserer speziellen Frage – bei aller inhaltlichen Fremdheit – näher liegend in der Bedeutung, die das unmittelbare Gefühlsleben für das lyrische oder musikalische Kunstwerk besitzt. Denn so sehr Lyrik und Musik auf der Stärke der subjektiven inneren Bewegungen aufgebaut sind, so verlangt ihr Charakter als Kunst doch, daß deren Unmittelbarkeit überwunden werde. Der Rohstoff des Gefühls mit seiner Impulsivität, seiner personalen Beschränktheit, seiner unausgeglichenen Zufälligkeit bildet zwar die Voraussetzung des Kunstwerkes, aber die Reinheit desselben verlangt eine Distanz gegen jenen, eine Erlöstheit von ihm. Das ist ja der ganze Sinn der Kunst, für den Schaffenden wie für den Genießenden, daß sie uns über die Unmittelbarkeit des Verhältnisses zu uns selbst und zur Welt hinaushebe, und ihr Wert hängt daran, daß wir dies hinter uns gelassen haben, daß es als etwas wirkt, was nicht mehr da ist. Und wenn man sagt, es sei doch eben das Nachhallen jenes autochthonen Gefühles, jener ursprünglichsten Erregtheit der Seele, von dem der Reiz des Kunstwerkes lebe, so wird damit gerade zugegeben, daß das Spezifische desselben nicht in demjenigen liegt, was der unmittelbaren und der ästhetischen Form des Gefühlsinhalts gemeinsam ist, sondern in dem neuen Ton, den die letztere insoweit erhält, als die erstere verklungen ist. Und endlich der entschiedenste und allgemeinste Fall dieses Typus, der wegen seiner tiefen Eingebettetheit in unsere fundamentalen Wertungen wenig beachtet wird. Es scheint mir nämlich, als ob eine ungeheure Anzahl von Lebensinhalten, deren Reiz wir genießen, die Höhe desselben dem Umstände verdankt, daß wir um ihretwillen unzählige Chancen anderen Genießens und Uns-Bewährens unausgeschöpft lassen. Nicht nur in dem Aneinander-Vorübergehen der Menschen, ihrem Auseinandergehen nach kurzer Berührung, ja in der völligen Fremdheit gegen unzählige, denen wir und die uns ein Höchstes zu geben hätten – nicht nur an und für sich liegt darin eine königliche Verschwendung, eine lässige Großartigkeit des Daseins, sondern jenseits dieses Eigenwertes des Nichtgenießens strahlt von ihm auch auf das, was wir nun wirklich besitzen, ein neuer, erhöhender, konzentrierender Reiz hinüber. Daß von den unzähligen Möglichkeiten des Lebens gerade diese zur Wirklichkeit geworden ist, verleiht ihr einen sieghaften Ton, die Schatten der unerlösten, ungenossenen Fülle des Lebens bilden ihr Triumphgeleit. Auch das, was man den Menschen gibt, zieht oft seinen Wert für sie aus dem, was man zurückbehält, ja ihnen mit Entschiedenheit vorenthält. Das freundliche Sich-Hingeben insbesondere an etwas Tieferstehende verliert für diese seinen Wert, wenn es allzu weitgehend ist, wenn man allzuwenig reserviert ist. Je mehr der Beschenkte empfindet, daß man noch etwas für sich ist, was man ihm nicht gibt – um so bedeutsamer ist es für ihn, daß man sich, einen Teil von sich, ihm überhaupt gibt. Und so endlich in der Bedeutung unseres Handelns und Schaffens für uns selbst. Plötzliche, zwingende Anforderungen belehren uns oft, daß wir Begabungen und Kräfte für bisher fernliegendste Aufgaben besitzen, Energien, die für immer latent geblieben wären, wenn nicht irgendeine zufällige Not sie herausgelockt hätte. Das weist darauf hin, daß in jedem Menschen außer den Kräften, die er bewährt, noch eine unbestimmte Menge anderer Potenzen schlummern, daß schließlich aus jedem, vieles andere hätte werden können, als tatsächlich geworden ist. Wenn nun das Leben von diesen vielen Möglichkeiten nur eine sehr begrenzte Anzahl zur Bewährung zuläßt, so erscheinen diese um so bedeutsamer und kostbarer, je deutlicher wir empfinden, aus wie vielen sie die Auswahl darstellen, wie viele Betätigungsformen unentwickelt bleiben und ihr Kraftquantum jenen überlassen müssen, damit sie zur Entfaltung gelangen. Indem so eine Fülle an sich möglicher Bewährungen geopfert wird, damit es zu einer bestimmten komme, stellt diese gleichsam den Extrakt eines sehr viel weiteren Umfangs von Lebensenergien dar und zieht aus der Versagtheit der Entwicklung dieser eine Bedeutung und Pointiertheit, einen Ton von Erlesenheit und gesammelter Kraft, die sie, über die von ihr direkt erfüllte Provinz unseres Wesens hinaus, zum Brennpunkt und Vertreter seines Gesamtumfanges macht.
In diesen allgemeinen Typus der Wertbildung mag sich das Geld zunächst einreihen. Es ist sicher richtig, daß die sonstigen Werte des Geldstoffes außer Funktion treten müssen, damit dieser eben Geld werde; allein der Wert, den er als solches besitzt, und der ihn als solches funktionieren läßt, kann von denjenigen Verwertungsmöglichkeiten bestimmt werden, auf die er verzichten muß. Wie in allen eben behandelten Fällen setzt sich der empfundene Wert der verwirklichten Funktion aus ihrem positiven Inhalt und der mitwirkenden Verneintheit jeder anderen, über deren Opfer sie sich erhebt, zusammen. Nicht daß diese anderen Funktionen wirken, sondern daß sie nicht wirken, ist hier das Wirksame. Wenn dies den Wert eines Objektes bestimmt, daß um seinetwillen ein Opfer gebracht wird, so liegt der Wert der Geldsubstanz als solcher darin, daß ihre gesamten Verwendungsmöglichkeiten aufgeopfert werden müssen, damit sie Geld sei. Diese Wertungsart muß natürlich zweiseitig wirksam sein, d. h. der Geldstoff muß auch eine Werterhöhung seiner sonstigen Nutzbarkeiten durch den Verzicht auf seine Verwertung als Geld erfahren. Wenn der Wampum der Indianer aus Muschelschalen bestand, die als Geld dienten, aber auch als Gürtel zum Schmuck getragen wurden, so finden sich diese Funktionen offenbar in reiner Wechselwirkung: auch die Bedeutung der Muscheln als Schmuck hat ganz sicher einen besonderen Oberton von Vornehmheit dadurch erhalten, daß man um ihretwillen auf die unmittelbar mögliche Verwendung als Geld verzichtete. Man kann diesen ganzen Typus als einen Fall des Seltenheitswertes ansehen. Gewöhnlich wird derselbe nur so dargestellt, daß ein Objekt einem gewissen Bedürfnis entspricht, das an mehr Individuen oder in stärkerer Intensität vorhanden ist, als das gegebene Quantum des Objekts zu decken vermag. Wenn hier nun die verschiedenen Bedürfnisse, denen das gleiche Objekt dienen kann, um dasselbe konkurrieren – sei es innerhalb desselben Individuums, sei es zwischen mehreren Individuen – so gründet sich doch auch dieses natürlich auf die Beschränktheit des Vorrats, die nicht gestattet, daß jedes dieser Bedürfnisse sein Genüge finde. Wenn der Verkehrswert etwa des Getreides darauf zurückgeht, daß nicht genug Getreide da ist, um jeden Hunger ohne weiteres zu stillen, so der des Geldstoffes darauf, daß nicht genug davon vorhanden ist, um damit außer dem Bedürfnis nach Geld noch alle anderen auf ihn gerichteten zu befriedigen. So weit entfernt also, daß der Verzicht auf anderweitige Verwertung das Metall als Geld auf eine Wertstufe mit sonst völlig unverwertbaren Stoffen herabsetzte, sehen wir jetzt gerade, daß die möglichen, aber unverwirklichten Verwertungen zu dem Wert, den es als Geld hat, aufs erheblichste mitwirken.
Noch unmittelbarer als die so widerlegte Meinung von der Wertlosigkeit des Geldstoffes will auch die folgende uns glauben machen, daß das Geld kein Wert sein kann. Denkt man sich eine absolut mächtige Persönlichkeit, der innerhalb eines bestimmten Kreises despotisches Verfügungsrecht über alles zustünde, worauf Dir Wunsch sich richtet – wie man von Häuptlingen in der Südsee sagt, daß sie »nicht stehlen können«, weil ihnen von vornherein alles gehört –, so würde ein solches Wesen niemals Veranlassung haben, sich auch das Geld dieses Kreises anzueignen, da es ja alles dessen, was es für Geld haben könnte, sich auch ohnedies unmittelbar bemächtigen darf. Wäre das Geld ein Wert, der zu den sonst vorhandenen Werten hinzukäme, so würde sich sein Wunsch darauf so gut wie auf diese anderen richten können. Geschieht das nun in dem hier fingierten Fall einleuchtenderweise nicht, so scheint zu folgen, daß das Geld wirklich nur eine reine Vertretung realer Werte ist, deren es deshalb nicht mehr bedarf, sobald uns eben diese auch ohne jenes zugängig sind. Dieser einfache Gedanke setzt indes voraus, was er beweisen will: daß das Geldsubstrat keinen eigenen, neben seiner Geldfunktion noch gültigen Wert habe. Denn hätte es einen solchen, so könnte es auch von jenem Machthaber begehrt werden, freilich nicht um seiner Bedeutung als Geld, sondern um seines anderweitigen, nämlich substanziellen Wertes willen. Fehlt dagegen dieser Wert von vornherein, so braucht sein Fehlen nicht nochmals bewiesen zu werden. Über diese logische Unzulänglichkeit hinaus macht aber der Fall allerdings die eigentümliche Wertart des Geldes klar. Den Wert, den das Geld als solches besitzt, hat es als Tauschmittel erworben; wo es also nichts zu tauschen gibt, hat es auch keinen Wert. Denn ersichtlich steht seine Bedeutung als Aufbewahrungs- und Transportmittel nicht in derselben Linie, sondern ist ein Derivat seiner Tauschfunktion, ohne welche es jene anderen Funktionen niemals üben könnte, während sie selbst von diesen unabhängig ist. Sowenig für denjenigen, dem aus irgendeinem Grunde die für Geld erlangbaren Güter wertlos sind, das Geld noch einen Wert hat, so wenig für denjenigen, der kein Geld braucht, um jene zu erlangen. Kurz, das Geld ist Ausdruck und Mittel der Beziehung, des Aufeinanderangewiesenseins der Menschen, ihrer Relativität, die die Befriedigung der Wünsche des einen immer vom anderen wechselseitig abhängen läßt; es findet also da keinen Platz, wo gar keine Relativität stattfindet – sei es, weil man von den Menschen überhaupt nichts mehr begehrt, sei es, weil man in absoluter Höhe über ihnen – also gleichsam in keiner Relation zu ihnen – steht und die Befriedigung jedes Begehrens ohne Gegenleistung erlangen kann. So angesehen verhielte sich die Welt des Geldes zu der der konkreten Werte wie Denken und Ausdehnung bei Spinoza: eine kann überhaupt nicht in die andere eingreifen, weil jede schon für sich und in ihrer Sprache die ganze Welt ausdrückt; d. h. die Summe der Werte überhaupt besteht nicht aus der Summe der Werte der Dinge plus der Summe des Wertes des Geldes, sondern es besteht ein gewisses Wertquantum, das einerseits in jener Form, andrerseits in dieser realisiert ist.
Wäre das Geld völlig auf diesen Wert reduziert, und hätte es jede Koordination mit den Dingen, die an und für sich wertvoll sind, abgestreift, so würde es damit im ökonomischen jene höchst merkwürdige Vorstellung verwirklichen, die der platonischen Ideenlehre zum Grunde liegt. Die tiefe Unbefriedigung an der erfahrbaren Welt, an die wir dennoch gefesselt sind, bewog Plato, ein überempirisches, über Raum und Zeit erhabenes Reich der Ideen anzunehmen, das das eigentliche, in sich befriedigte, absolute Wesen der Dinge in sich enthielte. Zu dessen Gunsten wurde die irdische Wirklichkeit einerseits von allem wahrhaften Sein und aller Bedeutung entleert; andrerseits aber strahlte doch von diesen etwas auf sie zurück, wenigstens als blasser Schatten jenes leuchtenden Reiches des Absoluten hatte sie teil an ihm und gewann auf diesem Umwege schließlich doch noch eine Bedeutsamkeit, die ihr an und für sich versagt war. Dieses Verhältnis findet nun tatsächlich eine Wiederholung oder Bestätigung im Gebiete der Werte. Die Wirklichkeit der Dinge, wie sie vor dem bloß erkennenden Geiste steht, weiß – so stellten wir am Anfang dieser Untersuchungen fest – nichts von Werten; sie rollt in jener gleichgültigen Gesetzmäßigkeit ab, die so oft das Edelste zerstört und das Niedrigste schont, weil sie eben nicht nach Rangordnungen, Interessen und Werten verfährt. Dieses natürliche objektive Sein unterstellen wir nun einer Hierarchie der Werte, wir schaffen eine Gliederung innerhalb seiner nach gut und schlecht, edel und gering, kostbar und wertlos – eine Gliederung, von der jenes Sein selbst in seiner greifbaren Wirklichkeit gar nicht berührt wird, von der ihm aber doch alle Bedeutung kommt, die es für uns haben kann, und die wir, bei aller Klarheit über ihren menschlichen Ursprung, doch in vollem Gegensatz zu aller bloßen Laune und subjektivem Belieben empfinden. Der Wert der Dinge – der ethische wie der eudämonistische, der religiöse wie der ästhetische – schwebt über ihnen wie die platonischen Ideen über der Welt: wesensfremd und eigentlich unberührbar, ein nach eigenen inneren Normen verwaltetes Reich, das aber doch jenem anderen sein Relief und seine Farben zuteilt. Der ökonomische Wert entsteht nun in Ableitung von jenen primären, unmittelbar empfundenen Werten, indem die Gegenstände derselben, insoweit sie austauschbar sind, gegeneinander abgewogen werden. Innerhalb dieses Gebietes aber, gleichviel, wie es sich konstituiert hat, nimmt der ökonomische Wert dieselbe eigenartige Stellung zu den einzelnen Objekten ein, die dem Wert überhaupt zukommt: es ist eine Welt für sich, die die Konkretheit der Objekte nach eigenen, in diesen selbst nicht gelegenen Normen gliedert und rangiert; die Dinge, nach ihrem ökonomischen Werte geordnet und verzweigt, bilden einen ganz anderen Kosmos, als ihre naturgesetzliche, unmittelbare Realität es tut. Wenn das Geld nun wirklich nichts wäre, als der Ausdruck für den Wert der Dinge außer ihm, so würde es sich zu diesen verhalten wie die Idee, die sich Plato ja auch substanziell, als metaphysisches Wesen vorstellt, zu der empirischen Wirklichkeit. Seine Bewegungen: Ausgleichungen, Häufungen, Abflüsse – würden unmittelbar die Wertverhältnisse der Dinge darstellen. Die Welt der Werte, die über der wirklichen Welt, scheinbar zusammenhangslos und doch unbedingt beherrschend, schwebt, würde im Geld die »reine Form« ihrer Darstellung gefunden haben. Und wie Plato die Wirklichkeit, aus deren Beobachtung und Sublimierung die Ideen zustande gekommen sind, dann doch als eine bloße Abspiegelung eben dieser deutet, so erscheinen die wirtschaftlichen Verhältnisse, Abstufungen und Fluktuationen der konkreten Dinge als Derivat ihres eigenen Derivates: nämlich als Vertretungen und Schatten der Bedeutung, die ihren Geldäquivalenten zukommt. Keine andere Gattung von Werten befindet sich in dieser Hinsicht in einer günstigeren Lage, als es die ökonomischen Werte tun. Wenn sich der religiöse Wert in Priestern und Kirchen, der ethisch-soziale in den Verwaltern und sichtbaren Institutionen der Staatsgewalt, der Erkenntniswert in den Normen der Logik verkörpert, so steht keines von diesen losgelöster über den konkreten wertvollen Gegenständen oder Vorgängen, keines ist mehr der bloß abstrakte Träger des Wertes und nichts weiter, kaum in einem geht die Gesamtheit der fraglichen Wertprovinz in so treuer Abspiegelung auf.
Dieser Charakter des reinen Symbols der ökonomischen Werte ist das Ideal, dem die Entwicklung des Geldes zustrebt, ohne ihn je völlig zu erreichen. Es steht ursprünglich – das muß unbedingt festgehalten werden – in einer Reihe mit allen anderen Wertobjekten, und sein konkreter Substanzwert tritt in Abwägung gegen diese. Mit dem steigenden Bedürfnis nach Tauschmitteln und Wertmaßstäben wird es immer mehr aus einem Gliede von Wertgleichungen zu dem Ausdruck derselben und insofern von dem Werte seines Substrates immer unabhängiger. Dennoch kann es einen Rest von substanziellem Werte nicht abstreifen, und zwar nicht eigentlich aus inneren, aus seinem Wesen folgenden Gründen, sondern wegen gewisser Unvollkommenheiten der ökonomischen Technik. Die eine betrifft das Geld als Tauschmittel. Der Ersatz des Eigenwertes des Geldes durch eine bloß symbolische Bedeutung kann, wie wir gesehen haben, daraufhin erfolgen, daß die Proportion zwischen der einzelnen Ware und dem augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtwarenquantum unter bestimmten Modifikationen gleich ist derjenigen zwischen einer Geldsumme und dem augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtgeldquantum; daß die Nenner dieser Brüche nur praktisch, aber nicht bewußt wirksam sind, da nicht sie, sondern nur die wechselnden Zähler von realem, den wirklichen Verkehr bestimmendem Interesse sind; und daß deshalb in diesem Verkehr eine unmittelbare Gleichung zwischen der Ware und der Geldsumme stattzufinden scheint, die freilich auf einer ganz anderen Basis ruht als die primäre Gleichung zwischen dem Objekt und dem Substanzwert des Geldes, welch letztere allmählich in jene übergeht. Wenn diese Entwicklung selbst zugegeben wird, so stehen doch jedenfalls die aus den betreffenden Gesamtwertsummen bestehenden Faktoren zwischen äußerst schwankenden Grenzen, der instinktiv gewonnene Überschlag, in dem sie wirken, kann immer nur ein sehr ungenauer sein. Vielleicht ist dies ein Grund, weshalb auf eine unmittelbare Wertausgleichung zwischen Waren und Geld nicht völlig verzichtet werden kann. Das Stückchen eigenen, materialen Wertes, das im Geld steckt, ist der Halt und die Ergänzung, deren wir bedürfen, weil unsere Erkenntnis zu der genauen Bestimmung jener Proportion nicht ausreicht, bei der allerdings eine Wesensgleichheit zwischen dem Gemessenen und dem Maße, d. h. ein Eigenwert des Geldes sich erübrigen würde. Solange aber empfunden wird und an der Praxis des Wirtschaftens sich zeigt, daß die dieses bedingende Proportion keine Genauigkeit besitzen kann, bedarf das Messen noch einer gewissen qualitativen Einheit des Wertmaßstabes mit den Werten selbst. Es ist vielleicht nicht uninteressant, sich einen entsprechenden Fall aus der ästhetischen Verwertung der Edelmetalle klarzumachen. Von der Londoner Ausstellung von 1851 berichtete ein Kenner über den Unterschied englischer und indischer Gold- und Silberarbeiten: bei den englischen scheine der Fabrikant sich bemüht zu haben, eine möglichst große Menge Metalls in ein Minimum von Formung hineinzupressen; bei den indischen aber sei »das Emaillieren, Tauschieren, Durchbrechen usw. so zur Anwendung gebracht, daß auf das geringst mögliche Metallquantum die größtmögliche Menge vollendet geschickter Arbeit kommt«. Dennoch ist es für die ästhetische Bedeutung auch dieser letzteren sicher nicht gleichgültig, daß das wenige Metall, in dem sich die Formen ausdrücken, eben doch Edelmetall ist. Auch hier ist die Form, d. h. das bloße Verhältnis der Substanzteile zueinander, über die Substanz und ihren Eigenwert Herr geworden. Aber wenn das auch so weit getrieben werden mag, daß die Metallmasse nur noch verschwindenden Wert hat, so muß dieses Minimum, damit der Gegenstand im höchsten Maße schmücke und ästhetisch erfreue, immerhin noch ein edler Stoff sein. Sein eigentlicher Materialwert steht hier freilich nicht mehr in Frage, sondern nur dies, daß überhaupt nur der edelste Stoff der adäquate Träger für ein vollendetes formales Verhältnis der Teile ist.
Es liegt übrigens auf der Hand, daß jene Zurückführung des Materialwertes beim Geld auf ein Ergänzungs- und Festigungsprinzip gegenüber den nicht hinreichend zu sichernden bloßen Relationen nur eine Deutung von Prozessen ist, die völlig unterhalb des Bewußtseins der Wirtschaftenden selbst vorgehen. Die wirtschaftlichen Wechselwirkungen verlaufen eben überhaupt in so wunderbarer Zweckmäßigkeit, in so fein organisiertem Ineinandergreifen unzähliger Elemente, daß man einen überschauenden, nach überindividueller Weisheit schaltenden Geist als Lenker derselben annehmen müßte, wenn man nicht auf die unbewußte Zweckmäßigkeit des menschlichen Gattungslebens zurückgreifen wollte. Bewußtes Wollen und Voraussehen des einzelnen würde nicht ausreichen, das wirtschaftliche Getriebe in derjenigen Harmonie zu halten, die es neben all seinen furchtbaren Dissonanzen und Unzulänglichkeiten aufweist; es müssen vielmehr unbewußte Erfahrungen und Berechnungen angenommen werden, die sich im geschichtlichen Verlauf der Wirtschaft summieren und denselben regulieren. Immerhin darf man nicht vergessen, daß unbewußte Vorstellungen keine zulängliche Erklärung, sondern nur ein Hilfsausdruck sind, der sich eigentlich auf einem Trugschluß aufbaut. Gewisse Handlungen und Gedanken entspringen in uns auf Grund bestimmter Vorstellungen, Schlußreihen usw. Sobald nun aber jene ohne diese Antezedentien in uns auftauchen, so schließen wir, daß eben dieselben, nur in unbewußter Form, dennoch dagewesen wären. Dies aber ist zweifellos logisch unberechtigt. Die bloß negative Tatsache, daß wir uns in diesem Falle keiner begründenden Vorstellungen bewußt sind, drehen wir unter der Hand in die positive um, daß unbewußte Vorstellungen vorhanden sind. Tatsächlich wissen wir über solche, ein psychisches Resultat ohne begründende Bewußtseinsvorgänge darbietende Vorgänge gar nichts Näheres, und die unbewußten Vorstellungen, Erfahrungen, Schlüsse sind nur der Ausdruck dafür, daß jene so verlaufen, als ob bewußte Motive und Ideen ihnen zum Grunde lägen. Dem Erklärungstrieb bleibt aber vorläufig nichts übrig, als diese aufzusuchen und als – unbewußt – wirkende Ursachen zu behandeln, so sehr sie ein bloßes Symbol des wirklichen Verlaufes sind. Bei dem jetzigen Stande des Wissens ist es unvermeidlich und deshalb legitim, die Wertbildungen, ihre Fixierungen und Fluktuierungen als unbewußte Vorgänge nach den Normen und Formen der bewußten Vernunft zu deuten.
Die zweite Veranlassung dazu, das Geld nicht in seinem Symbolcharakter völlig aufgehen zu lassen, liegt mehr nach seiner Bedeutung als Element des Verkehrs hin. So sehr die Tauschfunktionen des Geldes, abstrakt betrachtet, durch ein bloßes Zeichengeld erfüllt werden könnten, so würde doch keine menschliche Macht es mit den hinreichenden Garantien gegen die dann naheliegenden Mißbräuche umgeben können. Die Tausch- wie die Meßfunktion jedes Geldes ist offenbar an eine bestimmte Begrenzung seiner Quantität, an seine »Seltenheit«, wie man zu sagen pflegt, gebunden. Gilt nämlich jene Proportion zwischen dem Einzelquantum und dem Gesamtquantum von Waren und Geld, so scheint sie freilich bei jeder beliebigen Vermehrung des letzteren unverändert und mit gleicher Bedeutung für die Preisbildung weiterbestehen zu können. Der Geldbruch zeigte dann nur bei der Vergrößerung des Nenners auch die proportionale Vergrößerung des Zählers, ohne seinen Wert zu ändern. Allein tatsächlich findet bei sehr erheblicher Geldvermehrung diese Proportionalität der Änderung nicht statt. Während vielmehr in Wirklichkeit der Nenner des Geldbruches sich sehr vergrößert, bleibt zunächst, und bis alle Verkehrsverhältnisse sich der neuen Grundlage angepaßt haben, der Zähler derselbe. Der Preis also, der aus der absoluten Größe des letzteren besteht, ist vorläufig ungeändert, während er relativ, d. h. während der Geldbruch, viel kleiner wird. Infolgedessen ist der Besitzer der neuen Geldmassen, zunächst also etwa die Regierung, in einer außerordentlich begünstigten Lage allen Warenverkäufern gegenüber, worauf dann unvermeidlich Reaktionen voll schwerster Erschütterungen des Verkehrs eintreten müssen, und zwar besonders von dem Augenblick an, wo die Einnahmen der Regierung selbst in dem entwerteten Gelde eingehen. Der Zähler des Geldbruches – der Preis der Waren – hebt sich natürlich erst dann proportional, wenn der übermäßige Geldvorrat der Regierung im wesentlichen ausgegeben ist. Sie findet sich also den erhöhten Preisen ihrer Bedürfnisse wieder mit einem gesenkten Geldvorrat gegenüber, eine Situation, in der die Versuchung, ihr durch eine neue Emission von Geld zu begegnen, meist unwiderstehlich ist und das Spiel von neuem beginnen läßt. Ich führe dies nur als Typus der zahlreichen und so oft behandelten Mißerfolge willkürlicher Papiergeldemissionen an. Solche liegen aber verführerisch nahe, sobald nicht eine feste Bindung des Geldes an eine Substanz da ist, deren Vermehrung eine begrenzte ist. Ja, eine äußerlich gegenteilige Erscheinung beweist dies um so entschiedener. Im 16. Jahrhundert schlug ein französischer Staatsmann vor, man solle doch künftig das Silber nicht mehr als Geld verwenden, sondern die Münzen aus Eisen prägen – und zwar von dem Gesichtspunkt aus, daß die Masseneinfuhr des Silbers aus Amerika diesem Metall seine Seltenheit raubte. Nähme man dagegen ein Metall, das ausschließlich durch die staatliche Prägung überhaupt einen Wert erhält, so läge darin eine größere Garantie für die erforderliche Eingeschränktheit des Geldquantums; während, wenn jeder Besitzer von Silber damit unmittelbar auch Geld habe, es an jeder Grenze für seine Masse fehle. Dieser merkwürdige Vorschlag zeigt also ein sehr klares Gefühl dafür, daß Edelmetall nicht als solches der geeignete Geldstoff ist, sondern nur insofern es der Geldherstellung die unentbehrliche Grenze steckt; so daß, wenn es dies zu tun aufhört, irgendein anderes Substrat, zu dessen Einschränkbarkeit man größeres Vertrauen hat, an seine Stelle zu treten hat – wie es denn überhaupt nur bestimmte funktionelle Qualitäten der Edelmetalle sind, die ihnen den Vorzug als Zirkulationsmittel verschaffen, und, wenn diese ihnen einmal aus irgendeinem Grunde fehlen, ein anderes in diesen Hinsichten besser qualifiziertes Umlaufsmittel an ihre Stelle tritt: in Genua trieb im Jahre 1673 eingestandenermaßen die elende Beschaffenheit und unberechenbare Verschiedenheit der einströmenden Münzen dazu, den Verkehr auf Wechsel und Anweisungen zu basieren. Wir wissen heute nun freilich, daß nur die Edelmetalle oder sogar nur das Gold die Garantie für die erforderlichen Qualitäten, insbesondere für die Quantitätsbeschränkung gibt, und daß Papiergeld der Gefahr des Mißbrauchs durch willkürliche Vermehrung nur durch ganz bestimmte Bindungen an Metallwert entgeht, die entweder durch Gesetz oder durch die Wirtschaft selbst fixiert sind. Wie wirksam die Zweckmäßigkeit dieser Einschränkung ist – so daß sie sogar über den primären individuellen Nutzen völlig Herr werden kann – zeigt z. B. die folgende Erscheinung. Während des Bürgerkrieges in den Vereinigten Staaten war in den westlichen Staaten die Zirkulation des Papiergeldes – der Greenbacks – tatsächlich ausgeschlossen; obgleich sie gesetzliches Zahlungsmittel waren, wagte niemand, ein in Gold empfangenes Darlehen in ihnen zurückzuzahlen, wobei er einen Gewinn von 150 % gemacht hätte. Ähnlich ging es sogar anfangs des 18. Jahrhunderts mit Schatzbons, die die französische Regierung in großer Geldnot ausgab. Obgleich sie durch Gesetz bestimmte, daß von jeder Zahlung ein Viertel in diesen Bons geleistet werden dürfe, so fielen sie dennoch sehr bald auf einen ganz geringen Bruchteil ihres Nominalwertes. Solche Fälle beweisen, wie sehr die Gesetze des Verkehrs selbst die Bedeutung des Metallgeldes konservieren. Und zwar können sie das keineswegs nur nach dem Typus der angeführten Beispiele. Als die Bank von England zwischen 1796 und 1819 ihre Noten nicht mehr einlöste, betrug schließlich die Entwertung derselben gegen Gold nur 3-5 %; aber die Warenpreise erhöhten sich infolgedessen um 20-50 %! Und wo ein Zwangskurs ausschließlich Papier und Scheidemünze im Verkehr läßt, sind die schwersten Schädigungen nur dadurch zu vermeiden, daß das Agio für längere Perioden immer nur minimale Schwankungen zeigt, was eben seinerseits nur durch genaue Eingrenzung der Papiergeldemissionen möglich ist. Diese unentbehrliche regulierende Bedeutung aber hat das Gold und hatte früher auch das Silber nicht wegen seiner Wertgleichheit mit den Gegenständen, deren Austausch es vermittelt, sondern wegen seiner relativen Seltenheit, die die Überschwemmung des Marktes mit Geld und damit die fortwährende Zerstörung derjenigen Proportion verhindert, auf der die Äquivalenz einer Ware mit einem bestimmten Geldquantum beruht. Und zwar findet die Zerstörung dieser Proportion von beiden Seiten her statt. Die übermäßige Geldvermehrung erzeugt im Volke einen Pessimismus und Argwohn, infolgedessen man soweit wie möglich des Geldes zu entraten und auf Naturaltausch oder Obligation zurückzugreifen sucht. Indem dies die Nachfrage nach Geld vermindert, sinkt für das kursierende der Wert, der eben in der Nachfrage liegt. Da nun die geldemittierende Instanz dieser Wertverringerung durch gesteigerte Vermehrung entgegenarbeiten wird, so müssen Angebot und Nachfrage immer weiter auseinanderklaffen und der circulus vitiosus der angedeuteten Gegenwirkungen den Wert solchen Geldes immer tiefer senken. Auch kann das Mißtrauen gegen die durch die staatliche Prägung erzeugte Wertung des Geldsubstrats – gegenüber der Zuverlässigkeit des reinen Metallwertes – die Form annehmen, daß in der späteren römischen Republik die Münze eigentlich nur im Detailverkehr zirkulierte, der Großverkehr dagegen sich überwiegend des Geldes nach Gewicht bediente; nur so glaubte er gegen politische Krisen, Parteiinteressen und Regierungseinflüsse gesichert zu sein.
Nach alledem scheint es freilich, als wären die Unzuträglichkeiten einer durch nichts begrenzten Geldvermehrung nicht eigentlich ihr selbst, sondern nur der Art ihrer Verteilung zuzuschreiben. Nur weil das aus dem Nichts geschaffene Geld sich zunächst in einer Hand befindet und sich von da aus in ungleichmäßiger und unzweckmäßiger Weise verbreitet, entstehen jene Erschütterungen, Hypertrophien und Stockungen; sie scheinen vermeidlich, wenn man einen Modus fände, der die Geldmassen entweder gleichmäßig oder nach einem bestimmten Gerechtigkeitsprinzip zur Verteilung brächte. So ist behauptet worden, daß, wenn plötzlich jeder Engländer in seiner Tasche das Geld verdoppelt fände, dadurch zwar eine entsprechende Erhöhung aller Preise eintreten, dieselbe aber niemandem einen Vorteil bringen würde; der ganze Unterschied wäre, daß man die Pfunde, Schillinge und Pence in höheren Ziffern zu rechnen hätte. Damit würde nicht nur der Einwand gegen das Zeichengeld fortfallen, sondern nun würde der Vorteil der Geldvermehrung hervortreten, der sich auf die empirische Tatsache gründe, daß mehr Geld immer auch mehr Verkehr, Behagen, Macht und Kultur bedeutet habe.
So wenig nun die Erörterung dieser, auf ganz unrealisierbaren Voraussetzungen ruhenden Konstruktionen um ihrer selbst willen lohnt, so führt sie doch über die Erkenntnis realer Verhältnisse, die es bewirken, daß die allmähliche Auflösung des Substanzwertes des Geldes niemals ihren Endpunkt völlig erreichen kann. – Nehmen wir jenen idealen Zustand als gegeben an, in dem die Vermehrung des Geldes wirklich die gleichmäßige Erhöhung jedes individuellen Besitzes bewirkt habe, so widerspricht die eine Folgerung: daß alles beim alten bleibt, da alle Preise gleichmäßig in die Höhe gingen – der anderen, die der Vermehrung des Geldes eine Belebung und Erhöhung des gesamten Verkehrs zuschreibt. Denn die Vorstellung liegt zwar verlockend nahe: die Verhältnisse der Individuen untereinander, d. h. die soziale Position eines jeden zwischen dem darüber und dem darunter Stehenden würden in diesem Falle ungeändert bleiben; dagegen die objektiven Kulturgüter würden in lebhafterer, intensiverer und extensiverer Weise produziert werden, so daß schließlich die Lebensinhalte und -genüsse jedes Einzelnen, absolut genommen, mit dem sozialen Gesamtniveau gestiegen wären, ohne daß sich in den Reichtums- oder Armutsverhältnissen ebendesselben, die sich nur durch seine Relation zu anderen bestimmen, etwas geändert hätte. Man könnte darauf hinweisen, daß die moderne geldwirtschaftliche Kultur schon jetzt eine Reihe von Gütern – öffentliche Einrichtungen, Bildungsmöglichkeiten, Unterhaltsmittel usw. – – dem Armen zugängig gemacht hat, die früher sogar der Reiche entbehren mußte, ohne daß dadurch die relative Stellung beider zugunsten des ersteren verschoben wäre. Diese Möglichkeit: daß die proportional ausgeteilte Geldvermehrung die objektive Kultur, also auch den Kulturinhalt des einzelnen Lebens, absolut genommen, vermehre, während die Verhältnisse der Individuen untereinander ungeändert bleiben – ist an sich gewiß der Erörterung wert. Sieht man aber genau zu, so ist jener sachliche Erfolg doch gar nicht anders zu realisieren, als daß die Geldvermehrung – wenigstens zunächst – vermittels einer ungleichmäßigen Verteilung wirkt. Das Geld, ein ausschließlich soziologisches, in Beschränkung auf ein Individuum ganz sinnloses Gebilde, kann irgendeine Veränderung gegen einen gegebenen Status nur als Veränderung der Verhältnisse der Individuen untereinander bewirken. Die gesteigerte Lebhaftigkeit und Intensität des Verkehrs, die einer Geldplethora folgt, geht darauf zurück, daß mit ihr die Sehnsucht der Individuen nach mehr Geld gesteigert wird. Der Wunsch, von dem Geld der anderen möglichst viel in die eigene Tasche zu leiten, ist zwar ein chronischer, er wird aber offenbar nur dann akut genug, um den Einzelnen zu besonderer Kraftanspannung und Emsigkeit zu führen, wenn diesem sein Minderbesitz anderen gegenüber besonders scharf und dringend ins Bewußtsein tritt; in welchem Sinne man sagt: les affaires – c'est l'argent des autres. Wenn die Voraussetzung jener Theorie einträte: daß die Vermehrung des Geldquantums die Relationen der Menschen zueinander und der Warenpreise zueinander völlig ungeändert ließe, so würde es zu solcher Anstachelung der Arbeitsenergien nicht kommen. Auch wird jene zauberhafte Verdoppelung der Geldquanten nur dann keine Veränderung der Relationen mit sich bringen, wenn sie nicht auf eine bestehende Verschiedenheit der Besitze trifft. Denn die Verdoppelung z. B. dreier Einkommen von 1000, 10 000 und 100 000 Mark verschiebt auch das Verhältnis ihrer Besitzer gegen den vorigen Stand sehr erheblich, da für die zweiten 1000 usw. Mark doch nicht bloß das Doppelte der für die ersten 1000 usw. Mark beschafften Dinge gekauft wird. Es würde vielmehr auf der einen Seite etwa nur zu einer Verbesserung der Nahrung, auf der zweiten zu einer Verfeinerung der ästhetischen Kultur, auf der dritten zu größeren Spekulationswagnissen kommen. Unter der Voraussetzung vorangängiger absoluter Gleichheit würden allerdings die subjektiven Niveaus ungeändert bleiben, aber auch das objektive – während anderenfalls dieses letztere in unberechenbarer Weise alteriert würde und jedenfalls jenen gerühmten Aufschwung nur dann zeigen würde, wenn die Unterschiede im Besitz der Einzelnen entschiedener als vorher bestehen oder empfunden werden.
Noch näher aber an unser Ziel reichen die Überlegungen heran, die sich an die sachliche Seite jener Theorie knüpfen: daß die Verdoppelung jedes Geldbesitzes deshalb alles ungeändert ließe, weil damit sogleich auch für alle Warenpreise gleichmäßige Verdoppelung eintreten würde. Allein diese Begründung ist irrig und übersieht eine eigentümliche, tief einschneidende Bestimmtheit des Geldes, die man seinen relativen Elastizitätsmangel nennen könnte: sie besteht darin, daß ein neues, innerhalb eines Wirtschaftskreises verteiltes Geldquantum die Preise nicht nach ihren bisher bestehenden Proportionen erhöht, sondern neue Preisverhältnisse zwischen ihnen schafft, und zwar auch ohne daß die Macht individueller Interessenten diese Verschiebung bewirkt. Sie beruht vielmehr auf den Folgen der Tatsache, daß der Geldpreis einer Ware, trotz seiner Relativität und seiner inneren Zusammenhangslosigkeit mit der Ware, dennoch bei längerem Bestehen eine gewisse Festigkeit annimmt und daraufhin als das sachlich angemessene Äquivalent erscheint. Wenn der Preis eines Gegenstandes lange Zeit hindurch sich auf einem bestimmten Durchschnittsniveau innerhalb bestimmter Schwankungsgrenzen gehalten hat, so pflegt er diese Höhe auf Grund einer Änderung des Geldwertes nicht zu verlassen, ohne irgendeinen Widerstand zu leisten. Die Assoziation – nach Begriffen wie nach Interessen – zwischen dem Gegenstand und seinem Preise ist psychologisch so fest geworden, daß weder der Verkäufer dessen Sinken, noch der Käufer dessen Steigen mit jener Leichtigkeit zugeben, die selbstverständlich sein müßte, wenn der Ausgleich zwischen Geldwert und Warenwert wirklich durch denselben hemmungslosen Mechanismus erfolgte, durch den das Thermometer je nach der Lufttemperatur steigt oder sinkt, ohne die Genauigkeit der Proportion zwischen Ursache und Wirkung durch eine Verschiedenheit des Widerstandes zu stören, den es der einen Bewegung mehr als der anderen entgegensetze. Auch wenn man plötzlich noch einmal so viel Geld in der Tasche hat als kurz vorher, ist man doch nicht geneigt, nun ebenso plötzlich für jede Ware das Doppelte wie vorher aufzuwenden; man wird allerdings vielleicht, im Übermut des neuen Besitzes, dessen Bedeutung man unvermeidlich nicht nach dem neuen, sondern nach dem von früher gewohnten Maßstab schätzt, nach dem Preise überhaupt nicht fragen. Allein das Überschreiten des jetzt Angemessenen zeigt nicht weniger als das Dahinter-Zurückbleiben, daß von einer proportionalen Regulierung der Preise wenigstens in der ersten Zeit der Geldplethora nicht die Rede sein kann, daß in diese Regulierung vielmehr die festgewordene Assoziation zwischen der Ware und dem gewohnten Preisspielraum immerzu ablenkend eingreift. Ferner wird sich die Nachfrage nach den Waren bei einer, wenn auch alle Wirtschaftenden gleichmäßig treffenden Herab- oder Heraufsetzung ihres Geldbesitzes sehr verschieben. Im ersteren Falle werden z. B. bisher ziemlich gleichmäßig verkäufliche Objekte bis zu einem gewissen Maß des Umfanges oder der Überflüssigkeit noch für die Hälfte des Preises abzusetzen sein, jenseits jener Grenze aber überhaupt keinen Abnehmer mehr finden. Andrerseits, im Falle allseitiger Geldvermehrung, wird eine stürmische Nachfrage nach Gütern entstehen, die für die breiten Massen das bisherige Ziel ihrer Wünsche waren, also denjenigen, die unmittelbar oberhalb des Niveaus ihrer bisherigen Lebenshaltung liegen; weder für die primitivsten Bedürfnisse – deren Verbrauchsmenge physiologisch begrenzt ist – noch für die feinsten und höchsten – die immer nur für kleine, sehr langsam vergrößerbare Kreise von Bedeutung sind – würde sich die Nachfrage erheblich steigern. Die Preiserhöhung würde also jene mittleren Güter in extremer Weise treffen, auf Kosten der anderen, in ihren Preisen relativ verharrenden; von einer proportionalen Verteilung des Geldzuflusses auf alle Preise könnte nicht die Rede sein. Prinzipiell ausgedrückt: die Lehre von der Gleichgültigkeit des absoluten Quantums vorhandenen Geldes, die sich auf die Relativität der Preise stützt, ist deshalb unrichtig, weil diese Relativität in der praktischen Preisbildung nicht vollständig besteht, sondern von einer psychologischen Verfestigung und Verabsolutierung der Preise in Hinsicht bestimmter Waren fortwährend durchbrochen wird.
Nun wird man vielleicht diesen Bedenken gegen die Harmlosigkeit der durch keine äußere Schranke begrenzten Geldvermehrung entgegenhalten, daß sie doch nur die Übergangszeiten zwischen je zwei Anpassungen des Preisniveaus beträfen. Ihre Voraussetzung ist ja gerade, daß der ganze Prozeß von einer nach den Quantitätsverhältnissen von Waren und Geld bestimmten Proportionalität der Preise ausgeht. Eben diese muß doch aber auch auf einem anderen Niveau herstellbar sein, und so gut wie die Schwankungen, die jener früheren vorausgingen, einmal beseitigt worden sind, können es auch die später entstehenden. Jene Bedenken gelten nur der Veränderung des Zustandes, aber nicht dem veränderten Zustand, den man nicht für die Unausgeglichenheiten, Erschütterungen und Schwierigkeiten des Überganges zu ihm verantwortlich machen dürfe. Es läßt sich allerdings kein Quantum von Umlaufsmitteln denken, an das nicht schließlich eine vollkommene Anpassung stattfinden, d. h. bei dem nicht der Geldpreis einer Ware die Proportion zwischen ihrem Werte und dem des in Frage kommenden Gesamtwarenquantums gerecht ausdrücken könnte; so daß die beliebige Vermehrung des Geldes diese Proportion nicht dauernd zu stören vermöchte. – Dies ist ganz richtig. Allein es beweist dennoch nicht, daß die Entfernung jeder inneren Schranke der Geldvermehrung innerhalb der Unzulänglichkeit menschlicher Verhältnisse möglich wäre. Denn sie würde ja gerade jenen Übergangszustand, dessen Schwankungen und Schwierigkeiten zugegeben sind, in Permanenz erklären und würde es zu der Angepaßtheit, die prinzipiell freilich für jedes Quantum von Geld erreichbar ist, niemals kommen lassen.
Man könnte diese Erörterungen so zusammenfassen: das Geld er füllt seine Dienste am besten, wenn es nicht bloß Geld ist, d. h. nicht bloß die Wertseite der Dinge in reiner Abstraktion darstellt. Denn daß die Edelmetalle zum Schmuck und zu technischen Zwecken verwendbar sind, ist zwar auch wertvoll, aber doch als primäre Tatsache von der sekundären: daß sie infolge jener wertvoll sind – durchaus begrifflich zu unterscheiden; während das Geld an seinem Wertsein seine erste und einzige Bestimmung hat. Aber eben die Realisierung dieses begrifflich Geforderten, der Übergang der Geldfunktion an ein reines Zeichengeld, ihre völlige Lösung von jedem, die Geldquantität einschränkenden Substanzwert ist technisch untunlich – während doch der Fortschritt der Entwicklung so erfolgt, als ob sie an diesem Punkte münden sollte. Das ist so wenig ein Widerspruch, daß vielmehr eine unübersehbare Anzahl von Entwicklungen nach demselben Schema vor sich gehen: sie nähern sich einem bestimmten Zielpunkte, werden durch denselben unzweideutig in ihrer Richtung bestimmt – würden aber bei wirklicher Erreichung desselben gerade die Qualitäten einbüßen, die sie durch das Streben zu ihm erhalten haben. Eine eminent geldwirtschaftliche Erscheinung mag das zunächst beleuchten, die zugleich an individuellen Verhältnissen eine Analogie für die Folgen unbegrenzter Geldvermehrung beibringt. Das Streben des Einzelnen, immer mehr Geld zu verdienen, ist von der größten sozial-ökonomischen Bedeutung. Indem der Börsenkaufmann möglichst große Gewinne zu machen sucht, schafft er die Lebhaftigkeit des Verkehrs, die gegenseitige Deckung von Angebot und Nachfrage, die Einbeziehung vieler sonst steriler Werte in den ökonomischen Kreislauf. Allein die Realisierung sehr hoher Börsengewinne ist in der Regel nur bei unmäßigem Schwanken der Kurse und Überwiegen des rein spekulativen Elementes zu erzielen. Durch dieses aber wird Produktion und Konsumtion der Waren, auf denen doch das soziale Interesse letzter Instanz beruht, teils hypertrophisch angeregt, teils vernachlässigt, jedenfalls aus derjenigen Entwicklung herausgedrängt, die den eigenen inneren Bedingungen und den realen Bedürfnissen entspricht. Hier ist es also das ganz spezifische Wesen des Geldes, auf dem sich die Divergenz des individuellen vom sozialen Interesse aufbaut, nachdem beide bis zu einem bestimmten Punkte zusammengegangen sind. Nur indem sich der Wert der Dinge von den Dingen selbst gelöst und eine Eigenexistenz an einem besonderen Substrat gewonnen hat, kann dieses Interessen, Bewegungen und Normen an sich ausbilden, die sich gelegentlich denen der damit symbolisierten Objekte ganz entgegengesetzt verhalten. Das privatwirtschaftliche Bestreben, das sich an das Geld knüpft, kann das sozialwirtschaftliche, schließlich an die zu produzierenden und zu konsumierenden Güter gebundene, so lange fördern, wie es sozusagen bloß Bestreben bleibt – während die schließliche Erreichtheit seines Zweckes die des sozialen unterbinden kann. – Am häufigsten und entschiedensten wird sich dieser Typus an Fällen verwirklichen, wo Impulse des Gefühls ein absolutes Ziel erstreben, ohne sich darüber klar zu sein, daß sich alle erhoffte Befriedigung nur an die relative Annäherung an dieses knüpft, um bei restloser Erreichung vielleicht sogar in ihr Gegenteil umzuschlagen. Ich erinnere an die Liebe, die durch den Wunsch nach innigster und dauernder Vereinigung ihren Inhalt und ihre Färbung erhält, um nur allzuoft, wenn jene erreicht ist, dieses beides zu verlieren; an politische Ideale, die dem Leben ganzer Generationen seine Kraft, seinen geistig-sittlichen Schwung verleihen, aber nach ihrer Realisierung durch diese Bewegungen durchaus keinen idealen Zustand, sondern einen solchen von Erstarrung, Philistrosität und praktischem Materialismus hervorrufen; an die Sehnsucht nach Ruhe und Ungestörtheit des Lebens, die seinen Mühen und Arbeiten das Ziel gibt, um gerade, nachdem sie gewonnen ist, so oft in innere Leere und Unbefriedigung auszugehen. Ja, es ist schon eine Trivialität geworden, daß selbst das Glücksgefühl, obgleich ein absolutes Ziel unserer Bestrebungen, doch zu bloßer Langeweile werden müßte, wenn es wirklich als ewige Seligkeit realisiert würde; obgleich also unser Wille nur so verläuft, als ob er an diesem Zustand münden sollte, so würde derselbe als erreichter ihn selbst dementieren und erst der Zusatz seines geflohenen Gegensatzes, des Leidens, kann ihm seinen Sinn erhalten. Näher kann man diesen Entwicklungstypus so beschreiben: Die zweckmäßige Wirksamkeit bestimmter, vielleicht aller Elemente des Lebens ist davon abhängig, daß neben ihnen entgegengesetzt gerichtete bestehen. Die Proportion, in der ein jedes und sein Gegenteil geeignet zusammenwirken, ist natürlich eine veränderliche, und zwar manchmal in dem Sinne veränderlich, daß das eine Element stetig zunimmt, das andere stetig abnimmt; die Richtung der Entwicklung ist also eine solche, als ob sie auf völlige Verdrängung des einen durch das andere hinzielte. Allein in dem Augenblick, in dem dies einträte und jeder Beisatz des zweiten Elementes völlig verschwände, wäre auch die Wirksamkeit und der Sinn des ersteren lahmgelegt. Das tritt etwa bei dem Gegensatz der individualistischen und der sozialistischen Gesellschaftstendenz ein. Es gibt historische Epochen, in denen z. B. die letztere die Entwicklung der Zustände beherrscht, und zwar nicht nur in Wirklichkeit, sondern auch als Folge idealer Gesinnungen und als Ausdruck einer fortschreitenden, der Vollkommenheit sich nähernden Gesellschaftsverfassung. Wenn nun aber die Parteipolitik einer solchen Zeit schließt: da jeder Fortschritt jetzt auf einem Anwachsen des sozialistischen Elementes beruht, so wird das vollkommenste Herrschen desselben der fortgeschrittenste und ideale Zustand sein – so übersieht sie, daß jener ganze Erfolg von Maßregeln sozialistischer Tendenz daran gebunden ist, daß sie in eine im übrigen noch individualistische Wirtschaftsordnung hineingebracht werden. Alle durch ihre relative Zunahme bedingten Fortschritte gestatten gar nicht den Schluß, daß ihr absolutes Sich-Durchsetzen einen weiteren Fortschritt darstellen würde. Ganz entsprechend geht es in den Perioden des steigenden Individualismus. Die Bedeutung der von ihm geleiteten Maßregeln ist daran gebunden, daß noch immer Institutionen zentralistischen und sozialisierenden Charakters vorhanden sind, die zwar mehr und mehr herabgedrückt werden können, deren völliges Verschwinden aber auch jene zu sehr unerwarteten und von ihren bisherigen sehr verschiedenen Erfolgen führen würde. Ähnlich verhält es sich in den künstlerischen Entwicklungen mit den naturalistischen und den stilisierenden Bestrebungen. Jeder gegebene Moment der Kunstentwicklung ist eine Mischung aus bloßer Abspiegelung der Wirklichkeit und subjektiver Umbildung derselben. Nun mag, vom Standpunkt des Realismus aus, die Kunst durch fortwährendes Wachsen des objektiven Elementes sich immer vollkommener entwickeln. Allein in dem Augenblick, wo dies den alleinigen Inhalt des Kunstwerkes bildete, würde das bis dahin immer gesteigerte Interesse plötzlich in Gleichgültigkeit umschlagen, weil das Kunstwerk dann sich von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden und die Bedeutung seiner Sonderexistenz einbüßen würde. Andrerseits muß die Steigerung des verallgemeinernden und idealisierenden Momentes, so sehr es eine Zeitlang die Kunst veredeln mag, an einen Punkt kommen, wo die Ausscheidung jeder individualistischen Zufälligkeit ihr die Beziehung zur Wirklichkeit überhaupt nehmen muß, die jene idealistische Bewegung gerade in immer reinerer und vollkommenerer Form darstellen sollte. Kurz, eine Reihe der wichtigsten Entwicklungen vollziehen sich nach dem Schema: daß das immer steigende Übergewicht eines Elementes einen gewissen Erfolg immer steigert, ohne daß doch die absolute Herrschaft jenes und völlige Eliminierung des entgegengesetzten diesen Erfolg nun auch auf seine absolute Höhe höbe; umgekehrt würde jene ihn sogar seines bisher innegehaltenen Charakters berauben. – Nach solchen Analogien mag sich das Verhältnis zwischen dem substanziellen Eigenwert des Geldes und seinem bloß funktionellen und symbolischen Wesen entwickeln: immer mehr ersetzt das zweite den ersteren, während irgendein Maß dieses ersteren noch immer vorhanden sein muß, weil bei absoluter Vollendung dieser Entwicklung auch der Funktions- und Symbolcharakter des Geldes seinen Halt und seine zweckmäßige Bedeutung einbüßen würde.
Es handelt sich aber hiermit nicht nur um eine formale Analogie innerlich verschiedener Entwicklungen, sondern um die Einheit des tieferen Lebenssinnes, der sich in dieser äußeren Gleichheit verwirklicht. Mit der Vielheit der Elemente und Tendenzen, als deren Ineinander und Durcheinander das Leben sich vorfindet, scheinen wir praktisch nur so auszukommen, daß wir unser Verhalten auf jedem Gebiet und in jeder Periode von einem einheitlichen und einseitigen Prinzip absolut regieren lassen. Auf diesem Wege aber holt jene Mannigfaltigkeit des Wirklichen uns immer wieder ein und verwebt unsere subjektive Bestrebung mit allen gegensätzlichen Faktoren zu einem empirischen Dasein, in dem das Ideal überhaupt erst in die Wirklichkeit eintreten kann; das bedeutet durchaus keine Dementierung jenes, vielmehr ist das Leben auf solche absolute Bestrebungen als Elemente seiner eingerichtet wie die physikalische Welt auf Bewegungen, die, ungestört sich selbst überlassen, zu Unausdenkbarem führen würden, aber nun, mit hemmenden Gegenwirkungen zusammenstoßend, gerade das vernunftmäßige Naturgeschehen ergeben. Und wenn die praktische Welt so zustande kommt, daß unser Wollen eine Richtung ins Ungemessene verfolgt und erst durch Abbiegungen und Zurückbiegungen gleichsam zu dem Aggregatzustand des Wirklichen gelangt, so hat auch hier das praktische Gebilde das theoretische vorgeformt: auch unsere Begriffe von den Dingen bilden wir unzählige Male so, daß die Erfahrung sie in dieser Reinheit und Absolutheit überhaupt nicht zeigen, sondern daß erst Abschwächung und Einschränkung durch entgegengesetzt gerichtete ihnen eine empirische Form geben kann. Darum aber sind jene Begriffe nicht etwa verwerflich; sondern gerade durch dies eigentümliche, exaggerierende und wieder reduzierende Verfahren an Begriffen und Maximen kommt das unserer Erkenntnis beschiedene Weltbild zustande. Die Formel, mit der unsere Seele zu der ihr unmittelbar nicht zugängigen Einheit der Dinge gleichsam nachträglich, nachbildend ein Verhältnis gewinnt, ist, im Praktischen wie im Theoretischen, ein primäres Zusehr, Zuhoch, Zurein, dem zurückdämmende Gegensätze die Konsistenz und den Umfang der Wirklichkeit wie der Wahrheit eintragen. So bleibt der reine Begriff des Geldes, als der bloße, jedem Eigenwert fremde Ausdruck des gegenseitig gemessenen Wertes der Dinge, völlig gerechtfertigt, obgleich die historische Wirklichkeit immer nur als Herabsetzung dieses Begriffes vermittels des entgegengesetzten, des Eigenwertbegriffes des Geldes, auftritt. Unser Intellekt kann nun einmal das Maß der Realität nur als Einschränkung reiner Begriffe ergreifen und begreifen, die sich, wie sie auch von der Wirklichkeit abweichen, durch den Dienst legitimieren, den sie der Deutung dieser leisten.