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Ich habe oben einmal erwähnt, daß Geldgier und Geiz, so sehr sie in der Mehrzahl der Fälle vereinigt auftreten, dennoch begrifflich und psychologisch genau zu unterscheiden sind. Und tatsächlich gibt es auch Erscheinungen, die sie in Sonderung zeigen; das Tempo des Weges zum Gelde hin zeigt vielfach eine völlige Unabhängigkeit von dem des Weges vom Gelde weg, und zwar keineswegs nur da, wo Geldgier und Geiz im engeren Sinne in Frage stehen, sondern schon auf den Stufen, auf denen die inneren Bewegungen noch nicht die Grenze des Normalen überschritten haben. Das wird hauptsächlich durch jene illegitime Höhersetzung des Geldes in der Zweckreihe bewirkt, die, weil sie kein sachliches Maß in sich hat, ihre Bedeutung vielfach ändert, so daß das Geld, solange es noch zu gewinnen ist, ganz andere Wertgefühle weckt, als wenn es sich um seine Weggabe für weitere Objekte handelt. Die Spannung des Wertgefühls dem Gelde gegenüber, die den Weg zu ihm begleitete, läßt mit seiner Erreichtheit nach, was man so ausgedrückt hat, daß die meisten Menschen als Konsumenten das Gesetz der Wirtschaftlichkeit nicht so genau beobachten, wie sie es als erwerbende Geschäftsleute tun. Aus dieser Erfahrung heraus, daß wir im Erwerben strenger, exakter, weniger leichtsinnig sind, als im Ausgeben, stammt vielleicht eine Bestimmung des altjüdischen Rechtes. Nach ihm hat im allgemeinen bei Geldstreitigkeiten stets der Verklagte zu schwören. Nur dem Krämer wird an einer Stelle im Talmud ausnahmsweise zugestanden, den betreffenden Vermerk seines Ladenbuches zu beschwören. In gewissen Verhältnissen tritt jener Wechsel von Kontraktion und Remission der Geldwertung an Fürsten hervor, die, wie Ludwig XI. und viele andere, im Eintreiben ihrer Einkünfte von äußerster Strenge, im Ausgeben derselben aber durchaus liberal sind. Im großen und ganzen wird indessen eine Proportion zwischen dem Tempo des Erwerbens und dem des Ausgebens nicht zu leugnen sein. Deshalb gibt niemand das Geld leichter und leichtsinniger aus als der Spieler, der Goldgräber und die Demi-Monde; und die ruinöse Finanzwirtschaft Spaniens seit Karl V. hat man auf die relative Arbeitslosigkeit geschoben, mit der die Edelmetalle Amerikas den Spaniern anheimfielen. Jenes: »wie gewonnen, so zerronnen« weist nicht nur auf die objektive Struktur der Wirtschaft hin, die allerdings die Sicherheit des Erworbenen nur als Preis einer gewissen Solidität des Erwerbes zu setzen pflegt: die Berufe des besonders leichten und schnellen Erwerbes enthalten in ihren objektiven Umständen auch schon die Kanäle, durch die das Erworbene wieder abzufließen die natürliche Tendenz und Chance hat. Seine wirksamere Begründung aber hat das Sprichwort in der psychologischen Verfassung: je schneller die teleologische Reihe bis zum Punkte des Geldgewinnes abläuft, desto weniger Gefühle von Kraftaufwand und Bedeutsamkeit sind in ihm summiert, desto oberflächlicher und deshalb leichter lösbar haftet er also im Wertzentrum, desto eher also lassen wir ihn wieder aus der Hand. Wenn aber auch so der aufwärts und der abwärts führende Abschnitt der Reihe einen gemeinsamen Charakter größerer oder geringerer Spannung tragen, so bleibt doch zwischen ihnen selbst die Differenz, daß das Geld, solange es noch nicht gewonnen ist, den Wert eines Endzwecks besitzt, den es zu verlieren pflegt, sobald es nun wirklich gewonnen und in seinem bloßen Mittelscharakter – wo der Geiz dies nicht verhindert – empfunden ist.
Ich habe diesen Wendepunkt zwischen den beiden Abschnitten der teleologischen Reihe hervorgehoben, weil an ihm ein äußerst wesentlicher Zug des Geldes eine sehr entschiedene Sichtbarkeit erreicht. Solange nämlich das Geld als nächstes und einziges Strebensziel das Bewußtsein erfüllt, hat es für dieses gewissermaßen noch eine Qualität. Wir wüßten zwar nicht recht zu sagen, was für eine, allein die Interessiertheit des Willens, die Konzentrierung der Gedanken darauf, die Lebhaftigkeit der daran geknüpften Hoffnungen und Bewegungen strahlen es mit einer Wärme an, die ihm selbst sozusagen einen farbigen Schimmer leiht und uns den Begriff des Geldes überhaupt, noch abgesehen von der Frage nach dem Wieviel, bedeutsam macht. So entwickeln sich alle unsere praktischen Wünsche: solange sie unerreicht vor uns stehen, reizt uns das ganze Genus als solches, so daß wir uns sogar oft genug der Täuschung hingeben, irgendein noch so geringfügiges Maß desselben, insofern es eben nur diese Sache ist, diesen Begriff darstellt, werde uns dauernd befriedigen. Unsere Begehrung geht zunächst auf das Objekt seinem qualitativen Charakter nach, und das Interesse an der Quantität, in der jene Bestimmtheit sich darstellt, macht in der Regel seine Wichtigkeit erst geltend, wenn die Qualität schon in irgendeinem Maße verwirklicht und empfunden ist. Diese typische Entwicklung unserer Interessen ergreift das Geld in einer besonders modifizierten Weise. Da es nichts ist, als das an sich gleichgültige Mittel zu konkreten und grenzenlos mannigfaltigen Zwecken, so ist allerdings seine Quantität die einzige, vernünftigerweise uns wichtige Bestimmtheit seiner; ihm gegenüber steht die Frage nicht nach dem Was und Wie, sondern nach dem Wieviel. Dieses Wesen oder diese Wesenlosigkeit des Geldes tritt aber wie gesagt in voller psychologischer Reinheit in der Regel erst hervor, wenn es erlangt ist; nun, bei dem Umsatz in definitive Werte, macht sich erst ganz geltend, wie über die Bedeutung des Geldes, d. h. über seine Mittlerkraft, ausschließlich sein Quantum entscheidet. Bevor die teleologische Reihe an diesen Punkt gelangt und so lange das Geld ein bloßer Gegenstand des Verlangens ist, tritt vermöge der Gefühlsbetonung, die ihm als einem allgemeinen Begriff gilt, sein reiner Quantitätscharakter vor seinem generellen und gewissermaßen qualitativ empfundenen Wesen zurück – ein Verhältnis, das beim Geize chronisch wird, weil er die teleologische Reihe nicht über diesen kritischen Punkt hinausgelangen läßt, so daß der Geizige allerdings an das Geld dauernd Gefühle wie an ein Wesen von qualitativen und spezifischen Reizen knüpft. Die Beschränkung des Geldinteresses aber auf die Frage des Wieviel, anders ausgedrückt: daß seine Qualität ausschließlich in seiner Quantität besteht, hat vielerlei für uns wichtige Folgen.
Zunächst die, daß die Quantitätsunterschiede des Geldbesitzes für den Besitzer die erheblichsten qualitativen Unterschiede bedeuten. Das ist eine so triviale Tatsache der Erfahrung, daß ihre Hervorhebung sinnlos wäre, wenn nicht immer wieder die Versuchung wirkte, den reinen Quantitätscharakter des Geldes gerade umgekehrt auszulegen, seine Bedeutungen und Wirksamkeiten mechanisch, d. h. die höheren durch Multiplikationen der niederen, vorzustellen. Ich will zunächst einen ganz äußerlichen Fall als Beweis dafür erwähnen, wie tief eingreifend nach der Seite qualitativer Folgen hin quantitative Unterschiede in den Kondensierungen des Geldes sind. Die Ausgabe kleiner Banknoten hat einen ganz anderen Charakter, als die großer. Die kleinen Leute, die hauptsächlich die Inhaber der kleinen Note sind, sind nicht so leicht imstande, sie zur Einlösung zu präsentieren, wie die Besitzer großer Noten, während andrerseits, wenn einmal eine Panik ausbricht, sie ungestümer und besinnungsloser auf Rückzahlung drängen, oder ihre Noten à tout prix fortgeben. In derselben Beweisrichtung wirkt die folgende, mehr prinzipielle Überlegung.
Alle Geldaufwendungen zu Erwerbszwecken zerfallen in zwei Kategorien: mit Risiko und ohne Risiko. Abstrakt betrachtet sind zwar in jeder einzelnen beide Formen enthalten, wenn man etwa vom reinen Hazardspiel absieht; denn auch die wildeste sonstige Spekulation muß zwar mit einer sehr starken Entwertung, aber doch nicht der Nullifizierung des Spekulationsobjektes rechnen, während andrerseits auch das solideste Erwerbsgeschäft immer irgendeinen Risikozusatz birgt. Praktisch aber kann in sehr vielen Fällen der letztere einfach als unendlich kleine Größe vernachlässigt werden, so daß man von jedem Geschäft sagen kann, es sei mit ihm entweder nichts riskiert, oder ein bestimmter Teil des Anlagekapitals, bzw. des Vermögens des Subjekts stehe auf dem Spiele. Nun scheint es vernünftig, die Größe dieses eventuell verlierbaren Einsatzes durch die beiden objektiven Faktoren bestimmen zu lassen: den Wahrscheinlichkeitsbruch des Verlustes und die Höhe des eventuellen Gewinnes. Es ist offenbar irrationell, 100 Mk. an ein Geschäft zu wagen, bei dem die Verlustchance = ½ ist und der höchstmögliche Gewinn 25 Mk. beträgt; es scheint aber unter allen Umständen rationell, unter den gleichen Bedingungen 20 Mk. zu wagen. Allein diese objektive Berechnung reicht tatsächlich nicht aus, die Vernunft oder Unvernunft in dem Risiko einer bestimmten Summe auszumachen. Es tritt vielmehr noch ein personaler Charakter hinzu: innerhalb jeder ökonomischen Lage gibt es einen gewissen Bruchteil des Besitzes, der vernünftigerweise überhaupt nicht riskiert werden darf, gleichgültig, eine wie hohe und wie wahrscheinliche Gewinnchance dafür einzutauschen wäre. Jenes verzweifelte Aufs-Spiel-Setzen des Letzten, das damit begründet zu werden pflegt, daß man »nichts mehr zu verlieren habe«, zeigt durch diese Begründung, daß man auf Rationalität des Verfahrens ausdrücklich verzichtet habe. Setzt man eine solche aber voraus, so tritt die Frage nach der objektiven Wahrscheinlichkeit des Gelingens einer Spekulation erst jenseits eines bestimmten Teilstriches innerhalb jedes Vermögens in ihr Recht. Das Quantum unterhalb dieser Grenze darf vernünftigerweise auch nicht um eine große zu gewinnende Summe und bei einer sehr geringen Verlustwahrscheinlichkeit aufs Spiel gesetzt werden, so daß diese objektiven, sonst das Recht des Risikos begründenden Faktoren hier ganz gleichgültig werden. Die Geldform der Werte verführt leicht zu einem Verkennen dieser wirtschaftlichen Forderung, weil sie jene in sehr kleine Abschnitte zerlegt und dadurch auch den Minderbegüterten in ein Risiko hineinlockt, in das er prinzipiell nicht eintreten dürfte. Dies hat sich z. B. äußerst charakteristisch an den Goldaktien über ein Pfund Wert gezeigt, die die Minengesellschaften Transvaals und Westaustraliens ausgegeben haben. Durch ihren relativ sehr geringen Betrag und die sehr große Gewinnchance ist diese Aktie in Kreise gedrungen, die sonst der Börsenspekulation völlig fernbleiben mußten; einigermaßen ähnlich verhält es sich mit der italienischen Lotterie, während die moderne Aktiengesetzgebung vieler Staaten dieser Gefahr für den Volkswohlstand durch die Festsetzung eines ziemlich hohen Minimums für den Nennwert jeder zu emittierenden Aktie zu begegnen sucht. Wenn ein spekulativer Wert, Unternehmen, Anleihe usw. in sehr kleinen Anteilen angeboten wird, so täuscht die objektive Geringfügigkeit derselben, d. h. ihre Geringfügigkeit im Verhältnis zu dem Gesamtbetrage leicht darüber, daß sie subjektiv, d. h. im Verhältnis zu dem Vermögen des Erstehers, recht bedeutend sind. Und die weitere Tatsache, daß mit einer objektiv so kleinen Summe überhaupt ein spekulativer Gewinn zu machen ist, läßt manchen vergessen, daß seine Verhältnisse ihm nicht das Risiko dieser Summe erlauben. Das Tragische dabei ist, daß Leute, deren Einkommen nur das Existenzminimum gewährt und die deshalb überhaupt nichts riskieren dürften, solchen Versuchungen gerade am stärksten unterworfen sind. Nicht nur der auf Wahrscheinlichkeit basierte Gewinn ist demjenigen, dessen Lage einen solchen eigentlich am nötigsten macht, gerade durch die Logik dieser Lage versagt, sondern auch die auf Wahrscheinlichkeit basierte Sicherung gegen Verluste, die gerade diese Lage am wenigsten ertragen kann. Von der Versicherung der Dienstherrschaften, durch die sie sich die gesetzliche Verpflegung der Dienstboten in Krankheitsfällen für eine relativ kleine Prämie abkaufen, machen gerade ärmere Familien oft keinen Gebrauch. Ihnen zwar ist die Versorgung der erkrankten Dienstboten besonders schwer, und doch lassen sie es gerade darauf ankommen, weil bei sehr geringem Einkommen der sichere Aufwand einer kleinen Summe unerträglicher erscheint, als die bloße Chance eines viel höheren – so irrationell dies auch rein rechnerisch sein mag. Ersichtlich liegt innerhalb des Einkommens oder Vermögens jene Grenze, von der an das Risiko wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, um so niedriger, d. h. sie läßt einen um so größeren Teil für spekulative Zwecke frei, je besser die Persönlichkeit situiert ist – und zwar nicht nur einen absolut größeren, was sich von selbst versteht, sondern auch einen relativ, d. h. im Verhältnis zum Gesamteinkommen größeren. Auch besteht diese Differenz nicht etwa nur zwischen ganz hohen und ganz tiefen pekuniären Lagen, sondern schon geringe Differenzen derselben können unter übrigens gleichen Umständen die Rechtfertigung differenter Risikoquoten merkbar machen. Dies ist nicht nur ein weiterer Beitrag zu dem oben behandelten Superadditum des Reichtums – denn offenbar hat ein Vermögen um so größere Chance, sich zu vermehren, ein je größerer Teil davon ohne Erschütterung der ökonomischen Existenz des Besitzers spekulativ angelegt werden kann – sondern es zeigt auch, wie das Geld durch die bloßen Unterschiede seiner Quantität einen ganz verschiedenen qualitativen Charakter annimmt und das wirtschaftliche Geldwesen qualitativ ganz verschiedenen Formen unterstellt. Die ganze äußere, ja innere Bedeutung einer Geldsumme ist eine andere, je nachdem sie unterhalb oder oberhalb jenes Teilstriches steht; welches von beiden aber der Fall ist, hängt ausschließlich davon ab, mit welchem Quantum sonst vorhandenen Geldbesitzes zusammen sie das Vermögen des Besitzers ausmacht. Mit dem Wechsel seines Quantums gewinnt es völlig neue Qualitäten.
Dies ordnet sich schließlich einer sehr allgemeinen Form des Verhaltens der Dinge ein, die ihre auffälligste Erfüllung auf psychologischem Gebiet findet. Es handelt sich darum, daß quantitative Steigerungen von Erscheinungen, die als Ursachen wirken, nicht immer die gleichmäßige, entsprechende Steigerung ihrer Folgen hervorrufen. Vielmehr, derjenige Stärkezuwachs der Ursache, dei einen bestimmten Zuwachs der Folge veranlaßte, kann auf höheren Stufen derselben Skala nicht mehr zu dem gleichen zureichen, sondern es wird bei absolut gesteigerten Maßen einer sehr gesteigerten Einwirkung bedürfen, um nur den gleichen Effekt zu erzielen. Ich erinnere etwa an die häufige Erscheinung, daß Betriebsmittel, die auf einem neu erschlossenen Erwerbsgebiet ein bestimmtes Erträgnis geben, später sehr vermehrt werden müssen, um eben dasselbe zu erzielen; oder an die Wirkung von Medikamenten, die sich anfangs durch eine geringe Erhöhung der Dosierung erheblich steigern läßt, während spätere, objektiv gleiche Vermehrungen nur sehr verminderte Wirkungen ausüben; oder an die Beglückung, die in beengten Vermögensverhältnissen ein Gewinn hervorruft, nach dessen kontinuierlicher Fortsetzung schließlich dem gleichen Gewinnquantum gar keine Glücksreaktion mehr entspricht. Das häufigst behandelte Beispiel betrifft die sogenannte Schwelle des Bewußtseins: äußere Reize, die unsere Nerven treffen, sind unterhalb einer gewissen Stärke überhaupt nicht merkbar; mit Erreichung derselben lösen sie plötzlich Empfindungen aus, ihre bloß quantitative Steigerung schlägt in eine Wirkung von äußerst qualitativer Bestimmtheit um; in mancherlei Fällen aber erreicht die Steigerung auch wieder in bezug auf diese Wirkung eine obere Grenze, so daß die einfache Fortsetzung der Reizverstärkung über diese hinaus die Empfindung wieder verschwinden läßt. Hiermit ist schon auf die zugespitzteste Form jener Diskrepanz zwischen Ursache und Wirkung hingewiesen, die durch die bloß quantitative Steigerung der ersteren veranlaßt wird: auf das direkte Umspringen der Wirkung in ihr Gegenteil. An dem obigen Beispiel der Medikamente findet auch dies statt: insbesondere durch homöopathische Versuche steht es fest, daß durch rein quantitative Abänderungen der Dosierung bei einem und demselben Patienten eine direkte Gegensätzlichkeit der Wirkungen erzielt werden kann; auch bei Elektrisationen ist beobachtet, daß häufigere Wiederholungen den Erfolg in sein Gegenteil und wieder in das Gegenteil des Gegenteiles umschlagen ließen. Daß fast alle lustbringenden Sinnesreize durch bloße Häufung und Verstärkung nach einer anfänglichen Hebung des Lustgefühles zu einer Aufhebung desselben und zu positiven Schmerzen führen können, ist eine alltägliche Erfahrung von großer und typischer Bedeutung. Endlich zeigt sich die Inkommensurabilität zwischen dem objektiven, veranlassenden Reize und der subjektiven Empfindung, die er auslöst, auch in folgender Weise. Sehr niedrige ökonomische Werte, die aber zweifellos Werte sind, regen uns dennoch oft nicht zu demjenigen Verhalten an, das sonst dem ökonomischen Wert als solchem entspricht. Es gibt geldwerte Objekte, deren Geldwert vielfach überhaupt nicht gerechnet wird, gar nicht als Faktor in die Operation mit ihnen eintritt, z. B. Postmarken. Man mutet fremden Leuten, von denen man sonst nicht für einen Pfennig Wert verlangen dürfte oder würde, Antwort auf Anfragen zu, an denen sie selbst gar kein Interesse haben, und das Hinzufügen der Antwortmarke wird man einem Gleichstehenden gegenüber kaum wagen. Auch wer sonst mit Groschen überlegt sparsam umgeht, pflegt an eine Briefmarke oder auch einen Straßenbahngroschen weniger Sparsamkeitsbedenken zu knüpfen, als an vieles andere Gleichwertige. Es scheint eine freilich nach dem Vermögen und dem Temperament des Subjekts sehr verschieden liegende Schwelle des ökonomischen Bewußtseins zu geben, derart, daß ökonomische Reize, welche unterhalb derselben bleiben, gar nicht als ökonomische empfunden werden. Dies ist wohl eine Erscheinung, die allen höheren Gebieten gemeinsam ist. Denn diese entstehen doch, indem sonst schon vorhandene und merkbare Elemente zu einer neuen Form zusammengehen und dadurch zu einer Bedeutung erhoben werden, die sie bisher nicht kannten: so werden die Dinge zu Gegenständen des Rechts, des ästhetischen Genusses, der philosophischen Betrachtung – Dinge, deren längst bekanntem Inhalt so eine neue Seite zuwächst. Dazu aber, daß dies geschieht, wird in vielen Fällen ein bestimmtes Quantum solcher Elemente vorausgesetzt; bleiben sie unterhalb desselben, so steigen sie nicht zu den höheren und relativ schwer reizbaren Schichten des Bewußtseins auf, in denen jene Kategorien wohnen. So mögen z. B. gewisse Farben oder Farbenkombinationen mit voller Deutlichkeit wahrgenommen werden – aber ein ästhetisches Gefallen erregen sie doch nicht, wenn die von ihnen eingenommenen Flächen nicht eine erheblichere Ausdehnung haben; vorher sind es einfache Tatsächlichkeiten, die zwar die Schwelle des sinnlichen Bewußtseins, aber nicht die des ästhetischen überschreiten. So gibt es eine historische Schwelle, die die merkwürdige Unproportionalität zwischen personalen Energien und ihren historischen Erfolgen bewirkt. Es hat viele indische Asketen gegeben, die ganz ähnliches wie Gotama lehrten – aber nur dieser ist der Buddha geworden; sicher vielerlei jüdische Lehrer, deren Predigten nicht viel von der Jesu abwichen – aber nur dieser hat die Weltgeschichte bestimmt. Und so überall: die Bedeutungen der Persönlichkeiten bilden eine kontinuierliche Skala, aber es gibt in ihr einen Punkt, oberhalb dessen erst die geschichtliche Wirkung einer Persönlichkeit einsetzt, während die unterhalb dieser Bedeutsamkeitsschwelle verbleibenden nicht eine entsprechend geringere, sondern nun überhaupt keine Wirkung ausüben und völlig verschallen. Noch höher hinauf vielleicht liegt die Schwelle des philosophischen Bewußtseins. Dieselben Erscheinungen, die in minimer Quantität zu den verfließenden Gleichgültigkeiten des Tages gehören, in etwas höherer vielleicht ästhetische Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können in gewaltigen und erregenden Dimensionen zu Gegenständen philosophischer oder religiöser Reflexion werden. Ähnlich hat auch das Gefühl des Tragischen eine Quantitätsschwelle. Vielerlei Widersprüche, Unzulänglichkeiten, Enttäuschungen, die als Einzelheiten täglichen Lebens gleichgültig sind oder gar einen humoristischen Zug haben, gewinnen ein tragisches und tief beängstigendes Wesen, sobald wir ihre ungeheure Verbreitung, die Unvermeidlichkeit ihrer Wiederholung, die Färbung nicht nur dieses, sondern jedes Tages durch sie uns zum Bewußtsein bringen. Auf dem Gebiete des Rechts wird die Tatsache der Schwelle durch das Prinzip: minima non curat praetor – markiert. Der Diebstahl einer Stecknadel ist etwas quantitativ zu Geringfügiges – so entschieden er qualitativ und für das logische Bewußtsein eben doch Diebstahl ist –, um den komplizierten psychologischen Mechanismus des Rechtsbewußtseins in Bewegung zu setzen: auch dieses hat also eine Schwelle, so daß unterhalb derselben verbleibende Reizungen, obgleich sie andere Bewußtseinsprovinzen sehr wohl erregen mögen, keinerlei psychisch-juridische Reaktion – ganz abgesehen von der staatlichen – wecken. Aus der Tatsache, daß auch das ökonomische Bewußtsein mit einer spezifischen Schwelle ausgestattet ist, erklärt sich die allgemeine Neigung, statt einer einmaligen größeren Aufwendung lieber eine fortlaufende Reihe kleinerer zu machen, deren einzelne man »nicht merkt«. Wenn daher schon Pufendorf dem Fürsten vorschlägt, er solle lieber auf viele Gegenstände je eine geringe Steuer legen, statt auf einen einzigen eine hohe, da das Volk sich sehr schwer vom Gelde trenne (fort dur à la desserre sei), so macht diese Begründung ihren Angelpunkt gar nicht namhaft; denn das Geld hergeben muß das Volk in der einen Form so gut wie in der anderen; nur daß die einzelne Hergabe in der einen unterhalb der Schwelle des ökonomischen Bewußtseins bleibt und so die einzelne hergegebene Summe nicht ebenso in die Kategorie des wirtschaftlichen Rechnens, Empfindens, Reagierens aufsteigt – gerade wie zwei Gewichte, deren jedes unterhalb der Schwelle des Druckbewußtseins bleibt, nacheinander auf die Hand gelegt, gar keine Empfindung auslösen, dies aber sogleich tun, wenn sie gleichzeitig wirken.
Läßt sich dies als ein passiver Widerstand an unseren einfachen oder komplizierten Empfindungen denken, nach dessen Überwindung sie den Einfluß erst dem Bewußtsein übermitteln, so kann nun dieser Widerstand auch ein aktiverer werden. Man kann sich vorstellen, unsere aufnehmenden physisch-psychischen Organe befänden sich in jedem gegebenen Moment in einem Zustand von Bewegtheit bestimmter Richtung und Stärke, so daß die Wirkung eines eintretenden Reizes von dem Verhältnis abhängt, das die von ihm ausgehende innere Bewegung zu jener vorgefundenen besitzt: sie kann sich dieser gleichgerichtet einordnen, so daß sie ungehemmte Ausbreitungsmöglichkeit gewinnt, sie kann ihr auch zuwiderlaufen, so daß sie in ihrer Wirkung ganz oder teilweise aufgehoben wird und sozusagen das empfindende Organ erst nach Überwindung eines positiven Widerstandes in der ihr eigenen Richtung zu bewegen vermag. Das durch diese Vorstellung bezeichnete Verhalten begegnet nun der weiteren Tatsache, die wir als Unterschiedsempfindlichkeit bezeichnen: wir besitzen in der Empfindung kein Maß für absolute, sondern nur für relative Größen, d. h. nur durch den Unterschied einer Empfindung von der andern können wir jeder ein Maß bestimmen. Diese Erfahrung – deren Modifikationen hier außer acht bleiben können und die für uns nur soweit, wie auch ihre Kritiker sie zugeben, zu gelten braucht – ist ersichtlich das Fundament der ganzen oben besprochenen Erscheinungsreihe. Denn wenn – so hat man dies an einem einfachsten Beispiel ausgedrückt – eine Bewegung im Tastnerven von der Stärke 1 um 1/3 zugenommen hat, so ist dies das nämliche, wie wenn eine Bewegung von der Stärke 2 um 2/3 zugenommen hätte. Die Tatsache also, daß wir die gleiche Reaktion an den relativ gleichen Unterschied von dem gegebenen Empfindungszustand knüpfen, bewirkt es, daß die objektiv gleichen Reize sehr verschiedene subjektive Folgen haben. Je weiter die Empfindung, die ein neuer Reiz fordert, von der vorgefundenen Verfassung des Empfindens abweicht, als desto stärker und merklicher wird sie zum Bewußtsein kommen. Dies kreuzt sich nun, wie erwähnt, mit der Tatsache, daß der Reiz oft erst eine, seiner Richtung entgegenstehende Stimmung unserer physisch-psychischen Organe zu überwinden hat, ehe er sich für unser Bewußtsein geltend machen kann. Denn während gemäß jener Unterschiedsempfindlichkeit der Reiz um so merklicher ist, je weiter er von dem vorhergehenden Zustand absteht, so ist er nach dem andern Prinzip – bis zu einer gewissen Grenze – um so unmerklicher, je differenter seine Richtung von der der bestehenden inneren Bewegungen ist. Das hängt mit der Beobachtung zusammen, daß Empfindungen bei gleichbleibendem Reize eine gewisse, wenn auch sehr kurze Zeit brauchen, ehe sie auf ihre Höhe gelangen. Während die erstere Erscheinungsreihe auf die Tatsache der Ermüdung zurückgeht – der Nerv antwortet auf den zweiten gleichartigen Reiz eben nicht mehr mit gleicher Energie, weil er durch den ersten ermüdet ist – zeigt die letztere, daß sich die Ermüdung keineswegs unmittelbar an die Reizreaktion anschließt, sondern daß zunächst diese Reaktion sich bei unverändertem Reize wie aus sich selber akkumuliert – vielleicht aus dem angeführten Grunde, daß erst ein Widerstand der perzipierenden Organe überwunden werden muß, ehe der Reiz die Höhe erreicht, von der er freilich durch die nun eintretende Ermüdung wieder herabsinkt. Dieser Dualismus der Wirkungen tritt auch an den komplizierten Erscheinungen sehr deutlich hervor. Eine Veranlassung zu Freude z. B., in das Leben eines im ganzen unglücklichen Individuums eintretend, wird von demselben mit einer leidenschaftlichen Reaktion, unverbrauchten eudämonistischen Energien, stärkstem Sichabheben gegen den dunklen Hintergrund seiner sonstigen Existenz empfunden werden; andrerseits aber bemerken wir, daß auch zur Freude eine gewisse Gewöhnung gehört, daß der Glücksreiz gar nicht recht aufgenommen wird, wenn die Seele sich schon an fortwährend entgegengesetzte Erfahrungen angepaßt hat. Insbesondere feinere Lebensreize prallen zunächst wirkungslos von einem inneren, durch Not und Leid bestimmten Lebensrhythmus ab, und die Stärke ihres Empfundenwerdens, die gerade der Gegensatz zu jenem voraussetzen ließ, stellt sich erst nach längerer Summierung der eudämonistischen Momente ein. Wenn diese nun andauert und die gesamte Verfassung der Seele schließlich in die ihr entsprechende Rhythmik oder Struktur übergeführt hat, so wird das Reizquantum, zu dessen voller Perzeption es damals nicht kam, derselben auch jetzt, und zwar aus der gerade entgegengesetzten Konstellation heraus, entbehren: weil jetzt eine derartige eudämonistische Gewöhnung eingetreten ist, daß der zur Merklichkeit erforderte Unterschied mangelt. Diese Antinomie äußert ihre große teleologische Bedeutung auch im wirtschaftlichen Leben; die Unterschiedsempfindlichkeit treibt uns aus jedem gegebenen Zustand zum Erwerb neuer Güter, zur Produktion neuer Genießbarkeiten; die Begrenzung der Unterschiedsempfindlichkeit durch den zu überwindenden passiven oder aktiven Widerstand der bestehenden organischen Verfassung zwingt uns, diese neue Richtung auch mit andauernder Energie zu verfolgen und den Gewinn der Güter bis zu erheblicherer Quantität fortzusetzen. Dieser Steigerung aber setzt die Unterschiedsempfindlichkeit wieder ihre obere Grenze, indem die Gewöhnung an diesen bestimmten Reiz ihn abschwächt und schließlich den Zuwachs nicht mehr empfinden läßt, sondern zu qualitativ neuen forttreibt. In derselben Weise wie hier die Steigerung der Objektquanten, gleichmäßig fortschreitend, eine Alternierung innerer Folgen bewirkt, können die Geldwerte der Dinge durch ihre einfache Erhöhung zu einem Umschlagen der Begehrungen ihnen gegenüber führen. Zunächst wird ein Gegenstand, der gar nichts oder nur ein Minimum kostet, sehr oft eben deshalb überhaupt nicht gewertet und begehrt; sobald sein Preis steigt, entsteht dann auch seine Begehrenswürdigkeit und hebt sich eine Weile mit jenem bis zu einem äußersten Reizpunkte. Wird dann der Preis immer noch weiter gesteigert, so daß die Erwerbung für den Betreffenden außer Frage tritt, so wird das erste Stadium dieses Verzichts vielleicht die größte Leidenschaft des Verlangens zeigen, dann aber wird eine Anpassung an ihn, ein Niederkämpfen der unnützen Sehnsucht eintreten, ja, nach dem Typus der »sauren Trauben« eine direkte Aversion gegen das doch nicht Erreichbare. Auf sehr vielen Gebieten knüpft sich ein solcher Wechsel des positiven und negativen Verhaltens an die quantitative Änderung der ökonomischen Forderung. Der Steuerdruck, der auf dem russischen Bauern lastet, wird als Ursache seiner schlechten, primitiven und wenig intensiven Wirtschaft angegeben: der Fleiß lohne sich für ihn nicht, da er doch nichts übrig behalte als das nackte Leben. Offenbar würde ein etwas geringerer Druck, der ihm bei sehr fleißiger Arbeit einen Gewinn ließe, ihn gerade zu möglichst intensiver Bewirtschaftung veranlassen; sänken aber die Abgaben noch mehr, so würde er vielleicht wieder zu seiner früheren Trägheit zurückkehren, wenn er nun schon mit dieser einen Ertrag hätte, der allen Bedürfnissen seines Kulturniveaus genügte. Oder ein anderes Beispiel: wenn eine Klasse oder ein Individuum zu niedriger Lebenshaltung gezwungen ist und deshalb nur rohe und gemeine Freuden und Erholungen kennt, so führt ein etwas erhöhtes Einkommen nur dazu, diese Genüsse häufiger und ausgedehnter zu suchen; wird es nun aber sehr erheblich höher, so steigen die Ansprüche an den Genuß in eine generell andere Sphäre. Wo z. B. die Schnapsflasche die Hauptfreude bildet, werden erhöhte Löhne zu gesteigertem Schnapsverbrauch führen; werden sie aber noch weiter und bedeutend erhöht, so wird sich das Bedürfnis nach ganz anderen Kategorien von Genüssen einstellen. Endlich kommt es hier zu einer aller Analyse spottenden Komplikation durch den Umstand, daß die Bewußtseinsschwellen für die verschiedenen Lust- und Schmerzgefühle offenbar ganz verschieden hoch liegen. Auf physiologischem Gebiet zunächst haben neuere Untersuchungen den immensen Unterschied der Schmerzempfindlichkeit ergeben, der zwischen den Nerven verschiedener Körperteile besteht und für einige das Sechshundertfache des Schwellenwertes anderer aufweist, und zwar charakteristischerweise so, daß der Schwellenwert für die Druckempfindlichkeit eben derselben Stellen gar kein konstantes Verhältnis zu jenem besitzt. Nun ist es allerdings äußerst mißlich, die Schwellenwerte für verschiedenartige höhere und nicht-sinnliche Gefühle zu vergleichen, weil ihre veranlassenden Momente ganz heterogen und nicht so nach ihren Quanten zu vergleichen sind wie mechanische oder elektrische Reize der Sinnesnerven. Trotzdem hiermit jede Messung ausgeschlossen erscheint, wird man die ungleichmäßige Reizbarkeit auch der höheren Gefühlsprovinzen zugeben und damit – da die bisher fraglichen Lebenssituationen immer eine Vielheit solcher betreffen – die ungeheuere und für die Theorie undurchdringliche Mannigfaltigkeil der Verhältnisse zwischen äußeren Bedingungen und innerer Gefühlsfolge.
Gerade die durch den Geldbesitz bestimmten Gefühlsschicksale mögen allein einen annähernden Einblick in diese Schwellenwerte und Proportionalitäten gestatten. Denn das Geld wirkt als Reiz auf alle möglichen Gefühle und kann dies, weil sein qualitätloser, unspezifischer Charakter es von jedem in eine so große Entfernung stellt, daß es zu allen eine Art gleichmäßigen Verhältnisses gewinnt; freilich wird dies Verhältnis nur selten ein unmittelbares sein, sondern vermittelnder Objekte bedürfen, die nach einer Seite hin unspezifisch sind – insoweit sie nämlich für Geld zu haben sind –, nach der andern Seite hin aber spezifisch, indem sie bestimmte Gefühle auslösen. Dadurch, daß wir am Geld die Genußwerte der damit beschaffbaren spezifischen Objekte vorempfinden, daß der Reiz derselben auf das Geld übertragen und von ihm vertreten wird – haben wir am Geld den einzigen Gegenstand, in bezug auf den die Schwellenwerte der einzelnen Genußempfindlichkeiten eine Art von Vergleichbarkeit erhalten. Der Grund, der hier dennoch ein gegenseitiges Messen auszuschließen scheint, liegt auf der Hand: die außerordentliche Verschiedenheit in den Geldwerten derjenigen Dinge, die auf den verschiedenen Gebieten das als gleich beurteilte Genußquantum erzeugen. Wenn die Genußschwelle in der aufsteigenden Geldreihe für einen Gourmand, einen Büchersammler, einen Sportsman ganz verschiedene Höhen zeigt, so liegt dies nicht daran, daß die hierbei ins Spiel kommenden Genußenergien verschieden reizbar wären, sondern daß die Gegenstände, die sie in gleichem Maße reizen, sehr verschieden teure sind. Dennoch wäre es denkbar, daß die Zufälligkeit der Schwellenwerte zwischen Geldquanten und eudämonistischen Erfolgen einer Ausgleichung zustrebte, mindestens in dem Sinn, daß es für die Individuen (oder auch für die Typen) charakteristisch wird, welchen Geldwert die erkaufbaren Objekte oder Eindrücke besitzen, die für sie die Genußschwelle überschreiten. Diese Entwicklung wird durch die Tatsache eingeleitet, daß, zunächst für unsere gefühlsmäßige Taxierung, Angemessenheit oder Unangemessenheit des Preises eines Objekts sich nicht nur an dem anderweitig geforderten Preise des gleichen ergibt, sondern auch an den ganz andern absoluten Preisen von qualitativ ganz andern Warengattungen; die Ausgleichung hiervon bedeutet das Aufwachsen eines gleichmäßigen Geldpreisstandards, der sicher erst das Endergebnis sehr vieler subjektiver und zufälliger Schwankungen ist. Soweit wir z. B. die ökonomischen Verhältnisse der früheren palästinischen Juden kennen, frappieren sie durch außerordentliche Billigkeit gewisser Artikel und enorme Preise für andere. Das Verhältnis zu den jetzigen Preisen ist ein so schwankendes, nicht auf einen rationalen Ausdruck zu bringendes, daß man nicht sagen kann (und vielleicht von keiner Periode des Altertums), der allgemeine Geldwert sei um so und so viel anders als der jetzige gewesen. Denn es hat einen solchen damals überhaupt nicht gegeben. Diese Erscheinung will man durch die ökonomische Kluft zwischen Reichen und Armen erklären, die durch keine Ambitionen der letzteren in bezug auf Lebenshaltung verringert wurde: die unteren Stände seien eben von einer sehr großen und stabilen Genügsamkeit gewesen, so daß gewisse Waren von ihnen prinzipiell nicht begehrt wurden; es hätten sich also zwei ganz verschiedene Geldpreisstandards herausgebildet: für das, was die Armen bezahlen konnten und wollten, und das, was die Domäne der Reichen war, denen es auf das Geld nicht ankam; das sei vielleicht bei allen älteren Völkern mehr oder weniger der Fall gewesen. Im Anschluß daran wird nun betont, daß gemäß den sozialen Anschauungen der neueren Zeit die mittleren Stände es in Bezug auf Kleidung, Nahrung, Bequemlichkeiten, Vergnügungen den höheren gleichtun wollen und die niederen den mittleren. Dies erst habe die Möglichkeit eines einheitlichen und allgemeinen Geldwertes ergeben. Man könnte nach dieser Richtung hin den Weg der ökonomischen Kultur so formulieren: sie gehe dahin, das ursprünglich Billige zu verteuern und das ursprünglich Teure zu verbilligen. Diese Ausgleichung zeigt sich zunächst nach der objektiven Seite hin und findet ihre wahrhaft wunderbare Erscheinung in der »Durchschnittsprofitrate«. Durch eine fast unglaubliche und gar nicht als bewußter Verlauf nachzuweisende Anpassung aller wirtschaftlichen Faktoren aneinander ist erreicht, daß die nach ihrem Material, ihren Arbeitsbedingungen, ihren Erträgnisquanten verschiedenartigsten und voneinander unabhängigsten Betriebe in der ausgebildeten Wirtschaft den in ihnen investierten Kapitalien dennoch die – ceteris paribus – gleiche Rente liefern! Daß eine ebensolche Ausgleichung für die subjektiv-eudämonistischen Erfolge der Geldwerte sich herstelle, kommt natürlich angesichts der individuellen Differenziertheit der Menschen nicht in Frage, wohl aber könnte, vermöge der allmählichen Ausdrückbarkeit aller Objekte in Geld und der allmählichen Herstellung eines durchgehenden Geldpreisstandards, einer gleichmäßigen Bedeutung des Geldes für alle Waren – vermöge dieser könnte der Kulturprozeß sich einem verwandten Zustand nähern: auf der Quantitätsskala des Geldes könnten eventuell gewisse Punkte als Äquivalente derjenigen Objekte hervortreten, die für ein bestimmtes Individuum oder einen Typus entweder die ökonomische Schwelle oder die Genußschwelle oder die Blasiertheitsschwelle bezeichnen. Auf diesem, durch seine Komplikation und seine Individualisiertheiten schwierigsten Gebiet der Schwellenerscheinungen zeigt sich immerhin das Geld als das einzige Objekt, das, durch seinen rein quantitativen Charakter und sein gleichmäßiges Verhalten zu allen Verschiedenheiten der Dinge, noch am ehesten die Möglichkeit, gibt, die mannigfaltigsten Reizbarkeiten in eine einheitliche Reihe zusammenzuordnen. Außerdem aber weisen gewisse Vorkommnisse auf eine ganz unmittelbare Bedeutung hin, die das Geld für die Schwelle des ökonomischen Bewußtseins hat, und zwar derart, daß das Bewußtsein überhaupt erst auf einen geldmäßigen Reiz hin als spezifisch ökonomisches reagiert. Spießbürgerliche Engherzigkeit lehnt die Zumutung altruistischer Hingabe eines Objekts oft mit der Begründung ab, der Gegenstand habe doch Geld gekostet – dies wird wirklich als rechtfertigende Begründung dafür empfunden, daß man hier nach dem hart egoistischen Prinzip bloßer Ökonomie verfahre! Ebenso suchen törichte Eltern ihre Kinder von mutwilligen Zerstörungen dadurch zurückzuhalten, daß sie betonen, die Dinge hätten doch Geld gekostet! Statt den Kindern den Wert der Objekte selbst klarzumachen, beginnen sie die ökonomische Reaktion erst auf die Vorstellung des aufgewendeten Geldes hin. In sehr bezeichnender Weise tritt dies bei zwei äußerlich ganz entgegengesetzten Erscheinungen hervor. Geschenke werden von vielen Seiten erst als voll gerechnet, wenn der Schenker Geld dafür ausgegeben hat; zu schenken, was man selbst besitzt, erscheint als schäbig, illegitim, unzureichend. Nur bei ganz feinsinnigen und hochstehenden Menschen begegnet es, daß sie ein Geschenk am höchsten schätzen, das der andere selbst besessen hat. Das Bewußtsein also, daß der Geber ein Opfer für ihn gebracht hat, tritt dort bei dem Beschenkten erst ein, wenn dieses Opfer in Geldform gebracht ist. Andrerseits wirkt doch gerade ein Geldgeschenk in höheren Kreisen direkt deklassierend, und auch dienende Personen, Kutscher, Boten usw. sind oft weit erkenntlicher für eine Zigarre als für ein Trinkgeld, das vielleicht den dreifachen Wert jener hat. Hier ist das Entscheidende, daß die Gabe eben nicht als ökonomische wirken darf oder daß wenigstens das Zurücktretenlassen ihres ökonomischen Charakters als besondere Kordialität wirkt. In dem ersteren wie in diesen Fällen reizt also der Wert erst in der Geldform das Bewußtsein als ökonomisches, und je nach den Empfindungen, die dies weiterhin auslöst, wird das gleiche Verfahren erwünscht oder perhorresziert sein. In eine so kontinuierliche Reihe die ausgebildete Geldwirtschaft die wirtschaftlichen Objekte fügen mag – zwischen diesen und dem Geld selbst schafft sie (was Warengeldepochen weniger tun werden) einen so generellen Unterschied, daß das Entstehen einer gerade nur auf den Geldwert reagierenden Bewußtseinsschwelle durchaus erklärlich wird.
Ein anderer Grund, der die Erscheinungen der Bewußtseinsschwelle in besonders merkbare Beziehung zum Gelde setzt, ist dieser. Das Bestehen und die Summierung von Ursachen, deren eigentlich proportionale Wirkung ausbleibt, um erst oberhalb einer gewissen Grenze einzutreten, wird um so ausgedehnter sein und diese Grenze um so höher hinaufrücken lassen, je unbewegter, in sich stabiler das ganze System ist, in dem der Vorgang sich abspielt: so kann man bekanntlich Wasser bis erheblich unter den Nullpunkt abkühlen, ohne daß es gefriert, wenn man es nur vor jeder Bewegung bewahrt, während die leiseste Erschütterung es sofort zu Eis werden läßt; so kann man die Hand in allmählich erhitztem Wasser halten, weit über den sonst erträglichen Grad hinaus, wenn man nur jede Bewegung ihrer oder des Wassers vermeiden kann; so rufen, auf höheren und komplizierten Gebieten, vielerlei Einflüsse und Verhältnisse die ihnen entsprechende Gefühlsreaktion erst dann hervor, wenn unser ganzes Wesen, vielleicht von einem ganz anderen Punkte her, aufgerüttelt wird; sowohl der Besitz von Werten wie die Entbehrung derselben oder die Unwürdigkeit gewisser Situationen können lange bestehen und sich sogar allmählich steigern, ehe wir uns der Bedeutung davon bewußt werden; es muß erst ein Anstoß erfolgen, der die inneren Elemente sich gleichsam aneinander reiben läßt, so daß wir uns ihrer wirklichen Stärke gerade an ihren jetzt erst bemerkten Relationen oder Unterschieden gegen alle anderen bewußt werden. Ja, Gefühle wie Liebe und Haß können lange in uns leben und gleichsam unterirdisch sich akkumulieren und gewisse verkleidete Wirkungen üben, bis irgendein Anstoß, meistens eine Unterbrechung der äußeren Regelmäßigkeit der Beziehungen, jene Gefühle in das Bewußtsein hinein explodieren läßt und ihnen nun erst die ihnen zukommende Ausbreitung und Folgenreichtum verschafft. Nach demselben Typus verlaufen auch soziale Entwicklungen. Sinnlosigkeiten und Mißbräuche schleichen sich nicht nur in einmal konsolidierte Verfassungen ein, sondern sie häufen und steigern sich unterhalb der Schwelle des sozialen Bewußtseins, oft bis zu einem Grade, dessen Ertragenwerden man von dem Augenblick an nicht mehr begreift, in dem ein allgemeines Aufräumen, oft auf ganz andersartige Anregungen hin, jene Mißstände zum Bewußtsein gebracht hat. Oft sind es bekanntlich erst die Erschütterungen durch einen äußeren Krieg, die die Widersprüche und eingerotteten Schäden eines Staates offenbar machen. Dies begründet z. B. die schon sonst hervorgehobene Beobachtung, daß sehr krasse soziale Unterschiede, unversöhnliche Höhenabstände der Klassen voneinander, in der Regel mit sozialem Frieden Hand in Hand gehen. Der Ruf nach ausgleichenden Reformen oder Revolutionen pflegt sich erst zu erheben, wenn die Starrheit der Klassenschranken sich gemildert hat und lebhaftere Bewegungen innerhalb der Gesellschaft gewisse vermittelnde und Übergangserscheinungen, eine Seh- und Vergleichungsnähe zwischen den Ständen erzeugt haben. Sobald dies aber geschehen ist, tritt den unteren Klassen ihre Unterdrücktheit, den oberen teils die sittliche Verantwortung dafür, teils der Trieb, ihren Besitzstand zu verteidigen, ins Bewußtsein, und der soziale Friede ist unterbrochen. Innerhalb der Geldwirtschaft nun ist die Bewegtheit des Lebenssystems, durch die das Bewußtsein zu Unterschieds- und Schwellenempfindungen gereizt wird, eine ganz besonders verbreitete und lebhafte. Die Fixierung von Verhältnissen, die den gesteigerten Veranlassungen zu Bewußtseinsreaktionen diese Folge vorenthält, wird bei ihrer Begründung auf Geld immerzu unterbrochen, weil alle solche etwas Labiles und der Ruhelage Widerstrebendes haben, und zwar insbesondere, weil das Geld keine sachliche Beziehung zu Persönlichkeiten hat und nicht, wie eine Rangstufe oder eine Deklassierung, wie ein Beruf oder ein moralischer Wert, eine Gefühlsbeziehung oder eine Tätigkeit, gleichsam an jene anwächst. Alle auf solche Lebensinhalte gegründeten Verhältnisse haben wegen der relativen Festigkeit, mit der sie den Personen zugehören, eine Art von Stabilität und setzen dem Einfluß abändernder Elemente eine gewisse Trägheit entgegen, die erst bei einer erheblichen Summierung jener ihnen die ganz proportionierte Folge verschafft. Das Geld dagegen, das wegen seiner Qualitätlosigkeit auch zu keiner qualitativ bestimmten Persönlichkeit als solcher eine Beziehung hat, gleitet ohne innere Widerstände von der einen ab und zur anderen hin, so daß die darauf gegründeten Verhältnisse und Zustände jeder Veranlassung zu Änderungen leicht und adäquat nachgeben, oder, unser jetziges Interesse genauer ausdrückend: daß die Summierungserscheinungen des Geldes, die den Charakter bloßer Quantität am reinsten an sich darstellen, zugleich am häufigsten und deutlichsten ihre Wirkungen auf die inhaltliche Bestimmtheit des Lebens fühlbar machen werden. Die am Geld so häufig auftretenden Schwellenerscheinungen machen aber nur die Gesamtbestimmung seiner deutlicher, zu der jenes Superadditum gehörte, ja, dieses ist im Grunde nur eine einzelne aus den so charakterisierten Erscheinungen. Denn es sagt doch aus, daß die Bedeutung von mehr Geld nicht nur in einem proportionalen Vielfachen der Bedeutung von weniger Geld besteht, sondern daß dieser Bedeutungsunterschied, trotz der rein quantitativen Änderung seines Substrates, ein Umschlagen in qualitativ neue, ja entgegengesetzte Folgeerscheinungen darbietet.
Diese Tatsache hat eine zwar selbstverständliche, aber der Erörterung dennoch bedürftige Voraussetzung. Man kann jene selbst doch so ausdrücken: jede Geldsumme hat, auf eine Mehrheit von Personen verteilt, eine andere qualitative Bedeutung, als wenn sie sich in einer Hand befindet. Die Einheit der Persönlichkeit ist also das Korrelat oder die Bedingung für alle Quantitätsunterschiede des Besitzes und ihre Bedeutung; das Vermögen juristischer Personen steht ersichtlich wegen der Einheitlichkeit seiner Verwaltung in der hier fraglichen funktionellen Hinsicht auf derselben Stufe. Auch wo man von einem Volksvermögen spricht, ist das nur möglich, insofern man das Volk als ein einheitliches besitzendes Subjekt denkt, bzw. die auf die einzelnen Bürger verteilten Besitze durch die Wechselwirkung, die sie innerhalb der nationalen Wirtschaft eingehen, als so einheitlich vorstellt, wie das Vermögen eines Individuums durch solche Wechselwirkungen (Einteilung, Rücksichten der Einzelaufwendung auf das Ganze, Balance zwischen Einnahme und Ausgabe usw.) zu einer praktischen Einheit zusammengeht. Das Geld, als ein nur seiner Quantität nach bedeutsamer Wert, tritt an sich in einem extensiven Nebeneinander auf, so daß jede Summe, um eine zu sein, um als Einheit zu wirken, eines ihr äußerlichen Prinzips bedarf, das die einzelnen Teilquanten in Zusammenhang und Wechselwirkung, kurz, in eine Einheit zwingt. Wie die einzelnen Vorstellungsinhalte dadurch das Bild einer Welt ergeben, daß sie sich in einer persönlichen Bewußtseinseinheit zusammenfinden, und wie eben dadurch die Summe der Weltelemente mehr als eine bloße Summe wird, jeder Teil und das Ganze eine neue Bedeutung über das bloße Nebeneinander hinaus erhält: so wirkt die Einheit des persönlichen Besitzers auf das Geld und verleiht dem durch sie zusammengehaltenen Quantum erst jene Möglichkeit, sein Mehr oder Weniger in qualitative Bedeutung umzusetzen. Der Erkenntnis wert hiervon wird vielleicht im Anschluß an eine Bestimmung der Grenznutzentheorie deutlicher. Man kann dieselbe doch etwa folgendermaßen kurz zusammenfassen. Jegliches Teilquantum eines Gütervorrates hat den Wert des am niedrigsten bewerteten, d. h. zur entbehrlichsten Nutzung verwandten Teiles. Denn wenn ein beliebiger Teil verloren ginge, so würde man vernünftigerweise mit dem Rest alle wichtigeren Bedürfnisse decken und nur das unwichtigste ungedeckt lassen; welcher Teil also auch entbehrt werden müßte, es wäre der unwichtigste. Der Wert eines Gütervorrates ist also nicht bestimmt durch den Nutzen, den man tatsächlich aus ihm zieht, d. h. nicht durch die Summe der sehr verschieden hohen Nutzungen seiner einzelnen Bestandteile, sondern durch den Nutzen des am wenigsten nutzbaren Teiles, multipliziert mit der Anzahl solcher gleich großen Teile überhaupt. Von dieser Theorie wird nun ganz allgemein eine Ausnahme zugegeben, nämlich da, wo eine Summe von Gütern eine Einheit bildet und als solche einen gewissen Nutzeffekt entfaltet, der nicht gleich der Summe der Nutzungen ihrer einzelnen Teile ist. Es habe z. B., so hören wir, der Bestand eines Waldes einen Einfluß auf Klima und Witterung, damit auf die Bodenfruchtbarkeit, die Gesundheit der Bewohner, die Beständigkeit eines Teiles des Volksreichtums usw., kurz, er habe als ganzer einen Wert, von dem kein noch so geringer Bruchteil gerechnet werde, wenn man den Nutzen des einzelnen Baumes anschlüge. So sei auch der Wert einer Armee nicht nach dem Grenznutzen des einzelnen Soldaten, der eines Flusses nicht nach dem Grenznutzen der einzelnen Wassertropfen zu beurteilen. Der hiermit gezeichnete Unterschied ist auch derjenige, der für das Vermögen eines Individuums gilt. Eine Million, im Besitz eines Menschen, verschafft ihm nicht nur ein Ansehen und eine soziale Qualifikation, die etwas ganz anderes ist, als das tausendmalige Vielfache der entsprechenden Bedeutung eines Besitzers von tausend Mark; sondern, diese subjektive Folge begründend, ist der objektive wirtschaftliche Wert einer Million nicht aus dem Grenznutzen etwa ihrer tausend Teile zu tausend Mark zu berechnen, sondern bildet eine darüber stehende Einheit, wie der Wert eines einheitlich handelnden Lebewesens über dem seiner einzelnen Glieder. Ich habe im vorigen Kapitel ausgeführt, daß der Geldpreis eines Gegenstandes, aus wie vielen Münzeinheiten er auch bestehe, dennoch als eine Einheit wirke: eine Million Mark, sagte ich, seien zwar an und für sich ein bloß additionales Konglomerat zusammenhangsloser Einheiten; dagegen als Wert etwa eines Landgutes seien sie das einheitliche Symbol, Ausdruck oder Äquivalent seiner Werthöhe und absolut nicht ein bloßes Nebeneinander einzelner Werteinheiten. Diese sachliche Bestimmung findet hier nun ihr personales Korrelat: die Beziehung auf die Einheit einer Person verwirklicht die Quantität des Geldes als Qualität, seine Extensität als Intensität, die aus dem bloß summierenden Nebeneinander seiner Bestandteile nicht erzielbar wäre.
Vielleicht läßt sich das auch so ausdrücken. Das Geld, als das rein arithmetische Zusammen von Werteinheiten, kann als absolut formlos bezeichnet werden. Formlosigkeit und reiner Quantitätscharakter sind eines und dasselbe; insofern Dinge nur auf ihre Quantität angesehen werden, wird von ihrer Form abgesehen – was am deutlichsten geschieht, wenn man sie wägt. Deshalb ist das Geld als solches der fürchterlichste Formzerstörer: denn welche Formungen der Dinge a, b und c auch der Grund sein mögen, daß sie alle den Preis m kosten, so wirkt die Unterschiedenheit derselben, also die spezifische Form eines jeden, in den so fixierten Wert ihrer nicht mehr hinein, sie ist in dem m, das nun a, b und c gleichmäßig vertritt, untergegangen und macht innerhalb der wirtschaftlichen Schätzung gar keine Bestimmtheit dieser mehr aus. Sobald das Interesse auf den Geldwert der Dinge reduziert ist, wird ihre Form, so sehr sie diesen Wert veranlaßt haben mag, so gleichgültig, wie sie es für ihr Gewicht ist. In dieser Richtung liegt auch der Materialismus der modernen Zeit, der selbst in seiner theoretischen Bedeutung irgendeine Wurzelgemeinschaft mit ihrer Geldwirtschaft haben muß: die Materie als solche ist das schlechthin Formlose, das Widerspiel aller Form, und wenn sie als das alleinige Prinzip der Wirklichkeit gilt, so ist an dieser ungefähr der gleiche Prozeß vollzogen, wie ihn die Reduktion auf den Geldwert an den Gegenständen unseres praktischen Interesses zuwege bringt. Ich werde noch öfters davon zu sprechen haben, wie – in tiefem Zusammenhang mit der Schwellenbedeutung der Geldquanten – das Geld in außerordentlich hohen Summen eine besondere, der leeren Quantitätshaftigkeit sich enthebende, gleichsam individuellere Gestalt gewinnt. So nimmt, auch schon rein äußerlich, seine Formlosigkeit mit steigender Masse relativ ab: die kleinen Stücke des frühesten italischen Kupfergeldes blieben ungeformt oder erhielten höchstens eine rohe runde oder kubische Gestalt; dagegen die größten wurden durchgängig in viereckige Barrenform gegossen und gewöhnlich auf beiden Seiten mit einer Marke versehen. In der prinzipiellen Formlosigkeit eben des Geldes als Geldes schlechthin aber wurzelt die Feindseligkeit zwischen der ästhetischen Tendenz und den Geldinteressen. Jene geht so sehr auf die bloße Form, daß man bekanntlich den eigentlich ästhetischen Wert z. B. aller bildenden Künste in die Zeichnung gesetzt hat, die als reine Form sich in jedem beliebigen stofflichen Quantum unverändert ausdrücken könne. Das ist nun zwar als Irrtum zugegeben, ja, noch viel weitergehend, als es bisher anerkannt ist, wird man sagen müssen, daß die absolute Größe, in der eine Kunstform sich darstellt, ihre ästhetische Bedeutung aufs erheblichste beeinflusse, und daß diese letztere durch jede kleinste Änderung der quantitativen Maße, bei absoluter Formgleichheit, sogleich modifiziert werde. Aber darum bleibt doch der ästhetische Wert der Dinge nicht weniger auf ihrer Form, d. h. auf dem Verhältnis ihrer Elemente zueinander, haften, wenngleich wir. jetzt wissen, daß der Charakter und die Wirkung dieser Form durch das Quantum, an dem sie wirklich wird, sehr wesentlich mitbestimmt wird. Es ist vielleicht bezeichnend, daß zwar außerordentlich viele Sprichwörter, aber von den unzähligen Volksliedern nur wenige sich mit dem Gelde, trotz seiner lebenbeherrschenden Bedeutung, zu befassen scheinen und daß selbst, wo um einer Münzveränderung willen ein Aufstand ausbrach, die bei dieser Gelegenheit entstehenden und im Volke verbreiteten Lieder die Münzsache selbst meistens beiseite lassen. Es bleibt immer der unversöhnliche und für alle ästhetischen Interessen entscheidende Antagonismus der Betonung: ob man die Dinge nach dem Wert ihrer Form oder nach dem Wieviel ihres Wertes fragt, sobald dieser Wert ein bloß quantitativer, alle Qualität durch eine bloße Summe gleichartiger Einheiten ersetzender ist.
Man kann sogar direkt sagen, daß, je mehr der Wert eines Dinges in seiner Form beruht, sein Wieviel um so gleichgültiger wird. Wenn die größten Kunstwerke, die wir besitzen, etwa der delphische Wagenlenker und der Praxitelische Hermes, der Frühling von Botticelli und die Mona Lisa, die Mediceergräber und Rembrandts Altersporträts – in tausend völlig ununterscheidbaren Exemplaren existierten, so wäre das zwar für das Glück der Menschheit ein großer Unterschied, aber der ideale, objektiv ästhetische, oder wenn man will: kunstgeschichtliche Wert wäre dadurch absolut nicht über denjenigen Grad hinaus gesteigert, den das eine, jetzt vorhandene Exemplar darstellt. Anders ist es schon mit kunstgewerblichen Gegenständen, bei denen die ästhetische Form eine völlige Einheit mit dem praktischen Gebrauchszweck bildet, so daß oft sogar die vollendetste Herausarbeitung dieses letzteren als der eigentliche ästhetische Reiz wirkt. Hier ist es für den ganzen so geschaffenen Wert wesentlich, daß der Gegenstand auch gebraucht werde, und deshalb wächst seine ideale Bedeutung mit seiner Verbreitung: in dem Maße, in dem das Objekt außer seiner Form noch anderen Wertelementen Raum gibt, wird auch das Wievielmal seiner Verwirklichung wichtig. Das ist auch der tiefste Zusammenhang zwischen der ethischen Werttheorie Nietzsches und der ästhetischen Stimmung seines Wesens: der Rang einer Gesellschaft bestimmt sich ihm nach der überhaupt in ihr erreichten Höhe der Werte, wie einsam sie auch sei, nicht aber nach dem Verbreitungsmaß von schätzbaren Qualitäten – wie der Rang einer Kunstepoche nicht von der Höhe und dem Quantum guter Durchschnittsleistungen, sondern nur von der Höhe der höchsten Leistungen abhängt. So neigt der Utilitarier, dem es allein auf die ganz greifbaren Ergebnisse des Handelns ankommt, zum Sozialismus, mit seiner Betonung der Vielen und der Verbreitung erwünschter Lebensmomente, während der idealistische Ethiker, dem die – mehr oder weniger ästhetisch ausdrückbare – Form des Tuns am Herzen liegt, eher Individualist ist oder wenigstens, wie Kant, die Autonomie des Einzelnen vor allem betont. So ist es doch auch auf dem Gebiet des subjektiven Glückes. Von den äußersten Aufgipfelungen des Lebensgefühles, die gleichsam für das Ich seine vollste Ausprägung in dem Stoff des Daseins bedeuten, empfinden wir oft, daß sie sich gar nicht zu wiederholen brauchen. Dies einmal genossen zu haben, gibt dem Leben einen Wert, der durch das Noch-Einmal eben desselben durchaus nicht verhältnismäßig gesteigert wird. Gerade solche Augenblicke, in denen das Leben ganz individuelle Zuspitzung geworden ist und den Widerstand der Materie – im weitesten Sinne – seinem Fühlen und Wollen völlig unterworfen hat, bringen eine Atmosphäre mit sich, die man als Seitenstück der Zeitlosigkeit, der species aeternitatis bezeichnen könnte: eine Erhebung über die Zahl, wie dort über die Zeit. Und wie ein Naturgesetz seine Bedeutung für Charakter und Zusammenhang der Welt nicht von der Zahl seiner Verwirklichungsfälle entlehnt, sondern von der Tatsache, daß es überhaupt da ist, daß es, und kein anderes, gilt – so haben die Momente der höchsten Erhebung des Ich ihren Sinn für unser Leben darin, daß sie überhaupt einmal da waren, ohne daß eine Wiederholung, die ihrem Inhalt nichts hinzufügte, diesen Sinn vermehren könnte. Kurz, allenthalben macht die Zuspitzung der Wertgefühle auf die Form gegen ihre Quantitätsmomente gleichgültiger, während ihre Formlosigkeit gerade auf diese als wert-entscheidende hinweist.
Solange noch nicht so grenzenlos viele Zweckreihen sich im Geld schneiden, wie auf den Höhen der geldwirtschaftlichen Kultur, und noch nicht fortwährendes Zerbröckeln und Wieder-Summieren jede Eigenstruktur seiner atomisiert und in absolute Flexibilität übergeführt hat – begegnen Erscheinungen, in denen das Geld noch spezifische Form zeigt. Das ist da der Fall, wo eine höhere Summe nicht durch addierte kleinere ersetzt werden kann. Ansätze dazu zeigt schon der Naturaltauschverkehr: bei manchen Völkern darf etwa Vieh nur gegen Eisen und Zeuge, nicht aber gegen – sonst tauschwertvollen – Tabak vertauscht werden. Anderwärts, z. B. auf der Insel Yap, haben die außerordentlich mannigfaltigen Geldsorten (Knochen, Perlmutterschalen, Steine, Glasstücke usw.) eine Rangordnung. Trotzdem nämlich feststeht, ein wie Vielfaches der niederen Geldsorten die höheren gelten, so dürfen doch gewisse wertvollere Dinge, wie Boote oder Häuser, nicht etwa mit entsprechend vielen niederen Geldstücken, sondern müssen mit einer für jedes Objekt bestimmten, im Range hochstehenden Geldsorte bezahlt werden. Für den Kauf von Frauen finden wir gleichfalls diese Beschränkung auf eine bestimmte Geldqualität, die nicht durch eine Quantität anderer ersetzbar ist, in Gültigkeit. Und auch in umgekehrter Richtung gilt eben dieselbe: an einigen Stellen wird das Gold nie verwendet, um größere Quanten geringerer Waren, sondern ausschließlich um besonders kostbare Dinge einzukaufen. Dieser Erscheinungskreis entspricht nicht etwa der Bestimmung unserer Goldwährung, nach der Zahlungen oberhalb einer gewissen Höhe in Gold verlangt werden können, während man für niedere anderes Metall annehmen muß; der prinzipielle und technische Unterschied zwischen Wertmünze und Scheidemünze, auf den dies zurückgeht, scheint für jene Usance nicht zu bestehen, sondern die Geldsorten scheinen eine einheitliche Reihe zu bilden, in der nur die höheren Glieder ihren quantitativen Inhalt zu einem besonderen, quantitativ nicht ausdrückbaren Formwert zusammenschließen. Dies ist ein vortreffliches Mittel, der Trivialisierung der Geldfunktion vorzubeugen, die die unvermeidliche Folge des bloßen Quantitätscharakters ist, und ihr den sakralen Charakter zu erhalten, den sie anfänglich so oft trägt. Aber es ist auch der Hinweis, daß solche Form- oder Qualitätsbedeutungen des Geldes einer Primitivepoche angehören, in der es eben noch nicht bloß Geld, sondern außerdem noch etwas ist. Sehr viel schwächer, gleichsam verhallend, klingt dieser Ton noch in spärlichen Erscheinungen der höchsten Entwicklungsstufen mit. So muß etwa die folgende ursprünglich auf eine Formbedeutung des Geldes zurückgehen: das französische Volk sagt lieber 20 Sous statt 1 Fr., lieber pièce de cent sous statt 5-Fr.-Stück usw.; auch kann man nicht gut: halber Franc sagen, sondern drückt diese Summe durch Sous oder Centimes aus. Die gleiche Summe scheint also, in dieser Form vorgestellt, einigermaßen andere Gefühlsreaktionen zu wecken, als in anderer. Es hat denselben Sinn, wenn das Volk statt des abstrakten Wortes Geld gern einen Münzennamen, also eine bestimmte Formung des Geldes, verwendet, auch wo ausschließlich Geld seinem Quantum nach gemeint ist: »Kein Kreuzer, keine Schweizer«, »Wo mit dem Taler geläutet wird, gehen alle Türen auf«, usw. Auch sonst ist bemerkt, daß das mit niederen Werten rechnende Volk bestimmte Größen lieber durch Addition von unten her als durch Teilung von oben her bezeichnet. Die Summe, die aus der Vervielfältigung der vertrauten Einheit hervorgegangen ist, scheint nicht nur ihre Bedeutung überschaubarer und vernehmlicher auszudrücken, sondern dieses subjektive Moment objektiviert sich in ein Gefühl, als sei die Summe, so ausgedrückt, auch an sich etwas Größeres und Volleres, als wenn sie sich in anderen Faktoren darstellt. Unterschiede in dieser Art waren in Norddeutschland zu beobachten, als an die Stelle der Taler die Markrechnung trat. In der Übergangszeit waren »dreihundert Mark« vielfach von ganz anderen psychischen Obertönen begleitet als »hundert Taler«, die neue Form, in der der identische Inhalt sich ausdrückte, erschien umfänglicher, reichlicher als die andere, diese dagegen als konziser, bestimmter in sich geschlossen. Dieser Art also sind die Erscheinungen, in denen die in allen anderen Dingen so wesentliche Form sich am Gelde wenigstens andeutet und die ihm sonst eigene unbedingte Identität der Summe, welche Form man ihr auch leihen mag, einigermaßen unterbricht.
Was man im übrigen und im allgemeinen am Gelde dennoch als Form bezeichnen könnte, kommt ihm aus der Einheit der Persönlichkeit, die das Nebeneinander der Teile eines Vermögensbesitzes in ein Miteinander und eine Einheit verwandelt. Deshalb hat auch ein Vermögen, namentlich ein erheblicheres, nicht die ästhetische Mißlichkeit des Geldes im allgemeinen. Und zwar liegt das nicht nur an den ästhetischen Möglichkeiten, die der Reichtum gewährt; sondern teils neben diesen, teils sie fundamentierend, besteht das Bild eines Vermögens als die Form, die das Geld durch seine Beziehung zu einem persönlichen Zentrum gewinnt, die es von der abstrakten Vorstellung des Geldes überhaupt scheidet und ihren Charakter als Form durch den Unterschied einer solchen Vermögenseinheit gegen die gleiche, aber auf viele Personen verteilte Summe deutlich aufzeigt. Wie sehr die Personalität des Besitzes seine Formbestimmtheit als solche trägt und betont, zeigt sich keineswegs nur am Geld. Die Hufe des altgermanischen Vollfreien war ein unteilbarer Besitz, weil sie mit seiner Mitgliedschaft in der Markgenossenschaft solidarisch war, der Besitz floß aus der Person und hatte deshalb die gleiche Qualität der Einheit und Unteilbarkeit. Und wenn man über den englischen Grundbesitz im Mittelalter vermutet hat, daß völlige Gleichheit der Lose immer auf unfreien Besitz, auf eine rationelle Landverteilung an Hintersassen seitens eines Herrn Anweisung gäbe, – so wäre es doch auch hier die einheitliche Persönlichkeit, wenngleich die unindividuelle und unfreie, die dem Besitz seine Umschriebenheit und Formbestimmtheit verleiht. Die Verdinglichung des Besitzes, seine Lösung von der Person bedeutete zugleich einerseits die Möglichkeit, die Landstücke Vieler in einer Hand zu vereinigen, andrerseits das einzelne beliebig zu zerschlagen. Mit der Personalität des Landbesitzes ging ebenso die Festigkeit wie die Wichtigkeit seiner Form verloren, er wurde ein Fließendes, dessen Formung von Moment zu Moment durch sachliche Verhältnisse (in die natürlich fortwährend personale eingehen) aufgelöst und wieder gebildet wird, während die Solidarität des Besitzes mit der Person denselben mit der von innen kommenden Formeinheit des Ich durchdrungen hatte. – Das Leben früherer Zeiten erscheint viel mehr an fest gegebene Einheiten gebunden, was ja nichts anderes bedeutet, als die hervorgehobene Rhythmik desselben, die die moderne Zeit in ein beliebig abteilbares Kontinuum auflöst. Die Inhalte des Lebens – wie sie mehr und mehr durch das absolut kontinuierliche, unrhythmische, von sich aus jeder festumschriebenen Form fremde Geld ausdrückbar sind – werden gleichsam in so kleine Teile zerlegt, ihre abgerundeten Totalitäten so zerschlagen, daß jede beliebige Synthese und Formung aus ihnen möglich ist. Damit erst ist das Material für den modernen Individualismus und die Fülle seiner Erzeugnisse geschaffen. Ersichtlich leistet die Persönlichkeit, mit dem so gestalteten, oder eigentlich nicht gestalteten Stoffe neue Lebenseinheiten schaffend, ebendasselbe mit größerer Selbständigkeit und Variabilität, was sie in dem früheren Falle in enger Solidarität mit stofflichen Einheiten geleistet hatte.
Durch sein so charakterisiertes Wesen wird das Geld innerhalb der historisch-psychologischen Gebiete der vollendetste Repräsentant einer Erkenntnistendenz der modernen Wissenschaft überhaupt: der Reduktion qualitativer Bestimmungen auf quantitative. Hier denkt man zunächst an die Schwebungen indifferenter Medien, die als die objektive Veranlassung unserer Farben- und Tonempfindungen gelten. Rein quantitative Unterschiede der Oszillationen entscheiden darüber, ob wir so qualitativ Unterschiedenes wie grün oder violett sehen, oder wie das Contra-A oder das fünfgestrichene C hören. Innerhalb der objektiven Wirklichkeit, von der nur Fragmente, zufällig und zusammenhangslos, in unser Bewußtsein hineinwirken, ist alles nach Maß und Zahl geordnet, und den qualitativen Verschiedenheiten unserer subjektiven Reaktionen entsprechen quantitative ihrer sachlichen Gegenbilder. Vielleicht sind all die unendlichen Verschiedenheiten der Körper, die in ihren chemischen Beziehungen hervortreten, nur verschiedene Schwingungen eines und desselben Grundstoffes. Soweit die mathematische Naturwissenschaft dringt, hat sie das Bestreben, unter Voraussetzung gewisser gegebener Stoffe, Konstellationen, Bewegungsursachen die Strukturen und Entwicklungen durch bloße Maßformeln auszudrücken. In anderer Form und Anwendung ist dieselbe Grundtendenz in all den Fällen wirksam, wo man frühere Annahmen eigenartiger Kräfte und Bildungen auf die Massenwirkung auch sonst bekannter, unspezifischer Elemente zurückgeführt hat: so in bezug auf die Bildung der Erdoberfläche, deren Gestalt man statt aus plötzlichen und unvergleichbaren Katastrophen jetzt vielmehr aus den langsam summierten, unmerklich kleinen, aber in unermeßlicher Vielheit sich äußernden Wirkungen herleitet, die die fortwährend beobachtbaren Kräfte des Wassers, der Luft, der Pflanzendecke, der Wärme und Kälte ausüben. Innerhalb der historischen Wissenschaften ist dieselbe Gesinnung bemerkbar: Sprache, Künste, Institutionen, Kulturgüter jeder Art erscheinen als das Resultat unzähliger minimaler Beiträge, das Wunder ihres Entstehens wird nicht durch die Qualität heroischer Einzelpersönlichkeiten, sondern durch die Quantität der zusammengeströmten und verdichteten Aktivitäten der ganzen historischen Gruppe erklärt; als die Objekte der Geschichtsforschung erscheinen mehr die kleinen, alltäglichen Vorgänge des geistigen, kulturellen, politischen Lebens, die durch ihre Summierung das historische Dasein in seiner Breite und seinen Entwicklungen schaffen, als die spezifisch individuellen Taten der Führer; und wo eine Prominenz und qualitative Unvergleichlichkeit Einzelner dennoch vorliegt, da wird sie als eine besonders glückliche Vererbung gedeutet, d. h. als eine solche, die ein möglichst großes Quantum angehäufter Energien und Errungenschaften der Gattung einschließt und ausdrückt. Ja, selbst innerhalb einer ganz individualistischen Ethik wird diese ebenso zur Weltanschauung gesteigerte wie in die Innerlichkeit des Gemütes hinabsteigende demokratische Tendenz mächtig; denn es begegnet die Behauptung, daß die höchsten Werte in dem alltäglichen Dasein und jedem seiner Momente, aber nicht in dem Heroischen, Katastrophenhaften, den hinausragenden Taten und Erlebnissen liegen, als welche immer etwas Zufälliges und Äußerliches hätten; mögen wir alle großen Leidenschaften und unerhörten Aufschwünge durchkosten – ihr Ertrag sei doch nur, was sie für die stillen, namenlosen, gleichmäßigen Stunden zurücklassen, in denen allein das wirkliche und ganze Ich lebt. Endlich, die empiristische Neigung, die, trotz aller entgegengesetzten Erscheinungen und aller berechtigten Kritik, dennoch das Ganze der modernen Zeit am durchgehendsten charakterisiert und hier ihre innerste Form- und Gesinnungsverbindung mit der modernen Demokratie offenbart, setzt die möglichst hohe Zahl von Beobachtungen an die Stelle der einzelnen, divinatorischen oder rationalen Idee, sie ersetzt das qualitative Wesen dieser durch die Quantität der zusammengebrachten Einzelfälle; und dieser methodischen Absicht entspricht ganz der psychologische Sensualismus, der die sublimsten und abstraktesten Gebilde und Fähigkeiten unserer Vernunft für eine bloße Häufung und Steigerung der alltäglichsten sinnlichen Elemente erklärt. Die Beispiele ließen sich leicht vermehren, die das wachsende Übergewicht der Kategorie der Quantität über die der Qualität zeigen, oder genauer: die Tendenz, diese in jene aufzulösen, die Elemente immer mehr ins Eigenschaftslose zu rücken, ihnen selbst etwa nur noch bestimmte Bewegungsformen zu lassen und alles Spezifische, Individuelle, qualitativ Bestimmte als das Mehr oder Weniger, das Größer oder Kleiner, das Weiter oder Enger, das Häufiger oder Seltener jener an sich farblosen, eigentlich nur noch der numerischen Bestimmtheit zu gängigen Elemente und Bewußtheiten zu erklären – mag diese Tendenz auch mit irdischen Mitteln ihr Ziel nie absolut erreichen können. Das Interesse an dem Wieviel, so sehr es einen angebbaren realen Sinn nur in der Verbindung mit dem Was und Wie besitzt und für sich allein nur eine Abstraktion darstellt, gehört zu den Grundlagen unseres geistigen Wesens, es ist der Einschlag in den Zettel der Qualitätsinteressen; wenn also auch beide zusammen erst ein Gewebe ergeben und deshalb die ausschließliche Betonung des einen logisch nicht zu rechtfertigen ist, so ist sie doch psychologisch eine der großen Differenzierungen der Perioden, der Individuen, der Seelenprovinzen. Was Nietzsche von allen sozialistischen Wertungen scheidet, kann sich nicht schärfer als darin zeichnen, daß ihm ausschließlich die Qualität der Menschheit eine Bedeutung besitzt, so daß nur das eine jeweilige höchste Exemplar über den Wert der Epoche entscheidet, während für den Sozialismus gerade nur das Verbreitungsmaß erwünschter Zustände und Werte in Frage kommt.
Die oben angeführten Beispiele der modernen Quantitätstendenz zeigen ersichtlich zwei Typen: erstens, die objektiven Substanzen und Ereignisse, die den qualitativ unterschiedenen subjektiven Vorstellungen zum Grunde liegen, sind ihrerseits nur quantitativ unterschieden; zweitens, auch im Subjektiven erzeugt die bloße Häufung der Elemente oder Kräfte Erscheinungen, deren Charakter sich von den quantitativ anders bedingten spezifisch und nach Wertgesichtspunkten unterscheidet. Nach beiden Richtungen hin erscheint das Geld als Beispiel, Ausdruck oder Symbol der modernen Betonung des Quantitätsmomentes. Die Tatsache, daß immer mehr Dinge für Geld zu haben sind, sowie die damit solidarische, daß es zum zentralen und absoluten Wert auswächst, hat zur Folge, daß die Dinge schließlich nur noch so weit gelten, wie sie Geld kosten, und daß die Wertqualität, mit der wir sie empfinden, nur als eine Funktion des Mehr oder Weniger ihres Geldpreises erscheint. Unmittelbar hat dieses Mehr oder Weniger die doppelte Folge: im Subjekt die entgegengesetzten Gefühle, das tiefste Leid und die höchste Beseligung samt allen Mittelgliedern zwischen diesen Polen hervorzurufen, wie es seitens Anderer in die nicht weniger reiche Skala zwischen verächtlicher Gleichgültigkeit und kniebeugender Verehrung einzustellen. Und in einer anderen Dimension strahlt das Geld sowohl nach der Seite des Viel wie des Wenig sogar gleichmäßige Wertbedeutungen aus: der typische moderne Mensch schätzt die Dinge, weil sie sehr viel kosten, und er schätzt sie, weil sie sehr wenig kosten. Daß die Geldbedeutung sich der Sachbedeutung substituiert, kann nicht radikaler ausgedrückt werden als durch die gleichsinnige – wenn auch natürlich nicht für jeden einzelnen Fall gleichsinnige – Wirkung des Viel und des Wenig des Geldes. Je zentraler ein Gedanke oder ein Wert seine Provinz beherrscht, von um so gleichmäßigerer Stärke wird die Wichtigkeit sein, die er sowohl mit positivem wie mit negativem Vorzeichen entfaltet. – Andrerseits, im Objektiven, bewirkt das Anwachsen der Geldquantität überhaupt wie seine Akkumulierung in einzelnen Händen eine Steigerung der sachlichen Kultur, eine Herstellung von Produkten, Genießbarkeiten und Lebensformen, von deren Qualitäten bei geringeren oder anders verteilten Geldquantitäten gar nicht die Rede hätte sein können. Ja, man möchte sogar jene Quantitätstendenz am Geld radikaler verwirklicht meinen als auf irgendeinem anderen, diesseits der Metaphysik liegenden Gebiete. Denn wo immer wir qualitative Tatsächlichkeiten auf quantitative Verhältnisse zurückgliedern, bleiben die Elemente – physischer, personaler, psychischer Art –, deren Mehr oder Weniger den besonderen Erfolg entscheidet, an sich selbst doch in irgendeinem Maße qualitativ charakterisiert; man mag diese Bestimmtheit immer weiter zurückschieben, so daß die gestern noch unauflösliche Qualität des Elementes heute ihrerseits als eine Modifikation nach Maß und Zahl erkennbar wird; dieser Prozeß aber geht ins Unendliche und läßt in jedem gegebenen Augenblick noch eine qualitative Bestimmtheit der Elemente bestehen, um deren Wieviel es sich handelt. Nur der Metaphysik mag die Konstruktion absolut eigenschaftsloser Wesenheiten gelingen, die, nach rein arithmetischen Verhältnissen zusammengeordnet und bewegt, das Spiel der Welt erzeugen. Im Gebiet der Erscheinungen aber erreicht nur das Geld diese Freiheit von allem Wie, diese alleinige Bestimmtheit nach dem Wieviel. Während wir nirgends das reine Sein oder die reine Energie ergreifen können, um aus ihren quantitativen Modifikationen die Besonderheit der Erscheinungen hervorgehen zu lassen, vielmehr zu allen spezifischen Dingen ihre Elemente und Ursachen schon irgendeine Beziehung (wenngleich nicht immer Ähnlichkeit) haben – ist das Geld von den entsprechenden Beziehungen zu dem, was darüber und dadurch wird, völlig gelöst; der reine ökonomische Wert hat einen Körper gewonnen, aus dessen Quantitätsverhältnissen nun alle möglichen eigenartigen Gebilde hervorgehen, ohne daß er etwas anderes als eben seine Quantität dafür einzusetzen hätte. So erreicht auch hier eine der großen Tendenzen des Lebens – die Reduktion der Qualität auf die Quantität – im Geld ihre äußerste und allein restlose Darstellung; auch hier erscheint es als der Höhepunkt einer geistesgeschichtlichen Entwicklungsreihe, der die Richtung derselben erst unzweideutig festlegt.