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Dreizehntes Kapitel.

Wie es scheint, verschob die eifersüchtige und tyrannische Biegom nicht länger ihre Absicht, die Todesangst ihrer Nebenbuhlerin durch die Kunde ihres Schicksals zu erwecken. Menie Gray bewog durch Bitten oder Belohnungen einen Diener von Ram Sing Cottah, Hartley das folgende in Verzweiflung geschriebene Billet zu überbringen.

 

»Alles ist wahr, was Eure Besorgnisse ahnen ließen – er hat mich dem grausamen Weibe überliefert, welche mich an den Tyrannen Tippu zu verkaufen droht – rettet mich, wenn Ihr könnt, – habt Ihr kein Mitleid, oder könnt Ihr mir keine Hülfe gewähren, so bleibt mir auf Erden nichts mehr übrig.

M. G.«

 

Die Hast, womit Hartley ins Fort eilte und eine Audienz beim Gouverneur verlangte, wurde durch die Verzögerung vereitelt, welche Popiah veranlaßte.

Es war den Plänen dieses listigen Hindu nicht gemäß, daß die Abreise der Biegom und ihres Günstlinges unterbrochen würde, da die Pläne des letztern seinen eigenen so sehr entsprachen. Er stellte sich ungläubig, als Hartley sich beklagte, daß eine Engländerin wider ihren Willen im Gefolge der Biegom zurückgehalten werde, behandelte die Klage der Miß Gray als das Ergebniß eines Weiberzankes, welcher einer besondern Aufmerksamkeit nicht werth sei und wußte zuletzt, als er einige Schritte thun mußte, um die Angelegenheit näher zu untersuchen, die Sache so einzurichten, daß die Biegom und ihr Gefolge bald aus dem Bereiche jeder Unterbrechung waren.

Hartley machte seinem Unwillen in Vorwürfen gegen den Popiah Luft, worin auch dessen Herr nicht geschont war. Dieß gab allein dem leidenschaftslosen Braminen einen Vorwand, um ihm das Betreten des Regierungspalastes zu untersagen, und ihm zugleich einen Wink zu ertheilen, daß er, im Fall seine Sprache weiterhin solche Unbesonnenheit zeigen würde, erwarten müsse, von Madras nach einer Bergfeste oder nach einem Dorf im Gebirge versetzt zu werden, wo seine medizinische Kenntniß genügenden Spielraum finden würde, um sich und Andere vor der Ungesundheit des Clima zu schützen. Als Hartley sich so in vergeblichem Unwillen entfernte, war Esdale die erste Person, der er begegnete. Von Zorn erregt, erzählte er demselben das Verfahren des Dubasch, welches er als schmählich bezeichnete, wobei er zugleich erklärte, er habe nur zu viel Grund zu der Vermuthung, daß der Gouverneur selbst die Hand dabei im Spiele habe. Er schmähte auf den Mangel an Eifer, daß die Regierung eine britische Unterthanin dem Betruge der Renegaten und der Gewalt eines Tyrannen preisgebe.

Esdale hörte ihm mit der Aengstlichkeit zu, welche kluge Leute zu zeigen pflegen, wenn sie merken, daß sie durch die Reden eines unvorsichtigen Freundes selbst in Verlegenheit kommen könnten.

»Wollt Ihr für Eure Person Genugthuung,« sagte er zuletzt, »so müßt Ihr Euch nach Leadenhall Street wenden, wo ich vermuthe, daß sich Klagen sowohl gegen den Popiah, als seinen Herrn in Masse aufhäufen; doch dieß ist unter uns gesagt.«

»Ich will nichts von Beiden,« erwiderte Hartley, »ich brauche keine persönliche Genugthuung, ich wünsche keine, ich will nur Hülfe für Menie Gray.«

»In dem Falle,« sagte Esdale, »bleibt Euch nur Ein Mittel übrig, – Ihr müßt Euch an Hyder selbst wenden.«

»An Hyder, den Thronräuber, den Tyrannen?

»Ja, an diesen Thronräuber und Tyrannen,« antwortete Esdale, »müßt Ihr Euch wenden, er ist stolz darauf, daß man von ihm glaubt, er verwalte strenge die Gerechtigkeit, und vielleicht fällt es ihm ein, bei dieser, wie bei andern Gelegenheiten sich im Lichte eines unparteiischen Richters zu zeigen.«

»Dann, will ich fort, um Gerechtigkeit an seinem Throne zu verlangen«

»Nur nicht so schnell, mein theurer Hartley,« erwiderte sein Freund, »zuerst überlegt Euer Wagniß. Hyder ist gerecht, aus Ueberlegung und vielleicht wegen politischer Rücksichten; seinem Temperamente nach aber ist sein Blut ebenso heiß, wie es nur unter einer schwarzen Haut fließen kann, und wenn Ihr ihn nicht gerade in der Richterlaune antrefft, so kann er sich ebensowohl in der Laune des Tödtens befinden. Pfählen und Erdrosseln steckt ihm ebenso häufig im Kopfe, wie die richtige Abwägung der Gerechtigkeit.«

»Daran ist nichts gelegen, ich will sogleich fort, um mich an seinen Hof zu begeben. Der Gouverneur darf schon aus Scham mir ein Beglaubigungsschreiben nicht versagen.«

»Denkt nicht daran, ein solches zu verlangen,« sagte sein mehrerfahrener Freund, »es würde Popiah nur wenig kosten, das Schreiben so abzufassen, daß Hyder dadurch bewogen würde, den derben und freimüthigen Doktor Adam Hartley unserem schwarzen Dubasch ein für allemal vom Halse zu schaffen. Ein Wakiel oder Regierungsbote reist morgen nach Seringapatam ab; richtet Eure Reise so ein, daß Ihr ihn einholt; sein Paß wird Euch Beide beschützen. Kennt Ihr Jemanden unter den Häuptlingen an Hyders Hofe?«

»Niemanden, mit Ausnahme seines kürzlichen geheimen Agenten an diesem Orte, Barakel Hadschi.«

»Seine Unterstützung,« sagte Esdale, »kann ebenso wirksam sein, wie die von Personen wesentlicheren Einflusses. Um die Wahrheit zu sagen, so weiß man nie, worauf man rechnen kann, wenn der Eigensinn eines Despoten im Spiel ist; befolgt meinen Rath, theurer Hartley, und überlaßt das arme Mädchen ihrem Schicksale. Wenn Ihr Euch bemüht, sie zu retten, so kann man Hundert gegen Eins wetten, daß Ihr nur Euren eigenen Untergang bewirken werdet.«

Hartley schüttelte den Kopf, und nahm hastig Abschied von Esdale; er verließ denselben in dem glücklichen und selbstzufriedenen Seelenzustande eines Mannes, welcher einem Freunde den möglichst besten Rath ertheilt hat und gewissenhaft seine Hände hinsichtlich der Folgen in Unschuld waschen kann. Der besorgte Hartley versah sich mit Geld, nahm drei zuverlässige eingeborne Diener, die auf arabischen Pferden, wie er selbst, ritten, kein Zelt und sehr wenig Gepäck mit sich führten, und verlor keinen Augenblick, um die Straße nach Mysore einzuschlagen. Mittlerweile bemühte er sich, jede Geschichte, die er jemals von Hyders Gerechtigkeit und Selbstbeherrschung gehört hatte, sich in's Gedächtniß zurückzurufen, um sich zu überzeugen, daß er den Nawob geneigt finden könne, ein hülfloses Weib gegen den zukünftigen Thronerben seines Reiches zu schützen.

Bevor er das Gebiet von Madras verließ, holte er den Wakiel oder den Boten der britischen Regierung ein, von welchem Esdale gesprochen hatte. Dieser Mann, welcher daran gewöhnt war, für eine Geldsumme kühnen europäischen Kaufleuten, welche Hyders Hauptstadt zu besuchen wünschten, einen Antheil an seinem Schutzpaß und seiner Escorte zu gewähren, war nicht geneigt, denselben Dienst einem angesehenen Herrn aus Madras zu verweigern; durch eine Geldbelohnung günstig gestimmt, entschloß er sich, so schnell wie möglich zu reisen. Die Reise konnte nicht ohne Mühen und beträchtliche Gefahr zurückgelegt werden, denn sie hatten ein Land zu durchziehen, welches häufig allen Uebeln des Krieges ausgesetzt war, besonders als sie den Ghots näher kamen, jenen furchtbaren Gebirgspässen, welche vom Tafelland Mysore hinabführen und den gewaltigen Strömen einen Durchgang gewähren, welche, in der Mitte der indischen Halbinsel entspringend, dem Ocean zufließen.

Die Sonne war untergegangen, ehe die Reisegesellschaft den Fuß eines jener gefährlichen Pässe erreichte, durch welche die Straße nach Seringapatam führte. Ein enger Pfad, welcher im Sommer einem leeren Strombett glich, wand sich aufwärts unter ungeheuren Felsen und Abgründen; er war bisweilen vollkommen von den dunkeln Gruppen der Tiekbäume überschattet und nahm bisweilen seine Richtung neben undurchdringlichen Dschungeln, den Wohnungen der Schakals und Tiger.

Auf diesem ungeselligen Pfade zogen die Reisenden schweigend, Einer hinter dem Andern her; Hartley, dessen Ungeduld ihn vor dem Wakiel reiten ließ, erkundigte sich eifrig, wann der Mond die Dunkelheit erleuchten würde, welche nach der Verschwindung der Sonne die Reisenden schnell umhüllte. Die Eingebornen gaben ihm nach ihrer gewöhnlichen Ausdrucksweise zur Antwort, der Mond sei in seiner dunklen Seite und er dürfe nicht hoffen, daß er ihn durch die Wolken dringen sehe, um das Dickicht und die Schichten schwarzen und schiefrigen Gesteines zu erleuchten, unter denen ihr Pfad sich hinwand. Hartley blieb somit nichts weiteres übrig, als sein Auge fest auf die angezündete Lunte des Sauars oder Reiters zu heften, der vor ihm ritt und die Lunte aus genügendem Grunde stets in Bereitschaft hielt, um sie auf das Zündkraut des Feuerschlosses zu halten. Der Reiter seinerseits hatte ein wachsames Auge auf den Daurah, einen im letzten Dorf gelieferten Führer, welcher, mehr als die Hälfte des Weges von seinem Hause entfernt, beargwöhnt wurde, daß er durch die Flucht sich der Mühe weiter zu reiten, entziehen wolle In jedem Dorf ist der Daurah oder Führer ein Beamter und erhält als Lohn einen Theil der Erndte, oder eine andere Besoldung, neben dem Schmied, Straßenkehrer und Barbier. Da er von den Reisenden, die er seinem Amte gemäß führen muß, keine Belohnung erhält, so trägt er niemals Bedenken, seine eigene Reise zu verkürzen und die ihrige zu verlängern, indem er sie nach dem nächsten Dorfe bringt, ohne Rücksicht, ob er die gerade Linie der Straße einschlägt; bisweilen verläßt er sie gänzlich. Ist dieser Beamte krank oder abwesend, so kann man durch keine Schätze einen Stellvertreter erhalten.. Der Daurah war seinerseits der angezündeten Lunte und der geladenen Flinte in seinem Rücken sich sehr wohl bewußt; er ließ von Zeit zu Zeit ein Halloh ertönen, um zu zeigen, daß er seinen Dienst versah, und um den Marsch der Reisenden zu beschleunigen. Sein Geschrei wurde gelegentlich durch den Ruf Olla von den schwarzen Soldaten beantwortet, welche die Nachhut bildeten, und an frühere Abenteuer, an die Plünderung einer Kaffila (Gesellschaft reisender Kaufleute), oder an ähnliche Thaten sich erinnerten, oder vielleicht bedachten, daß ein Tiger in der nahen Dschungel geduldig den letzten der Gesellschaft erwarte, um nach seinem gewöhnlichen Verfahren auf ihn einzuspringen.

Die Sonne, welche eben so plötzlich zum Vorschein kam, wie sie untergesunken war, leuchtete den Reisenden bei ihrem weiteren Ansteigen, und veranlaßte bei den zur Gesellschaft gehörenden Mahomedanern das Morgengebet Allah Akber, welches in langen Tönen zwischen den Felsen und Schluchten widerhallte; sie setzten alsdann ihren Marsch mit mehr Vortheil fort, bis der Paß sich auf eine grenzenlose Ausdehnung von Dschungeln öffnete, in deren Mitte sich ein einzelnes hohes Fort mit Erdwällen erhob. Auf dieser Ebene hatte Raub und Krieg die Arbeit menschlichen Fleißes unterbrochen, und der üppige Pflanzenwuchs des Bodens hatte in wenigen Jahren ein fruchtbares Land in ein undurchdringliches Dickicht verwandelt. Somit waren die Ufer eines kleinen Nullah oder Baches mit den Fußtapfen der Tiger und anderer Raubthiere bedeckt.

Hier machten die Reisenden Halt, um zu trinken, und sich nebst ihren Pferden mit Nahrung zu erquicken; in der Nähe dieses Ortes hatte auch Hartley einen Anblick, welcher ihn zwang, den Gegenstand, der seine eigenen Gedanken in Anspruch nahm, mit dem Unglück, welches einen Andern betroffen hatte, zu vergleichen. Nicht weit von dem Bach wandte der Führer die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf einen höchst elend aussehenden, mit Haar überwachsenen Mann, welcher auf der Haut eines Tigers saß. Sein Leib war mit Koth und Asche bedeckt, seine Haut von der Sonne verbrannt, seine Kleidung bestand nur aus wenigen elenden Lumpen. Er schien die Annäherung der Fremden nicht zu bemerken; er bewegte sich weder, noch sprach er ein Wort, sondern heftete seinen Blick auf ein kleines und roh geformtes Grab, welches, aus den schwarzen umherliegenden Ziegelsteinen erbaut, eine kleine Nische für eine Lampe enthielt. Als sie zum Manne hintraten, und vor ihm eine oder zwei Rupien und etwas Reis legten, bemerkten sie, daß der Schädel und die Knochen eines Tigers nebst einem beinahe verrosteten Säbel neben ihm lagen.

Als sie auf jenen elenden Gegenstand blickten, setzte sie der Führer von dessen tragischer Geschichte in Kenntniß. Sadhu Sing war ein Sipahie oder Soldat und natürlich auch ein Freibeuter, der Bewohner und der Stolz eines halb in Trümmern liegenden Dorfes gewesen, bei welchem sie am vergangenen Abend vorüber gekommen waren. Er war mit der Tochter eines Sipahies verlobt, welcher in dem Fort mit Erdwällen diente, das sie in einiger Entfernung über der Dschungel erhoben sahen. Zur passenden Zeit kam Sadhu mit seinen Freunden, um sich mit ihr zu vermählen und sie nach Hause zu bringen. Sie ritt auf einem Tatoo, einem kleinen, dem Lande eigenthümlichen Pferde, während Sadhu und seine Freunde ihr freudig und stolz zu Fuß vorangingen. Als sie dem Bache sich näherten, wo die Reisenden gerastet hatten, vernahmen sie ein furchtbares Gebrüll, von einem Nothschrei begleitet. Sadhu Sing, der sich sogleich umwandte, erblickte keine andere Spur seiner Braut, als daß ihr Pferd wild nach einer Richtung rannte, während das lange Gras und die Binsen der Dschungel sich in der anderen wie kleine Wirbel des Oceans bewegten, wenn ein Hai dicht unter der Oberfläche herschießt. Sadhu zog den Säbel und stürzte in dieser Richtung vorwärts; die Uebrigen der Gesellschaft blieben regungslos, bis sie durch ein kurz dauerndes Gebrüll des Todesschmerzes aufgeweckt wurden. Sie stürzten sich mit gezogenen Säbeln in den Dschungel, wo sie bald Sadhu Sing fanden, wie er in seinen Armen den leblosen Leib seiner Braut hielt, während in etwas weiterer Entfernung der Leichnam eines Tigers durch einen solchen Hieb in den Hals entseelt lag, wie ihn nur die Verzweiflung selbst führen konnte – der unglückliche Bräutigam wollte Niemand gestatten, sich in seinen Kummer einzumischen. Er grub ein Grab für seine Morah, errichtete über demselben dies rohe Denkmal, welches die Reisenden sahen, und verließ seitdem niemals den Platz. Die Raubthiere selbst schienen seinen äußersten Schmerz zu achten oder zu fürchten. Seine Freunde brachten ihm Nahrung und Wasser aus dem Bach, allein er lächelte weder, noch gab er ihnen ein Zeichen der Anerkennung, wenn sie ihm nicht Blumen brachten, um das Grab der Morah zu schmücken. Vier oder fünf Jahre waren nach Angabe des Führers verflossen, seit Sadhu Sing unter den Trophäen seines Grames und seiner Rache verweilte; sein Aussehen bot alle Zeichen vorgerückten Alters, obgleich er noch in der Blüthe der Jugend stand. Die Geschichte verscheuchte die Reisenden von ihrem Ruheplatz, den Wakiel, weil es ihn an die Gefahren der Dschungel erinnerte, und Hartley, weil der Vorfall nur zu sehr auf das wahrscheinliche Schicksal seiner Geliebten hindeutete, welche sich beinahe schon in den Klauen eines furchtbareren Tigers, als desjenigen sich befand, dessen Gerippe neben Sadhu Sing lag.

In dem schon erwähnten Fort mit Erdwällen erhielten die Reisenden die erste Nachricht von der Reise der Biegom und ihrer Gesellschaft durch einen Peon oder einen Soldaten der Infanterie, den sie früher angetroffen hatten, und der sich jetzt wieder auf seiner Rückkehr nach der Küste befand. Wie derselbe sagte, ward die Reise mit großer Eile zurückgelegt, bis die Ghots erstiegen waren, wo eine Abtheilung der eigenen Streitkräfte der Biegom sich der Gesellschaft anschloß; er und die Anderen, welche aus Madras als Geleit auf einige Zeit mitgenommen waren, jedoch ihre Bezahlung und ihre Entlassung erhalten hatten, trennten sich dort von jener Reisegesellschaft. Wie er erfahren hatte, beabsichtigte die Biegom Mutie Mahul in langsamen Tagemärschen und häufigen Rasttägen nach Bangalore weiter zu reisen; sie wollte die Nähe dieses Ortes nicht eher erreichen, als bis der Prinz Tippu, mit welchem sie eine Unterredung zu haben wünschte, von einem Feldzuge nach Wandicotta zurückgekehrt wäre, in welchen er sich kürzlich eingelassen hatte

Aus dem Ergebniß seiner ängstlichen Erkundigungen konnte Hartley Grund zur Hoffnung haben, daß er sich Hyder Ali zu Füßen werfen und denselben um seine Einschreitung ersuchen könnte, bevor die Unterredung mit Tippu und der Biegom das Schicksal der Menie Gray entscheiden würde, wenn er nämlich seine Reise sehr schnell zurücklegte, obgleich Seringapatam 75 Meilen weiter östlich lag, als Bangalore. Andererseits zitterte er bei der Angabe des Peon's, daß der Bokschi oder General der Biegom, welcher mit ihr in Verkleidung nach Madras gereist war, jetzt die Kleidung und die Würde seines Ranges wieder angenommen habe, und daß man die Erwartung hege, er werde von dem mahomedanischen Fürsten mit einem hohen Amte beehrt werden. Mit noch größerer Aengstlichkeit vernahm er, daß ein von den Sklaven orientalischer Eifersucht sorgfältig bewachter Palankin, wie geflüstert wurde, eine Feringi oder ein fränkisches Weib, schön wie eine Houri, enthielt, welche die Biegom als ein für Tippu bestimmtes Geschenk aus England hatte kommen lassen. Die schurkische That befand sich also im besten Zuge zur Ausführung; es war nur die Frage, ob dieselbe durch Hartley's emsige Bemühungen unterbrochen werden könne.

Als dieser eifrige Vertheidiger der Unschuld in Hyders Hauptstadt ankam, kann man sich einbilden, daß er nicht die Zeit damit verbrachte, den Tempel des berühmten Wischnu zu besuchen, oder die glänzenden Gärten Loll-Bang zu besehen, welche ein Denkmal von Hyders Pracht sind, und jetzt dessen sterblichen Reste umschließen. Im Gegentheil eilte er, sobald er angelangt war, zur Haupt-Moschee, indem er keinen Zweifel hegte, daß er dort einige Kunde von Barak el Hadschi erlangen könne.

Er nahte somit dem geheiligten Orte, und da der Eintritt einem Feringi das Leben gekostet haben würde, benutzte er die Vermittlung eines frommen Muselmanns, um Erkundigung hinsichtlich der von ihm gesuchten Person einzuziehen. Er erfuhr alsbald, daß der Fakir sich in der Moschee, wie er erwartet hatte, befinde, und sich mit der heiligen Verrichtung, Koran-Stellen und deren beste Erklärungen zu lesen, beschäftige. Es war unmöglich, ihn in seinem frommen Tagwerke zu unterbrechen, und derselbe Muselmann, der schon von Hartley verwendet worden war, konnte nur durch eine hohe Bestechung bewogen werden, in den Aermel des heiligen Mannes einen Zettel mit Hartley's Namen und demjenigen des Khans Orientalische Herberge. zu schieben, worin der Wakiel eingekehrt war. Die Mittelsperson brachte als Antwort zurück, daß der Fakir, wie sich erwarten lasse, in seinen heiligen Dienst versunken, keine sichtbare Aufmerksamkeit auf das Zeichen der Anmeldung gerichtet habe, welches ihm vom Feringi Sahib (europäischen Herrn) gesandt worden sei. Außer sich über den Verlust der Zeit, von welcher ein jeder Augenblick kostbar war, bemühte sich Hartley zunächst den Muselmann zu überreden, daß er des Fakir's Andacht durch eine mündliche Botschaft unterbreche; der Mann wurde jedoch schon bei dem bloßen Vorschlage zornig.

»Hund von einem Christen,« sagte er, »wer bist du und dein ganzes Geschlecht, daß Barak el Hadschi einen göttlichen Gedanken wegen eines Ungläubigen, wie du, verlieren sollte?«

Der unglückliche Hartley war in solcher Weise erbittert, daß er die Selbstbeherrschung verlor; er stand im Begriff, persönlich in die Moschee zu dringen, indem er hoffte, die förmliche und verlängerte Vorlesung, die in den Gängen des Gebäudes an dessen äußeren Seiten ertönte, zu unterbrechen, als ein alter Mann ihm die Hand auf die Schulter legte, und ihn von einer Raschheit zurückhielt, die ihn das Leben hätte kosten können. Derselbe sagte zugleich: »Ihr seid ein Sahib Angrisei (ein englischer Herr), ich bin ein Telinga (ein gemeiner Soldat) in Dienst der Compagnie gewesen und habe deren Salz gegessen. Ich will Eure Botschaft an den Fakir Barack el Hadschi ausrichten.«

Mit den Worten trat er in die Moschee und kehrte sogleich mit der Antwort des Fakirs in folgenden räthselhaften Ausdrücken zurück. »Wer sehen will, wie die Sonne aufgeht, muß bis zur Dämmerung warten.«

Mit diesem ärmlichen Trost begab sich Hartley in seine Herberge, um über die geringe Bedeutung von Versprechungen der Eingebornen nachzudenken und um ein anderes Mittel ausfindig zu machen, wodurch er Zutritt zu Hyder erlangen könne; auf dasjenige, worauf er bisher vertraut hatte, hegte er keine weitere Hoffnung; indeß auch hinsichtlich seines neuen Planes wurde ihm jede Aussicht vereitelt, denn er erfuhr in dem Khan von seinem bisherigen Reisegefährten, daß der Nawob sich wegen einer geheimen Unternehmung aus der Stadt entfernt habe und zwei oder drei Tage ausbleiben werde. Diese Antwort hatte der Wakiel selbst nebst der ferneren Weisung vom Divan erhalten, daß er sich auf Verlangen bereit halten müsse, sein Beglaubigungsschreiben dem Prinzen Tippa statt dem Nawob zu überreichen; sein Geschäft sei dem Ersteren in einer Weise überwiesen worden, welche für den Erfolg seiner Gesandtschaft nichts Gutes verheiße.

Hartley gerieth beinahe in Verzweiflung. Er wandte sich an mehrere Beamte, bei denen vorausgesetzt wurde, daß sie Einfluß bei Nawob besäßen, allein der geringste Wink von der Art seines Geschäftes schien alle mit Schrecken zu erfüllen. Niemand von allen Personen, an die er sich wandte, wollte sich mit der Angelegenheit befassen oder auch nur die Darlegung Hartley's anhören; der Divan Schatzmeister. erklärte ihm deutlich, ein Verfahren, womit man den Wünschen des Prinzen Tippu entgegentrete, sei der sichere Weg zum Untergange; er ermahnte ihn deßhalb nach der Küste zurückzukehren. Beinahe wahnsinnig wegen der Vergeblichkeit seiner Bemühungen, begab sich Hartley vor Abend nach dem Khan. Der Ruf der Muezzin, welcher von den Minarets donnerte, hatte die Gläubigen zum Gebet geladen, als ein schwarzer, ungefähr 15 Jahre alter Diener vor Hartley erschien, folgende Worte bedachtsam aussprach und zweimal wiederholte: »So spricht Barak el Hadschi, der Wächter der Moschee, wer den Aufgang der Sonne sehen will, muß sich nach Osten wenden.« Alsdann verließ er das Caravanserai. Man kann sich denken, daß Hartley von dem Teppich auffuhr, auf welchem er sich zur Ruhe niedergelegt hatte und seinem jugendlichen Führer mit erneuter Kraft und pochendem Herzen folgte.



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