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Sechstes Kapitel.
Herrn Croftangry's Bericht über Frau Bethune Baliol.

Der Mond sogar, wär' er ein irdisch Wesen,
Vermöchte nicht sich edler zu enthüllen.

Shakspeare im Coriolan.

Beginnen wir die heitere Reise unseres Lebens, so umgibt uns eine herrliche Flotte, wenn wir unsere frischen Segel vor dem Wind ausspannen, wenn die Wimpeln flattern, die Musik spielt, und wenn wir im Vorbeifahren die übrigen Schiffe begrüßen; wir empfinden mehr Vergnügen als Schrecken, sobald ein unbeholfener Kamerad aus Mangel guter Steuerung auf den Strand läuft – ach! wenn die Reise vollbracht ist und wenn wir, die von Mühe aufgeriebenen Seefahrer, einander anblicken, wie wenig von unseren alten Gefährten bieten sich dann unserem Gesichtskreise, und wie abgerissen und verwittert sind die Gestalten derjenigen, die wir noch antreffen, während sie ebenso, wie wir selbst, sich so lange wie möglich vom verhängnißvollen Ufer entfernt zu halten streben, gegen welches wir Alle zuletzt auffahren müssen! Ich empfand diese abgetretene aber traurige Wahrheit neulich mit aller Kraft, als ein Briefpaket mit schwarzem Siegel ankam, welches ein an mich adressirtes Schreiben meiner ausgezeichneten Freundin, Frau Martha Bethune Baliol, enthielt, und folgende verhängnißvolle Worte auf der Adresse zeigte: »der Adresse gemäß abzuliefern, sobald ich gestorben bin.« Ein Brief ihrer Testamentsvollstrecker befand sich ebenfalls in dem Paket; es hieß darin, dieselbe hätten in ihrem letzten Willen vorgefunden, daß mir darin ein Gemälde von einigem Wert, welches in den Raum über meinem Schrank passe, und 50 Guineen zum Ankauf eines Ringes vermacht seien. So trennte ich mich mit aller Freundlichkeit, die wir viele Jahre lang gegen einander bewahrt hatten, von einer Dame, welche, obgleich alt genug, um die Gefährtin meiner Mutter sein zu können, durch Heiterkeit des Gemüths und bewunderungswürdige Sanftmut des Charakters eine angenehme und sogar aufregende Gesellschafterin für diejenigen war, welche sich durch Schreiben in die Stimmung der Jugend zu versetzen wünschen – ein Vortheil, den ich schon seit 35 Jahren verloren habe. Ich konnte leicht errathen, von welcher Art der Inhalt des Paketes war, und habe denselben schon zum Theil im letzten Kapitel angedeutet; um jedoch den Leser von den Einzelnheiten zu unterrichten, und um mir zu gleicher Zeit das Vergnügen zu gewähren, mich an die Tugenden und die angenehmen Eigenschaften meiner Freundin zu erinnern, so gebe ich hier eine kurze Skizze von ihren Sitten und Gewohnheiten.

Frau Martha Bethune Baliol war eine Person von Verstand und Vermögen nach schottischem Maßstab. Ihre Familie war reich und ihre Verwandten befanden sich in achtbarer Stellung. Sie pflegte nicht gern ihr Alter genau anzugeben, allein ihre jugendlichen Erinnerungen reichten bis über die Ereignisse von 1745 hinaus; sie erinnerte sich noch sehr wohl, wie die hochländischen Clans sich in den Besitz der schottischen Hauptstadt gesetzt hatten, obgleich wahrscheinlich nur in einem unbestimmten Bilde. Ihr Vermögen, welches ihr durch das Testament ihres Vaters zur eigenen Verfügung gestellt war, wurde durch den Tod von mehreren tapferen Brüdern beträchtlich vergrößert, welche nach einander in den Heeren ihres Vaterlandes fielen; somit gingen die Familiengüter zuletzt auf das einzige überlebende Kind des alten Hauses Bethune Baliol über. Meine Bekanntschaft mit der ausgezeichneten Dame wurde bald nach diesem Ereigniß geschlossen, als dieselbe im Alter schon ziemlich vorgerückt war. Wenn sie in Edinburg sich aufhielt, wo sie regelmäßig den Winter zubrachte, bewohnte sie eines der alten Hotels, welche sich noch vor Kurzem in der Nähe von Canongate und von Palast Holy Rood befanden – Hotels, welche von der gegenwärtig schmutzigen und gemeinen Straße durch gepflasterte Höfe und Gärten von einiger Ausdehnung getrennt, den ziemlich schlechten Eingang durch etwas aristokratischen Prunk und Absonderung ausglichen, sobald man einmal deren Bereich betreten hatte. Ihr Haus ist jetzt niedergerissen, sowie jedes alte Denkmal der schottischen Hauptstadt durch Neubauten oder Feuersbrünste wahrscheinlich bald gänzlich zerstört sein wird. Ich verweile jedoch bei den Erinnerungen an dem Platz, und da die Natur einen Pinsel mir versagt hat, als sie mir eine Feder in die Hand gab, so will ich mich bemühen, die Zeichnung durch Worte zu ersetzen.

Baliolhouse oder Lodge, wie die Wohnung meist genannt wurde, streckte einen hohen Haufen von Schornsteinen empor, unter denen einige Thürmchen und kleine Söller über die übrigen und neueren hervorragten, welche die Südseite von Canongate nach dem unteren Ende der Straße und nicht weit vom Palaste begrenzen. Eine Wagenthüre mit einem Pförtchen für Fußgänger wurde bei passender Gelegenheit von einem lahmen, großen, ernsten und mageren alten Manne aufgeschlossen, welcher eine Hütte am Thore bewohnte und das Amt eines Portiers bekleidete. Zu dieser Stelle war er durch das mitleidige Gefühl meiner Freundin gegen einen alten Soldaten und theils auch durch ihre Meinung befördert worden, daß sein übrigens sehr schöner Kopf einige Aehnlichkeit mit dem von Garrick in der Rolle Lusignan hatte.

Er war ein mürrischer, stiller, in allem seinem Verfahren schweigsamer Mann und wollte die Wagenthüre niemals vor einer Miethskutsche eröffnen; dann wies er mit seinem Finger auf das Pförtchen als dem geeigneten Durchgang für alle diejenigen, die in einem so wenig angesehenen Fuhrwerk anlangten, welches durch seine mit einer Nummer bezeichnete Gegenwart die Würde von Baliolshouse nicht erniedrigen solle. Ich glaube nicht, daß diese Eigenthümlichkeit die Billigung seiner Herrin erlangt haben würde, ebensowenig wie die gelegentliche Parteilichkeit Lusignan's oder wie die Sterblichen ihn nannten, Archy Mac Ready's, für die Branntweinflasche. Allein Frau Martha Bethune Baliol wußte sehr wohl, daß sie im Fall der Ueberführung es niemals über sich vermocht haben würde, den König von Palästine zu entthronen, das heißt von der Bank zu verjagen, wo er stundenlang seine Strümpfe strickend saß; sie weigerte sich deßhalb, den Zeugnissen Glauben zu schenken, sogar in soweit, daß sie ihn nicht einmal auf die Probe stellen wollte; sie urtheilte nämlich sehr richtig, er werde mehr Vorsicht gebrauchen, wenn er seinen Charakter für nicht beargwöhnt hielte, als wenn er entdeckt würde, und ohne Strafe davon käme. Ueberhaupt meinte sie, wäre es grausam, einen alten Hochländer wegen einer kleinen Sünde zu entlassen, welche seinem Vaterlande und seinem früheren Stande so angemessen sei.

Das stattliche Wagenthor oder der demüthige Eingang für Fußgänger führte in einen engen und kurzen Baumgang von zwei Reihen Linden, deren grünes Laub im Frühjahr einen sonderbaren Gegensatz zu dem schwärzlichen Aussehen der Mauern darbot, an deren Seite sie wuchsen. Dieser Baumgang führte zur Vorderseite des Hauses, welche durch zwei eingekerbte Dachseiten gebildet, ihre mit steinernen Verzierungen ausgeschmückten Fenster zeigte, die neben einander in rechten Winkeln standen; ein halbrunder Thurm, welcher den Eingang bildete und die Wappen enthielt, ragte bis zu dem Punkte empor, wo die Dachseiten an einander stießen, und rundete dort deren spitzen Winkel ab. Eine Seite des kleinen Hofes, worin gerade Raum genug für das Umwenden einer Kutsche war, enthielt einige niedrige Gebäude, die dem Zwecke von Stallungen entsprachen, die andere hatte eine niedrige, von einem schön verzierten eisernen Gitter umgebene Brüstung, um welches sich Gaisblatt und andere Schlingpflanzen in solcher Weise wandten, daß dem Auge noch ein Blick in einen hübschen Garten der Vorstadt vergönnt wurde, welcher sich bis zur Landstraße im Süden von Canongate ausdehnte und sich vieler alten Waldbäume, mancher Blumen und sogar einiger Fruchtbäume rühmen konnte. Wir dürfen nicht vergessen anzugeben, daß die außerordentliche Reinlichkeit des Hofpflasters zur Genüge bezeugte, daß Wischlappen und Wassereimer an diesem begünstigten Orte ihr Möglichstes gethan hatten, um den allgemeinen Schmutz des Stadtviertels auszugleichen, worin diese Gebäude lagen.

Ueber der Hausthüre befand sich das Wappen von Bethune und Baliol mit verschiedenen aus Stein gehauenen Sinnbildern; die Hausthüre selbst war aus schwarzem Eichenholz, mit Nägeln beschlagen; eine sogenannte eiserne Raspel fand sich daran statt eines Türklopfers, damit die Diener zur Eröffnung der Thüre dadurch entboten würden Eine sogenannte Raspel fand sich früher an allen Hausthüren der schottischen Hauptstadt, und vertrat die Stelle eines Thürklopfers. Sie bestand aus einer senkrecht in kleiner Entfernung von der Thüre vorragenden Stange mit mehreren Einschnitten, an welcher ein eiserner Ring hing; dieser Ring wurde von denjenigen, welche in die Thüre wollten, über die Einschnitte auf und abgezogen, und das dadurch her, vorgebrachte Geräusch war den Bedienten ein Zeichen, daß Jemand eintreten wolle.. Derjenige, welcher alsdann gewöhnlich erschien, war mein schmucker Bursch in hübscher Livree, der Sohn von Frau Martha's Gärtner. Dann und wann kam eine niedlich aber einfach gekleidete Magd, mit Schuhen und Strümpfen vollkommen ausgerüstet, herbei, um jenen Dienst auszuführen; zwei oder dreimal ließ mich Beauffet selbst ein, dessen Aeußeres eher demjenigen eines angesehenen Geistlichen, als dem eines Haushofmeisters einer adeligen Familie glich; er war Kammerdiener des verstorbenen Sir Bethune Baliol gewesen und besaß jetzt der Dame vollkommenes Vertrauen. Eine dunkelfarbene Kleidung, goldene Schnallen an den Schuhen und Knieen, regelmäßig frisirtes und gepudertes Haar verkündeten einen vertrauten und wichtigen Diener. Seine Gebieterin pflegte von ihm zu sagen:

Schwermüthig ist er, so wie höflich auch,
Und eignet sich bei meinem Mißgeschick
Sehr wohl zu meinem Diener.

Da Niemand den Klatschereien zu entgehen vermag, so sagten Einige, Beauffet habe seine Stelle besser benutzt, als ihm sein nach alter Sitte bescheidener Lohn gestattet haben würde. Der Mann war jedoch immer höflich gegen mich gewesen. Er hat lange in der Familie gelebt, mehrere Legate erhalten und Einiges für sich zurückgelegt, wovon er jetzt mit behaglicher Würde genießt, soweit es seine kürzlich geheurathete Frau, Tibbie Shortacres, ihm erlaubt.

Das Haus – theuerster Leser, wenn dich die Sache langweilt, überschlage die nächsten vier oder fünf Seiten – war durchaus nicht so groß, als man nach dem äußeren Aussehen hätte vermuthen sollen. Die bequemere Einrichtung im Innern war durch Quermauern und lange Gänge, sowie durch die Vernachlässigung einer ökonomischen Benutzung des Raumes verhindert, welche für unsere alte schottische Baukunst charakteristisch ist. Es war jedoch mehr Raum vorhanden als meine alte Freundin nothwendig brauchte, sogar wenn sie, was oft geschah, vier oder fünf junge Cousinen unter ihrem Schutz hatte; ja, ich glaube, ein großer Theil des Hauses war unbewohnt. Frau Bethune Baliol war niemals in meiner Gegenwart so ärgerlich, als einmal über eine sich einmischende Person, welche ihr rieth, die Fenster ihrer überzähligen Zimmer vermauern zu lassen, um die Fenstersteuer zu ersparen. Sie sagte zornig, so lange sie lebe, solle das Licht Gottes in das Haus ihrer Väter scheinen, so lange sie noch einen Pfennig im Vermögen habe, solle der König und der Staat, was sie ihnen schuldig sei, erhalten. Sie war wirklich ungemein loyal, sogar in derjenigen Prüfung, welche die Loyalität am meisten zum Wanken bringt, ich meine die Bezahlung der Steuern. Herr Beauffet sagte mir, er habe den Auftrag gehabt, ein Glas Wein der Person zu reichen, welche die Einkommenssteuer einziehe, der arme Mann sei alsdann durch eine ihm so ungewohnte Großmuth in der Art überwältigt worden, daß er beinahe in Ohnmacht fiel.

Man trat durch ein mit Matten belegtes Vorzimmer in den Speisesaal, welcher mit altmodischen Möbeln gefüllt, und mit Familien-Portraits behangen war, von denen letztere, mit Ausnahme eines von Jameson gemalten Bildes des Sir Bernard Bethune aus Jacob VI. Zeiten, wahrhaft furchtbare Produkte des Pinsels waren. Ein sogenannter Salon, ein langes, enges Zimmer, stieß an den Speisesaal und diente als Wohnzimmer. Es war ein angenehmer Raum mit der Aussicht auf den südlichen Flügel von Holyroodhouse, auf den riesenhaften Abhang von Arthur's Sitz und den Felsengürtel, welcher Salisbury Crags genannt wird – Gegenstände von solcher Wildheit, daß die Seele kaum begreifen kann, wie sie sich in Nähe einer volkreichen Hauptstadt befinden können. Die Gemälde des Salones waren vom Auslande eingeführt und einige unter denselben besaßen Kunstwerth; um die schönsten derselben jedoch zu erblicken, mußte man in das Allerheiligste des Tempels zugelassen werden und die Erlaubniß erhalten, die Tapete am oberen Ende hinwegzuziehen, um Frau Martha's eigenes Gemach zu betreten. Dieß war ein herrliches Zimmer, dessen Gestalt sehr schwer zu beschreiben ist, denn es hatte eine Menge Nischen, die mit Gestellen von Ebenholz, und mit lakirten oder vergoldeten Schränken ausgefüllt waren; einige enthielten Bücher, von welchen Frau Martha eine schöne Sammlung besaß, auf einigen war Porzellain, auf anderen Muscheln und ähnliche Merkwürdigkeiten aufgestellt. In einer kleinen, durch einen Vorhang von karmosinrother Seide halb versteckten Nische war eine Rüstung aus glänzendem und mit Silber eingelegtem Stahle aufgestellt, welche der schon erwähnte Sir Bernard Bethune bei irgend einer denkwürdigen Gelegenheit getragen hatte; über dem Vorhang der Nische hing der Degen, womit ihr Vater das Schicksal Britanniens 1715 zu verändern versucht hatte, und das Sponton, welches ihr älterer Bruder trug, als er eine Compagnie des ersten aufgehobenen hochländischen Regimentes in der Schlacht von Fontenoy zum Angriff führte.

Dort fanden sich auch einige ächte Bilder von berühmten italienischen und niederländischen Malern, einige Kunstwerke aus Bronce und andere merkwürdige Dinge, welche ihre Brüder oder sie selbst im Auslande erworben hatten. Kurzum, es war ein Ort, wo der Müßige zu Studien und der fleißige Gelehrte zur Muße angeregt werden konnte, wo sich für den Ernsten Stoff zur Erheiterung und für den Heitern Stoff zum Ernste vorfand.

Damit jedoch das Zimmer auch auf das Hauptgeschäft der Dame, das Anlegen der Kleidung, hinwies, enthielt es einen prächtigen, mit silberner Filigranarbeit eingefaßten Spiegel, einen schönen Putztisch mit einer Decke von brüsseler Spitzen und einer Reihe von Kästchen, die in Material und Arbeit dem Rahmen des Spiegels entsprachen.

Diese Vorrichtung zum Putz diente jedoch allein zur Parade; Frau Martha Bethune Baliol vollbrachte ihre Toilette in einem inneren Zimmer, welches durch eine kleine abgesonderte Treppe mit ihrem Schlafgemach zusammenhing. Treppen der Art befanden sich mehrere im Hause, wodurch die öffentlichen Gemächer, die sämmtlich in einander ausgingen, noch besondere Zugänge erhielten. In dem kleinen, von uns beschriebenen Gemach hielt Frau Martha Baliol ihre ausgewähltesten Gesellschaften. Sie beobachtete frühe Stunden; kam man zu ihr des Morgens, so durfte man nicht erwarten, daß diese Tageszeit sich über drei oder höchstens vier Uhr ausdehnte. Diese Gewohnheiten thaten ihren Besuchern einigen Zwang an; man wurde aber wieder dadurch entschädigt, daß man die beste Gesellschaft und die beste Kunde von Neuigkeiten, welche damals in der schottischen Hauptstadt zu erlangen war, dort immer vorfand. Ohne daß sie die Ziererei eines Blaustrumpfes zeigte, las sie gern in Büchern; sie fand Vergnügen daran, und wenn die Verfasser Männer von Ansehen waren, so glaubte sie, daß sie ihnen eine Schuld der Höflichkeit abtragen müsse, welcher sie sich gern durch persönliche Freundlichkeit entledigte. Wenn sie dann und wann einer kleinen Gesellschaft ein Mittagessen gab, hatte sie die Gutmüthigkeit, sich nach Personen umzusehen, die am besten für einander paßten, und hatte auch das Glück, dieselben zu entdecken. Sie wählte deßhalb ihre Gesellschaft wie Herzog Theseus seine Hunde,

Der Stimme noch gekoppelt,
So daß ihr Bellen glich dem Glockenspiele,
Harmonisch tonend.

Shakspeare, Sommernachts-Traum, Akt VI. Scene 1.

Jeder Gast konnte somit seinen Antheil am Gespräche haben, anstatt daß ein gewaltiger Kerl, wie ein Doctor Johnson, durch die furchtbare Tiefe seines Basses alle Anderen zum Schweigen brachte. Bei solchen Gelegenheiten führte sie eine ausgezeichnete Tafel; bisweilen kam alsdann ein französisches oder auch schottisches Gericht zum Vorschein, welches nebst den zahlreichen Flaschen seltener Weine, die Herr Beauffet auf die Tafel brachte, dem Gastmahl einen alterthümlichen und fremdartigen Charakter ertheilte, wodurch dasselbe noch interessanter wurde.

Zu solchen Gesellschaften gebeten zu werden, war keine geringere Ehre, als eine Einladung zu empfangen in ihre frühen Conversationszirkel, die sie der Mode zum Trotz durch den besten Caffee und feinsten Thee – und eine Tasse Caffee, welche die Todten zum Leben erweckt haben würde – dann und wann in dem schon erwähnten Salon zur unnatürlichen Stunde von 8 Uhr Abends bei sich versammelte. Alsdann schien die heitere alte Dame so sehr das Glück ihrer Gäste zu genießen, daß dieselben sich ihrerseits bemühten, das Vergnügen derselben, sowie ihr eigenes zu vermehren; so entstand ein gewisser Zauber, den man selten in Gesellschaften findet, und welcher auf dem allgemeinen Wunsche der Gegenwärtigen beruhte, einigen Beitrag zur allgemeinen Unterhaltung zu geben.

Obgleich jedoch ein großes Vorrecht in der Zulassung zum Morgenbesuche meiner ausgezeichneten Freundin, oder in den Einladungen zum Mittagessen und zu den Abendgesellschaften bestand, schätzte ich ein durch alte Bekanntschaft von mir erworbenes Recht noch höher, wodurch ich nach Baliolhouse mich um 6 Uhr Abends begeben konnte, wenn dessen ehrwürdige Bewohnerin den Thee zubereitete. Nur zwei oder drei Freunden gestattete sie diese Freiheit, auch durfte diese Art zufällig gebildeter Gesellschaft niemals die Zahl fünf überschreiten. Diejenigen, welche später kamen, erhielten zur Antwort, die Gesellschaft sei schon für den Abend vollzählig; dieß hatte die doppelte Wirkung, daß diejenigen, welche der Frau Bethune Baliol aufwarteten, sich pünktlich einstellten, und daß der Reiz einer kleinen Schwierigkeit zum Genuß der Gesellschaft hinzukam.

Häufiger geschah es, daß nur eine oder zwei Personen bei dieser Abenderfrischung sich einstellten. Kam ein einzelner Herr, so trug zwar Frau Martha kein Bedenken, denselben nach alter schottischer und französischer Mode in ihr Boudoir zuzulassen; um jedoch, wie sie zu sagen pflegte, allen nur möglichen Anstand zu bewahren, ließ sie alsdann ihre erste Dienerin Frau Alice Lambskin in's Zimmer rufen – ein Frauenzimmer, welches nach dem Ernst und der Würde des Aussehens einer ganzen Mädchenpension, statt einer einzigen alten Dame von mehr wie 80 Jahren, als Aufseherin hätte dienen können. Je nachdem es das Wetter erlaubte, saß Frau Alice in pflichtmäßiger Entfernung von der Gesellschaft auf einem Lehnstuhle hinter dem vorragenden Kamingesims oder in einer Fenstervertiefung, und arbeitete mit unermüdlichem Eifer in einem karthäuserähnlichen Stillschweigen an einer Stickerei, welche kein übles Sinnbild der Ewigkeit zu sein schien.

Mittlerweile habe ich es jedoch unterlassen, meine Freundin selbst bei dem Leser einzuführen, wenigstens soweit Worte die Eigenthümlichkeiten bezeichnen können, wodurch ihr Aeußeres und ihr Gespräch sich auszeichnete.

Sie war eine kleine Frau mit gewöhnlichen Zügen und einer gewöhnlichen Gestalt, und mit einem Haare, welches in ihrer Jugend keine bestimmte Farbe gehabt hatte; wir dürfen deßhalb der Aussage der Frau Martha glauben, daß sie niemals durch persönliche Reize auffiel, ein bescheidenes Zugeständniß, welches gewisse alte Damen, ihre Zeitgenossen, bereitwillig bestätigten, welche jetzt, von welcher Art auch nach den von ihnen gegebenen Winken ihre Vortheile in der Jugend gewesen sein mochten, sowohl im Aeußern wie in jeder andern Beziehung meiner ausgezeichneten Freundin bei weitem untergeordnet waren. Frau Martha's Züge waren von dauerhafter Art; ihre Unregelmäßigkeit war jetzt von keiner Bedeutung mehr, wenn dieselben von der Lebhaftigkeit der Unterhaltung beseelt wurden; ihre Zähne waren ausgezeichnet und ihre Augen, obgleich stark zum Grau geneigt, lebhaft lachend und von der Zeit nicht verdunkelt. Ein leichtes Dunkel der Gesichtsfarbe, welches glänzender war, als ihr Alter verhieß, erweckte gegen meine Freundin bei Fremden den Verdacht, daß sie ihre ausländischen Gewohnheiten bis zur klugen Anwendung der Schminke ausgedehnt habe. Dieß aber war eine Verläumdung; wenn sie nämlich einer interessanten und rührenden Geschichte zuhörte oder eine solche erzählte, so sah ich, daß ihre Farbe kam und schwand, wie bei einem Mädchen von 18 Jahren.

Ihr Haar, wenn es auch früher nicht schön gewesen war, bot jetzt das schönste Weiß, welches die Zeit bleichen konnte, und ward mit einiger Absichtlichkeit, obgleich in möglichst einfacher Weise geordnet, so daß es niedlich geglättet unter einer Haube von brüsseler Spitzen erschien, die zwar eine altmodische aber nach meiner Meinung hübsche Form hatte, welche unzweifelhaft einen Namen besitzt, worauf zurückzukommen ich mich bemühen würde, wenn ich meine Beschreibung dadurch verständlicher machen könnte. Ich glaube von ihr gehört zu haben, daß diese Lieblingshaube diejenige ihrer Mutter war und zugleich mit einer gewissen Perrükenart in Mode kam, welche die Herren zur Zeit der Schlacht von Ramillies trugen. Ihre übrige Kleidung war stets ziemlich kostbar und prächtig, besonders des Abends. Ein Kleid von Seide oder Atlas von einer ihrem Alter geziemenden Farbe und von einem Schnitt, welcher sich zwar in gewissem Grade der gegenwärtigen Mode fügte, allein immer eine Beziehung zu einer entfernteren Periode darbot, hatte einen dreifachen Spitzenbesatz, ihre Schuhe hatten Schnallen mit Diamanten und reichten ein wenig über die Fersen, ein Vortheil, welcher von ihrer Jugend stammte, und welchen im Alter aufzugeben, die Gestalt ihres Fußes, nach ihrer Angabe, nicht gestattete. Sie trug stets Ringe, Armbänder und andere Zierrathen von Werth, entweder wegen des Materials, oder wegen der Arbeit; sie war vielleicht in dieser Art Putz zu verschwenderisch. Sie trug diese Zierrathen jedoch nur als Gegenstände untergeordneter Art, hinsichtlich welcher ihr stets unter den höheren Ständen geführtes Leben sie gleichgültig machte. Sie legte dieselben an, weil ihr Rang es erheischte, und sie dachte an diese Putzartikel nicht mehr als ein Herr von Erziehung in seiner Tafelkleidung an seine Wäsche und seinen gebürsteten Rock denkt, deren Bewußtsein einen kindlichen Stutzer am Sonntage in Verlegenheit setzt.

Bisweilen jedoch, wenn ein Edelstein oder eine Zierrath wegen Schönheit und Eigenthümlichkeit bemerkt wurde, veranlaßte dieß gewöhnlich einen unterhaltenden Bericht über die Weise, wie derselbe erlangt war, oder über die Person, von welcher sie auf die gegenwärtige Besitzerin übergegangen war. Bei solchen und ähnlichen Gelegenheiten sprach meine alte Freundin gerne, wie das auch nicht ungewöhnlich ist; sie sprach aber, was seltener ist, sehr gut und besaß in ihren kleinen Erzählungen über das Ausland oder frühere Tage, welche einen interessanten Theil ihres Gespräches bildeten, die eigenthümliche Kunst alle gewöhnlichen gedehnten Darlegungen über Zeit, Ort und Umstände wegzulassen, welche meist wie ein Nebel auf den kalten und langen Erzählungen alter Leute ruhen, aber dennoch zugleich die Ereignisse und Charaktere, welche das Interesse in der Geschichte erregen, vorzuführen, darzulegen und zu erläutern.

Wie wir schon sagten, hatte sie viele Reisen in fremde Lande gemacht; denn ein Bruder, an welchen sie eine große Anhänglichkeit hatte, war verschiedenemale mit wichtigen Aufträgen auf das Festland geschickt worden, und mehr als einmal hatte sie die Gelegenheit ihn zu begleiten benutzt. Dieß erhöhte sehr den Werth der Belehrung, welche sie geben konnte, besonders während des vergangenen Krieges, als das Festland den Engländern hermetisch verschlossen war. Außerdem aber besuchte Frau Bethune Baliol entfernte Länder nicht nach der neueren Mode, nach welcher Engländer in Caravanen reisen und in Frankreich und Italien wenig mehr als dieselbe Gesellschaft sehen, die sie zu Hause hätten sehen können. Sie mischte sich im Gegentheil im Auslande unter die Eingeborenen der von ihr besuchten Länder, und genoß so zugleich den Vortheil der Gesellschaft derselben, sowie das Vergnügen letztere mit der brittischen zu vergleichen.

Da Frau Baliol an fremde Sitten sich gewöhnte, so hatte sie vielleicht eine leichte Färbung davon selbst angenommen. Ich war jedoch stets überzeugt, daß die eigenthümliche Lebhaftigkeit des Blickes und des Wesens, die schnellen und passenden Bewegungen, womit sie ihre Worte begleitete, – der Gebrauch einer goldenen und mit Edelsteinen besetzten Tabatière oder vielmehr Bonbonnière, (sie nahm nämlich niemals Schnupftabak, und ihre kleine Dose enthielt nur wenige Stücke von überzuckerten Angelikawurzeln oder irgend eine andere für Damen geeignete Süßigkeit) eine wirklich altschottische Mode waren, wie sie etwa den Theetisch der Susanna, Gräfin Eglinton, der Beschützerin von Allan Ramsay und der Freundin von Johnson, oder etwa den der Gemahlin des Obersten Ogilvy um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hätte zieren können, welche letztere zu ihrer Zeit als ein Muster galt, wie die Jungfrauen von Edinburg sich zu kleiden hätten. Obgleich sie mit den Sitten anderer Länder bekannt war, hatten sich die ihrigen hauptsächlich in ihrem Vaterlande zu einer Zeit ausgebildet, wo die vornehmen Leute innerhalb eines engen Raumes wohnten, und wo die ausgezeichneten Namen der höchsten Gesellschaft dem alten Edinburg einen Glanz ertheilten, den wir jetzt durch unbegränzte Ausgaben und den ausgedehnten Kreis unserer Vergnügungen zu erlangen suchen.

Ich wurde in dieser Meinung durch die Eigenthümlichkeiten des Dialekts bestärkt, dessen Frau Baliol sich bediente. Derselbe war schottisch, und zwar so entschieden schottisch, daß er oft Phrasen und Worte enthielt, die man gegenwärtig nur selten gebraucht; allein ihr Ton und ihre Aussprache waren so verschieden von dem gewöhnlichen schottischen Platt, wie die Sprache im Palast von St. James von derjenigen des Fischmarktes in London. Die Vokale wurden nicht viel breiter als in der italienischen Sprache ausgesprochen, und es fand sich nicht der unangenehme gezogene Nasenton, welcher für die südlichen Ohren so unangenehm ist. Kurzum es schien das Schottische zu sein, wie es am alten Hofe Schottlands gesprochen wurde, eine Sprache, mit welcher sich keine Vorstellung von Gemeinheit verbinden ließ; die lebhafte Weise und die Bewegungen, womit sie ihre Worte begleitete, stand mit dem Schall der Stimme und dem Styl der Rede in solcher Uebereinstimmung, daß ich ihr nicht einen verschiedenen Ursprung zuschreiben kann. Geht man weiter zurück, so läßt sich vielleicht das Wesen des schottischen Hofes auf den französischen zurückführen, womit derselbe sicherlich eine Verwandtschaft hat; ich will aber in dem Glauben leben und sterben, daß das Benehmen der Frau Baliol, ebenso angenehm als eigenthümlich, in direkter Abstammung von den hohen Damen herzuleiten ist, welche vor Alters durch ihre Gegenwart die königlichen Hallen von Holyrood schmückten.



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