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Zehntes Kapitel.

Nach dem verhängnißvollen, im letzten Kapitel erwähnten Duell waren drei Jahre verflossen: Doctor Hartley kehrte von seiner amtlichen Absendung, welche nur einige Zeit dauerte, nach Madras zurück und erhielt dort Ermuthigung, sich als Arzt niederzulassen; sobald dieß geschehen war, hatte er Grund zu glauben, daß ein Beruf von ihm gewählt sei, der ihn zu Ruhm und Reichthum erheben werde. Seine Praxis war nicht auf seine Landsleute beschränkt, sondern wurde unter den Eingebornen sehr gesucht, welche allgemein die Ueberlegenheit der Europäer im ärztlichen Beruf sehr hochschätzen, wie groß auch ihre Vorurtheile gegen dieselben in anderer Hinsicht sein mögen. Dieser gewinnreiche Zweig seiner Praxis nöthigte Hartley zur Erlernung der orientalischen Sprachen, um ohne Dollmetscher mit seinen Kranken verkehren zu können. Er hatte genug Gelegenheit sich als Sprachkundiger zu üben; denn aus Dankbarkeit für die großen Honorare der reichen Moslem und Hindu's, wie er im Scherz zu sagen pflegte, leistete er den Armen aller Nationen umsonst seine ärztliche Hülfe, so oft dieselbe in Anspruch genommen wurde.

Eines Abends ließ ihn eine Botschaft des Regierungs-Sekretärs rufen, damit er sich zu einem Kranken von Bedeutung begebe.

»Es ist weiter nichts als ein Fakir Pilger.,« hieß es in der Botschaft, Ihr werdet ihn am Grabe von Cara Nazi, dem mahomedanischen Heiligen und Doctor, ungefähr eine Meile vom Fort, finden; erkundigt Euch nach ihm unter dem Namen Barak el Hadschi. Ein solcher Patient verspricht Euch kein Honorar; wir wissen aber, wie wenig Ihr Euch um Goldstücke bekümmert, und außerdem ist die Regierung bei dieser Gelegenheit Euer Zahlmeister.«

»Das ist das Letzte, woran ich zu denken pflege,« dachte Hartley, und begab sich sogleich in seinem Palankin an den ihm angewiesenen Ort.

Das Grab des Owliah oder mahomedanischen Heiligen Rafi war ein von jedem guten Muselmann sehr verehrter Ort. Er lag in der Mitte eines Haines von Magnolien und Tamarinden, war aus rothem Stein erbaut, und hatte drei Kuppeln, sowie Minarette an jeder Ecke. Wie gewöhnlich lag vor demselben ein Hof, um welchen Zellen zur Aufnahme der Fakirs errichtet waren, die aus Andacht das Grab besuchten und länger oder kürzer, je nach ihrem Gutdünken, verweilten, während sie von den Almosen der Gläubigen lebten, die es niemals unterlassen, dieselben als Belohnung für die Wohlthaten ihres Gebetes ihnen zu geben. Diese Pilger beschäftigten sich Tag und Nacht mit dem Ablesen von Koranversen vor dem Grabmahle, welches, aus weißem Marmor erbaut, Inschriften von Sprüchen aus dem Buche des Propheten und den verschiedenen Benennungen enthielt, welche der Koran auf das höchste Wesen übertragen hat. Ein solches Grab, und es gibt deren viele, wird mit seinen Anhängseln und Bewohnern während der Kriege und Revolutionen geachtet, und zwar nicht weniger von Ferengis Franken, Europäer. und Hindu's, als von den Mahomedanern selbst. Die Fakirs dagegen dienen als Spione allen Parteien, und werden oft zu geheimen Aufträgen von Wichtigkeit gebraucht.

Hartley fügte sich der mahomedanischen Sitte, zog die Schuhe am Thore des heiligen Gebäudes aus, vermied es Anstoß dadurch zu geben, daß er dem Grabe zu nahe kam, und ging zu dem vornehmsten Mollah oder Priester, welcher sich durch die Länge seines Bartes und die Größe der hölzernen Kugeln seines Rosenkranzes auszeichnete, womit die Mahomedanern, ebenso wie die Katholiken, ein Register ihrer Gebete halten. Eine solche Person, ehrwürdig durch Alter, Heiligkeit des Rufes und wirkliche oder angebliche Verachtung weltlichen Treibens und Genusses, gilt als der Vorsteher eines Hauses dieser Art. Durch seine Lage ist es dem Mollah gestattet mit Fremden mehr zu verkehren als seine jüngeren Gefährten; Letztere blieben bei unserem Fall ruhig sitzen, indem sie ihre Blicke aus den Koran hefteten und ihre Gebete murmelten, ohne den Europäer zu beachten oder auf seine Worte zu hören, als derselbe sich bei ihrem Vorsteher nach Barak el Hadschi erkundigte.

Der Mollah saß auf der Erde; er stand nicht auf und gab auch kein Zeichen von Achtung; er unterbrach auch nicht die Hersagung seines Rosenkranzes, sondern fuhr fort, seine Kugeln zu zählen so lange Hartley redete. Als derselbe geendigt hatte, erhob der alte Mann seine Augen, als bemühe er sich, dasjenige, was ihm gesagt war, sich in's Gedächtniß zurückzurufen, wies zuletzt aus eine der Zellen und begann wieder seine Andacht, als sei er ärgerlich über Alles, was seine Aufmerksamkeit von seinen geheiligten Pflichten, wenn auch nur für einen Augenblick, abzöge.

Hartley trat in die ihm bezeichnete Zelle mit dem gewöhnlichen Gruß Salam Alaikum Friede sei mit Euch.. Sein Patient lag auf einem kleinen Teppich in einem Winkel der kleinen weißangestrichenen Zelle. Er war ein Mann von ungefähr 40 Jahren in dem schwarzen Anzug seines Ordens, welcher sehr abgerieben und oft geflickt zu sein schien. Er trug eine hohe kegelförmige Mütze aus tartarischem Filz, und um seinen Hals eine Schnur mit den schwarzen Kügelchen, welche seinem Orden angehört; feine Augen und seine Stellung zeigten körperliches Leiden an, welches er mit stoischem Gleichmuth ertrug.

»Salam Alaikum!« sagte Hartley, »Ihr leidet, mein Vater?« – Ein Titel, den er eher dem Stande als den Jahren des Angeredeten ertheilte.

»Salam alaikum bema sabastem!« erwiderte der Fakir; »es ist Euer Heil, daß Ihr geduldig gelitten habt; so spricht das Buch, wird der Gruß der Engel denjenigen sein, welche das Paradies betreten.«

Nach dieser Eröffnung des Gespräches erkundigte sich der Arzt nach den Leiden des Kranken und verschrieb die von ihm für passend gehaltenen Mittel. Hierauf wollte er sich entfernen, als der Fakir ihm zu seinem großen Erstaunen einen Ring von einigem Werthe reichte.

»Die Weisen,« sagte Hartley, indem er das Geschenk ablehnte, und zugleich ein passendes Compliment der Mütze und dem Rocke des Fakirs machte – »die Weisen aller Länder sind Brüder, meine linke Hand nimmt nicht den Lohn meiner rechten.«

»Ein Feringi also kann Geld ausschlagen,« sagte der Fakir; »ich dachte, sie nähmen dasselbe aus jeder Hand, sie sei so rein wie die einer Huri, oder aussätzig wie die eines Dschehasi – sowie der hungrige Hund nicht beachtet, ob das Fleisch, das er frißt, von dem Kameel des Propheten, oder vom Esel Dedschial stammt, dessen Haupt der Fluch des Propheten treffe!«

»Das Buch spricht,« erwiderte Hartley, »daß Allah die Herzen verschließt und erweitert. Frank und Muselmann sind gleich gebildet nach seinem Willen.«

»Mein Bruder spricht weise,« erwiderte der Kranke: »willkommen die Krankheit, wenn sie dich mit einem weißen Arzte bekannt macht; denn es spricht der Dichter: ›es ist dein Heil, daß du zur Erde fielest, wenn du dort kriechend einen Diamant entdeckest.‹«

Der Arzt machte seinem Kranken wiederholte Besuche, auch nachdem die Gesundheit des Hadschi gänzlich wiederhergestellt war. Er konnte leicht in ihm einen der geheimen Agenten erkennen, welche von asiatischen Fürsten häufig gebraucht werden. Sein Verstand, seine Kenntniß, und vor Allem seine Gewandtheit und Freiheit von Vorurtheilen jeder Art setzten es außer Zweifel, daß Barak die nothwendigen Eigenschaften zur Leitung solcher kitzlichen Verhandlungen besaß, während der Ernst seiner Gewohnheiten und seines Standes nicht verhindern konnte, daß seine Gesichtszüge gelegentlich einen Ausdruck heiterer Laune zeigten, der sonst bei den Andächtigen seiner Klasse nicht gewöhnlich ist.

Barak el Hadschi sprach öfter in den Privatunterredungen mit Hartley über die Macht und Würde des Nawob von Mysore, und dieser hegte wenig Zweifel, daß sein neuer Bekannter vom Hofe Hyder Ali's wegen einer geheimen Mission abgeschickt sei, vielleicht um einen festeren Frieden mit jenem fähigen und scharfsichtigen Fürsten und der ostindischen Compagnie zu Stande zu bringen – das damals bestehende Verhältniß zwischen beiden Mächten galt nämlich nur für einen hohlen und ohne Aufrichtigkeit abgeschlossenen Waffenstillstand. Er erzählte mehrere Geschichten zum Vortheil dieses Fürsten, welcher sicherlich einer der weisesten war, dessen Hindostan sich rühmen konnte – ein Fürst, welcher unter den großen Verbrechen, die er zu Befriedigung seines Ehrgeizes vollbrachte, sehr häufig fürstliche Großmuth, und was noch erstaunenswerther war, unparteiische Gerechtigkeit übte.

Bei einer Gelegenheit besuchte Barak el Hadschi kurz vor seiner Abreise aus Madras den Doctor und kostete dessen Scherbet, welchen er seinem eigenen vorzog, vielleicht weil einige Gläser Rum oder Branntwein hinzugefügt waren, um das Getränk zu veredeln. Wahrscheinlich wurde der Pilger ungewöhnlich freigebig in seinen Mittheilungen, weil er sich zu wiederholten Malen an den Krug wandte, der die edle Flüssigkeit enthielt; er begnügte sich nicht mit der Lobpreisung seines Nawob in der übertriebensten Bildersprache, sondern begann auch auf den Einfluß hinzuweisen, den er selbst über den Unbesieglichen, über den Herrn des Glaubens und das Schild des Propheten besaß. »Bruder meiner Seele,« sagte er, »hege nur den Gedanken, daß du einer Sache bedarfst, die dir der allmächtige Hyder Ali Khan Bohauder geben kann, und dann bediene dich nicht der Vermittlung derer, welche in Palästen wohnen, und denen Juwelen im Turban strahlen, sondern suche die Zelle deines Bruders in der großen Stadt, welche man Seringapatam nennt, und der arme Fakir in seinem zerrissenen Kleid wird besser dein Gesuch dem Nawob vortragen (Hyder Ali nahm den Titel Sultan nicht an), als diejenigen, welche den Sitz der Ehre im Divan einnehmen.«

Mit diesen und mehreren anderen Ausdrücken seiner Rücksicht ermahnte er Hartley, nach Mysore zu kommen, und das Antlitz des großen Fürsten zu schauen, dessen Blick Weisheit einflöße und dessen Wink Reichthum übertrage, so daß Thorheit oder Armuth nicht vor ihm erscheinen könnten. Zugleich machte er Hartley den Antrag, die Güte, die er ihm erwiesen habe, dadurch zu vergelten, daß er ihm Alles zeigen wolle, was der Aufmerksamkeit eines Weisen im Lande Mysore werth sei.

Hartley zeigte kein Widerstreben, die Unternehmung der vorgeschlagenen Reise zu versprechen, wenn das gute Verständniß beider Regierungen dasselbe gestatte, und dachte auch in Wirklichkeit mit vielem Interesse an die Möglichkeit eines solchen Ereignisses. Die Freunde schieden mit gegenseitiger Zuneigung, nachdem sie nach orientalischem Brauch Geschenke ausgetauscht hatten, welche weisen Männern geziemten, bei denen man voraussetzen mußte, daß Kenntniß ihnen theurer sei als Reichthum. Barak el Hadschi schenkte Hartley ein kleines Gewicht Balsam von Mecca, den man in unverfälschter Form nur sehr schwer erlangen kann, und gab ihm zugleich einen Paß besonderer Art, welcher, wie er versicherte, von jedem Beamten des Nawob geachtet werden würde, im Fall sein Freund die Reise nach Mysore wirklich auszuführen gedenke. »Der Kopf dessen, der diesen Geleitsbrief mißachtet,« sagte er, »wird nicht sicherer sein, als die Aehre des Gerstenstengels, welche der Schnitter mit der Hand ergreift.«

Hartley erwiederte diese Höflichkeit durch einige Arzneien, die man im Osten noch wenig kannte, die jedoch nach seiner Meinung unter gewissen passenden Anleitungen einem so verständigen Manne, wie seinem mahomedanischen Freunde, unbedenklich anvertraut werden konnten.

Einige Monate, nachdem Barak nach dem Innern von Indien zurückgekehrt war, wurde das Erstaunen von Hartley durch ein unerwartetes Zusammentreffen erregt.

Die Schiffe von Europa waren vor Kurzem angelangt und hatten ihre gewöhnliche Ladung von Burschen, die Offiziere werden wollten, und von jungen Frauenzimmern überbracht, die nicht in der Absicht sich zu verheirathen herübergekommen waren, sondern welche nur eine fromme Pflicht gegen einen Bruder, Oheim oder andern männlichen Verwandten nach Indien brachte, um dessen Haushaltung zu besorgen, bis sie sich unerwartet in ihren eigenen Haushaltungen befinden würden. Doctor Hartley war zufällig bei einem öffentlichen Frühstück, welches bei dieser Gelegenheit von einem hoch im Dienst stehenden Herrn gegeben wurde. Das Haus seines Freundes war nämlich durch die ihm ertheilte Zuweisung von drei Nichten bereichert worden, die der alte Herr, welcher mit Recht große Anhänglichkeit zu seiner ruhigen Hukah Das Geräth, woraus man im Orient Tabak raucht. und außerdem, wie man sagte, zu einem hübschen farbigen Mädchen hegte, dem Publikum anzubieten wünschte, damit er sobald als möglich sie sich vom Halse schaffen könne. Hartley, welcher als ein Fisch galt, dessen Fang wohl die Auswerfung eines Köders verdiene, betrachtete diese hübsche unterzubringende Sendung mit sehr wenig Theilnahme, als er hörte, wie Einer aus der Gesellschaft zu einem Andern in sehr leisem Tone sagte: »Ihr Engel und Diener des Himmels, dort ist ja unsere alte Bekanntschaft, die Königin von Saba, und zwar als unverkaufbare Waare uns wieder zurückgeschickt!«

Hartley blickte nach derselben Richtung wie die beiden sich unterredenden Herren, und sein Auge fiel auf ein der Semiramis ähnliches Weib, welches, ungewöhnlich an Körpergröße und Umfang, ein so zugeschnittenes, sowie mit Tressen und Schnüren besetztes Reitkleid trug, daß es dem Oberrock eines eingebornen Häuptlings glich. Ihr Weiberrock bestand aus karmosinrother Seide mit prächtigen Goldblumen; sie trug weite Beinkleider von hellblauer Seide und einen feinen Scharlachshawl um die Hüften, in welchem ein Kries Dolch. mit reichverziertem Griff steckte; ihr Hals und ihre Arme waren mit Ketten und Spangen überladen, und ihr Turban, aus einem ähnlichen Shawl wie derjenige, der sich um ihre Hüften wand, mit einem prächtigen Federbusch geschmückt, aus welchem eine blaue Straußenfeder nach einer Richtung, und eine rothe nach der andern schwebte. Die Stirne, von europäischer Hautfarbe, worauf dieser Kopfschmuck ruhte, war zu hoch für Schönheit, schien jedoch zum Befehl geschaffen; die Adlernase behielt ihre Gestalt, allein ihre Wangen waren etwas eingesunken, und deren Roth so glänzend, daß sie einen starken Beweis gaben, das ganze Gesicht habe eine vollständige Ausbesserung erlitten, seitdem die Dame von ihrem Lager aufgestanden war. Eine schwarze Sclavin stand hinter ihr mit einem Tschauri, d. h. einem Kuhschwanz mit silbernem Griff zu Abwehrung der Insekten. Aus der Weise, wie die Herren sie anredeten, mit denen sie sprach, schien die Dame eine Person von zu viel Wichtigkeit, als daß man sie hätte beschimpfen oder vernachlässigen dürfen, dennoch aber eine solche zu sein, mit welcher Niemand weiteren Verkehr zu haben wünschte, als wie die Gelegenheit schicklich erheischte.

Sie entbehrte jedoch nicht der Aufmerksamkeiten. Der wohlbekannte Kapitän eines erst kürzlich aus England angekommenen Ostindienfahrers erwies ihr eifrige Höflichkeit, und zwei oder drei Herren, die Hartley als Kaufleute kannte, bemühten sich, ihr ebensoviel Sorgfalt zu zeigen, als sie auf die Sicherheit eines reichen Kauffahrers verwandt haben würden.

»Um des Himmels willen, was ist das für eine Zenobia?« fragte Hartley den Herrn, dessen Geflüster zuerst seine Aufmerksamkeit auf die gewaltige Dame gelenkt hatte.

»Ist es möglich, daß Ihr die Königin von Saba nicht kennt!« sagte der Herr, an welchen die Frage gerichtet war, durchaus nicht abgeneigt, die verlangte Mittheilung zu geben. »So müßt Ihr denn wissen, daß sie die Tochter eines schottischen Emigranten ist, welcher als Sergeant in Lally's Der unglückliche französische Offizier, welcher nach der Rückkehr in Frankreich wegen des Unterganges der französischen Macht in Indien enthauptet wurde. Regiment lebte und starb. Es gelang ihr, einen Offizier aus einem Freicorps, Namens Montreville, einen Schweizer oder Franzosen, ich weiß nicht von welcher Nation, zu heirathen. Nach der Uebergabe von Pondichery hat dieser Held und diese Heldin – aber woran zum Teufel denkt Ihr? – wenn Ihr so auf sie hinstarrt, so veranlaßt Ihr einen leidenschaftlichen Auftritt, denn sie wird Euch ohne viele Umstände eine Strafpredigt über den Tisch her halten.«

Ohne jedoch auf die Vorstellungen seines Freundes zu achten, sprang Hartley von dem Tisch auf, an welchem er saß, und ging eben nicht mit dem Anstande, welchen die Regeln der Gesellschaft erheischen, auf den Platz zu, wo die Dame saß.

»Der Doctor ist sicherlich heute Morgen verrückt,« sagte sein Freund, Major Mercer, zum alten Quartiermeister Calder.

Hartley war vielleicht in dem Augenblick nicht ganz bei Sinnen; während er nämlich auf die Königin von Saba blickte, als er dem Major Mercer zuhörte, fiel sein Auge auf eine leichte weibliche Gestalt an ihrer Seite, welche sich so gesetzt hatte, als wünsche sie sich unter der massenhaften Gestalt und den fließenden Gewändern, die wir beschrieben haben, zu verstecken; zu seinem außerordentlichen Erstaunen erkannte er die Freundin seiner Kindheit und die Geliebte seiner Jugend – Menie Gray in eigener Person.

Der Umstand, sie in Indien zu sehen, mußte schon allein Erstaunen erregen. Seine Ueberraschung wurde um so mehr gesteigert, als er sie unter einem offenbar so sonderbaren Schutz erblickte. Die natürliche und unmittelbare Weise, den Gefühlen nachzukommen, welche ihr Erscheinen erregte, bestand darin, daß er zu ihr hinging und sie anredete.

Seinem Ungestüm wurde jedoch Einhalt gethan; als er auf Miß Gray und ihre Gefährtin zuging, bemerkte er, daß die Erstere, obgleich sie auf ihn blickte, nicht das geringste Zeichen der Wiedererkennung gab, wenn er nicht eine Bewegung sich so erklären konnte, wodurch sie ihre Oberlippe mit dem Zeigefinger leicht berührte – eine Bewegung, welche, wenn sie nicht zufällig war, sich deuten ließ, als solle damit gesagt sein: »Unterlaßt es gerade jetzt, mit mir zu reden.« Hartley nahm diese Deutung an, blieb plötzlich stehen, und erröthete, denn er merkte, daß er in diesem Augenblick eine alberne Rolle spielte. Er kam noch mehr zu der Ueberzeugung, als Frau Montreville mit einer Stimme, in welcher die Kraft der Töne dem befehlenden Ausdruck ihrer Züge entsprach, ihn in einem Englisch anredete, welches einen kleinen Beigeschmack von Radebrechen eines Schweizers hatte.

»Um weiter nichts zu sagen, Herr, so seid Ihr sehr schnell auf uns zugerannt. Wißt Ihr gewiß, daß man Euch unterwegs die Zunge nicht gestohlen hat?«

»Ich glaubte eine alte Freundin in jener Dame zu erblicken, Madame,« stammelte Hartley, »es scheint jedoch, daß ich mich geirrt habe.«

»Die guten Leute sagen mir, Herr, daß Ihr ein gewisser Doctor Hartley seid; nun bin ich und meine gute Freundin mit einem Doctor Hartley gänzlich unbekannt.«

»Ich weiß nichts von der Anmaßung, auf Eure Bekanntschaft Anspruch zu machen, Madame – allein –«

Hier wiederholte Menie das Zeichen in solcher Weise, daß Hartley, obgleich dasselbe nur vorübergehend war, den Sinn nicht mißverstehen konnte, er änderte deßhalb den Schluß seines Satzes und fügte hinzu: »allein ich habe mich jetzt nur noch zu verbeugen und wegen meines Versehens um Entschuldigung zu bitten.«

Unfähig, den Saal zu verlassen, zog er sich somit unter die übrige Gesellschaft zurück, und erkundigte sich bei denjenigen, die er als die besten Neuigkeitskrämer bei solchen Fragen, wie die folgende, hielt: »Wer ist jene stattlich aussehende Dame, Herr Butler?«

»O, die Königin von Saba sicherlich.«

»Und wer ist das hübsche Mädchen, das dort neben ihr sitzt?«

»Oder vielmehr hinter ihr,« erwiderte Butler, ein Feldprediger; »wahrhaftig, ich kann es nicht sagen – ziemlich hübsch, wie Ihr sagt (er richtete sein Opernglas auf die junge Dame), ja, wahrhaftig, sie ist schön – sehr schön – Gott, sie schießt ihre Blicke so scharf hinter jenen alten Fleischmassen auf uns hin, wie Teucer hinter dem Schilde des Ajax Telamonius.«

»Aber wer ist sie, könnt Ihr mir es nickt sagen?«

»Wie ich glaube, eine von den Spekulationen der alten Montreville in schönen Gesichtern, die sie entweder selbst als dienstbare Geister gebrauchen will, oder womit sie einen ihrer schwarzen Freunde zu fangen gedenkt; ist es möglich, daß Ihr niemals von Mutter Montreville gehört habt?«

»Wie Ihr wißt, bin ich lange von Madras abwesend gewesen.«

»Wohlan,« fuhr Butler fort, »diese Dame ist die Wittwe eines Schweizeroffiziers in der französischen Armee, welcher nach der Einnahme von Pondichery in's Innere durchging und Soldat auf eigene Rechnung wurde. Er setzte sich in Besitz eines Forts unter dem Vorwande, dasselbe für irgend einen Pinsel von Radschah Fürsten. zu commandiren; er sammelte nun sich einen Schwarm verzweifelter Landstreicher von jeder Farbe des Regenbogens, nahm ein beträchtliches Gebiet in Besitz, von welchem er die Abgaben in seinem eigenen Namen erhob, und erklärte sich für unabhängig. Hyder Näg nahm jedoch diese Pfuscherei in sein Handwerk übel auf, zog mit einem Heer herbei, belagerte das Fort und nahm es ein. Einige jedoch behaupten, es sei ihm durch den Verrath desselben Weibes überliefert worden. Sei dem, wie ihm wolle, der arme Schweizer wurde todt auf den Wällen gefunden; gewiß ist, daß sie unter dem Vorhände, ihre Truppen zu zahlen, Bergfesten zu überliefern, und der Himmel weiß, was sonst, große Geldsummen bekam. Sie erhielt auch die Erlaubniß, einige äußere Auszeichnungen des Königthums beizubehalten, und da sie von Hyder als dem Salomo des Ostens spricht, ist sie gemeiniglich unter dem Titel der Königin von Saba bekannt. Sie verläßt ihren Hof nach Belieben, und ist schon früher im Fort St. George gewesen. Kurzum, sie thut so ziemlich Alles, was sie will. Die Mächtigen hier benehmen sich höflich gegen dies Weib, obgleich sie dasselbe für eine Art Spion halten. Was Hyder betrifft, so vermuthet man, er habe sich ihre Treue dadurch gesichert, daß er den größten Theil ihrer Schätze von ihr erborgte – ein Umstand, weßhalb sie nicht mit ihm zu brechen wagt; außerdem gibt man noch andere Ursachen an, die sehr nach Skandal anderer Art schmecken.«

»Eine sonderbare Geschichte,« antwortete Hartley seinem Gesellschafter, während sein Herz bei der Frage verweilte, »wie ist es möglich, daß die sanfte und einfache Menie Gray sich im Gefolge eines so abenteuerlichen Weibes befindet?«

»Aber Butler hat den besten Theil der Geschichte ausgelassen,« sagte Major Mercer, welcher herbeikam, um seine eigene Geschichte zu beendigen. »Euer alter Bekannter, Herr Tresham, oder Middlemas, oder wie er sich sonst zu nennen beliebt, hat vom Gerüchte das Compliment erhalten, daß er sehr hoch in der Gnade dieser Amazone siehe. Er hat wenigstens einige Truppen commandirt, die er noch auf den Beinen hält, und hat an ihrer Spitze in der Armee des Nawob gefochten, der ihn schlauerweise bei jeder Gelegenheit gebraucht, wo er seinen Landsleuten durchaus verhaßt werden muß. Die brittischen Gefangenen wurden ihm anvertraut, und nach dem, was ich selbst empfunden habe, kann der Teufel bei ihm Unterricht in der Strenge nehmen.«

»Stand er in einem Verhältnisse oder in irgend einer Verbindung mit diesem Weibe?«

»Frau Fama hat und so in unserem Loche berichtet. Der arme Jack Ward erhielt die Bastonade, weil er ihre Verdienste in einer Parodie der Opern-Arie feierte:

Noch nie schuf die Natur ein Paar,
Das so sich für einander eignet.«

Hartley konnte nicht länger zuhören. Das Schicksal der Menie Gray, mit solch' einem Manne und solch' einem Weibe verknüpft, drang auf seine Phantasie in den furchtbarsten Farben ein; er war im Begriff sich aus dem Gedränge der Gäste nach einem Orte zu begeben, wo er seine Gedanken sammeln und bedenken könne, was für ihren Schutz zu thun sei, als ein schwarzer Bedienter ihn am Arm berührte und zugleich eine Karte in seine Hand legte, aus welcher stand: »Miß Gray bei Mrs. Montreville, im Hause von Ram Sing Cottah in der schwarzen Stadt.« Auf der Rückseite war mit einem Bleistift geschrieben: »8 Uhr Morgens.«

Die Angabe ihrer Wohnung enthielt natürlich eine Erlaubniß oder vielmehr eine Einladung sie zur festgesetzten Stunde zu besuchen. Hartley's Herz schlug bei der Erwartung, sie noch einmal zu sehen, und noch höher bei dem Gedanken, ihr dienen zu können; er dachte wenigstens, wenn ihr Gefahr nahe ist, wie man beargwöhnen muß, so soll ihr ein Rathgeber und im Nothfall ein Beschützer nicht fehlen; zugleich jedoch empfand er die Nothwendigkeit, sich mit den Umständen ihres Falles und den Personen besser bekannt zu machen, mit denen er in Verbindung zu stehen schien. Buttler und Mercer hatten sehr zum Nachtheil derselben gesprochen, allein Butler war etwas geckenhaft, und Mercer pflegte gern zu klatschen. Während er überlegte, welchen Glauben er ihren Zeugnissen schenken solle, begegnete ihm unerwartet ein Herr seines eigenen Berufes, welcher das Unglück gehabt hatte, in Hyders Gefangenschaft zu gerathen, allein bei dem letzten Friedensschluß in Freiheit gesetzt war. Herr Esdale, denn dieß war sein Name, wurde allgemein für einen Mann von guten Aussichten, für ruhig, beharrlich und besonnen in Bildung seiner Ansichten gehalten. Hartley konnte leicht den Gegenstand der Königin von Saba auf's Tapet durch die Frage bringen, »ob Ihre Majestät nicht etwas von einem abenteuerlichen Weibe habe?«

»Auf mein Wort, ich kann das nicht sagen,« erwiderte Esdale; »wir Alle haben etwas Abenteuerliches in Indien, mehr oder weniger; ich wüßte nicht, daß es bei der Biegom Biegom (Bigum), Wittwe. Montreville mehr der Fall ist wie bei den Uebrigen.«

»Aber dies Kleid und Wesen einer Amazone,« bemerkte Hartley, »schmeckt ein wenig nach Picaresca Gaunerei.

»Ihr dürft nicht,« erwiderte Esdale, »von einem Weibe, welches Soldaten commandirt hat, und vielleicht wiederum commandiren wird, die Erwartung hegen, daß es wie ein gewöhnliches Frauenzimmer aussieht und sich kleidet; ich gebe Euch aber die Versicherung, daß sie noch heute eine sehr achtbare Heirath schließen könnte, wenn sie Lust hätte, sich zu vermählen.«

»Ich habe aber gehört, daß sie die Festung ihres Gemahls an Hyder verrathen hat?«

»Das ist ein Muster von der Madras-Klatscherei; die Thatsache ist folgende. Sie vertheidigte den Platz noch lange Zeit, nachdem ihr Gemahl gefallen war, und übergab ihn nachher durch Kapitulation. Hyder, welcher sich viel darauf zu gut thut, daß er die Regeln der Gerechtigkeit genau beobachtet, würde sonst nicht mit ihr in so genauem Verhältniß stehen.«

»Ich habe aber gehört,« erwiderte Hartley, »daß ihr Verhältniß von der genauesten Art sei?«

»Wieder eine Verleumdung, oder wenn Ihr wollt, eine Klatscherei,« erwiderte Esdale; »Hyder ist ein zu eifriger Mahomedaner, um sich mit einer Christin als seiner Geliebten einzulassen; ohnedem muß sie, um den Rang zu genießen, welcher einem Weibe in ihrem Zustande ertheilt wird, sich wenigstens äußerlich alles Verkehrs, der wie Galanterie aussieht, enthalten. Ebenso hat man dem armen Weibe nachgesagt, daß sie mit dem armen Middlemas vom – Regimente in Verbindung stand.«

»War das auch ein falscher Bericht?« fragte Hartley in namenloser Angst.

»So glaube ich, bei meiner Seele!« erwiderte Esdale; »sie waren Freunde als Europäer an einem indischen Hofe und standen deßhalb in genauem Verkehr; wie ich aber glaube, hat nichts weiter stattgehabt. Beiläufig gesagt, obgleich Ihr, wie ich mich erinnere; einen Zank mit Middlemas, dem armen Kerl, gehabt habt, so werdet Ihr doch sicherlich mit Vergnügen hören, daß sich ihm gute Aussicht darbietet, seine Angelegenheit werde sich ausgleichen lassen.«

»Wirklich!« war das einzige Wort, welches Hartley aussprechen konnte.

»Ja wirklich,« erwiderte Esdale; »das Duell ist jetzt eine alte Geschichte, und man muß zugestehen, daß der arme Middlemas, obgleich er bei der Gelegenheit sehr leidenschaftlich verfuhr, auch seinerseits gereizt war.«

»Allein seine Desertion – seine Annahme einer Befehlshaberstelle unter Hyder – seine Behandlung unserer Gefangenen – wie kann man dieß unbeachtet lassen?« erwiderte Hartley.

»Nun, es ist möglich – ich spreche zu Euch als vorsichtiger Mann und im Vertrauen – daß er uns bessern Dienst in Hyders Hauptstadt oder Tippu's Lager erweist, als es ihm mit seinem eigenen Regimente möglich gewesen wäre. Was seine Behandlung der Gefangenen betrifft, so kann ich ihm nur Gutes nachsagen. Er war genöthigt, das Amt zu übernehmen, weil diejenigen, welche Hyder Ali dienen, unbedingt gehorchen oder sterben müssen. Er sagte mir aber selbst, und ich glaube ihm auch, daß er das Amt hauptsächlich nur deßhalb angenommen habe, um im Geheimen uns Beistand leisten zu können, während er in Gegenwart der schwarzen Kerle poltere und uns bedrohe. Einige Narren wollten dieß nicht verstehen, und antworteten ihm mit Schmähreden und Spottgedichten; er war alsdann genöthigt, sie zu bestrafen, um Verdacht zu vermeiden. Ja, ja, ich und Andere können beweisen, daß er sehr gerne uns Dienste erwies, wenn man ihn in seiner Weise verfahren ließ. Ich hoffe, ihm in Madras bald meinen Dank abstatten zu können – Alles das im Vertrauen gesagt – guten Morgen.«

Durch die widersprechenden Nachrichten verstört, wandte sich Hartley zunächst an den Kapitän des Indienfahrers, Kapitän Capstern, von dem er bemerkt hatte, daß er der Biegom Montreville viel Höflichkeiten erwies, um denselben weiterhin auszufragen.

Als er sich nach den weiblichen Passagieren dieses Offiziers erkundigte, vernahm er einen ziemlich langen Katalog von Namen, worin derjenige nicht vorkam, welcher seine Theilnahme am meisten in Anspruch nahm. Bei näherer Befragung erinnerte sich der Kapitän, daß Menie Gray, ein junges schottisches Mädchen, unter der Aufsicht der Frau Duffer, der Frau des Proviantmeisters, die Ueberfahrt gemacht habe. »Sie ist ein gutes anständiges Mädchen,« sagte Kapitän Capstern, »und hielt die Unteroffiziere und Schweine von Matrosen in gehöriger Entfernung; sie ist, wie ich glaube, als eine Art Gesellschafterin oder oberste Magd in der Familie der Madame Montreville herüber gekommen, eine ziemlich behagliche Stelle, wenn sie sich dem alten Weibe beliebt machen kann.«

Weiter konnte Hartley von Capstern nichts herausbringen; somit war er genöthigt im Zustand der Ungewißheit bis zum nächsten Morgen zu bleiben, wo er von Menie Gray in Person eine Erklärung erwarten konnte.



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