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Die Wittwe des Hochlandes.


Erstes Kapitel.

Sie wußte nicht, was Jenes war,
Als sie genaht dem steilen Raum,
Doch endlich bot dem Blick sich dar
Ein breitbelaubter Eibenbaum.

Coleridge.

Das Memoire der Frau Bethune Baliol beginnt in folgender Weise:

Vor fünfunddreißig oder beinahe vierzig Jahren unternahm ich eine Reise nach den Hochlanden, um mich von dem Kummer zu zerstreuen, der mir zwei oder drei Monate vorher durch ein großes Familienunglück erregt war. Dergleichen Ausflüge kamen damals in Mode. Obgleich aber die Militärstraße ausgezeichnet war, fand man so wenig andere Einrichtungen für die Bequemlichkeit der Reisenden, daß die Unternehmung der Reise damals noch als etwas Abenteuerliches galt. Zudem flößte das Wort »Hochlande« noch immer einigen Schrecken ein, obgleich dieß Land schon damals so friedlich war als irgend eine Gegend in den Reichen König Georgs; es waren nämlich noch sehr viele Zeugen des Aufstandes von 1745 am Leben. Viele wurden deßhalb noch immer von einer unbestimmten Furcht erfüllt, wenn sie von den Thürmen der Festung Stirling nach Norden auf die große Bergkette blickten, die wie eine finstere Mauer sich erhebt, um in ihren Schluchten ein Volk zu bergen, dessen Kleidung, Sitten und Sprache von denjenigen ihrer Landsleute in den Niederlanden so sehr verschieden waren. Was mich jedoch betrifft, so stammte ich von einem Geschlecht, welches Besorgnissen, die nur aus der Einbildungskraft entspringen, wenig Raum giebt. Ich hatte einige Verwandte in den Hochlanden und kannte dort mehrere angesehene Familien; und obgleich ich nur mein Kammermädchen mitnahm, trat ich somit furchtlos die Reise an.

Ich besaß aber auch einen Führer und Cicerone, der die größte Aehnlichkeit mit Greatheart in der »Pilgerreise« hatte. Es war der Postillon Donald Mac Leish, den ich in Stirling mit einem Paar Pferde, von eben so großer Kraft und Schönheit wie Donald selbst, gemiethet hatte, um meinen Wagen, mein Kammermädchen und mich selbst nach jedem Ort zu transportiren, wohin ich Lust zu reisen haben würde.

Donald Mac Leish gehörte zu der Rasse von Postknechten, welche, wie ich glaube, durch die regelmäßigen Postkutschen-Verbindungen und durch die Dampfboote jetzt ausgestorben sind. Sie fanden sich hauptsächlich in Perth, Stirling und Glasgow, wo sie gewöhnlich, nebst ihren Pferden, von Reisenden gemiethet wurden, die nach dem Lande der Galen einen Ausflug zum Vergnügen oder ihrer Geschäfte wegen machten. Diese Art Leute kamen an Charakter denjenigen gleich, welche man im Auslande Conducteure nennt, oder sie ließen sich mit dem sogenannten Segelmeister aus brittischen Kriegsschiffen vergleichen, welcher in seiner eigenen Weise die Richtung einhält, die ihm der Kapitän einzuschlagen befiehlt. Man gab dem Postillion die Länge der Reise und alles dasjenige an, was dieselbe nach besonderem Wunsch umfassen sollte; dann fand man ihn vollkommen seinem Amte gewachsen, um die Plätze der Ruhe und Erfrischung mit gehöriger Aufmerksamkeit zu bestimmen, so daß dieselben nach der Bequemlichkeit der Reisenden oder in Bezug auf interessante Punkte gewählt wurden, welche jene zu besuchen wünschten.

Die Eigenschaften eines solchen Postillions waren natürlich denjenigen eines jetzigen überlegen, welcher dreimal täglich über denselben Raum von zehn Meilen galoppirt. Donald Mac Leish war nicht allein stets wachsam, um gewöhnliche Zufälle hinsichtlich seiner Pferde wieder auszugleichen oder Beschädigungen des Wagens wieder auszubessern, und wenn sich kein Futter vorfand, dieselben mit Haferkuchen und anderen Ersatzmitteln zu erquicken, sondern er war auch ein Mann, dem es an geistigen Hülfsmitteln nicht fehlte. Er hatte sich eine allgemeine Kenntniß der überlieferten Sagen des so oft von ihm durchreisten Landes erworben; erhielt er Ermuthigungen (denn Donald war ein Mann von höchst anständiger Zurückhaltung) so zeigte er den Reisenden sehr gern die Lage der hauptsächlichsten Schlachtfelder in den Kriegen der Clans und erzählte die merkwürdigsten Sagen, durch welche die Straßen und die beim Vorüberfahren bemerkten Gegenstände sich auszeichneten. In der Gedankenrichtung und Ausdrucksweise des Mannes lag etwas Originelles; seine Liebhaberei für Sagen bot einen merkwürdigen Gegensatz zu der seinem Gewerbe angehörigen scharfsinnigen Menschenkenntniß und Schlauheit, so daß sein Gespräch unterwegs viel Unterhaltung gewährte.

Hiezu kam, daß Donald alle seine besonderen Pflichten in dem von ihm so oft durchzogenen Lande genau kannte; er konnte bis auf Einen Tag voraussagen, wenn man ein Lamm in Tyndrum oder Glenuilt schlachten werde, so daß der Fremde einige Aussicht hatte, ein christliches Mittagessen zu bekommen; er wußte bis auf eine Meile das letzte Dorf, wo man sich Waizenbrod verschaffen könne, für die Vorsicht derjenigen zu bestimmen, welche mit dem Lande der Haferkuchen noch wenig vertraut waren. Er war mit jeder Meile im ganzen Lande bekannt und konnte bis auf Einen Zoll angeben, welche Seite auf einer hochländischen Brücke passirbar und welche gefährlich wäre Dies ist oder war wenigstens eine nothwendige Kenntniß für einen hochländischen Postillion. Noch vor wenig Jahren befand sich auf einer Brücke, in einem der schönsten Theile der Hochlande, die erschreckende Inschrift: »Haltet euch an die rechte Seite, die linke ist gefährlich!«. Kurzum, Mac Leish war nicht allein unser treuer Begleiter und handfester Diener, sondern auch unser demüthiger und uns stets zu Dank verpflichtender Freund. Obgleich ich den halbklassischen Cicerone Italiens, den geschwätzigen französischen Valet de place und selbst den Maulthiertreiber Spaniens kennen lernte, welcher sich darauf Etwas zu gute thut, ein Maisesser zu sein, und dessen Ehre man nicht ungestraft in Frage stellen darf, so glaube ich doch niemals einen so verständigen und aufrichtigen Führer angetroffen zu haben.«

Die Richtung unserer Reise stand natürlich unter Donalds Leitung, und es ereignete sich oft, daß wir bei heiterem Wetter an Punkten anhielten, wo keine Station vorhanden war. Alsdann genoßen wir unsere Erfrischungen unter einer Klippe, von welcher ein Wasserfall herabstürzte, oder am Rande einer mit grünem Rasen und wild wachsenden Blumen bekränzten Quelle. Donald hatte ein geschicktes Auge für solche Orte, und obgleich er sicherlich den Gilbas oder Don Quixote niemals gelesen hatte, wählte er doch immer solche Rastplätze, wie sie le Sage oder Cervantes beschrieben haben würde. Da er das Vergnügen bemerkte, welches ich in der Unterhaltung mit Landleuten empfand, pflegte er sehr oft die Einrichtung zu treffen, um unseren Ruheplatz in der Nähe einer Hütte aufzuschlagen, wo noch ein alter Gale lebte, dessen Degen bei Falkirck oder Preston im Sonnenschein geglänzt hatte, und welcher ein schwaches, aber wahrhaftes Zeugniß vergangener Zeiten zu sein schien. Oder er traf die Einrichtung, für uns die Gastfreundschaft eines würdigen und verständigen Pfarrers, oder einer auf dem Lande lebenden Familie der höhern Classe hinsichtlich einer Tasse Thee in Anspruch zu nehmen – bei Leuten, welche die wilde Einfachheit ihrer ursprünglichen Sitten und ihr bereitwilliges gastfreies Willkommen mit einer Höflichkeit mischten, die einem Volke eigenthümlich ist, dessen niedrigste Classen sich in solcher Weise zu betrachten pflegen, daß sie nach der spanischen Redeweise »ebenso gute Edelleute wie der König, obgleich nicht ganz so reich sind.« Allen solchen Personen war Donald Mac Leish wohl bekannt, und seine Einführung war ebenso genügend, als hätten wir Empfehlungsbriefe von einem der vornehmsten Häuptlinge des Landes mitgebracht.

Bisweilen geschah es, daß die hochländische Gastfreundschaft, welche uns mit jeder Art Gebirgskost, mit Mischungen von Milch und Eiern und Käsekuchen verschiedener Art, eben sowohl wie mit nahrhafteren Leckereien, je nach den Mitteln der Einwohner bewirthete, etwas zu reichlich auf Donald Mac Leish in der Form des berühmten schottischen Bergthau's sich niederließ. Der arme Donald! bei solcher Gelegenheit war er wie Gideons Vlies von dem edlen Element benetzt, welches sich natürlich nicht auf uns herabsenkte. Dies aber war sein einziger Fehler, und es hätte sich für ihn nicht geziemt, einen Trunk auf die Gesundheit der Mylady zurückzuweisen; auch war er zu solcher Unhöflichkeit nicht geneigt. Dies war, wie ich wiederhole, sein einziger Fehler, und wir hatten auch kein Recht uns darüber zu beklagen. Wurde er dadurch etwas gesprächiger, so steigerte sich auch sein gewöhnlicher Antheil sorgfältig erwiesener Höflichkeit. Er fuhr nur langsamer und schwatzte länger und pomphafter als sonst, wann er keinen Tropfen des edlen Getränkes im Leibe hatte. Nur bei solchen Gelegenheiten schwatzte Donald mit wichtiger Miene von der Familie Mac Leish; auch besaßen wir kein Recht, eine Schwäche sehr nachdrücklich zu tadeln, deren Folgen auf so unschuldige Gränzen beschränkt blieben.

Wir wurden an Donalds Weise mit uns umzugehen, so gewöhnt, daß wir mit einiger Spannung seine List beobachteten, womit er uns eine kleine Ueberraschung bereitete, indem er uns den Ort verschwieg, wo er Halt machen wollte, sobald derselbe einen ungewöhnlichen und interessanten Charakter darbot. Hierin ging er so gleichmäßig zu Werke, daß unsre Einbildungskraft sich anstrengte, wenn er sich bei der Abfahrt von einer Station entschuldigte, weil er an einem sonderbaren einsamen Platz anhalten müsse, bis die Pferde den von ihm mitgenommenen Hafer gefressen haben würden, den Grund zu errathen, weßhalb er irgend einen romantischen Schlupfwinkel im Geheimen zu unserem mittäglichen Ruheplatz bestimmt habe.

Wir hatten den größten Theil des Morgens in dem schönen Dorfe Dalmally zugebracht, und uns auf dem See unter der Leitung des damaligen trefflichen Pfarrers von Glenorquhy eingeschifft, und hundert Sagen von den finsteren Häuptlingen des Loch Awe, von Duncan mit der groben wollenen Mütze und anderen Herren der jetzt verfallenen Thürme von Kilchurn vernommen. So ward es später wie gewöhnlich, bis wir unsere Reise wieder antraten, nachdem wir einige Winke von Donald über die Länge des Wegs bis zur nächsten Station vernommen hatten, da kein guter Anhaltepunkt zwischen Dalmally und Oban vorhanden war.

Nachdem wir unserem würdigen und freundlichen Cicerone Lebewohl gesagt hatten, setzten wir unsere Reise fort, indem wir um den furchtbaren Berg Cruachan-Beu herumfuhren, welcher mit aller Majestät der Felsen und der Wildniß in die See hinein ragt, und nur den Raum für Einen Paß übrig läßt, in welchem der kriegerische Clan Mac Dougal von Lorn durch den großen Feldherrn Robert Bruce beinahe vernichtet wurde. Jener König, der Wellington seiner Zeit, hatte durch einen forcirten Marsch das unerwartete Manoeuvre ausgeführt, ein Truppencorps um den Berg herum auf dessen andere Seite zu drängen und sich so in den Flanken und im Rücken der Krieger von Lorn zu stellen, die er zugleich in der Front angriff. Die große Zahl der jetzt noch vorhandenen Steinhaufen, welche über den Gräbern der Erschlagenen errichtet wurden, und die man beim Hinabsteigen des Passes an der westlichen Seite erblickt, erweist die Ausdehnung der Rache, die Bruce an den erblichen Feinden seines Hauses und an seinen persönlichen nahm. Wie Ihr wißt, bin ich die Schwester von Soldaten, und es war mir auffallend, daß das von Donald beschriebene Manoeuvre denjenigen von Wellington und Bonaparte glich. Robert Bruce war ein großer Mann; sogar ein Mitglied der Familie Baliol, seiner größten Feinde, muß dies eingestehen, obgleich man jetzt beginnt zuzugeben, daß sein Anspruch auf die Krone kaum so gut war, wie derjenige der unglücklichen Familie, mit welcher er um dieselbe kämpfte; jedoch denken wir hieran nicht weiter – das Gemetzel war um so größer gewesen, da der tiefe und reißende Strom Awe sich aus dem See im Rücken der Fliehenden ergießt und die Grundlage des furchtbaren Berges umringt; somit war der Rückzug der unglücklichen Besiegten von allen Seiten durch die unzugängliche Beschaffenheit des Landes abgeschnitten, welches ihnen Schutz und Vertheidigung zu verheißen schien. Indem wir, wie die irische Dame in ihrem Liede über Dinge nachsannen, welche längst vergangen sind, wurden wir nicht ungeduldig bei dem langsamen und beinahe kriechenden Schritt, womit unser Wagenlenker auf des Generals Wade Militärstraße fuhr, welche niemals oder selten sich herabläßt, einer steilen Aufsteigung auszuweichen, sondern in gerader Linie über die Anhöhen und wieder hinab führt und dieselbe Gleichgültigkeit gegen Höhe und Thal, eine steile Aufsteigung oder eine Fläche zeigt, wie sie dereinst die alten römischen Ingenieurs bewiesen. Die ausgezeichnete Beschaffenheit dieser großen Bauwerke, denn als solche lassen sich die Militärstraßen in den Hochlanden bezeichnen, verdienten das Compliment des Dichters, welcher, mogte er aus Irland stammen, und in der angeborenen Redeweise seiner Nation sprechen, oder den Glauben hegen, daß diejenigen, an welche er sich wandte, Nationalansprüche an das zweite Gesicht besäßen, die berühmten zwei Verse verfaßte:

O hättet ihr diese Straße gesehn, bevor dieselbe gebauet war.
Ihr würdet erheben die Hände gern, und segnen den General Wade fürwahr!

Kein Anblick ist wirklich wunderbarer, als die Durchdringung der dadurch gangbar gemachten Wildniß mit breiten möglichst gut gebauten Landstraßen, welche bei weitem Allem überlegen sind, was auf die friedlichen Zwecke des Handelsverkehrs Jahrhunderte lang in diesem Lande verwendet wurde; so eignen sich die Spuren des Krieges bisweilen zu den Zwecken des Friedens. Die Siege Bonapartes sind ohne Resultat geblieben, allein seine Straße über den Simplon wird lange Zeit der Verbindungsweg friedlicher Länder bleiben, welche dies riesenhafte und für die ehrgeizigen Zwecke von Kriegszügen angelegte Werk zu den Zwecken des Handels und freundschaftlichen Verkehrs benützen werden.

Während wir so langsam vorwärts kamen, bogen wir allmälig um die Seite des Ben-Cruachan ein, folgten dem Laufe des schäumenden und reißenden Awe, und ließen die Fläche des majestätischen See's hinter uns, welchem jener ungestüme Strom entspringt. Die Felsen und Abgründe, welche senkrecht auf der rechten Seite unseres Weges abfielen, zeigten nur wenige Reste des Waldes, welcher sie einst bekleidete, aber seit Kurzem, wie Donald Mac Leish uns sagte, umgehauen war, um den Eisengießereien von Bunawe zur Feuerung zu dienen. Dies veranlaßte uns, unsere Blicke mit Interesse auf eine große Eiche zu heften, welche links vom Fluße stehen geblieben war. Sie schien ein Baum von ungewöhnlicher Größe und malerischer Schönheit und stand gerade an einem Orte, wo einige Ruthen ebenen Bodens unter den großen Felsblöcken lagen, die vom Felsen hinabgerollt waren. Der romantische Charakter der Lage wurde dadurch erhöht, daß diese kleine Ebene sich um den Fuß eines schroffen Felsens ausdehnte, von dessen Gipfel ein Gebirgsbach einen Wasserfall von sechszig Fuß bildete, in welchem jener sich in Schaum und Thau auflöste; am Fußboden des Wasserfalls sammelte der Bach mit Schwierigkeit wie ein geschlagener General seine zerstreuten Kräfte und fand, durch den Sturz gleichsam gezähmt, einen geräuschlosen Durchgang durch die Haide, um sich in den Awe zu ergießen.

Der Baum und der Wasserfall fielen mir auf, und ich wünschte mich denselben mehr zu nähern, wobei ich übrigens nicht an ein Skizzenbuch oder Portfolio dachte, denn in meinen jüngeren Tagen waren junge Damen an Bleistifte nicht anders gewöhnt, als daß sie dieselben zu einem nützlichen Zwecke benützten; ich wollte nur den Anblick in der Nähe genießen. Donald öffnete sogleich die Kutschenthüre, bemerkte jedoch, der Weg sei abwärts sehr schwierig, und ich würde den Baum weit besser sehen, wenn ich hundert Ellen weiter führe, wo die Landstraße näher an dem Orte vorüber komme. Er schien jedoch für die Stelle keine besondere Vorliebe zu hegen. »Ich kenne,« sagte er, »größere Bäume, die dem Bunawe näher sind, als jener, und wo genug ebener Raum sich vorfindet, so daß die Kutsche darauf stehen kann; bei dem Abhange dort ist das kaum möglich – wie es jedoch Eurer Ladyschaft gefällt.«

Meine Ladyschaft zog es aber vor, den schönen vor mir stehenden Baum zu betrachten und wollte nicht in der Hoffnung eines noch schöneren vorüberfahren; somit gingen wir neben dem Wagen her, bis wir an einen Punkt kommen würden, von welchem wir, wie Donald und versicherte, ohne Bergklettern dem Baum nach Belieben nahe treten könnten, obgleich er sagte, er wolle uns nicht rathen, demselben näher als die Landstraße zu kommen.

In dem sonnverbrannten Antlitze Donalds lag ein ernster und geheimnißvoller Ausdruck, als er und diesen Rath ertheilte, und sein Wesen war so verschieden von seinem gewöhnlichen Freimuth, daß meine weibliche Neugier sich regte. Wir gingen weiter und ich merkte, daß der Baum, den wir durch eine Bodenerhebung aus dem Gesicht verloren hatten, wirklich entkernter war, als ich zuerst vermuthete, »ich hätte darauf geschworen,« sagte ich meinem Cicerone, »daß jener Baum und Wasserfall gerade der Platz sein würde, den Ihr zum Anhalten heute bestimmt habt.«

»Gott behüte,« war Donalds hastige Antwort.

»Weßhalb, Donald? weßhalb habt Ihr vor einem so angenehmen Orte vorüber wollen?«

»Es ist zu nahe bei Dalmally, Mylady, um die Thiere zu füttern; ihr Mittagessen käme alsdann ihrem Frühstücke zu nahe; die armen Dinger – außerdem ist der Ort nicht geheuer.«

»Aha, das Geheimniß ist also herausgekommen; ist ein Kobold oder ein Hausgespenst oder eine Hexe oder eine Zaubrerin, ein Popanz oder eine Fee im Spiel?«

»Das ist nicht der Fall, Mylady, von denen da ist die Straße rein, wenn ich so sagen darf. Will aber Eure Ladyschaft Geduld haben und warten, bis wir vorbeigekommen und aus dem Thale hinaus sind, so will ich Euch Alles darüber sagen. Es bringt nicht viel Glück, spricht man von solchen Dingen am Orte wo sie sich zugetragen haben.«

Ich war genöthigt, meine Neugierde zu verschieben, indem ich bedachte, ich würde, wenn ich das Gespräch nach einer Richtung hin zu zwängen suchte, während es Donald nach der andern hin zwängte, seinen Einwurf, einem hänfenen Stricke gleich, nur um so straffer machen. Zuletzt brachte uns die verheißene Wendung der Straße in eine Entfernung von fünfzig Schritten von dem Baume, den ich zu bewundern wünschte, und ich sah jetzt zu meiner Ueberraschung, daß eine menschliche Wohnung unter den sie umringenden Klippen vorhanden war. Es war die kleinste und elendeste Hütte, die ich jemals in den Hochlanden bemerkt hatte. Die Mauern aus Erdschollen waren keine fünf Fuß hoch; das Dach bestand aus Rasen und war mit Binsen und Schilf ausgebessert; der Kamin war aus Lehm verfertigt, welcher mit Stricken aus Stroh umwunden war, das Ganze, Mauern, Dach und Kamin waren sämmtlich mit einem Pflanzenwuchs von Hauslauch, Riedgras und Moos überzogen, wie es bei verfallenen Hütten von solchem Material gewöhnlich sich vorfindet. Man sah nicht die geringste Spur eines Kohlgartens, welcher sonst auch bei den elendesten Hütten eine Beigabe bildet; von lebendigen Dingen erblickten wir nichts, als ein am Dach der Hütte weidendes Zicklein und eine Geiß, dessen Mutter, welche in einiger Entfernung zwischen der Eiche und dem Fluß Awe ihre Nahrung suchte.

Ich konnte den Ausruf nicht unterdrücken, »Wer kann so große Sünde begangen haben, daß er eine so elende Wohnung verdient!«

»Sünde genug,« sagte Mac Leish mit einem halbunterdrückten Seufzer, »und Gott weiß, auch Elend genug. Aber es ist keines Mannes Wohnung, sondern die eines Weibes.«

»Eines Weibes,« wiederholte ich, »und an einem so einsamen Orte! was für eine Art Weib kann es sein?«

»Kommt hieher, Mylady, und Ihr könnt darüber selbst urtheilen,« sagte Donald. Nachdem wir einige Schritte vorwärts gegangen und um eine scharfe Ecke gekommen waren, erblickten wir die schöne, große, breite Eiche in der Richtung, welche derjenigen entgegen gesetzt war, worin wir sie bisher gesehen hatten.

»Wenn sie ihre alte Gewohnheit beibehält, so wird sie um diese Tageszeit hier sein,« sagte Donald; sogleich aber schwieg er und wies mit seinem Finger, als fürchte er sich, daß seine Worte von Andern gehört würden; ich blickte auf und schaute nicht ohne ein Gefühl des Schreckens eine weibliche, am Stamme der Eiche liegende Gestalt, mit niederhängendem Kopf, gefalteten Händen und einem dunkelschwarzen, über ihr Haupt gezogenen Mantel, genau in derjenigen Stellung, wie Judäa auf den syrischen Münzen unter einem Palmbaum sitzend, dargestellt wurde. Mir wurde etwas von der Furcht und Achtung mitgetheilt, welche mein Führer gegen dies einsam lebende Geschöpf zu hegen schien; auch dachte ich nicht eher daran, zu ihr hinzutreten, um sie näher anzusehen, bis ich einen fragenden Blick auf Donald gerichtet hatte; hierauf erwiederte er in halbem Geflüster, »sie ist ein furchtbar böses Weib gewesen, Mylady.«

»Ein verrücktes Weib, meint Ihr,« erwiderte ich, denn ich hatte nicht recht verstanden, was er sagte, »dann ist sie vielleicht gefährlich.«

»Nein, sie ist nicht verrückt,« erwiderte Donald, »alsdann wäre sie glücklicher als jetzt; obgleich es mit ihrem Verstand nicht richtig sein kann, wenn sie bedenkt, was sie gethan hat, und welche Ereignisse sie veranlaßte, um keine Handbreit von ihrem gottlosen Willen nachzugeben; aber sie ist weder verrückt, noch stiftet sie Unheil in ihrer Raserei an. Dennoch, Mylady, halte ich es für das Beste, daß Ihr nicht näher zu ihr hingeht.« Alsdann machte er mich in wenigen eiligen Worten mit der Geschichte bekannt, die ich jetzt im Einzelnen erzählen werde. Ich hörte der Erzählung mit einer Mischung von Schauder und Mitgefühl zu, welche mich bewog, zur Leidenden hinzuzutreten, und ihr einige Worte der Tröstung oder des Mitleids zu sagen, während ich selbst mich der Furcht nicht erwehren konnte.

Dies war auch das Gefühl, womit sie von den Hochländern in der Nähe betrachtet wurde; dieselben blickten nämlich auf Elspat Mac Tavish oder das Weib des Baumes, wie sie dieselbe nannten, mit den Empfindungen, womit die Griechen die von den Furien Verfolgten, d. h. solche Leute betrachteten, welche geistige Qualen in Folge verbrecherischen Handlungen erlitten; dergleichen Unglückliche, z. B. Orestes und Oedipus, galten ihnen bekanntlich weniger für die freiwilligen Vollbringer ihrer Verbrechen, als für die leidenden Werkzeuge, womit die furchtbaren Schlüsse des Schicksals vollstreckt wurden; die Furcht, womit sie dergleichen Unglückliche anschauten, war gewissermaßen mit einer Art Verehrung gemischt. Ich erfuhr auch von Donald Mac Leish, daß die Hochländer die Besorgniß hegten, ein Unglück werde diejenigen befallen, welche die Kühnheit besäßen, einem so unaussprechlich elenden Wesen zu nahe zu kommen, oder dessen furchtbare Einsamkeit zu stören; jeder welcher einem solchen nahe trete, müsse in einiger Hinsicht eine Ansteckung ihres Unglückes erleiden.

Mit einigem Widerstreben sah deßhalb Donald, daß ich mich anschickte, eine nähere Ansicht der Leidenden zu erlangen, während er mir folgte, um mir beim Absteigen eines sehr rauhen Pfades behülflich zu sein. Wie ich glaube, überwand seine Rücksicht auf mich einige Gefühle böser Ahnungen, welche seine Dienstleistungen bei dieser Gelegenheit in der Furcht gelähmter Pferde, verlorener Achsennägel, umgeworfener Kutschen und anderer gefährlicher Zufälle im Leben eines Postillons erweckten.

Ich weiß nicht, ob mein eigener Muth mich so dicht in die Nähe Elspat's geführt haben würde, wäre er mir nicht gefolgt. In ihrem Antlitz lag der finstere, gegen äußere Einwirkung sich abschließende Ausdruck des hoffnungslosen und überwältigenden Kummers mit den streitenden Gefühlen der Selbstvorwürfe und des Stolzes gemischt, welcher dieselben zu verhehlen strebte. Sie errieth vielleicht, daß eine Neugier wegen ihrer ungewöhnlichen Geschichte die Veranlassung sei, weßhalb ich mich in ihre Einsamkeit eingedrängt habe; es konnte ihr nicht angenehm sein, daß ein Schicksal wie das ihrige, Reisenden Unterhaltung gewähre. Der Blick jedoch, womit sie mich betrachtete, war der des Stolzes, nicht der Verlegenheit. Die Meinung der Welt konnte kein Jota zur Last ihres Elends hinzufügen oder davon hinwegnehmen; mit Ausnahme eines halben Lächelns, das Verachtung eines Wesens anzudeuten schien, das durch die Stärke seines Kummers über den gewöhnlichen Kreis der Menschlichkeit hinaus entrückt war, zeigte sie sich so gleichgültig gegen meinen Blick, als sei sie ein Leichnam oder eine Marmorstatue.

Elspat war über die mittlere Größe; ihr jetzt ergrautes Haar war noch immer dicht; einst war es dunkelschwarz gewesen. Schwarz auch waren ihre Augen, in denen das wilde und verstörte Licht, welches eine wahnsinnige Seele anzeigt, im Gegensatz zu ihren finstern und strengen Zügen erglänzte. Ihr Haar war um eine silberne Nadel mit einiger Aufmerksamkeit auf schöne Form gewunden, und ihr dunkler Mantel mit einigem Geschmack um sie geworfen, obgleich das Material von der gröbsten Art war.

Nachdem ich auf dies Opfer der Schuld und des Elends so lange geblickt hatte, bis ich mich zu schweigen schämte, obgleich ich nicht wußte, wie ich die Frau anreden sollte, begann ich meine Ueberraschung auszusprechen, daß sie solch eine einsame und beklagenswerthe Wohnung gewählt habe. Sie schnitt diese Ausdrücke des Mitgefühls dadurch ab, daß sie mit finsterer Stimme und ohne den Ausdruck ihrer Züge oder ihrer Stellung im Geringsten zu verändern, mir zur Antwort gab: »Tochter der Fremden, wer hat Euch meine Geschichte erzählt?« Damit wurde ich zum Schweigen gebracht und empfand, wie alle irdische Behaglichkeit von einer Seele gering geschätzt werden mußte, welcher solche Gegenstände wie die ihrigen zum Grübeln geboten waren. Ohne wiederum die Eröffnung eines Gespräches zu versuchen, nahm ich aus meiner Börse ein Geldstück, (denn Donald hatte mir gesagt, daß sie von Almosen lebe) indem ich erwartete, sie werde wenigstens ihre Hand zum Empfang desselben ausstrecken. Allein sie nahm weder die Gabe an, noch wies sie dieselbe zurück – sie schien sogar sie nicht zu beachten, obgleich sie wenigstens zwanzigmal mehr werth war, als dasjenige, was ihr gewöhnlich angeboten wurde. Ich war genöthigt, das Geldstück auf ihr Knie zu legen und sagte dabei unwillkürlich, »möge Gott Euch verzeihen und Euch erlösen!« Ich werde niemals den Blick, den sie zum Himmel richtete, noch den Ton vergessen, womit sie mit den Worten meines alten Freundes John Home ausrief:

»Mein schöner, tapferer Sohn!«

Es war die Sprache der Natur und entsprang aus dem Herzen einer ihres Sohnes beraubten Mutter, ebenso wie aus der Einbildungskraft des begabten Dichters, welcher dem erdachten Grame der Lady Randolph den geeigneten Ausdruck verleiht.



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