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Neuntes Kapitel.

Wohlan, mir ist die Welt die Auster jetzt,
Die mit dem Schwert ich mir eröffnen will.

Lustige Weiber von Windsor.

Als Adam Hartley nach seiner Wohnung im schönen Städtchen Ryde kam, betrafen seine ersten Erkundigungen seinen Kameraden. Derselbe war vergangene Nacht spät nach Hause gekommen; Mann und Pferd waren mit Schaum bedeckt. Er gab keine Erwiderung auf die Fragen, ob er zu Abend essen wolle und dergleichen, sondern ergriff ein Licht, lief die Treppe hinauf nach seinem Zimmer, verschloß und verriegelte die Thüre. Die Diener meinten, er sei etwas betrunken gewesen, habe in dem Zustande einen heftigen Ritt zurückgelegt und nicht gewollt, daß Andere seinen Zustand merken.

Hartley ging nicht ohne einige Besorgnisse zur Thüre seines Zimmers; nachdem er mehrere Male angeklopft und gerufen hatte, erhielt er endlich die willkommene Antwort: »wer ist da?«

Als Hartley seinen Namen nannte, öffnete sich die Thüre und Middlemas zeigte sich wohlgekleidet und mit gekräuseltem so wie gepudertem Haar; das Aussehen des Bettes bezeugte jedoch, daß es vergangene Nacht nicht gebraucht war, und Richards Antlitz verstört und blaß, schien auf dieselbe Thatsache hinzuweisen. Er sprach jedoch mit erzwungener Gleichgültigkeit.

»Ich wünsche Euch Glück in den Fortschritten der Weltklugheit, Adam, es ist jetzt Zeit den armen Erben zu verlassen und sich an denjenigen zu halten, der sich in unmittelbarem Besitz des Reichthums befindet.«

»Ich war vergangene Nacht bei General Witherington,« erwiderte Hartley, »weil sich derselbe außerordentlich schlecht befindet.«

»So sagt ihm, er möge seine Sünden bereuen,« bemerkte Richard. »Der alte Gray pflegte zu sagen, ein Doctor habe eben so gut Anspruch auf geistlichen Rath wie ein Pfarrer. Erinnert Ihr Euch, wie Doctor Dulberry, der Pfarrer, ihn einen Pfuscher in sein Handwerk nannte? Ha, so, so!«

»Ich erstaune über diese Art Sprache bei Euren Umständen.«

»Warum nicht?« sagte Middlemas mit bitterem Lächeln. »Die meisten Menschen würden nur mit Schwierigkeit ihre gute Laune behalten, nachdem sie Vater und Mutter und ein gutes Erbtheil in einem Tage gewonnen und verloren haben. Ich hatte aber immer einige Neigung zur Philosophie.«

»Ich verstehe Euch wirklich nicht, Herr Middlemas.«

»Nun, ich fand gestern meine Eltern,« erwiderte der junge Mann; »meine Mutter hat, wie Ihr wißt, bis zu dem Augenblick gewartet, um zu sterben, und mein Vater, um verrückt zu werden; ich schließe daraus, daß Beide absichtlich so gehandelt haben, um mich um mein Erbtheil zu prellen, da mein Vater ein solches Vorurtheil gegen mich gefaßt hat.«

»Erbtheil?« widerholte Hartley durch Richards Ruhe bestürzt und beinahe im Glauben, der Wahnsinn des Vaters sei in der Familie erblich. »In des Himmels Namen faßt Euch, und gebt solche Täuschung auf. Von welchem Erbtheil habt Ihr geträumt?«

»Sicherlich von dem meiner Mutter, welche doch die Schätze des alten Monçada geerbt haben muß – auf wen sonst als auf ihre Kinder können dieselben jetzt übergehen? – Ich bin der älteste derselben, das kann nicht abgeläugnet werden.«

»Bedenkt aber, Richard – faßt Euch.«

»Das ist geschehen,« sagte Richard; »was nun?«

»Dann müßt Ihr beachten,« sagte Hartley, »daß Euch Eure Geburt von der Erbschaft ausschließt, wenn nicht ein besonderes Testament zu Euren Gunsten vorhanden ist.«

»Ihr irrt Euch, Herr, ich bin rechtmäßiger Sohn. – Jene kränkliche Brut, die Ihr vom Grabe errettet habt, besitzt nicht mehr Rechte als ich – ja, unsere Eltern wollten nicht gestatten, daß die Luft des Himmels sie anblies – und mich überließen sie den Winden und Wogen – ich bin dennoch eben so gut ihr gesetzmäßiges Kind, als jene siechen Sprößlinge vorgerückten Alters und verminderter Gesundheit. Ich sah sie, Adam, Winter zeigte mir die Kinderstube, während meine Eltern allen ihren Muth zusammen nahmen, um mich im Besuchszimmer zu empfangen. Dort lagen die Kinder der Vorliebe. Die Schätze des Ostens waren verschwendet, damit sie sanft schlafen und in Pracht erwachen könnten; ich, ihr ältester Bruder – der Erbe, ich stand neben ihrem Bette in dem geborgten Kleide, das ich vor Kurzem erst mit den Lumpen eines Hospitals vertauscht hatte; ihr Lager duftete von Wohlgerüchen, während ich von den Ausdünstungen eines Pesthauses dampfte; – und ich, ich wiederhole es, – der Erbe meiner Eltern – das Erzeugniß ihrer frühesten und besten Liebe wurde so behandelt. Kein Wunder, daß mein Blick der eines Basilisken war.«

»Ihr sprecht, als wäret Ihr von einem bösen Geiste besessen,« sagte Hartley, »oder Ihr leidet unter einer sonderbaren Täuschung.«

»Ihr haltet nur diejenigen für gesetzlich verheirathet, über welche ein schläfriger Pfarrer den Segen spricht, oder vielmehr aus einem Buche mit Eselsohren vorliest? So ist es vielleicht in Eurem englischen Recht, allein Schottland macht die Liebe selbst zum Priester. Ein Gelübde zwischen einem zärtlichen Paare, mit dem blauen Himmel allein als Zeugen, wird ein vertrauendes Mädchen gegen den Meineid eines leichtfertigen Anbeters ebenso beschützen, als hätte ein Dechant die Eheceremonie in der höchsten Kathedrale Englands vorgenommen. Noch mehr; wird das Kind der Liebe vom Vater bei der Taufe anerkannt – stellt er die Mutter achtbaren Fremden als sein Weib vor, so gestatten ihm die Gesetze Schottlands nicht die Zurücknahme der Gerechtigkeit, welche er in diesen Handlungen dem verführten Weibe oder dem Sprößling ihrer gegenseitigen Liebe erwiesen hat. Dieser General Tresham oder Witherington behandelte meine unglückliche Mutter als seine Frau, in Gegenwart Gray's und Anderer, miethete sie als solche in die Familie eines achtbaren Mannes ein und ertheilte ihr denselben Namen, den es ihm damals zu führen beliebte. Er überreichte mich dem Priester als seinen rechtmäßigen Sprößling, und das Gesetz Schottlands ist wohlwollend gegen ein hülfloses Kind, es gestattet ihm nicht, die Anerkennung mir jetzt zu verweigern, die er damals in aller Form aussprach. Ich kenne meine Rechte und bin entschlossen sie in Anspruch zu nehmen.«

»Ihr wollt also nicht an Bord des Midleser? Ueberlegt ein wenig – Ihr werdet Eure Reise und Eure Offiziersstelle verlieren.«

»Ich werde mir dafür mein Geburtsrecht verschaffen,« erwiderte Middlemas. »Als ich die Absicht hatte, nach Indien zu gehen, kannte ich meine Eltern nicht, und wußte auch nicht, wie ich die Rechte, die ich durch sie erlangte, mir verschaffen könne. Dieß Räthsel ist jetzt gelöst. Ich besitze wenigstens Ansprüche auf ein Drittel des Vermögens von Monçada, welches nach Winters Bericht sehr beträchtlich ist. Ohne Euch und Eure Behandlungsweise der Pocken würde ich das Ganze bekommen. Als der alte Gray sich beinahe im Eifer die Perrücke vom Kopfe riß, damit das Feuer ausgelöscht, die Fenster geöffnet und Branntwein mit Wasser fortgeschafft würde, dachte ich wenig daran, daß dieß neue System, die Pocken zu behandeln, mich um so viele 1000 Pfd. bringen würde.«

»Ihr seid also entschlossen,« sagte Hartley, »bei Eurer tollen Verfahrungsweise zu beharren?«

»Ich kenne meine Rechte, und bin entschlossen sie geltend zu machen,« erwiderte der hartnäckige Jüngling.

»Herr Richard Middlemas, Ihr thut mir leid.«

»Herr Adam Hartley, ich bitte Euch, mir zu sagen, weßhalb Ihr mich mit Eurem Mitleiden beehrt.«

»Ich bemitleide Euch,« sagte Hartley, sowohl wegen der Hartnäckigkeit Eurer Selbstsucht, womit Ihr an Reichthum nach dem Auftritt von gestern Abend noch denken könnt, wie auch wegen der eitlen Träumerei, die bei Euch den Glauben erweckt, daß Ihr denselben erlangen könnt.«

»Ich wäre selbstsüchtig?« rief Middlemas aus. »Ich bin im Gegentheil ein pflichtgetreuer Sohn, welcher das Andenken einer verläumdeten Mutter zu reinigen sucht – ich überließe mich Träumereien? – Nun, ich erwachte zu dieser Hoffnung, als des alten Monçada's Brief an Gray, welcher mich einer beständigen Dunkelheit weihte, mich zur Erkenntniß meiner Lage aufregte und die Träume meiner Kindheit zerstreute. Glaubt Ihr, ich würde mich jemals dem langweiligen Treiben gewidmet haben, welches ich mit Euch theilte, wenn ich nicht dadurch die einzige Spur dieser unnatürlichen Eltern im Auge behalten hätte, wodurch ich mir vornahm, mich ihrer Kenntniß aufzudrängen und im Nothfall die Rechte eines gesetzlichen Kindes zu erzwingen? Das Schweigen und der Tod Monçada's vereitelte meinen Plan, und erst damals söhnte ich mich mit dem Gedanken an Indien aus.«

»Als ich Euch zuerst kennen lernte, wart Ihr noch sehr jung, um so viel von schottischem Recht zu wissen,« sagte Hartley; »ich kann jedoch vermuthen, wer Euer Lehrer war.«

»Niemand anders, als Tom Hillary,« erwiderte Middlemas, »sein guter Rath in dieser Hinsicht ist ein Grund, weßhalb ich keine Klage erhebe, um ihn an den Galgen zu bringen.«

»Das habe ich mir gedacht,« erwiderte Hartley, »ich hörte nämlich, bevor ich Middlemas verließ, wie er die Sache mit Herrn Lawford besprach. Ich erinnere mich vollkommen, daß er das Gesetz so darlegte, wie ich es so eben von Euch gehört habe.«

»Und was erwiderte Lawford?« fragte Middlemas.

»Er gestand ein,« antwortete Hartley, »daß solche Voraussetzungen rechtlicher Geburt als rechtsgültig unter Umständen zugestanden werden könnten, in welchen ein zweifelhafter Fall vorliege; er fügte jedoch hinzu, dieselben müßten durch bestimmtes und genaues Zeugniß kraftlos werden, z. B. wenn die Mutter die Unrechtmäßigkeit ihres Kindes erkläre.«

»Allein dergleichen kann in meinem Fall nicht vorhanden sein,« fiel Middlemas hastig und mit offenbarer Bestürzung ein.

»Ich will Euch nicht täuschen, Herr Middlemas, obgleich ich besorgen muß, Euch Kummer zu verursachen; ich hatte gestern eine lange Unterredung mit Eurer Mutter, Frau Witherington, worin sie Euch als ihren Sohn anerkannte, welcher jedoch vor der Ehe geboren sei. Diese ausdrückliche Erklärung wird deßhalb alle Voraussetzungen beendigen, worauf Ihr Eure Hoffnungen baut. Wenn es Euch beliebt, könnt Ihr den Inhalt ihrer Erklärung vernehmen, die ich in ihrer eigenen Handschrift besitze.«

»Verflucht! Soll mir der Becher immer von den Lippen weggerissen werden?« murmelte Richard; er erlangte jedoch durch die Selbstbeherrschung, welche er in hohem Grade besaß, sogleich seine Fassung wieder und bat Hartley in seiner Mittheilung fortzufahren. Hartley setzte ihn somit von den Umständen, welche seiner Geburt vorangingen, und denjenigen, welche darauf folgten, in Kenntniß, während Middlemas auf einer Schiffskiste sitzend, mit unnachahmlicher Fassung einer Erzählung zuhörte, welche alle blühenden Hoffnungen auf Reichthum, mit denen er sich kürzlich so gern geschmeichelt hatte, mit der Wurzel ausriß.

Zilia Monçada war das einzige Kind eines sehr reichen portugiesischen Juden, welcher sich in London seines Handels wegen niedergelassen hatte. Unter den wenigen Christen, welche sein Haus und gelegentlich seine Tafel besuchten, befand sich Richard Tresham, ein Herr aus einer hohen Northumbrischen Familie, welcher im Dienste von Carl Eduard an dem kurzen, von demselben erregten Bürgerkriege bedeutenden Antheil genommen hatte; er besaß damals eine Offiziersstelle im portugiesischen Heere, war aber noch immer ein Gegenstand des Argwohns für die brittische Regierung wegen feines wohlbekannten Muthes und seiner jacobitischen Grundsätze. Das angenehme Aeußere dieses Herrn nebst der Zierlichkeit der höheren Stände, so wie seine vollständige Kenntniß der Sprache und der Sitten Portugals hatte die genaue Freundschaft des alten Monçada und auch das Herz der unerfahrenen Zilia gewonnen, welche schön wie ein Engel die Welt und deren Bosheit eben so wenig kannte, wie ein junges Lamm.

Tresham ersuchte Monçada um die Hand seiner Tochter, vielleicht in einer Weise, welche zu offen zeigte, er hege die Meinung, daß der hochgeborene Christ sich durch sein Gesuch um die Hand der reichen Jüdin entwürdige. Monçada verweigerte seine Einwilligung zur Verbindung und verbot jenem sein Haus, konnte aber nicht verhindern, daß die Liebenden sich im Geheimen sahen.

Tresham machte einen unehrenwerthen Gebrauch von den Gelegenheiten, welche ihm die arme Zilia unvorsichtig darbot, und die Folge war deren Verführung. Der Liebhaber jedoch hegte jede Absicht, sein Unrecht wieder auszugleichen, und zuletzt wurde eine Flucht nach Schottland beschlossen, nachdem verschiedene Plane einer geheimen Ehe durch die Verschiedenheit der Religion und andere Umstände vereitelt waren. Die Schnelligkeit der Reise, die Furcht und Angst der Zilia bewirkten deren Entbindung mehrere Wochen vor der gewöhnlichen Zeit, so daß sie den Beistand und die Pflege des Doctor Gray in Anspruch nehmen mußte. Sie waren kaum wenige Stunden in Middlemas gewesen, als Tresham durch einen scharfblickenden und scharfhörenden Freund die Nachricht erhielt, es sei ein Verhaftsbefehl wegen Hochverraths gegen ihn ausgestellt. Sein Briefwechsel mit Carl Eduard war Monçada während der Zeit ihrer Freundschaft bekannt geworden; aus Rache verriet er denselben der brittischen Regierung, und ein Verhaftsbefehl wurde ausgestellt, welcher zugleich auf Monçada's Gesuch den Namen seiner Tochter enthielt. Er glaubte nämlich, daß dieser Verhaftsbefehl ihm von Nutzen sein werde, um seine Tochter von Tresham zu trennen, im Fall die Flüchtlinge wirklich verheirathet sein sollten. Wie weit ihm dieß gelang, ist dem Leser schon bekannt, ebenso wie die Vorsichtsmaßregeln, die er traf, damit man von dem Dasein des lebendigen Zeugnisses der Schwäche seines Kindes nichts erfahre. Er nahm seine Tochter mit sich und unterwarf sie einer strengen Eingezogenheit, welche durch ihr eigenes Nachdenken doppelt bitter wurde. Seine Rache würde vollständig gewesen sein, wäre der Urheber von Zilia's Unglück wegen seiner politischen Vergehen auf's Schafott gekommen, allein Tresham versteckte sich bei Freunden in den Hochlanden und entging der Verfolgung, bis die Sache vergessen war. Nachher trat er in den Dienst der ostindischen Kompagnie unter seinem mütterlichen Namen Witherington, welcher den Jacobiten und Rebellen verbarg, bis man an diese Angelegenheit nicht länger dachte. Seine Geschicklichkeit in Militär-Angelegenheiten erhob ihn bald auf eine hohe Stelle und verschaffte ihm bedeutenden Reichthum. Als er nach Großbritannien zurückkehrte, betrafen seine ersten Erkundigungen die Familie Monçada. Sein Ruhm, sein Reichthum und die endliche Ueberzeugung, daß seine Tochter Niemanden wie den Mann ihrer ersten Liebe heirathen würde, bewogen den alten Mann, dem General Witherington die Ermuthigung zu ertheilen, die er dem armen und geächteten Major Tresham stets verweigert hatte. Die Liebenden wurden endlich nach einer Trennung von 14 Jahren durch die Ehe vereinigt.

General Witherington vereinigte sich bereitwillig mit dem ernsten Wunsche seines Schwiegervaters, daß jede Erinnerung vergangener Ereignisse begraben werden solle, indem der Sohn ihrer frühen und unglücklichen Liebe passend versorgt würde, aber in Entfernung und in niedriger Lage bleiben müsse. Zilia aber dachte anders. Ihr Herz strebte mit der Sehnsucht einer Mutter nach dem ersten Gegenstand ihrer mütterlichen Zärtlichkeit, sie wagte jedoch nicht, sich zugleich dem Willen ihres Vaters und der Entscheidung ihres Gemahls zu widersetzen. Der Erstere, dessen religiöse Vorurtheile durch seinen langen Aufenthalt in England gemildert waren, gab seine Einwilligung, daß sie die Religion ihres Gatten in der herrschenden Kirche ihres Vaterlandes annahm; der Letztere setzte seinen Stolz darein, die schöne Neubekehrte bei seinen hochgeborenen Verwandten einzuführen. Die Entdeckung ihrer früheren Schwachheit wäre ein Schlag für ihre Achtbarkeit gewesen, ein Umstand, den er wie den Tod fürchtete. Auch konnte es seiner Frau nicht lange verborgen bleiben, daß seine Vernunft in Folge einer schweren in Indien erlittenen Krankheit gelegentlich bei Veranlassungen erschüttert wurde, welche seine Gefühle heftig aufregten. Sie hatte deßhalb geduldig und schweigend sich der Verfahrungsweise gefügt, welche von Monçada entworfen und von ihrem Gemahle ängstlich und warm gebilligt wurde. Ihre Gedanken jedoch kehrten sogar, nachdem ihre Ehe mit andern Kindern gesegnet war, bekümmert zu dem verbannten und verstoßenen Sohne zurück, welchen sie zuerst unter ihrem Herzen getragen hatte. Alle diese lange Zeit zurückgehaltenen und mit Wärme gepflegten Gefühle brachen in vollem Strome bei der unerwarteten Entdeckung ihres Sohnes hervor, als derselbe von dem Loose äußersten Elends errettet und unter so unheilvollen Umständen der Einbildungskraft seiner Mutter vorgeführt wurde.

Vergeblich versicherte ihr Gemahl, er werde für die Wohlfahrt des jungen Mannes mit seiner Börse und seinem Einfluß sorgen. Sie konnte nicht eher zufrieden gestellt werden, als bis sie etwas gethan haben würde, um das Loos der Verbannung zu mildern, zu welcher ihr Erstgeborener verurtheilt war. Sie war dazu um so eifriger entschlossen, da sie die äußerste Zartheit ihrer Gesundheit empfand, welche durch so viele Jahre geheimen Leidens untergraben war.

Frau Witherington wurde natürlich bewogen, die Dienste Hartley's, des Gefährten ihres Sohnes, in Anspruch zu nehmen, den sie ohnedem nach der Wiederherstellung ihrer jüngeren Kinder als einen Schutzengel betrachtete. Sie übergab ihm die Summe von 2000 Pfd., worüber sie als unbedingtes Eigenthum verfügen konnte, mit dem in den zärtlichsten und liebreichsten Worten ausgesprochenen Gesuche, er möge dieselbe zum Nutzen des Richard Middlemas in derjenigen Weise anwenden, von welcher er glaube, daß sie für ihn am nützlichsten sein werde. Sie gab ihm die Versicherung ihrer weiteren Unterstützung, je nachdem dieselbe erforderlich sein sollte; sie gab ihm ferner ein Schreiben folgenden Inhalts, welches ihrem Sohne zu überreichen sei, wenn und wo die Klugheit Hartley's es für angemessen halten sollte, ihm das Geheimniß seiner Geburt mitzutheilen.

 

»O Benoni, o Kind meines Kummers! Warum müssen die Augen deiner unglücklichen Mutter dich erblicken dürfen, während ihren Armen das Recht verweigert wurde, dich an ihren Busen zu drücken? Möge der Gott der Juden und Heiden dich bewahren und beschützen! Möge er zu seiner Zeit die Dunkelheit entfernen, welche zwischen mir und dem Geliebten meines Herzens sich ausdehnt – der ersten Frucht meiner unglücklichen und ach, unheiligen Liebe! Halte dich nicht, mein Geliebter, für einen einsamen Verbannten, wenn deiner Mutter Gebet sich für dich bei Sonnenaufgang und Untergang erhebt, um jeden Segen aus dein Haupt herabzurufen, um für deinen Schutz und deine Vertheidigung zu flehen – Suche nicht, mich zu erblicken, – ach – weßhalb muß ich dieses niederschreiben! – Lasse mich in den Staub niederbeugen, denn meine eigene Sünde und Thorheit muß ich anklagen – suche nicht mich zu sehen, oder mit mir zu reden – es könnte der Tod von uns Beiden sein. Vertraue deine Gedanken dem ausgezeichneten Hartley, welcher der Schutzengel von uns Allen war, so wie ein jeder der Stämme Israels einen Schutzengel besaß. Was du wünschen wirst, und zu was er deinetwegen rathen wird, soll geschehen, wenn es in der Macht einer Mutter liegt – und die Liebe einer Mutter! kann das Meer sie begrenzen, oder können Wüsten und Entfernungen ihre Grenzen messen? O, Kind meines Kummers! O Benoni, dein Geist sei bei dem meinigen, wie der meinige bei dem deinigen weilt.

Z. M.«

 

Nachdem alle diese Anordnungen getroffen waren, erlangte die unglückliche Dame von ihrem Gemahle die Erlaubniß, ihren Sohn bei dessen Abschiedsbesuche zu sehen, welcher auf so verhängnißvolle Weise endigte. Hartley entledigte sich deßhalb ihres Auftrags, den er als ihr Vertrauter erhalten hatte, als der Vollstrecker ihres letzten Willens.

»Sicherlich,« dachte er, als er nach Beendigung seiner Mittheilung im Begriff stand, das Zimmer zu verlassen, »sicherlich werden die Teufel des Ehrgeizes und der Habsucht ihre Klauen bei einem Zauber wie diesem hier von jenem Manne zurückziehen, den sie bis jetzt als ihre Beute festgehalten haben.«

Wirklich hätte Richards Herz von Stein sein müssen, wäre er nicht durch dieses erste und letzte Zeugniß der Liebe seiner Mutter gerührt worden. Er lehnte seinen Kopf auf den Tisch und seine Thränen stoßen reichlich. Hartley ließ ihn länger als eine Stunde ungestört, und fand ihn bei seiner Wiederkehr beinahe in derselben Stellung, worin er ihn verlassen hatte.

»Ich bedaure, Euch in diesem Augenblick stören zu müssen,« sagte er, »allein ich muß mich noch eines Theils meiner Pflicht entledigen. Ich muß Euch die Summe überreichen, die Eure Mutter mir einhändigte; ich muß Euch auch daran erinnern, daß die Zeit schnell entflieht, und daß Euch kaum eine oder zwei Stunden zur Entscheidung des Entschlusses übrig sind, ob Ihr Eure indische Reise unter der neuen Aussicht der Umstände antreten wollet, die ich für Euch eröffnet habe.«

Middlemas nahm die Banknoten, welche seine Mutter ihm hinterlassen hatte. Als er jedoch den Kopf erhob, konnte Hartley bemerken, daß sein Antlitz von Thränen benetzt war. Er zählte jedoch das Geld mit kaufmännischer Genauigkeit, und obgleich er die Feder, um den Empfangschein zu schreiben, mit dem Ausdruck untröstlicher Niedergeschlagenheit ergriff, verfaßte er dennoch denselben in gut gewählten Ausdrücken, wie ein Mann, der all sein Geistesvermögen vollkommen zur Verfügung hat.

»Und jetzt,« sagte er mit betrübter Stimme, »gebt mir meiner Mutter Erzählung.«

Hartley fuhr beinahe auf und erwiderte schnell: »Ihr habt den Brief der armen Dame, der an Euch gerichtet war, erhalten – die Erzählung ist für mich bestimmt. Sie ist für mich ein Zeugniß, daß mir die Verfügung über eine große Geldsumme anheim gegeben ist; sie betrifft die Rechte dritter Parteien und ich darf sie nicht ausliefern.«

»Sicherlich wäre es besser sie mir zu überliefern, wäre es nur darüber zu weinen,« erwiderte Middlemas. »Mein Schicksal, Hartley, ist sehr grausam gewesen; Ihr seht, daß meine Eltern mich zu ihrem unzweifelhaften Erben einsetzen wollten, allein ihre Absicht wurde durch Zufall vereitelt, und jetzt kömmt meine Mutter mit gut gemeinter Zärtlichkeit und gibt, während sie mein Glück zu befördern wähnt, ein Zeugniß, um dasselbe zu zerstören – kommt Hartley – Ihr müßt das Bewußtsein hegen, daß meine Mutter diese Einzelnheiten nur deßhalb niederschrieb, damit ich davon in Kenntniß gesetzt würde; ich bin der rechtmäßige Besitzer der Papiere und bestehe darauf, dieselben zu erhalten.«

»Es thut mir leid, daß ich darauf bestehen muß, Euer Gesuch Euch abzuschlagen,« erwiderte Hartley, indem er die Papiere in seine Tasche steckte. »Ihr müßt bedenken, daß diese Mittheilungen, wenn sie auch die eitlen und grundlosen Hoffnungen zerstörten, denen Ihr Euch hingegeben habt, dennoch zu derselben Zeit Euer Kapital mehr wie verdreifacht haben; daß ferner viele Millionen nicht halb so viel Wohlstand besitzen als Ihr, wenn auch einige Hunderte oder Tausende in der Welt reicher sind. Setzt also Eurem Unstern einen tapferen Muth entgegen und zweifelt nicht an Eurem Erfolg im Leben.«

Seine Worte schienen tief in die finstere Seele von Middlemas einzudringen; er schwieg einen Augenblick und antwortete dann gleichsam widerstrebend mit schmeichelnder Stimme.

»Mein theurer Hartley, wir sind lange Gefährten gewesen, Ihr könnt weder Vergnügen daran empfinden, meine Hoffnungen zu Grunde zu richten, noch ein Interesse dabei haben; Ihr könnt im Gegentheil Beides in deren Beförderung finden. Monçada's Vermögen wird mich in Stand setzen, 5000 Pfd. dem Freunde zu übermachen, welcher mir in meinen Verlegenheiten dienen wird.«

»Guten Morgen, Herr Middlemas,« sagte Hartley indem er sich anschickte fortzugehen.

»Nur noch einen Augenblick,« sagte Middlemas, indem er seinen Freund am Rockknopfe zurückhielt, »ich wollte 10,000 sagen, und – und – heirathet wen Ihr wollt – ich will Euch nicht im Wege stehen.«

»Ihr seid ein Schurke,« sagte Hartley, indem er sich von ihm losriß; »ich habe Euch immer dafür gehalten.«

»Und Ihr,« erwiderte Middlemas, »seid ein Narr, ich habe Euch nie für etwas Besseres gehalten. Fort geht er – mag er sich packen, mein Trumpf ist ausgespielt und das Spiel verloren. Ich muß jetzt meinen neuen Einsatz verstecken; Indien muß das Spiel sein, das ich im Rückhalt habe.«

Alles war für seine Abreise bereit, ein kleines Schiff und ein günstiger Wind brachte ihn und andere militärische Herren nach den Downs, wo der Ostindienfahrer, welcher zu ihrer Ueberfahrt dienen sollte, für ihre Aufnahme bereit lag.

Seine ersten Gefühle waren ziemlich trostlos; von Kindheit jedoch daran gewöhnt, seine inneren Gedanken zu verbergen, wurde er im Laufe einer Woche der munterste und wohlerzogenste Passagier, welcher jemals die lange und ermüdende Reise zwischen Altengland und den indischen Besitzungen desselben wagte. In Madras, wo die Geselligkeit der dort ansässigen Einwohner in Begeisterung überzugehen pflegt, sobald ein Fremder von angenehmen Eigenschaften dort erscheint, erfuhr er die herzliche Gastfreundschaft, welche für den brittischen Charakter im Osten charakteristisch ist.

Middlemas wurde in der Gesellschaft gut aufgenommen und befand sich im besten Zuge, um bei jeder Gasterei des Ortes ein unentbehrlicher Theilnehmer zu werden, als das Schiff in derselben Kolonie ankam, auf welchem Hartley die Stelle eines Unterarztes einnahm. Der Letztere würde wegen seines Amtes keinen Anspruch auf viele Höflichkeit und Aufmerksamkeit gehabt haben, allein dieser Nachtheil wurde dadurch ausgeglichen, daß er die gewichtigsten Empfehlungsbriefe des General Witherington und anderer Personen von Einfluß in Leaderhall Street, an die Freunde des Generals, an die vornehmsten Einwohner der Kolonie besaß. Er mußte sich deßhalb wiederum in denselben Kreisen wie Middlemas bewegen, und hatte die Wahl entweder in seinen Berührungen mit ihm äußere Höflichkeit und Zurückhaltung zu zeigen oder gänzlich mit ihm zu brechen.

Das erstere Verfahren wäre vielleicht das Klügste gewesen, das andere war aber dem derben und einfachen Charakter Hartley's angemessener, welcher es weder für zweckmäßig, noch behaglich hielt, einen Anschein freundlichen Verkehrs zu bewahren, um Haß, Verachtung und gegenseitigen Widerwillen zu verbergen.

Der gesellschaftliche Umgang in Fort St. George war damals auf engere Kreise als später beschränkt; die Kälte der jungen Leute gegen einander wurde deßhalb bald bemerkt. Es wurde ruchbar, daß sie einst innige Freunde und Gefährten in ihren Studien gewesen waren; dennoch bemerkte man, daß sie nicht gern Einladungen zu denselben Gesellschaften annahmen. Das Gerücht bezeichnete verschiedene und unverträgliche Gründe für diese Art tödtlicher Feindschaft, worüber Hartley sich nichts bekümmerte, während Lieutenant Middlemas Sorge trug, zu Verbreitung desjenigen Geredes aufzumuntern, welches die Ursache des Streites am günstigsten für ihn darstellte.

»Ein wenig Nebenbuhlerschaft hat einmal stattgefunden,« sagte er, wenn ihn ein Herr um eine Erklärung befragte. Ich habe nur das Glück gehabt, in der guten Meinung einer schönen Dame größere Fortschritte zu machen, als mein Freund Hartley, welcher einen Zank daraus machte, wie man dieß hier noch sieht. Ich halte es für sehr albern, daß er mir dieß bei einer solchen Entfernung der Zeit und des Raumes jetzt noch nachträgt; es thut mir sehr leid, jedoch mehr, weil die Sache einen sonderbaren Anschein erhält, als wegen irgend eines anderen Grundes; mein Freund besitzt jedoch wirklich einige gute Eigenschaften.«

Während dies Geflüster seine Wirkung in der Gesellschaft hatte, entstand daraus kein Hinderniß, daß Hartley nicht die schmeichelhaftesten Versicherungen der Ermuthigung und amtlicher Beförderung von der Regierung in Madras erhielt, sobald eine Gelegenheit sich darbieten sollte. Bald nachher bekam er die Nachricht, daß ein ärztliches Amt sehr gewinnreicher Art ihm in einer entfernten Niederlassung übertragen sei, wodurch er auf einige Zeit von Madras und der Nähe dieser Stadt entfernt wurde.

Hartley segelte somit nach seinem entfernten Bestimmungsorte ab; man bemerkte hierauf, daß der Charakter von Middlemas nach seiner Abreise sich in unangenehmen Farben zu zeigen begann, als sei das Hemmniß entfernt worden, welches bis dahin denselben Einhalt that. Man bemerkte, daß dieser junge Mann, dessen Sitten während der ersten Monate seiner Ankunft in Indien so höflich gewesen waren, einen hochmüthigen und herrschsüchtigen Geist äußerte. Er hatte aus Gründen, welche der Leser vermuthen kann, die jedoch im Fort St. George als bloße alberne Launen erschienen, den Namen Tresham zu demjenigen hinzugefügt, unter welchem er bisher bekannt war; hierauf bestand er mit einer Störrigkeit, welche mehr dem Stolze, als der List seines Charakters angehörte. Der Oberstlieutenant des Regiments, ein alter mürrischer Pedant im Dienste, hatte keine Lust, der Laune des Kapitäns (denn dieß war jetzt der Rang von Middlemas), irgendwie nachzugeben.

»Ich kenne,« sagte er, »einen Offizier nur bei dem Namen, welcher in seinem Patente angegeben ist;« er redete deßhalb den Kapitän bei jeder Gelegenheit mit Middlemas an.

An einem verhängnißvollen Abend wurde der Kapitän so ärgerlich, daß er die bestimmte Aeußerung that, er kenne am besten seinen eigenen Namen.

»Nun, Kapitän Middlemas,« erwiderte der Oberst, »nicht jedes Kind kennt seinen eigenen Vater; wie kann deßhalb Jemand seinen eigenen Namen kennen?«

Der Bogen war auf Gerathewohl gespannt worden, allein der Pfeil fand einen Spalt in der Rüstung und drang tief ein. Ungeachtet aller versuchten Vermittlung bestand Middlemas darauf, den Oberst zum Duell zu fordern, der sich ebenfalls nicht zu einer Entschuldigung überreden ließ.

»Wenn Kapitän Middlemas,« sagte er, »der Meinung ist, daß ihm die Mütze paßt, so ist er mir willkommen, wenn er sie tragen will.«

Die Folge war ein Duell. Nachdem die Schüsse gewechselt waren, boten die Sekundanten ihre Vermittlung an. Middlemas wies dieselbe zurück und hatte beim zweiten Feuer das Unglück, seinen commandirenden Offizier zu erschießen. In Folge dessen mußte er aus den brittischen Niederlassungen fliehen; weil man ihn nämlich allgemein darüber tadelte, daß er den Streit bis zum Aeußersten getrieben habe, so herrschte kein Zweifel, daß alle Strenge der militärischen Disciplin den Verbrecher treffen würde. Middlemas verschwand deßhalb aus dem Fort St. George; Anfangs zwar machte die Sache viel Lärm, bald aber wurde nicht länger von ihm gesprochen. Man glaubte im Allgemeinen, er suche das Glück, welches er in den brittischen Niederlassungen nicht länger hoffen könne, am Hofe eines eingebornen Fürsten.



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