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Drittes Kapitel.

Seit Dick als Arzt begonnen hat,
Pries sehr ihn die Kritik,
Doch Thomas galt der ganzen Stadt
Als weis' in Politik.

Tom und Dick.

Zur selben Zeit als Doctor Gray die ärztliche Erziehung seines jungen Pflegekindes Richard Middlemas übernahm, erhielt er Vorschläge von einem gewissen Adam Hartley, um denselben ebenfalls als Lehrling anzunehmen.

Der junge Mann war der Sohn eines achtbaren Pächters von der englischen Seite der Grenze her, welcher seinen ältesten Sohn für sein eigenes Geschäft erzogen hatte, und aus dem zweiten einen Arzt zu machen wünschte, um die Freundschaft eines vornehmen Mannes, seines Gutsherrn, zu benutzen, welcher ihm angeboten hatte, die Laufbahn seines Sohnes zu unterstützen, und ihm vorstellte, daß sein Einfluß am leichtesten auf die Beförderung eines Arztes oder Wundarztes verwandt werden könne. Middlemas und Hartley wurden deßhalb in ihren Studien zu einander gesellt. Während des Winters wurden sie nach Edinburg in Kost gegeben, um dort die medizinischen Vorlesungen zu hören, welche für die Erwerbung gelehrter Grade erforderlich waren. Drei oder vier Jahre vergingen auf diese Weise; die zwei Studenten der Medizin wurden aus bloßen Knaben zu jungen Leuten, welche beide von sehr vortheilhaftem Aeußeren, gut gekleidet und wohl erzogen, so wie auch mit Geld versehen, als Personen einiger Wichtigkeit in dem Flecken Middlemas galten, wo es kaum Bewohner gab, die sich als Aristokratie bezeichnen ließen, wo ferner junge Herren sich nur sparsam und junge Mädchen im Ueberfluß vorfanden.

Jeder von den beiden hatte seine besonderen Anhänger; obgleich nämlich die beiden jungen Leute selbst in ziemlicher Einigkeit mit einander lebten, so konnte dennoch Niemand, wie es in solchen Fällen gewöhnlich ist, Einen derselben loben, ohne ihn zugleich mit seinem Gefährten zu vergleichen, und seine Ueberlegenheit über Letzteren zu behaupten.

Beide waren munter, liebten den Tanz, und besuchten eifrig die Kunstübungen Herrn Mac Fittochs, wie derselbe sie nannte, d. h. den Unterricht eines Tanzmeisters, welcher im Sommer auf dem Lande umherzog, im Winter seinen festen Wohnsitz in Middlemas aufschlug und der dortigen Jugend die Wohlthaten seines Unterrichts zum Preise von 5 Schill. Sterling für 20 Stunden gewährte. Bei diesen Gelegenheiten erhielt jeder von Doctor Gray's Zöglingen sein besonderes Lob. Hartley tanzte mit der größten Munterkeit, Middlemas mit größerer Anmuth. Herr Mac Fittoch pflegte Richard die Hauptrolle im Menuet spielen zu lassen, und wettete alles, was ihm in dieser Welt am theuersten war (dieß war seine Fiedel), auf seine unbestreitbare Ueberlegenheit; er gestand jedoch ein, daß Hartley ihm im Walzer und ähnlichen Tänzen überlegen sei.

In der Kleidung war Hartley am meisten verschwenderisch, vielleicht weil sein Vater ihn dazu mehr mit Geldmitteln versah; sein Anzug war aber weder als neu so geschmackvoll, noch als alt so gut erhalten, als derjenige von Richard Middlemas.

Adam Hartley war mitunter fein im Benehmen, mitunter aber auch etwas unbeholfen, und bei ersterer Gelegenheit sah man ihm das Bewußtsein seines Glanzes zu sehr an. Sein Gefährte war zu jeder Zeit reinlich und wohl gekleidet; er zeigte zugleich einen Ausdruck der guten Erziehung, wodurch er stets in Behaglichkeit zu sein schien; seine Kleidung, von welcher Art sie auch sein mochte, schien stets gerade diejenige zu sein, die er im Augenblick anlegen mußte.

In ihrer Gestalt fand sich ein noch stärker ausgesprochener Unterschied. Adam Hartley war von mittlerer Größe, derb und mit starken Gliedern versehen. Ein offenes englisches Gesicht vom ächten angelsächsischen Gepräge zeigte sich unter kastanienbraunen Locken, bis der Haarkräusler dieselben zerstörte; er trieb gern die starken Körperübungen des Ringens, Boxens, Springens und Stockfechtens, und besuchte, wenn er Zeit hatte, die Stierhetzen und Kolbenspiele, welche den Flecken bisweilen belebten.

Richard im Gegentheil hatte schwarzes Haar, wie sein Vater und seine Mutter, so wie stolze, schön gebildete Gesichtszüge, die aber einen etwas fremden Charakter zeigten; seine Gestalt war groß und schlank, obgleich muskelkräftig und thätig; sein Benehmen mußte ihm angeboren sein, denn an Zierlichkeit und Leichtigkeit übertraf er bei Weitem Alles, was er in seinem Geburtsort hätte finden können. Er erlernte in Edinburg das Fechten mit Rappieren und nahm Unterricht bei einem Schauspieler des dortigen Theaters, um seine Redeweise zu verfeinern. Er wurde auch ein Liebhaber des Drama's, besuchte regelmäßig das Schauspielhaus und nahm den Ton eines Kritikers in diesem Zweige der Literatur so wie in einigen anderen leichterer Art an. Um den Contrast, was den Geschmack betrifft, noch weiter auszuführen, so war Richard ein gewandter und glücklicher Angler, Adam ein kühner und niemals fehlender Schütze. Ihre Bemühungen, einander zu übertreffen, um Herrn Gray's Tisch mit Vorräthen zu versehen, versorgten dessen Haushaltung weit reichlicher, als es jemals früher der Fall gewesen war; außerdem sind kleine Geschenke von Fisch und Wild den Einwohnern eines Landstädtchens stets angenehm, und tragen dazu bei, die Beliebtheit der jungen Jäger zu steigern.

Während die Einwohner des Fleckens in Ermanglung eines besseren Stoffes zum Disputiren über den Vergleich der Verdienste der beiden Lehrlinge des Doctor Gray zwei Parteien bildeten, beriefen sie sich bisweilen auf dessen Urtheil. Hierin jedoch war der Doctor eben so vorsichtig wie bei andern Gelegenheiten; er sagte, die beiden jungen Leute seien gute Burschen und würden nützliche Männer in ihrem Berufe werden, wenn ihre Köpfe nicht durch die Aufmerksamkeit, welche die albernen Leute des Fleckens ihnen erwiesen, und die vielen Vergnügungen verdreht würden, welche sie ihrem Geschäfte entzögen. Ohne Zweifel war es für ihn natürlich, mehr Vertrauen in Hartley zu setzen, der von bekannten Leuten abstammte und beinahe als Schotte gelten konnte. Wenn er jedoch solche Parteilichkeit fühlte, so tadelte er deßhalb sich selbst, weil das fremdere Kind, welches auf so sonderbare Weise ihm aufgebürdet war, ein besonderes gutes Recht auf die Obhut und Liebe besaß, die er ihm zuwenden konnte; auch schien der junge Mann selbst so dankbar, daß er nur den geringsten Wunsch anzudeuten brauchte, worauf Richard Middlemas denselben sogleich auszuführen sich beeilte.

Es gab Personen im Flecken Middlemas, welche unbedacht genug zu der Vermuthung waren, daß Menie ein besserer Richter als irgend ein anderer über die verhältnißmäßigen Verdienste dieser ausgezeichneten Personen sein könne, hinsichtlich deren die öffentliche Meinung im Allgemeinen getheilt war. Niemand, selbst ihre vertrautesten Freundinnen wagten jemals in bestimmten Ausdrücken die Frage an sie zu richten; ihr Betragen jedoch wurde genau überwacht und die Kritiker beobachteten, daß ihre Aufmerksamkeiten dem Adam Hartley offener und freier erwiesen wurden. Sie lachte, schwatzte und tanzte mit ihm, während ihr Betragen gegen Richard Middlemas scheuer und zurückhaltender war. Die Beobachtungen hierüber waren unzweifelhaft, das Publikum war jedoch über die daraus zu ziehenden Schlüsse getheilt.

Es war unmöglich, daß die jungen Leute, über welche in dieser Weise verhandelt wurde, Letzteres nicht hätten merken sollen. Da sie von der kleinen Gesellschaft, worin sie sich bewegten, gegen einander in Gegensatz gestellt wurden, hätten sie von etwas besserem Schlage als gewöhnlich werden müssen, wenn sie auch nicht allmälig durch eigenen Antrieb in den Geist des Wetteifers gelangt wären, und sich als Nebenbuhler für öffentlichen Beifall betrachtet hätten.

Auch ist nicht zu vergessen, daß Menie Gray zu einem der schönsten jungen Mädchen nicht allein von Middlemas, sondern von der ganzen Grafschaft herangewachsen war, worin dieser kleine Flecken gelegen ist. Dieß war wirklich durch Zeugnisse erwiesen, welche nicht weniger als entscheidend gelten mußten. Zur Zeit des Wettrennens sammelte sich gewöhnlich in dem Flecken eine Gesellschaft aus den höheren Ständen des umliegenden Landes, und viele nüchterne Bürger erhöhten dann ihr Einkommen durch Zimmervermiethen oder durch Annahme von Kostgängern höheren Standes für diese geschäftige Woche. Alle ländlichen Edelherren und Edeldamen fanden sich bei diesen Gelegenheiten ein; die Zahl der aufgestülpten Hüte und der seidenen Rockschleppen war dann so groß, daß der kleine Flecken seine Einwohner gänzlich gewechselt zu haben schien. Bei dieser Gelegenheit wurde es nur Personen von gewissem Stande gestattet, an den nächtlichen Bällen im alten Stadthause Antheil zu nehmen, und die Unterscheidungslinie schloß Herrn Gray's Familie aus.

Die Aristokratie jedoch gebrauchte ihre Privilegien mit einigem Gefühl der Rücksicht auf die einheimischen Stutzer und die Schönen des Fleckens, welche so verurtheilt waren, die Fideln in der Nacht zu hören, ohne daß es ihnen gestattet wurde, danach zu tanzen. Ein Abend in der Woche der Wettrennen, der Jägerball genannt, wurde dem allgemeinen Vergnügen geweiht und von den gewöhnlichen Einschränkungen der Etiquette befreit. Bei dieser Gelegenheit wurden alle achtbaren Familien in dem Städtchen eingeladen, an den Vergnügungen des Abends Antheil zu nehmen und den Putz vornehmerer Leute zu bewundern, so wie für deren Herablassung sich dankbar zu zeigen. Dieß war besonders hinsichtlich der Frauen der Fall, denn die Zahl der Einladungen an die Herren der Stadt war weit beschränkter. Bei dieser allgemeinen Musterung hatte die Schönheit des Antlitzes und der Gestalt die Miß Gray nach der Meinung aller urtheilsfähigen Richter unbedingt an die Spitze aller gegenwärtigen Schönen mit Ausnahme solcher gestellt, mit denen sie zu vergleichen nach den Vorstellungen des Ortes kaum schicklich gewesen wäre.

Der Gutsherr des alten und ausgezeichneten Hauses von Louponheight trug kein Bedenken, ihre Hand für den größeren Theil des Abends in Beschlag zu nehmen, und dessen Mutter, die wegen ihres gestrengen Festhaltens an den Unterschieden des Ranges berühmt war, setzte die kleine Plebejerin neben sich beim Abendessen hin und äußerte sogar, daß die Tochter des Wundarztes sich sehr gut benehme, und vollkommen zu begreifen scheine, wo und wer sie sei. Was den jungen Herrn selbst betraf, so machte derselbe so hohe Sprünge, und lachte in so gewaltiger Weise, daß er ein Gerücht veranlaßte, er wolle aus der Art schlagen und des Doctors Tochter in eine Dame seines alten Namens verwandeln.

Während dieses merkwürdigen Abends betrachteten Middlemas und Hartley, welche in die Musikgallerie Zutritt gefunden hatten, den Auftritt, wie es aber schien, mit sehr verschiedenen Gefühlen. Hartley war offenbar ärgerlich über das Uebermaß der Aufmerksamkeit, welches der galante junge Herr von Louponheight durch den Einfluß zweier Flaschen Rothwein und die Gegenwart einer ausgezeichneten Tänzerin aufgereizt, der Miß Menie Gray erwies. Er sah von seinem hohen Standpunkt aus, jene stumme Darlegung der Galanterie mit dem behaglichen Gefühle eines hungernden Geschöpfes, welches ein Gastmahl betrachtet, an welchem die Theilnahme ihm untersagt ist; er betrachtete jeden außerordentlichen Sprung des muntern jungen Herrn in der Weise wie eine gichtbrüchige Person zugesehen haben würde, welche Besorgniß empfunden hätte, so oft der vornehme junge Stutzer sich auf seine Zehen herabsenkte. Zuletzt verließ er die Gallerie, unfähig seine Regung zu bemeistern, und kehrte nicht wieder zurück.

Sehr verschieden war das Benehmen von Middlemas. Er schien durch die Aufmerksamkeit, welche der Miß Gray allgemein erwiesen wurde, und durch die von ihr erregte Bewunderung sehr befriedigt und erhoben. Auf den hüpfenden jungen Herrn blickte er mit unbeschreiblicher Verachtung und vergnügte sich damit, daß er dem Tanzmeister des Fleckens, welcher jetzt in der Musikbande seine Stellung einnahm, die munteren Sprünge und Pirouetten zeigte, worin der würdige Herr weit mehr Kraft als Zierlichkeit entfaltete.

»Ihr solltet nicht so laut lachen, Herr Richard,« sagte der Tanzmeister, »er hat nicht den Vortheil eines wirklich graziösen Lehrers wie Ihr besessen; wahrhaftig, wenn er einige Lektionen nehmen wollte, so glaube ich, daß ich etwas aus seinen Beinen machen könnte, denn er ist ein geschmeidiger Bursch und hat einen zierlichen, gebildeten Fuß; einen so mit Tressen besetzten Hut hat man seit langer Zeit nicht auf der Heerstraße von Middlemas gesehen; ich möchte nicht behaupten, daß er Euch nicht bei der hübschen Tänzerin dort unten aussticht.«

»Er mag –!« Middlemas begann einen Satz, welcher sich vielleicht nicht mit einem schicklichen Ausdruck geschlossen haben würde, als der Vorsteher der Musikbande Herrn Mac Fittoch auf seinen Posten mit folgenden zornigen Worten berief: »Was habt Ihr vor, Herr? bekümmert Euch um Euren Fidelbogen! Was zum Teufel glaubt Ihr, daß drei Fideln einen Baß überschreien können, wenn jeder Spielmann wie Ihr grinset und schwatzt? Spielt auf, Herr!«

Richard Middlemas so zum Schweigen gebracht, setzte wie ein Gott der Epikuräer von seinem hohen Standpunkt aus seine Beobachtungen der Vorgänge unter ihm fort, ohne daß die von ihm geschaute Heiterkeit mehr wie ein Lächeln hervorrufen konnte, welches jedoch eher eine gut gemeinte Verachtung des ihm gebotenen Schauspiels, als ein wohlwollendes Mitgefühl am Vergnügen Anderer auszudrücken schien.



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