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Was Euren Sohn betrifft – o glaubt mir dies –
So habt Ihr ihn in große Noth gebracht,
Wo nicht den Untergang ihm selbst bereitet.
Coriolanus.
Am Abend, welcher seiner beabsichtigten Abreise vorherging, begab sich Hamish zum Flusse mit seiner Angelruthe, um zum letzten Male im Awe seine Geschicklichkeit beim Fischen, wodurch er sich auszeichnete, zu üben, und zugleich die Mittel für ein letztes geselliges Mahl mit seiner Mutter bei besserer als gewöhnlicher Kost herbeizuschaffen. Das Glück blieb ihm treu, und er tödtete bald einen schönen Salmen.
Auf seiner Rückkehr nach Hause ereignete sich ein Vorfall, den er nachher als böse Vorbedeutung erzählte, obgleich wahrscheinlich seine erhitzte Einbildungskraft nebst der allgemeinen Neigung seiner Landsleute zum Wunderbaren einen sehr gewöhnlichen Umstand bis zu abergläubischer Bedeutung übertrieb.
Auf dem Wege, den er nach Hause einschlug, bemerkte er zu seiner Ueberraschung eine Person, die, wie er selbst, nach der alten hochländischen Weise gekleidet und bewaffnet war. Der erste Gedanke, welcher ihm einfiel, ging dahin, daß der Vorübergehende zu seinem Corps gehöre, welches von der Regierung ausgehoben, und, unter königlicher Vollmacht ausgerüstet, einer Verletzung der Gesetze über das Verbot der hochländischen Kleidung und Bewaffnung nicht schuldig war. Er beschleunigte seinen Schritt, um seinen vermeintlichen Kameraden zu erreichen und ihn um seine Gesellschaft zur nächsten Tagereise zu ersuchen; da aber erschrack er, als er bei dem Fremden die weiße Cocarde, das verhängnißvolle Abzeichen erblickte, welches in den Hochlanden geächtet war. Die Gestalt des Mannes war groß, und im Umriß lag etwas Schattenhaftes, welches seine Größe noch vermehrte; seine Bewegungsweise, welche eher dem Gleiten als dem Gehen glich, erfüllte Hamish mit abergläubischer Furcht über den Charakter des Wesens, welches im Zwielicht ihm voranging. Er suchte nicht länger den Fremden einzuholen, sondern begnügte sich damit, ihn im Auge zu behalten, nach dem bei Hochländern gewöhnlichen Aberglauben, daß man übernatürlichen Erscheinungen sich nicht aufdrängen, aber auch ihre Gegenwart nicht vermeiden dürfe, sondern es ihnen überlassen müsse, ihre Mittheilungen zurückzuhalten oder zu geben, je nachdem es in ihrer Gewalt stehe, oder der Zweck ihres Auftrages es erheische. Auf einer Anhöhe an der Straße, wo der Fußpfad auf Elspats Hütte einbog, blieb der Fremde stehen und schien zu erwarten, daß Hamish hinaufkomme. Als Hamish seinerseits sah, daß er an dem Gegenstande seiner Besorgniß vorüber müsse, nahm er seinen Muth zusammen und näherte sich dem Orte, wo der Fremde sich aufgestellt hatte. Dieser wies zuerst auf Elspats Hütte, und machte mit Armen und Händen eine Bewegung, welche ihm anzudeuten schien, daß er sogleich in dieser Richtung abgehen solle. Einen Augenblick später war die Gestalt mit dem hochländischen Mantel nicht mehr zu erblicken – Hamish konnte nicht bestimmt sagen, daß sie verschwunden sei, denn Felsen und verkrüppelte Bäume waren genug vorhanden, um ein Versteck darzubieten; nach seiner Meinung aber hatte er den Geist von Mac Tavish Mhor gesehen, welcher ihm die Warnung gab, sogleich seine Reise nach Dunbarton anzutreten, ohne bis zum Morgen zu warten, oder die Hütte seiner Mutter wieder zu besuchen.
Es konnten so viele Vorfälle seine Reise verzögern, besonders da er über so manche Ströme auf Fähren setzen mußte, daß er den festen Entschluß faßte, sich zwar ohne Abschied nicht von seiner Mutter zu trennen, aber nicht länger zu bleiben, wie dieser Zweck erheische; der erste Sonnenstrahl des nächsten Tages sollte ihn bereits mehrere Meilen auf dem Weg nach Dunbarton treffen. Er stieg deßhalb den Pfad hinab und erklärte beim Eintritt in die Hütte mit hastiger und verwirrter, geistige Aufregung bezeugenden Stimme seinen bestimmten Entschluß, sogleich fortzugehen. Elspat schien zu seiner Ueberraschung seinen Zweck nicht zu bestreiten, sondern drängte ihn, einige Erfrischungen zu nehmen, bevor er sie für immer verlasse; er that dieß hastig und schweigend, indem er an die bevorstehende Trennung dachte, und kaum noch den Glauben hegte, dieselbe werde ohne einen endlichen Kampf mit ihrer mütterlichen Zärtlichkeit stattfinden. Zu seiner Ueberraschung füllte sie den Becher zum Abschiedstrank: »Gehe,« sagte sie, »mein Sohn, da dieß dein bestimmter Entschluß ist, zuerst aber stehe noch einmal an deiner Mutter Herde, dessen Flamme schon lange erloschen sein wird, wenn dein Fuß ihn wieder betritt.«
»Auf Eure Gesundheit, Mutter,« sagte Hamish, »mögen wir uns glücklich wiedersehen, ungeachtet Eurem Unglück vorhersagenden Worte!«
»Es wäre besser, daß wir uns nicht trennten,« sagte seine Mutter, während sie ihn den Trank genießen sah, von welchem auch nur die Zurücklassung eines Tropfens ihm als unglückliche Vorbedeutung gegolten haben würde, »Jetzt,« sagte sie vor sich hinmurmelnd, »gehe, wenn du kannst.«
»Mutter,« sagte Hamish, als er den leeren Becher auf den Tisch setzte, »dein Trank ist dem Geschmack angenehm, er nimmt aber die Kraft hinweg, die er ertheilen sollte.«
»Das ist die erste Wirkung, mein Sohn,« erwiderte Elspat, »lege dich aber nieder auf dieß sanfte Lager von Haidekraut, verschließe nur auf einen Augenblick die Augen, und du wirst im Schlaf einer Stunde mehr Erfrischung als in der gewöhnlichen Ruhe von drei Nächten finden, könnten dieselben in eine vereinigt werden.«
»Mutter,« sagte Hamish, auf welchen der Trank schnelle Wirkung übte, »gebt mir meine Mütze, ich muß Euch küssen und gehen, es scheint mir, als ob meine Füße auf den Boden festgenagelt wären.«
»Ihr werdet Euch sogleich wieder gut befinden,« sagte seine Mutter, »wenn Ihr Euch nur eine halbe Stunde setzen wollt; es ist noch acht Stunden bis zur Morgendämmerung, und der Sonnenaufgang ist noch Zeit genug für Eures Vaters Sohn, um eine solche Reise anzutreten.«
»Ich muß Euch gehorchen, Mutter, ich fühle, daß ich Euch gehorchen muß,« sagte Hamish in bereits lallenden Tönen; »weckt mich aber, wenn der Mond aufgeht.«
Er setzte sich an das Bett, lehnte sich zurück und fiel sogleich in festen Schlaf. Mit einem vor Freude klopfenden Herzen, als habe sie eine schwierige und beschwerliche Unternehmung zu Ende gebracht, legte Elspat voll Zärtlichkeit den Mantel des bewußtlosen Schläfers zurück, für welchen ihre übertriebene Liebe so verhängnißvoll sein sollte; während sie sich hiebei beschäftigte, sprach sie ihr Entzücken in Tönen aus, unter denen sich Zärtlichkeit mit dem Gefühl des Sieges mischte. »Ja,« sagte sie, »Kalb meines Herzens, der Mond und die Sonne sollen dir aufgehen und untergehen, aber nicht, um dir auf dem Wege aus dem Lande deiner Väter zu leuchten, oder dich in Versuchung zu bringen, daß du dem fremden Fürsten oder den Todfeinden deines Stammes dienst! Keinem Sohne von Diarmid werde ich überliefert werden, damit man mich füttere als eine Leibeigene; Er, der mein Vergnügen und mein Stolz ist, wird mein Wächter und Beschützer sein. Man sagt, daß die Hochlande sich verändert haben; ich sehe aber noch, wie der Ben Cruachan seine Gipfel so hoch als jemals zum Abendhimmel erhebt – Niemand hat noch Kühe auf dem Grunde des Loch Awe geweidet, und jene Eiche beugt sich nicht wie eine Weide. Die Kinder der Berge werden sein wie ihre Väter, bis die Berge selbst sich gleich den Thälern ebnen. In diesen wilden Wäldern, welche tausend Tapfere zu ernähren pflegten, ist noch sicherlich Lebensunterhalt und Zuflucht für eine alte Frau und einen tapferen Jüngling alten Stammes und alter Sitten übrig gelassen.«
Während die übel berathene Mutter sich so des Erfolges ihrer List freute, müssen wir dem Leser erwähnen, daß derselbe auf der Kenntniß von Arzneikräutern beruhte, welche Elspat, in allen Dingen bewandert, die zu dem wilden von ihr geführten Leben gehörten, in ungewöhnlichem Grade besaß, und die sie zu verschiedenen Zwecken ausübte. Mit den Kräutern, die sie eben so gut auszuwählen, wie zu destilliren verstand, konnte sie mehr Krankheiten heilen, als ein wissenschaftlich erzogener Arzt zu glauben geneigt sein würde. Einige verwandte sie zu der glänzenden Färbung der buntgewürfelten Kleider, aus anderen bildete sie Getränke von verschiedener Kraft, und besaß auch unglücklicherweise das Geheimniß, ein starkes, schlaferweckendes Mittel zu bereiten. Von den Wirkungen dieses letzten Trankes erwartete sie, wie der Leser wahrscheinlich schon vermuthet haben wird, mit Sicherheit eine Verzögerung der Abreise von Hamish über die Zeit hinaus, welche für seine Wiederkehr festgesetzt war; sie verließ sich ferner auf seinen Abscheu vor der gefürchteten Strafe, der er jetzt ausgesetzt war, als auf das sicherste Mittel, seine Rückkehr überhaupt zu verhindern.
Tiefer wie natürlich war der Schlaf von Hamish Mac Tavish an jenem verhängnißvollen Abende, nicht aber die Ruhe seiner Mutter. Kaum schloß sie von Zeit zu Zeit ihre Augen; sie erwachte immer wieder im Schrecken, daß ihr Sohn aufgestanden und fortgegangen sei; erst als sie zu seinem Lager getreten war, und sein tiefes und regelmäßiges Athemholen vernahm, beruhigte sie sich hinsichtlich der Tiefe des Schlafes, worin er versunken war.
Sie besorgte, die Dämmerung könne ihn erwecken, ungeachtet der ungewöhnlichen Stärke der Mittel, womit sie seinen Trank gemischt hatte; sie wußte, daß Hamish, so lange noch Hoffnung für einen Sterblichen vorhanden war, die Reise zu vollenden, dieselbe auszuführen versuchen würde, sollte er auch durch die Anstrengungen unter Weges sterben. Durch diese neue Furcht aufgeregt, suchte sie das Licht durch Verstopfung aller Ritzen und Spalten zurückzuhalten, durch welche die Morgenstrahlen in ihre elende Wohnung eher Zugang, als durch eine andere Oeffnung finden konnten. Dieß Alles that sie, um bei ihrem Elend und Mangel ein Wesen zurückzuhalten, dem sie die Welt mit Freuden übertragen haben würde, wenn dieselbe ihr zur Verfügung gestanden hätte.
Ihre Besorgnisse waren nutzlos; die Sonne erhob sich hoch am Himmel, und nicht der schnellste Hirsch in Breadalbane, wären die Hunde auf seinen Fersen gewesen, hätte, um sein Leben zu retten, so schnell zu eilen vermogt, wie es jetzt für Hamish erforderlich gewesen wäre, um zur bestimmten Zeit einzutreffen. Sie hielt es gleichfalls für unmöglich, daß er jetzt an die Rückkehr denke, da er der Gefahr einer beschimpfenden Strafe ausgesetzt war. Allmälig und zu verschiedenen Malen hatte sie von ihm eine volle Kenntniß der Lage erlangt, worin er durch sein Ausbleiben am bestimmten Tage gerathen mußte; sie wußte, wie wenig Hoffnung er sich auf eine gelinde Behandlung machen konnte.
Es ist wohl bekannt, daß der große und weise Graf von Chatham auf den Entwurf stolz war, wodurch er ein Corps zur Vertheidigung der Colonien aus jenen tapferen Hochländern bildete, die bis zu seiner Zeit für eine jede der aufeinander folgenden Regierungen Gegenstände der Besorgnisse, des Zweifels und Verdachtes gewesen waren. Für die Ausführung seines patriotischen Planes boten sich aber einige Hindernisse in den besonderen Gewohnheiten und in der Stimmung dieses Volkes. Durch Natur und Erziehung war jeder Hochländer an den Gebrauch der Waffen gewöhnt, nicht aber an die Disciplin regelmäßiger Truppen, die Allen durchaus widerstrebte. Die Hochländer waren nur eine Art Miliz, welche sich ein Lager niemals als ihre Heimath denken kann. Ging eine Schlacht verloren, so zerstreuten sie sich, um sich zu retten, und für ihre eigene Sicherheit, sowie für die ihrer Familien zu sorgen; ward die Schlacht gewonnen, so kehrten sie nach ihren Thälern zurück, um ihre Beute in Sicherheit zu bringen, für ihr Vieh Sorge zu tragen und ihre Landgüter zu bestellen. Dieses Vorrecht des Gehens und Kommens nach Belieben konnte ihnen nicht einmal von ihren Häuptlingen genommen werden, so unumschränkt die Herrschaft derselben auch in anderer Hinsicht sein mogte. Daraus folgte, daß man den neu ausgehobenen hochländischen Rekruten die Natur einer militärischen Anwerbung kaum begreiflich machen konnte, wodurch ein Mann gezwungen ward, länger als er will, im Heere zu dienen; vielleicht hatte man sich bei manchem Beispiele nicht genug Mühe gegeben, um bei der Anwerbung den Rekruten die bleibende Verpflichtung, welche sie eingingen, darzulegen, damit sie nicht wegen einer solchen Enthüllung ihren Entschluß änderten. Desertionen waren deßhalb zahlreich unter den neu angeworbenen Regimentern, und der General, welcher in Dunbarton commandirte, ein alter Soldat, sah kein besseres Mittel, denselben Einhalt zu thun, als daß er ein ungewöhnlich strenges Beispiel an einem Deserteur aus einem englischen Corps geben ließ. Das junge hochländische Regiment wurde gezwungen, bei der Bestrafung gegenwärtig zu sein, welche ein auf persönliche Ehre eifersüchtiges Volk mit gleichem Schrecken und Widerwillen erfüllte, und Vielen derselben einen nicht unnatürlichen Widerwillen gegen den Kriegsdienst einflößte. Der alte General jedoch, der in den deutschen Kriegen seine regelmäßige Schule gemacht hatte, hielt an seiner Meinung fest, und machte durch einen Tagesbefehl bekannt, daß der erste Hochländer, welcher desertiren, oder am Ausgange seines Urlaubs nicht erscheinen würde, wie der Verbrecher gezüchtigt werden solle, dessen Strafe das Regiment angesehen hatte. Niemand zweifelte, daß General – genau sein Wort halten werde, wenn Strenge nothwendig sei, und Elspat wußte deßhalb, daß ihr Sohn, wenn er sehen würde, die pünktliche Ausführung seines Befehles sei unmöglich, zu gleicher Zeit die Unvermeidlichkeit der auf seinem Ungehorsam gesetzten und entwürdigenden Strafe bedenken müßte, sobald er sich der Gewalt des Generals wieder anheim gebe.
Als der Mittag vorbei war, erhoben sich neue Besorgnisse in der Seele des einsam lebenden Weibes. Ihr Sohn schlief noch unter dem Einfluß des Schlaftrunkes; war es nicht möglich, daß seine Vernunft oder Gesundheit durch dessen zu große Kraft zerrüttet werde, da derselbe stärker war, als sie jemals einem Andern gereicht hatte? Zum ersten Mal begann sie ferner, ungeachtet ihrer hohen Begriffe von elterlicher Gewalt, den Zorn ihres Sohnes zu fürchten, welchem ein Unrecht erwiesen zu haben, ihr Herz ihr sagte. Sie hatte in den letzten Zeiten bemerkt, daß seine Stimmung weniger gelehrig war, und daß sein Entschluß, besonders bei Gelegenheit seiner Anwerbung, selbstständig gefaßt und mit Kühnheit ausgeführt wurde. Sie gedachte der finsteren Störrigkeit seines Vaters, wenn derselbe sich für mißhandelt hielt, und begann zu besorgen, Hamish werde, wenn er den ihm gespielten Betrug entdecke, sich dafür sogar so entschieden rächen, daß er von ihr ablasse und seine Laufbahn in der Welt allein verfolge. Dieß waren die erschreckenden und dennoch vernünftigen Besorgnisse, welche auf das unglückliche Weib eindrangen, nachdem ihre unheilvolle List ihr so gelungen war.
Gegen Abend erwachte Hamish zuerst, allein damals war er noch weit von allem Besitze seiner geistigen und körperlichen Kräfte entfernt. Elspat empfand anfänglich große Furcht wegen seiner unzusammenhängenden Reden und wegen seines unregelmäßigen Pulses; sie wandte jedoch Mittel an, welche ihre Kenntniß ihr eingab, und hatte im Laufe der Nacht das Vergnügen, daß er wiederum in einen tiefen Schlaf sank, welcher wahrscheinlich den größeren Theil der Wirkungen der Mittel hinwegnahm, denn gegen Sonnenaufgang hörte sie, wie er aufstand und seine Mütze verlangte. Diese hatte sie absichtlich in der Furcht entfernt, daß er in der Nacht aufwachen und ohne ihr Wissen fortgehen würde.
»Meine Mütze – meine Mütze,« rief Hamish; »es ist Zeit, Euch Lebewohl zu sagen. Mutter, Euer Trank war zu stark – die Sonne steht am Himmel – mit dem nächsten Morgen aber will ich die doppelten Gipfel des alten Dun sehen. Meine Mütze – meine Mütze, Mutter, ich muß sogleich fort.« Diese Ausdrücke bezeugten, daß der arme Hamish nicht ahnete, zwei Nächte und ein Tag seien vorüber, seit er den verhängnißvollen Becher geleert hatte, und Elspat mußte jetzt die Gefahr bestehen, die sie ihren Gefühlen nach wohl erkannte, sowie auch die peinliche Aufgabe lösen, ihre Ränke ihm zu eröffnen.
»Vergebt mir, mein Sohn,« sagte sie, indem sie Hamish näher trat und ihn mit einem ehrfurchtsvollen Ausdruck an seiner Hand nahm, welchen sie vielleicht nicht immer gegen seinen Vater, sogar in seiner finstersten Stimmung, gezeigt hatte.
»Ich Euch vergeben, Mutter, weßhalb?« fragte Hamish lachend, »dafür, daß Ihr mir einen Trank gegeben habt, welcher für mich zu stark war, und dessen Wirkung jetzt mein Kopf noch empfindet, oder daß Ihr meine Mütze verstecktet, um mich einen Augenblick noch länger zurückzuhalten? Ihr habt mir vielmehr zu verzeihen. Gebt mir meine Mütze oder ich gehe ohne dieselbe fort, sicherlich darf ich mich durch einen so unbedeutenden Mangel nicht aufhalten lassen, da ich Jahre lang nichts weiter hatte, als einen Riemen aus Hirschleder, um mein Haar damit zu binden. Treibt keinen Scherz, sondern gebt sie mir, oder ich muß mit unbedecktem Kopfe fort, da es für mich unmöglich ist zu bleiben.«
»Mein Sohn,« sagte Elspat, indem sie seine Hand festhielt, »was einmal geschehen ist, läßt sich nicht ändern; könntet Ihr die Flügel jenes Adlers leihen, so würdet Ihr für dasjenige, was Ihr wollt, zu spät am Dun ankommen – zu früh für das, was Euch dort erwartet. Ihr glaubt, daß Ihr die Sonne zum ersten Mal aufgehen seht, seit Ihr ihren Untergang erblicktet, allein gestern stand sie über dem Ben Cruachan, obgleich Eure Augen ihrem Lichte verschlossen waren.«
Hamish warf auf seine Mutter einen wilden Blick äußersten Schreckens; alsdann sagte er, sich sogleich wieder fassend: »Ich bin kein Kind, um durch solche Streiche mich an der Ausführung meines Entschlusses hindern zu lassen – lebt wohl, Mutter, jeder Augenblick ist ein Leben werth.«
»Bleibe,« sagte sie, »mein theurer, betrogener, mein getäuschter Sohn; stürze dich nicht in Schande und Untergang, dort sehe ich den Priester auf der Landstraße mit seinem weißen Pferde kommen; frage ihn nach dem Tage in der Woche, laß ihn zwischen uns entscheiden.«
Mit der Schnelligkeit des Adlers stürzte Hamish die Höhe hinan und stand bei dem Pfarrer von Glenorquhy, welcher so früh seine Wohnung verlassen hatte, um einer unglücklichen Familie bei Bunawe seine Tröstung zu ertheilen.
Der gute Mann erschrack etwas, als er einen bewaffneten Hochländer, damals eine ungewöhnliche Erscheinung, auf sich zukommen sah, und zwar einen Mann, der offenbar in großer Aufregung sich befand, als dieser sein Pferd am Zügel ergriff und ihn mit stockender Stimme nach dem Tage der Woche und des Monats fragte.
»Wäret Ihr gewesen, wo Ihr gestern hättet sein sollen, junger Mann,« erwiderte der Geistliche, »so hättet Ihr wissen müssen, daß es Sabbath war, und daß der heutige Tag ein Montag, der zweite Tag der Woche und der einundzwanzigste des Monats ist.«
»Und ist dieß wahr?« fragte Hamish.
»So wahr,« erwiderte der überraschte Pfarrer, »wie der Umstand, daß ich gestern das Wort Gottes meiner Gemeinde predigte – was habt Ihr, junger Mann? seid Ihr krank? seid Ihr in Eurem Geiste verstört?«
Hamish gab keine Erwiderung und wiederholte bei sich den ersten Ausdruck des Geistlichen: »wäret Ihr gestern gewesen, wo Ihr hättet sein sollen!« mit den Worten ließ er den Zügel fahren, wandte sich von der Straße weg und stieg den Weg nach der Hütte mit den Blicken und den Schritten eines Mannes hinab, welcher zur Hinrichtung geführt wird. Der Pfarrer blickte ihm mit Erstaunen nach, denn obgleich er die Bewohnerin in der Hütte kannte, so hatte ihn Elspats Ruf nicht veranlaßt, eine Verbindung mit ihr anzuknüpfen, weil sie als katholisch oder vielmehr als gleichgültig gegen Religion galt, mit Ausnahme einiger abergläubischer Gebräuche, welche ihr von ihren Eltern überliefert waren. Dem jungen Hamish hatte der ehrwürdige Herr Tyrie Belehrungen ertheilt, wenn er ihn gelegentlich antraf; war der Same unter das Brombeeren- und Dorngesträuch eines wilden und ungebildeten Charakters gefallen, so war er nicht gänzlich erstickt oder zerstört worden. Es lag etwas so Grauenhaftes im Ausdruck der Züge des jungen Mannes, daß der gute Mann in Versuchung kam, zur Hütte zu gehen und sich zu erkundigen, ob irgend ein Unglück die Bewohner befallen habe, wobei seine Gegenwart tröstlich und sein Dienst nützlich sein könne. Unglücklicherweise beharrte er nicht in seinem Entschlusse, welcher ein großes Unglück hätte verhindern können, da er wahrscheinlich ein Vermittler für den unglücklichen jungen Mann hätte werden können; sondern eine Erinnerung an die wilden Leidenschaften der Hochländer, die nach der alten Weise des Landes erzogen waren, verhinderte, daß er sich mit der Wittwe und dem Sohn des weit gefürchteten Räubers Mac Tavish Mhor einließ; so entging ihm eine Gelegenheit Gutes zu thun, welche versäumt zu haben er später sehr bereute.
Als Hamish Mac Tavish in die Hütte seiner Mutter trat, warf er sich auf das so eben verlassene Bett mit dem Ausruf: »Verloren, verloren!« um im Geschrei des Zornes und Grams seinem tiefen Gefühle über den Betrug, der an ihm verübt war, und über die grausame Lage, worin er sich befand, Luft zu machen.
Elspat war auf den ersten Ausbruch der Leidenschaft ihres Sohnes vorbereitet und dachte bei sich: »es ist nur der Bergstrom, den ein Gewitter angeschwellt hat; setzen wir uns, und ruhen wir am Ufer, ungeachtet alles jetzigen Gebrauses, so wird die Zeit kommen, wo wir trockenen Fußes hindurchgehen können.« Sie ließ seine Klagen und Vorwürfe, welche sogar in Mitte seines Schmerzes achtungsvoll und liebevoll waren, ohne eine Antwort zu geben, vorübergehen; als er zuletzt alle Ausrufungen des Kummers erschöpft hatte, welche seine Sprache, reich im Ausdruck der Gefühle des Herzens, dem Leidenden darbietet, und in finsteres Schweigen versank, ließ sie beinahe eine Stunde verschwinden, ehe sie zum Lager ihres Sohnes hintrat.
»Und habt Ihr jetzt,« sagte sie zuletzt mit einer Stimme, worin die Würde der Mutter durch Zärtlichkeit gelindert war, »Euren eitlen Kummer erschöpft, und könnt Ihr vergleichen dasjenige, was Ihr gewonnen habt, mit demjenigen, was Ihr verloret? Ist der falsche Sachse von Diarmid Euer Bruder oder der Vater Eures Stammes, daß Ihr weinet, weil Ihr Euch nicht an seinen Degengurt binden und Einer von denen werden könnt, welche seine Gebote vollbringen möchten? Könnt Ihr in jenem entfernten Lande die Seen und Berge wieder finden, die Ihr hier verlaßt? Könnt Ihr den Hirsch von Breadalbane in den Wäldern von Amerika jagen, oder wird der Ocean Euch die Salmen mit silbernen Schuppen, die der Awe Euch gewährt, darreichen? Erwägt, was Euer Verlust ist, und dann vergleicht ihn wie ein weiser Mann mit dem, was Ihr gewonnen habt.«
»Ich habe Alles verloren, Mutter,« erwiderte Hamish, »denn ich habe mein Wort gebrochen und meine Ehre verloren; ich könnte den Vorfall erzählen, aber wer würde mir glauben?« Der unglückliche Mann legte die Hände zusammen, drückte sie auf seine Stirne und verbarg sein Antlitz auf dem Lager.
Elspat gerieth jetzt wirklich in Schrecken, und wünschte vielleicht, daß der verhängnißvolle Betrug nicht von ihr versucht sei; sie hatte jetzt keine andere Hoffnung oder Zuflucht, als in der Beredtsamkeit, an welcher sie kein geringes Theil besaß, obgleich deren Kraft dadurch unwirksam blieb, daß sie die Welt, wie sie war, durchaus nicht kannte. Sie drängte ihren Sohn durch jedes zärtliche Beiwort, welches eine Mutter gebrauchen kann, Sorge für seine Sicherheit zu tragen.
»Ueberlaßt es mir,« sagte sie, »Eure Verfolger zu täuschen, ich will Eure Ehre retten – ich werde ihnen sagen, daß mein schönhaariger Hamish vom Corrie-Dhu (dem schwarzen Abgrund) in den See fiel, dessen Boden noch nie ein menschliches Auge gesehen hat. Ich will ihnen dieses sagen, und will Euren Mantel auf die Dorne werfen, welche am Rande des Abgrundes wachsen, damit sie meinen Worten Glauben schenken. Sie werden es glauben und zum Dun mit dem doppelten Gipfel zurückkehren; denn obgleich die sächsische Trommel die Lebendigen zum Tode zu laden vermag, kann sie nicht die Todten zu ihrer sklavischen Fahne zurückrufen. Dann werden wir nordwärts zu den Salzseen von Kindale reisen, damit Berge und Thäler zwischen uns und den Seen von Diarmid liegen. Wir wollen die Ufer des dunklen Sees besuchen, und meine Verwandten (denn gehörte nicht meine Mutter zu den Kindern von Kenneth?) werden mit der alten Liebe unserer gedenken – meine Verwandten werden uns mit der Liebe der alten Zeit empfangen, welche in jenen entfernten Thälern lebt, wo die Galen noch in all' ihrem Adel unvermischt mit den groben Sachsen oder mit der niedrigen Brut leben, welche aus ihren Werkzeugen und ihren Sklaven besteht.«
Die Kraft der Sprache, bisweilen mit Uebertreibungen sogar in den gewöhnlichsten Ausdrücken verbunden, schien jetzt beinahe zu schwach, um Elspat die Mittel zur Entwerfung des glänzenden Bildes zu gewähren, welches sie ihrem Sohne von dem Lande ausmalte, worin sie ihm Zuflucht zu finden vorschlug. Es waren jedoch wenig Farben, womit sie ihr hochländisches Paradies ausmalen konnte. »Die Berge,« sagte sie, »sind höher und prächtiger als die von Breadalbane – Ben-Cruachan ist nur ein Zwerg gegen Skoorora. Die Seen sind breiter und größer, und haben nicht allein Ueberfluß an Fischen, sondern auch an dem bezauberten und amphibischen Thiere, welches der Lampe das Oel gibt Die Seehunde werden von den Hochländern als bezauberte Prinzen betrachtet.. Die Hirsche sind größer und zahlreicher – der Eber mit den weißen Stoßzähnen, dessen Jagd die Tapfern vorzugsweise erfreut, wird noch in jenen westlichen Lagern aufgejagt – die Männer sind edler, weiser und stärker als die entartete Brut, die unter dem sächsischen Banner lebt. Die Töchter des Landes sind reizend, mit blauen Augen und schönem Haar; aus ihnen will ich für dich, Hamish, ein Weib von tadelloser Abkunft, fleckenlosem Ruf, fester und wahrer Liebe wählen, welche wie ein Sonnenstrahl in unserer Sommerhütte, und in unserer Winterwohnung wie die Wärme des nothwendigen Feuers sein wird.«
Mit solchen Reden suchte Elspat die Verzweiflung ihres Sohnes zu mindern, und ihn womöglich zum Entschlusse zu bringen, daß er den verhängnißvollen Ort verlasse, auf welchem zu bleiben er entschlossen schien. Der Styl ihrer Rede war poetisch, glich aber in anderer Hinsicht demjenigen, welchen sie, wie andere zärtliche Mütter, bei Hamish, als er noch ein Kind oder Knabe war, verschwendet hatte, um seine Einwilligung zu irgend Etwas, was er nicht thun wollte, zu erlangen; sie sprach lauter, schneller und ernstlicher im Verhältniß, wie sie daran verzweifelte, daß ihre Worte Ueberzeugung erweckten.
Auf die Seele von Hamish machte ihre Beredtsamkeit keinen Eindruck. Er kannte weit besser als sie den wirklichen Zustand des Landes, und wußte sehr wohl, daß er sich zwar als Flüchtling in den entfernteren Gebirgen verstecken könne, daß es aber jetzt in den Hochlanden keinen Winkel gebe, worin sich das Gewerbe seines Vaters üben lasse, sogar wenn er nicht nach den veredelten Vorstellungen seiner Zeit die Meinung angenommen hätte, das Gewerbe des Freibeuters sei nicht länger der Weg zu Ehren und Auszeichnungen. Ihre Worte gelangten deßhalb nur in rücksichtslose Ohren, und sie erschöpfte vergeblich alle ihre Beredtsamkeit in Versuchen, das Land der Verwandten ihrer Mutter in solchen Ausdrücken zu schildern, daß Hamish in Versuchung käme, sie dorthin zu begleiten. Sie sprach stundenlang, sprach aber vergeblich; sie konnte keine andere Antwort als Gestöhn, Seufzer und Ausrufungen aus ihm herausbringen, welche die äußerste Verzweiflung anzeigten.
Zuletzt sprang sie auf und vertauschte den einförmigen Ton, womit sie gleichsam das Lob des Landes ihrer Zuflucht besungen hatte, mit der kurzen und finsteren Sprache heftiger Leidenschaft. »Ich bin eine Thörin,« sagte sie, »meine Worte an einen trägen Burschen von ärmlichem Muth und ohne Verstand zu verschwenden, welcher sich wie ein Hund vor der Peitsche duckt. Bleibe hier und erwarte deine Zuchtmeister, sowie deine Bestrafung von ihren Händen, glaube aber nicht, daß deiner Mutter Augen es sehen werden. Ich könnte es nicht sehen und am Leben bleiben. Meine Augen haben oft auf den Tod, niemals aber auf Schande geblickt! Lebe wohl, Hamish, wir sehen uns niemals wieder.«
Sie stürzte aus der Hütte so schnell wie ein Kibitz, und hegte auch vielleicht im Augenblick wirklich die von ihr ausgesprochene Absicht, sich von ihrem Sohne zu trennen. Einen furchtbaren Anblick hätte sie einem Jeden dargeboten, der ihr an jenem Abend begegnet wäre, als sie durch die Wildniß wie ein ruheloses Gespenst wandelte, und mit sich in einer Sprache redete, welche keine Uebersetzung gestattet. Sie schweifte stundenlang umher und suchte eher die gefährlichsten Wege auf, als daß sie dieselben vermied. Der ungewisse Fußpfad durch den Morast, der steile Gang am Rande eines Abgrundes, oder an dem Ufer eines reißenden und tiefen Stromes waren die Wege, welche sie eifrig aufsuchte und mit verwegener Hast beschritt. Der aus Verzweiflung entspringende Muth war aber das Mittel zur Rettung ihres Lebens, welches sie vielleicht zu beenden wünschte, obgleich Selbstmord mit Ueberlegung in den Hochlanden selten vorkam. Ihr Schritt am Rande des Abgrundes war so fest, als derjenige der wilden Ziege; ihr Auge war bei ihrer Aufregung selbst im Dunkeln so scharf, daß sie die Gefahren erkannte, welche ein Fremder am Mittage nicht bemerkt haben würde.
Elspats Lauf ging nicht in gerader Richtung vorwärts, denn sonst wäre sie bald von der Hütte, worin ihr Sohn geblieben war, weit entfernt gewesen. Er bildete mehrere Umwege, denn die Hütte war der Mittelpunkt, woran ihr Herz gefesselt blieb; als sie dieselbe umging, empfand sie die Unmöglichkeit, die Umgegend zu verlassen. Mit dem ersten Sonnenstrahl kehrte sie zur Hütte zurück. Sie blieb eine Weile vor der aus Zweigen geflochtenen Thür stehen, als schäme sie sich, daß ihre Zärtlichkeit sie an den Ort zurückführe, welchen sie in der Absicht, niemals wiederzukehren, verlassen hatte; ihr Zaudern beruhte jedoch noch mehr auf Furcht und Angst – auf Angst, daß ihr schönhaariger Sohn von den Wirkungen des Trankes erkrankt sei – auf Furcht, daß seine Feinde zu ihm während der Nacht gekommen wären. Sie öffnete leise die Thür der Hütte und trat mit geräuschlosen Schritten ein.
Von Kummer und Angst erschöpft, und vielleicht noch nicht gänzlich von dem Einfluß des starken Schlaftrunkes wiederhergestellt, lag Hamish Bean wiederum in dem tiefen Schlafe, welcher die Indier während der Unterbrechung ihrer Folter ergreifen soll. Seine Mutter konnte sich kaum überzeugen, daß sie wirklich seine Gestalt auf dem Bette erkannte, und daß ihr Ohr den tiefen Ton seines Athems vernahm. Mit klopfendem Herzen ging Elspat zu dem Feuerherde in der Mitte der Hütte, wo, mit einem Rasenstück bedeckt, die glimmende Asche des Feuers lag, welches auf einem schottischen Herde nie erlischt, bis die Einwohner den Platz für immer verlassen.
»Schwache Asche,« sagte sie, als sie mit Hülfe eines Schwefelholzes einen Spahn der Sumpffichte entzündet hatte, welcher anstatt des Lichtes dienen sollte; »schwache Asche, du wirst bald auf immer erlöschen, und der Himmel gebe, daß das Leben der Elspat Mac Tavish nicht länger dauert, als das deinige!«
Mit den Worten erhob sie das brennende Licht gegen das Bett, worauf die gestreckten Glieder ihres Sohnes in einer Stellung lagen, bei welcher es zweifelhaft war, ob er schlafe, oder in Ohnmacht gefallen sei. Als sie auf ihn zutrat, fiel das Licht auf seine Augen; er fuhr sogleich empor und trat mit dem bloßen Dolch in der Hand und mit einem weiten Schritt wie ein Mann vorwärts, welcher bewaffnet ist, um seinem tödtlichen Feind zu begegnen, indem er ausrief: »stehe zurück, bei deinem Leben, stehe zurück!«
»Das ist das Wort und die Handlung meines Gemahls,« erwiderte Elspat, »ich erkenne an Rede und Schritt den Sohn von Mac Tavish Mhor.«
»Mutter,« sagte Hamish, indem sein Ton verzweifelter Festigkeit in den eines schwermüthigen Vorwurfs überging; »ach, theuerste Mutter, weßhalb seid Ihr zurückgekehrt?«
»Frage, weßhalb die Hindin zu ihrem Rehkalbe, weßhalb die Katze des Berges zu ihrem Lager und ihren Jungen zurückkehrt?« sagte Elspat. »Wißt Ihr nicht, Hamish, daß das Herz der Mutter nur in dem Busen ihres Kindes lebt?«
»Dann wird es bald aufhören zu schlagen,« sagte Hamish, »wenn es nicht unter einem Busen schlagen kann, der unter dem Rasen liegt – Mutter, tadelt mich nicht; wenn ich weine, so geschieht es nicht um meinetwillen, sondern um Euch, denn meine Leiden werden bald vorüber sein, aber die Eurigen – nur der Himmel kann ihnen eine Grenze setzen!«
Elspat schauderte und schritt zurück, nahm aber sogleich wieder ihre feste und aufrechte Stellung und ihre furchtlose Haltung an.
»Ich dachte eben jetzt,« sagte sie, »du seiest ein Mann, allein du bist wiederum ein Kind; höre noch einmal auf meine Worte, und laß uns diesen Ort zusammen verlassen. Habe ich dir ein Unrecht erwiesen? ist das der Fall, so räche es nicht so grausam. Siehe, Elspat Mac Tavish, welche niemals vor einem Priester kniete, fällt ihrem eigenen Sohne zu Füßen, und bittet ihn um Verzeihung.« Sie fiel vor dem jungen Manne auf ihr Knie, ergriff seine Hand, küßte sie hundert Mal, und wiederholte eben so oft in herzzerreißenden Tönen die ernstlichsten Bitten um Verzeihung. »Verzeihung,« rief sie aus, »bei der Asche Eures Vaters – Verzeihung bei den Schmerzen, mit denen ich dich gebar, und bei der Sorge, mit der ich dich aufzog! – höre es, Himmel, und sieh es, Erde – die Mutter bittet ihr Kind um Verzeihung, und dieß wird ihr verweigert!«
Es war vergeblich, daß Hamish diesen Strom der Leidenschaft durch die Versicherung zu hemmen suchte, er vergebe ihr den verhängnißvollen Betrug, welchen sie gegen ihn verübt habe.
»Eitle Worte,« sagte sie, »eitle Betheuerungen, die nur Euren versteckten Zorn verbergen sollen. Wollt Ihr, daß ich Euch glaube, so verlaßt diese Hütte sogleich und entfernt Euch von einer Gegend, worin der Aufenthalt mit jeder Stunde für Euch gefährlicher wird. Thut dieß, und alsdann kann ich glauben, daß Ihr mir vergeben habt; verweigert Ihr dieß, so rufe ich Mond und Sterne als Zeugen des unbiegsamen Grolles an, womit Ihr Eure Mutter wegen eines Fehlers verfolgt, welcher allein aus Liebe zu Euch entsprang, wenn es wirklich ein Fehler ist.«
»Mutter,« sagte Hamish, »in diesem Punkte könnt Ihr mich nicht anderen Sinnes machen. Ich will vor keinem Menschen fliehen. Wenn Barcaldine jeden Galen schicken würde, der unter seinem Banner steht, so würde ich sie Alle hier und an diesem Ort erwarten; wenn Ihr mir befehlt zu fliehen, so könntet Ihr eben sowohl dem Berge gebieten, seine Grundlage zu lockern. Würde ich den Weg kennen, auf welchem sie hieher kommen, so würde ich ihnen die Mühe, mich zu suchen, ersparen, ich könnte aber über die Berge gehen, während sie vom See her sich nahen. Hier will ich mein Schicksal erwarten. In Schottland ist keine Stimme mächtig genug, daß ich ihrem Befehle, mich von der Stelle zu rühren, gehorchen sollte.«
»Dann will auch ich hier bleiben,« sagte Elspat mit erzwungener Fassung, indem sie aufstand. »Ich habe den Tod meines Gatten gesehen – meine Augenlider werden keinen Schmerz empfinden, wenn sie den Fall meines Sohnes blicken. Allein Mac Tavish Mhor starb, wie es dem Tapfern geziemt, mit dem Schwert in der rechten Hand; mein Sohn wird sterben wie der Stier, welcher in den Fleischscharren des Sachsen, der ihn gekauft hat, getrieben wird.«
»Mutter,« sagte der unglückliche junge Mann, »Ihr habt mir mein Leben genommen; zu diesem besitzt Ihr ein Recht, denn Ihr habt es mir gegeben; allein verletzt nicht meine Ehre! Ich erhielt sie von der tapfern Reihe meiner Vorfahren, und sie soll weder durch die That eines Mannes, noch durch die Worte eines Weibes befleckt werden; was ich thun werde, weiß ich vielleicht noch nicht. Führt mich aber nicht wieder durch Vorwürfe in Versuchung; Ihr habt mir schon Wunden geschlagen, die Ihr nicht zu heilen vermögt.«
»Gut, mein Sohn,« erwiderte Elspat; »erwarte von mir weder Klagen, noch Vorstellungen, sondern lasse uns schweigen, und das Schicksal, welches uns der Himmel sendet, erwarten.«
Die Sonne erhob sich am nächsten Morgen, und fand die Hütte schweigend wie das Grab; die Mutter und der Sohn waren aufgestanden und betrieben ihre besonderen Beschäftigungen; Hamish setzte seine Waffen mit der größten Genauigkeit, aber mit dem Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit, in gehörigen Stand. Elspat beschäftigte sich, rastlos in ihrer heftigen Gemüthsbewegung, mit der Bereitung der Nahrung, deren Genuß Beide eine ungewöhnliche Zahl von Stunden während ihres gestrigen Schmerzes unterlassen hatten. Sie setzte dieselbe, sobald sie bereitet war, auf den Tisch vor ihrem Sohne, mit den Worten des gälischen Dichters: »Ohne tägliche Nahrung steht des Landmanns Pflug in der Furche still, ohne tägliche Nahrung ist das Schwert des Kriegers zu schwer für seine Hand. Unser Leib ist unser Sclav, allein er muß genährt werden, wenn er seinen Dienst vollbringen soll. So sprach in alten Zeiten der blinde Barde zu den Kriegern von Fion.«
Der junge Mann gab keine Antwort, genoß aber die ihm vorgesetzte Nahrung, als wolle er Kraft für das von ihm erwartete Ereigniß erlangen. Als seine Mutter sah, daß er zur Genüge gegessen hatte, füllte sie wieder den verhängnißvollen Becher und überreichte ihn am Schlusse der Mahlzeit. Mit einer krankhaften Bewegung, welche Furcht und Abscheu ausdrückte, stieß er ihn aber zurück.
»Mein Sohn,« sagte sie, »dießmal habt Ihr gewiß keine Ursache zur Furcht.«
»Drängt mich nicht, Mutter,« erwiderte Hamish, »oder thut Gift in eine Flasche, dann will ich trinken; nicht aber will ich aus diesem verruchten Becher und von jenem die Seele zerstörenden Tranke kosten.«
»Wie es Euch beliebt, mein Sohn,« sagte Elspat mit Stolz, und begann mit vieler scheinbaren Emsigkeit die verschiedene häusliche Arbeit, welche während des vergangenen Tages unterbrochen worden war. Was sie auch auf dem Herzen haben mochte, alle ihre Angst schien aus ihrem Blicke und Benehmen verbannt, nur aus der übertriebenen Thätigkeit geräuschvoller Anstrengungen hätte ein schärferer Beobachter erkennen können, daß ihre Handlungen durch eine innere Ursache peinlicher Aufregungen bedingt waren; ein solcher Zuschauer hätte auch bemerken können, daß sie oft die Stellen ihrer Lieder, die sie leise vor sich hin sang, offenbar ohne zu wissen, was sie that, plötzlich abbrach, um einen hastigen Blick aus der Thür der Hütte zu richten. Von welcher Art auch die Stimmung des Hamish sein mochte, so war sein Benehmen ganz das Gegentheil desjenigen seiner Mutter. Nachdem er seine Waffen gereinigt und in Stand gesetzt hatte, was er in der Hütte ausführte, setzte er sich an die Thüre und überwachte den gegenüberliegenden Berg wie eine Schildwacht, welche die Annäherung eines Feindes erwartet. Der Mittag hatte ihn in derselben unveränderten Stellung gefunden, als seine Mutter eine Stunde nach dieser Tageszeit neben ihm stehend, die Hand auf seine Schulter legte und mit gleichgültigem Tone, als spreche sie von einem freundschaftlichen Besuch, die Frage an ihn richtete: »Wann erwartest du sie?«
»Sie können nicht eher hier sein, als bis der Schatten des Abends auf den Osten fällt,« erwiderte Hamish, »d. h. sogar wenn die nächste Abtheilung, vom Sergeanten Allan Breack Cameron befehligt, aus Dunbarton hieher geschickt wird, was sehr wahrscheinlich ist.«
»So tritt noch einmal unter deiner Mutter Dach, theile das letzte Mal noch die Nahrung, die sie bereitet hat; dann laß sie kommen, und du wirst sehen, ob deine Mutter ein nutzloses lästiges Ding in den Tagen des Kampfes ist. Deine Hand, so geübt sie ist, kann nicht diese Gewehre so schnell abfeuern, als ich sie zu laden vermag, und wenn es nothwendig ist, so fürchte ich selbst nicht den Blitz mit dem Knall, und mein Schuß galt als tödtlich.«
»In des Himmels Namen, Mutter, mischt Euch nicht in diese Angelegenheit,« sagte Hamish. »Allan Breack ist ein kluger und gütiger Mann und stammt aus gutem Geschlecht. Vielleicht kann er mir im Namen unserer Offiziere versprechen, daß sie keine beschimpfende Strafe über mich verhängen, und ich muß mich glücklich schätzen, wenn sie mir Einsperrung im Gefängniß oder den Tod durch die Kugel zuerkennen.«
»Und du willst ihrem Worte trauen, thörichter Knabe? Bedenke, das Geschlecht von Diarmid redete stets in schönen und falschen Worten; sobald sie Fesseln um deine Hände gelegt haben, werden sie deine Schultern mit der Geisel zerreißen.«
»Spart Euren Rath, Mutter,« sagte Hamish mit finsterem Ausdruck, »meine Seele ist entschlossen.«
Obgleich Hamish so redete, um der ihn gleichsam zu Tode hetzenden Aufreizung seiner Mutter zu entgehen, hätte er dennoch in dem Augenblick unmöglich sagen können, zu welchem Verfahren er sich bestimmt entschlossen habe. Nur über einen Punkt war er entschieden, nämlich sein Schicksal zu erwarten, von welcher Art es auch sein mochte, und den Bruch seines Wortes, dessen er sich unwillkürlich schuldig gemacht hatte, nicht dadurch zu erschweren, daß er noch einen Versuch, um der Strafe zu entgehen, hinzufügte. Er erkannte, daß dieß Verfahren der Selbstaufopferung seiner eigenen Ehre, sowie der seiner Landsleute gebühre. Welchem seiner Kameraden würde man jetzt noch trauen, könnte man ihn als einen Wortbrüchigen betrachten, welcher das Vertrauen seiner Offiziere getäuscht habe? Werden nicht die Galen Hamish Bean Mac Tavish anklagen, daß er den Argwohn bestätigt habe, welchen der sächsische General, wie man wußte, gegen die Zuverlässigkeit der Hochländer hegte? Er war deßhalb fest entschlossen, sein Schicksal zu erwarten, ob er aber die Absicht hegte, sich der zu seiner Verhaftung abgesandten Abtheilung friedlich zu überliefern, oder aber dieselbe durch scheinbaren Widerstand zu seiner augenblicklichen Tödtung aufreizen wollte, war eine Frage, welche er sich selbst nicht hätte beantworten können. Sein Wunsch, Barcaldine zu sehen und die Ursache seiner Abwesenheit zur festgesetzten Zeit ihm darzulegen, trieb ihn zu dem einen Verfahren hin; seine Furcht vor beschimpfender Strafe und vor den bittern Vorwürfen seiner Mutter reizten ihn stark zu letzterem und gefährlicherem Zwecke. Er überließ es dem Zufall, wenn die Entscheidung kommen würde, auch trat die erwartete Katastrophe bald für ihn ein.
Der Abend nahte, die riesenhaften Schatten der Berge strömten dunkel nach Osten, während ihre westlichen Gipfel in Scharlach und Gold erglänzten. Die Straße, welche sich um den Ben Cruachan windet, war von der Thüre der Hütte aus vollkommen sichtbar, als eine Abtheilung von fünf hochländischen Soldaten, deren Waffen im Sonnenschein strahlten, plötzlich vom entferntesten Ende der Heerstraße her sichtbar wurde, wo dieselbe hinter dem Berge hervor kömmt. Einer aus der Abtheilung ging Vieren voran, welche in regelmäßiger Linie der militärischen Disciplin marschirten. Es herrschte kein Zweifel, nach den von ihnen getragenen Gewehren, Mänteln und Mützen, daß sie zu Hamish's Regiment gehörten und von einem Unteroffizier befehligt wurden; ebenso gewiß war der Zweck ihrer Erscheinung an den Ufern des Loch Awe.
»Sie kommen schnell vorwärts,« sagte die Wittwe Mac Tavish Mhor, »ich werde mich wundern, wie schnell oder wie langsam einige von ihnen heimkehren werden! Es sind ihrer aber fünf und das ist zu viel für einen offenen Kampf. Geht in die Hütte zurück, mein Sohn und schießt aus der schmalen Fensteröffnung neben der Thüre. Zwei könnt ihr erschießen bevor sie von der Landstraße in den Fußpfad einbiegen, dann sind nur noch drei übrig. Euer Vater hat mit meiner Hülfe oft einer solchen Anzahl Widerstand geleistet.«
Hamish Bean nahm die von seiner Mutter gereichte Flinte, wagte sich aber nicht von der Thüre weg. Er wurde bald von der Abtheilung der Landstraße erblickt, wie sich daraus ergab, daß sie ihren Schritt bis zum Lauf beschleunigte; die Reihe hielt jedoch zusammen, wie zusammengekoppelte Hühnerhunde, während sie mit großer Geschwindigkeit vordrangen. In weit weniger Zeit, als Soldaten dazu gebraucht haben würden, welche an ein Gebirgsleben nicht gewohnt waren, hatten sie die Landstraße verlassen, den engen Pfad überschritten und sich der Hütte auf Pistolenschußweite genähert, in deren Thüre Hamish, wie eine Statue mit dem Gewehr in der Hand stand, während seine Mutter hinter ihm befindlich und beinahe wahnsinnig durch die Heftigkeit ihrer Leidenschaften ihm mit den stärksten Ausdrücken, welche die Verzweiflung nur ersinnen konnte, Mangel an Entschlossenheit vorwarf. Ihre Worte steigerte das bittere Gefühl, welches sich in der Brust des jungen Mannes erhob, als er die unfreundschaftliche Eile bemerkte, womit seine kürzlichen Kameraden auf ihn eindrangen, wie Hunde über den sich stellenden Hirsch herfallen. Die unbezähmte und heftige Leidenschaft, sein Erbtheil von Vater und Mutter, erwachte bei der vermeintlichen Feindlichkeit derer, welche ihn verfolgten; der Zwang, welchen sein nüchternes Urtheil bis dahin über dieselbe geübt hatte, begann allmälig zu weichen. Der Sergeant rief ihm zu: »Hamish Bean Mac Tavish, legt Eure Waffen nieder und ergebt Euch.«
»Bleibt stehen, Allan Breack Cameron, und gebt Euren Leuten Befehl stillzustehen, oder es gereicht uns Allen zum Unglück.«
»Halt!« kommandirte der Sergeant seinen Leuten, ging aber selbst weiter voran. »Hamish, bedenkt was Ihr thut und überliefert Euer Gewehr; Ihr könnt Blut vergießen aber der Strafe nicht entgehen.«
»Die Geißel, die Geißel! mein Sohn, hüte dich vor der Geißel!« flüsterte seine Mutter.
»Hütet Euch, Allan Breack!« sagte Hamish, »ich mögte Euch nicht gern freiwillig Schaden thun, aber ich will mich nicht gefangen nehmen lassen, wenn Ihr mir nicht Sicherheit gegen die sächsische Peitsche gewähren könnt?«
»Thor,« erwiederte Cameron, »Ihr wißt, daß ich dies nicht vermag, aber Alles, was ich kann, will ich für Euch thun. Ich will sagen, daß ich Euch auf Eurer Rückkehr begegnete, und die Strafe wird nur leicht sein. Gebt aber Euer Gewehr ab; vorwärts ihr Leute!« Er drang sogleich vorwärts, indem er seinen Arm ausstreckte, als wolle er das angelegte Gewehr des jungen Mannes bei Seite schieben. Elspat rief aus: »jetzt schont nicht Eures Vaters Blut, um Eures Vaters Herd zu vertheidigen!« Hamish gab Feuer und Cameron stürzte todt zu Boden. – Alles dies ereignete sich gewissermaßen in demselben Augenblick. Die Soldaten stürzten vorwärts und ergriffen Hamish, welcher über seine That versteinert schien und nicht den geringsten Widerstand leistete. Nicht so seine Mutter. Als sie sah, daß die Soldaten ihrem Sohn Handschellen anlegen wollten, warf sie sich auf dieselben mit solcher Wuth, daß zwei Mann sie halten mußten, während die Uebrigen den Gefangenen in Sicherheit brachten.
»Seid Ihr nicht ein verfluchtes Geschöpf,« sagte Einer der Soldaten zu Hamish, daß Ihr Euren besten Freund getödtet habt, welcher auf dem ganzen Marsche an nichts weiter dachte, als wie er Euch von der Strafe für Eure Desertion befreien könne?«
»Hört ihr das, Mutter?« sagte Hamish, indem er sich in so weit zu ihr hinwandte, als seine Fesseln es ihm gestatteten; allein die Mutter hörte nichts und sah nichts; sie war in Ohnmacht auf den Boden ihrer Hütte gesunken. Ohne zu warten bis sie wieder das Bewußtsein erlange, trat die Abtheilung beinahe sogleich mit ihrem Gefangenen den Marsch nach Dunbarton an. Sie hielt es jedoch für nothwendig, wenige Zeit im Dorfe Dalmally zu bleiben, von wo sie einige Einwohner abschickte, um den Leichnam ihres unglücklichen Führers fortzubringen, während sie sich selbst zum Friedensrichter begab, um den Vorgang anzuzeigen und denselben um Anweisungen über ihr weiteres Verfahren zu ersuchen. Da das Verbrechen militärischer Art war, erhielten die Soldaten von demselben den Auftrag, ohne Verzug den Gefangenen nach Dunbarton zu bringen.
Die Ohnmacht der Mutter von Hamish währte lange Zeit, vielleicht um so länger, weil ihre Körperkräfte, so groß sie auch sein mochten, durch ihre vorhergehende dreitägige Erregung sehr erschöpft sein mußten. Sie wurde zuletzt aus ihrer Erstarrung durch weibliche Stimmen erweckt, welche den Coronach oder die Todtenklage mit klatschenden Händen und lauten Ausrufungen schrieen, während von Zeit zu Zeit die traurige Melodie eines dem Clan Cameron eigenthümlichen Klageliedes, auf dem Dudelsack gespielt, ertönte.
Elspat fuhr empor, als erwache sie von den Todten, ohne genaue Erinnerung des Auftritts, welcher vor ihren Blicken sich ereignet hatte. Weiber waren in der Hütte, welche den Leichnam in dessen blutigen Mantel hüllten, bevor sie ihn von dem verhängnißvollen Orte wegtrugen. »Weiber,« sagte sie, indem sie auffuhr und zugleich deren Gesang sowie deren Arbeit unterbrach – sagt mir, Weiber, singt ihr das Todtenlied von Mac Dhonuil Dhu im Hause von Mac Tavish Moor?«
»Wölfin, schweige, mit deinem unheilvollen Geheul.« erwiederte eines der Weiber, eine Verwandte des Vorstorbenen, »laß uns unsere Pflicht unserem geliebten Verwandten erweisen; nie wird ein Coronach gerufen oder ein Klagelied für dich oder deinen blutigen Wolf gespielt werden. Die Raben werden ihn am Galgen fressen, und die Füchse und wilden Katzen werden deinen Leichnam auf den Bergen zerreißen. Verflucht sei der, welcher deine Gebeine segnen oder einen Stein zu deinem Leichenhügel hinzufügen wird!«
»Tochter einer albernen Mutter,« erwiderte die Wittwe von Mac Tavish Moor, »wisset, daß der Galgen, womit Ihr uns droht, kein Theil unseres Erbes ist. Dreißig Jahre lang hungerte der schwarze Baum des Gesetzes, dessen Aepfel die Leichen sind, nach dem geliebten Gatten meines Herzens; er starb aber wie ein tapferer Mann mit dem Degen in der Hand und betrog ihn um seine Hoffnung und seine Frucht.«
»So wird nicht das Schicksal deines Kindes sein, blutige Hexe,« erwiderte die Trauernde, deren Leidenschaften ebenso heftig waren, als die der Elspat, »die Raben werden sein schönes Haar zerreißen, um ihre Nester zu füttern, bevor die Sonne unter den Treshornish-Inseln niedersinkt.«
Diese Worte erinnerte Elspat an die ganze Geschichte der letzten drei furchtbaren Tage. Zuerst stand sie erstarrt, als ob ihr äußerster Schmerz sie in Stein verwandelt habe; eine Minute später ward sie durch den Stolz und die Heftigkeit ihrer Leidenschaft, da sie nach ihrer Meinung an ihrer eigenen Schwelle im Trotz Überboten war, nun zu der Antwort befähigt: »Ja, schmähende Hexe, mein schönhaariger Knabe mag sterben, allein nicht wird er sterben mit weißer Hand – sie wurde mit dem Blute seines Feindes, mit dem besten Blute eines Cameron gefärbt! Bedenke das, und wenn ihr euren Todten in sein Grab legt, so sei es seine beste Grabschrift, daß er von Hamish Bean getödtet ist, weil er die Hand an den Sohn von Mac Tavish Moor an dessen eigener Schwelle zu legen versuchte. Lebt wohl – die Schande der Niederlage, des Verlustes und des Blutvergießens bleibt bei dem Clan, der dieses erlitt!«
Die Verwandte des getödteten Cameron erhob ihre Stimme zur Antwort, Elspat jedoch verachtete die gegenseitige Fortsetzung der Schmähungen, oder fühlte vielleicht, daß ihr Gram ihr Vermögen, Zorn auszudrücken, überwältigen könne; sie verließ die Hütte und ging fort in dem glänzenden Mondschein.
Die Weiber, die sich am Leichnam des Ermordeten beschäftigten, sprangen auf von ihrer schmerzlichen Arbeit, um der schlanken Gestalt nachzublicken, als dieselbe unter den Klippen dahinglitt. »Es ist mir lieb, daß sie fort ist,« sagte Eine der jüngeren Frauen, »ich mögte ebenso gern einen Leichnam zurichten, wenn der böse Feind selbst – Gott segne uns – sichtbar vor und stünde, als wenn Elspat vom Baume unter uns wäre. Ja, ja, sie hat zu ihrer Zeit viel zu viel Verkehr mit dem Teufel gehabt.«
»Albernes Weib,« erwiderte die Frau, welche das Gespräch mit der fortgegangenen Elspat unterhalten hatte, »glaubst du, daß es einen schlimmeren Feind auf Erden oder unter derselben, als den Stolz und die Wuth eines beleidigten Weibes, wie dort jener blutigen Hexe giebt? Wisse, daß sie an Blut ebenso gewöhnt ist, wie ein Maaslieb an Thau. Sie hat den Tod von manchem braven Mann wegen geringer Beleidigung veranlaßt, die ihr und den Ihrigen erwiesen war, aber ihre Knieflechsen sind durchhauen, da ihre Wolfsbrut als Mörder den Tod des Mörders erleiden muß.«
Während die Weiber sich so unterredeten, als sie am Leichnam von Allan Breack Cameron wachten, setzte die unglückliche Ursache seines Todes ihren einsamen Pfad auf dem Gebirge fort. So lange sie die Hütte erblicken konnte, that sie sich einen starken Zwang an, damit keine ihrer Feindinnen durch ihre Veränderung in Schritt oder Bewegung Ursache zum Frohlocken habe, wenn das Uebermaß ihrer geistigen Aufregung oder vielmehr Verzweiflung berechnet würde. Sie ging deßhalb eher mit langsamen als mit schnellen Schritten, und schien mit aufrechter Haltung das erlittene Unglück zu ertragen, sowie dem zukünftigen Trotz zu bieten. Als sie aber von denen, die in der Hütte blieben, nicht mehr erblickt werden konnte, vermogte sie den äußersten Grad ihrer Bekümmerniß nicht länger unterdrücken. Ihren Mantel in wilder Weise um sich schlagend, hielt sie an der ersten Anhöhe, erklomm deren Gipfel, breitete ihre Arme nach dem Monde hin aus, als fluche sie dem Himmel und der Erde wegen ihres Unglücks, und ließ ihr wiederholtes Geschrei wie ein Adler ertönen, dessen Brut aus seinem Neste geraubt ist. Einige Zeit lang machte sie ihren Gram in diesen unartikulirten Tönen Luft, dann stürzte sie mit hastigen und ungleichen Schritten weiter fort, in der eitlen Hoffnung, die Abtheilung einzuholen, welche ihren Sohn als Gefangenen nach Dunbarton brachten. Allein ihre Kraft, so übermenschlich sie auch schien, ging ihr bei dem Versuche aus; es war bei äußerster Anstrengung für sie unmöglich, ihren Zweck zu erreichen.
Dennoch ging sie immer vorwärts mit aller Schnelligkeit, deren ihr erschöpfter Leib fähig war. Als Nahrung für sie unvermeidlich wurde, trat sie in die erste Hütte mit den Worten: »gebt zu essen, ich bin die Wittwe von Mac Tavish Moor, ich bin die Mutter von Mac Hamish Bean – gebt mir zu essen, damit ich noch einmal meinen schönhaarigen Sohn sehen kann.« Die Bitte wurde nicht verweigert, obgleich dieselbe oft mit einer Art Kampf zwischen Mitleid und Abneigung von Einigen, an welche sie sich wandte, und von Anderen aus einiger Furcht gewährt ward. Der Antheil, den sie an der Veranlassung des Todes von Allan Breack Cameron hatte, welcher nothwendig den ihres eigenen Sohnes nach sich ziehen mußte, war nicht genau bekannt; jedoch wegen der Kenntniß ihrer heftigen Leidenschaften und früheren Gewohnheiten hegte Niemand Zweifel, daß sie in der einen oder andern Weise die Ursache des unglücklichen Ereignisses war, und Hamish Bean galt hinsichtlich des von ihm begangenen Todtschlages eher als das Werkzeug denn als der Mitschuldige seiner Mutter.
Diese allgemeine Meinung seiner Landsleute war dem unglücklichen Hamish nur von wenig Nutzen. Da sein Hauptmann, Green Colin, die Sitten und Gewohnheiten seines Vaterlandes kannte, so war es ihm leicht, von Hamish alle Einzelnheiten seiner angeblichen Desertion und des darauf folgenden Todes des Unteroffiziers herauszubringen. Er fühlte das äußerste Mitleiden für einen jungen Mann, welcher so als das Opfer der übertriebenen und verhängnißvollen Liebe seiner Mutter gefallen war. Er konnte aber keine Entschuldigung vorbringen, die seinen unglücklichen Rekruten von der Todesstrafe hätte retten können, welche die Militärdisciplin und der Spruch eines Kriegsgerichtes wegen des von ihm begangenen Verbrechens gegen ihn verhängte.
Das gerichtliche Verfahren ward sogleich eingeleitet, und nur ein geringer Zeitraum fand zwischen dem Urtheil und der Hinrichtung statt. – Der General war entschlossen, ein strenges Beispiel am ersten Deserteur zu geben, welcher in seine Hände falle, und jetzt bot sich ihm der Fall eines solchen, welcher sich ohnedem mit Gewalt vertheidigt, und den Offizier, welcher ihn gefangen nehmen sollte, erschossen hatte. Ein mehr geeigneter Gegenstand der Strafe konnte nicht eintreten, und Hamish wurde zur unmittelbaren Hinrichtung verurtheilt. Das Einschreiten seines Hauptmanns zu seinen Gunsten konnte nur den Tod eines Soldaten für ihn erwirken; man hatte nämlich beabsichtigt, ihn am Galgen hinzurichten.
Der würdige Geistliche von Glenorquhy befand sich zufällig in Dunbarton wegen einer kirchlichen Versammlung zur Zeit als diese Katastrophe eintrat; er besuchte das unglückliche Mitglied seiner Gemeinde in seinem Gefängniß, und fand, daß der junge Mann zwar unwissend, nicht aber verstockt war. Die Antworten, die er von ihm erhielt, als er sich über religiöse Gegenstände mit ihm unterredete, waren solcher Art, daß er zu um so größerem Bedauern veranlaßt wurde, weil eine von Natur so reine und edle Seele unglücklicherweise so wild und ungebildet geblieben war.
Als der würdige Pfarrer sich von dem guten Charakter des jungen Mannes überzeugt hatte, machte er sich herbe und heimliche Vorwürfe über seine eigene Blödigkeit und Furchtsamkeit, welche aus dem üblen Ruf der Verwandtschaft von Hamish hervorgegangen, ihn an der barmherzigen Bemühung verhindert hatte, dieß verirrte Schaf zur großen Heerde zurückzuführen. Während der gute Geistliche seine Feigheit vergangener Zeiten tadelte, wodurch er abgeschreckt worden war, seine Person zu wagen, um vielleicht eine unsterbliche Seele zu retten, beschloß er, sich nicht länger durch solche furchtsame Rathschläge leiten zu lassen, sondern durch sein Gesuch bei den Offizieren sich zu bemühen, ob er wenigstens keine Aufschiebung oder Verzögerung, wo nicht eine Erlassung der Strafe für den Verbrecher erlangen könne, für welchen er sowohl wegen seiner Gelehrigkeit als wegen der Großmuth seines Charakters eine ungewöhnliche Theilnahme empfand.
Somit machte der Geistliche dem Kapitän Campbell in den Kasernen der Garnison einen Besuch. Auf der Stirne von Green Colin ruhte eine finstere Schwermuth, welche sich nicht minderte, sondern steigerte, als der Pfarrer seinen Namen, Stand und sein Gesuch sagte. »Ihr könnt mir nichts Besseres von dem jungen Manne sagen, als ich selbst zu glauben vollkommen geneigt bin,« erwiderte der hochländische Offizier; »Ihr könnt mich nicht ersuchen, mehr für ihn zu thun, als ich aus eigenem Antriebe thun mogte und schon gethan habe, allein Alles ist vergeblich. Der General ist halb ein Niederländer, halb ein Engländer; er hat keinen Begriff von dem hohen und enthusiastischen Charakter, welcher in diesen Bergen oft hohe Tugenden in Verbindung mit großen Verbrechen bringt, die übrigens weniger Vergehen des Herzens als Irrthümer des Verstandes sind. Ich bin so weit gegangen, ihm zu sagen, daß er in diesem jungen Manne den besten und tapfersten meiner Compagnie hinrichten lasse, worin Alle oder wenigstens beinahe Alle gut und tapfer sind. Ich habe ihm dargelegt, durch welchen sonderbaren Betrug die scheinbare Desertion des Verbrechers veranlaßt wurde, und wie wenig sein Herz an der Missethat betheiligt ist, welche seine Hand unglücklicherweise vollbracht hat. Seine Antwort war, ›dieß ist wieder hochländischer Gespensterglaube, Kapitän Campbell; es ist eben so ungenügend und eitel wie das zweite Gesicht; eine Handlung der gröbsten Desertion ließe sich in jedem Fall eben so gut durch einen Rausch beschönigen, und die Ermordung eines Offiziers eben so leicht mit augenblicklichem Wahnsinn vertheidigen. Das Beispiel muß gegeben werden, und trifft es einen sonst guten Rekruten, so wird der Eindruck um so größer sein.‹ – Da dieß einmal des Generals unwandelbare Ansicht ist, fuhr Kapitän Campbell mit einem Seufzer fort, so sei es Eure Sorge, ehrwürdiger Herr, den jungen Verbrecher auf morgen früh zu der großen Veränderung vorzubereiten, der wir sämmtlich früher oder später uns unterwerfen müssen.«
»Und für welche,« sagte der Geistliche, »Gott uns sämmtlich vorbereiten möge, so wie ich, nach meiner Pflicht, diesem armen Jüngling meinen letzten Beistand leisten werde.«
Am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen die grauen Thürme begrüßten, welche die Gipfel jenes eigenthümlich gestalteten und furchtbaren Felsens krönen, erschienen die Soldaten des neuen hochländischen Regimentes im Schloß zu Dunbarton auf der Parade, und begannen, nachdem sie ihre Reihen gebildet hatten, die steilen Treppen und engen Durchgänge nach dem äußersten Thore hinabzurücken, welches am Fuße des Felsen liegt. Die wilden Töne eines hochländischen Kriegsgesanges wurden zu Zeiten vernommen, und wechselten mit den Tönen der Trommeln und Pfeifen im Todtenmarsche.
Das Schicksal des unglücklichen Verbrechers erregte anfangs im Regimente nicht das allgemeine Mitgefühl, welches wahrscheinlich entstanden wäre, hätte die Hinrichtung nur wegen Desertion stattgefunden. Die Tödtung des unglücklichen Allan Breack hatte dem Vergehen von Hamish eine andere Färbung ertheilt; denn der Verstorbene war sehr geliebt und gehörte außerdem zu einem zahlreichen und mächtigen Clan, aus welchem sich viele Mitglieder in den Reihen des Regiments befanden. Der unglückliche Verbrecher im Gegentheil war nur wenig bekannt, und stand kaum mit irgend einem seiner Kameraden in Verbindung. Sein Vater hatte sich allerdings durch Kraft und Mannheit ausgezeichnet, allein er gehörte zu einem gebrochenen Clan, wie diejenigen genannt wurden, welche keine Häuptlinge, um dieselben in den Krieg zu führen, besaßen.
Es wäre beinahe in einem andern Fall unmöglich gewesen, aus den Reihen des Regimentes die für Ausführung des Urtheils nothwendige Abtheilung auszuwählen, allein die zu dem Zweck gewählten sechs Soldaten waren Verwandte des Verstorbenen, welche mit ihm vom Geschlechte des Mac Dhonuil Dhu stammten. Während sie sich für die traurige Aufgabe vorbereiteten, welche ihre Pflicht ihnen auferlegte, geschah dieß nicht ohne ein Gefühl befriedigter Rachsucht. Die erste Compagnie des Regimentes begann aus dem äußersten Thore zu defiliren, und die andern folgten, indem sie sich dem Befehl des Adjutanten gemäß bewegten und Halt machten, so daß sie drei Reihen eines länglichen Vierecks mit einwärts gekehrter Front bildeten. Die vierte Seite des Vierecks wurde von dem großen und hohen Abgrund geschlossen, auf welchem das Schloß sich erhebt; in der Mitte des Zuges ging mit unbedecktem Haupte entwaffnet und mit gefesselten Händen das unglückliche Opfer des Militärgesetzes. Hamish war leichenblaß, allein sein Schritt war fest und sein Auge so glänzend wie jemals. Der Geistliche ging ihm zur Seite; der Sarg, welcher seine sterblichen Reste empfangen sollte, wurde vor ihm hergetragen. Die Blicke seiner Kameraden waren ernst, gefaßt und feierlich. Sie fühlten für den Jüngling, dessen schöne Gestalt und männliches, wenn auch unterwürfiges Benehmen, so bald er erblickt wurde, die Herzen von Manchen, sogar von solchen milder gestimmt hatte, welche durch rachsüchtige Gefühle aufgeregt waren.
Der für den jetzt noch lebenden Leib von Hamish Bean bestimmte Sarg wurde am Ende des hohen Vierecks, ungefähr zwei Ellen vom Fuße des Abgrundes aufgestellt, welcher sich an jenem Ort so steil wie eine steinerne Mauer drei- bis vierhundert Fuß erhebt; dorthin ward auch der Gefangene geführt; der Geistliche stand noch an seiner Seite, und gab ihm Ermahnungen des Muthes und des Trostes, worauf der Jüngling mit achtungsvoller Andacht zu hören schien. Mit langsamen und wie es schien beinahe unwilligen Schritten betrat die zum Feuern bestimmte Abtheilung das Viereck, und wurde vor dem Gefangenen ungefähr in der Entfernung von zehn Ellen aufgestellt. Der Geistliche war im Begriff, sich zurückzuziehen; »gedenkt, mein Sohn,« sprach er, »Dessen, was ich Euch sagte, und laßt Eure Hoffnung auf dem Anker ruhen, den ich Euch gegeben habe; Ihr werdet alsdann ein kurzes und elendes Dasein hier auf Erden mit einem Leben vertauschen, in welchem Ihr Kummer und Leid nicht mehr erfahren könnt. Gibt es noch etwas, was auszuführen Ihr mir vertrauen könnt?«
Der Jüngling blickte auf seine Aermelknöpfe. Sie waren von Gold; vielleicht eine Beute, welche sein Vater während des Bürgerkriegs einem englischen Offizier abgenommen hatte. Der Geistliche lösete sie von seinen Aermeln.
»Meine Mutter,« sagte er mit einiger Anstrengung, »gebt sie meiner armen Mutter, besucht sie, guter Vater, und belehrt sie über dasjenige, was sie über alle diese Vorgänge glauben muß. Sagt ihr, Hamish sterbe mit größerer Freude, als er sich je nach der längsten Jagd zur Ruhe begab. Lebt wohl, Herr, lebt wohl!«
Der gute Mann konnte sich kaum von dem verhängnißvollen Platz entfernen; ein Offizier lieh ihm die Stütze seines Arms; als er auf Hamish zum letzten Male blickte, sah er ihn noch lebendig am Sarge knieen; die Wenigen, welche ihn umringten, hatten sich entfernt. Der verhängnißvolle Befehl ward gegeben, der Felsen hallte wider von dem Schall der Flintensalve, Hamish stürzte vorwärts mit einem Gestöhn, und starb wahrscheinlich ohne ein Gefühl vorübergehenden Todesschmerzes.
Zehn oder Zwölf seiner Compagnie traten alsdann herbei und legten mit feierlicher Ehrerbietung den Leichnam ihres Kameraden in den Sarg, während der Todtenmarsch wieder geschlagen wurde und die verschiedenen Compagnien in einzelnen Reihen nach einander bei dem Sarg vorbei zogen, damit Alle aus dem furchtbaren Schauspiel die Warnung erhielten, welche dasselbe zu geben bestimmt war. Das Regiment marschirte alsdann von dem Platze hinweg, und stieg wieder die alte Klippe hinan, wobei seine Musik, wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, lebhafte Melodien spielte, als ob der Kummer oder sogar ein schwermüthiger Gedanke so kurz wie möglich im Herzen eines Soldaten verweilen dürfe.
Zu gleicher Zeit trug die kleine, vorher erwähnte Abtheilung die Todtenbahre des unglücklichen Hamish, zu dessen demüthigem Grabe in einem Winkel des Kirchhofes von Dunbarton, welcher Verbrechern gewöhnlich zugewiesen wurde. Hier ruht unter den Schuldigen ein Jüngling, dessen Name, wenn er das Unheil der verhängnißvollen Ereignisse überlebt hätte, durch die er zum Verbrechen getrieben ward, die Berichte der tapferen brittischen Armee geschmückt haben würde.
Der Pfarrer von Glenorquhy verließ sogleich Dunbarton, als er Zeuge des letzten Auftritts dieser traurigen Katastrophe gewesen war. Seine Vernunft erkannte die Gerechtigkeit des Urtheils, welches Blut für Blut erheischte, und er begriff, daß der rachsüchtige Charakter seiner Landsleute eines starken Zwanges der Gesetze bedürfe. Dennoch betrauerte er den Tod des einzelnen Opfers. Wer vermag dem Donnerkeil des Himmels seine Richtung zu geben, wenn er unter die Bäume des Waldes herabfährt? Wer aber kann ein Bedauern unterdrücken, wenn er zum Gegenstand seines vernichtenden Zieles den schönen Stamm einer jungen Eiche wählte, welche die Zierde des Thales, worin sie grünte, zu sein verhieß? Als er über die traurigen Ereignisse nachsann, gerieth er gegen Mittag in die Gebirgspässe, auf welchen er zu seiner noch entfernten Wohnung zurückkehren wollte.
Auf seine Kenntniß des Landes vertrauend, hatte der Geistliche die Hauptstraße verlassen, um einen jener kürzeren Wege aufzusuchen, welche nur von Fußgängern oder von Leuten gewählt werden, die wie der Geistliche auf einem der kleinen aber mit sicherem Tritt begabten starken und scharfsinnigen Pferde des Landes reiten. Der Ort, den er jetzt durchzog, war finster und einsam; die Volkssage hatte den Schrecken des Aberglaubens hinzugefügt, da nach derselben ein böser Geist, »Rothmantel« genannt, welcher zu allen Zeiten, besonders aber um Mittag und Mitternacht, den Menschen wie der Thierschöpfung feindlich, das Thal durchzog, alles Böse, was in seiner Macht lag, vollbrachte, und wenigstens diejenigen, denen er sonst nicht schaden durfte, mit grauenhaftem Schrecken erfüllte.
Der Pfarrer von Glenorquhy hatte stets manchen abergläubischen Vorstellungen entgegen gewirkt, von denen er mit Recht die Meinung hegte, daß sie aus den finsteren Zeiten des Pabstthums oder sogar des Heidenthums stammten, und von Christen einer aufgeklärten Zeit nicht gehegt oder geglaubt werden dürften. Einige der ihm am meisten anhänglichen Mitglieder seiner Gemeinde waren der Meinung, daß er zu unvorsichtig dem Glauben ihrer Väter entgegen trete; obgleich sie die moralische Unerschrockenheit ihres Seelenhirten ehrten, konnten sie sich der von ihnen ausgesprochenen Besorgniß nicht erwehren, er werde eines Tages als Opfer seiner Verwegenheit fallen, und im Thale des Rothmantels oder in einer anderen unheimlichen Wildniß zerrissen werden, hinsichtlich deren er seinen Stolz darauf zu setzen und Vergnügen darin zu finden schien, daß er sie allein an den Tagen und den Stunden durchwandelte, an welchen die bösen Geister besondere Gewalt über Menschen und Thiere haben sollten.
Diese Sagen fielen dem Geistlichen ein; so einsam er war, ruhte ein schwermüthiges Lächeln auf seiner Wange, als ihm der Widerspruch in der menschlichen Natur in den Sinn kam, und als er bedachte, wie viel tapfere Hochländer, welche der gelle Schall des Schlachtliedes Bajonetten entgegen gesandt haben würde, eben so, wie der wilde Stier auf seinen Feind losstürzt, dennoch vielleicht jene eingebildeten Schrecken befürchtet hätten, denen er selbst, ein Mann des Friedens, welcher in gewöhnlichen Gefahren durchaus nicht mit jener Festigkeit der Nerven begabt war, sich jetzt ohne alles Bedenken aussetzte.
Als er in der öden Gegend sich umsah, mußte er selbst anerkennen, daß dieselbe als Aufenthaltsort jener Geister nicht übel gewählt war, die an Einsamkeit und Verödung Entzücken haben sollten. Das Thal war so steil und eng, daß gerade noch genug Raum für wenige zerstreute Strahlen der Mittagsonne übrig blieb, um auf den dunklen und kleinen Bach zu fallen, welcher meist schweigend und gelegentlich gegen die Felsen und breiten Steine murmelnd, hindurch floß, die entschlossen schienen, seine weitere Strömung zu hemmen. Im Winter oder in der Regenzeit war dieser kleine Bach ein schäumender Gebirgsstrom furchtbarer Größe, und es war zu solchen Zeiten geschehen, daß er das breite und große Felsstück durchbrochen und bloßgelegt hatte, welches zur Jahrszeit, wovon wir reden, seinen Lauf dem Auge verbarg und beinahe gänzlich zu unterbrechen schien. »Ohne Zweifel,« dachte der Geistliche, »hat dieser Gebirgsbach, durch einen Wolkenbruch oder ein Gewitter plötzlich angeschwellt, jene Unglücksfälle veranlaßt, die in diesem nach ihm benannten Thale der Wirksamkeit des Rothmantels zugeschrieben wurden.«
Gerade als ihm dieser Gedanke durch den Sinn kam, hörte er eine weibliche Stimme, welche mit wildem und gellem Tone ausrief: »Michael Tyrie!« er sah sich erstaunt und nicht ohne Besorgniß um. Einen Augenblick schien es ihm, als stehe der böse Geist, dessen Dasein er geläugnet hatte, im Begriff ihm zu erscheinen, um ihn wegen seines Unglaubens zu bestrafen. Diese Besorgniß währte aber nur einen Augenblick, und verhinderte ihn nicht an der mit fester Stimme gegebenen Antwort: »Wer ruft mir und wer seid Ihr?«
»Jemand, welcher im Elend zwischen Leben und Tod wandelt,« erwiderte die Stimme, und eine große Frau trat unter den Steinblöcken hervor, welche sie vor seinen Blicken versteckt hatte.
Als sie näher trat, hätte ihr Mantel von hellem, gewürfeltem Zeug, worin die rothe Farbe vorherrschte, nebst ihrer Gestalt, den langen Schritten, womit sie vortrat, den zuckenden Gesichtszügen und den wilden Augen, die unter ihrem Kopftuch sichtbar waren, die Vorstellung erwecken können, es sei der Geist, welcher dem Thal den Namen gab. Allein Herr Tyrie erkannte sie sogleich als das Weib des Baumes, die Wittwe von Mac Tavish Mhor, die jetzt kinderlose Mutter von Hamish Bean. – Ich weiß nicht, ob der Pfarrer die Erscheinung des Rothmantels selbst in dem Augenblick nicht lieber hätte ertragen mögen, als den Schrecken der Gegenwart Elspat's in Betracht ihres Verbrechens und ihres Elendes; er hielt sein Pferd instinktartig an, und suchte seine Ideen zu sammeln, während einige Schritte das Weib an seine Seite brachten.
»Michael Tyrie,« sagte sie, »die albernen Weiber des Dorfes verehren dich wie einen Gott, sei mir ein solcher, und sage mir, daß mein Sohn am Leben ist; sage dieß, und ich will zu deinem Glauben übergehen; ich will mein Knie am siebenten Tage im Hause deiner Verehrung beugen und dein Gott soll mein Gott sein.«
»Unglückliches Weib,« erwiderte der Geistliche, »der Mensch schließt keine Verträge mit seinem Schöpfer wie mit einem Geschöpf von Thon, welches wie er selbst geschaffen ist. Glaubst du, mit Ihm markten zu können, welcher die Erde bildete und den Himmel ausbreitete, oder daß du etwas anders als Unterwerfung und Andacht ihm darbieten kannst, was in seinen Augen der Annahme werth wäre? Er hat Gehorsam, keine Opfer verlangt; er will Geduld bei den Prüfungen, womit er uns heimsucht, aber nicht eitle Bestechung, wie sie der Mensch seinem unbeständigen Bruder von Thon anbietet, damit er seinen Zweck aufgebe.«
»Schweig, Priester!« erwiderte das verzweifelnde Weib, »rede nicht mit mir in Worten deines weisen Buches; Elspat's Verwandte waren solche, welche sich bekreuzigten, und niederknieten, wenn die Klingel in der Messe ertönte; sie weiß, daß am Altare Buße für die im Felde vollbrachten Thaten kann gethan werden. Elspat hatte einst Heerden, Ziegen auf den Klippen und Rinder im Thale; sie trug Gold am Hals und im Haar, dicke Geflechte, wie diejenigen, womit die alten Helden sich schmückten. Alles dieß hätte sie bereitwillig dem Priester gegeben; und hätte er den Schmuck einer edlen Dame oder die Börse eines mächtigen Häuptlings gewollt, so würde sie Elspat ihm verschafft haben, wären jene auch so mächtig wie Macallanmore gewesen. Elspat aber ist jetzt arm und hat nichts zu geben. Aber der schwarze Abt von Inchaffray würde ihr geboten haben, ihre Schultern zu geißeln und ihre Füße durch eine Pilgerfahrt wund zu laufen, und er würde ihr Verzeihung gewährt haben, wenn er gesehen hätte, daß ihr Blut floß und daß ihr Fleisch zerrissen war. Dieses waren die Priester, welche sogar Macht über die Mächtigsten besaßen – sie drohten den Gewaltigen der Erde mit den Worten ihres Mundes, dem Spruch ihres Buches, dem Schein ihrer Fackeln, dem Schall ihrer geweihten Klingel. Die Mächtigen beugten sich ihrem Willen, und gaben auf das Wort der Priester diejenigen frei, welche sie in ihrem Grimm gebunden hatten, und sie ließen auch ungekränkt denjenigen ziehen, welcher von ihnen zum Tode verurtheilt war, und nach dessen Blut sie gedürstet hatten. Sie waren ein mächtiges Geschlecht und durften verlangen, daß die Armen knieten, denn ihre Gewalt konnte die Stolzen demüthigen. Aber Ihr! gegen wen seid Ihr stark? nur gegen Weiber, die der Thorheit schuldig waren, und gegen Männer, welche niemals ein Schwert trugen! Die Priester des Alterthums waren wie der Winterstrom, welcher dieß hohle Thal erfüllt und diese gewaltigen Felsen so leicht gegen einander rollt, wie das Kind mit dem Balle spielt, den es vor sich herwirft – aber Ihr! Ihr gleicht nur dem Strom im Sommer, welcher durch Binsen zur Seite gewandt und durch einen Busch von Rohrgras aufgehalten wird; Ihr seid nichts werth, denn von Euch kann man keine Hülfe erlangen!«
Der Geistliche konnte leicht begreifen, daß Elspat den römisch-katholischen Glauben verloren hatte, ohne einen andern zu erlangen, und daß sie noch einen unbestimmten und verwirrten Begriff über die Erlassung der Sünden durch Vermittlung der Priesterschaft mit Beichte, Almosen und Buße, so wie von deren ausgedehnter Gewalt hegte, welche nach ihrer Vorstellung bei gehöriger Verwendung sogar die Sicherheit ihres Sohnes bewirken könnte. Er bemitleidete ihre Lage, trug Rechnung ihren Irrthümern und ihrer Unwissenheit, und erwiderte ihr mit milden Worten:
»Ach, unglückliches Weib! wollte Gott, ich könnte dich so leicht überzeugen, wo du Trost suchen mußt und sicherlich finden kannst, als ich dir mit einem einzigen Worte die Versicherung zu geben vermag, daß Rom und alle seine Priesterschaft, befänden sich beide noch einmal in ihrer vollsten Gewalt, dennoch ungeachtet aller Spenden und Bußen deinem Elende kein Theilchen Hülfe oder Trost verleihen könnten. Elspat Mac Tavish, es schmerzt mich tief, Euch die Nachricht zu hinterbringen –«
»Ich kenne sie ohne deine Rede,« sagte das unglückliche Weib – »mein Sohn ist zum Tode verurtheilt.«
»Elspat,« erwiderte der Geistliche, »er war zum Tode verurtheilt und das Urtheil ist ausgeführt worden.«
Die unglückliche Mutter richtete ihre Augen zum Himmel und stieß einen Schrei aus, welcher der Stimme eines menschlichen Wesens so unähnlich war, daß ein Adler, welcher in der Luft schwebte, ihn eben so beantwortete, wie er den Ruf seines Weibchens erwidert haben würde.
»Es ist unmöglich,« rief sie aus, »die Menschen verurtheilen und tödten nicht an demselben Tage! Du betrügst mich, das Volk nennt dich heilig; hast du den Muth, einer Mutter zu sagen, daß sie ihr eigenes Kind ermordet hat?«
»Gott weiß es,« sagte der Priester, indem ihm die Thränen aus den Augen flossen, »daß ich Euch gerne eine bessere Botschaft brächte, stände dieselbe in meiner Macht – diejenige, welche ich bringe, ist eben so gewiß als unglücklich – meine eigenen Ohren vernahmen den Todesschuß, meine eigenen Augen sahen deines Sohnes Tod – deines Sohnes Begräbniß, meine Zunge bezeugt, was meine Ohren hörten und meine Augen sahen.«
Die unglückliche Wittwe schlug ihre Hände zusammen und hielt sie zum Himmel empor wie eine Sibylle, welche Krieg und Verheerung verkündet, während sie in unmäßiger und furchtbarer Wuth eine Fluth der tiefsten Verwünschungen ausstieß. »Niedriger, sächsischer Grobian,« rief sie aus, »elender heuchlerischer Gaukler, mögen die Augen, welche ruhig auf den Tod meines schönhaarigen Sohnes blickten, in ihren Höhlungen durch unaufhörliche Thränen zerfließen, welche du um Diejenigen vergießen mußt, welche dir am nächsten und theuersten sind! Mögen die Ohren, welche seinen Todesschuß vernahmen, von jetzt an für jeden andern Ton taub sein, als das Gekrächze der Raben und das Zischen der Schlangen! Möge die Zunge, welche mir seinen Tod und mein Verbrechen nannte, in deinem Munde verwelken, oder besser, möge der böse Feind, wenn du mit deinen Leuten beten willst, deine Zunge leiten, und ihr die Stimme zu Gotteslästerungen anstatt zum Segen verleihen, die die Menschen voll Schrecken deine Gegenwart fliehen und der Donner des Himmels gegen dein Haupt geschleudert wird, um deine verfluchende und verfluchte Stimme für immer zum Schweigen zu bringen! Gehe mit diesem Fluch! Elspat wird niemals wieder so viele Worte an einen lebendigen Menschen verschwenden.«
Sie hielt ihr Wort; von jenem Tage an war die Welt für sie eine Wildniß, worin sie ohne Gedanken, Sorge oder Theilnahme in ihren Gram versunken, gleichgiltig gegen Alles sonst verweilte. Mit der Art ihres Lebens oder vielmehr ihres Daseins ist der Leser schon insoweit bekannt, als ich ihm darüber Mittheilungen machen kann. Von ihrem Tode kann ich nichts berichten; vermuthlich trat derselbe mehrere Jahre nach der Zeit ein, worin sie die Aufmerksamkeit meiner ausgezeichneten Freundin, Frau Bethune Baliol auf sich gezogen hatte. Das Wohlwollen derselben, welches sich niemals auf die Vergießung einer sentimentalen Thräne beschränkt, wenn wirksame Barmherzigkeit in Ausübung gebracht werden konnte, bewog sie zu verschiedenen Versuchen, den Zustand des unglücklichen Weibes zu erleichtern, allein alle ihre Bemühungen konnten nur die Mittel zum Unterhalt der Elspat weniger ungewiß machen, ein Umstand, welcher zwar sogar für die elendesten Verstoßenen von Bedeutung ist, ihr jedoch als eine gleichgiltige Sache erschien. Ein jeder Versuch, Jemanden in ihre Hütte zu bringen, um Sorge für sie zu tragen, mißlang wegen des heftigen Zornes, womit sie jedes Eindringen in ihre Einsamkeit betrachtete, oder wegen der Furchtsamkeit derer, welche zu den Gesellschafterinnen des gefürchteten Weibes ausgewählt wurden. Als zuletzt Elspat wenigstens scheinbar gänzlich unfähig wurde, sich auf dem elenden Sitze umzuwenden, welcher ihr zum Lager diente, sandte der menschliche Nachfolger Herrn Tyrie's zwei Weiber ab, um beim Verscheiden der Einsamen gegenwärtig zu sein, da der Tod derselben nicht mehr weit entfernt sein konnte, und um die Möglichkeit abzuwenden, daß sie aus Mangel an Beistand oder Nahrung umkomme, bevor sie unter den Wirkungen des Alters oder tödtlicher Krankheit erliege.
Es war an einem November-Abend, als die zwei zu diesem traurigen Zweck abgesandten Weiber in die elende, schon beschriebene Hütte traten. Die unglückliche Bewohnerin derselben lag auf dem Bette ausgestreckt, und sie schien beinahe ein lebloser Körper zu sein; von Leben zeugte nur das Rollen ihrer trotzigen schwarzen Augen, die auf furchtbare Weise in ihren Höhlungen sich hin und her bewegten, und mit Ueberraschung so wie Zorn die Bewegungen der Fremden, als die von Personen zu überwachen schienen, deren Gegenwart ihr eben so unerwartet als unwillkommen war. Die beiden erschraken bei ihren Blicken; durch gegenseitige Gesellschaft ermuthigt, schürten sie jedoch ein Feuer, zündeten ein Licht an, bereiteten Nahrung und trafen andere Vorbereitungen, um die ihnen zugewiesene Pflicht zu erfüllen.
Die Pflegweiber kamen dahin überein, am Lager der Kranken abwechselnd zu wachen; um Mitternacht jedoch fielen Beide, von Müdigkeit überwältigt, da sie an jenem Morgen einen starken Weg gemacht hatten, in einen tiefen Schlaf. Als sie erwachten, was erst nach einigen Stunden geschah, war die Hütte leer und die Kranke verschwunden. Sie fuhren erschreckt empor und gingen zur Thüre der Hütte, welche wie am Abend zuvor mit der Klinke verschlossen war. Sie blickten in das Dunkel und riefen die ihnen anvertraute Kranke beim Namen. Der Nachtrabe kreischte von der alten Eiche, der Fuchs heulte auf dem Berge, der rauschende Ton des Wasserfalls erwiderte mit seinem Echo, eine menschliche Antwort ward aber nicht ertheilt. Die erschreckten Weiber wagten vor Tagesanbruch ihre Nachforschungen nicht anzutreten, denn das plötzliche Verschwinden eines so schwachen Geschöpfes wie Elspat, nebst dem wilden Inhalt ihrer Geschichte, setzte sie in solchen Schrecken, daß sie von der Hütte nicht fortzugehen wagten. Sie blieben deßhalb in furchtbarem Schrecken; bisweilen glaubten sie, ihre Stimme im Freien zu hören, und bisweilen, daß Töne verschiedener Art sich mit dem düsteren Tone des Nachtwindes oder dem Schall des Wasserfalls vermischten, bisweilen rasselte die Thürklinke, als wenn eine schwache und machtlose Hand vergeblich versuchte sie aufzuheben, und von Zeit zu Zeit erwarteten sie den Eintritt der furchtbaren Kranken mit übernatürlicher Kraft und vielleicht in Gesellschaft eines noch furchtbareren Wesens. Endlich kam der Morgen, sie durchsuchten vergeblich das Dorngebüsch, die Felsen und den Wald. Zwei Stunden nach Tagesanbruch kam der Pfarrer, und ließ auf den Bericht der Wachenden das Land in Allarm setzen, um eine allgemeine und genaue Nachsuchung in der Nähe der Hütte und des Eichbaums anzustellen. Allein Alles war vergeblich, Elspat Mac Tavish war nirgends zu finden, weder lebendig noch todt; auch ließ sich nicht der geringste Umstand aufspüren, welcher ihr Schicksal hätte andeuten können.
Die Nachbarschaft war über ihr Verschwinden getheilter Meinung. Die Leichtgläubigen dachten, der böse Geist, unter dessen Einfluß sie gehandelt zu haben schien, habe sie in ihrem Leibe geholt; viele wagen noch immer nicht, in unzeitigen Stunden an dem Eichenbaum vorüber zu gehen, unter welchem man sie vielleicht noch immer wie früher sitzen sehen könnte. Andere weniger Abergläubische glaubten, daß man den Leichnam der Elspat Mac Tavish gefunden haben würde, wenn es möglich gewesen wäre, den Abgrund des Corrie Dhu, die Tiefe des See's oder die Strudel des Flusses zu untersuchen, da in Betracht des Zustandes ihres Leibes wie ihrer Seele nichts natürlicher war, als daß sie durch Zufall in einen dieser Orte, wo der Untergang gewiß sei, hineingefallen wäre oder sich absichtlich hineingestürzt habe.
Der Geistliche hatte seine eigene Meinung; er glaubte, daß diese unglückliche Frau zornig über die ihr gegebene Wache instinktartig nach der Weise verschiedener Hausthiere sich dem Anblick ihres eigenen Geschlechtes entzogen habe, damit ihr Todeskampf in einer einsamen Höhle stattfinde, wo ihre sterblichen Reste niemals von menschlichen Augen erblickt werden könnten. Diese Art instinktartiger Gefühle schien dem ganzen Lauf ihres unglücklichen Lebens zu entsprechen, und wahrscheinlich Einfluß auf sie geübt zu haben, als dasselbe sich dem Ende nahte.
Herr Croftangry leitet eine andere Erzählung ein: