Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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36. Im Hause Giuliettas.

Bruder Martin ging, in seine Gedanken verloren, langsamen Schrittes durch die Straßen Roms.

Was er da oben im Gemache des Papstes vernommen, ließ ihn jetzt einen andern Weg einschlagen, als den er zu machen vorhatte, bevor ihn der Cursor aus dem Vatikan zum Heiligen Vater beschieden. Er ging nicht zum Hause Callistos, sondern er hatte sich der Höhe des Quirinals zugewendet, um mit Irmgard zu reden.

Ihr zunächst wollte er die Kunde bringen von dem, was er eben erfahren, von der Flucht Eginos. Er wußte, welche Freudenbotschaft es für das junge Mädchen sein werde, und er fühlt«, daß es für ihn in seiner tiefen Niedergeschlagenheit der einzige Trost, der einzige Balsam für seine gebeugte Seele sein werde, wenn er Balsam in ein anderes gebeugtes Menschenherz gießen könne.

Als er am Fuße des Hügels an dem Eingang in den Palast der Colonna vorüberkam, sah er einen Haufen Volkes, das eben auseinanderlief. Einige Herren in reichen Gewändern standen vor dem Tore; prunkend geschirrte Rosse wurden im Hofe auf- und abgeführt; es war noch ein Teil des Gefolges, mit dem der Herzog von Ferrara zur Audienz bei Julius II. geritten und jetzt heimgekehrt war. Drinnen in den Colonnesischen Gärten – Bruder Martin vernahm es, als er an der hohen Mauer, welche diese Gärten umgab, entlang den Quirinal hinaufstieg – mußte schon der Herzog mit seinen Freunden und Wirten zusammen den guten Erfolg der Audienz feiern, denn sie sprachen und lachten sehr laut und fröhlich da drüben jenseits der Mauer.

Als er an einem großen eisernen Tor in der Mauer, das ins Freie führte, vorüberkam, sah er auch mit einem Streifblick die Gesellschaft. Man stieß eben mit den Gläsern an und ließ den Papst und den Herzog hochleben.

Martin schritt weiter; er erreichte das kleine Haus der Witwe. Da wo der Agavenzaun den Zutritt zum Gärtchen offen ließ, stand ein schwarzgekleideter Mann, lebhaft redend, vor Beppo; Beppo sah außerordentlich betroffen und sehr blaß aus. Er stieß, als Martin an ihm vorüber in den Garten schritt, eben einige: »Eh!« und Oh!« und »Accidente!« hervor und Bruder Martin hörte ihn dann ausrufen:

»Sor Antonio, Ihr könnt auf mich bauen, so gut, als ob ich ein Klient des edlen Hauses Savelli wäre. Ihr könnt auf mich bauen!«

»Ich baue darauf, und da meines armen ermordeten Herrn Livio Gattin, seine arme Witwe jetzt, eine Colonna ist, so müssen uns freilich die Klienten der Colonnas schon beistehen...«

»Gewiß, gewiß müssen sie, aber jetzt laß mich sehen, wohin dieser Frate will...«

»Seht danach, Beppo, und vergeßt ja nicht, was ich Euch sagte.«

»Nein, Sor Antonio, und ich bringe Euch Nachricht, sobald mir das geringste Verdächtige aufstößt.«

Beppo hatte ein eigentümlich hastiges und aufgeregtes Wesen, und damit ließ er Sor Antonio stehen und rannte Bruder Martin nach.

»Wohin wollt Ihr?« sagte er, als er ihn an der Haustür, die heute verschlossen war, erreichte und die Hand auf seinen Ärmel legte.

»Zu den Deutschen, die bei Euch wohnen.«

»Um Gotteswillen«, flüsterte Beppo angstvoll, »sprecht leise. Zu den Deutschen? Welchen Deutschen? Kennt Ihr sie? Ihr selbst seid nach Eurer Sprache...«

»Ich bin ein Deutscher und Eurer Einwohner Freund.«

»Gut, gut, ich will es Euch glauben.«

Beppo pochte an die Tür.

»Ich will Euch zu ihnen führen«, sagte er dabei. »Aber wenn Ihr ihr Freund seid, guter Frate, so sprecht zuverlässig zu keiner Menschenseele von...«

Beppo wurde unterbrochen, denn die Tür öffnete sich und Frau Giulietta steckte den Kopf hindurch.

»Es ist ein Freund, ein Deutscher, Mutter«, flüsterte Beppo ihr entgegen.

Frau Giulietta öffnete die Tür ganz und ließ Bruder Martin, den sie ja kannte, ein. Beppo blieb draußen.

Die Witwe führte den Mönch durch ihre Wohnstube, die der Herd zugleich als Küche bezeichnete, an einer offen stehenden Tür vorüber, durch die man in eine Kammer voll Arbeitszeug, dem Handwerksgeräte Beppos blickte, und öffnete die Tür zu der Wohnung ihrer Einwohner. In das Gemach tretend, erschrak Bruder Martin, als sein erster Blick auf ein altes Himmelbett im Hintergrunde fiel, und er sah, daß Irmgard darauf ruhte und mit einer Bewegung, welche die äußerste Schwäche verriet, ihm den Kopf zuwendete.

»Irmgard«, rief er aus, »was ist Euch geschehen, Ihr seid krank ...«

Ohm Kraps, der wie ein Bild des Jammers, in sich versunken, am Fußende des Bettes gesessen, war beim Eintritt des Mönchs aufgefahren: als er die deutschen Worte hörte, zuckte eine wundersame Verzerrung über sein Gesicht. Er stammelte schluchzend hervor:

»Es hat einer sie gestochen, es hat einer sie auf den Tod gestochen, und ich habe ihn kalt gemacht, er hat kein Glied mehr gereckt, aber nun hab ich die Sünde auf mir, die Todsünde auf mir, die Todsünde...«

Bruder Martin heftete seine Augen erstaunt auf die seltsame, wie irre redende Gestalt, dann kehrte er zu Irmgard zurück und wiederholte:

»Was ist geschehen, sprecht, armes Kind!«

»Ich bin verwundet, in dieser Nacht«, sagte mit matter Stimme Irmgard.

»Verwundet, schwer verwundet...?«

»Der Arzt sagt es, und ich fühle es, daß es wirklich schwer ist!«

»Gerechter Gott! Ihr armes, armes Mädchen! Einen Arzt habt Ihr also ...«

»Er war zweimal schon da – der Sohn unserer Wirtin hat ihn hergeschafft. Er hat mich in der Morgenstunde verbunden.« »Aber sagt mir, wie ist das zugegangen?«

»Wir hatten einen Eingang gefunden ins Kloster zu den Kerkern. Um dieselbe Zeit war mit dem Herrn Livio Savelli die Gräfin Corradina hinein in dieselben Räume gekommen, um Egino herauszuführen. Wir trafen zusammen und ... das Sprechen wird mir schwer ... ich habe, bevor ich verbunden wurde, zu viel Blut verloren, sagt der Arzt... laßt's Euch von dem Ohm berichten. Der Ohm hat Livio Savelli getötet. Jetzt liegt schwer der Mord auf ihm und er jammert nach einem, dem er's beichten könne. Laßt's Euch von ihm beichten!«

»Ja, ich hab keine Ruh', keine Ruhe mehr, bis ich's beichten kann – laßt mich's Euch beichten, Bruder!« greinte Ohm Kraps.

»Wohl, wohl, das mag er«, fiel Bruder Martin ein.

»Aber vorher sagt mir, wo sind sie, wo ist Egino und Corradina?«

»Beide im Hause – Signor Callistos«, gab Irmgard, schwer die Worte hervorbringend, zur Antwort.

Bruder Martin sah sich in dem geräumigen Gemache um; sein Blick flog über die wenigen alten Möbel, über ein Christusbild, das in einem bestäubten schwarzen Rahmen an der Wand hing, über eine große weiße Marmorbüste, das Bild einer schönen, aber streng aussehenden Heidengöttin, das an der Wand, dem Bette Irmgards gegenüber, stand; er nahm einen Stuhl und stellte ihn in die entfernteste Ecke; Ohm Kraps folgte ihm und kniete vor ihm nieder und greinte und flüsterte seine Beichte hervor; Bruder Martin fragte dazwischen und erhielt so Kunde von dem Vorgange der Nacht, so viel sie Ohm Kraps geben konnte; als er ihm die Absolution erteilt, erhob er sich und nahm den Platz zu Füßen Irmgards ein, den dieser vorhin verlassen. Sein Auge lag lange mit einem feuchten Glanz auf dem armen jungen Mädchen.

»Irmgard«, sagte er dann weich und mit einer Stimme, durch die die Rührung zitterte, während er ihre auf der Decke ruhende Hand ergriff, »so habt Ihr also Euer Leben gefährdet um des jungen Mannes willen, der doch eine andere liebt...«

»Wenn er mich liebte«, versetzte sie mit schwachem Lächeln, »wäre es kein großes Verdienst. Dann wäre mein Sterben sein Unglück. Jetzt sterbe ich für sein Glück. Ist's nicht besser so, Bruder Martin?«

»Ihr seid ein Engel an Gemüt!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ein Engel? Ich büße nur eine Schuld. Es war ja alles nur Folge meines unseligen Rates!«

»Solche Folgen konntet Ihr nicht voraussehen.«

»Wenn auch. Der Drang ihm zu helfen machte mich so sündhaft unbesonnen, daß ich solch einen Rat gab. Und vielleicht«, setzte sie tief aufseufzend hinzu, »vielleicht war noch eine andere Schuld dabei!«

»Und welche, Irmgard?«

»Kann ich's Euch sagen? Als ich ihm riet ins Kloster zu gehen, um so in ihre, in der Gräfin Corradina Nähe zu kommen... da kämpft' ich wider mein eigenes Herz. Ich schalt mein Herz mit dem, was in ihm lebte, sündhaft ... sündhaft eifersüchtig! Vielleicht war das Unrecht, daß ich wider mein eigenes Herz Gewalt übte!«

»Ein Unrecht war das nicht«, fiel Bruder Martin ein.

»Wißt Ihr das so gewiß? Darf man sein Herz und seine ganze Seele so unterdrücken? Darf man so handeln wider sein stärkstes, bestes Gefühl?«

Bruder Martin antwortete nicht. Er sah sie nur fragend und betroffen an.

»Ihr braucht mich nicht zu beruhigen über dies Schuldbewußtsein«, fuhr sie lächelnd fort. »Ich habe es ja gut gemeint. Ich habe doch auch das Meiste getan, wenn er gerettet ist und nun glücklich wird. Corradina sagte – als wir auf der Flucht waren, sagte sie es: auf dem Wege, auf dem sie ihn hätte in die Freiheit führen wollen, durch die Burg der Savelli hindurch – da hätten sicherlich Fallstricke oder gar Mörder auf ihn gelauert! Jetzt ist er frei! Durch mich. Ich bin nicht traurig, daß ich den Tod davon habe. Ich hänge nicht am Leben. Wenn nur ein Freund für Ohm Kraps sorgte! Ich wollte, daß es ihm so recht gut ginge. Er kann so wild werden, so wild wie ein Tier. Aber er ist doch gut. Wenn er auch jammert, daß er einen Mord begangen, ich habe ihn doch lieb. Er wollte sich ja nur wehren; und dabei kam seine Wildheit über ihn. Ich liebe ihn doch. Aber nicht mehr das Leben. Seht da, ich gehe zu dem da, mit der blutigen Krone. Ich gehe zu ihm; er ist mein Bruder ... nicht wahr, er ist mein Bruder im Schmerz und im guten Willen?«

Martin folgte der Richtung ihrer Augen, die auf dem Christuskopf an der Wand lagen.

»So ist es«, sagte er, auch sein Auge groß und leuchtend zu dem Bilde aufschlagend. »Er ist Dein Bruder und ist bei Dir. Dir haben sie ihn nicht töten können, Dein Gemüt hält ihn Dir lebendig. Und auch ohne den Schmerz wäre er Dein Bruder, wie der jeder Menschenseele, die ihn sucht und liebt!«


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