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Es ist ein ernstes, strenges, gebietendes Antlitz! Dieser Mann, der der nicht sterbende Moses des Volkes Gottes ist und beauftragt es als Hort und Hirt durch die Wüste des endlichen Lebens in das himmlische Kanaan zu führen, nicht einer Feuersäule, wohl aber der göttlichen Erleuchtung nach, die ihn aus dem leichten Schwingenregen der sein Haupt umflatternden Taube des heiligen Geistes anweht; dieser Mann hatte etwas von der Gestalt und den Zügen des Moses, wie Michel Angelo sein gewaltiges Bild in Marmor ausgehauen hat. Giuliano della Rovere, als Papst Julius II., stand im Alter von 67 Jahren, aber seine kräftige und festgebaute Gestalt stand aufrecht, wie es einem Gebieter zukommt. Seine mehr derb als scharf gemeißelten Züge verrieten, daß er »gelebt« hatte, gelebt in Arbeit, in erschöpfender Aufregung und in Genuß; aber die Spuren der Ermattung und der Abspannung waren nicht in ihnen; der Mann war voll elastischer Kraft in seinem Auftreten und in seinen Gebärden, die etwas Heftiges, Eckiges bekamen, wenn die Erregung die angenommene Würde durchbrach. Er sprach rasch, laut und scharf akzentuiert; leicht ging die Stimme in einen Ton über, der wie Zorn klang.
Das Charakteristische seiner Erscheinung wurde erhöht durch den grauen Bart, den er trotz der lang abgekommenen Sitte zu seiner natürlichen Länge hatte wachsen lassen.
Er schritt in einem der Gemächer des Palazzo Vecchio, jenes Gebäudeteiles des Vatikans, der, wie wir früher sahen, damals an seiner Fronte mit den Gerüsten des Loggienbaues bedeckt war, auf und nieder, in einem großen und schönen Räume mit schwerer kassettierter Holzdecke, die mit Farben und Vergoldungen ausgeziert war. Die Wände bedeckten kostbare, in Arras gewirkte Stoffe und ein großer Teppich breitete sich durch das Gemach aus, an dessen oberem Ende ein Tisch und ein hochrückiger Lehnstuhl auf einer Estrade standen. Auf dem Tisch ein hohes Kruzifix, Schreibzeug, einige Papiere und Pergamente mit Siegeln daran; neben dem Stuhl eine Fußbank. An der Wand des Saales einige Tabourets und in einer der tiefen Fensternischen ein kleinerer Tisch mit Mosaikplatte, auf der eine Karaffe und ein venezianisches Flügelglas und zwei vergoldete Schalen standen, deren eine Konfekt, die andere Früchte enthielt. Julius II. war nicht unmäßig, aber er liebte den Wein. Seine Feinde warfen ihm vor, daß er es zu sehr tue. Er schritt in seinem langen weißen Hauskleide langsam auf und nieder, aber er unterbrach diesen Gang von Zeit zu Zeit, um in die Fensternische zu treten und von dem dunkelroten Traubensaft zu trinken, welcher in der Karaffe enthalten war.
Es waren außer ihm vier oder fünf Männer in dem Gemache anwesend. Drei davon haben wir früher erblickt. Der eine war Padre Anselmo, der Sakristan und Beichtvater des Papstes; der andere, der feiste Mann mit dem blühenden Gesichte und den stark schielenden Augen, war Monsignore Tommaso Inghirami, sein Gelehrter, der Mann, der Auskunft gab, wo eine Frage sich aufwarf, zu deren Erledigung wir heute ein Lexikon aufschlagen; und der Dritte endlich Padre Geronimo, der Dominikaner, der Inquisitor der ketzerischen Verdorbenheit. Die ersteren saßen auf den Tabourets an der Wand, wo ein Wink des Papstes ihnen Platz zu nehmen erlaubt hatte; Padre Geronimo stand in der Mitte des Raumes, während Julius II. mit ihm redend und an ihm vorüber auf- und niederschritt.
»Es ist in der Tat eine sehr dunkle Geschichte, Eure Heiligkeit«, sagte Padre Geronimo; »Graf Livio Savelli ist tot, ist erdrosselt; Contessa Corradina ist entflohen; aber sie kann ihn nicht erdrosselt haben, sie, ein schwaches Weib, den starken Mann? Nein, gewiß nicht; zum Erdrosseln gehört die Faust eines Mannes, und eine starke und sehnige obendrein!«
»Und wo hat man ihn erdrosselt gefunden?« fragte der Papst.
»Das weiß ich nicht anzugeben, heiliger Vater; denn der Herzog von Ariccia gibt nur ausweichende Antworten. Aber in derselben vorigen Nacht, worin Livio Savelli geendet, ist nun auch, wie gesagt, der deutsche Graf, Corradinas Geliebter, aus unserem Gewahrsam entflohen. Wir wissen nicht, wer ihn aus unserm Kerker geführt hat; wir wissen aber, daß er entführt ist, und haben den Weg verfolgen können, den mehrere Menschen, deren Spuren wir fanden mit ihm genommen hatten. Sind diese Menschen, nicht zufrieden damit, sich heimlich in unser Kloster eingeschlichen und den Deutschen befreit zu haben, nachher in die Burg der Savelli gedrungen, um auch Corradina zu entführen und bei dieser Gelegenheit Livio Savelli zu erwürgen? Das ist nicht glaublich; man darf sagen, es wäre eine gar nicht mögliche Verwegenheit! Und doch muß der Mord, die Flucht Corradinas und die Flucht des Deutschen einen Zusammenhang haben ...«
»Fangt sie Euch ein, diese Leute«, sagte der Papst. »Habt Ihr nicht Spürhunde genug? Fangt sie Euch ein und Ihr werdet den Zusammenhang erfahren. Bringt dann Livio Savelli ein redliches Totenopfer. Ich gönne es diesem armen Herzog von Ariccia. Der Mann ist zu beklagen. Sein Livio war ein geschmeidiger Geselle. Aber diese Menschen gehen alle zu Grunde, weil sie nicht sind, was sie sein sollen; das ist das, was an der Sache nicht dunkel ist! Diese Barone! Gott hat sie als Wächter und Diener um diesen unseren heiligen Stuhl gestellt, wie er im Himmel die Erzengel und die Heerscharen um seinen Thron gestellt. Sie aber haben geglaubt, statt seine Hüter könnten sie seine Tyrannen machen und ihn zerschlagen, um die Stücke an sich zu reißen! Gott straft sie. Er hat sie durch uns gestraft, daß wir ihre Macht gebrochen haben, und ihre Kinder erwürgen sich untereinander oder ersticken im Schlamme ihrer Sünden. Was wollt Ihr noch, Padre Geronimo? Geht und laßt nach den Entflohenen spähen... da, wie Ihr sagt, dieser deutsche Graf noch entkräftet und siech an einer Wunde ist, die ihm Livio Savelli früher zugefügt, so kann er nicht aus der Stadt entflohen sein.«
»Wir lassen spähen, heiliger Vater«, antwortete Padre Geronimo; »wir haben zuerst in sein Quartier gesendet... die Wirtsleute und sein Diener scheinen nichts von ihm erfahren zu haben...«
»Und seine Freunde? Beobachtet sie, haltet ihre Häuser umspäht...«
»Hat er Freunde? Wir kennen keine. Der Herzog von Ariccia nennt den Prokuratore an der Rota, Signor Callisto Minucei, als seinen Freund. Ist er sein Freund, so wird er nichts verraten, und sollen wir ihn verhaften und der Folter unterwerfen, ohne daß ein bestimmter Verdacht wider den angesehenen und geachteten Mann vorliegt?«
»Ich wüßte Euch einen Freund des jungen Deutschen zu nennen, Padre Inquisitor««, fiel hier aufstehend und herantretend Monsignore Inghirami ein.
»Seht, seht«, wendete sich der Papst in scherzhaftem und neckendem Tone an diesen. »Monsignore Phädra! Weshalb, Fra Geronimo, fragtet Ihr nicht früher ihn? Ein Gelehrter wie er weiß alles. Er weiß aus seinen Büchern, was auf dem Monde und auf der Erde vorgeht.«
»Und Eure Heiligkeit weiß, was im Himmel vorgeht«, sagte lächelnd Monsignore Phädra; »so braucht sich die Welt freilich nur an uns beide zu wenden. Aber diesmal tätet Ihr mir zu viel Ehre an, wenn Ihr annähmt, ich hätte es aus den mir zur Obhut vertrauten Büchern geschöpft. Das Beste, was wir lernen, steht nicht in Eurer Heiligkeit Büchern...«
»Verlang' ich so oft nach Euren Büchern, daß Ihr mir diese Weisheit auskramen müßt? Sagt, was Ihr wißt!«
»Ich war mit einem jungen deutschen Mönche von Padre Anselmos Orden beim Meister Rafael Santi; dort erhielt der deutsche Mönch eine Sendung von dem entflohenen Grafen Egino, der ihn zu sich auf den Aventin beschied. Also ist der deutsche Mönch ein Freund, ein Vertrauter des entflohenen deutschen Grafen.«
»In der Tat«, fiel Padre Geronimo ein, »Ihr erinnert mich daran; von diesem deutschen Mönche redete auch Livio Savelli unlängst, der Entflohene habe ihn zu Contessa Corradina führen wollen. Und beim Meister Rafael Santi traft Ihr ihn, dort erreichte ihn des Grafen Egino Botschaft?«
»Ich selbst wies ihm den Weg zu dem Hause Santis, dem er früher bereits bekannt geworden«, versetzte Tommaso Inghirami. »Was macht Euch betroffen dabei?«
»Seltsam«, entgegnete Padre Geronimo, »höchst seltsam, denn auf Meister Rafaels Geheiß ist in den vorigen Tagen unter unseren Klostergebäuden in den Felsenwölbungen gearbeitet, und nur so ist es möglich gemacht worden aus den Kerkerzellen unter unserem Konvente zu entkommen. Wäre nicht just am Tage vorher durch die Ausgrabungen ein Weg geöffnet worden, um durch alte Gewölbe und bisher verschüttete Gänge ins Freie zu gelangen...«
»Was wollt Ihr sagen, Padre Geronimo?« rief der Papst, vor ihm stehen bleibend und offenbar ebenfalls betroffen, aus. »Wollt Ihr andeuten, daß mein unvergleichlicher Meister Santi in einem Komplotte sei, um einen Schuldigen aus den Händen des Sant Ufficio zu befreien und Livio Savelli zu erwürgen! Nehmt Euch in acht! Tastet mir den Mann nicht an!«
Der Papst hatte dies laut und zornig gerufen; sich von dem Inquisitor abwendend, murmelte er für sich:
»Verdammter Mönch! Hat er recht? Gewiß, es ist so! Dieser verwegene Mensch! Die Dominikaner um ihren Gefangenen zu bestehlen! Accidente!«
Julius II. schritt nachdenklich zum Mosaiktische in der Fensterbrüstung, leerte das halbgefüllte Glas und murmelte weiter vor sich hin:
»Und ein deutscher Mönch soll darum wissen... sie werden ihn einfangen und foltern und peinigen, bis er alles gesteht. Armer Meister Santi! Wie schützen wir Dich! Per bacco, wir wollen es! Sie sollen Dich nicht fassen!«
»Laßt mir den Mönch holen, schafft mir den deutschen Mönch zur Stelle, ich will ihn sprechen, augenblicklich!« rief der Papst dann plötzlich, sich wendend, laut aus. »Ihr wißt von ihm, Phädra, gebt Befehl, daß man ihn hole!«