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Man spricht heute von einer »Lutherrenaissance«. Die Gestalt und das Werk des deutschen Reformators sind in Kampf und Not der Gegenwart aufs neue wieder bei Freund und Feind lebendig geworden. Bedeutsame literarische Erscheinungen theologischer, historischer und politischer Art geben davon Zeugnis. Daneben hat auch die dichtende Phantasie ihr gutes Recht, sofern sie sich im Rahmen des geschichtlich Wahrscheinlichen und Möglichen hält. Der gestaltende Trieb bemächtigt sich begreiflicherweise mit Vorliebe jener Gebiete, für welche geschichtliche Quellen spärlich fließen oder ganz fehlen. Es ist mancher Lutherroman in neuester Zeit geschrieben worden, keiner jedoch hat Levin Schückings »Luther in Rom«, der im Jahre 1870 erschien, in Schatten zu stellen vermocht, sowohl was die literaturgeschichtliche Bedeutung des Verfassers, als auch was die Problemstellung anlangt. Schückings Romandichtung, die längst vergriffen ist, darf im Chor der Stimmen nicht dauernd fehlen. Sie verleugnet zwar nicht den Geist der Zeit ihrer Entstehung, aber sie ist heute noch – und heute wieder – von einer oft überraschenden Neuheit, z.B. da, wo sie das Kulturevangelium der Kunst, das in Rafael verkörpert ist, und die Gottesbotschaft Christi, die in Luther ihren unbeirrbaren Vertreter findet, einander gegenüberstellt. Nur einige allzu weit ausgesponnene Dialoge und das gar zu üppig wuchernde Rankenwerk der Reflexionen mußten da und dort beschnitten werden.