Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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Zweiter Teil
Die Kaisertochter

16. Corradina.

Egino harrte auf die Rückkehr des Mönchs; ob kurze Zeit oder lange, er wußte es kaum; die Zeit war für ihn wie ein Wirbel, ein Sturm, eine wilde Flut, in die er gestürzt worden; es waren Augenblicke furchtbarer Erregung. Endlich öffnete sich die Türe seiner Zelle wieder und Pater Eustachius trat auf die Schwelle. Stehen bleibend winkte er mit der Hand.

»Folgt mir, Graf Egino!« sagte er.

Egino griff nach Degen und Handschuhen und nach dem Barett; er trug sie noch in den Händen, als er schon draußen auf dem Wege in dem Garten war. Hier, über die Terrasse, schritt Vater Eustachius auf die Mauertür, die den Klostergarten mit dem jenseits liegenden Garten der Savelli verband, zu. Sie stand nur angelehnt. Papst Honorius schien mit seinem Freunde Dominikus brüderlich geteilt zu haben. Nur war die Terrasse stattlicher und höher; sie lief auch nicht an der ganzen Gartenfront der Burg entlang, sie endete an dem halbrunden Mittelturm, in dem eine offenstehende Tür eine emporführende Treppe zeigte.

Eustachius führte seinen Begleiter über die Terrasse in diese Tür hinein, die Wendelstiege hinauf, bis zu einem Absatz der Stiege; von diesem führte eine andere Tür auf den großen Balkon, auf welchem Egino am Abende vorher die schwarze Gestalt hatte auf- und abschreiten sehen. Sie betraten diesen Balkon; es stand auf demselben unfern der Fenstertüre, welche von ihm ins Innere der Gemächer führte, ein kleiner Tisch und ein Schemel daneben; auf dem Tische lag ein offenes Buch, darauf eine Frauenarbeit, auf dem Schemel lag ein leichtes Tuch; die Bewohnerin der anstoßenden Räume mußte einen Teil des Morgens hier zugebracht haben. Der Exerzitienmeister hielt, in die Nähe der offenen Fenstertür kommend, plötzlich seinen Schritt an, er machte eine Verbeugung voll mönchischer Demut und, indem er auf Egino deutete, sagte er:

»Der junge deutsche Herr, Madonna, dem ich Euch eine Unterredung zu gönnen bat!«

Innerhalb des nächsten Raumes, kaum einen Schritt hinter der offenen Fenstertüre, stand die Gräfin Corradina von Anticoli.

Sie warf einen prüfenden raschen Blick auf Egino, und ohne seine Verbeugung zu erwidern, wendete sie sich und schritt mehr ins Innere des Zimmers zurück.

»Folgt nur hinein und – holt Euch Euren Rat!« sagte Vater Eustachius mit einem wie spöttischen Lächeln.

Dann wendete er selbst sich dem kleinen Tische zu und setzte sich auf den Schemel dahinter.

Der ein wenig hochmütige Empfang und Vater Eustachius' spöttisches Lächeln waren für Egino in diesem Augenblick fast etwas Willkommenes. Sie machten ihm leichter seine Aufregung zu bemeistern; er trat über die Schwelle mit dem festen Schritt eines Mannes, der sich bewußt ist, daß er mit einem bestimmten Willen kommt; in die Mitte des mäßig großen Raumes tretend, der mit seinen goldbedruckten Ledertapeten, seinen feinen Matten, seinen kunstvoll geschnitzten und mit Elfenbein verzierten Möbeln alle Bequemlichkeit und Zierlichkeit eines Frauengemachs jener Zeit zeigte, verbeugte er sich tief vor der Dame, die eben am Ende des Raumes angekommen war, sich auf eine gepolsterte Ruhebank niederließ und ihm dabei ganz und voll ihr Antlitz zuwendete.

Dasselbe wunderbare Antlitz voll Schönheit und Hoheit, das Egino im weichen Dämmerlicht gesehen und das nun vom hellen Tageslichte beleuchtet denselben und wenn möglich noch höheren Zauber auf ihn übte. Ihr blaues Auge schaute ihn unter den langen blonden Wimpern her an mit der vollen selbstbewußten Klarheit einer stolzen Frau, und doch mit einem Ausdruck von unsicherer Neugierde, der ihr das Mädchenhafte zurückgab, das ihr sonst vielleicht gefehlt hätte. Sie hatte die Stirnbinde, die Haube, welche sie als Witwe hätte tragen müssen, nicht angelegt; wenigstens floß ihr gescheiteltes goldblondes Haar reich und wellig, ganz so wie es Egino bei der Trauungsszene gesehen, über die Schultern; nur ein schmales Stirnband von schwarzem Samt mit einigen darauf gestickten Perlen hielt es um die Schläfen zusammen. Ihre schlanke Gestalt war in ein Kleid von leichtem schwarzen, mit violettem Samt besetzten Stoffe gehüllt.

»Ihr nennt Euch Egino von Ortenburg?« begann nach einer kurzen Pause die Gräfin von Anticoli.

Egino, der sie mit seinen Blicken verschlungen, vergaß fast ein Ja zu antworten, so überrascht war er sie diese Worte in deutscher Sprache an sich richten zu hören.

»Und«, fuhr sie fort, »ich erkenne Euch wieder; vor kurzer Zeit betratet Ihr dies Haus als ein junger Jurist, als des Rechtsgelehrten Minucci Schüler...«

Egino bejahte mit einer kurzen Verbeugung, noch immer sich fragend, ob er nicht blos im Traume die deutschen Laute von diesen Lippen fallen höre.

»In das Kloster unserer Nachbarn habt Ihr Euch eingeführt mit der Angabe dort Exerzitien zu halten, Bußübungen anstellen zu wollen...«

»So ist es, hohe Frau«, versetzte Egino, aufatmend, seine linke Hand um den Griff seines Degens klammernd, während er die Rechte auf sein Herz gepreßt hielt... »ich kam in dies Haus an der Seite eines Rechtsgelehrten, der mich als seinen Schüler einführte; er nannte mich so, nicht ich; er hatte Gründe, die ihn meine Begleitung wünschen ließen. Ich ward so Zeuge des Ehebundes – wenn es erlaubt ist, das was geschah, so zu nennen – den Ihr schloßt. Und das, was ich sah, dessen Zeuge ich wurde, ließ mir nicht Ruhe, nicht Rast in meiner Seele; so ward ich aus Signor Minuccis Schüler ein Schüler Padre Eustachios, bis ich nun vor Euch wie ein Schüler stehe, nicht vorbereitet zu reden, wie's mir auf dem Herzen liegt, und wenn ich's wäre, dennoch wohl nicht im Stande zu sprechen, wie ich Euch gegenüber sprechen möchte... Padre Eustachio hat mich hergeführt, so unerwartet, so rasch, so ganz wie in einem Traume werde ich plötzlich vor Euch gestellt...« »Seltsam«, unterbrach sie ihn, »daß ein deutscher Fürstensohn in einer Schülerrolle auftritt – seltsam, daß er sich beunruhigt um der Handlungen eines ihm fremden Mönchs willen, die er nicht versteht und begreift und die er, so völlig unberührt sie ihn lassen, verfolgen zu müssen wähnt... und seltsam auch, daß Padre Eustachius verlangt, ich solle dieses Mönchs Handlung Euch erklären..«

»Findet das nicht seltsam, hohe Frau. Vater Eustachius scheint in der Menschen Seelen lesen zu können und mag wahrgenommen haben, daß die meine von dieser Sache in einer Weise erfüllt ist, für die es nur eine Beruhigung, nämlich durch Euch selber gibt. Er mag in der meinen etwas wahrgenommen haben, von dem er weiß, daß mit ihm nicht gut ringen ist, sondern besser ihm nachgeben ...«

Sie sah ihn fragend, forschend an.

»Nachgeben? Man gibt Kindern nach«, sagte Corradina dann stolz, das Haupt zurückwerfend.

»Mach' ich Euch den Eindruck eines Kindes?« fragte Egino ebenso stolz und zu seiner ganzen Höhe sich aufrichtend.

»Ihr glaubt wohl, Ihr machtet den eines Ritters, der sich edelmütig unbeschützter Frauen annimmt und Arglist und Gewalttat bestraft«, sagte sie mit einem Tone von Scherzhaftigkeit, der etwas Spöttisches und doch wieder Freundliches hatte.

»Ihr mögt daran gewöhnt sein, daß die Ritter Euch gegenüber als Kinder erscheinen«, versetzte Egino, dem dadurch der Mut zu einer Antwort im selben Tone wurde.

»Das ist eine höflichere Antwort, als sie von einem Schüler, wie Ihr Euch nanntet, zu erwarten war«, versetzte sie mit feinem Lächeln. »Ich seh', Ihr seid nicht ohne Klugheit, und diese wird Euch sagen, daß Ihr nun genug von meinen eigenen Lippen hörtet, um über das beruhigt zu sein, was Euch, wie Ihr Euch ausdrücktet, nicht Ruhe und Rast in Eurer Seele ließ. Sollte es Euch aber noch nicht genügen, so mag das übrige Padre Eustachio, der sich so nachgiebig gegen Euch zeigt, erklären, ich gebe ihm die Erlaubnis dazu.«

»Es liegt nicht in der Macht eines welschen Mönchs meiner Seele Ruhe und Rast zu geben«, entgegnete Egino. »Ihr redet deutsch wie ich. Redet Ihr zu mir. Sendet mich nicht von Euch nach so wenig Worten, ich bitte Euch. Ihr mögt es wissen: ich habe viel gelitten durch das, was ich erlebte, viel, sehr viel in dem Gedanken an Euch – ich habe ein Anrecht auf ein wenig Güte von Eurer Seite!«

Corradina blickte ihn eine Weile schweigend an, nicht gütig und wohlwollend und auch nicht zornig, sondern wie mit dem Ausdrucke der Verwunderung.

»Seltsam...« sagte sie dann. »Ihr müßt einsehen, Graf Egino von Ortenburg, daß dies eine seltsame Szene ist. Ein fremder Mann, den ich nicht kenne, von dem ich nur weiß, daß er in verschiedenen Rollen auftritt, steht da ganz unerwartet und plötzlich vor mir und spricht mir von einem Anrecht auf mein Vertrauen. Er will eine Erklärung, eine Erklärung über mein Handeln, meine Lage, meine Gedanken und Beweggründe... und das alles, weil ihm mein Handeln, zu dessen Zeugen ihn der Zufall machte, rätselhaft ist. Fühlt Ihr nicht selbst, mein deutscher Graf, daß Ihr, Ihr, dem ich nur um Padre Eustachios willen den Eintritt in dieses Gemach verstattete...«

»Daß ich mit meiner Anmaßung lächerlich sei, wollt Ihr sagen, Madonna. Möglich, daß ich Euch so scheine. Und doch habt Ihr Unrecht. Daß ich so unerwartet, so plötzlich vor Euch erscheine, beweist nichts wider mich. Was wär' das Leben, wenn nicht wie mit einem heiligen Wetterschlage das Schicksal zuweilen hineingriffe und es in eine neue Bahn schleuderte? Solch ein heiliger Wetterschlag ist es, wenn ein Mann eine Frau erblickt, bei deren Erscheinung ihm eine heiße Flamme und ein großes Licht in seine Seele fällt, ein Licht, das ihm zeigt, er hat ein Herz, eine Kraft, einen Willen in sich, deren Gewalt er vorher selbst nicht ahnte. Wär' ich von guten Freunden Euch empfohlen, von Euren Verwandten Euch vorgestellt, in einem heiteren Gesellschaftskreise vor Euch getreten, um Euch zu huldigen, so würde ich Euch mit meiner Teilnahme nicht lächerlich erscheinen. Jetzt, wo ich ein Fremder bin, der auf seinem eigenen Wege bis zu Euch drang, schein' ich's Euch. Weshalb? Glaubt mir, so ernst wie Eure Lage, als man Euch einem Toten traute, ist das, was in mir vorging, als ich es wahrnahm; das, was in mir sich regte und mich beherrschte seit dem Augenblicke, glaubt mir, es ist Eurer vollen Teilnahme wert!«

Egino hatte dies alles mit fester Bestimmtheit und fast gebieterisch gesprochen, das errötende Haupt mit den blonden wallenden Locken zurückgeworfen.

Die Gräfin hatte ihn angesehen, wie mehr mit den schönen Zügen des jungen Mannes vor ihr beschäftigt, als mit dem, was er sprach; sie antwortete jetzt mit einem völlig veränderten Ton, leiser und wie plötzlich ergeben darin mit ihm verhandeln zu müssen:

»Ihr heißt Graf Egino von Ortenburg... wo liegt Euer Stammhaus?«

»In Schwaben.«

»Schwaben!« wiederholte sie mit einem eigentümlichen Ton, wie mit einem unterdrückten Seufzer, so wie ein Heimwehkranker sein Land nennt.

»Wie lange wart Ihr in Italien?« fuhr sie dann nach einer Pause fort.

»In Italien Jahre. Ich war in Bologna auf der hohen Schule.«

»Und in Rom?«

»Wochen, Monde.«

»War Graf Eitelfriedrich von Ortenburg Euer Vorfahr?«

»Er war der Stammvater der Linie unseres Hauses, der ich angehöre. Was wißt Ihr davon, Madonna?«

»Er kämpfte«, versetzte sie langsam, »an der Seite meines Ahnherrn, Herzog Friedrich von Antiochien in der Schlacht von Benevent.«

»Eures Ahnherrn Friedrich von Antiochien?« rief Egino aus. »Friedrich von Antiochien war Kaiser Friedrichs II. Sohn, war König Manfreds, König Enzios Bruder; er war Euer Ahnherr?«

»Er war es. Er war König Manfreds jüngerer Bruder...«

»Und Ihr, Ihr wäret seine Enkelin, sein Blut?« »Ich bin's«, sagte sie ruhig. »Herzog Friedrichs Sohn war Conrad von Antiochien und Alba, und erster Graf von Anticoli; weil seine Nachkommen stets Conrad oder im welschen Idiom Corrado hießen, nannte man Anticoli, ihren Sitz, nach ihnen Anticoli-Corrado und mich auch nannte man nach dem Vater Corradina.«

»Und darum führt Ihr den Schild der Büren! Ihr seid in gerader Linie aus dem Heldenblut der Hohenstaufen entsprossen!«

»Ich bin die Letzte, die einzig übriggebliebene aus dem Geschlecht der Hohenstaufen!« sagte sie.

Egino starrte sie noch eine Sekunde wie von einem Traume befangen an. Dann kniete er vor sie nieder auf beide Knie, öffnete zu ihr emporschauend die Lippen, als ob er reden wollte, bückte sich, um den Saum ihres Kleides zu küssen, und als er wieder zu ihr aufschaute, sah Corradina, daß Tränen über sein Gesicht strömten.

Sie blickte mit ihren großen Augen ruhig, fast wie zerstreut in die seinen; dann trat auch in die ihren ein feuchter Glanz; sie näherte langsam ihr Gesicht dem seinigen mit einem Ausdrucke von unendlicher Milde und Weiche, der plötzlich ihre Züge wunderbar verklärte; sie hob ihre Hand und legte sie auf Eginos Scheitel und schien sein Haupt leise an sich ziehen zu wollen, dann drückte sie es mit rascher Bewegung wieder von sich, warf den Kopf zurück und sagte halblaut, kaum verständlich, auf einen Sessel deutend:

»Erhebt Euch! Setzt Euch dort.«


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