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Die Zeit unserer Erzählung ist das Jahr 1510.
In diesem Jahre war Luther, der Apostel der freien Innerlichkeit, siebenundzwanzig Jahre alt, und eben so alt war Rafael, der Apostel der freien Schönheit. Sie sind in einem Jahre geboren.
Und im Jahre 1510 sind sie einander in den Mauern der ewigen Stadt begegnet.
Die Zeit war nicht christlich und die unsere ist wenigstens auf dem Wege es zu werden, auf dem Wege zu erkennen, daß Christus der Apostel des Friedens, der Duldung und der Menschenliebe ist und daß sein Kultus in der Ausübung der Brüderlichkeit bestehen muß, welche Hand in Hand geht mit dem Erkennen, daß im letzten Grunde die Interessen aller Menschen solidarisch und gemeinsam sind.
Das Christentum ist die Aufhebung der Grenzen und Schranken. Die Menschen jener Zeit aber hatten noch hundertfache Grenzen und Schranken um sich liegen. Die enge Schranke war die Signatur des Lebens; die Welt war mit tausendfach sich durchzirkelnden Grenzen bedeckt – den Grenzen der Zunft und der »Geschlechter« innerhalb der Gemeinwesen, um welche wieder die Grenzen des weltlichen oder geistlichen Kleinstaats, dem sie angehörten, lagen; die Grenzen des Kleinstaats wurden wieder von den Grenzen des Stammesganzen und diese von denen des Reiches, der Nation, umschlossen. Nach Ort, nach Geburt, nach Sprache und nach Besitz oder nach der Abstufung eines größeren oder geringeren Rechts auf Leben, Genuß und Bewegung waren diese eingeschachtelten Menschen hundert- und tausendfach abgeteilt und von einander getrennt. Der allgemeinste und mächtigste Gedanke, welcher das Leben beherrschte, war ein gründlich dem Christentum widersprechender. Es war ein allgemeines Sichüberheben des einen über den anderen, ein allgemeines Sichbesserdünken. Es war der Stolz, der sich breit machte bald in der gewalttätigsten Handlung, bald in der grausamsten Geltendmachung des Vorrechts.
Wir haben diese Schranken überwunden. Es gibt für uns auch nicht mehr zwei Welten, eine helle und sonnige und eine dunkle und kalte; eine Oberwelt und eine Unterwelt, eine Welt der Gewalt und eine Welt des Leids; jene für die Berechtigten, zum Genuß Geborenen, und diese für die Rechtlosen, Duldenden.
Da liegt der Unterschied zwischen damals und heute. Der Kampf, den die Menschen von 1510 unter einem egoistischen Banner um ihre freie Selbstbestimmung führten, konnte deshalb mit einer Niederlage enden, und in die furchtbare Reaktion am Ende des sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert auslaufen.
Der Kampf, den unsere Zeit unter dem christlichen Banner der Humanität, die gleiches Recht für alle, Sonne und Licht für alle, für die Hochgeborenen sowohl wie für den armen Konrad verlangt, kann nicht mehr mit einer Niederlage enden. Sie hat das siegverbürgende Zeichen: in hoc signo vinces. Dies Zeichen ist nicht zu überwältigen, es ist ewig, weil es das Symbol des Teiles ist, den die Menschennatur am Ewigen hat.