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Eine halbe Stunde später hatten Irmgard und Bruder Martin die Höhe des Aventin erreicht. Als sie bis vor das Kloster von Santa Sabina gekommen, mußte Irmgard, die heute ja in ihrer Mädchentracht war, zurückbleiben und Bruder Martin reichte ihr die Hand, indem er sagte:
»Und nun danke ich Dir, meine freundliche Wegweiserin ... Da ist die Pforte des Klosters und ich bedarf Deiner nicht mehr.«
Irmgard aber blieb, wo sie stand.
»Ich will erst sehen, ob man Euch einläßt«, versetzte sie.
Bruder Martin klingelte an der Klosterpforte; ein Schieber öffnete sich darin und das Antlitz des Pförtners wurde sichtbar. Als dieser einen Mönch erblickte, öffnete er ohne zu fragen den einen Flügel der Pforte. Irmgard wollte sich bereits zum Gehen wenden, da sie Bruder Martin über die Schwelle treten sah, als sie diesen ein paar laute Worte ausstoßen hörte und zugleich wahrnahm, wie er zurücktrat, wie der Flügel der Pforte, der sich eben vor ihm geöffnet, so rasch wieder vor ihm geschlossen wurde, daß er förmlich hinausgedrängt ward.
Sie eilte hinzu.
Bruder Martin rief, ihr entgegenkommend:
»Aber Graf Egino ist ja nicht mehr in diesem Kloster.«
»Er ist nicht mehr da?«
»Nein, der Bruder Pförtner sagt, er sei am Morgen schon gegangen.«
»Das kann nicht sein.«
»Der Bruder sagt's und schob mich ziemlich mürrisch hinaus.«
»Graf Egino hat doch selbst den Brief in seine Wohnung gesendet, worin er Euch, wie Ihr ja sagt, einladet um diese Stunde zu ihm zu kommen – hieher, in dieses Kloster, so steht's doch im Briefe?«
»Im Briefe steht's so.«
»Und nun sollte er gegangen sein? Unmöglich.« »Wer weiß, was ihn dazu veranlaßt hat!« antwortete Bruder Martin.
»Es ist gewiß, gewiß nicht so«, fiel Irmgard beunruhigt ein. »O, ich bitte Euch, fragt diesen Pförtner noch einmal, sagt ihm –«
»Mein Kind«, versetzte der deutsche Mönch, »ich habe nicht die geringste Lust dazu; dieser Bruder Pförtner ist brutal wie der Cerberus und gab seine Auskunft mit einer höchst mürrischen Bestimmtheit.«
»Dann bleibt nichts übrig, als daß wir in die Wohnung des Grafen eilen, um ihn dort zu suchen; ich bitt' Euch, geht mit mir hinab, Ihr bleibt ja dabei auf Eurem Wege.«
»Ich will mit Dir hinabgehen«, antwortete Bruder Martin, »schon deshalb, um Dich dort beruhigt zu sehen, denn es ist offenbar, daß Du um ihn eine unnütze Sorge hast.«
»Ich habe Sorge um ihn, und habe Grund zu dieser Sorge, denn, um es Euch zu gestehen – doch kommt, eilen wir.«
Irmgard schritt rasch voraus und im Gehen gestand sie dem jungen Mönche neben ihr, der durch sein Gespräch auf dem Hergange schon Irmgards ganzes Vertrauen gewonnen hatte, was eigentlich Egino ins Kloster geführt und welche Gefahren ihn dort bedrohen könnten, falls er in die Hände der Savelli geraten.
Bruder Martin hatte ihr höchst betroffen zugehört. Erregt rief er aus:
»Das ist eine sehr wunderliche Geschichte, die Du mir da erzählst; in dem Briefe des jungen Grafen steht das alles nur mit einigen rätselhaften Worten, die ich jetzt verstehe, angedeutet; aber Du, Du selbst, woher weißt Du das alles so genau?«
Errötend gab Irmgard auch darüber Bescheid, wie Egino sie gefunden und sich ihrer hier in der Fremde als seiner Landsleute angenommen und wie er sie endlich so ganz in sein Geheimnis eingeweiht, wohl weniger, setzte sie wieder errötend hinzu, aus Vertrauen für sie und in der Voraussetzung, daß sie ihm nützen und helfen könne, als weil er das Bedürfnis gehabt auszusprechen, was in ihm vorgehe und was ihn so bedrücke.
Bruder Martin nickte mit dem Kopfe.
»So mag es sein; es ist auch gut, mein Kind, daß Du es so auffassest; helfen und nützen in seiner Lage mögst Du ihm dennoch können, wenn er wirklich in Gefahr und Bedrängnis geraten sein sollte, was auch mir jetzt nicht mehr unwahrscheinlich vorkommt. Er hat eben mit der Gefahr gespielt, die welsche Tücke ist zu vielem, an das unsereins nicht denkt, fähig, und jener Bruder Cerberus sah ganz so aus, als gebe er seine Auskunft über den Grafen Egino mit einem schlechten, aber ruhigen Gewissen, wie der heilige Thomas von Aquin sagt. Gott zeigt seine Macht am liebsten durch ein schwaches Gefäß, und so wollen wir hoffen, daß wir etwas tun können diesen armen Jüngling aus der Gefahr zu retten, in die er hineingeraten sein mag, wenn er ohne Vorsicht handelte, wie ein rechtes unüberlegtes junges Blut. Doch lassen wir die Sorge fahren, so lange wir die Hoffnung haben ihn wieder zu finden. Vielleicht tritt er uns schon nach wenigen Augenblicken wohlbehalten auf der Schwelle seiner Wohnung entgegen.«
Sie erreichten endlich diese Wohnung; aber Bruder Martins Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Sie hörten, die Treppe zu Eginos Gemächern hinaufschreitend, oben Stimmenwechsel, und sahen bald auf dem Vorplatz den treuen Götz mit einem Fremden stehen, dem er sich in gebrochenen italienischen Redensarten mit Mühe verständlich zu machen suchte. Irmgard kannte den Fremden; sie hatte ihn draußen in der Villa mit der »parva domus« gesehen. Es war Signor Callisto Minucci.
»Der Herr fragt nach dem Grafen«, rief der Diener, als er Irmgard erblickte, auf deutsch entgegen; »ich verstehe ihn nicht, seht Ihr, ob Ihr mit ihm fertig werdet ... er scheint in Sorge um meinen Herrn.«
Irmgard redete Minucci auf italienisch an. Dieser antwortete:
»Ich sehe, daß Ihr uns als Dolmetsch dienen könnt und das trifft sich glücklich. Ich möchte mit dem Grafen Ortenburg sprechen, dessen Diener aber sagt mir, sein Herr sei nicht daheim, er sei im Kloster Santa Sabina, aber ich werde nicht klug daraus, was in aller Welt ihn dahin geführt haben kann.«
»So ist der junge Mann in der Tat nicht hier?« fiel Brüder Martin ein.
»Ihr seht es«, sagte Irmgard, »ich hatte nur zu sehr recht zu erschrecken. Laßt uns in des Herrn Kammer treten, Götz«, wendete sie sich dann an den Diener, »daß wir mit Muße darüber reden können, was jetzt zu tun.«
Götz öffnete das Wohngemach seines Herrn vor ihnen und alle vier traten ein.
Signor Callisto ließ sich in einen Sessel nieder und zu Irmgard gewendet, sagte er:
»Ihr seid das deutsche junge Mädchen, das der Graf zu meiner Gattin führte, und Ihr?« fuhr er, Bruder Martin ansehend, fort.
»Ein deutscher Mönch, mit mir gekommen in der Sorge um den Grafen, dessen Freund er ist«, versetzte Irmgard rasch einfallend. »Ich bitte, Herr, sagt uns, was Euch herführt, denn Ihr seht uns beängstigt um das Los des Grafen.«
»Auch mich«, erwiderte Signor Callisto, »hat eine Sorge um ihn hergeführt. Ihr müßt nämlich wissen, daß Graf Egino vor kurzem mich begleitete, um mir als Zeuge zu dienen bei einer Trauung –«
»O, wir wissen es, Signor, wir wissen es; ich bitte Euch, fahret fort«, unterbrach Irmgard ihn.
»Wohl denn, so begreift Ihr meine Unruhe«, entgegnete Signor Callisto, »wenn ich Euch sage, daß ich plötzlich am heutigen Morgen niemand geringeren als den Herzog von Ariccia an meiner Villa draußen erscheinen sah; er hielt zu Pferde an der Treppe, die zu meiner Wohnung aus dem Garten hinaufführt.«
»Signore Minucci«, sagte er, als ich herbeigerufen über ihm auf der Terrasse erschien, »bleibt nur da oben und ladet mich nicht ein abzusteigen und in Eure Wohnung zu treten, denn ich habe nicht Zeit dazu, weil ich hinaus will nach Prima Porta. Im Vorüberreiten an Eurer Villa kam mir ein Gedanke, und der veranlaßt mich Euch so von Euren Arbeiten aufzuschrecken. Sagt mir doch, wer war der junge Mann, der Euch neulich, Ihr wißt bei der Trauung meines Luca, als Euer Schüler, wie Ihr angabt, begleitete?«
»Ich erteilte ihm«, fuhr Signor Callisto zu erzählen fort, »die verlangte Auskunft. Er fragte alsdann nach der Heimat, nach den Verbindungen des jungen Mannes, nach dem Ansehen seines Hauses in Deutschland, nach dem Besitz und Einflusse desselben. Als ich auf alles das die Antwort gegeben, welche ich geben konnte, fragte ich ihn:
Und welches Interesse nehmt Ihr an dem allen, Exzellenza?«
»Nur ein zufälliges und ganz oberflächliches, teuerster Signor Legista«, versetzte der Herzog. »Der junge Mann ist im Kloster der Dominikaner, bei meinen frommen Nachbarn auf dem Aventin, erschienen, und hat da Exerzitien zu machen begehrt; die guten Mönche aber haben nicht viel Frömmigkeit bei ihm entdeckt und wissen nicht recht, was aus ihm zu machen; ob es rätlicher seiner offenbaren Ketzerhaftigkeit mit ihren moralischen und mit ihren eisernen Zwickschrauben zu Leibe zu gehen, oder ihn laufen zu lassen. Das hat mir heute zufällig im Gespräche der Prior mitgeteilt, und da ich ohnehin an Eurer Wohnung hier vorüberritt, versprach ich ihm bei Euch Auskunft über den deutschen Jüngling zu holen. Ich danke Euch für diese, Signor Minucci, und befehle Euch in den Schutz der Madonna. Auf Wiedersehen!«
Noch eine Handbewegung und der Herzog ritt davon, als sei er begierig, einem weiteren Gespräche zu entgehen.
»Desto besorgter ließ er mich zurück«, fuhr Signor Callisto fort; »ich konnte mich nicht täuschen darüber, daß er nicht in meine Villa geritten gekommen wäre, ohne ein ganz besonderes Interesse an unserem jungen Freunde, und daß diesem die Heimlichkeit, womit er es ableugnete und sich bloß als den Boten der Mönche von Santa Sabina darstellte, nichts Gutes bedeuten könne.«
Die Erzählung des Rechtsgelehrten konnte die Sorge der versammelten Freunde Eginos nur aufs peinlichste steigern. Sie besprachen und unterhielten sich lange über das, was zu tun sei und jeder übernahm es für sich aufs Eifrigste die Mittel und Wege zu verfolgen, durch die er imstande sein könne sich Kundschaft über das, was aus Egino geworden, zu verschaffen. Signor Callisto, der die Leibdiener der beiden Savelli, des Vaters wie des Sohnes, und außer Sor Antonio und Sor Giovanni Battista noch andere Angehörige ihres Haushalts kannte, wollte diese auszuhorchen suchen. Irmgard sollte Götz zum Schutze mit sich nehmen und in der Nähe von Santa Sabina zu erfahren suchen, ob man Egino das Kloster verlassend gesehen; Bruder Martin sollte durch seine Ordensbrüder in Santa Maria del Popolo Erkundigungen bei Mönchen des heiligen Dominikus einziehen lassen, wenn möglich; auch sobald man eine Nachricht über Egino hätte, sich an Padre Anselmo wenden und um seine Verwendung beim heiligen Vater bitten – dazu aber freilich bedurfte man vorher sicherer Anhaltspunkte über Eginos Schicksal. Wollte man sich an den hochstehenden Mann mit einem Gesuch wenden, mußte man ihm Bestimmtes und zuverlässig Feststehendes vortragen können. Man beschloß am andern Tage um dieselbe Stunde hier in Eginos Wohnung sich wieder zu treffen, um sich zu berichten, was man ermittelt.
Irmgard war so innerlich erschüttert und außer Fassung gebracht, daß sie an dieser ganzen Unterredung sehr wenig Anteil genommen. Sie hatte nur mit ihren großen erschrockenen Augen von einem Redner auf den andern geblickt.
Die Männer gingen. Götz begleitete sie hinaus und war dann in seine Kammer geeilt, um sich zum Ausgehen und zur Begleitung Irmgards bereit zu machen.
Da öffnete sich die Tür wieder und Bruder Martin trat zurückkehrend noch einmal ein. Er kam rasch auf sie zu und die Hand auf ihre Schulter legend, sagte er:
»Irmgard – armes Kind, ich sah wie angsterfüllt Du bist ...«
»Hab' ich nicht allen Grund dazu«, rief sie plötzlich in Tränen ausbrechend aus, »war ich es nicht, der ihm den bösen Rat gab?«
»Tröste Dich ... was kommt's auf Deinen Rat an, auf den Rat eines unerfahrenen Mädchens, eines Kindes ... der Graf mußte wissen, was er tat ... tröste Dich, stell' es Gott, der über uns allen wacht, anheim und vertrau, wir werden ihn wiederfinden. Signor Callisto sagte mir eben, als wir die Straße hinausschritten, er sei zu einem Gelage gebeten, an welchem auch der Herzog von Ariccia teilnehmen werde. Er kann mich einführen da; und ich, obwohl es sich für mein Gewand wenig ziemen wird dabei zu erscheinen, ich werde hingehen. Hier ist's ja nicht wider die Sitte, daß ein Mönch, ein Priester erscheint bei üppigen Gastmählern schwelgerischer Weltkinder. Ich werde gehen um des verschwundenen Freundes und ein wenig auch um deinetwillen, auf daß ich Beruhigung für Dich erlange, Irmgard.«
»O, wie gut Ihr seid, Bruder Martin«, unterbrach ihn Irmgard, »Graf Egino hat nicht umsonst Euer braves Gemüt gerühmt.«
»Hat er?« erwiderte lächelnd Bruder Martin; »ich werde es ihm leider heute nicht vergelten können, sondern im Gegenteil, ich werde recht viel Schlechtes von ihm reden müssen ...«
»Schlechtes? Ihr? Weshalb?«
»Begreifst Du nicht? darauf beruht ja mein Plan. Sagt' ich Dir nicht, der Herzog von Ariccia werde zu dem Feste kommen?«
»Freilich – und ihm wollt Ihr Schlechtes von Graf Egino sagen? Ah, ich begreife – Ihr seid als sein Gegner hier, Ihr führt wider ihn einen Streit am Gerichtshofe ...«
»So ist's«, fiel Bruder Martin ein, »just das. Ich werde mich dem Herzog zu nähern suchen, ich werde ihm sagen, daß ich erfahren, wie er sich nach meinem Widerpart erkundigt, ich werde geltend machen, daß ich sein Landsmann und sein Gegner bin. Glaubst Du nicht, daß der Herzog alsdann einen Mann in mir sieht, dem gegenüber er nicht auf seiner Hut zu sein braucht, daß ich ihm wenigstens Andeutungen entlocken werde, was aus Egino geworden? Dazu in der Erregung eines solchen Festes, wenn der Wein das Herz aufschließt, und die Lippen beredt macht – es müßte sehr ungeschickt von mir angestellt werden, oder ich müßte großes Unglück haben, wenn es mir nicht gelänge!«
»O gewiß, gewiß«, rief Irmgard hoffnungsvoll und freudig errötend aus, »Ihr habt den besten Weg gefunden – und daß Ihr ihn gehen wollt, ist um so edler von Euch, weil es Euch schwer werden wird ihn zu gehen, weil er Euch List und Verstellung kosten wird.«
»Du hast recht«, versetzte Bruder Martin, »aber wie kann ich anders – ich tröste mich, wenn ich solch eine Notsünde begehe, durch das Gleichnis des Herrn, das mir erlaubt auch am Sonntag zu arbeiten, wenn ich das arme in den Brunnen gefallene Tier retten will, und durch jenes andere, das meines Nächsten Kornähren zu rauben erlaubt, wenn mich hungert. Und so behüte Dich Gott, liebe Landsmännin, ich hoffe Dir bald Tröstliches bringen zu können.«
Er gab ihr die Hand und ging; gleich darauf kam Götz, um Irmgard zu geleiten.