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In der Stadt Riavenna gebot vor vielen Jahren der junge Herzog Parabosco aus dem edlen Hause Combarini als der Dritte seines Namens. Er war fröhlichen Sinnes, denn er lebte mit Gott und mit seinen Nachbarn in Frieden und hielt auch gute Freundschaft mit seinem Oheim, dem Papste. Die Einwohner von Riavenna liebten ihn, weil er versprochen hatte, für das Wohl des Staates sorgen zu wollen. Und wirklich legte er den Unternehmungen seines Volkes, dem Aufschwung von Handel und Gewerbe kein ernstliches Hindernis entgegen. Zu Gesichte bekam man ihn selten, denn Parabosco war ungeachtet seiner jugendlichen Heiterkeit sehr stolz. Er hauste mit seiner Schwester Anna in dem geräumigen Palast, umgeben von einer zahlreichen Garde, hielt einen prächtigen Hof und liebte neben der Jagd noch die Gesellschaft berühmter Künstler und weiser Männer. Parabosco war ein eigenwilliger junger Fürst und sein Bestreben ging dahin, nicht bloß die Stadt Riavenna und alles Volk, das darinnen lebte, zu beherrschen, sondern, als ein wahrer Regent, auch den Ereignissen zu gebieten, die sich unter seinem Zepter etwa zutragen konnten. Sogar mit Wind und Wetter wußte er sich auf besondere Weise abzufinden, dergestalt, daß es stets den Anschein hatte, als regne es nur auf herzoglichen Befehl und als blicke die Sonne nur mit Erlaubnis des Herzogs auf Riavenna herunter. Niemals befolgte er die Ratschläge der Großen seines Reiches, und in schwierigen Fällen traf er unerwartete, oft rätselhafte Entscheidungen mit einer heimlichen Freude, wenn ihn niemand verstehen konnte. Dennoch geriet er nie in Verlegenheit, ja in allen Händeln der Staatskunst blieb er bisher immer ungetäuscht und siegreich. Seiner Schwester Anna, die, um sieben Jahre jünger als er, fast noch ein Kind, an seiner Seite lebte, überließ er es, sich auf ihre Weise zu vergnügen. Denn obgleich er sie als seine einzige noch lebende Verwandte innig liebte, mochte er sie durch seine häufige Gesellschaft nicht in der Freiheit ihres Wollens behindern.
Im dritten Jahre seiner Regierung, Parabosco war eben vierundzwanzig Jahre alt geworden, ereignete sich ein Vorfall, der den Herzog für eine Weile aus seiner heiteren Ruhe aufrüttelte und ihm Veranlassung gab, über das menschliche Wesen tiefer nachzudenken.
Es war in einer milden Sommernacht gegen zwölf Uhr, und der Herzog kam eben aus der Vorstadt San Vito di Felice zurück, wo er den Abend bei seiner Geliebten verbracht hatte. Parabosco ging allein und war sehr glücklich. Wenn er sich auch schon vieler Frauen, die er besessen, entsinnen konnte, so hatte ihn doch keine im Innersten so tief erfreut wie des armen Hufschmieds Tochter Vittoria Malfezzi. Die Buhlerinnen aus Rom, die ihm sein jugendlicher Vetter, der Kardinal Combarini, manchmal zugesendet, hatten ihn mit Tanz und Gesang oft erheitert, und in trunkenen Stunden konnte er sich an den schamlosen Tollheiten neapolitanischer Dirnen ergötzen; heute aber hatte er zum ersten Male eine Jungfrau in seinen Armen gehalten. Die bebende, beinahe feierliche Hingabe der jungen Vittoria hatte ihn in einen Zustand berauschter Seligkeit versetzt. Ihre unbewußten kunstlosen Liebkosungen erfüllten ihn mit Entzücken, und daß sie beim Abschied von ihm, vom Fürsten, nichts weiter verlangte als seine Küsse, stimmte ihn weich und zärtlich.
So ging er durch die stillen Straßen Riavennas seinem Palaste zu. Es war ihm auf diesem einsamen Heimweg, als habe ihn die Liebe seiner Stadt heute abend zum ersten Male umfangen, und ihm schien, als schreite er jetzt an diesen stillen, verschlossenen Häusern vorüber wie an einer Reihe bescheidener stummer Spender. Parabosco bekam ein Gefühl von allgemeiner Zuneigung, und es war ihm plötzlich ein Bedürfnis zu sagen: ›Mein Riavenna.‹ Mit dem Stolze des Eigentümers, mit der Hoheit des Regenten hatte er diese Worte oft und laut ausgesprochen, aber niemals so innig wie jetzt, da er in der milden Sommernacht nach Hause ging, im Herzen hocherfreut darüber, der Fürst von Riavenna zu sein und der Geliebte der holden Vittoria.
Eben betrat er das finstere Gäßchen, das auf den großen Platz vor dem Palast hinführte, als etwa zwanzig Schritte vor ihm ein Pförtchen sich auftat und zwei Frauengestalten, die vom Dunkel der Mauer sich lösten, davonhuschen wollten. Parabosco tat nun schnellere Schritte, um die beiden einzuholen, und wie er dabei an dem Pförtchen vorbeikam, sagte er in der Eile zu sich: ›Ist das nicht der Palazzo Gembi? Gewiß, er ist's. Nun, so bin ich an diesem Abend nicht allein vergnügt gewesen, und der blonde Francesco, mein hübscher Fähnrich, hat auch seine Freude gehabt.‹ Während solcher Worte hatte er die vermummten Frauen eingeholt, die jetzt zu laufen begannen; Parabosco aber erreichte sie mit einem Sprung und hielt lachend die eine an der Schulter fest. »Erschreckt nicht, mein holdes Fräulein,« redete er sie an, »ich will Euch nichts zuleide tun, – nur das Geleite möchte ich Euch geben, da Euer Liebhaber nun einmal so ungalant ist, und Euch des Nachts allein nach Hause schickt.« – »Erschreckt nicht, ich bitte Euch!« sagte er nochmals und mit ernstem Tone, denn das junge Mädchen, das er ergriffen hatte, zitterte am ganzen Körper und drohte umzusinken.
Die andere aber, offenbar ihre Dienerin, sprang herzu, faßte die Halbohnmächtige um die Mitte und versuchte sie mit sich fortzureißen. Parabosco, von so vieler Ängstlichkeit geärgert, gab das Mädchen frei und wandte sich an die Begleiterin, indem er sich bemühte, ihr durch den Schleier zu blicken. »Beruhigt Eure Herrin«, sprach er zu ihr. Allein, er konnte nichts weiter sagen, denn jene schrie plötzlich auf: »Heilige Mutter Gottes – der Herzog!« Parabosco fühlte, wie er beim Klange dieser Stimme so heftig erschrak, daß seine Füße bleischwer wurden und er wie festgewurzelt stand. War das wirklich die Stimme der alten Caterina, der Amme und Hüterin seiner Schwester ...? Mit einem raschen Griff hatte er die Alte beim Handgelenk, riß ihr den Schleier ab und rief: »Jawohl, der Herzog! So wahr, wie du Caterina bist und das da meine Schwester!«
Ein leises Schluchzen, Parabosco von Kindheit an vertraut und teuer, ließ sich jetzt vernehmen. Prinzessin Anna weinte. Parabosco reichte ihr seinen Arm! »Wir haben denselben Weg«, sagte er und führte sie, die mit wankenden Knien neben ihm einherging, in den Palast. Nicht ein Wort mehr wurde gewechselt.
Parabosco brachte seine Schwester zu keinem der Hinterpförtchen seines fürstlichen Hauses, sondern er trat mit der Prinzessin durch das große Tor, wo im geräumigen Flur zwanzig Trabanten von der Garde die Wache hielten. Der Herzog passierte kopfnickend das Spalier der Soldaten, während sie dröhnend ihre Hellebarden vor ihm zur Erde stießen. Er sah dem jungen Anführer fest ins Gesicht. Da gewahrte er, daß dieser blaß wurde, während er den Degen senkte, und mit bestürzten Mienen auf die Prinzessin schaute. ›Der also weiß davon‹, dachte der Herzog bei sich. Dann schritt er mit seiner Schwester die breite Marmortreppe hinauf, verabschiedete sich oben, wo zwei steinerne Löwen das Wappen der Combarini über die Brüstung hielten, mit einer tiefen Verbeugung von der Prinzessin, winkte der knixenden Amme mit der Hand und zog sich hierauf in seine Gemächer zurück.
Um vier Uhr vor Tage befahl Herzog Parabosco seinen Schergen, Caterina, die Amme und Beschließerin der Prinzessin Anna, zu verhaften und zu knebeln. Um halb fünf Uhr schickte er nach dem Priester, dem er auftrug, der alten Frau die Beichte abzunehmen und ihr das Sakrament zu spenden. Die Schergen mußten dafür Sorge tragen, daß die Inquisitin sofort, nachdem der Priester sie verlassen hatte, wieder geknebelt werde. Um fünf Uhr ließ er den Henker holen und gebot ihm, Caterina in dem Augenblick, in dem die Sonne aufgehen werde, zu erdrosseln.
Als aber um sechs Uhr die Sonne aufgegangen war und mit ihren Strahlen Riavenna aus dem Schlafe weckte, stieg der Herzog in den Flur des Palastes hinab. An der untersten Stufe begegnete er dem Henker, der, aus den Kerkergewölben emporsteigend, die oberste Stufe der Kellertreppe gerade erreicht hatte und mit dem Herzog gleichzeitig auf ebener Erde angelangt war. »Ist es vorbei?« fragte Parabosco und der Henker nickte. Parabosco schlug nicht einmal ein Kreuz. Er dachte: ›Ihr ist recht geschehen. Immer sollte man nur die Kuppler strafen; meine Schwester Anna ist ein Kind, und Francesco – nun, wir werden ja sehen ...‹ Hierauf ließ der Herzog vier Trompeter aufsitzen, nach verschiedenen Richtungen durch die Straßen reiten und blasen, zum Zeichen, daß die Garde sich vor dem Schlosse zu versammeln habe.
Alsbald standen die Truppen auf dem freien Platze in Reih und Glied. Parabosco ging die Front ab und verweilte hie und da mit einigen Worten bei einem von den Hauptleuten. Von weitem sah er nach Francesco Gembi hin, der gelassen und heiter vor seiner Abteilung stand, das flatternde Fähnlein hoch im Arm. Parabosco hielt vor dem greisen Bernardo Colalto und sagte laut: »Ich habe heute nacht einen Spaziergang gemacht; – um zwölf Uhr kam ich durch jenes Gäßchen ...« Bernardo Colalto sah seinen Gebieter mit trüben Augen ohne Verständnis an. Der Herzog aber hatte während dieser Worte die Blicke fest auf das Antlitz Francescos gerichtet, und als er bemerkte, daß dieser ihn nicht hatte hören können, da wandte er sich eilends von Colalto ab und schritt nun geradeaus auf Gembi zu: »Ihr habt viel Glück in der Liebe, Francesco Gembi«, sagte er. Francesco verzog seinen hübschen Mund zu einem fröhlichen Lächeln, als er aber die finstere Miene Paraboscos bemerkte, verstand er sogleich und erblaßte. Und wie nun der Herzog mit halber Stimme fortfuhr, ganz nahe bei ihm: »... um zwölf Uhr kam ich durch jenes Gäßchen«, da schwankte das Fähnlein im Arme des jungen Gembi. Der Herzog griff nach dem Schaft und rief: »Haltet das Banner fest, Herr Gembi!« Leise sagte er: »Wenn Ihr es versucht, mir zu entwischen, dann lasse ich Euch wegen Fahnenflucht niederschießen. Im übrigen habt so viel Glück in der Liebe, als Ihr wollt und könnt; das ist Eure Sache.«
Nach diesem begab sich der Herzog wieder in den Palast und ging in das Zimmer seiner Schwester. Als die Prinzessin ihren Bruder bei sich eintreten sah, fiel sie tränenden Auges auf die Knie und rang die Hände. Parabosco sagte mit Heftigkeit: »Steht auf, ich bitte Euch. Eine Combarini kniet nicht; Ihr vergeßt dieses Gesetz.« Und weil sie seinem Befehl nicht sogleich gehorchte, fügte er hinzu: »Ihr habt in dieser Nacht schon einmal vergessen, daß Ihr eine Combarini seid.« Da erhob sich die Prinzessin rasch und stand gesenkten Hauptes vor ihrem Bruder. Der Herzog aber fuhr fort: »Ihr seid die Tochter Paraboscos des Zweiten, wie ich sein Sohn bin, Eure Vorfahren sind auch die meinen. Aber vergeßt nicht, meine Hoheit ist es, welche die Eure schafft, und deshalb,« – hier wurde die Stimme des Herzogs lauter – »ja, gerade deshalb ist Eure Schmach nicht notwendig auch meine Schande; und ich werde Euch das beweisen!«
Damit ging er hinweg.
Eine Stunde lang sprach der Herzog in seinem Kabinett mit dem weisen, rechtskundigen Philosophen Pietro Gonzalvo. Dann rief er seinen Pagen und hieß ihn Agostino di Gardone, den Bildhauer, herbeirufen.
»Nein,« sagte Parabosco, als der Page weggegangen war, »nein, Gonzalvo, ich verliere meine Zeit mit Euch. Was Ihr ratet, ist nicht gut.«
»Meine Meinung ist im Gesetz begründet«, entgegnete Gonzalvo und hatte Lust, sich aufzuspielen. »Ich kann genau beweisen ...«
»Nichts könnt Ihr beweisen«, fuhr der Herzog auf. »Im Gesetz! ... Habt Ihr nicht oft an meinem Hof mit anderen weisen Männern die Beschränktheit aller menschlichen Gesetze verspottet? Wenn die Jugend der Prinzessin Anna einem jungen Burschen an den Hals fliegt – soll ich nach dem Gesetz darüber richten? Ihr kommt jetzt mit dem Büttel daher, Ihr Freigeist! Ihr sprecht von Sünde wie ein Pfaff. Und weil Francesco Gembi angenommen und genossen hat, was ihm sein hübscher Schnurrbart erworben, soll ich ihn jetzt erdolchen, erwürgen, erschießen lassen! Ihr gebt mir freie Wahl darüber. Nein, wahrlich, Herr Gonzalvo, es ist nicht zu glauben, aber so ist Eure Weisheit beschaffen ...«
Parabosco lief im Zimmer auf und nieder: »Gibt es irgendwo in der Welt einen jungen Mann, der sich nicht mit Lust hineinstürzt, wenn ein schönes Mädchen ihm Arme und Beine öffnet? Gibt es einen?« wiederholte er und fuhr mit dieser Frage dem völlig ratlos gewordenen Gonzalvo dicht unter die Nase. »Bringt ihn mir doch – aber geschwind, ich bitte Euch sehr darum, und heute noch soll Francesco Gembi baumeln. Wie oft haben wir von der Unwiderstehlichkeit der menschlichen Triebe gesprochen? Wie oft waren wir einig, daß es nutzlos sei, gegen die Natur Gesetze zu machen? Und jetzt wißt Ihr auf einmal nichts mehr davon, nichts mehr von dem Trieb zur Liebe, nichts von der Natur! Oder habt Ihr damit etwa meine eigene Jugend und ihre Ausbrüche rechtfertigen wollen? Schönen Dank! Die Mühe war überflüssig. Ich tue, was ich will, und brauche keine Philosophie dazu, wenigstens nicht die Eure!« Hier fiel dem Herzog mit einem Male die kleine Vittoria ein, und er hatte in der Folge eine rechte Mühe, die beiden Fälle, den seiner Schwester und den seiner Geliebten, nicht untereinander zu verwechseln. Dem armen Pietro Gonzalvo ging es unter so beschaffenen Umständen schlimm genug, denn der Herzog bezog von jetzt ab in die Verteidigungsreden, die er nun hielt, auch seine eigene Affäre mit ein.
»Ich soll die Prinzessin davonjagen, verbannen, in ein Kloster sperren, weil sie einen Mann unter ihrem Range liebte?«
Gonzalvo schüttelte den Kopf und versuchte ein Lächeln, wie um anzudeuten, daß solche Grausamkeit nicht in seiner Absicht liege. Doch Parabosco hatte noch mehr zu fragen und rückte wieder näher: »Was aber, mein vortrefflicher Philosoph, wenn die Prinzessin einen Mann über ihrem Range geliebt und bei ihm geschlafen hätte? Würdet Ihr noch zur Verbannung raten, wenn sie diese Nacht beim Kaiser oder beim Papste gewesen wäre?«
Da Gonzalvo hierauf nicht gleich etwas zu sagen wußte, entstand eine Pause. Der Herzog lief im Zimmer hin und her und Gonzalvo, dem es ziemlich leer im Kopfe war, zählte ganz unwillkürlich den Takt dieser Schritte: eins – zwei, eins – zwei, bis er sich darüber ertappte und heftig erschrak. Gleich darauf fuhr er noch mehr zusammen, denn Parabosco schrie auf einmal: »Francesco Gembi hängen lassen! Ihr seid nicht logisch, Meister Pietro!« Und er blieb vor ihm stehen. »Was hätte ich damit getan? Hätte ich Francesco bestraft oder mich an ihm gerächt?«
Gonzalvos fettes Antlitz erhellte sich. »Beides«, sagte er triumphierend, und sein breiter Mund lächelte.
Parabosco maß ihn vom Kopf bis zu den Füßen, und Gonzalvos Sicherheit schwand wieder unter diesem Blick: »So sprechen Fürstendiener«, sagte der Herzog. »Fürsten denken anders.« Und er war sehr stolz.
»Ich liebe diesen kleinen Gembi nicht. Ich möchte ihn ohrfeigen, ihn die Treppe hinunterwerfen, ihn mit der Reitpeitsche prügeln ... Das alles könnte ich und das dürfte ich vielleicht. Aber ihn hängen lassen, weil ich der Herzog bin und er der Gembi, und weil er meine Schwester verführt hat und ich zufällig nicht die seinige ...« Parabosco brach ab und drang heftig auf Gonzalvo ein: »Wenn ich Francescos Schwester besessen hätte – was sage ich, wenn der niederste meiner Untertanen eine Tochter hat und ich mache sie zu meiner Geliebten, die Tochter eines Hufschmieds ... wie kann der Hufschmied ...« der Herzog schluckte hier, um nicht zu sagen: der Hufschmied Malfezzi – »wie kann der Hufschmied«, wiederholte er, bei diesem Gewerbe beharrend, »über meine Liebe richten? Könnte er Parabosco beim Herzog verklagen? Und ich soll den Richter spielen über Francesco und die Prinzessin?«
Währenddessen war Agostino di Gardone, der Bildhauer, eingetreten und blieb an der Tür stehen.
»Gut, daß Ihr endlich kommt«, rief ihn der Herzog an. »Ihr habt das Bildnis meiner Schwester angefertigt, nicht?«
Agostino sah mit mißtrauischen Augen auf den Herzog: »Jawohl, gnädiger Herr, auf Eure Bestellung – aber ich habe keine Lust, mein Geld zu verlieren, weil Ihr Euch mit der Prinzessin gezankt habt.«
»Wer spricht von deinem Gelde?« fiel der Herzog ein. Aber Agostino unterbrach ihn: »Ich«, sagte er ruhig. Und als Parabosco zornig die Hand erhob, trat der Bildhauer einen Schritt vor und rief, mit dem Fuße stampfend: »Die Geschichte läßt sich nicht mehr rückgängig machen! Damit Ihr's wißt – das Bildnis ist fertig.«
»Um so besser«, sagte der Herzog schnell, der des Agostino Kühnheit von jeher duldete. »Habt Ihr Platz für die Inschrift gelassen?«
»Platz genug, um einen ganzen Roman zu schreiben«, erwiderte Agostino, einigermaßen besänftigt. »Die Platte ist so groß« – und er zeichnete die Umrisse mit der Hand in der Luft –, »in der Mitte oben ist das Relief der Prinzessin; Ihr habt es ja so gewollt ...«
»Ganz recht, ganz recht«, sagte Parabosco. »Aber der Stein darf mir nicht aufs Portal von Sankt Anna ...«
»Gebt ihn hin, wohin ihr wollt, was geht das mich an«, brummte Agostino.
»Nun wohl«, sprach jetzt der Herzog ruhig. »Ich befehle Euch, setzt auf den Stein die Inschrift: ›In diesem Hause wurde Prinzessin Anna entehrt.‹«
Agostino di Gardone und Pietro Gonzalvo fuhren zusammen. Der Herzog aber blieb gelassen und redete weiter: »Ich befehle Euch, diese Tafel noch heute am Palazzo Gembi anzubringen. Ihr geht sogleich, denn es ist keine Zeit zu verlieren. Wir haben jetzt noch vier Stunden bis zum Mittag. Vier Stunden nach dem Mittag muß dieser Stein an der Stelle, die ich bezeichnet habe, enthüllt werden und dem ganzen Volke erzählen, was heute nacht geschehen. Geht, sag' ich Euch!« fuhr der Herzog heraus, da Agostino zögerte. »Es ist mein Befehl. Ich lasse Euch peitschen, wenn Ihr nicht gehorchen wollt!« Und Parabosco schlug mit der Faust auf den Tisch, was er selten tat.
»Ach was, peitschen!« murrte Agostino, zuckte die Achseln und ging ohne Gruß von dannen.
»Auch Ihr seid nun entlassen«, wandte sich der Herzog an Pietro, der mit kläglichen Augen überall im Zimmer umherspähte, als suche er in den Winkeln oder an der Decke nach einer Erklärung für diese Wendung der Dinge.
»Bedenkt, gnädiger Herr«, flüsterte Gonzalvo mit schwachem Atem.
»Es ist bedacht. Caterina, die Amme, ließ ich knebeln, damit sie nicht allsogleich plaudere. Sie wurde diesen Morgen erwürgt, denn sie allein hat Strafe verdient. Zur Hüterin der Prinzessin war sie bestellt und ist die Kupplerin ihrer Wünsche gewesen, wie Ihr jetzt, der Ihr zu meinem Rate berufen seid, der Kuppler meines Zornes werden wolltet!«
Gonzalvo versuchte seinen Mienen einen beschämten und reumütigen Ausdruck zu geben, allein der Herzog sah ihn gar nicht an und sprach weiter: »Ich hätte vollends geschwiegen, aber der Fähnrich, der heute nacht die Wache hielt, Filippo Geraldini, der wurde bleich, als er die Prinzessin an meinem Arm in den Palast treten sah. Er hat gewußt, woher die Prinzessin kam, sonst wäre er nicht bleich geworden. Francesco Gembi hat sich vor ihm gebrüstet oder hat's ihm anvertraut. Ein Fähnrich prahlt zum andern mit seiner Liebsten, und dieses Mal war's meine Schwester, mit der ein Fähnrich großtun durfte ...«
Bei den letzten Worten wurde der Herzog so aufgebracht, daß er einen Pagen an Gardone sandte und ihm abermals befehlen ließ, der Stein müsse noch diesen Nachmittag enthüllt werden.
Und wie um seinen Entschluß noch mehr zu bekräftigen, wandte er sich, als der Knabe fortgesprungen war, wieder zu Gonzalvo: »Er muß! Soll ich's als ein Gerücht, als einen Klatsch durch Riavenna flüstern und zischeln lassen? Soll man mit Fingern nach mir zeigen? Soll man an meiner Tafel nicht mehr von Liebesabenteuern sprechen dürfen aus Furcht, mich zu verletzen oder zu höhnen? Oder soll von den Männern meines Hofes ein jeder sich's heimlich vorsetzen, sein Glück bei der Prinzessin zu versuchen? Damit sie dann unter meinen Augen und scharenweise nach ihr angeln, wo es doch bisher nur einer heimlich gewagt hat? O nein! Wo ich's mit Gottes Hilfe hindern kann, will ich's tun! Die beiden mögen sich geliebt und ergötzt haben – ich für mein Teil verspüre keine Lust, mich als Wandschirm davorzustellen, die Blicke der Gaffer aufzufangen, mich von den schmutzigen Händen der Neugier um und um betasten zu lassen. Haben sie's getan, Francesco und meine Schwester Anna, dann mögen sie allein die Beschwerden davon haben, wie sie allein auch das Vergnügen davon gehabt haben. Und ehe es in der Stille kund wird, dann sollen es lieber gleich alle öffentlich wissen und dies dazu: Ich hefte diesen ganzen dunkeln Handel an das Haus des Gembi; so tu ich die Schmach von mir selbst ab und scheue nichts mehr, was aus diesem Abenteuer noch entstehen mag.«
Gonzalvo verbeugte sich und ging, da Parabosco ihm jetzt den Rücken kehrte und an ein Fenster trat.
Im Vorsaal draußen schlug der Philosoph sich vor die Stirn: ›Ich Narr! Warum ist mir dergleichen nicht eingefallen? Heute noch wäre ich Kanzler geworden!‹ Als er aber auf der Treppe dem Staatsschreiber Errante begegnete, sagte er zu diesem: »Wichtige Dinge haben wir jetzt miteinander beraten und befohlen, der Herzog und ich. Man wird heute noch in Riavenna darüber staunen.« Darauf ging er an dem bis zur Erde sich neigenden Errante vorüber, zog mit bedächtigem Schritt, die Stirne gerunzelt, die Treppe hinab, wie ein Mann, der von der Höhe seines Einflusses leutselig und mild einmal auch zu den gewöhnlichen Menschen niedersteigt.
Agostino di Gardone war kaum in seiner Werkstatt angelangt, als er sich Wein bringen ließ, denn er war vom raschen Gehen erhitzt und durstig. In Wirklichkeit ließ Agostino den Wein bringen, weil er sich beständig erhitzt und durstig fühlte und auch weil er sich freute, noch diesen Tag eine Bezahlung zu erhalten, auf welche er so bald gar nicht gehofft hatte. »Wer weiß, wann Parabosco sich meines Reliefs erinnert haben würde. Jetzt verhilft mir die verliebte Prinzessin auf einmal zu meinem Gelde, und ich darf mir einen guten Tag antun.«
Darauf trank Agostino bis zum Mittag, also vier Stunden lang, und ließ sich Zeit; denn weil er ein flinker Arbeiter war, gedachte er mit den paar Buchstaben immer noch fertig zu werden. Endlich erhob er sich, und wiewohl etwas trüb im Kopf, meißelte er doch mit großer Schnelligkeit seine Inschrift und sang allerlei freche Lieder dazu, wie er immer tat, wenn er mit Lust am Werke war. »In diesem Hause wurde Prinzessin Anna ...«
Agostino war gerade zu den Buchstaben AN gekommen, als er anfing, sich auf den rechten Wortlaut zu besinnen, den Parabosco befohlen. Nachlässig wie immer und ohne Ehrfurcht – denn in seiner Künstlerschaft dünkte er sich dem Herzoge gleichgestellt – hatte er nur flüchtig achtgegeben, als dieser redete, und so war ihm jetzt nach vierstündigem Trinken und bei dem zerstreuten Denken an das unverhoffte Geld der Text aus dem Gedächtnis geraten. ›In diesem Hause wurde Prinzessin Anna ... Ja, was wurde sie? Lächerlich! Ich weiß schon, was sie wurde‹, dachte Agostino. ›Und bei Gott, ich wäre gerne dabeigewesen, als sie das wurde, was sie wurde, denn sie ist ein hübsches Mädchen und ihre lachenden schwarzen Augen könnten auch mich zu einer Gedenktafel begeistern ... meinetwegen soll dann ein anderer die Bestellung erhalten! Was sie wurde, darüber ist keine Frage! Aber ich weiß genau, daß der Herzog ein mildes Wort dafür gebraucht hat.‹
Nun lagen dem Agostino wohl deshalb, weil er nur ein einfacher Künstler war, die gut fleischlichen Worte näher als die begrifflichen. Er ging also der Reihe nach alle Ausdrücke durch, die sich für das Vergehen der Prinzessin Anna finden ließen. Den Hammer schwingend, sprach er fast mit jedem Schlag eine neue Bezeichnung aus, und wenn ihm jemand dabei zugehört hätte, so wäre er gewiß ebenso erstaunt gewesen über diese sonderbare Art, seine Arbeit mit unflätigen Reden zu begleiten, als auch über den reichen Wortschatz, der dem Agostino für eine einzige Sache zu Gebote stand. Indessen prüfte der Bildhauer alle diese Ausdrücke, die ihm so glatt von den Lippen sprangen, auf ihre Tauglichkeit und verwarf sie wieder. Er lachte manchmal kurz auf, wenn ihm auf seiner Suche nach dem verlorenen Wort ein recht kräftiger Ausdruck aus der Volkssprache Riavennas aufstieß und er sich vorstellte, wie sich das wohl hinter dem Namen der Prinzessin Anna ausnehmen würde. Dabei begann er immer rascher zu sprechen, denn er wollte mit sich im reinen sein, noch ehe er den Namen Anna vollendet haben würde, und er fürchtete, er könne, vom rechten Einfall verlassen, gezwungen werden, die Arbeit zu unterbrechen, um in ärgerlicher Grübelei die beste Zeit zu verlieren. Kaum aber stand noch das letzte A auf der Tafel, da tat Agostino einen kleinen Sprung: das fiel ihm gerade rechtzeitig ein! Prinzessin Anna wurde zum ersten Male ...! Das war doch die Hauptsache! Denn wenn's nicht zum ersten Male wäre, könnte der gute Parabosco schon daran gewöhnt sein und brauchte kein solches Aufheben davon machen. Schließlich, er kann ja nicht an jedes Haus eine Tafel anbringen lassen, in welchem die Prinzessin Anna wurde ... So was feiert man doch nur beim ersten Male. »Und jetzt weiß ich auch, was auf die Tafel gehört!« rief Agostino laut, indem er den Hammer schwang: »Entjungfert! In diesem Hause wurde Prinzessin Anna entjungfert!«
Damit grub er denn frohen Mutes dieses Wort, das ihm im Vergleich zu allen übrigen bisher überdachten sehr vornehm erschien, in seine Tafel. Das dunkle Bewußtsein, der Herzog habe sich wohl irgendwie anders vernehmen lassen, störte Agostino nicht weiter, da er auf feine Unterschiede niemals sonderlich achtete und der Meinung war, es müsse nun auch so gut sein, wie es sei, und jeder werde es verstehen, worauf es ja dem Herzog zunächst ankomme.
Als die Inschrift nach manchem Hammerschlag und etlichem Gesang zuletzt fertig war, stach Agostino sorglos sein ANNO DOMINI darunter und weil noch eine volle Stunde übrig blieb, tat er mit besonderem Fleiß noch allerlei Zierat hinzu, wie es ihm gerade durch den Sinn kam. Er machte ein Herz, das von einem zierlichen Pfeile durchbohrt wurde, ließ ein Krönlein darüber schweben und stellte rechts und links davon ein frommes Kreuzchen. Dafür aber setzte er ganz unten in die Ecke einen kleinen Phallus nach pompejanischer Manier, nicht so groß, daß er besorgen mußte, die Leute werden ihn aus der Entfernung wahrnehmen, aber doch so, daß er seinen eigenen Spaß daran haben konnte und damit er da stehe als die persönliche Meinung, die der Künstler für sich selbst dazugetan.
Dann ließ er zwei Maurer kommen, schlug ein Tuch um seinen Stein, gebot ihnen, Werkzeuge mitzunehmen, und machte sich mit ihnen auf den Weg zum Palazzo Gembi.
Der Fähnrich Francesco Gembi war eben auf seinem Zimmer, das er nach der Begegnung mit dem Herzog nicht mehr verlassen hatte. Sein Kamerad und vertrauter Freund Filippo Geraldini weilte bei ihm, und die beiden besprachen sich darüber, was nun zu tun, was zu befürchten und was zu erwarten sei. Francesco war in großer Sorge um die Prinzessin und hatte den treuen Andrea, der in diesem Liebeshandel oft sein Bote gewesen, in den herzoglichen Palast geschickt, damit er dort von der alten Caterina erfahre, wie es um die Prinzessin bestellt sei. Allein Andrea war vor einer Stunde mit allen Anzeichen der Bestürzung zurückgekehrt und hatte gemeldet, Caterina sei diesen Morgen in der Stille erdrosselt worden, auf Befehl des Herzogs.
Nun sah Francesco für sich ein gleiches Schicksal voraus und erwartete jeden Augenblick die Häscher eintreten zu sehen, während Geraldini ihn zu trösten und zu beruhigen suchte. Da erhob sich draußen ein Lärm und alsbald trat Andrea wieder in das Zimmer, um zu berichten, es seien unten am Tore einige Leute mit einer Tafel, die sie durchaus an die Front des Palastes anbringen wollten. Das Gesinde habe ihnen solches verwehren wollen, aber Agostino di Gardone, der Bildhauer, sei mit ihnen. Der habe schrecklich geflucht und geschworen, die Tafel müsse dahin, dicht unter die Fenster des jungen Herrn Francesco – also habe der Herzog befohlen.
Francesco Gembi erblaßte und sprang auf, während Geraldini den Andrea wieder hinuntersandte, mit der Weisung, sein Herr lasse sagen, er sei in allen Stücken dem Gebote des Herzogs gehorsam und sie möchten nach Belieben schalten, wenn sie wirklich im Namen Paraboscos gekommen seien. Francesco hielt den Andrea noch auf und wollte gern erst wissen, was das für eine Tafel sei, aber indessen sie noch hin und her redeten, erscholl von der Straße herauf das wüste Geschrei Agostinos, der das Volk anredete: »Aufgepaßt, ihr Leute! In einer Stunde werde ich euch ein neues Kunstwerk zeigen! Ein Kunstwerk auf Befehl des Herzogs! Ausgeführt zum Gedächtnis dieser Nacht von eurem Mitbürger Agostino di Gardone! Holla! von mir! Angebracht und gehörig befestigt dort, wo es hingehört, vor den Fenstern des Francesco Gembi! Auf Befehl des Herzogs, sage ich euch, ihr dummen Hunde! Ich spaße nicht. Auf Befehl des Herzogs!«
Geraldini öffnete das Fenster und sah hinunter. Einige Leute hatten sich schon um Agostino versammelt, der seine wirren langen Haare schüttelte, sein rotes bärtiges Gesicht aufblähte und mit den Armen gestikulierte: »Im Namen des Herzogs, ihr Leute von Riavenna, herbei! Soll man euch an den Ohren herschleppen?«
»Halt dein Maul, du Schwein!« schrie ihm Geraldini von oben zu. »Wenn du wirklich im Namen des Herzogs da bist, dann tu, was man dir befohlen hat, und mach', daß du fortkommst.«
Agostino lachte mit offenem Mund zu dem Fenster empor: »Haha! Wenn ich wirklich im Namen des Herzogs da bin – das sollt Ihr gleich sehen.« Und er fing fürchterlich zu brüllen an: »Im Namen des Herzogs!« Wahrhaft entsetzlich schreiend fügte er hinzu: »Ich bin hoffentlich laut genug, daß Parabosco mich hören kann; denn er ist zu Hause! Im Namen Paraboscos!! Na also, wenn's nicht wahr ist, kann er ja herüberschicken und mich Lügen strafen! Im Namen des Herzogs!« setzte er von neuem und noch kräftiger ein, während Geraldini schon geglaubt hatte, er könne keinen Atem mehr haben.
Geraldini schlug das Fenster zu, denn er mochte nicht noch tiefer in diese Angelegenheit geraten, die augenscheinlich eine böse Wendung nahm. »Du hörst,« sagte er zu Francesco Gembi, »was dieser betrunkene Agostino für einen Lärm macht. Laß ihn gewähren, es wird sonst nur noch schlimmer.« Francesco, der gar nichts mehr wußte, noch ahnen konnte, stand mitten im Zimmer und strich mit der Hand aufgeregt bald über Stirn und Augen, bald wieder über Haare und Ohren. Da klopften draußen die ersten Hammerschläge an die Mauer, und man vernahm, wie abgehauene Steine und losgelöster Mörtel aufs Pflaster niederprasselten. Gleich darauf traten zwei Arbeiter in das Gemach mit Stricken und Pflöcken und verlangten, daß man sie ans Fenster lasse, denn die Tafel des Agostino müsse nun aufgewunden werden. Francesco deutete nur mit der Hand, daß er nichts dagegen machen könne, und die beiden Gesellen warfen ihr Werkzeug ohne weiteres auf den Fußboden. Von draußen aber hatte Agostino die Leiter erstiegen und erschien nun mit seinem ungekämmten Kopf im Fensterrahmen. »Seid mir gegrüßt, Herr Francesco Gembi«, gröhlte er jetzt ins Zimmer, stützte sich mit beiden Fäusten auf das Sims und machte viele komische Verbeugungen. »Wünsche wohl geschlafen zu haben diese Nacht! Seid mir gegrüßt! Ihr seht, welch einen höflichen Besuch Ihr an mir habt. Ich bring' noch was mit. Ha? bin ich ein Gast? Was seid Ihr für ein Glückspilz, junger Mann. Ihr bekommt da ganz umsonst einen echten Gardone ans Haus gepickt, den andere teuer bezahlen müssen. Ihr aber habt zuerst das Vergnügen und hinterher noch den Profit.« Francesco wandte sich ab; allein der Bildhauer gab sich jetzt wieder jenem Einfall hin, der ihn schon früher bei der Arbeit belustigt hatte, und er redete den jungen Fähnrich gemütlicher an: »Unter uns, lieber Freund, ich wollte, es wär' zu machen, daß wir unsere Verrichtungen tauschen. Ich nähme gern die Nachtarbeit auf mich.« Er schnalzte laut mit der Zunge am Gaumen. »Und dann könnt Ihr Euch am Marmor unterhalten.«
Francesco gab keine Antwort, sondern schritt der Türe zu. Der Einbruch in sein Haus, den er dulden mußte, traf ihn aufs schmerzlichste, und es schien ihm unerträglich, die Reden Agostinos länger anzuhören. »Am liebsten würde ich auf und davon gehen«, sagte er draußen zu Filippo. »Aber Parabosco hat mich ja förmlich in Hausarrest gesetzt. Gott mag wissen, was er vorhat.«
Geraldini hegte seit einigen Minuten den stillen, aber innigen Wunsch, auf gute Art aus diesem Hause wegzukommen. ›Den Teufel auch,‹ dachte er, ›ist das Freundschaft, mich da festzuhalten, und mich am Ende mit ins Verderben zu ziehen? Kann ich helfen? Ich schade mir nur beim Herzog. Ganz gewiß, ich schade mir sehr.‹
»Gott mag wissen, was er vorhat«, wiederholte Francesco, als er keine Antwort bekam. Geraldini nahm sich zusammen und sagte: »Parabosco? Man behauptet, er sei ein wildes Tier, wenn er sich beleidigt fühlt.«
Francesco sah seinen Freund mit einem Blick an, der zaghaft einige Aufmunterung zu erbitten schien, weshalb Geraldini unwillkürlich hinzufügte: »Wir werden ja sehen.« Zu mehr konnte er sich nicht aufschwingen, denn er hatte beschlossen, von nun ab zurückhaltend zu sein. Die beiden schwiegen eine Weile und horchten auf die Hammerschläge, die sich von draußen vernehmen ließen, so aufmerksam, als wollten sie sie zählen. Im Nebenzimmer schimpfte Agostino mit den Arbeitern und verlieh jedem seiner Befehle Nachdruck, indem er alle Augenblicke schrie: »Im Namen des Herzogs!«
»Wenn ich nur wüßte, was auf jener Tafel steht«, sagte Francesco vor sich hin.
Geraldini schnappte diese Worte förmlich auf. »Ich gehe hinunter und schaue ...« Damit war er schon an der Türe.
»Komm aber geschwind wieder zurück!« rief ihm Francesco nach.
»Sobald ich alles weiß«, antwortete Geraldini, fast schon draußen.
Er befand sich jetzt im Schlafgemach seines Freundes. Suchend blickte er um sich. »Ah, da ist es ja«, flüsterte er hastig und ging auf eine kleine Tapetentüre zu. »Es ist besser, man sieht mich vom Schlosse aus nicht aus diesem Hause gehen ... Verdammte Geschichte!« brummte Geraldini dann und warf einen Seitenblick auf das Bett seines Freundes. Gleich darauf stieß er die Tapetentüre auf, lief die geheime Treppe hinunter und schlüpfte durch das Hinterpförtchen, durch welches die Prinzessin in dieser Nacht davongeschlichen war. Das kleine Gäßchen durchschritt er eilig und kam alsbald auf den Platz.
Dort standen ein paar Müßiggänger und sahen den Anstalten zu, die Agostino traf. Niemand hatte eine rechte Ahnung von dem, was hier geschehen werde; man glaubte, Francesco Gembi habe sein Wappenschild in Stein hauen lassen, und weil jeder Edelmann dazu der Bewilligung des Herzogs bedurfte, fand man auch nichts Auffallendes an Agostinos beständigen Anrufungen des herzoglichen Namens.
Geraldini lief über den Platz dem Palaste zu. Er empfand eine innige Genugtuung, sich wieder hier draußen bei allen anderen unbescholtenen und unverdächtigen Leuten zu befinden. Nach dem Inhalt jener Tafel verspürte Geraldini jetzt nur noch eine mäßige Neugierde, so sehr hatte er sich bereits im Innern von Francescos Schicksal abgewendet. Sein dringendster Wunsch war in diesem Augenblicke, sich im Palaste zu zeigen, womöglich vom Herzog selbst gesehen zu werden, damit dieser zur Kenntnis nehme, daß der Fähnrich Filippo Geraldini sich durchaus nicht zu Francesco Gembi halte.
Als er den Palast betrat, sah er die vier wohlbekannten Trompeter zu Pferde steigen und vier Herolde, die das fürstliche Wappen der Combarini in bunter Stickerei auf der Brust trugen, schickten sich ebenfalls an, die Sättel ihrer großen andalusischen Rosse zu erklettern. Aus dem Vorsaal trat der greise Hofmeister Giuseppe Spezzi an die steinerne Brüstung und rief in die Halle hinunter: »Fertig?«
»Fertig!« donnerten die vier Herolde zu ihm hinauf.
»Ausreiten!« schrie Spezzi und verschwand wieder in der Tür des Vorsaals. Darauf dröhnte das Gewölbe vom Hufschlag der acht hinaustrampelnden Pferde. Geraldini sah, wie die Reiter draußen auf dem Platze die gewohnten vier Richtungen einschlugen; ein Paar von ihnen blieb zuerst noch vor dem Hause stehen. Die Fanfare klang und der Herold rief: »Bürger von Riavenna! Auf Befehl Seiner Gnaden des Herzogs Parabosco des Dritten wird zum Gedächtnis der heutigen Nacht am Palazzo Gembi eine Gedenktafel enthüllt!«
Geraldini näherte sich der Treppe. Er hörte noch die Hornstöße nach allen Seiten verklingen, er hörte ein vierfaches »Bürger von Riavenna!« wie ein vierstimmiges Echo, das allmählich in der Ferne verhallte.
Oben im Vorsaale traf er den Staatsschreiber Errante, den Hofmeister Spezzi, einige Höflinge und Trabanten, die wie Statuen vor den Fenstern standen und Wache hielten. Geraldini trat mit vielem Geräusch ein, um die Blicke auf sich zu ziehen. Alle schwiegen. Nur zwei kleine Pagen flüsterten in einer Ecke miteinander. Geraldini verspürte eine starke Sehnsucht, wenigstens an diesem Gespräche teilzunehmen. Da lachte der eine von ihnen hell auf. Spezzi ließ ein strenges »Pst!« vernehmen, die Pagen schwiegen, und es war wiederum still im Saal. Bange Minuten verstrichen so. Geraldini schwur bei sich, nicht vom Platze zu weichen. Plötzlich fiel ihm ein, wie töricht es gewesen sei, sich am Fenster Francesco Gembis zu zeigen. Er überhäufte sich mit Vorwürfen. Wie konnte er das nur wagen! Und dazu hatte er noch Agostino beschimpft! Agostino, der im Namen des Herzogs gekommen war! ›Du Schwein, habe ich ihm gesagt‹, dachte Geraldini und fühlte sich verloren.
Leise öffnete sich die Türe zu dem Kabinette des Herzogs und Gonzalvo kam heraus. »Gehe einer sogleich zum Palazzo Gembi hinüber und sehe nach der Tafel«, sagte der Philosoph, hochmütig in die Luft sprechend, ohne sich an einen einzelnen zu wenden. »Seine Gnaden begehrt zu wissen, ob Agostino di Gardone nach seinem Befehl gehandelt hat.«
Geraldini sprang feurig herzu. »Mit Eurer Erlaubnis, Herr Gonzalvo, will ich es tun ...«
Gonzalvo nickte und Filippo verließ sogleich den Palast.
Auf dem Platze unten wimmelte vieles Volk durcheinander, das sich um den Palazzo Gembi scharte. Immer mehr Menschen strömten herzu, schon war ein Gedränge entstanden, und Geraldini sah keine Möglichkeit, rasch bis unter die Fenster Francescos vorzudringen. Er kehrte um und befahl acht Trabanten von der Wache, ihm den Weg zu bahnen. Mit gefällten Hellebarden schritten sie vor ihm her. Das Volk wich schreiend und lachend zur Seite, drängte hinter Geraldini nur noch eifriger nach, denn alle machten sich jetzt auf ein seltenes Schauspiel gefaßt. Geraldini hielt vor dem Hause, just am Fuße der Leiter, die zu der Tafel emporführte und die Agostino di Gardone jetzt erstieg. Droben über allen Köpfen lachte der Bildhauer aus seinem breiten fröhlichen Gesicht und begrüßte, mit der Hand winkend, die Menge.
Von unten wurden Rufe laut: »Ah, der Meister Agostino! – Ein neues Werk von Gardone! – Bravo! Glück zu, Agostino! – Zeig' uns, was da hinter dem Vorhang steckt!« Beifallsklatschen flatterte auf, von verschiedenen Seiten wurde gelacht. Gardone verneigte sich auf seiner Leiter und warf überallhin Kußhände aus. Die Leute applaudierten noch stärker. Alles schwatzte durcheinander und war vergnügt. Plötzlich begann Agostino zu schreien und nahm die ganze Kraft seiner ungeheuren Stimme zusammen, so daß er wirklich beim ersten Aufruf gleich allen Lärm durchdrang und alsbald tiefe Stille eintrat.
»Achtung! – Bür–ger – von – Ri–a–venna!« Er nahm seine Mütze vom Kopf. »Parabosco der Dritte, Gott segne ihn!« – Hier machte er eine kleine Pause.
»Vivat!« brüllte die Menge und alle entblößten das Haupt.
In diesem Augenblick wurde Geraldini von dem Gefühl überwältigt, daß er einer im Namen des Herzogs angeordneten Feierlichkeit als Abgesandter, gleichsam als Stellvertreter des Fürsten beiwohne. Er zog vom Leder und stand nun, die Degenspitze grüßend gesenkt, vor der Leiter, im Halbkreise die acht Trabanten um ihn, die sogleich, als sie die Bewegungen ihres Führers sahen, die Hellebarden präsentierten.
Agostino lächelte freundlich auf diese kleine Zeremonie herab und begann aufs neue: »Parabosco setzt seiner Schwester, der Prinzessin Anna, ein Denkmal. Im Namen des Herzogs enthülle ich diesen Stein!«
Damit warf er seine Mütze in die Luft und riß die schmutzige Leinwand von seiner Arbeit weg.
Die Vordersten schrien auf: »Ah! die Prinzessin Anna! – Wahrhaftig, unsere kleine Anna! – O wie schön! – Sie ist es, wie sie leibt und lebt.«
Agostino stieg rasch die Leiter herunter, und jetzt prangte der frische Marmor unverdeckt und ließ die hellen Goldbuchstaben der Inschrift weithin sehen: ›In diesem Hause wurde Prinzessin Anna entjungfert.‹
Die Vordersten lasen es zuerst und lachten laut auf, die Besonnenen jedoch stießen einander an und deuteten auf die Soldaten, die regungslos und ernst geblieben waren. Ein verlegenes Schweigen entstand rings um Geraldini, blitzartig aber waren die Worte der Inschrift an diejenigen weitergegeben worden, die entfernter standen und nicht mit eigenen Augen zu lesen vermochten. Deshalb erhob sich das Lachen, das vorne verstummt war, rückwärts von neuem, steigerte sich, je mehr von dem, was geschehen war, Kenntnis hatten, und in weniger als einer Minute erfüllte ein brausendes Gejohle die Luft.
Geraldini, der voll Verblüffung gelesen hatte, was da vor seinen Augen enthüllt wurde, war zuerst wie betäubt; doch besann er sich bald seines Auftrags, machte nun kehrt und zog mit blanker Waffe, geleitet von seinen Soldaten, dem Palaste wieder zu, mitten durch das aufgeregte Volk. Viele verworrene Worte und Ausrufe schwirrten an sein Ohr. In die Masse war eine lebhafte Bewegung geraten. Alle drängten jetzt nach vorne, dem Palazzo Gembi zu, während die ersten vor dem Hause sich nun mit Geraldini rückwärts wandten. Man wirbelte durcheinander, rief, lachte, gestikulierte:
»Entjungfert, sagt Ihr?«
»Ach du mein Gott, das steht so einfach da?«
»Welch ein Gedanke!«
»Entjungfert!«
Als würden alle dieses Wort immer und immer wieder einstimmig aussprechen, mit solcher Deutlichkeit hörte man es beständig. Geraldini vernahm dazu immer nur in abgerissenen Sätzen das hitzige Geplauder der Zunächststehenden.
»Entjungfert?« fragte in höchstem Erstaunen ein kleiner alter Mann. »Wirklich?« pfiff er beinahe. »Nicht möglich!«
»Das kommt dir nur so vor!« brüllte ein Fleischer ihn an. »Es ist ganz leicht!«
Und sogleich fiel ein Chorus ein: »Ganz leicht! Ganz leicht!«
»Entjungfert!« hörte Geraldini nach ein paar Schritten einen ängstlichen Mann ganz bestürzt ausrufen. »Ja, ist sie denn verheiratet?«
Von allen Seiten drang man auf ihn ein: »Vieh! Wenn sie verheiratet wäre, was gäb's da weiter zu reden?«
Der ängstliche Mann erschrak und antwortete nur immer: »Du mein Gott! Du mein Gott!«
Einer entrüstete sich darüber und schrie ihn an: »Verheiratet? Wär's denn dann ein Wunder?«
»Ein Wunder?« rief eine gellende Stimme. »Auch ohne Hochzeit ist das Entjungfern kein Wunder!«
Man lachte. »Noch lange nicht!« gaben andere zurück.
»Freilich – das haben schon viele getroffen!«
»Aber eine Prinzessin!«
»Und in diesem Hause!«
»Wer hat's denn getan?«
»Nun, wer sonst als Francesco Gembi!«
»Bravo, Gembi! Bravo, Gembi!«
»Der hübsche junge Gembi?«
»Gewiß! Es gibt nur den einen.«
»Ach du lieber Gott, wie's der treibt – eine Prinzessin, und entjungfert sie so mir nichts dir nichts!«
»Ja, ist Francesco Gembi der Liebhaber unserer Prinzessin?«
Geraldini schaute eben zufällig nach dem Sprecher, da fuhr der Juwelier des Herzogs, der augendienernde Ascoli, auf diesen los und rief mit übertriebener Empörung: »Wer sagt, daß die Prinzessin einen Liebhaber hat! Wer wagt es, zu sagen, daß unsere gnädige Prinzessin ...!«
Andere, die in der Nähe standen, mischten sich unter den Blicken Geraldinis beschwichtigend ein: »Ach was ... niemand sagt's«, und wieder andere, diensteifrig und begütigend: »Niemand spricht von Liebhaber ... entjungfert hat er sie, das ist alles ...!«
Der Streit wurde heftiger. »Und der Herzog?«
»Was der Herzog?«
»Der Herzog hat's erlaubt!«
»Natürlich!«
»Wieso erlaubt?«
»Warum nicht gar?« Gelächter.
Eine Stimme: »Befohlen!«
Viele Stimmen wichtig: »Der Herzog hat's befohlen! Gewiß hat er's befohlen!«
»Ihr seid dumm ... Glaubt doch so was nicht!«
»Warum nicht?«
»Warum läßt er ein Denkmal setzen, wenn er's nicht befohlen hat?«
»Das weiß ich nicht!«
»Aus Wut vielleicht!«
»Haha! Ein Denkmal aus Wut! Hat man so was schon gehört?«
»Erlaubt hat er's!«
»Hoch Parabosco!«
Die Zunächststehenden schrien: »Hoch Parabosco!« und sahen Geraldini an, als wollten sie ihn bitten: Sag's auch gefälligst, daß ich es war, der Hoch! gerufen hat, oder so, als forderten sie ihn zur Zeugenschaft auf für ihre gute Gesinnung.
Vom Palazzo Gembi aber, wo immer neue Scharen sich herandrängten, um die Inschrift zu lesen, flog salvenweise helles Gelächter auf und ein Gewirre laut miteinander kämpfender Stimmen.
Auf den Brunnen, wo vier steinerne Löwen ihre Mäuler aufrissen, waren soeben ein paar lustige Gesellen gesprungen. Sie begannen schon ihre Gitarren zu stimmen, und einer von ihnen fing an, mit frechen Gebärden ein Spottlied zu improvisieren:
»Was hast du diese Nacht gemacht?
O Anna, o Prinzessin Anna!«
ein zweiter fiel ein:
»Geschlafen? Nein – gelacht, gewacht –
O Anna, o Prinzessin Anna!«
Die Umstehenden brachen in Geschrei aus, applaudierten und manche sangen schon im Chorus mit: »O Anna, o Prinzessin Anna!« Geraldini beschleunigte seine Schritte. Die Burschen dort oben tanzten, klimperten und führten mit allerlei unzüchtigen Bewegungen eine Liebesszene auf. Die Frauen kreischten, die Mädchen kicherten, die Männer brüllten, denn die Lustigmacher hatten die Rollen unter sich verteilt. Einer stellte die Prinzessin vor, die sich sträubt, ein anderer den Herzog, wie er seiner Schwester Befehle erteilt, und der dritte ahmte Francescos Liebesraserei nach. »O Anna, o Prinzessin Anna!« sangen sie. Geraldini erschrak, als ihm plötzlich einfiel, der Herzog könne von seinem Fenster aus diese Spottkomödie mitansehen. Er wandte sich rasch dem Brunnen zu und, mit dem Degen drohend, rief er über alle Köpfe fort: »Hinunter dort, ihr Schufte!«
Sogleich brüllte die Menge: »Hinunter, ihr Schufte!« Fäuste erhoben sich, Rufe der Entrüstung wurden laut, und im Nu waren die Spielleute verschwunden, der Brunnen leer, nur die vier Löwen glotzten wie vorher mit aufgerissenem Rachen auf das Volk, das sich überall umtummelte.
Geraldini stieg die Treppe empor, um dem Herzog seine Meldung zu erstatten. Er fühlte sich geborgen und dachte jedem übel zu begegnen, der ihn etwa als einen Freund Francesco Gembis ansprechen wollte. Ehe er noch den Vorsaal betrat, sprang ein Page heraus und rief Filippo zu: »Der Herzog erwartet Euch! Wo steckt Ihr denn?« Filippo folgte ihm, der Page lief neben ihm her, während sie den Vorsaal durchschritten: »Gut, daß Ihr endlich da seid. Seine Gnaden sind schon ungeduldig, und eben wurde ich ausgesendet, nach der lustigen Tafel zu sehen, die Agostino angefertigt hat.« Damit sprang er vor ihm auf die Schwelle und stieß die Flügeltüren auf.
Geraldini stand vor dem Herzog.
Parabosco wandelte raschen Schrittes im Gemach hin und her, die Hände auf dem Rücken. So blieb er vor Geraldini stehen und sah ihn an. »Ihr seid's?« sagte er mit eigentümlichem Blick, und Geraldini fühlte, daß alle seine Anstrengungen vergeblich gewesen. Dieser Blick warf ihn zu Francesco Gembi.
»Was gibt's?« fragte Parabosco.
»Hoheit ... ich war den ganzen Tag im Palast, Eurer Befehle gewärtig.« Parabosco lächelte unmerklich: »Ihr seid nicht im Dienst. Mich kümmert's nicht, wo Ihr wart.«
»Ich wollte sagen,« stammelte Geraldini, »daß ich der Erste ... daß ich deshalb hinüberlief ... daß ich ...«
»Die Tafel«, unterbrach ihn der Herzog. »Ist Agostino damit zu Ende?«
»Jawohl.«
»Die Inschrift?«
»Sie lautet ...«
Und da Geraldini zögerte, forderte ihn Parabosco zum Weitersprechen auf: »Werde ich's endlich hören? Nun? Sie lautet? ...«
Geraldini nahm seine Tapferkeit zusammen: »In diesem Hause wurde Prinzessin Anna ...« Aber beim letzten Worte entsank ihm aller Mut. Er stockte wieder und war sehr verlegen. Der Herzog maß ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Noch nie hatte Geraldini ein so hochmütiges Antlitz gesehen: »Entjungfert«, stieß er leise heraus und atmete tief.
Parabosco trat einen Schritt zurück. »Seid Ihr von Sinnen?«
Filippo beteuerte: »Ich hab' es selbst gelesen.«
Jetzt fuhr Parabosco lebhaft empor: »Dieser Hund von einem Bildhauer! Ich befahl ein anderes Wort – durchaus ein anderes Wort!« Dabei fing er an, in seinem Gedächtnis nach jenem Wort zu suchen, und wunderte sich höchlich, daß er sich nicht darauf besinnen konnte. »... es war ein anderes Wort! Übrigens,« brach er ab, »das steht nun einmal da, und es ist jedenfalls deutlich. – Das Volk?«
»Die Leute lachen, applaudieren, man singt.«
»Spottlieder?« fragte der Herzog kalt.
»Ja.«
»Auf mich?«
»Nein.«
»Auf die Prinzessin?«
Geraldini nickte.
Parabosco sah mit blinzelnden Augen vor sich hin, als überlege er etwas.
Geraldini faßte sich ein Herz: »Befehlen Euer Gnaden, daß die Sänger und Improvisatoren fortgejagt werden?«
Parabosco richtete seine blinzelnden, abwägenden Blicke auf Geraldini: »Singen sie von ... anderen auch?«
»Noch hab' ich nichts gehört. Ich ging sogleich, als der Stein enthüllt wurde, in den Palast zurück, um Euer Gnaden Nachricht zu bringen, laut Befehl.«
»Laßt sie singen«, sprach der Herzog und wieder zuckte ein rasches Lächeln unmerklich um seine Lippen. »Laßt sie singen. Ich will niemandem den Mund verstopfen.«
Geraldini war froh, von seinem Angriff auf die Sänger nicht berichtet zu haben. Innerlich lobte er sich wegen seiner Klugheit. Hätte der Herzog gesagt: »Bringt die frechen Bursche zum Schweigen«, dann würde er, Filippo, erwidert haben: »Das ist bereits geschehen, ich habe es getan.« So wäre er des Lobes sicher gewesen und war nun dem Tadel entronnen.
Der Herzog stand jetzt am Fenster und sah hinaus. Drunten wogte der Platz von Menschen. Stimmengewirr, Gelächter, Lärmen scholl gedämpft herauf, und wie ein weißer Fleck schimmerte von der altersgrauen Fassade des Palazzo Gembi die Gedenktafel herüber.
Parabosco schaute lange auf die Tafel und auf die Menschen, dann wandte er sich um: »Man rüste für den Abend ein Fest. Der ganze Adel von Riavenna ist geladen. Man wisse daraus,« setzte er feierlich hinzu, »Wir haben nichts gemein mehr mit den Dingen von der Straße.«
Er winkte und Geraldini lief aus dem Gemach. »Der Herzog läßt ein Fest rüsten!« schrie er Errante und Gonzalvo im Vorsaale zu. Die beiden sahen einander an und begaben sich eilig in das Kabinett des Herzogs. Noch hatte Filippo den Flur nicht erreicht, wo gerade die heimkehrenden Herolde und Trompeter von den Pferden stiegen, als der alte Spezzi wieder an der Treppenbrüstung erschien und herunterrief: »Die Herolde zurück?«
»Zurück!« donnerten die vier Herolde.
»Bereithalten mit den Trompetern! Der Herzog gibt ein Fest! – Läufer!«
»Läufer!« schrie der Wachtposten.
In der dunklen Tiefe des Korridors sprang eine schwarze Türe auf, aus welcher eine Schar von flinken Burschen in gelber Livree mit nickenden Straußfedern hervorbrach. Sie flogen mit Tumult die Treppe hinauf, wo Spezzi ihnen entgegenrief: »Wartet hier! Man wird euch die Einladungen geben!«
Geraldini spazierte auf den Platz hinaus und mischte sich unter das Volk. Gerne wäre er jetzt verstohlen zu Francesco Gembi geeilt. Dieser mußte nun allbereits von jener Inschrift Kenntnis haben und Geraldini hätte gern gewußt, wie Gembi das aufnehme. Aber er wagte es nicht, in jenes Haus zu treten, vor dessen Tor ganz Riavenna versammelt war und gleichsam Wache hielt. Unbemerkt hätte jetzt niemand dort hineinschlüpfen können. Auch sah Geraldini viele Adelige umherstreichen. Der dicke, alte Colalto schob sich langsam durch die Menge. Die Kämmerer standen in Gruppen beisammen, und in ihren Sänften ließen sich die Domherren und adeligen Frauen über den Platz tragen, vorbei an jener Tafel, zu der sie kopfschüttelnd emporsahen. Geraldini war schon fast beim Brunnen angelangt, als er umsehend wahrnahm, wie Gonzalvo, in einen weiten Mantel gehüllt, den Palast verließ und sich in der Menge verlor.
Das Volk hatte sich mit dem neuen Ereignis noch auf keine Weise abgefunden. Man scherzte und lachte und die Dreisteren rissen unehrerbietige Witze auf die Prinzessin, auf Francesco Gembi und auf den Herzog. Allein die Mehrheit zauderte einstweilen, ihnen offen beizustimmen, und wo einer anfing, die Leute mit Spottreden anzusprechen, wichen sie ihm eher verlegen aus, als daß sie sich ergötzen ließen. Dazu kam, daß sie eine gewisse Scheu vor den Adeligen empfanden, die heute alle mitten unter ihnen umherwandelten und sie abschreckten, ihrer Laune die Zügel schießen zu lassen.
Die Tafel hing da droben und zeigte das Bildnis der jugendlichen Prinzessin Anna, vor deren Schönheit ganz Riavenna jedesmal in ein angewöhntes Entzücken geriet. Darunter prangte die bündige Inschrift und so schimmerte der Marmor wie ein sprechendes und dennoch stummes Rätsel über allen Köpfen, schien alle anzulocken und zu reizen und während alle von dieser Tafel erwarteten, sie solle sich irgendwie selbst erklären, blieb sie beharrlich und augenscheinlich für immer bei ihrem Ausspruch. Dem ward nichts hinzugefügt. Das stand da oben wie eine Botschaft, immer aufs neue wiederholt, sooft man sie auch lesen mochte. Und sooft die Blicke zu ihr emporflogen, fragend, Antwort, nähere Auskunft, Erläuterung heischend, gab es keine anderen Worte, als die eben schon einmal da waren: »In diesem Hause wurde Prinzessin Anna entjungfert.«
Viele waren, die das Haupt entblößten, als sie an die Tafel herantraten, und dann ratlos, verlegen und erschrocken, die Mütze in der Hand, dastanden, nachdem sie gelesen hatten.
Weil nun das Volk, seitdem Geraldini die Gaukler mit dem Degen in der Hand vom Brunnen verscheucht hatte, sich nicht mehr recht an diese halten mochte, belauerte und belauschte es die Edelleute, ohne jedoch viel zu erfahren, denn auch der Adel war betroffen und wußte noch nicht recht, wie er sich zu der Sache stellen durfte. Aus dem Palaste war bisher kein Wort herausgedrungen. Die Parole, die sonst von oben ausging und die man als bequemes Hilfsmittel für die eigene Meinung nützen konnte, war dieses Mal noch nicht herabgelangt. Nur wenige hatten Parabosco gesprochen, aber sie hüllten sich in tiefes Schweigen. Agostino di Gardone war betrunken und schwor, er wisse nicht mehr, als was er ohnehin schon auf seine Tafel geschrieben habe. Gonzalvo wies alle Frager zurück, und was Parabosco betraf, so unternahm es niemand, ein Kalkül aufzustellen, denn niemals konnte man so recht wissen, woran man mit ihm war.
Der junge Cesare Galli hatte sich, als er mit anderen Edlen vor die Tafel getreten, heftig abgewendet und gesagt: »Wahrlich, es ist eine schändliche Art, die Schande seines Hauses so öffentlich zu verkünden!« Die in der Garde dienten und dabeistanden, hatten geschwiegen, denn niemand wollte sich den Mund verbrennen; die übrigen Herren hatten mit den Achseln gezuckt und einander angesehen, und jeder dachte, was alle wußten: ›Cesare Galli läßt sich hinreißen, weil er in die Prinzessin verliebt ist.‹
Dann waren die Ratsherren herbeigekommen, liefen zusammen, fanden sich mit ihren schwarzen Talaren in der Menge, sickerten überall aus ihr hervor. Wie Öl auf Wasser sich sammelt, hatten sie sich zu einer Gruppe am Brunnen vereinigt. Dort hielten sie, und es schien, als habe an demselben Ort, an welchem der Übermut sich zuerst geregt hatte, nunmehr die Bedächtigkeit Platz genommen. Denn die Ratsherren schwiegen, sahen nach der Tafel hin, schüttelten die Köpfe, blickten einander an, und das Volk stand ringsherum und schaute bald auf die Ratsherren, bald auf den weißen Marmor am Palazzo Gembi. Die Ratsherren aber wurden von einer panischen Gedankenflucht ergriffen. Sie wußten nichts zu sagen. Es gab ein langes Schweigen. Räusperte sich jemand, so blickten ihn alle an, denn sie glaubten, er wolle reden. Allein es war nichts; er hatte sich eben nur geräuspert. Wieder Schweigen, denn jetzt wollte sich auch niemand mehr räuspern. Dann sprach endlich einer zum andern: »Die Prinzessin Anna ...!« Und der zweite erwiderte, die Augen starr auf den Denkstein geheftet: »... entjungfert.« Und ein dritter fügte gewissenhaft hinzu: »... in diesem Hause.« Darüber jedoch war niemand erstaunt, denn das wußten ja schon alle.
Zuletzt trat der Ratsschreiber Luigi in die Mitte des Kreises. Es war ein dicker, selbstzufriedener Mann, der zu jedem Streit und zu jeder Verwirrung zu lächeln pflegte, mit einer Miene, als besäße nur er allein das Mittel, Ruhe und Ordnung zu schaffen. Mit dieser Miene sah er sich jetzt überall um und sagte triumphierenden Tones: »Wir sollten zum Herzog gehen und ihn um Gnade bitten für die liebreizende Prinzessin.« In die letzten beiden Worte legte er Rührung. Ein Gemurmel erhob sich bei den Nächststehenden im Volke. Die Leute nickten einander zu und man hörte Rufe: »Das ist wahr! Liebreizend ist sie!«
»Man muß um Gnade bitten!«
Luigi genoß ein gewisses Ansehen beim Volke, denn er gehörte zu jenen Menschen, die in untergeordneter Stellung mit vielsagendem Lächeln, mit Andeutungen und kurzen Worten sich darauf verstehen, die Meinung zu verbreiten, als hätten sie ihre Oberen in der Tasche, als sei alles, was geschieht und nicht geschieht, nur auf ihr Eingreifen und stilles Wirken zurückzuführen.
Deshalb schlug seine Meinung auch gleich Wurzel.
»Um Gnade bitten«, hieß es.
»Das ist besser als hier stehen und Maulaffen feilhalten!«
»Ein kluger Mann, der Ratsschreiber!«
»Was klug? Er ist der einzige, der die Sache versteht.«
»Der Leithammel ist er unter diesen Schafen, wißt ihr das nicht?«
»Ja, ja, er hält sie alle am Gängelbande!«
Luigi stand noch immer mit siegreichem Lächeln da und warf seine werbenden Blicke auf die Zuhörer. Die Ratsherren verdroß das Gehaben des Mannes. Besonders den jähzornigen Vespasiano, und weil er befürchtete, man werde, von der Volksmeinung überrumpelt, dem eitlen Luigi nachgeben, entschloß er sich zu schnellem Eingreifen, ließ seinem Unmut freien Lauf und fuhr über den Ratsschreiber her: »Wer hat denn dich eigentlich gefragt, du vorlauter, geschwätziger Narr? Was stehst du hier auf dem Markt und tust, als ob du für uns alle denken müßtest? Glaubst du, wir wissen ohne dich gar nicht, was wir zu tun haben?«
Auf dem Gesichte des Schreibers machte die Selbstzufriedenheit dem Ausdrucke ertappter Wichtigtuerei und Dummheit Platz. Noch einmal versuchte er es, sich beim Volke zu retten, und stammelte: »Die arme Prinzessin ... ich denke doch ... Gnade ...«
»Schweig!« brüllte nun Vespasiano, während alle lachten. »Wie können wir den Herzog jetzt um Gnade bitten? Was bist du für ein Esel! Wir hätten ihn vorher bitten müssen, ehe er sie hat entjungfern lassen. Jetzt ist's zu spät!« Dabei deutete er mit einer großen Gebärde auf die Tafel, die am Hause des Francesco haftete wie die Besiegelung eines unabänderlichen Schicksals.
»Jawohl«, murmelten die übrigen, indem sie mit den Blicken der Geste Vespasianos folgten und zum Denkstein aufschauten. »Jetzt ist's zu spät.«
»Gewiß. Was kann man da noch machen?« sagten die Leute und betrachteten voll Interesse das marmorne Bildnis der Prinzessin.
»Herr Vespasiano?« fragte über die Köpfe der andern hinweg ein langer Kerl voll Ehrerbietung. »Herr Vespasiano, Ihr sagt, der Herzog habe die Prinzessin entjungfern lassen ...?«
»Gewiß«, entgegnete Vespasiano streng. Vor einer Viertelstunde noch hatte er, selbst ohne Meinung, dieses Gerücht von ungefähr vernommen und es belächelt, vor zwei Minuten hatte er es aufgegriffen, um es diesem elenden Luigi an den Kopf zu werfen, wie man im Zorn nach der nächstbesten Zaunlatte langt. Jetzt aber war er schon felsenfest davon überzeugt. »Gewiß«, wiederholte er und blickte um sich.
Ein lebhaftes Fragen, Rufen, Drängen erhob sich vor den Ratsherren, die sich jetzt als im Mittelpunkt der Ereignisse fühlten und mit Befriedigung wahrnahmen, daß die Leitung der allgemeinen Meinung wieder in ihren Händen liege.
»Der Herzog ließ sie entjungfern?« hieß es.
»Wer sagt das?«
»Nun, Vespasiano, der Ratsherr, sagt's.«
»Vespasiano sagt's? Der muß es doch wissen.«
»Ich hab's gleich gesagt, früher als Vespasiano.«
»Natürlich, der Herzog hat's befohlen.«
»Befohlen, warum nicht gar!«
»Ich sag's euch auf meine Ehre, befohlen!«
»Wollt ihr den Beweis? Gut! Das Denkmal.«
»Ein schöner Beweis!«
»Der beste!«
»Erlaubt einmal – er bestellt da den Agostino und läßt ihr Bildnis in Marmor hauen –«
»Aha!«
»Seht ihr! Und als alles vorbereitet war, sucht er den Francesco Gembi aus und befiehlt ihm: tu's!«
»Und der Gembi tut's?«
»Wer hätt's nicht getan?«
»Glaubt ihr, der Gembi hätt' sich getraut, ohne die Erlaubnis des Herzogs?«
»Aha! aha! aha!«
»Nun soll ers da nicht befohlen haben?«
»Richtig!«
»Aber weshalb?«
»Ja, ja – weshalb?«
»Ihr fragt – das weiß niemand!«
»Ihr kennt das Hofleben nicht!«
»Es wird schon seinen Grund haben!«
»Was glaubt ihr – Parabosco tut das zum Scherz?«
»Wichtige Dinge mögen da im Spiele sein.«
»Was wissen wir von solchen Dingen!«
»Unsereins erfährt ja nie etwas!«
»Ja, aber warum hat der Gembi sie denn nicht geheiratet?«
»O du Dummkopf – wie kann er denn eine Prinzessin heiraten?«
»Aber wenn er sie doch ...«
»Staatspolitik!«
»Ei ja, dann möcht' ich auch Staatspolitiker sein!«
»Freilich, die haben's gut!«
»Die tun nur so mit den Prinzessinnen und brauchen nicht einmal heiraten!«
»Ist denn der Gembi ein Politiker?«
»Ach was, so ein Politiker bin ich auch!«
Die Leute lachten. »Ich auch!«
»Wenn der Herzog wieder was braucht, soll er nur zu mir schicken.«
Das Gelächter wurde allgemein. Man ergab sich wieder dem Scherz und für einen Augenblick schien es, als wollte man sich endlich dem wahren Sinne der Gedenktafel nähern.
Da tönte vom Palast her Pferdegetrappel. Die vier Trompeter kamen wieder herausgeritten, hinter ihnen die vier Herolde. Dicht vor dem Tore blieben die acht Reiter stehen, voran in einer Reihe die Trompeter. Neugierig wich das Volk vor ihnen zurück und schloß die kleine Truppe im Kreise ein. Die Trompeter setzten ihre Instrumente an den Mund und eine silbern klingende Fanfare schmetterte lustig über den weiten Platz. Darauf ritten die Herolde ein paar Schritte vor, so daß jetzt die Trompeter hinter ihnen zu stehen kamen, dann hoben sie ihre Stäbe, und sich im Bügel reckend, riefen sie einstimmig: »Seine Gnaden, der Herzog, rüstet für den Abend ein Fest. Der ganze Adel ist geladen, nach Sonnenuntergang zu erscheinen.«
Sogleich brachen, der Gewohnheit folgend, alle Leute in Hochrufe aus, denn es war in Riavenna Sitte, daß das Volk Hoch! schrie, wenn der Adel zum Herzog geladen wurde. Die Herolde senkten ihre Stäbe. Jetzt ritten ihrerseits die Trompeter ein wenig vor, dergestalt, daß sie nun die Herolde hinter sich hatten. Und eine fröhlich tutende Fanfare gab dieser Verkündigung ihren Abschluß.
Nun war das Wort »Staatspolitik« eben erst durch die Menge gelaufen. Seit die Tafel enthüllt war, hatte man außerdem den Ruf: »Auf Befehl des Herzogs!« oft genug vernommen, und die wirre Meinung des Haufens hatte sich an diese Fetzen einer achtbaren Begründung geklammert, um mit dem sonderbaren Vorfall ins reine zu kommen.
Würde man das Ereignis, von dem jener Denkstein so knapp und gründlich erzählte, für sich allein haben gelten lassen, dann wäre die Sache leicht zu besprechen und beurteilen gewesen. Aber die Menschen schenkten der Aufrichtigkeit dieser Inschrift keinen Glauben, ihrer Einfachheit mißtrauten sie, und da sie durchaus einer besonderen Bedeutung, irgend einer geheimnisvollen Absicht, die nach ihrer Meinung unbedingt dahinterstecken müsse, habhaft werden wollten, hatte sich diese überaus verständliche Angelegenheit nach und nach verdunkelt und etwas aufreizend Unbegreifliches angenommen.
Da fingen nun die hellen Trompetenstöße alle umherflatternden herrschaftlichen Worte auf und bliesen sie mit ihrem tönenden Atem in vollen Klängen über den weiten Platz, durch die ganze Stadt. Und jetzt war es bei groß und klein entschieden: ein Fest, Parabosco gibt ein Fest! Man hat also ein freudiges Ereignis zu feiern. Überall gab man den trabenden Rößlein der Herolde Raum, sprang neben ihnen her, die Mützen wurden in die Luft geworfen und das Hochrufen wollte kein Ende nehmen. Vespasiano, der Ratsherr, dem die herzoglichen Fanfaren neuen Mut eingeblasen hatten, richtete sich stolzer auf als zuvor. Er maß den Stadtschreiber und redete ihn an: »Wenn du nur immer still sein wolltest, du Dümmster unter allen Dummen von Riavenna! Jetzt würden wir schön dastehen, wären wir deinem Rate gefolgt und hätten den Herzog um Gnade für die Prinzessin gebeten. Sei froh, daß wir nur dich auslachen, besser, als hätte uns Parabosco mit Spott und Hohn heimgeschickt.«
Die Umstehenden erhoben ein dröhnendes Gewieher und in seinem Schalle fühlte der arme Luigi die letzten Reste seines Ansehens dahinschwinden.
Plötzlich entstand ein Tumult. Schreien, Kreischen, Lachen, und durch das dichteste Gedränge machte sich Agostino di Gardone Platz. Er kam aus der Schenke und war noch mehr betrunken als am Mittag. Aber der riesige Mann schwankte nicht. Nur sein Antlitz erschien gerötet, und in seinen feuchtglänzenden Augen waren feine rote Äderchen hervorgetreten. Nach vielstündigem Gelage, denn sein Trinken mußte vom Morgen an gerechnet werden, hatte er sich vorne die Halskrause geöffnet, um sich ein bißchen Luft zu machen. Das war alles. Jetzt trat er, aufgelöst in jene grenzenlose, ein wenig boshafte Heiterkeit, die ihn im Rausche immer befiel, vor den versammelten Rat. Eine Weile sah er sich da um, schaute von einem zum andern, lächelte, wiegte den Kopf, blinzelte schlau und lächelte wieder. Die Ratsherren schauten ihn an wie einen, der mehr von der Sache wisse als andere Leute, mehr, als er vielleicht sagen wolle und dürfe. Sie schwiegen und begnügten sich, ihm freundliche, wenn auch ziemlich ratlose Gesichter zu machen.
Agostino hob endlich in ermunterndem Tone zu sprechen an: »Nun, ihr strengen Herren, was sagt ihr zu meinem neuen Werk?«
Vespasiano näherte sich ihm mit Liebenswürdigkeit. Er hatte den besonderen Wunsch, Agostino in diesem Augenblicke lieber für sich allein zu haben, am liebsten in einem stillen Winkel, beim Glase Wein; dort wollte er dann schon genau erfahren, was los sei. Jetzt blickte er ihn nur mit gewinnendem Ausdruck an und streckte ihm die Hand entgegen: »Es ist ein schönes Stück Arbeit, Eure Gedenktafel.«
»Hoho!« lachte Agostino, »ein schönes Stück Arbeit, weiter nichts? Ihr müßtet euch eigentlich bei Parabosco bedanken, weil er der Stadt wieder einen solchen Schatz geschenkt hat.«
Die Ratsherren sahen einander an und der Stadtschreiber, der aufs neue sein Heil versuchen wollte, schrie begeistert: »Das ist wahr! Parabosco schmückt Riavenna wie kein anderer Fürst!«
Agostino schlug ihm dafür mit soviel Anerkennung auf die Schulter, daß er taumelte: »Du hast recht, wackerer Luigi, es ist ein Schmuck!«
»Eine Zierde für die Stadt«, pflichteten andere bei, in dem Bestreben, Agostino zu gefallen. Jetzt war die Unterhaltung allgemein.
»Ja, ja, der Herzog ist gut.«
»Er ist ein Freund der Kunst.«
»Ein Freund? Er ist ihr Beschützer!«
»Das muß man sagen, es geschieht etwas für Riavenna.«
»Welch ein Meisterwerk!«
»Meisterwerk?« brüllte Agostino. »So etwas hat man in ganz Italien nicht, nicht in Ferrara, nicht in Bologna, nicht einmal in Florenz!«
»So ist's! Bravo, Agostino!« riefen viele.
»Ein Kunstwerk«, sagte einer laut, aber mit unerklärlicher Melancholie.
»Das macht's nicht allein«, begann Vespasiano mit großer Wichtigkeit.
»Lest doch nur – seht ihr, darin liegt's! Das wird man in ganz Italien erzählen, und von allen Gegenden werden die Leute herbeiströmen, um diese Tafel zu sehen.«
Agostinos Augen leuchteten voll Bosheit auf: »Von ganz Italien!« johlte er. »Aus der ganzen Welt!«
Und hingerissen schrien alle durcheinander: »Ja, ja!«
»Recht hat er!«
»Es ist ein Segen für die ganze Stadt!«
Agostino mit funkelnden Blicken: »Riavenna wird einen neuen Aufschwung nehmen!«
Ein ungeheurer Jubel erhob sich.
»Es lebe der Herzog! Es lebe der Herzog!«
»Das ist ein Fürst, dieser Parabosco! Der schläft nicht!«
Eine schrille Stimme: »Die Prinzessin auch nicht!«
Darauf stürmische Entrüstung: »Ruhig! ... ihr da! Wollt ihr eingesperrt werden?«
»Seht doch, was wißt ihr davon!«
»Die Prinzessin ...«
»Was glaubt ihr ...«
»Es ist nicht zu unserem Schaden!«
»Man muß«, begann jetzt der Stadtschreiber voll Seligkeit über seinen Einfall, »man muß«, wiederholte er, und um gehört zu werden, ließ er seine Stimme in den höchsten Tönen pfeifen: »Man muß dem Herzog danken und der Prinzessin auch.«
Lauter Beifall lohnte diese Worte.
»Dem Herzog danken und der Prinzessin!« tönte es durcheinander.
Agostino aber tobte dazwischen! »Und Francesco Gembi!« Er war wie rasend. »Den dürft ihr nicht vergessen«, setzte er ernst hinzu, während er wieder nur mit den Augen lachte.
»Ja, ja! Der Gembi! Der junge Gembi!«
»Zum Herzog!«
»Die Ratsherren zum Herzog«, brüllte das Volk.
»Zuerst zum Herzog!«
Die Ratsherren steckten die Köpfe zusammen. Es hatte bisher schwer auf ihnen gelastet, daß sie ihrerseits noch nichts beschlossen, noch keine Veranstaltung getroffen hatten. Nun besprachen sie untereinander die Anrede, die man vor Parabosco halten wollte.
Gonzalvo aber, der die ganze Zeit über umherschlich und das Volk belauerte, trat unversehens aus der Menge hervor: »Wartet noch eine Weile,« sagte er und wendete sich an Vespasiano, »ich will euch beim Herzog anmelden. Seine Gnaden haben wichtige Geschäfte, und es könnte sein, daß ihr nicht vorgelassen werdet.«
Vespasiano wollte sich in Dankesbezeugungen ergehen, allein Gonzalvo schritt eilig davon, demütig von allem Volke begrüßt, denn sein Ansehen stieg von Stunde zu Stunde.
Während sich die allgemeine Aufmerksamkeit dem unerwartet erschienenen Gonzalvo zuwendete, schlich Agostino beiseite. Vergnügt eilte er zum Palast, drückte sich dort unbemerkt die Mauer entlang, bis er an ein wohlbekanntes Seitenpförtchen gelangte. Er klopfte, und der alte Geschützmeister, der hier wohnte, kam heraus.
»War schon jemand bei dir wegen der Salutschüsse?« fragte Agostino geschäftig.
»Nein ... Niemand ...«, erwiderte jener.
Agostino tat sehr zornig: »Gaffen und schreien, das können sie, die Bande! Aber ans Notwendigste denkt wieder einmal keiner! ... Gib her!«
Der alte Dossi zauderte.
»Wie du willst«, sagte Agostino freundlich. »Mich geht's ja nichts an. Ich tu es ohnehin nur aus Freundschaft für dich. Mich werden sie ja nicht fortjagen, wenn die Salven ausbleiben.« Damit ging er fort.
Dossi aber hielt ihn zurück, gab ihm Lunten, Schießpulver und, was der Bildhauer am nötigsten brauchte, das Losungswort für die Wälle.
Agostino machte sich auf heimlichen Seitenpfaden rasch auf den Weg, hinaus zu den Vorwerken, um dort mit verschmitztem Lächeln die Mörser zu entzünden.
Gonzalvo schritt unterdessen durch den Korridor, der zu den Gemächern der Prinzessin Anna führte. Er war froh, daß die Ratsherren auf seinen Zuspruch nicht zum Herzog gegangen waren, und hatte nur die einzige Angst, ein anderer könne vor ihm die Nachrichten vom Marktplatz in den Palast bringen. Deshalb eilte er, zu raschem Handeln entschlossen, vorerst zur Prinzessin. Niemand war in den Gemächern zu sehen als ein Trabant von der Garde, der im ersten Vorsaal auf Wache stand, andächtig in den leeren Hof hinunterglotzte und die Hellebarde grüßend zur Erde stieß, als Gonzalvo eintrat. Gonzalvo kam in den zweiten Vorsaal und fand ihn leer. Keiner von den Kammerherren, nicht einmal ein Lakai war hier. Er trat in die große Antichambre ... Niemand. Die Ehrendamen verschwunden, der Hof versagte den Dienst. Nur eine alte Dienerin saß in einem Winkel und schluchzte: es war die Schwester der erdrosselten Caterina. Gonzalvo trug ihr auf, zur Prinzessin zu gehen und ihn zu melden. Die Alte lief und kam alsbald zurück. Die Prinzessin habe sich eingeriegelt und durch die Türe herausgerufen, sie wolle niemanden sehen. Gonzalvo zuckte die Achsel: ›Schade. Ich habe sie für tapfer gehalten.‹ Einen Augenblick überlegte er: ›Soll ich's ganz allein auf mich nehmen?‹
Dann schüttelte er den Kopf, wandte sich und ging rasch zum Herzog hinüber.
Parabosco war allein und las in einem großen Buche. Vielmehr stellte er sich so an, als ob er läse. In Wahrheit schielte er beständig nach dem Fenster, horchte auf, so oft Stimmengewirr von unten her stärker an sein Ohr drang, und als Gonzalvo eintrat, fuhr er, leicht erschreckt, zusammen. Gonzalvo verneigte sich, Parabosco fragte kurz: »Was wollt Ihr?«
»Euer Gnaden, das Volk ...«
Der Herzog sprang vom Sessel auf: »Schweigt! Ich hab' Euch nicht nach dem Volke gefragt! Wir fragen nicht nach dem Volke!« rief er ungeduldig und begann nach seiner Art in dem weiten Gemach auf und ab zu laufen.
Gonzalvo schwieg, aber er ging nicht.
»Das Volk«, begann Parabosco nach einer kleinen Weile, »das Volk mag tun, denken, sagen, glauben, meinen, was es will ... Wir kümmern uns nicht darum und –« er wandte sich plötzlich gegen Gonzalvo – »Wir haben keine Späher ausgesendet, Uns dergleichen zu melden.« Noch heftiger fuhr er fort: »Laßt mich endlich zufrieden! Merkt Ihr denn nicht? ich bin fertig damit! Ich will fertig sein! Ein für allemal! Das Volk – was es wissen will, das hab' ich ihm dort an die Wand geschrieben!« Er deutete mit der Hand zum Fenster hinaus. »Selbst die Mühe, Epigramme an Gembis Haus zu heften, hab' ich ihnen erspart; der Stein dort ist dauerhafter als ihre Pasquille aus Papier! Was wollen sie mehr?«
Gonzalvo ermutigte sich an dieser hingeworfenen Schlußfrage: »Wenn es Euer Gnaden belieben würde, mich zu hören.«
»Was gibt's?«
»Ich rate Euer Gnaden –« Der Herzog lachte spöttisch auf. Gonzalvo zögerte nicht länger: »Ich rate Euer Gnaden, zu befehlen, die Prinzessin Anna möge sogleich ausreiten und sich dem Volke zeigen.«
Parabosco blieb wie festgewurzelt stehen. Dann brach er los: »Gonzalvo! Gonzalvo! Euer Eifer ist erstaunlich! Höchst erstaunlich ist Euer Eifer! Wenn ich Eurer Weisheit gefolgt wäre, dann läge Francesco Gembi jetzt im Grabe, und meine Schwester im Kerker oder im Kloster.«
»Euer Gnaden«, unterbrach Gonzalvo den Herzog. Aber Parabosco war blaß geworden und seine Stimme bebte zornig: »Was glaubt Ihr denn von Uns? Sollen Wir den Pöbel zum Richter machen über die Prinzessin? Ihr seid danach, mich aufs äußerste zu reizen. Jene Tafel, die dort hängt, auf meinen Befehl, ist eine Bekanntmachung, aber keine Anklage ... versteht Ihr? Ein offenes Wort, das die bösen Zungen und heimlichen Schwätzer ebenso beschämen soll als die Prinzessin. Versteht Ihr? Beschämen, aber nicht richten! Ein Urteil ist das nicht. Und wenn Wir mit der Hoheit der Prinzessin, Unserer Schwester, nicht ins Gericht gehen, dann werden Wir's denen da unten nimmer gestatten.«
Gonzalvo hob die Arme, als weise er solche Gedanken weit von sich fort.
Parabosco aber mochte nicht hören noch sehen: »Sehr gemein ist es, was Ihr da wollt. Das heißt, die Prinzessin an den Pranger stellen. Und ehe ich dulde, daß sich nur eine Hand – was sage ich! nur ein Wort, nur ein Laut gegen meine Schwester erhebt ...«
Gonzalvo benützte eine Pause, die der Herzog zum Atem schöpfen brauchte, und sagte hastig: »Ich bitte nochmals, laßt die Prinzessin ausreiten.«
Der Herzog ergriff das Buch und einen Augenblick schien es, als wolle er Gonzalvo damit auf den Kopf schlagen. Dann setzte er sich abgewendet nieder und begann zu lesen, wie wenn er allein wäre.
Gonzalvo begann nochmals: »Laßt die Prinzessin ausreiten, Euer Gnaden: ich gebe mein Leben zum Pfande ...«
In dieser Sekunde krachten von den Bastionen her die ersten Schüsse, die der muntere Agostino dort zu Ehren des Tages abfeuerte. Von der Straße herauf drang ausbrechendes Geschrei, lange anhaltend. Dann donnerte rasch nacheinander Salve auf Salve.
Parabosco tat einen Sprung: »Sind die Leute rasend?« sprach er leise.
Aber Gonzalvo trat jetzt vor und wiederholte mit Energie: »Euer Gnaden, bald wird es dunkel; laßt die Prinzessin Anna ausreiten und sich dem Volke zeigen, ehe die Sonne untergeht. Ich bürge mit meinem Kopfe, daß nichts von alldem geschieht, was Euer Gnaden befürchten.«
Der Herzog sah ihn eine Weile an. Dann winkte er mit der Hand: »Es sei. Euer Kopf. Bringt der Prinzessin den Befehl.«
Gonzalvo verbeugte sich tief und ging gemessenen Schrittes aus dem Gemach. Draußen aber begann er zu laufen: »Die Pferde der Prinzessin!« schrie er in den Hof hinunter. »Auf Befehl des Herzogs! Der Hofstaat der Prinzessin!« rief er, durch die Säle eilend, und jagte Pagen, Läufer, Türsteher vor sich her. Kam er durch ein leeres Gemach, dann rieb er sich vergnügt die Hände.
Auf dem Platze unten wollte die Menge nicht weichen. Die Ratsherren standen beisammen und erwarteten Gonzalvos Rückkehr. Allgemein war jetzt die Rede von dem Dank an den Herzog, an die Prinzessin und an Francesco Gembi, den der versammelte Rat beschlossen. Jetzt wagten sich auch die Grübler hervor und besprachen mit geheimnisvollen Mienen die verborgenen Ursachen, die das Schicksal der Prinzessin Anna bestimmt haben mochten.
»Der Herzog ...«
»Wer kennt seine Weisheit!« hörte man.
»Wichtige Dinge gehen vielleicht vor, ohne daß man's ahnt.«
»Und sie ...?«
»Ja, sie ist eben das Opfer ...«
»Ein heldenmütiges Mädchen!«
»Eine echte Prinzessin, das sagt alles.«
Francesco Gembi, den man belächelt hatte und höchstens für einen erfolgreichen Liebhaber, für einen hübschen Offizier gelten ließ, der sogar Prinzessinnen zu Falle bringen könne, hübsch, aber dumm, denn er hatte sich erwischen lassen, derselbe Gembi erschien mit einem Male in schwerwiegende Angelegenheiten des Staates und der fürstlichen Familie verwickelt, als ein Mann, der insgeheim seine Affären betreibt und der seinen Weg auf eine erstaunliche Weise zu machen weiß. Dazu kam noch, daß die jungen Edelleute, die durch den Ratsbeschluß zu allerlei großartigen Vermutungen hingerissen wurden, allmählich in Aufregung gerieten und sich über Francesco Gembi vernehmen ließen. Manche von ihnen mit einer angenommenen Begeisterung für Gembi, dessen Fähigkeiten sie stets erkannt haben wollten. Die übrigen nannten ihn unter sich einen Streber, warfen ihm mächtige Protektion vor und ließen durchschimmern, daß sich wohl tüchtigere Männer für ein so schwieriges Amt gefunden hätten; daß eigentlich andere hätten in Betracht kommen müssen, wenn es nach dem Rang und nach dem Verdienst ginge. Zuletzt suchten sie sich achselzuckend mit der klugen Erkenntnis zu beschwichtigen, es geschehe eben auch bei Hofe nicht alles nach Recht und Billigkeit.
Da krachten die ersten Mörser Agostinos. »Freudenschüsse!« rief das Volk. »Man feuert auf den Wällen!«
»Von der Vorstadt San Vito di Felice her kommt's!«
Und wie der fröhliche Geschützdonner die Luft zerriß, bemächtigte sich große Begeisterung des ganzen Volkes.
»Man schießt!«
»Man feuert die Kanonen ab!«
»Das tut man immer, wenn eine Prinzessin entjungfert wird!« rief Cesare Galli bitter.
Aber so betäubt waren die Leute, daß sie ganz ernsthaft antworteten: »Freilich! Freilich!«
Von den jungen Burschen liefen viele zu den Vorwerken hinaus, um sich das Abprotzen aus der Nähe zu besehen, und bildeten dort im Verein mit den Soldaten, die von Agostino durcheinandergejagt wurden, eine vermehrte Helferschar, weshalb denn das Schießen immer heftiger wurde. Schon wollten die Ratsherren nicht länger säumen und, ohne Gonzalvo abzuwarten, dankbar vor ihren Gebieter treten, schon hörten sie sich durch Zurufe aus dem Volke aufgefordert, nun endlich zum Herzog zu gehen, da wurden die Torflügel des Palastes weit aufgeschlagen, eisernes Stampfen von Pferdehufen klang auf den Steinfliesen und hoch zu Roß erschien im Torbogen die jugendliche Gestalt der Prinzessin Anna. Sie war in ein blaues, silbergesticktes Sammetgewand gekleidet, hatte eine blitzende Krone auf ihren schwarzen Locken und ritt ihren milchweißen goldgeschirrten Zelter, den zwei Pagen rechts und links am Zügel führten. Zwei Kavaliere schritten ihr mit gezogenem Degen zur Seite. Zwei Edelfrauen im vollen Staat folgten zu Pferde und zwei andere Kavaliere, Federhüte in der Hand, ritten entblößten Hauptes hinterdrein.
Als dieser prächtige Zug sichtbar wurde, erhob sich unermeßlicher Jubel. Die Menge stürzte wie eine einzige Welle dem Palaste entgegen und die Luft erzitterte von dem Geschrei: »Es lebe die Prinzessin Anna!« Man hatte die Prinzessin mehr tot als lebendig vor Angst aufs Pferd gehoben. Als die Tore sich vor ihr öffneten, schlug sie beide Hände vor die Augen, weil sie glaubte, man führe sie jetzt der öffentlichen Schande entgegen. Die Nachricht von der Gedenktafel war nur ganz unbestimmt und flüchtig zu ihr gedrungen; sie wußte nichts Näheres. Sie war über den Tod der alten Caterina noch sehr betrübt und zitterte für Gembi.
Bei den ersten Schritten, die ihr Rößlein tat, vernahm sie das jubelnde Gebrause rings um sich her, das sie ganz einhüllte. Sie preßte erschreckt die Hände fester vor die Augen, weil sie im Anfang nicht verstand, aus welcher Gesinnung dieses laute Rufen kam, und sich verspottet wähnte. Dann aber hörte sie immer deutlicher: »Es lebe die Prinzessin Anna!« Das zog wie ein anhaltender Schrei über sie hin. Und einzelne Ansprachen aus der Nähe drangen durch das Getöse zu ihr. Männerstimmen, die mit begeisterten Tönen zu ihr sprachen, flüsterten, sangen: »Sei gegrüßt, Prinzessin Anna!«
»Du bist die Schönste unter allen Frauen!«
»Laß mich sterben für dich, denn ich liebe dich, Prinzessin Anna!«
»Wir lieben dich, wir alle!«
Weiber, die sich herandrängten und nach dem Saum ihres Kleides haschten, nach ihren herabhängenden Ärmeln, um sie mit Küssen zu bedecken, und die verwirrend auf sie einredeten:
»Liebste herzige Prinzessin!«
»Unsere Anna ...«
»Unser Kindchen ...«
»Seht, wie sie sich die Augen zuhält!«
»Zeige dein Antlitz!« riefen die Mädchen.
»Ach, du Arme!« flüsterten die Frauen zu ihr hinauf. »Hast du sehr gelitten?«
»Du zartes Täubchen du! Hat er dir weh getan?«
»Sei wieder froh, du Engel! Nun ist's vorüber!«
»Das müssen wir alle erdulden!«
»Iß den Kopf einer Lacerte, aber gebraten, dann vergißt du daran, als wäre es nie gewesen.«
»Ja, tu das, Prinzessin. Auch gegen die Schwangerschaft hilft's dir.«
»Zeige dein Antlitz!« riefen die jungen Mädchen aufs neue.
Und die Männer bettelten: »Zeige dein Antlitz!«
»Sie ist böse auf uns«, hieß es unter den alten Weibern.
Und andere: »Sie will uns nicht sehen!« Und eine hochgewachsene Dirne mit fliegenden Haaren rief laut: »O, ich verstehe dich! Wie gut kann ich dich verstehen!« Dann warf sie sich zur Erde und jammerte: »Laß dein Pferd über mich hinstampfen, ich vergehe!«
Sie ward emporgerissen und verschwand in einem Knäuel nach ihr sich streckender Arme.
Ein wahrer Taumel hatte die Leute ergriffen. Nur schrittweise gelangte die Kavalkade vorwärts, um ihre Runde über den Platz zu vollenden.
Die Wangen der Prinzessin glühten unter ihren Fingern. Jedes Wort, das sie vernahm, trieb ihr vor Scham das Blut zu den Schläfen. Ihr kurzes verschwiegenes Glück wurde hier furchtbar laut und schrie mit tausend fremden Stimmen. Das heimliche Feuer der verflossenen Nacht war ausgebrochen, hatte ganz Riavenna ergriffen und schlug jetzt lodernd über dem Volk zusammen. Mit erhitzten Gesichtern balgten sich Edelleute, Ratsherren, Bürger und Pöbel, um in die Nähe der Prinzessin zu geraten. An ihr schienen sich alle Gedanken und Wünsche dieser Menge entzündet zu haben und dampften ihr atemraubend entgegen.
Eilig war der Küster von San Felice in die Kirche gesprungen und tobte am Glockenstrang seine Begeisterung aus, damit der Domherr ihn später nicht schelte, er habe das Ehrengeläute versäumt, da man doch auf den Bastionen so fleißig knallte.
Nun war der Zug eben vor dem Palazzo Gembi angelangt, als die Glocken feierlich zu läuten anfingen. Prinzessin Anna, von diesem Klang, der die Luft zu reinigen schien, ergriffen, berauscht vom Jubel des Volkes, unwissend, wo sie sich befand, nahm endlich die Hände von den Augen. Aufblickend gewahrte sie das Haus ihres Geliebten und den weißen Marmor daran. Sie sah ihr eigenes Bildnis von diesem Hause herniedergrüßen, las mit einem einzigen Blick die Inschrift, und weil soeben die Sonne unterging und mit ihren schrägfallenden Strahlen das frische Gold aller in den Stein gegrabenen Zeichen aufleuchten ließ, sah sie plötzlich auch den kleinen Phallus in der Ecke, der jetzt zu den wohlbekannten Fenstern aufwärts zeigte. Da schlug sie mit einem leisen Schrei die Hände rasch wieder vors Gesicht, beugte sich weit vornüber und ein heftiges Schluchzen erschütterte ihre Brust. Ihr war, als habe man ihr alle Kleider vom Leibe gerissen und sie nackend den Blicken der Leute preisgegeben. Was sie vor wenigen Stunden noch erlebt, allein mit sich und ihrem Geliebten, das stand jetzt mit schrecklicher Deutlichkeit vor ihrer Seele, und ihr war, als hätte man das Bett ihrer Liebe aus seinem dämmrigen Winkel hinausgestoßen auf den Marktplatz und sie läge darauf in Francescos Umarmung, im Angesichte des rohen Volkes.
Verzweifelt klammerte sie sich an die Mähne ihres Pferdes. In diesem Augenblicke haßte sie Parabosco, ihren fürstlichen Bruder.
Die Leute aber fielen dem Pferde in die Zügel und meinten der Prinzessin besonders zu huldigen, wenn sie sie gerade vor dem Palazzo Gembi festhielten, sich um sie scharten und stärker als zuvor riefen: »Es lebe die Prinzessin Anna!«
Am Fenster seines Gemaches aber stand der Herzog. Er schaute auf den Platz hinunter und fühlte sein Herz klopfen, als das Tor für die ausreitende Prinzessin geöffnet wurde. Dann hörte er den Ausbruch des Jubels, er sah das Volk um seine Schwester sich drängen, stoßen und raufen, er sah die geschwenkten Mützen; wie alle miteinander wetteiferten, der jungen Prinzessin Kleid, den Saum ihres Ärmels zu küssen, er sah, wie seine Schwester beim Anblick der Gedenktafel in Tränen ausbrach, er hörte, wie die Kirchenglocken mit festlichem Gesange einfielen in das Freudengeschrei der Menge. Und Parabosco wurde zuerst bleich, dann wurde er rot, und seine Unterlippe bebte ein wenig. Dann aber schien es, als würde er ganz ruhig und streiche mit den Fingern nur deshalb über den Schnurrbart, um ein Lächeln, das dort aufgestiegen war, zu verbergen.
Er sagte kein Wort.
Gonzalvo, der neben ihm stand, sagte auch nichts, allein er biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzujauchzen.
Der Himmel war purpurfarben vom Abendglanz, und leise huschten schon die ersten grauen Schleier der Dämmerung darüber hin, als die Prinzessin wieder in den Palast zurückkehrte.
Noch immer stand der Herzog am Fenster und noch immer wogte unten das Volk, das jetzt den Parabosco hochleben ließ. Agostino di Gardone, der nun fröhlich wieder auf dem Platze erschien, nachdem er sein Pulver verknallt hatte, sah mit Ergötzen die Wirkung seiner Kanonade, und seine Wonne stieg, als er von dem Umzug vernahm, den die Prinzessin hier abgehalten. Er wollte nun einmal seinen aufgeregten Mitbürgern keine Ruhe gönnen und so rief er jetzt, indem er vor seine Gedenktafel trat, zu den Fenstern des Francesco empor: »Zeige dich, Francesco Gembi! Riavenna will dich sehen!«
Sogleich waren alle darauf versessen, des jungen Fähnrichs habhaft zu werden, und brüllten zu den Fenstern hinauf: »Zeige dich, Francesco Gembi!«
Francesco Gembi hatte lange vergeblich auf die Rückkehr seines Freundes gewartet. Schließlich erfuhr er durch den treuen Andrea, von welcher Art jene Tafel sei, die der Herzog an sein Haus hatte heften lassen. Als er den Wortlaut vernommen, war er in eine blinde Wut geraten und hatte alles in seinem Zimmer kurz und klein geschlagen. Der Kronleuchter, die Stühle, kostbare Teller, Vasen, Spiegel lagen in Trümmern auf dem Boden. Dann hatte er sich vom treuen Andrea den Degen entwinden lassen und sich allmählich gefaßt. Die Fanfaren, das Geschrei, das Schießen trug dazu bei, ihn nur noch mehr zu reizen. Dennoch überlegte er. Daß Geraldini sich nicht mehr blicken ließ, war ihm ein Beweis, wie schlimm die Dinge stehen mußten. Aber er hatte den Entschluß gefaßt, Parabosco Trotz zu bieten. »Dazu hat er kein Recht, und wenn er hundertmal der Herzog ist!« Er sagte sich diese Worte beständig vor. Wenn er an das Schicksal der Prinzessin dachte, erschrak er aufs äußerste. »Gott mag wissen,« sagte er – denn es war eine Gewohnheit Francescos, bei allen Anlässen »Gott mag wissen« zu sagen – »Gott mag wissen, wie Parabosco sie behandelt.« Jene Tafel erfüllte ihn mit tiefer Beschämung, als hätte er selbst das Geheimnis seiner Liebe an die Wand geschrieben. Er fühlte sich entehrt. »Ich wag's«, rief er zuletzt, ließ seine Staatsgewänder holen und legte sie an. Sobald es dunkel geworden und der Pöbel da unten sich verlaufen hätte, wollte er zum Herzog gehen. Er wollte ihm alles, was er nur verlangen würde, anbieten: seine Freiheit, seinen Adel, selbst sein Leben. Aber der Gedenkstein mußte dafür entfernt werden. Würde der Herzog seine Bitte nicht erhören, so gedachte Francesco – und dieses war sein fester Vorsatz – noch in derselben Nacht den verhaßten Marmor zu zertrümmern, geschehe dann, was wolle.
Als er endlich mit dem Ankleiden fertig geworden, rief ihn sein alter Diener mit vielen erstaunten Ausrufungen ans Fenster. Hinter der Gardine verborgen, sah Francesco die Prinzessin, frei, fürstlich geschmückt, auf ihrem Zug vom Volke gehuldigt. Wie im Traume starrte er hinunter und wie im Traume hörte er das Geläute von den Türmen. Gänzlich verwirrt, folgte er mit den Blicken allen Vorgängen auf der Straße, ohne sie zu verstehen; denn er hatte es sogleich aufgegeben, das zu begreifen, was hier vor seinen Augen sich ereignete. »Gott mag es wissen«, flüsterte er nur vor sich hin.
Jetzt war die Prinzessin wieder im Palaste verschwunden, die Tore hatten sich hinter ihr geschlossen, da hörte Francesco von unten seinen Namen rufen, immer lauter, immer stürmischer. Er wußte nicht, was nun zu tun sei, allein der Diener zog unversehens den Vorhang auf, und Francesco stand da, im vollen Schmucke seines Staatskleides, dem ganzen Volke sichtbar. Ein Aufschrei des Entzückens begrüßte ihn, so zwingend, daß er unwillkürlich sein Haupt wie zum Danke neigte. »Es lebe Francesco Gembi!« hörte er tausendstimmig. »Es lebe der tapfere Francesco Gembi!« Und wieder neigte er das Haupt und schließlich nickte er immerzu, hob die Hand, winkte und grüßte, freudig und mit seinem hübschen Lächeln, die Menschen da unten, die er vor wenigen Minuten noch für seine Spötter und Feinde gehalten.
Da öffnete sich die Türe und Filippo Geraldini sauste herein. Stürmisch fiel er Francesco um den Hals: »Der Herzog ... ach, mein Teurer, du weißt nicht, wie glücklich ich bin ... Parabosco läßt dich rufen ... komme sogleich mit mir ... du ahnst nicht, was ich für dich getan habe ... aber denke daran, wenn's Zeit ist ... Gehen wir ... Auch Gonzalvo ist dein Freund ... sei du der unsere ... Geschwind, geschwind! ... Der Herzog will dich sprechen, ehe das Fest beginnt!« Dann sprang er ans Fenster, beugte sich weit hinaus, und der Menge freundlich winkend, rief er: »Ich bringe euch euren Francesco! Wir kommen gleich!«
Francesco Gembi schritt mit seinem Freund über den Platz. Es dämmerte schon, aber das Volk führte wahre Tänze auf, um seinem neuen Liebling ins Antlitz zu blicken. Hundert Hände streckten sich ihm entgegen. Jeder sprach ihn an. Bitten, Glückwünsche, Schmeicheleien tönten durcheinander, man versuchte ihn aufzuheben und wollte ihn auf den Schultern tragen. Mühsam nur erwehrte er sich dieser Gunstbezeigung, die Agostino angestiftet hatte. Nun drückte er dem Bildhauer herzlich die Hand und eilte, gefolgt von dem zärtlichen Geraldini, in den Palast. Das Volk blieb noch lange jubelnd und singend beisammen. Die Glocken waren verstummt, das Schießen hatte längst aufgehört, aber ein Nachklang der festlichen Laune schwebte noch im Zwielicht. Die weiße Marmortafel blinkte hell vom Palazzo Gembi nieder und schien die Leute munter zu halten. An ihrem Anblick erneuerte sich die Lustbarkeit immer wieder und wer schon sachte nach Hause gehen wollte, der fühlte sich noch einmal zum Verweilen aufgefordert, sooft er jene Tafel ansah. Sie war nach und nach im Bewußtsein des Volkes zum historischen Denkmal einer patriotischen Tat geworden, und wenn auch niemand zu sagen wußte, worin eigentlich das Ruhmvolle dieser Tat bestehe, so zweifelte doch keiner mehr daran, daß sie äußerst glanzvoll gewesen, und jeder fühlte sich überzeugt, das Geschehene sei nur zum allgemeinen Wohl geschehen und komme dem Heile des Staates irgendwie zugute. So fuhr man fort, dankbare und freudige Ausrufe in die Luft zu schreien, während schon die ersten Sänften herankamen und die edlen Gäste für das Fest des Herzogs brachten. Erst als in den Fenstern des Palastes die Lichter aufstrahlten und der Mond hoch vom Himmel her seinen Glanz beschwichtigend über Riavenna ausbreitete, verlor sich die Menge langsam, befriedigt und beglückt über den schönen Tag.
Francesco Gembi betrat den fürstlichen Saal aufrechten Schrittes. Der kurze Weg über den Platz hatte genügt, auch in ihm das dunkle Empfinden zu erwecken, er habe ein verdienstliches Werk vollbracht und sich auf irgend eine Weise ausgezeichnet.
Auf seinem Thron empfing Parabosco den jungen Edelmann. Nur die Prinzessin war zugegen.
Francesco verneigte sich tief vor dem Herzog und der Prinzessin. Diese aber wendete ihr verweintes Antlitz ab und sah zu Boden.
»Nun, Francesco Gembi«, sagte der Herzog, und das Lächeln, das er früher verborgen hatte, schwebte jetzt frei und vornehm auf seinen Lippen. »Ich hab' es Euch schon heute in aller Frühe gesagt: Ihr habt viel Glück in der Liebe.« Es war ein klein wenig wegwerfend, das Lächeln Paraboscos, und Francesco wurde sachte aufgebracht. Er fühlte, sein Verdienst werde doch nicht so recht gewürdigt, wie er gehofft hatte.
»Prinzessin«, wandte sich der Herzog immer lächelnd zu seiner Schwester. »Francesco Gembi ist ein bedeutender Mann geworden. Es bedarf der Heimlichkeiten nicht mehr, und so frage ich Euch denn: wollt Ihr diesen ebenso tapferen als edlen und nützlichen Jüngling zum Gemahl?« Prinzessin Anna sprang empor. Einen Augenblick schlug die Liebe in ihrem Herzen wieder auf, aber sie sah in Francescos hübsches Antlitz, und es war ihr fremd. Sie sah, daß seine hellen blauen Augen auf eine eigentümliche Art sieghaft blitzten. Alles an ihm erschien ihr dreist, zudringlich, anmaßend. Wie ein Lakai, der sich eine unschickliche Vertraulichkeit erlaubt, stand er da, tief unter ihr, und ihr Stolz fühlte sich gedemütigt. Einen raschen angstvollen Blick warf sie auf ihren Bruder. Sie sah sein verächtliches Lächeln, und mit einer heftigen Gebärde von Francesco sich abwendend, rannte sie aus dem Zimmer.
Der Herzog lachte kurz auf und schaute Gembi an, der ratlos und mit unglücklicher Miene umherblickte. Dann sagte Parabosco mit übertriebenem Bedauern: »Es tut mir herzlich leid, aber es scheint, die Prinzessin will diese Heirat nicht ... Was tun? ... Für Euch muß unbedingt was geschehen«, fügte er eifrig hinzu. »Ein Mann wie Ihr! ...« Dann trat er ganz nahe an Gembi heran und sprach voll Milde: »Wißt Ihr, was? Ich überlasse Euch selbst die Wahl. Erwägt bei Euch, welcher Belohnung Ihr würdig seid, und jede, die Euch gerecht erscheint, sei Euch gewährt.«
Damit winkte der Herzog, und Francesco Gembi schlich davon.
Das Fest sollte seinen Anfang nehmen. Da schickte Parabosco zur Prinzessin Anna, daß sie an seiner Seite erscheine. Und als sie dann kam, geschmückt mit allen Abzeichen ihres Ranges und ihrer Schönheit, die Spuren reifenden Erlebens in ihren Zügen, nahm sie Parabosco gütig an der Hand und sprach: »Vergessen wir den Kummer, den wir einander bereitet haben. Seien wir nur untereinander einig, dann sind wir auch frei. Denn die übrigen alle ...«
»Die bücken sich vor uns«, vollendete die Prinzessin und sah ihrem Bruder jetzt zum ersten Male wieder voll ins Antlitz.
Hierauf schritten sie Hand in Hand unter Paukenschall und Fanfaren durch die hellerleuchteten Säle, und der ganze Hof neigte sich tief zur Erde.
Parabosco aber zog sich bald von der Gesellschaft zurück, tat die reichen Gewänder ab und legte einfache Kleider an. Dann eilte er durch das Hinterpförtchen hinaus auf die Straße und wandelte den Weg nach San Vito di Felice.
Vittoria stand am Haustor neben ihrem Vater. Parabosco stutzte zuerst, aber Vittoria lief ihm entgegen: »Komm nur, Geliebter,« sagte sie, »mein Vater weiß alles.«
Der alte Hufschmied näherte sich, lüftete die Kappe und sagte voll Ehrfurcht: »Belieben Euer Gnaden einzutreten«, und vorausschreitend, öffnete er die Tür zur Kammer seiner Tochter.
Parabosco trat ein, verwundert und die Hand noch immer mißtrauisch am Knauf seines Dolches. Vittoria aber schob den Riegel vor und sank ihm in die Arme. »Warum staunst du?« sagte sie leise. »Wenn deine Schwester es tut, dann darf ich's auch.« Und mit kindlicher Freude nestelte sie ihr Mieder auf.
»Ja, dann ... freilich!« rief der Herzog erleuchtet. Er zog die holde Vittoria an sein Herz und war sehr glücklich.