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9

Die Jahre vergingen und wenn König Pescaro jetzt durch die Straßen fuhr, dann neigten auch die Frauen vor ihm das Haupt. Denn seine Augen gingen nicht mehr winkend von einer zur anderen. Er lächelte keiner mehr verheißend und lockend zu.

Seit jener Nacht, da er erschrocken und verstört den kleinen Biß empfangen und an eine unerhörte Wildheit Lianoras geglaubt hatte, warb er unablässig und mit stets wachsender Sehnsucht um ihren Schrei.

Wenn er das schwebende, zögernde und verhaltene Lächeln auf ihren Lippen sah, wenn er ihre Augen betrachtete, die noch immer fragend und wie aus weiter Ferne zu ihm herüberschauten, dann empfand er es mit Schmerzen, daß er ihr nicht nahezukommen vermochte, daß so viel Rätselhaftes noch trennend zwischen ihnen beiden lag. Er suchte nach dieser Brücke, die von Seele zu Seele klingend sich schwang; er flehte darum in heißen Gebeten zu Gott; er warb darum bei Lianora vom Morgen bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen. Deshalb hatten die Leute recht, wenn sie von des Königs Liebe sagten, sie sei noch wie am ersten Tage.

Diese Liebe des Königs aber erhob die Königin in aller Augen, daß ihr Ansehen immer größer ward und der Glaube an ihre Macht immer fester.

Cosimo, der älter und älter wurde, behandelte Lianora mit einer gerührten Ehrerbietung und selbst Cesare zügelte in ihrer Gegenwart seinen Übermut.

Er hatte es nach des Königs Hochzeit vorausgesagt, Pescaro werde wohl bald wieder eine Geliebte nehmen und die Favorita nicht länger als ein halbes Jahr leerstehen lassen. Damals war Angelo Dossi ihm entgegengetreten. Der Knabe, der seit wenigen Tagen erst den Panzer der Garde trug, hatte dem Prinzen zornig widersprochen und laut ausgerufen: wer Lianora liebe, für den gebe es auf Erden kein anderes Weib mehr; und er wolle es jedem mit seinem Schwerte beweisen, der daran Zweifel hege.

Cesare hatte ihm damals einen eigentümlichen Blick zugeworfen, halb forschend, halb milde und doch wieder spöttisch dabei; ein Blick, der Angelo Dossi an den Blick des Königs erinnerte. So hatte ihn Pescaro angeschaut, als er an jenem Morgen ins Knie fiel und um die Gnade bat, Lianorens Schleppe tragen zu dürfen. Angelo Dossi errötete unter diesem Blick, aber auch Cesare schwieg.

Prinz Cosimo saß einige Jahre einsam in seinem Gemach, denn Cesare war abends immer bei seiner Geliebten und mit dem Könige wagte Cosimo nicht mehr vom Schrei der Liebe zu reden. Er gedachte der Worte, die Pescaro wegen Ruspoli gesprochen, und wenn er nun sah, wie sehr die Königin geliebt wurde, wunderte er sich oft genug, daß der König seine Absicht nicht ausgeführt und den Zeremonienmeister nicht vergiftet habe. Den wahren Grund davon ahnte er freilich nicht.

Cosimo fühlte sich verlassen und sein heiteres Gemüt litt darunter. Eines Abends aber, als er in schlichter Gewandung durch die Stadt spazierte, hatte er Properzia Rossa getroffen, die schöne Properzia, die letzte Geliebte des Königs. Sie trat eben aus einer Seitenpforte der Kathedrale, als der Prinz vorbeikam, und da er sie anredete, war sie sehr bewegt. Er geleitete sie nach Hause, verplauderte drei Stunden mit ihr und kehrte wehmütig gestimmt, aber doch angeregt in den Palast zurück.

Den nächsten Abend erwartete er sie wieder, in seinen Mantel gehüllt, vor der Kirche und kam sich bei diesem Abenteuer recht jugendlich vor, so daß er völlig heiter wurde. Dieser Abend verlief in Fröhlichkeit und von da ab kehrte er jeden Tag bei Properzia ein. Weil sie aber ärmlich und sehr weit vom Palaste wohnte, suchte er ein hübsches Haus für sie ganz in der Nähe und verbrachte nun seine Tage und seine Abende bei dem sanften jungen Weibe.

Da er der Liebe nicht mehr genießen konnte, erquickte er sich daran, von diesen köstlichen Dingen zu sprechen. Alle seine Erinnerungen ließ er aufleben und labte sich an den Erinnerungen der schönen Properzia, und bald sprachen sie beide nur mehr von der Favorita, denn auch Cosimo hatte in diesem kleinen Liebesschloß gehaust. In den Jahren der Regentschaft hatte er seine Freundinnen dort beherbergt. Ihre Spuren hatte Properzia Rossa noch manchmal entdeckt, und vieles wußten die beiden einander zu berichten.

 

König Pescaro saß in dieser Zeit einmal des Abends in seinem Gemach und hielt die Münze in der Hand, die er dem Fürsten Cardini einst als sein Bildnis für die Braut mitgegeben. Die Königin hatte das Kleinod aus Versehen hier zurückgelassen. Pescaro nahm es auf und nachdenklich betrachtete er ein goldgeprägtes Antlitz. ›Dieses also war damals der König von Ravellaska,‹ dachte er dabei, ›dieser Knabe mit den glatten Wangen und der fröhlichen Stirne.‹ Er beugte sich tiefer auf das Goldstück herab und suchte in den Mundwinkeln das übermütige Lächeln von einst. Es war kaum noch zu finden, halb verwischt und weggescheuert. ›Wo ist es hin?‹ dachte er, ›wo ist das Gold dieses Lächelns geblieben?‹ Und wie er die Münze nun beiseitelegte, war ihm, als lege er die Jahre seiner Jugend, zu Erz erstarrt, klein geworden und nicht mehr zu ihm gehörig, beiseite.

Da kamen ihm nach langen Jahren zum ersten Male Properzia Rossa, Angela Dandolo und die andern wieder zu Sinn. Was waren ihm denn diese heute? Blasse, unwahrscheinliche und ungewisse Gestalten. Heute, da er wußte, daß Lianoras Schoß gesegnet sei.

Er konnte es nicht fassen. Lianora sollte ihm ein Kind schenken und noch hatte er ihren Schrei nicht vernommen, noch war es ihm, als sei sie nicht sein eigen, und immer noch warb er um sie mit allen Kräften.

Da fiel es ihm ein, daß Lianora einmal nach der Favorita gefragt hatte: warum das kleine hübsche Haus immer verschlossen sei. Dann hatte sie hinzugefügt, weil ihre Niederkunft im Hochsommer geschehen solle, wünsche sie wohl ihre schwere Stunde in dem luftigen Schlößchen zu erwarten und dort ihr Kind zu wiegen.

Wenngleich der König wußte, daß der strenge Brauch es der kreißenden Königin niemals erlauben würde, sich aus dem Palaste zu entfernen, so wollte er doch die Favorita für jetzt wie für später Lianora aus den Augen schaffen, daß dieser Schauplatz vergangener Untreue ihre Gedanken nicht berühre und errege. Er ließ den Prinzen Cosimo holen und der alte Herr erschrak, als der König ihm eröffnete, die Favorita solle vom Erdboden verschwinden. Cosimo wollte Einsprache erheben und wies auf die Bestimmung hin, die Pescaro der Große diesem Bau ausdrücklich gegeben. Das aber war ein unglücklicher Einfall. Denn nun wurde der König erst recht gegen die Favorita eingenommen und sprach: »Ich will nicht, daß dies Haus schändlichem Treiben einen Anschein von Rechtmäßigkeit und Ordnung gebe. Ich will nicht, daß es länger dastehe als eine Versuchung für Uns und für alle, die nach Uns kommen, und als ein demütigendes Wahrzeichen für Lianora.«

Cosimo legte sich aber aufs Bitten und weil nichts fruchtete, schlich er trostlos zu Properzia, um ihr sein Leid zu klagen. Trübe Stunden verbrachten die beiden nun und sannen vergebens auf Rettung für die Stätte ihres einstigen Glückes.

Wenige Tage darauf erschien Cosimo wieder beim König und brachte die Bitte vor, Pescaro möge das alte Liebesschlößchen noch einmal besuchen. Der König wollte nichts hören. Aber Cosimo meinte, es sei doch immer ein schicklicher Abschied, und er drang so heftig in den König, daß dieser endlich nachgeben mußte und die Pferde befahl.

Es war um die Abendstunde, als die beiden auf wohlbekannten Pfaden durch den Park ritten.

Ein zärtlicher Lufthauch spielte in den Platanen und durch das dunkler werdende Grün der Taxusbüsche sah man die Wellen des Meeres schimmern. Den beiden war ganz seltsam zumute, wie sie sich durch altvertraute Alleen dem Liebesschlosse näherten und sich auf einem Wege sahen, den sie beide schon lange nicht mehr durchmessen hatten. Sie fanden kein Wort füreinander, also daß nur das Rauschen des Meeres und der Blätter, das leise Krachen des Sattelzeuges, der Atem und der Hufschlag ihrer Pferde vernehmlich war. Sie horchten auf diese Geräusche, unterschieden sie deutlich voneinander und gaben sich dem voll Aufmerksamkeit hin, als sei es von der größten Wichtigkeit, darauf zu achten. Denn einer begann jetzt die Rede des andern zu fürchten. Sie waren nämlich immer als Herren hier herabgeritten, jeder zu seiner Zeit allein, nur von den Dienern begleitet, waren es gewohnt, auf diesem Ritt keinen Genossen an der Seite zu haben und von kommender wie von gewesener Lust zu schweigen.

Cosimo wurde von einer wehmütigen Zärtlichkeit ergriffen, je mehr sie sich der Favorita näherten. Die Stimmen all der geliebten Mädchen, die er hier umfangen, wurden in seinem Ohre wieder laut. So riß er die munteren Augen auf, schaute unverwandt auf das weiße Schloß vor sich und horchte nach innen.

Dem König aber war nicht wohl zumute. Er hatte das Gefühl, als sei er nun untreu gegen Lianora, als entferne er sich von ihr, und dabei fühlte er sich ganz verlassen, denn nicht ein Hauch sprechender Erinnerung wehte ihm von diesem Liebesschloß entgegen.

Der alte Sebastian, der verschwiegene Hüter dieses Tempels, trat jetzt aus seiner Kammer, und als er die beiden Reiter erkannte, begann er vor Freude zu zittern. Denn er dachte nicht anders, als daß die lustigen Tage von ehemals wiederkehren sollten. Sebastian hatte den üppigen Filippo, des Königs Vater, mit der feurigen Lukrezia Mardi hier hausen sehen, und er hatte es niemals verraten, daß die Gräfin Mardi den König schlug. Er hatte die Buhlschaften des Regenten Cosimo hier behütet und Wache gehalten in den Liebesnächten des Königs Pescaro. Er liebte dieses flüsternde, singende Haus und er liebte diese stillen, warmen Nächte, in denen er vor der Pforte saß, auf das finstere Meer hinausblickte und dem Schrei der königlichen Buhlen lauschte. Und er war der einzige, der der Königin Lianora grollte, der einzige vom Palastgesinde, der ihren Anblick mied.

Eilend schloß er jetzt die Türe auf, lief durch die kalten Gänge und Zimmer voraus und öffnete die Fensterladen.

In der kleinen Vorhalle stand auf einer Marmorstufe ein weißer Amor und breitete die Schwingen, als wolle er den Eintretenden entgegenfliegen, aber in den Vasen waren die Blumen verdorrt.

Der König und Cosimo stiegen die Treppen hinauf und kamen in den Speisesaal, wo noch von der letzten Mahlzeit das Tischtuch ihnen entgegenblinkte. Die Stühle standen in einer Reihe an den Wänden wie beschämte, fortgewiesene und gescholtene Diener. Alles sah trübselig und eingekerkert aus.

Dann kamen sie in das achteckige Turmzimmer, darinnen Pescaro der Große, der Erbauer der Favorita, geliebt hatte. Der König trat herzu und stand vor dem geschnitzten Lager, das in der Mitte des Gemaches sich erhob. Dann betrachtete er umherschreitend die Bildnisse des Ahnherrn, die an den Wänden hingen und ihn in seinen verschiedenen Lebensjahren zeigten. Pescaro war es, als sähe er den großen König vor seinen Augen im Nu aufblühen, reifen, hinwelken und altern.

Sie kamen durch das blauweiße Musikzimmer. Eine Harfe lehnte da. In einer Ecke lagen Kastagnetten und ein Tamburin und auf dem Tisch schlief eine Laute. Cosimo ließ den König vorausgehen, verweilte im Gemache, hob eilend die Laute und drückte einen Kuß auf die Schlummernde.

Sebastian hatte nun ein Zimmer geöffnet, stand in der Tür und schaute den König an.

Mit zögernden Schritten kam Pescaro näher. Hier war das Gemach seiner Lust. Die Abendsonne brach durch das aufstehende Fenster herein und es war, als ob alle Gegenstände dieses Zimmers, der Boden, die Wände in der Freude des Wiedersehens erröteten. So belebt dünkte den König das Gemach, so erfüllt mit Lachen und Weinen und wohlbekannten Stimmen, daß er rasch hereinkam, als folge er einem Ruf. Hier war es. Hier war seine keimende Männlichkeit unter den wühlenden Liebkosungen der Gräfin Lukrezia aufgewacht, hier hatte er Angela Dandolos berauschten Liebesschrei vernommen, hier hatte Properzia Rossa zuletzt ihn umzwitschert. Alle diese lieblichen Laute wurden ihm jetzt wieder vernehmlich, glitten ineinander und vollführten in seinem Ohr eine brausende Musik. Seine ganze Jugend umwehte ihn hier, üppig und prangend in stets erfüllten Wünschen, in Zärtlichkeit und Lust und sorgloser Freude.

Da fiel ihm plötzlich ein, wieviel Güte ihm hier zugelächelt hatte, wie mild und schmiegsam alle diese Frauen gewesen, und wie willig sie ihm ihre Liebe dargebracht hatten. Er maß die Fülle der Tage, die seither vergangen, wie er ihrer die ganze Zeit über vergessen hatte, und zum ersten Male fragte er sich mit leisem Bangen, was sie wohl getan, wie sie gelebt haben mochten, seit er sie von dieser Schwelle verbannte.

Zu Füßen des Bettes stand die kleine rotseidene Bergere. Hier hatte Properzia Rossa gesessen und ihn mit angstvollen Augen angeblickt, an jenem Abend, als er kam, sie hinauszujagen. Und er gedachte, wie lange es her sei, seitdem er keinen Laut der Liebe mehr vernommen, er dachte daran, wie alle diese Frauen ihre Seele freudig vor ihm aufgeschlossen, und wie nur eine stumm geblieben bis auf den heutigen Tag, Lianora, die Königin.

Weich und gerührt wurde dem König zu Sinn. Er stand vor dem Bette und, ohne es zu wissen noch zu wollen, strich er mit der Hand über die rote Seidendecke. Ein Endchen Spitzen zipfelte aus dem Kissen. Er griff danach und es blieb in seinen Fingern. Es war das Tüchlein der Properzia. Der König erkannte es. Das hatte hier gelegen seit jenem Abend, hatte noch den Duft der Properzia bewahrt, diesen süßbitteren Orangengeruch. Und es erschütterte ihn, als hielte er ein lebendiges, atmendes Wesen in seiner Hand.

Er wandte sich mit bewegten Mienen zu Cosimo.

»Herr Oheim,« sagte er leise, »wir haben uns anders besonnen. Dieses Haus bleibe stehen und es bleibe verschlossen wie bisher. Wir wollen nichts ändern an dem, was vergangen ist, und nicht daran rühren.«

Cosimo ergriff die Hand seines königlichen Herrn, beugte sich rasch hernieder und küßte sie. Dann ging er zu der kleinen Bergere, setzte sich und barg das alte, verwitterte Gesicht in den bebenden Händen.

Pescaro wollte Luft haben und trat auf den kleinen Balkon. Wie ein Schatten war der alte Sebastian ihm gefolgt und stand mit ernsten Mienen neben ihm. Der König bemerkte ihn nicht. Er beugte sich über die Brüstung und sah in die Tiefe. Unten zerbrachen die Wellen mit leisem Plätschern an den Grundmauern des Schlosses. Und plötzlich durchfuhr es den König: Von diesem Balkone war Anna, das Bauernmädchen, in die See gesprungen. Ein Schauer überlief ihn; er hörte plötzlich den wilden Schrei ihrer Liebe so nahe, so laut, daß er aufschreckte. »Anna Nardi«, sagte er leise.

»Anna Nardi ...«, sagte Sebastian mit tiefer Stimme.

Der König zuckte wie unter einem Schlag zusammen.

»Mit Verlaub, Euer Gnaden«, sprach Sebastian und sah dem König finster ins Auge. »Anna Nardi! Ja! Die hatte noch den Schrei unserer Urmütter. Ich hab' ihn wohl vernommen, Euer Gnaden. Erst als sie in Euren Armen lag und dann, als sie von hier aus dort hinunterging, nach Hause!« Sebastian legte die Hand auf die Brüstung. »Sie hat geschrien wie die Meerfrauen.«

»Die Meerfrauen ...?«

»Ja. Wie unsere Mütter, von denen die Mädchen in Ravellaska den Schrei der Liebe geerbt haben.«

»Was sprichst du da, Sebastian?« fragte der König und eine bange Ahnung befiel ihn, als wolle sich jetzt ein Geheimnis vor ihm enthüllen.

»Du mußt wissen, gnädiger Herr,« erzählte Sebastian, »daß die Frauen unseres Landes anders sind als alle Frauen dieser Welt, denn sie stammen von den furchtbaren Töchtern des Meeres. Meerweiber haben vorzeiten auf unserer Insel gehaust, mit prangenden Leibern und goldenen Fischflossen. Und ihre Stimmen haben süßer geklungen als jeder menschliche Gesang. Weit über die Wellen hin hat der Wind ihre lockenden Lieder getragen. Da sind die Schiffer herangefahren, von so holder Verheißung betört und voll Sehnsucht, eine der Meerestöchter zu gewinnen. Über die landenden Männer aber fielen die Meerweiber dann grausam her, töteten sie mit starken Armen, tranken ihr Blut und ließen ihre Gebeine bleichen im Ufersand. Und es war diese Insel ein Ort der Schrecken, gemieden und verflucht, und rings an den Küsten weinten die Mütter, die Schwestern und die Bräute.

Da ist es eines Tages geschehen, daß eine Anzahl beherzter Männer von der spanischen Küste hersegelte. Die waren in ihrer Heimat um ruchlose Gewalttat zum Tode verdammt und geächtet. Nun hatten sie zur Sühne ein Schiff ausgerüstet, um geradeaus nach dieser furchtbaren Insel zu fahren und dem Schrecken ein Ende zu bereiten. Gepanzert waren sie ans Ufer gestiegen, das blanke Schwert in der Rechten, nicht mit liebeheischender Gebärde, sondern drohend und zum Angriff bereit. In heißem Kampf haben sie die Meerweiber bezwungen. Etlichen, die sich nicht gefangen geben wollten, wurde der schöne Kopf an den Klippen zerschellt, und die in die Fluten zu entkommen suchten, mit gut geschleuderten Lanzen gespießt. Die anderen aber wurden niedergerungen und im dichten Buschwerk zum Liebesdank gebändigt, also daß sie endlich halten mußten, was ihr lockendes Singen so lange verheißen ...« Sebastian lachte und seine Augen glühten.

»Und da, gnädiger Herr, während solcher Umarmung haben die Meerfrauen einen Schrei ausgestoßen, der den Siegern beweglich in das Herz drang und sie zur Milde stimmte. Einen Schrei, in dem ihre wilde, jetzt aber gezähmte Seele dahinströmte. Nach diesem Brautlager sind sie dann in das Meer getaucht, haben die Schätze der Tiefe herbeigebracht und treulich haben sie ihren Männern gedient, bis die Kinder, die Frucht jener Siegesstunden, herangewachsen waren. Dann sind die Meerfrauen eines Tages in den Wellen verschwunden für immer. Von jenem Geschlecht aber stammen die Ravellasker ab. Sie sind ein großes und starkes Volk geworden, die Insel gedieh, und ihre Erde ward gesegnet durch die Meerweiber. Den Frauen von Ravellaska aber ist der Schrei ihrer Urmütter zu eigen geblieben.«

»Woher hast du das Märchen?« rief der König, und sein Herz pochte laut.

Sebastian stand mit tückischer Miene vor ihm. »Es ist kein Märchen,« sagte er, »kennst du die Geschichte nicht, Herr König?« Er sah Pescaro von unten her an.

»Ja, gnädiger Herr, du hättest mich eher darum fragen sollen. Ich hätte dir Bescheid gewußt!«

 

Auf dem Heimweg prüfte der König, was er vernommen. Und er zweifelte. Sollte er dem Sebastian trauen, von nun ab glauben, daß nur Ravellaskas Frauen den Schrei der Liebe im Herzen hatten, daß also Lianora niemals ihre Seele würde tönen lassen, oder sollte er Sebastians Worte für ein listiges Märchen nehmen und seine Sehnsucht wach erhalten?

Als sie dann wieder zum Palast gekommen waren, nahm der König das Spitzentuch der Properzia und reichte es dem Prinzen Cosimo. »Bring' es ihr,« sagte er, ohne einen Namen zu nennen, »bring' es ihr, wenn du zu ihr gehst, und sage, daß Wir sie grüßen und ihrer in Gnaden eingedenk waren an diesem Abend.«

Cosimo stand verwirrt, als er sein Geheimnis enthüllt sah, aber der König blickte ihn so milden Auges an, daß ihm rasch wieder leichter wurde. Er nahm das Tüchlein, neigte sich und ging.

 

Am andern Abend jedoch, als der Hof sich versammelt hatte, um den neuen Musikmeister, den Nachfolger des verstorbenen Lorenzo, zu hören, ging der König quer durch den Saal, weil er den Fürsten Cardini zu sprechen wünschte.

Da trat ihm Angela Dandolo entgegen und hemmte seinen Schritt. Überrascht betrachtete er sie. Ihre rote Haarfülle leuchtete wie einst, ihr Haupt war stolz emporgehoben wie immer und nur ihre sonst so dreisten Augen blickten heute sanft und hatten einen feuchten Schimmer.

Niemals hatte der König mit ihr gesprochen seit jener Zeit. Niemals hatte er sie angeblickt. Sie ging am Hofe umher, ihm gleichsam zum Trotz, und er dachte, daß sie voller Haß und Feindschaft sei. Heute aber stand sie vor ihm, redete ihn gegen alle Sitte an und in der alten Vertraulichkeit:

»Ich habe gehört,« sagte sie, »daß du die Favorita niederreißen wolltest. Diesen Morgen aber erzählte mir Cosimo, was sich begeben, und daß dies alte Schloß Gnade gefunden hat in deinem Herzen. Ich danke dir!«

Der König war bestürzt und verwirrt. Er sah in das Antlitz der Angela Dandolo und gewahrte, wie die Jugend und die Schönheit daraus zu entweichen begannen, wie um ihren schwellenden Mund in klaren, herben Linien die Zeichen der Vereinsamung als eine hart eingegrabene Schrift geschrieben standen und wie nur ihre großen Augen das übermütige Leuchten froher Tage aufbewahrt hatten.

»Um unserer Liebe willen danke ich dir!« sagte Angela Dandolo mit ihrer berauschenden Stimme, und streckte dem König die Hand entgegen.

»Um unserer Jugend willen«, erwiderte er, indem er diese Hand ergriff, und da er fühlte, daß sie in der seinigen bebte, drückte er sie rasch und schüchtern und wandte sich ab.

 

Pescaro dachte noch oft an des alten Sebastian Erzählung, aber es half ihm nicht. Wie sehr er sich auch zu dem Glauben zwingen wollte, Lianora sei des höchsten Aufschreis unfähig, – er war ein Mann aus Ravellaska und ihm wühlte das Verlangen nach dem Schrei der Liebe zu tief im Blut, er hatte zu sehr von Anfang an alles Glück darauf gestellt, um dieses klingenden Zeichens entraten zu können. Da er nun manches Jahr schon in der Sehnsucht nach Lianorens Liebesschrei dahinlebte, hegte er diese Erwartung als ein kostbares Gut. Was ihm seine Vernunft auch an Widerlegungen eingab und wie scharf sie ihn auch in diesem Punkt zur Hoffnungslosigkeit wies, sein Empfinden sagte ihm, er habe Lianorens eigentlichen Besitz noch nicht errungen, er habe das Letzte ihrer Hingabe noch zu erwarten und es stehe ihm die völlige Vereinigung mit seinem Weibe noch bevor.

So erlosch seine Liebe niemals und nimmer versiegte der Quell seines Begehrens. Und wie nah auch die hingehenden Jahre Pescaro und Lianora zueinander brachten, der König meinte doch, es sei die letzte Schranke zwischen ihnen beiden noch nicht gefallen. Seufzend pflegte er manchmal zu sagen, es sei schmerzlich, daß zwei Menschen niemals eins werden können, wie heftig sie auch danach trachten. Jeglicher bleibe an seinem Ufer, breite am Rande der eigenen Scholle vergeblich nach dem anderen die Arme aus und trennend rausche in der Tiefe ein Strom von Rätseln dahin, unergründlich, geheimnisvoll und nirgends überbrückbar. Derart verglich er es und sagte, das sei die Erkenntnis seines Lebens; sie habe ihn viele Güte und vieles Verstehen gelehrt, also daß er ein sanfterer Gebieter geworden, als seine Jugend habe vermuten lassen. Lianora hörte ihn oft diese Dinge besprechen. Sie lächelte milde und wohlgefällig, aber sie verstand ihn nicht. Und daran erwies es sich stets von neuem, daß der König recht behielt.

In Ravellaska aber wollte keine von den Königinnen, die nachher die Krone trugen, an Tugend hinter Lianora zurückstehen, und so ward seit jener Zeit das Fest der Bettbeschreitung immer zweimal gefeiert.

Auch die übrigen Frauen des Landes ahmten dies Beispiel nach und weigerten in der ersten Nacht dem Gatten, was sie ihm in der zweiten gerne gewährten. Die Männer verwünschten zuerst dies wunderliche Wesen, dann fügten sie sich, und zuletzt wurde es ein gültiger, ehrwürdiger Brauch, den niemand zu übertreten wagte, obgleich dann später keiner mehr zu sagen wußte, warum und woher dieser Brauch entstanden und weshalb er denn eigentlich ehrwürdig sei.


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