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Cosimo hatte sich kaum auf sein Lager gestreckt und einem unruhigen Schlummer hingegeben, als er geweckt wurde. Draußen stünden die Grafen Ruspoli und Dossi, meldete der Diener, sie bäten seine Gnaden dringend um Einlaß und Gehör.
Alsbald kamen sie denn auch herein und brachten ihre Sache vor. Der Fall sei schwierig und noch niemals dagewesen, da wüßten sie denn alle beide nicht, was jetzt geschehen könne; weil nämlich nach altem Brauche noch an diesem Morgen die Ehe des Königs durch die Krönung der Königin besiegelt werden solle. Die Feierlichkeit sei deshalb für diesen Morgen bestimmt, weil das Gesetz annehme, daß die Königin in der vorhergehenden Nacht wirklich des Königs Gattin geworden sei und den Anspruch auf die Krone dadurch sich erworben habe. Was nun zu tun sei, fragten die beiden, denn der Prinz wisse ja ...
Cosimo schüttelte das Haupt und fand keinen Rat. Aber sie drangen heftiger in ihn und stellten ihm vor, daß sie beide in dieser Lage eine so schwere Verantwortung nicht zu tragen vermöchten. Sollten sie das Fest absagen und Kirche wie Krone verschlossen halten, dann liefen sie Gefahr, der Königin einen tödlichen Schimpf anzutun. Wenn sie aber die Glocken läuten ließen und die Krönung vor sich ging, dann würde ein heiliger Brauch verletzt und das Diadem zierte ein jungfräuliches, vielleicht ein widerspenstiges Haupt. Man müsse alles genau erwägen. Der Stolz des Königs sei in Rücksicht zu ziehen, die Würde der Königin, dazu die Stimme von Adel und Volk.
Cosimo stutzte, denn zum ersten Male ward es als eine Erklärung der eben verwichenen Nacht vor ihm erwähnt, daß die Königin unberührt geblieben sein könne. Auf diesen Gedanken war er selbst bisher nicht verfallen. Er hatte überhaupt an eine Erklärung so seltsamen Schweigens nicht gedacht. Jetzt faßte er sich schnell, und indem er ein Lächeln zurückhielt, wandte er sich zu den beiden bewegten Männern. Im Bette sitzend, aber mit voller Hoheit sagte er: »Ich glaube, daß ich in dieser Sache so wenig weiß und so wenig zu sagen habe wie ihr. Der einzige, der euch Bescheid und Auftrag geben kann, ist der König.«
Ruspoli und Dossi waren sehr bestürzt. Der König? Es sei ganz unmöglich, ihn zu befragen. Die Angelegenheit vor den König bringen, hieße ihn auf jeden Fall kränken.
Cosimo mußte ihnen beipflichten. Er überlegte eine Weile und erklärte dann: »Trotzdem gibt es kein anderes Mittel.«
»Das haben wir freilich gewußt«, sagte Ruspoli mit seiner klagenden Stimme. »Weil wir das aber durchaus nicht tun wollen, legen wir die Würde unseres Amtes von uns ab.« Damit bot er seinen Stab dem Prinzen dar.
»Das fehlte noch!« rief Cosimo erschrocken. »Wer von euch beiden hat denn diese Dummheit ausgeheckt? Ihr macht ja alles noch schlimmer. Das Ärgernis und das Aufsehen stellt euch vor, wenn ihr jetzt davongeht.«
Ruspoli und Dossi wußten keine Antwort mehr.
»Seid getrost«, fuhr Cosimo fort. »Es gibt kein anderes Mittel, als die Entscheidung in des Königs Hand zu legen. Wohlverstanden, ohne ihn zu befragen. Man muß ihn gewähren lassen. Befiehlt er, daß die Krönung unterbleibe, dann wißt ihr Bescheid. Wenn aber unser gnädiger Herr sich in den Ornat kleiden läßt und zu Pferde steigt, dann geschehe alles, wie er befiehlt. Ich weiß, was ihr mir entgegnen wollt. Aber wenn es dem König gefällt, mag er die jungfräuliche Prinzessin krönen. Sein Wille! Was jedoch meine Meinung in diesem Falle betrifft, müssen wir uns eben resolvieren: weil Lianora in dieser Nacht das erlauchte Bett unseres gnädigen Herrn geteilt hat, ist sie Königin und darf gekrönt werden, was auch sonst noch fehlen mag.«
Während dieser letzten Worte trat Prinz Cesare in das Gemach, völlig munter und mit roten Wangen. Er hatte nicht geschlafen, sondern war in das Meer gestiegen, hatte sich in den morgenkühlen Wellen erfrischt und wollte nun mit dem Oheim die rätselhafte Nacht besprechen.
Ruspoli und Dossi gingen. Cesare aber konnte sich vor Heiterkeit nicht fassen, als er hörte, welche Beschwerden die beiden durch Lianora auszustehen hatten. Und als ihm Cosimo mitteilte, daß ein Gerücht umlief, Lianora habe sich dem Gemahl verweigert, da rief er laut: »Mein königlicher Bruder! Wie mag ihm jetzt wohl zumute sein, wenn er uns vor die Augen treten soll, so besiegt und abgewiesen!«
Er hob ein jauchzendes Gelächter an:
»Welch eine Nacht hat er verlebt, dieser arme König! Welch eine Nacht!« Dann setzte er sich zu Cosimo auf das Bett. »Ich schwöre darauf,« sagte er, »ich schwöre darauf, daß es so ist! Das sieht ja dieser sonderbaren Lianora so ähnlich. Ist es nicht, wenn man ihren stolzen Mund anblickt, als sei er zum Schweigen entschlossen! Und ihre Augen! Die sind wie zwei ausgestellte Wachen, die jeden, der da naht, mit hochmütiger Frage anrufen! – Ach schade, schade, ewig schade! Daß mir dieser Einfall nicht von selbst kam, heute nacht! Das hätte uns die Langeweile gekürzt, hätte uns munter gehalten und es wäre lustiger gewesen.«
Der Diener kam herein und meldete, der König sei soeben in den Kämmerersaal getreten und lasse sich den Ornat anlegen.
»Dann ist's auch für uns Zeit«, sagte Cosimo und sprang aus dem Bette. Auch er lachte jetzt, denn der Gedanke an des Neffen vergebliches Bemühen erheiterte sein Herz.
Cesare stand auf. »Geleiten wir also diesen darbenden Liebhaber zur Kirche!« rief er. »Ich will an seiner Seite reiten und will ihn mit Teilnahme so überschütten, ich will ihn so herrlich trösten, daß er in seinem trübseligen Zustand meine brüderliche Liebe überhaupt zum Teufel wünschen soll.«
Damit ging er hinaus und Prinz Cosimo ließ sich mit dem fürstlichen Purpur bekleiden.
König Pescaro hatte die Krone auf sein junges Haupt gesetzt, der Königsmantel floß um seine Schultern, die goldene Rüstung funkelte in der Sonne, als er die breite Schloßtreppe herabgeschritten kam und den schmetternden Gruß seiner Garden empfing.
Aber er lächelte nicht und er dankte nicht in Gnaden. Gebieterisch aufgerichtet trat er in den Hof. Seine Wangen waren bleich, er hatte die Oberlippe herabgezogen, hielt die Zähne aufeinandergepreßt und seine Nasenflügel bebten. Sein Blick flog über alle sich neigenden Häupter hochmütig ins Weite.
Mit allen seinen Gedanken war der König bei der schönen Lianora. Unaufhörlich rief er sich diese Nacht mit ihren Wonnen und mit ihren Schmerzen ins Gedächtnis. Beständig schwebte ihm das Antlitz Lianoras vor, beständig sah er ihre fragenden tiefen Augen. Er dachte daran, wie diese Blicke, die klar und feucht waren wie der Spiegel eines Weihers, unter seinen Zärtlichkeiten sich verdunkelten, als zögen kleine Wolken über helles Wasser, und er sah diesen Mund, zu dem das rasch verscheuchte Lächeln rasch wieder herbeischwebte, der aber verschlossen blieb und stumm, der die letzte Hingabe weigerte. Und er durchlebte es wieder und wieder, wie die Geliebte ihm entglitt, indessen seine Sehnsucht durstiger wurde und seine Hoffnung verzweifelte. Seit er ihr Bett verlassen, irrte er in seinen Gemächern umher, sann dem Rätsel der enteilten Stunden nach, blieb verwirrt und betäubt, und alle seine Sinne waren untergetaucht in den hochgehenden Wellen seines aufgewühlten, ungestillten Begehrens.
Jetzt umringten ihn zweiundzwanzig der edelsten Ritter des Reiches und leisteten je nach Herkunft und Würde ihren Dienst, als der König zu Pferde stieg. Eine feierliche Fanfare ertönte, nun der König im Sattel hielt und sein gekröntes Haupt hoch über allen sichtbar wurde.
Dann saßen die Prinzen auf und ritten an seine Seite, und in langem Zug folgte der Adel, folgten mit wehenden Fahnen die Garden, hinaus durch die langen, gewundenen Straßen der Stadt zur Kirche.
Zu beiden Seiten des Weges stand das Volk in dichten Scharen, aus allen Fenstern blickten die Ravellasker, und Pescaro sah, wie sie überall die Blumen bereit hielten, die vor den Wagen der Königin gestreut werden sollten.
Ihn selbst sollten die Ravellasker an diesem Morgen mit lautem Zuruf begrüßen, sollten ihm Glück wünschen, und er bereitete sich, durch eine Brandung von abertausend Stimmen sein Roß zu lenken.
Aber auch das Volk blieb stumm. Alle entblößten das Haupt, als der König einherkam auf seinem milchweißen Pferd, und alle sahen es, wie blaß er war und wie ernst. Da ward die Meinung Angelo Dossis von den Frauen sogleich aufgenommen und zu beiden Seiten des Zuges, dem König immer voraus, lief jetzt das Gerücht von Lianoras Jungfräulichkeit.
Und das Gerücht saß in den fröhlichen Mienen des Prinzen Cesare, der sein Pferd an des Königs Seite trieb, sich leicht herüberneigte und ihm zuflüsterte: »Darf ich dir Glück wünschen, Herr Bruder? Oder darf ich es noch nicht?« Der König schwieg und Cesare fuhr fort: »Ich wette, du bist sehr glücklich, lieber gnädiger Herr, und willst nur nichts merken lassen. Das ist nicht recht von dir, denn wir haben die ganze Nacht nicht geschlafen.«
Noch immer schwieg der König, und Cesare sagte jetzt tröstend: »Ach, mein gnädiger Herr, Frauen sind oft schwerer zu erobern als feste Burgen. Aber da du der König bist, bist du auch ein Eroberer. Niemand zweifelt daran. Wir werden eben warten, bis du gesiegt hast.«
Da bemerkte er, wie des Königs Antlitz noch bleicher wurde, wie die goldenen Zügel in seiner Hand sich plötzlich strafften. Erschrocken zog er sich zurück und hielt sich neben Cosimo, der aus fröhlich blinzelnden Augen die Menge betrachtete. Die wußten's also auch schon und schwiegen alle.
Auf der obersten Stufe dicht vor der hochgewölbten Kirchenpforte stand der König und war von seinem Gefolge im Kreise umgeben. Hinter ihm funkelten aus der Finsternis der Kathedrale die vielen hundert Lichter vom Altare und von den Kronleuchtern. Der König aber stand vor diesen kleinen Sternen in seiner goldenen Rüstung einer Sonne gleich und blickte die Straße hinunter. Da er niemanden eines Blickes würdigte noch eines Wortes, stand er völlig allein, und es sahen alle nur, wie die Blässe auf seinen Wangen wuchs und wie sein Blick sehnsüchtig die Straße zurücklief.
Jetzt begannen auf einmal alle Glocken der ganzen Stadt zu läuten und erfüllten die frische Morgenluft mit ihrem frommen Gesang. Da richtete der König sich höher auf und seine Hände umklammerten den Schwertgriff fester. Jetzt hatte die Königin das Schloß verlassen und zog heran, zum ersten Male allem Volke sichtbar.
Das Geläute wurde stärker und stärker und begann brausend und schallend in einen klingenden Strom zu verschwimmen, und von fernher kam in spitzen silbernen Tönen das Schmettern der Heroldstrompeten näher. Mit ihm aber näherte sich ein lauter Donner, der anschwoll und mächtiger wurde, und als der König an der Straßenbiegung die ersten Helmbüsche des Zuges aufflattern sah, vernahm er auch den tosenden Jubel, mit dem Ravellaska die Königin begrüßte. Dergleichen hatte er noch nicht vernommen, und er lauschte erstaunt und mit verwunderten, fragenden Mienen, und allenthalben herrschte Staunen in seinem Gefolge, denn niemand wußte sich einen solchen Ausbruch zu deuten. Der hohe Glaswagen, in dem die Königin saß, kam schwankend näher, als steuere er wie eine prunkvolle Barke auf diesem brandenden Meer von Zurufen und Jauchzen dahin, und wenn er manchmal wie stockend innehielt, schien es, als wollten die Wogen dieses Jubels hoch über ihm zusammenschlagen.
Voll Neugierde hatte das Volk auf den Anblick dieser Königin gewartet und war doppelt erpicht darauf, sie zu sehen, nach dieser Nacht, in der alle das Fest ihres Schreies hatten feiern wollen.
Nun lief bereits das Gerücht umher, Lianora habe dem König ihr Magdtum geweigert, hinter dem Zuge des bleichen Pescaro war diese Kunde liegengeblieben, und nun die Herolde aus dem Schloß ritten und die acht prächtigen weißen Pferde, die den Wagen der Königin zogen, kopfnickend näher kamen, am Zügel geführt von den nebenher schreitenden Troßknechten, nun Lianora in den blauen Kissen der hohen Glaskalesche sichtbar wurde, und alle dieses strenge, fragende und doch so gütige Mädchenantlitz sahen, nun sie dieses schimmernde Lächeln auf den geschlossenen Lippen gewahr wurden und den Glanz dieser unnahbaren Augen, da wurde das kindliche Vermuten des Pagen Dossi im Volke plötzlich zur Gewißheit und ein Aufschrei des Entzückens empfing die liebliche Lianora.
Anmutig neigte sie sogleich das Haupt und grüßte die Menge mit fröhlichen Mienen, und weil nun alle von ihr dachten, sie habe sich der männlichen Umarmung widersetzt, weil nun alle in diesen lächelnden Mienen die Heiterkeit eines Sieges zu lesen meinten, war es ihnen, als ob die Königin ihre Jungfräulichkeit wie ein heiliges Recht noch länger festhalten dürfe, als sei der Versuch, ihr solch ein Gut zu rauben, eine schnöde Missetat, und Lianora in ihrem gläsernen Wagen erschien ihnen, als sei sie einer großen Gefahr glücklich entronnen. Besonders aber waren es die Frauen, die bei dem Anblick der Königin jauchzten. Sie fühlten sich ihr alle nahe und zu Dank verpflichtet, und sie freuten sich wie über einen eigenen Triumph, als habe der König vor ihnen auf den Knien gelegen und sie hätten sich stolz abgewendet: ›Nein – ich tu's nicht.‹ Ganz glücklich waren die Frauen.
So fuhr Lianora durch die hallenden Straßen von Ravellaska, und Angelo Dossi, der als einziger hinter ihrem Wagen ritt, blickte mit seinem stolzen Knabenlächeln umher.
Als der kleine Zug sich der Kathedrale näherte und nun auch die Menge, die den weiten Platz erfüllte, in Jubelschreie ausbrach, verstand König Pescaro einzelne Worte aus dem Gewirr der Stimmen. Und plötzlich wußte er, was dieses Volk, was der ganze Adel, was sein spottender Bruder dachte. Jetzt erst fiel es ihm auf die verwirrte Seele, daß alle ringsumher die ganze Nacht gleich ihm vergeblich auf diesen Schrei gewartet hatten, jetzt erst faßte sein trunkener Geist den Gedanken, daß sie alle, wenn auch auf ihre Art, um seine ungestillte Sehnsucht wußten! Das ungefeierte Fest trat jetzt vor sein Bewußtsein und eine tiefe Röte überflog plötzlich sein Antlitz. So rasch schoß ihm das Blut in die Wangen, daß seine Blicke sich verdunkelten. Wie eine weiße Wolke sah er die acht Schimmel an sich vorübergleiten, und ehe er sich fassen konnte, stand die Königin schon an der untersten Stufe der Kirchentreppe.
Da war es dem König, als er Lianora zu sich emporsteigen sah, als erblicke er sie nach langer Trennung zum ersten Male, und das Glück des Wiedersehens bewältigte ihn so sehr, als habe er Lianora nicht eben vor zwei Stunden verlassen; stärker noch als Tags zuvor, da sie den Fuß auf Ravellaskas Ufer gesetzt hatte, wallte jetzt in ihm sein Fühlen, und er mußte sich bezwingen, sonst hätte er, der König, das Knie gebeugt vor der Ungekrönten.
Er sah sie in ihrem weißen fließenden Gewand zu seinen Füßen sinken, gleichsam hingeweht vom Brausen dieser tönenden, klangvoll erschütterten Luft. Einen Augenblick ließ er seinen Blick umherfliegen über die tausendköpfige sonnenbeschienene Menge, zum weiten goldblitzenden Himmel empor, dann erst vermochte er es, die Hand auszustrecken. Lianora erhob sich, und vom Orgelrauschen überströmt schritten die beiden zum Altar.
Als dann die Herren wieder zu Pferde stiegen, sagte Prinz Cesare zu seinem Onkel: »Es ist ausgemacht, daß er sie nicht hat berühren dürfen – ich sah es an seinen Händen, als er ihr die Krone aufsetzte. Er hat gezittert wie ein Bräutigam.«
Ihnen vorauf ritt der König, und war er auf dem Wege zur Kirche blaß gewesen, so konnten sie jetzt sehen, wie ihm das Blut in raschen Wellen immer wieder zu Häupten stieg.
Cosimo sagte leise: »Er ist ganz von Sinnen.«
Und Cesare entgegnete: »Sie ist aber auch schöner, als ich je eine sah!« Dabei wandte er das Haupt, um rückwärts zu schauen.
In diesem Augenblick trat Lianora aus dem Kirchentor, stand in dem dunkeln, hochgewölbten Bogen wie ein leuchtender Engel, die Krone blitzte jetzt auf ihrem Haar und das Volk war niedergesunken, sie zu verehren.
Pescaro wandelte auf der großen Terrasse vor seinem Zimmer hin und her. Er durchmaß sein Gemach mit ruhelosen Schritten; er warf sich in seinen Armsessel, sprang sogleich wieder empor und wanderte weiter und weiter.
Unablässig grübelte er darüber nach, warum es ihm nicht beschieden gewesen, der Geliebten dieses letzte Zeichen ihrer Hingabe zu entreißen. Er klagte seine Zärtlichkeiten an, seine Umarmung, seine Heftigkeit und sein Zagen, und er fand tausend Gründe, durch die er es verschuldet hatte, daß die Seele Lianoras stumm geblieben.
Dabei brannte die schmerzlichste Scham in seiner Brust, wenn er jetzt der wartenden Gesellschaft gedachte, wenn der ruchlos scherzende Lorenzo ihm einfiel, oder der dreiste Cesare, und er sich ausmalte, wie sie alle beim Tagesgrauen auseinandergegangen sein mochten.
Dann kehrte er in seinen Gedanken wieder zu Lianora zurück und zu ihrer Umarmung und vergegenwärtigte sich, um sich vollends von seiner Schuld zu überzeugen, jede Berührung, jeden Kuß, jedes Zucken ihrer Mienen und ihres Leibes. Er verweilte bei jedem Blick, der ihn in dieser Nacht getroffen, bei jedem geflüsterten Wort, das er gesprochen und vernommen, bei jedem Atemzug, der ihren Lippen entflohen war, und seine Begierde stieg.
Jetzt, da er wieder auf die Terrasse hinaustrat, gewahrte er, wie der Abend still auf das Meer herabglitt, und wie die kommende Nacht ihren Schleier über den Himmel hinbreitete. Und da schlug ihn das Gefühl des wieder Bevorstehenden mit solcher Gewalt, daß ihm der Atem stockte, und er, nach Luft ringend, die Arme breiten mußte. Mit einem Male schoß ein siedender Wille in ihm auf, ein ungeduldiger, kaum zu bändigender Entschluß bemächtigte sich seiner. Er unterdrückte mit Mühe einen Aufschrei, sprang in das Zimmer und rührte die Glocke.
In dieser Nacht, die ihm auf leisem Fittig heraneilte, sollte es geschehen. Er wußte es und er fühlte es. Er spürte, wie ihn feurige Kräfte durchströmten, wie die Sehnsucht alle Lichter in seiner Seele anzündete, wie das Glück ihn umrauschte und bezwungen sein wollte.
Und es war ein allgemeines Staunen, ein Flüstern und Schwatzen, als die Garde wieder durch die Straßen der Stadt vor das Schloß zog, als der Adel wieder in seinen Prunkkarossen heranfuhr, als oben im hellerleuchteten Thronsaal und drunten in allen Schenken die Leute einander mit der Botschaft empfingen, der König habe kurz vor Abend befohlen, das Fest der Bettbeschreitung noch einmal zu feiern.