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Der Schrei der Liebe

1

Drunten am Meere, an der weißen Marmortreppe, die zum Königsschlosse aufwärts führte, schaukelte die Barke des heimgekehrten Gesandten; teppichbehangen, mit einem rotseidenen Baldachin und mit der blitzenden Krone auf vergoldetem Bug.

Der alte Cardini stieg entblößten Hauptes die Treppe empor, hielt sich gebückt, wie vergraben in dem weiten Purpurmantel und schlug kaum die Augen auf, als er an den grüßenden Wachen vorbei durch die Vorhalle schritt. Vor ihm her ging ein stolzer Knabe mit schimmernden Locken und trug auf einem Kissen von Brokat ein kleines, kunstvoll in Email ausgelegtes Kästchen. Das war Angelo Dossi, der Sohn des Oberhofmarschalls, Page bei dem greisen Fürsten Cardini, und er kehrte in diesem Augenblick nach zweijähriger Abwesenheit in seine Vaterstadt zurück.

Allein, wie sie jetzt durch eine lange Galerie hintereinander dahinwandelten, sandte weder der Greis noch das Kind einen Blick durch die Fenster zur geliebten Stadt hinunter. Des alten Fürsten kahles Haupt blieb gesenkt, denn der Gesandte wußte, daß sein erster Gruß in der Heimat des Königs Eigen sei. Der Knabe jedoch hielt die feinen weißen Hände behutsam unter das Brokatkissen und er schaute dabei unverwandt mit hellen Augen auf das Emailkästchen, als bärge es alle Wunder der Welt.

Also hielten beide ihren Einzug in den königlichen Saal, vollführten von der Seitenpforte her, durch die sie hereingekommen waren, einen weiten Bogen bis an den Thron, knieten vor dem leeren, erhöhten Sitz, standen gleich wieder auf und verharrten stumm, als sei, weil der König fehlte, niemand sonst zugegen. Es befanden sich aber nur wenige Schritte vor ihnen zu beiden Seiten des Thrones die vornehmsten Herren vom Hofe, die gleich ihnen den König erwarteten. Da war Cosimo, der älteste Prinz des Hauses, ein schlanker Greis, der den silbernen Küraß der Garden trug und der unter seiner weißen Haarfülle mit fröhlichen Augen umherspähte. Dann der jüngere Bruder des Königs, Prinz Cesare, der seine allzeit übermütige Laune in diesem Saale zu zügeln wußte und die dunkeln, langbewimperten Augen niederschlug, als wolle er jeglicher Versuchung entrinnen. Ferner war Dossi, der Hofmarschall, da und trug den Wappenrock des Königs derart, daß ihm der goldene gekrönte Adler mit ausgebreiteten Schwingen die Brust umspannte.

Dossi begann lautlos, nur mit den Mundwinkeln zuckend, zu lachen, als er des Sohnes gewahr wurde. Wie er groß geworden ist, dachte er und grüßte den aufrechten Knaben mit den Augen. Aber der Adler an Dossis Brust hatte die Schwingen gebreitet, als hielte er den erfreuten Mann zurück. Der nahm denn auch rasch eine strenge Miene an und schaute geradeaus in die Luft, daß er des Sohnes Haupt nur wie einen goldenen Schein unter seinen Blicken leuchten sah. Auch das Kind hatte den Vater mit einem Blitz der Augen nur gegrüßt, und betrachtete jetzt mit unbeweglichen Mienen den Wappenvogel, der auf des Vaters Brust funkelte.

Es war außerdem noch ein Greis zugegen, der vorne an des Thrones unterster Stufe stand, der Graf von Ruspoli, des Königs Zeremonienmeister. Er war sehr mager und so uralt, daß sein blasses Antlitz mit unzähligen Runzeln bedeckt, sein Haupthaar ausgefallen und in seinen Augen jeglicher Schimmer erloschen war. Gewöhnlich hielt er sich tief gebückt, so schwer lasteten die Jahre auf seinen Schultern. Aber mit dem weißen, langen Stab in der Hand, stand er hoch emporgerichtet da und man erkannte, daß er vor Zeiten ein stattlicher Mann gewesen. Freilich hielt er sich nur eine Weile so. Dann glitt er langsam tiefer und tiefer, schien in sich selbst zusammenzuschrumpfen, bis er sich wieder einen Ruck gab und an dem Stab seiner Würde aufs neue in die Höhe zu klimmen suchte.

Die allgemeine Ruhe brach Prinz Cosimo mit seinem gütigen Lachen. »Niemand braucht so ängstlich zu schweigen,« so rief er, »und ich grüße dich, Freund Cardini!«

Beim ersten Ton dieser hallenden Worte kletterte Graf Ruspoli eilig an seinem Stab empor und stand in mißgelaunter Wachsamkeit da. Der Gesandte verharrte ohne Bewegung und schaute nachdenklich zu Boden, als habe er nichts gehört.

Cosimo lachte noch einmal, dann rief er zu Dossi hinüber: »Höre du! Deinen Sohn darfst du schon willkommen heißen. Wäre ich der Vater und sähe nach langer Trennung solch einen blühenden Knaben vor mir, ich würde mich den Teufel darum scheren, was hier erlaubt ist, und mein Kind in die Arme nehmen.«

Dossi lächelte sanft, den Blick geradeaus, als sei er von vorne und nicht von der Seite her angeredet worden. Prinz Cesare aber, dem solch lautes Wesen vor dem Throne nicht ganz lieb war, wandte den Kopf und blickte durch die hohen Türen zur Altane hinaus und von da über das blaue, sonnenbeschienene Meer, wo die weißen Segelschiffe still und von ferne vorüberzogen; so begab sich Prinz Cesare mit den Augen weit fort aus dem Saale, in dem er sich langweilte und vom langen Stehen belästigt fühlte.

Cosimo sah alle der Reihe nach scharf an, und wie er des Grafen Ruspoli Unwillen bemerkte, rief er laut: »He! Kleiner Dossi!«

Der Knabe regte sich kaum.

Prinz Cosimo erhob die Stimme und rief mit erheuchelter Strenge: »Dich meine ich, Angelo Dossi, Königspage bei unserer Gesandtschaft in Mallorka! Hältst du die Braut in deinem Kästchen? Ich möchte sie wohl sehen, ehe der gnädige Herr kommt. Zeig' her, denn ich vermag es dann aufs Haar vorauszusagen, ob er sie nimmt oder nicht.«

Cardini verharrte gesenkten Hauptes. Der Knabe schien nichts gehört zu haben. Nur Prinz Cesare war aufmerksam geworden. Sein Blick kam vom Meer wieder herein und haftete an dem Emailkästchen.

»Hast du das Gehör verloren, Cardini?« fragte Cosimo den Gesandten mit scheinbarer Besorgnis und trat einen Schritt vor. Graf Ruspoli hatte sich wieder einmal völlig aufgerichtet und drehte das verrunzelte Gesicht zwischen Arm und Stab dem widerspenstigen alten Prinzen zu. Der achtete nicht darauf und fuhr eifrig fort: »Ich dächte, das wäre für jeden hier von Wichtigkeit, wenn wir wüßten, wie diese Braut aussieht ...«

Nun rief Prinz Cesare mit seiner dreisten hellen Stimme den Pagen Dossi an: »Du, Angelo, erzähle uns von Lianora! Ist sie schön?«

Der Knabe schwieg, aber eine rasche dunkle Röte stieg ihm aus der Halskrause empor und zog ihren Schein bis unter die Stirne. Cesare war betroffen. Er errötete mit dem Kinde und schwieg. Dann fragte er leise: »Ist sie schwarz, oder blond wie du? Sag' doch ein Wort.«

»Ach was,« fuhr Cosimo munter dazwischen, »Cardini wird das Schlüsselchen, das er bei sich trägt, fallen lassen. Ich heb' es auf, und wir können ja dann selbst das Geheimnis sehen. Vorwärts, alter Freund.« Und damit tat er ein paar Schritte auf den Gesandten zu, der die Augen nicht vom Boden hob und sich tiefer nur in seinen Purpur zu verkriechen schien.

Prinz Cosimo nahm das Schwert in beide Hände: »Herr Fürst Cardini, ich habe zehn Jahre lang in diesem Reiche an des Königs Stelle geboten. Hörst du – ich will ...!«

In diesem Augenblicke prasselte vom Schlossplatz her einschlagender Trommelwirbel in den Saal. Alle fuhren zusammen und schwiegen.

Gleich darauf wurde draußen in der Galerie Fanfare geblasen. Taktfest hallende Schritte von vielen Männern näherten sich. Die drei Türen an der unteren Schmalseite des Saales, gerade dem Throne gegenüber, wurden von Lakaien aufgerissen, so daß die silbernen Trompetentöne und die Trommelwirbel laut hereinbrachen.

Durch die rechte und durch die linke Tür kam die gepanzerte Garde in den Saal marschiert und stieß die Lanzen klirrend zu Boden, als der König allein in der mittleren Tür sichtbar wurde.

König Pescaro näherte sich mit wiegenden Schritten seinem Thron. Er fuhr, während er einherkam, mit den blitzenden Augen in alle Ecken des Saales, ließ den Blick zur Decke emporfliegen, als fände er dort die erstaunlichsten Dinge, lächelte stolz und schüchtern zugleich und beeilte sich. Er war jung und schön. Nicht sehr hoch gewachsen, aber schlank wie ein Knabe, hatte kastanienbraune Haare, die in der Sonne glänzten, und die feine Nase ragte mit sanftem Schwung aus dem schmalen Antlitz vor. Pescaros Mund war wie der Mund eines Weibes, rot, schwellend und zärtlich. Aber der König hatte manchmal eine Art, seinen Mund zusammenzupressen, die Oberlippe herabzuziehen, daß ein Ausdruck entschlossener, dreister Hoheit auf diesem frischen Jünglingsantlitz erschien.

Jetzt schritt der König in einem engen weißen Gewand daher, hatte nur ein goldenes Wehrgehenk um die Hüften, und der weiße Federhut, der sein Haupt bedeckte, ließ die braunen Wangen Pescaros noch dunkler erscheinen.

Tief neigten sich alle zur Erde. Nur die beiden Prinzen erwarteten den König in aufrechter Haltung. Erst als er seinen Fuß auf die unterste Stufe des Thrones setzte, zogen sie grüßend ihre Hüte und hielten sie nun mit ausgestrecktem Arm zur Seite.

Der König winkte von seinem Sitze aus dem alten Cardini, der jetzt neben dem Pagen in die Knie gesunken war.

»Willkommen«, sprach er mit einer frischen, beinahe jauchzenden Stimme zu dem Gesandten. Dabei ließ er seine Blicke über die greise Gestalt, die vor ihm auf dem Boden lag, langsam und voll Aufmerksamkeit hingleiten; diese prüfenden Beobachterblicke, in denen stets ein arger Spott bereit zu liegen schien, der alle in Verwirrung setzte. Mit diesem Blick hatte Pescaro als Knabe schon seine Höflinge bezwungen.

»Was du auch bringst, Cardini, du bist mir willkommen«, redete der König weiter, und es war bei seinen Reden, als ob klingender Jubel den Saal fülle.

»Du hast von der Schönheit der Prinzessin Lianora berichtet, und ich befahl dir, das Bildnis dieser edlen Dame hieherzubringen.«

Cardini wies auf das Kästchen in der Hand des Knaben: »Hier ist das Bildnis, Euer Gnaden.«

Der König fragte: »Wie geht es meinem sehr erlauchten Vetter, dem Kaiser von Mallorka?«

»Herr,« erwiderte Cardini mit seiner alten, bewegten Stimme, »er trug mir auf, deine Hoheit zu grüßen. Und als er mir das Bildnis seiner Tochter reichte, sagte der Kaiser, er wünsche, das holde Kind möge ihm einen herrlichen Sohn gewinnen.«

Pescaro zog die Oberlippe herab: »Du hast für mich geworben, Cardini?«

»Das hab' ich nicht. Ich tat nach deinem Befehle und sagte dem Kaiser, ich wolle jetzt nach so vielen Jahren einmal Urlaub von ihm nehmen und nach der Heimat sehen. Dann rüstete ich das Schiff zur Reise und es vergingen manche Tage darüber. Zuletzt erst, als ich von Seiner Gnaden Abschied nahm, bat ich mir das Bildnis aus. Ich hätte, sagte ich, den Wunsch, meinem Gebieter die schönste Rose von Mallorka zu zeigen.«

Der König nickte. Cardini aber, indem er das Kästchen öffnete und ein kleines Bild behutsam heraushob, fuhr fort: »Eure Hoheit bitte ich um eine Gnade ...«

König Pescaro fragte nur mit den Augen.

»Wenn dieses Antlitz, das, hier auf Elfenbein gemalt, dich anblickt,« sagte Cardini mit besorgter Stimme, »wenn Lianora nicht Gunst vor deinen Augen findet, dann laß einen anderen Gesandten nach Mallorka zurückkehren. Ich bin alt, bin dem Herrn Kaiser für manche Huld verpflichtet, und mir wär' es schmerzlich ...«

Pescaro streckte die Hand aus: »Gewährt!« Und Cardini reichte ihm das Bild. Es war so klein, daß es in der hohlen Hand des Königs Platz hatte. Ein Elfenbeintäfelchen, in duftigen Farben zierlich bemalt, von einem glatten Goldreif umgeben.

Dem Kleinod, das in der Hand des Königs verschwunden war, schaute Angelo Dossi nach wie einem verlorenen Glück.

Pescaro lehnte sich in seinem Throne zurecht und hielt das Bildnis gegen die Sonne. Seine Mienen waren bewegungslos.

Eine Weile verstrich.

Der König schaute in die hohle Hand, in der das Elfenbein lag. Cardini stand vor ihm, das Antlitz mit Besorgnis zu Boden gesenkt, der Knabe Dossi lag auf den Knien und hielt das Kissen vor sich hin. Der greise Zeremonienmeister war wiederum bis zur Mitte seines Stabes zusammengesunken. Die andern aber blickten voll Neugier auf den König.

Der stand endlich auf, kam den Thron herabgeschritten, ging zur Verwunderung aller ein paarmal im Saale hin und her, als sei niemand sonst zugegen, und trat dann, wie einem raschen Einfalle folgend, auf die Altane hinaus. Draußen sah man ihn das Bildnis unter freiem Himmel nochmals betrachten. Man sah, wie er das Haupt bald nach rechts, bald nach links neigte, wie er von der Seite her auf das Bild schaute, wie er es weit von sich fort hielt, dann wieder es dicht unter seine Augen brachte. Prinz Cesare begann ungeduldig und erregt mit der Fußspitze den Boden zu klopfen.

Nach vielen Minuten erst stand der König wiederum im Saale. Er nickte aber den Herren nur kurzen Gruß und zog sich ohne ein Wort in seine Gemächer zurück.

Während Ruspoli seinen Stab hob und damit der Garde das Zeichen zum Abmarsche gab, trat der alte Prinz Cosimo vor.

»Ich beglückwünsche dich, Cardini«, sagte er. »Der König ist wie vom Blitz getroffen.«

Cardini beugte sich tief, die Hand des Prinzen zu küssen: »Glaubt Ihr das, gnädiger Herr?«, und er sah mit seinem ängstlichen Gesichte von unten her zu Cosimo empor.

Jetzt brach Cesare in lautes Lachen aus: »Ihr versteht alle miteinander nichts: welcher Mann kann denn überhaupt ein Wort reden, wenn ihm ein Mädchen so präsentiert wird! Ist denn das eine Speise oder eine Medizin? Soll er vor euch allen mit der Zunge schnalzen und sagen: ›Ach, das schmeckt‹, oder: ›Ach, das tut wohl!‹ Ich geniere mich nicht, zum Teufel! Und wenn ich mein Bruder wäre, der König von Ravellaska, dann würde ich mich noch weniger genieren. Zeigt mir aber in den dunkelsten Straßen der Stadt ein Kuppler das Bild eines Mädchens, dann bin ich still und denk' mir das meine.«

Cosimo war dicht an ihn herangetreten und schob den Lachenden in die Ecke: »Um Gotteswillen, lieber Neffe, redet nicht so! Kuppler! Wenn der König die Prinzessin von Mallorka wirklich freit, dann ist Cardini allmächtig; ohnehin steht er schon bei Lianora in Gunst, wie Ihr Euch denken könnt. Ist er doch der einzige von uns allen, der sie kennt. Und Ihr sprecht von Kuppler!«

»Unsinn!« lachte Cesare. »Weil ihr alle in eurer Neugier das Einfachste nicht bedenkt. Was hätte Bruder Pescaro tun sollen: ›Ach, sie ist häßlich!‹ sagen? Oder ausrufen: ›Nein! Wie niedlich!‹ Oder an dem Bildnis mäkeln: ›Sie hat einen großen Mund!‹ Oder: ›Schielt sie nicht ein bißchen?‹ Oder: ›Es ist abgemacht, ich heirate sie!‹ oder gar: ›Ich mag sie nicht!‹ Das wäre alles sehr demütigend für die arme Lianora gewesen. Er hatte sie in der Hand, und er hat sie entweder geschont oder ihr Respekt erwiesen. Nun also! Übrigens ist euer alter Cardini nicht der einzige von uns, der sie kennt. Der da, der weiß auch was von ihr zu sagen.« Und Cesare zog den kleinen Angelo Dossi zu sich heran: »Sag' du, Page, ich habe dich schon früher drum befragt: Ist sie sehr schön, Lianora von Mallorka?«

»Ach, Herr!« rief Angelo mit einem tiefen Seufzer. »Ach, Herr Cesare!« Und er wurde wiederum dunkelrot.

Cosimo aber faßte das Kind und führte es seinem Vater zu. »Hier,« sagte er mild, »nun habt Eure Freude.« Und Dossi nahm den Sohn in die Arme, drückte ihn an die Brust, herzte ihn und gab ihm viele Schmeichelnamen.

»Vater,« flüsterte Angelo, dicht an ihn geschmiegt, »wird sie unsere Königin ...?«

Pietro Dossi lachte. »Das weiß nur der König,« sagte er, »wenn der König sie will!«

»Oh!« rief der Knabe, »wenn er sie will ...«

Dann verließen alle den Saal.

 

Im Garten unten, der sich dicht am Meere hinzog, spazierten die beiden Prinzen Cosimo und Cesare.

»Weiß Properzia Rossa von Cardinis Rückkehr?« fragte Cesare lächelnd.

»Alles weiß sie! Vor der Kirche hat ihr die flinke Dandolo gestern die ganze Geschichte erzählt.«

»Und wie trägt sie's?«

»Ich glaube, leicht«, berichtete der alte Cosimo. »Heute morgens, als Cardinis Schiff draußen die Anker warf, soll sie lachend ausgerufen haben: ›Bah! Eine Königin ist noch keine Frau!‹«

Cesare faßte seinen Oheim am Arm: »Die Dandolo braucht nicht triumphieren. Wenn Properzia aus der Favorita fort muß,« sprach er und deutete auf das kleine Schlößchen, das ganz am Ende des weiten Gartens fernab und dicht am Uferrand seine weißen Marmorwände durch die Pinien leuchten ließ, »wenn Properzia da unten fortzieht, dann geht es ihr doch besser als den andern. Denn sie alle, auch die flinke Dandolo, haben ja nur einer neuen Königsbuhle Platz gemacht. Properzia Rossa aber müßte vor der Königin weichen und die Favorita bliebe nach ihr leer.«

»Wenn das schon ein Trost ist ...«, sagte Cosimo.

»Es sollte einer sein!« entschied Prinz Cesare hochmütig und jung. Damit hatten sie einer kleinen Pforte des Palastes sich genähert und sahen dort das geschmückte Pferd des Königs, das ein Troßknecht auf und nieder führte. Sechs Läufer, von denen jeder eine Fackel bereit hielt, saßen wartend auf den Mauerbänken.

»Ah,« sagte Cosimo, stehenbleibend, »wenn der König auch heute abend wieder zur Favorita reitet, dann hat es mit der Prinzessin Lianora doch nicht so viel auf sich, und Properzia kann derweilen noch ruhig sein.«

Als sie aber nach kurzer Frist durch den inneren Schloßhof kamen, wurde eben das Pferd vom Knecht nach dem Stalle gezogen.

»He!« rief Cesare erstaunt, »was soll's mit dem Gaul? Ist er krank?«

»Nein!« gab der Mann zurück: »Es ist nur, daß wir heute nicht mehr dort hinunterreiten.« Und er wies mit der Peitsche in die Tiefe zur Favorita.

Cosimo und Cesare tauschten einen Blick. Dann lachte der Junge auf: »Wahrhaftig! Vom Blitze getroffen! Nun, meinen Segen für den Bruder. Aber Mallorka ist weit. Bis ein Bote hingelangt und bis die Braut zur Stelle ist ..., wenn König Pescaro so lange fasten will! Lebt wohl, Herr Oheim. Ich für mein Teil hab' heute kein Elfenbeinbildchen in Händen gehabt und brauche mein Mädchen nicht warten zu lassen.«

Er wandte sich.

Cosimo hielt ihn auf: »Am hellen Tag? Ich lasse dich nicht. Eine Weile noch bleibe bei deinem alten Onkel. Komm zu mir. Ich langweile mich, siehst du!«

Die beiden schritten durch die Gänge des Palastes. An des Königs Türe zögerte Cosimo einen Augenblick, als wolle er eintreten, stieg aber dann kopfschüttelnd die Treppe höher empor, in seine Zimmer.

»Da bin ich nun allein,« sagte Cosimo, »ganz allein, mein lieber Neffe, und alt. Wenn der Abend kommt, sind das zwei schwere Übel, mußt du wissen.«

»Sucht Euch doch Zerstreuung,« riet der junge Prinz sorglos, »ladet Gäste ein.«

Cosimo schüttelte den Kopf. »Nein, das hilft mir nicht. Ich habe mich mein Lebtag nur mit einem Weibe glücklich gefühlt. Das ist das einzige. Alles übrige bleibt langweilig.«

»Dann«, sagte Cesare und suchte zu entwischen, »bin ich ja auch keine Gesellschaft für Euch, lieber Oheim.«

»Du!« rief Cosimo; »du und der König. Ihr beiden Jungen. O ja! Ihr seid noch ganz vom Duft der Liebe umflossen, so ganz in ihrem Lichte gebadet. O ja! bleibe nur, Cesare, mit dir kann ich wenigstens davon sprechen.«

»Nun also, sprechen wir davon!« lachte Cesare mit seiner übermütigen Stimme. »Wie lange ist es her, seit Ihr das letzte Mädchen schreien hörtet?«

Cosimo seufzte. »Ach, Jahre! Jahre, liebes Kind! So lange schon entbehre ich diese liebliche Musik.«

Cesare lachte wieder. »Und wer war die letzte?« fragte er dreist. »Kenne ich sie?«

Cosimo wandte sich mit listigen Augen zu ihm und gab zur Antwort: »Wie heißt deine Geliebte, Prinz Cesare?«

Cesare errötete ein wenig und schwieg.

Der Abend schwebte nieder. – Die beiden Prinzen, die durch das Fenster auf den im Dunkel versinkenden Garten und auf das erglühende Meer hinausblickten, sahen, wie Cardinis Barke, die Teppiche schwer im Wasser nachschleifend, dem Schiffe, das draußen lag, zusteuerte. Dann war alles finster. Rauschen der Bäume und Rauschen der Wellen kam leise herauf.

Cosimo rief den Diener, ließ sich den Panzer abschnallen und seine Nachtgewänder anlegen. Indessen schritt Cesare im Gemach auf und nieder.

»Angela Dandolo«, sagte er, »war töricht. Sie hätte Königin werden können, denn sie ist aus einem Wahlhause. Schon eine Dandolo war Königin in Ravellaska.«

Cosimo erwiderte: »Sie dachte ihren Weg durch die Favorita zu nehmen. Den Liebesweg. Sie wollte es erzwingen.«

»Torheit,« sagte Cesare, »von dort unten kommt keine je ins Schloß herauf. Sie hat sich preisgegeben.«

»Sie hat den König geliebt«, sagte Cosimo.

Cesare war wieder an das Fenster getreten und blickte hinaus. Da gewahrte er durch den Park sechs rote Lichter in eiligem Lauf dahinschweben. Sie bildeten einen kleinen feurigen Kreis, der sich rasch in der breiten Allee zur Favorita hinbewegte. In seiner Mitte ein Reiter.

»Holla!« rief Cesare, »die Läufer des Königs! Seht her!«

Cosimo trat heran. »Wahrhaftig!« sagte er leise. »So reitet er nun doch zur Properzia?«

»Der König hat sich anders besonnen,« rief Cesare lachend, »er fastet nicht. Warum auch?«

Cosimo schüttelte den Kopf: »Da weiß ich wirklich nicht ...«

Aber Cesare war schon bei der Türe. »Jetzt ist auch für mich Zeit,« rief er, »vergebt, edler Oheim!«

Und er schlüpfte hinaus.


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