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Lianora ging wieder wie am Abend zuvor an der Hand des Königs durch den Saal. Und wie gestern lächelte sie mit freiem Angesicht und trug das Haupt erhoben. Nur daß heute die Krone darauf glänzte.
Ohne weiter nach der Ursache zu forschen, hatte sich Lianora in dieses erneute Fest gefügt. Katherina Cardatto hatte ihr mit vielsagendem Augenzwinkern und mit bedeutungsvollem Ton den Befehl des Königs gemeldet. Lianora verstand sie nicht. Sie verstand nur, daß ihr Gemahl sie liebe. Sie sah, daß er in ihrer Nähe die Farbe wechselte. Und daß seine Hand bebte, wenn er sie berührte, das fühlte sie. Und dann bemerkte sie, daß er unfähig war, vor den anderen Leuten mit ihr zu sprechen; das schien ihr eine Gewähr für seine Liebe.
Ob er auch wirklich gut sei, hätte sie in Mallorka schon gerne gewußt. Aber in Cardinis Mund hatte das Wort nicht die Bedeutung, die Lianora suchte: ›Der gute König, der König ist gnädig.‹ Auch in Mallorka sagten die Leute von Lianorens Vater: ›Der gute Kaiser, der Kaiser ist gnädigen Sinnes.‹ Sie aber wußte, daß das nicht wahr sei. Sie wußte, daß ihr Vater grausam und rachsüchtig war, daß er in einen kalten, andauernden Zorn geraten könne und tagelang nachsinnen, was wohl die peinigendste Strafe für seine Feinde sei. Sie wußte, daß er die Menschen herzlich verachte, daß sein beständiges Lächeln nur Hohn war und daß es nur von weitem wie kaiserliche Gnade sich ausnahm. Sie kannte den unwürdigen Scherz, den er damit trieb, daß er mit diesem Lächeln auf den Lippen gräßliche Schimpfworte flüsterte, die niemand hörte und die der grüßenden Menge galten. Und daß er im Grunde ein furchtsamer alter Mann war, daß er vor jedem lauten Wort erschrak, daß er seinen Schrecken unter heller Wut barg, das wußte sie. Sie wußte, daß er eifersüchtig darüber wache, ob sein Volk niemanden von den Prinzen, den Ministern oder Heerführern liebe. Geschah das einmal, dann suchte er den Günstling des Volkes auf alle Weise zu verderben.
Deshalb hätte sie gerne gewußt, ob dieser junge König gut sei. Angelo Dossi, der Knabe, vermochte nur zu sagen, daß er seine Pferde selbst bändige und daß er so fechten könne wie keiner im ganzen Lande. Von ihrem Vater wußte Lianora, daß er niemals mit einem Menschen gefochten habe, daß er sich die Pferde zureiten ließ, bis sie ganz zahm waren, und daß er widerspenstige Tiere nur schlug, wenn er abgesessen war. Dann aber ohne Barmherzigkeit.
Jetzt wünschte sie freilich, diese großen Feierlichkeiten möchten ein Ende nehmen, und dachte es sich gar schön, wie sie mit dem König im weißen Rosenzimmer allein plaudern wollte.
Weil sie aber von ihres Vaters Hofe her an prächtige Feste gewöhnt war und sich gelobt hatte, alle ihre eigensten Empfindungen verschwiegen für sich zu halten, und weil sie erzogen war, der Menge und dem großen höfischen Bediententroß die gleichmäßige verbindliche Miene zu zeigen, was immer auch geschehen mochte, schritt sie jetzt ruhig und lächelnd neben ihrem Gatten und während ihre Augen alle die sich Neigenden streiften, gedachte sie ihres jungen Gemahls, ob er ihr gleich zur Seite schritt, mit jener rufenden Sehnsucht, mit der man eines Entfernten gedenkt.
So schritt sie jetzt an seiner Seite durch den Saal und durch das Zimmer der Prinzen. Sie sah, wie Cesare und Cosimo hier zurückblieben, und sie kam durch die Kammer des Lauschers, darinnen Ruspoli von ihr Abschied nahm.
Wie nun die Prinzen einander wieder gegenübersaßen, sagte Cosimo: »Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr! Jetzt hat doch der König selbst die Sache offen eingestanden und wir wissen jetzt, daß sie heute als eine Jungfrau gekrönt wurde.«
Cesare lächelte und erwiderte darauf: »Aber wir wissen nicht, wie viele Tage es ihr noch beliebt ... ich bin auf alles gefaßt!«
Und Cosimo rief mit Wärme: »Gott helfe dem König!«
»Er mag sich selbst helfen«, sagte Cesare übermütig. »Im übrigen hoffe ich, daß Lianora nicht länger zaudert, das würde uns und dem König schlaflose Nächte bereiten.«
Indessen die Prinzen redeten, erhob sich im Saale draußen ein lautes Gelächter und Cosimo rief nach Dossi, um von ihm die Ursache der Heiterkeit zu erfahren. Dossi kam und meldete in einiger Verlegenheit, Lorenzo habe seinen Taktstock einem Pagen übergeben, mit der Bitte, ihn bis morgen früh aufzubewahren. Dann sei er an die Brüstung der Estrade getreten, habe sich verneigt und den versammelten Herrschaften eine geruhsame Nacht gewünscht. Jetzt liege er mitten unter seinen Sängern auf dem Teppich hingestreckt und stelle sich schlafend.
Als Dossi gegangen war, rief Cesare entrüstet: »Der alte Spitzbube! Man sollte ihn endlich fortjagen. Besser aber, man läßt ihn allsogleich greifen und ihm den Schlaf aus den Augen schütteln, damit ihm solche Scherze für immer vergehen.«
Cosimo blickte vor sich hin und entgegnete: »Dieser Mann zählt neunzig Jahre; er ist also unserer Gnade wie unserem Zorne nicht mehr erreichbar. Und wenn ihm die Frist des Daseins noch erträglich sein soll, dann bleibt ihm wohl nichts mehr, als über alles Menschentum zu scherzen.«
Damit ward es stille und die beiden Prinzen warteten auf das Zeichen Ruspolis.
Indessen hielt der König Lianora in seinen Armen. Er sah, wie ihre Augen sich schlossen, wie ihre Lippen fester und fester sich aufeinanderpreßten. Und wieder nahm es Pescaro als einen Widerstand, als entziehe sie ihm ihre Seele und als verschließe sie sich vor dem Ansturm seiner Liebe. Er begann nun mit stammelnden, rührenden Worten Lianora zu bitten, sie möge ihr ganzes Herz vor ihm öffnen und nicht länger zögern, die Seine zu werden. Und als sie die Augen zärtlich zu ihm erhob, da ließ er nicht ab von ihr und bedrängte sie, bis ihr Atem zu fliegen begann. Er sah, wie ihr Busen sich zu röten anfing, wie ein aufsteigender Laut in ihrer Brust zu kämpfen schien, wie sie in seinen Armen sich bäumte, und er hielt das für ein Vorzeichen. Er glaubte, wie sie sich stöhnend wand, daß nur ihr eigener Wille und dieser festgeschlossene Mund den Schrei der Liebe noch gefangen halte. Er nahm sie mit erneuter Gewalt und mit der Angst, daß sie ihm wiederum entgleiten könne. Da schlug Lianora plötzlich ihre Arme um seinen Nacken, riß ihn zu sich und er spürte den scharfen Biß ihrer Zähne auf seinem Halse. Mit einem lauten Aufschrei sprang er empor, entsetzt über ein solches Beginnen, das er an Frauen nicht kannte und das er für eine grausame Abwehr hielt. Während er aber, die Hand auf die kleine Wunde gedrückt, bebend zu Lianora niederblickte, die bleich und mit geschlossenen Augen vor ihm lag, dröhnte draußen die Salve der Garden durch die Luft, die Glocken begannen festlich zu läuten und ganz leise drang aus dem Saale die Königshymne herüber, die unter Paukenschall und Posaunen gesungen wurde.
Denn Ruspoli hatte, emsiger als jemals horchend, den Schrei des Königs vernommen. Einen Augenblick hatte er sich gegönnt, über die Rauheit dieses kurzen Lautes zu staunen, dann aber war er, so rasch er nur konnte, ans Fenster geeilt und hatte das Zeichen zum Schießen gegeben. Da feuerten die Soldaten voll Freude, ihre Ausdauer so schön belohnt zu sehen. Die Stadt zündete ihre Lichter an und während im Schlosse die Sarabande feierlich getanzt wurde, hatte das Volk in allen Schenken und auf allen Straßen seine Lustbarkeit, die bis zum folgenden Tage anhielt.