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11. Kapitel.
Engländer und Würger

Die Uhren der englischen Stadt schlugen Mitternacht, als der »Devonshire«, der schon seit dem Morgen Feuer hatte, mit Volldampf die Hafenmauer der Festung William verließ und den dunkeln Hugli hinunterfuhr.

Auf der Brücke kommandierte der Kapitän mit metallner Stimme, die das Schaufeln des Dampfers und Stampfen der Maschine übertönte. Schiffsjungen und Matrosen waren dabei, bei schwachem Laternenscheine die letzten Fässer und Kisten zu verstauen, die noch auf Deck standen.

Schon war Kiddepur in der Finsternis verschwunden, schon erloschen die letzten Lichter der Barken und Schiffe, als ein Mann, der bisher das Steuer geführt hatte, auf Deck erschien und mit den Ellenbogen einen Indier stieß, der eben die Schiffsluken schloß.

»Beeile dich,« sagte er, indem er nahe bei ihm vorbeiging. »Die Kammer ist leer.«

»Ich bin bereit, Hider,« sagte der andere.

Nach einigen Minuten stiegen die Indier eine kleine Treppe hinab, die zu einem Raume führte, der augenblicklich leer war.

»Nun?« fragte Hider. »Hast du die gezeichneten Fässer gezählt?«

»Ja, es sind zehn.«

»Wo hast du sie hingestellt?«

»Unter das Hinterschiff.«

»Hast du die andern in Kenntnis gesetzt?«

»Sie sind alle bereit. Beim ersten Signal werden sie sich auf die Engländer stürzen. Wann soll der Kampf beginnen?«

»Diese Nacht, nachdem wir dem Kapitän ein tüchtiges Betäubungsmittel gegeben haben. Du schickst zwei Leute, die sich des Waffensaals bemächtigen, dann bleibst du bei der Maschine, bei den beiden Heizern. Wir werden deine Geschicklichkeit brauchen.«

»Es ist nicht das erstemal, daß ich am Kessel arbeite.«

»Gut. – Ich mache mich ans Werk.«

Hider ging ans Hinterschiff und stieg, ohne gesehen zu werden, unter Deck, wo er vor der Kajüte des Kommandanten stehenblieb. Die Tür war angelehnt, er öffnete und befand sich in einem kleinen Zimmer von acht Fuß im Quadrat, das rot tapeziert und elegant ausgestattet war. Er näherte sich einem Tischchen, auf dem eine mit Limonade gefüllte Kristallflasche stand.

Er griff in seine Brusttasche und zog eine kleine Scheideflasche hervor, die eine rötliche Flüssigkeit enthielt. Er roch mehrmals daran, dann ließ er drei Tropfen in die Flasche fallen. Die Limonade wurde rot, dann nahm sie die frühere Farbe wieder an.

»Er wird zwei Tage schlafen,« sagte der Thug. »Suchen wir die Freunde auf.«

Er trat heraus und öffnete eine Türe, die in den Schiffsraum führte. Ein leises Geräusch ließ sich im Hinterschiff vernehmen, ein Geknarre, wie von Feuerwaffen, die geladen werden.

»Tremal-Naik,« rief der Thug.

»Bist du es, Hider?« fragte eine gedämpfte Stimme.

»Öffne, wir ersticken hier drinnen.«

Der Thug nahm eine in einer Ecke vorsichtig verborgene Laterne, brannte sie an und näherte sich den zehn Fässern, die nebeneinander standen.

Die Reifen wurden gelöst, und die elf Würger kamen halb erstickt, mit lahmen Gliedern und schweißtriefend, von der Hitze, die da unten herrschte, hervor. Tremal-Naik wandte sich an Hider.

»Der ›Cornwall‹?« fragte er.

»Läuft gegen das Meer.«

»Wir müssen ihn entern, oder ich verliere meine Ada.«

»Aber erst müssen wir uns des Kanonenbootes bemächtigen.«

»Ich weiß; hast du einen Plan?«

»Ja. Erst bemächtigen wir uns der Maschine.«

»Sind Verbündete im Maschinenraum?«

»Drei, lauter Heizer. Den vierten, den Ingenieur, werden wir leicht binden. Dann sehe ich nach, ob der Kapitän das Schlafmittel getrunken hat, das ich ihm in seine Limonade goß. Dann geht ihr ins Hinterschiff und kommt beim ersten Pfiff auf Deck. Die Engländer, hier und da zerstreut, werden sich ergeben.«

»Sind sie bewaffnet?«

»Sie haben nur ihre Messer.«

»Beeilen wir uns. Geh und binde den Ingenieur!«

Hider löschte die Laterne aus, ging zum Hinterschiff zurück und stieg an Deck, gerade in dem Augenblick, als der Kapitän die Brücke verließ.

»Alles geht gut,« murmelte der Thug, als er sah, daß er ans Hinterschiff ging.

Er stopfte seine Pfeife und stieg in den Maschinenraum hinunter.

Die drei Verbündeten waren an ihrem Platze vor dem Feuer und sprachen leise.

Der Ingenieur rauchte, saß auf einem Sessel und las ein Buch.

Hider warf den Verbündeten einen Blick zu, sich bereit zu halten, und näherte sich der Laterne, die über dem Kopfe des Ingenieurs an der Decke hing.

»Erlaubt mir, Sir Kuthingon, meine Pfeife anzuzünden,« sagte der Quartiermeister. »Oben löscht mir der Wind das Feuer aus.«

»Mit großem Vergnügen,« antwortete der Ingenieur.

Er erhob sich, um sich zurückzuziehen. Fast in demselben Augenblick packte ihn der Würger an der Kehle und so stark, daß er auch nicht den leisesten Schrei ausstoßen konnte. Dann warf er ihn mit einem kräftigen Rucke zu Boden. Auf ein Zeichen banden und knebelten ihn die Verbündeten und schleiften ihn hinter einen großen Kohlenhaufen.

»Daß ihn niemand anrührt,« sagte Hider. »Jetzt sehen wir nach, ob der Kapitän seine Limonade getrunken hat.«

Er zündete ruhig seine Pfeife an und erstieg die Treppe.

Das Kanonenboot kam jetzt durch unbewohnte Striche.

Die Soldaten waren alle unter Deck. Der wachhabende Offizier ging auf und ab und plauderte mit einem Kanonier.

Hider rieb sich vergnügt die Hände, kehrte zum Hinterschiff zurück und stieg auf den Fußspitzen die Treppe hinab.

Er legte das Ohr an die Tür der Kapitänskajüte und hörte ein tiefes Schnarchen. Er klinkte, öffnete und trat ein, nachdem er aus dem Gürtel einen Dolch gezogen hatte, um sich nötigenfalls zu verteidigen.

Der Kapitän hatte fast die ganze Flasche geleert und schlief tief.

»Den wird auch die Kanone nicht wecken,« sagte der Indier.

Er verließ die Kabine und stieg in den Schiffsraum hinab. Tremal-Naik und seine Gefährten erwarteten ihn mit den Revolvern in der Faust.

»Nun?« fragte der Schlangenjäger, indem er auf die Füße sprang.

»Die Maschine ist unser, und der Kapitän hat seine Limonade getrunken,« antwortete Hider. »Jetzt müssen wir die Soldaten zwischen zwei Feuer nehmen, um zu verhindern, daß sie sich am Vorderdeck verschanzen. Du, Tremal-Naik, bleibst mit fünf Leuten hier, ich gehe mit den andern durch den Soldatenraum. Beim ersten Schuß steigt ihr auf Deck.«

»Einverstanden.«

Hider nahm einen Revolver in die Rechte, eine Axt in die Linke und schritt durch den Schiffsraum. Fünf Thugs folgten ihm.

Vom Schiffsraum aus erstieg der kleine Trupp die Leiter.

»Haltet die Waffen bereit und gebt Feuer,« befahl Hider.

Die sechs Männer stürzten an Deck und stießen wilde Schreie aus.

Die Mannschaft, die noch nicht wußte, um was es sich handelte, kam ans Vorderschiff. Ein Revolverschuß knallte und riß den Kanonier zu Boden.

»Kali! – Kali!« schrien die Thugs.

Das war das Kriegsgeschrei der Würger, das von einem Kugelregen begleitet wurde.

Einige Matrosen fielen. Die andern, erschreckt durch den plötzlichen Angriff, den sie sicher nicht erwartet hatten, eilten hilferufend ans Hinterschiff.

»Kali! – Kali!« tönte es am Hinterschiff.

Mit dem Revolver in der Rechten und dem Dolch in der Linken hatte sich Tremal-Naik mit seinen Leuten auf die Schiffsschanze geworfen. Schüsse krachten. Ein unbeschreiblicher Wirrwarr begann an Bord des Kanonenbootes, das, ohne Steuermann, kreuz und quer ging.

Die Engländer, die sich zwischen zwei Feuern befanden, verloren bald den Kopf. Zum Glück war der wachhabende Offizier noch nicht getötet worden. Mit einem Sprunge war er an Deck, mit dem Säbel in der Faust.

»Hierher, Soldaten!« schrie er.

Die Engländer versammelten sich im Nu um ihn und gingen mit Messern, Beilen und Knütteln bewaffnet gegen das Hinterschiff vor. Der Anprall war schrecklich. Tremal-Naik und seine Thugs wurden zurückgetrieben. Der Offizier bemächtigte sich der Kanone, aber der Sieg dauerte nicht lange.

Hider hatte sich an die Spitze seiner Leute gesetzt und griff sie im Rücken an, bereit, Feuer zu geben.

»Herr Leutnant,« schrie er, indem er den Revolver auf ihn anlegte. »Ergebt Euch, und ich schwöre, daß weder euch noch euren Leuten ein Haar gekrümmt wird. Ihr könnt in die Boote steigen und auf dem einen oder andern Ufer landen. Wir lassen Euch frei.«

»Und was willst du mit dem Kanonenboot beginnen?«

»Das kann ich nicht sagen. Vorwärts, ergebt euch, oder ich kommandiere Feuer.«

»Ergeben wir uns, Leutnant,« riefen die Soldaten, die sich in der Gewalt Hiders sahen.

Nachdem der Leutnant kurze Zeit gezögert hatte, zerbrach er seinen Degen und warf ihn in den Fluß.

Die Würger stürzten sich auf die Soldaten, entwaffneten sie, ließen sie in zwei Boote steigen und reichten ihnen den Kapitän, der noch schlief, und den Ingenieur.

»Viel Glück!« rief der Quartiermeister.

»Wenn ich dich erwische, lasse ich dich aufhängen,« antwortete der Leutnant, indem er die Faust ballte.

»Wie es Euch beliebt.«

Und das Kanonenboot nahm seinen Lauf wieder auf, während die Barken ans Ufer trieben.


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