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Nachdem der Ganges, der berühmte Strom, der schon in alten Zeiten und heute noch von den Indiern verehrt wird und dessen Wasser von jenem Volke sogar für heilig gehalten werden, den schneebedeckten Himalaya und fruchtbare Gegenden wie Sirinagar und Bengalien durchschnitten hat, teilt er sich ungefähr 220 Meilen vom Meere in zwei Hauptarme und bildet so ein riesiges, einzigartiges Delta.
Die ungeheuren Wassermassen verzweigen sich in eine Unmenge von Flüssen, Kanälen und Bächen, die die weiten Landstriche zwischen dem Hugli, Ganges und dem bengalischen Meerbusen in jeder nur denkbaren Weise durchqueren. So bilden sich auch Hunderte von Inseln und Bänken, und diejenigen, die hart am Meere liegen, tragen den Namen Sunderbunds.
Nichts ist trostloser, seltsamer und schreckniserregender als der Anblick dieser Sunderbunds. Keine Stadt, kein Dorf, weder Hütte noch sonst ein Zufluchtsort; von Süd nach Nord, von West nach Ost seht ihr nichts als das dichte, stachlige Gesträuch des Bambus, dessen Wipfel im Winde wogen, alles verpestet von den unerträglichen Ausdünstungen von tausend und abertausend Menschenleichen, die in den giftigen Gewässern der Kanäle in Verwesung übergehen.
Selten seht ihr eine Banane über jenes riesenhafte Schilf ragen, noch seltener einen Trupp Mangieren oder Nagassen zwischen den Sümpfen auffliegen. Den lieblichen Geruch von Jasmin und Mussenda, die zuweilen in dem Pflanzenchaos sprießen, werdet ihr kaum wahrnehmen.
Tagsüber herrscht überall ein bedrückendes, feierliches Schweigen, vor dem auch der Kühnste zurückschreckt. Nachts dagegen ein Durcheinander von Stimmen, ein Brüllen, Pfauchen und Pfeifen, das einem das Blut erstarrt.
Sagt dem Bengalesen, den Fuß in diese Sunderbunds zu setzen, er wird sich weigern. Versprecht ihm 100, 200, 500 Rupien, und nie wird er seinen unerschütterlichen Entschluß ändern. Sagt dem Molangen Molangen sind Einwohner der Sunderbunds. Es sind kleine, schwächliche, schwarze Menschen, von Fieber und Pest verzehrt; Krankheiten, die von der vergifteten Ausdünstung in Verwesung übergegangener Pflanzen und Leichen herrühren, die die Indier in den Ganges werfen., der trotz Cholera, Pest und Fieber, trotz des Gifthauches der Luft in den Sunderbunds lebt, in die Dschungeln einzudringen, und auch er, wie der Bengalese, wird es nicht tun. Beide haben nicht Unrecht; sich in diese Dschungeln wagen, heißt dem Tode entgegengehen.
Denn hier, zwischen jenem stachligen Bambuswirrwarr, an jenen Sümpfen und gelben Wassern, verbergen sich Tiger und lauern den Kanoes und Schiffen auf, um sich an Bord zu stürzen und den Schiffer oder Seemann zu zerreißen, der es wagt, zu nahe zu kommen. Hier hausen die furchtbaren riesenhaften Krokodile und erspähen ihre Beute, immer begierig auf Menschenfleisch. Hier schweift das gewaltige, oft bis zur Narrheit gereizte Rhinozeros, hier leben und sterben hunderte von indischen Schlangen, darunter die Riesenschlange, die einen Ochsen unter ihren Windungen zermalmt. Und hier verbirgt sich zuweilen auch der indische Thug, sehnsüchtig eines Menschen harrend, um ihn zu erwürgen und das Opfer seiner furchtbaren Gottheit zu bringen.
Trotzdem brannte am Abend des 16. Mai 1855 ein mächtiges Feuer in den südlichen Sunderbunds, ungefähr drei- bis vierhundert Schritte von den drei Mündungen des Mangal, eines schmutzigen Nebenflusses des Ganges, der sich in den bengalischen Meerbusen ergießt.
Der Schein, der fantastisch vom dunklen Himmel abstach, erleuchtete eine geräumige, feste Bambushütte. Vor dieser schlief, eingewickelt in ein großes Tuch, ein Indier von athletischer Statur.
Es war ein schöner Bengalese, ungefähr 30 Jahr, von gelblicher Gesichtsfarbe, frisch eingerieben mit dem Öl der Kokosnuß. Sein Gesicht hatte volle, doch keine schwulstigen Lippen, die ein wundervolles Gebiß durchblicken ließen; eine wohlgeformte Nase, hohe Stirn mit Asche betupft, als besonderes Zeichen der Anhänger Siwas.
Die ganze Erscheinung drückte Energie und außergewöhnlichen Mut aus, Eigenschaften, die im allgemeinen dem Bengalesen fehlen.
Wie erwähnt, schlummerte er. Aber sein Schlaf war unruhig. Große Schweißtropfen benetzten seine Stirn, die sich zuweilen runzelte und verfinsterte. Seine hohe Brust hob sich ungestüm, so daß das Tuch, das ihn umschloß, herunterfiel. Seine verhältnismäßig kleinen Hände waren krampfhaft geschlossen, griffen zuweilen an den Kopf und verschoben den Turban, so daß die glattrasierte Hirnschale zum Vorschein kam.
Von Zeit zu Zeit kamen verstümmelte Worte und seltsame Gespräche von seinen Lippen, leidenschaftlich mit weichem Tone ausgesprochen.
»Da ist sie,« sagte er lächelnd. »Die Sonne geht unter – – verschwindet hinter dem Bambus – – – der Pfau schweigt, der Marabu erhebt sich, der Schakal heult. – – – Warum zeigt sie sich nicht? – – – Was habe ich verschuldet? – – Ist dies nicht der Ort? – – – Ist dies nicht der Mussenda mit seinen blutigen Blättern? – – – Komm, komm, du holde Erscheinung – – – ich leide, weißt du, ich leide und ersehne den Augenblick, dich wiederzusehen.
Ah, da ist sie, dort – – – ihre dunkeln Augen blicken mich an, ihre Lippen lächeln – – ach, wie göttlich ist dieses Lächeln. – Meine himmlische Erscheinung, warum bleibst du mir gegenüber so still? – – – Warum schaust du mich so an? – – – Hab keine Furcht vor mir, ich bin Tremal-Naik, der Schlangenjäger der schwarzen Dschungel. – – Sprich, o sprich doch, laß mich deine süße Stimme hören. – – Die Sonne versinkt, wie Raben senkt sich die Finsternis auf den Bambus – – geh nicht fort – – ich will es nicht – – bleib!«
Der Indier stieß einen heftigen Schrei aus, und lebhafte Angst malte sich auf seinem Gesicht.
Auf diesen Schrei eilte ein zweiter Indier aus der Hütte herbei. Von Statur war dieser bedeutend kleiner und schmächtiger als der Schlummernde. Seine Beine und Arme glichen knotigen, mit Haut überzogenen Stöcken. Sein Aussehen war wild, der Blick finster. Der kurze Schurz, der seine Lenden bedeckte, die Ohrringe, alles ließ auf den ersten Blick den Maharatt erkennen, kriegslustige Leute Westindiens.
»Armer Herr,« murmelte er, indem er den Schlummernden betrachtete. »Wer weiß, welch schrecklicher Traum seinen Schlaf stört.«
Er schürte das Feuer und setzte sich dann neben seinen Herrn, indem er ihm sein Kissen von herrlichen Pfauenfedern sanft zurechtschob.
»Was für ein Geheimnis,« nahm der Schlummernde sein Gespräch mit unsicherer Stimme wieder auf. »Mir ist, als wenn ich Blutflecken sähe! – Die süße Erscheinung verschwand dorthin – – du wirst dich mit Blut beflecken. – Warum all dies rot? – Warum die vielen Lasso? – – Will man denn jemand erwürgen? – – Welches Geheimnis?«
»Was sagt er?« fragte sich der Maharatt überrascht. »Blut, Erscheinungen, Lasso? Welch ein Traum!«
Plötzlich schüttelte sich der Schlafende, riß die Augen weit auf, die wie zwei schwarze Diamanten sprühten und erhob sich zum Sitzen.
»Nein! – Nein!« rief er mit heiserer Stimme. »Ich will nicht!«
Der Maharatt betrachtete ihn mitleidigen Auges. »Herr,« flüsterte er. »Was hast du?«
Der Indier schien zu sich zu kommen. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder und schaute den Maharatt an.
»Ah, du bist es, Kammamurri!« rief er aus.
»Ja, Herr.«
»Was machst du hier?«
»Ich bewache dich und verscheuche die Mücken.«
Tremal-Naik sog begierig die frische Nachtluft ein und strich öfter mit den Händen über die Stirn.
»Wo sind Hurti und Aghur?« fragte er nach kurzer Pause.
»In der Dschungel. Gestern abend entdeckten sie die Spuren eines großen Tigers und brachen heute morgen auf, um ihn zu erlegen.«
Tremal-Naiks Stirn runzelte sich, ein tiefes Stöhnen erstarb auf seinen Lippen.
»Was hast du, Herr?« fragte Kammamurri.
»Mit dir steht's schlecht. Du jammertest, als du schliefst.«
Ein bitteres Lächeln zuckte um die Lippen des Schlangenjägers.
»Ich leide, Kammamurri,« sagte er zornig. »O, und wie ich leide.«
»Ich weiß es, Herr.«
»Wie, du weißt es?«
»Seit vierzehn Tagen beobachte ich dich und sehe tiefe Furchen auf deiner Stirn. Du bist schwermütig und schweigsam. Früher warst du nicht so traurig.«
»Das ist wahr, Kammamurri.«
»Welchen Schmerz kann mein Herr haben? Bist du vielleicht müde, in der Dschungel zu leben?«
»Sag das nicht, Kammamurri. Hier, in dieser stachligen Wüste, zwischen diesen Sümpfen, auf dieser Erde der Tiger und Schlangen, wo ich geboren bin und aufwuchs, auf meiner lieben Dschungel will ich auch sterben.«
»Alsdann?«
»Ein Weib ist's, eine Erscheinung, ein Hirngespinst!«
»Ein Weib?« rief Kammamurri überrascht aus. »Ein Weib, hast du gesagt?«
Tremel-Naik nickte bestätigend mit dem Kopfe und preßte die Stirn gegen die Hände, als wenn er irgendeinen düsteren Gedanken ersticken wollte.
Minutenlang herrschte ein schmerzliches Schweigen, das kaum von dem Gurgeln des Flusses unterbrochen wurde, der sich an den Ufern brach, und dem Windhauche, der über die Dschungel strich.
»Aber, wo hast du nur jenes Weib gesehen?« fragte endlich Kammamurri. »Wo nur, die Dschungel hat doch nur Tiger zu Einwohnern.«
»In der Dschungel hab ich sie gesehen,« sagte Tremal-Naik mit hohler Stimme. »Es war eines Abends, o, ich werde ihn nie vergessen, diesen Abend, Kammamurri! Ich suchte Schlangen an den Ufern eines Baches, als zwanzig Schritte vor mir, inmitten eines Mussendagebüsches mit den blutigen Blättern, eine Vision erschien, ein schönes Weib, strahlend, stolz. Sie hatte schwarze, lebhafte Augen, blendend weiße Zähne, bräunliche Haut, und von den dunkelkastanienbraunen Haaren, die über die Schultern wogten, kam ein lieblicher Geruch, der die Sinne bestrickte. Sie blickte mich an, stieß einen langen, gequälten Seufzer aus und entschwand dann meinen Blicken. Ich war unfähig, mich von der Stelle zu bewegen und verharrte dort mit vorgestreckten Armen, aufs höchste verwundert. Bevor ich mich recht besinnen konnte und mich anschickte, sie aufzusuchen, war die Nacht über die Dschungel hereingebrochen, und ich sah nichts mehr.«
Tremal-Naik schwieg. Kammamurri bemerkte ein so heftiges Zittern an ihm, daß man glauben konnte, er habe das Fieber.
»Jene Erscheinung wurde mir verhängnisvoll,« fuhr Tremal-Naik fort. »Seit jenem Abend ist ein seltsamer Wechsel mit mir vor sich gegangen. Mir ist's, als wenn mich jene Erscheinung verhext hätte: Bin ich in der Dschungel, so sehe ich sie vor meinen Augen umhertanzen, bin ich auf dem Fluß, so schwimmt sie vor dem Bug meines Bootes, schlafe ich, so erscheint sie mir im Traume. Es scheint, als wäre ich verrückt.«
»Du jagst mir Furcht ein, Herr,« sagte Kammamurri, indem er einen ängstlichen Blick umherschweifen ließ. »Wer war jenes schöne Geschöpf?«
»Ich weiß nicht, Kammamurri. Aber schön war sie, ach bezaubernd schön,« rief Tremal-Naik leidenschaftlich.
»Vielleicht ein Geist?«
»Vielleicht.«
»Vielleicht eine Gottheit?«
»Wer kann es sagen?«
»Und du hast sie nie wieder gesehen?«
»Doch, ich sah sie wieder, oft – oftmals. Am Abend danach, zur selben Stunde, ohne zu wissen wie, befand ich mich wieder an den Ufern des Baches. Als der Mond hinter den dunkeln Wäldern des Nordens aufstieg, erschien jenes holde Geschöpf wieder in dem Mussendagebüsch. Wer bist du? fragte ich sie. – Ada, antwortete sie mir. Dann verschwand sie und stieß wieder denselben Seufzer aus. Mir war's, als wenn sie in die Erde versänke.«
»Ada?« fragte Kammamurri. »Was ist das für ein Name?«
»Indisch ist er nicht.«
»Und sagte sie weiter kein Wort?«
»Nein.«
»Das ist seltsam, ich wäre nicht zurückgekehrt.«
»Und ich ging doch wieder hin. Es war eine unwiderstehliche Gewalt, so mächtig, daß sie mich wider meinen Willen an jenen Ort hinzog. Oftmals versuchte ich zu fliehen, aber mir fehlte die Kraft dazu. Ich sagte dir ja, ich komme mir wie verhext vor.«
»Und was empfandest du in ihrer Gegenwart?
»Das weiß ich nicht, aber das Herz schlug mir zum Zerspringen.«
»Und siehst du jenes Geschöpf jetzt immer noch?«
»Nein, Kammamurri. Zehn Abende sah ich sie hintereinander, immer zur selben Stunde ließ sie sich sehen. Sie betrachtete mich dann schweigsam und verschwand wieder, ohne Geräusch. Einmal machte ich ihr ein Zeichen, aber sie antwortete nicht. Ein andermal öffnete ich die Lippen, um zu sprechen, da legte sie einen Finger an den Mund und hieß mich schweigen.«
»Und du folgtest ihr nie?«
»Nie, Kammamurri, weil jenes Weib mir Furcht einflößte. Vierzehn Tage sind es jetzt, als sie mir ganz in roter Seide gekleidet erschien und mich länger als sonst betrachtete. Am nächsten Abend erwartete ich sie vergebens, umsonst rief ich sie, ich sah sie nicht wieder.«
»Ein seltsames Abenteuer,« murmelte Kammamurri.
»Es ist vielmehr schrecklich,« sagte Tremal-Naik mit dumpfer Stimme. »Nirgends habe ich mehr Ruhe. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich früher war. Das Fieber fühle ich in mir und einen wilden, unwiderstehlichen Trieb, die Vision wiederzusehen, die mich verzauberte.«
»Alsdann liebst du jene Erscheinung?«
»Ich liebe sie. Aber ich weiß nicht recht, was dieses Wort bedeuten soll.«
In diesem Augenblicke hallten in großer Entfernung aus der Richtung der ungeheuren südlichen Sümpfe einige scharfe Töne wieder. Der Maharatt schnellte empor und wurde aschfarbig.
»Das Ramsinga,« Eine lange, vierröhrige Trompete aus feinstem Metall, deren Töne man auf große Entfernungen hört. Um sie zu blasen, bedarf es einer sehr kräftigen Brust. stieß er erschreckt hervor.
»Was ängstigt dich?« fragte Tremal-Naik.
»Hörst du nicht das Ramsinga?«
»Nun, was hat es zu bedeuten?«
»Ein Unglück zeigt es an, Herr!«
»Narrheiten, Kammamurri.«
»Ich habe nie das Ramsinga der Dschungel gehört, nur in jener Nacht, in der der arme Tamul ermordet wurde.«
Bei dieser Erinnerung durchfurchte eine tiefe Spalte die Stirn des Schlangenjägers.
»Laß dir nicht bange sein,« sagte er, indem er sich zwang, ruhig zu scheinen. »Alle Indier verstehen das Ramsinga zu blasen. Du weißt, daß sich manchmal Jäger erkühnen, Fuß auf das Land der Tiger und Schlangen zu setzen.«
Kaum hatte er zu reden aufgehört, als man das lärmende Gebell eines Hundes hörte, kurz darauf ein kräftiges Brüllen. Kammamurri befand sich in höchster Aufregung.
»Ach, Herr,« rief er, »auch Hund und Tiger zeigen ein Unglück an.«
»Darma! Punthy!« rief Tremal-Naik.
Ein prächtiger Königstiger von hoher Statur, kräftiger Form und orangefarbigem, schwarzgesprenkeltem Fell, kam aus der Hütte hervor und betrachtete seinen Herrn mit blitzenden Augen. Hinter ihm erschien kurz darauf ein großer, schwarzer Hund mit langem Schwanz und spitzen Ohren. Am Hals hatte er einen großen, mit Stacheln besetzten Eisenring.
»Darma! Punthy!« wiederholte Tremal-Naik.
Der Tiger ließ ein leises Knurren hören und mit einem Satz von fünfzehn Fuß war er zu Füßen seines Herrn.
»Was hast du, Darma?« fragte dieser, indem er den kräftigen Rücken des Tieres streichelte. »Du bist unruhig.«
Der Hund, anstatt zu seinem Herrn zu eilen, verharrte an der Hütte, streckte den Kopf nach Süden, sog die Luft ein und schlug kräftig an.
»Ob Hurti und Aghur verunglückt sind?« murmelte der Schlangenjäger unruhig.
»Ich befürchte es, Herr,« sagte Kammamurri und spähte erregt in die Dschungel.
»Um diese Stunde müßten sie hier sein und bis jetzt gaben sie kein Lebenszeichen.«
»Hast du tagsüber kein Geräusch gehört?«
»Doch, gegen Mittag, dann nicht wieder.«
»Woher kam es?«
»Von Süden, Herr!«
»Hast du je verdächtige Menschen in der Dschungel umherstreichen sehen?«
»Nein, aber Hurti behauptet, eines Abends Schatten an den Ufern der Insel Raimangal gesehen zu haben, und Aghur hörte seltsame Geräusche, die von der heiligen Banane kamen.«
»Wie, von der Banane« fragte Tremal-Naik.
»Hast auch du etwas gehört?«
»Vielleicht.«
»Was tun wir, Herr?«
»Warten wir!«
»Aber können sie – –«
»Still,« sagte Tremal-Naik, indem er ihm den Arm so kräftig drückte, daß das Blut stockte.
»Was hast du gehört?« flüsterte der Maharatt zähneklappernd.
»Still, dort unten; ist's nicht so, als ob sich der Bambus der Dschungel bewege?«
»Du hast recht, Herr.«
Punthy ließ zum dritten Male sein wütendes Gebell hören. Kurz darauf folgten die scharfen Töne des Ramsinga. Tremal-Naik riß eine lange, mit Silber ausgelegte Pistole aus seinem Gürtel und spannte den Hahn.
In diesem Augenblick schoß aus dem Bambus ein halb nackter Indier von hoher Gestalt hervor. Er war nur mit einem Beil bewaffnet und lief Hals über Kopf der Hütte zu.
»Aghur!« riefen Tremal-Naik und der Maharatt wie aus einem Munde.
Punthy warf sich ihm kläglich bellend entgegen.
»Herr! – Herr!« röchelte der Indier.
Wie ein Blitz kam er zur Hütte, taumelte wie vom Schlag getroffen, rollte die Augen, stieß einen erstickten Schrei wie Todesröcheln aus und fiel ins Gras wie ein vom Sturm gefällter Baum.
Tremal-Naik hatte sich über ihn gestürzt. Ein Ausruf der Überraschung entfloh ihm.
Der Indier schien im Sterben zu liegen. Auf den Lippen stand ihm blutiger Schaum. Das ganze Gesicht war zerfetzt und mit Blut besudelt. Die Augen waren verdreht und weit aufgerissen, die Brust keuchte und stieß rauhe Seufzer aus.
»Aghur!« fragte Tremal-Naik. »Was ist dir zugestoßen? Wo ist Hurti?«
Aghurs Antlitz verzerrte sich bei diesem Namen.
»Herr – – He – – rr!« stammelte er zitternd.
»Sprich!«
»Ich ersticke – – bin – gelaufen – – ach, Herr!«
»Ob er vergiftet ist?« flüsterte Kammamurri.
»Nein,« sagte Tremal-Naik. »Der arme Kerl ist wie ein Pferd galoppiert und außer Atem. In kurzer Zeit ist er wiederhergestellt.«
Tatsächlich kam Aghur schnell zu sich und atmete freier.
»Sag, Aghur,« fragte Tremal-Naik, »warum kehrst du allein zurück? Was ist deinem Gefährten zugestoßen?«
»Ach, Herr!« stotterte der Indier schaudernd. »Wenn ihr den Ärmsten gesehen hättet, – wie er auf der Erde lag, – erstarrt, die Augen aus den Höhlen.«
»Ist Hurti tot?« rief Tremal-Naik.
»Ja, zu Füßen der heiligen Banane haben sie ihn ermordet.«
»Aber wer hat ihn denn getötet? Sag an, daß ich ihn räche!«
»Ich weiß es nicht, Herr! Wir waren aufgebrochen, um einen großen Tiger zu jagen. Sechs Meilen von hier spürten wir die Bestie auf. Von Hurtis Karabiner verwundet, floh sie nach Süden. Vier Stunden folgten wir der Fährte. Gegenüber der Insel Raimangal, dicht am Ufer, fanden wir die Spur wieder. Aber es gelang uns nicht, den Tiger zu töten, da er sich, von uns verfolgt, ins Wasser warf. Bei der heiligen Banane erreichte er das Dickicht. Ich wollte zurück, aber Hurti weigerte sich. Er meinte, der Tiger sei verwundet und so eine leichte Beute. Wir durchschwammen den Fluß und kamen auf die Insel Raimangal. Hier trennten wir uns, um die Gegend auszuspionieren.«
Der Indier hielt inne und klapperte mit den Zähnen vor Schrecken, sein Gesicht wurde leichenblaß.
»Die Nacht senkte sich herab,« fuhr der Indier mit hohler Stimme fort. »Unter dem Gestrüpp begann es zu dunkeln, es herrschte ein geheimnisvolles, beängstigendes Schweigen. Plötzlich ertönte der schrille Ton des Ramsinga. Ich sah mich um, da gewahrte ich einen Schatten, der sich halb versteckt unter einem Strauche vor mir hielt.«
»Ein Schatten!« rief Tremal-Naik. »Ein Schatten, sagtest du?«
»Ja, Herr, ein Schatten.«
»Wer war das? Sag, Aghur, sprich!«
»Ein Weib schien es mir! Ja, ich bin sicher, daß es ein Weib war.«
»Schön?«
»Es war zu dunkel, um klar zu sehen.«
Tremal-Naik fuhr mit der Hand über die Stirn.
»Ein Schatten!« wiederholte er mehrmals. »Ein Schatten dort unten? – Fahr fort, Aghur!«
»Jener Schatten starrte mich einige Augenblicke an, dann erhob er einen Arm gegen mich, wie um mich einzuladen, den Ort sofort zu verlassen. Überrascht und erschreckt gehorchte ich. Kaum hatte ich hundert Schritte getan, als ein herzzerreißender Schrei an meine Ohren schlug. Diesen Schrei erkannte ich sofort, es war Hurti!«
»Und der Schatten?« fragte Tremal-Naik im Banne höchster Erregung.
»Ich sah mich nicht einmal um. Ich weiß nicht, ob er dort blieb. Mit dem Karabiner in der Hand, stürzte ich quer durch die Dschungel und kam zur großen Banane. Am Fuße derselben lag der arme Hurti auf dem Rücken. Ich rief ihn, aber er antwortete nicht. Ich befühlte ihn, er war noch warm, aber sein Herz schlug nicht mehr.«
»Bist du dessen sicher?«
»Ganz sicher, Herr!«
»Wo war er verwundet?«
»Ich sah keine einzige Wunde an seinem Körper.«
»Und erblicktest du niemand?«
»Niemand, auch kein Geräusch war zu hören. Ich hatte Furcht, warf mich in den Fluß, durchquerte ihn und verlor dabei den Karabiner. So gewann ich unsere Dschungel wieder. Ich glaube, sechs Meilen bin ich gelaufen, ohne Atem zu holen, so groß war meine Furcht. Armer Hurti!«