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9. Kapitel.
Mantschadi

Im Osten begann es zu tagen, als das Kanoe am Ufer der schwarzen Dschungel landete.

Es schien nichts Neues vorgefallen zu sein. Die Hütte stand noch im Schilfe. Auf ihr saßen ein Dutzend riesenhafter Argilah Den Störchen ähnliche, aber häßliche, große Vögel. Sie sind nur halb befiedert, riechen stark und nähren sich von Aas. unbeweglich auf ihren langen, gelblichen Beinen, und der Tiger, der treue Darma, lief, ohne sich zu entfernen, um sie herum.

»Gut,« murmelte Kammamurri. »Diesen Ort haben die Verfluchten nicht betreten. Darma!«

Der Tiger stutzte bei diesem Rufe, hob den Kopf, heftete seine grünlichen Augen auf das Boot, stieß ein dumpfes Knurren aus und sprang ans Ufer.

Kammamurri und Aghur beeilten sich, auszusteigen, und trugen ihren Herrn zur Hütte. Hier betteten sie ihn auf eine bequeme Hängematte.

Tiger und Hund wachten draußen.

»Prüf die Wunde, Aghur!« sagte Kammamurri.

Der Bengalese entfernte den Verband und musterte die Brust des armen Tremal-Naik. Eine Falte zeichnete sich auf seiner Stirn.

»Schlimm!« sagte er. »Der Dolch ist tief eingedrungen, wahrscheinlich bis ans Heft.«

»Wird er genesen?«

»Ich hoffe es. Aber warum haben sie ihn so zugerichtet?«

»Das ist schwer zu sagen. Du weißt, daß der Herr die Vision wiedersehen wollte. Als er auf jener Insel gelandet war, setzte er es sich in den Kopf, jenes Geschöpf zu entdecken. Er schien den Schlupfwinkel zu kennen, denn er befahl mir, zur Hütte zurückzukehren, und brach allein auf. Vierundzwanzig Stunden danach fand ich ihn in einer Blutlache in der Dschungel. Sie hatten ihm einen Dolch in die Brust gestoßen.«

»Wer?«

»Die Menschen, die die Insel bewohnen und die vielleicht über jenes Weib wachen.«

»Hast du sie gesehen?«

»Mit eigenen Augen.«

»Sind es Menschen oder Geister?«

»Ich glaube, es sind Menschen. Sie warfen mir sogar ein Lasso um den Hals, um mich zu erwürgen, und ich tötete zwei oder drei. Wenn es Geister sein würden, wären sie nicht gestorben.«

»Glaubst du, daß sie sich in unserer Dschungel zeigen werden?«

»Ich befürchte es, Aghur. Es sind Wolken in der Luft, die Unheil drohen.«

»Das überlaß mir, Kammamurri! Sei du bedacht, den Herrn zu heilen, ich übernehme die Würger.«

Kammamurri ging zu seinem Herrn, um ein neues Kräuterpflaster auf die Wunde zu legen. Aghur setzte sich mit Tiger und Hund vor die Hütte.

Der Tag verging ohne Zwischenfälle. Dann senkte die Finsternis ihren schwarzen Schleier über die schweigsame Dschungel. Aghur, bis an die Zähne bewaffnet, übernahm zuerst die Wache draußen vor der Hütte. Der Hund kauerte zu seinen Füßen und blickte nach Süden.

Bis Mitternacht war niemand weder auf dem Flusse noch in der Dschungel erschienen. Der Hund hatte sich jedoch mehrmals erhoben, um zu wittern, und gab deutliche Zeichen von Unruhe.

Eben wollte Aghur Kammamurri zur Ablösung wecken, als Punthy anschlug.

»Da!« rief der Indier überrascht. »Was hat das zu bedeuten?«

Nach dem Flusse zugekehrt, bellte der Hund wütend. Gleichzeitig erschien der Tiger auf der Türschwelle und ließ ein dumpfes Knurren hören. Plötzlich erscholl vom Flusse herüber der Ruf:

»Hilfe! Hilfe!«

Der Hund begann wütend zu bellen.

»Hilfe!« wiederholte dieselbe Stimme.

»Kammamurri!« sagte Aghur. »Irgend jemand ist am Ertrinken! Wir können ihn nicht untergehen lassen!«

»Wir wissen nicht, wer es ist!«

»Macht nichts! Zum Ufer!«

»Laden wir die Waffen und seien wir vorsichtig. Man weiß nie, was geschehen kann. Du, Darma, bleibst hier und zerreißt ohne Erbarmen jeden, der sich zeigt!«

Der Tiger verstand es zweifellos. Dann duckte er sich mit funkelnden Augen nieder, bereit, sich auf den ersten zu stürzen. Hinter Punthy, der fortwährend wütend bellte, schlichen sich die beiden Inder ans Ufer und schauten auf den schwarz wie Tinte schimmernden Fluß.

»Siehst du nichts?« fragte Kammamurri Aghur, der sich zum Fluß niedergebeugt hatte.

»Doch, dort unten glaube ich etwas zu sehen, was gegen das andere Ufer treibt.«

»Ein Mensch vielleicht?«

»Es scheint eher ein Baumstumpf zu sein.«

»Holla!« rief Kammamurri. »Wer ruft?«

»Rettet mich!« antwortete eine halb erstickte Stimme.

»Könnt Ihr das Ufer erreichen?« rief Aghur.

Ein Stöhnen war die Antwort. Da gab's nichts zu zögern; der Unglückliche konnte jeden Augenblick ertrinken. Die beiden Indier sprangen ins Boot und ruderten rasch zu ihm.

Bald nahmen sie wahr, daß der dunkle Gegenstand, der zum Ufer trieb, ein Baumstumpf war, an den sich ein Mensch anklammerte. Sie holten ihn ein und streckten die Hände nach ihm, die er mit der Kraft der Verzweiflung packte.

»Rettet mich!« stammelte er nochmals, indem er sich auf den Boden der Barke niederlegen ließ.

Die beiden Indier beugten sich über ihn und beobachteten ihn neugierig. Es war ein Mensch von ihrer Rasse. Er hatte bengalischen Typus. Die Gestalt war unter mittel, die Gesichtsfarbe ziemlich dunkel, der Körper äußerst mager, aber mit stark ausgeprägten Muskeln, als sicheres Zeichen von nicht gewöhnlicher Kraft. Das Gesicht war zerschunden und die eng am Körper anliegende Tunika mit Blut befleckt.

»Bist du verwundet?« fragte Kammamurri.

Der Mensch musterte ihn aufmerksam mit einem eigenartigen Glanz in den Augen.

»Ich glaube,« murmelte er dann.

»Dein Kleid ist mit Blut besudelt. Laß mich sehen!«

»Es ist nichts,« sagte er, indem er die Hände auf die Brust legte, als wenn er Furcht hätte, sich zu entblößen. »Ich schlug mit dem Kopfe gegen den Baumstumpf, und davon bekam ich Nasenbluten.«

»Woher kommst du?«

»Von Kalkutta!«

»Du heißt?«

»Mantschadi!«

»Aber wie kommst du hierher?«

Der Bengalese zitterte zähneklappernd am ganzen Körper.

»Wer bewohnt diese Orte?« fragte er furchtsam.

»Tremal-Naik, der Schlangenjäger,« antwortete Kammamurri.

Mantschadi zitterte wieder.

»Grausamer Mensch!« stammelte er.

Aghur und der Maharatt blickten sich überrascht an.

»Du bist verrückt!« sagte Aghur.

»Verrückt? Weißt du auch, daß seine Leute mich wie einen Tiger jagten?«

»Seine Leute jagten dich? Aber wir sind ja seine Leute!«

Der Bengalese richtete sich auf und sah sie erschrocken an.

»Ihr! – Ihr!« wiederholte er. »Dann bin ich verloren!«

Er klammerte sich an die Einfassung des Bootes, offenbar in der Absicht, sich in den Fluß zu stürzen. Aber Kammamurri packte ihn und zwang ihn zum Sitzen.

»Erkläre mir die Ursache dieser Furcht!« sagte Kammamurri drohend. »Keinem tun wir Unrecht, wenn du aber nicht deutlich sprichst, zerschlage ich dir mit dem Karabiner den Schädel! Zu welchem Zwecke bist du hierher gekommen?«

»Ich bin ein armer Indier und friste mein Leben durch die Jagd. Ein Kapitän der Sipai versprach mir hundert Rupien Eine Rupie ist ungefähr zwei Mark. für ein Tigerfell, und so kam ich hierher, in der Hoffnung, ein solches zu erjagen.«

»Erzähle weiter!«

»Gestern abend landete ich am anderen Ufer des Mangal und versteckte mich in der Dschungel. Zwei Stunden danach warfen sich einige Männer auf mich, und ich fühlte meinen Hals von einem Lasso zusammengezogen – –«

»Ah! Ein Lasso? Sahest du jene Männer?« fragte Aghur.

»Ja, wie ich euch sehe!«

»Was hatten sie auf der Brust?«

»Eine Tätowierung glaube ich gesehen zu haben.«

»Es waren die von Raimangal,« sagte Kammamurri. »Fahre fort!«

»Ich packte mein Messer,« setzte Mantschadi fort, der noch vor Schrecken zitterte, »und durchschnitt den Strick. Lange hart verfolgt, erreichte ich den Fluß und stürzte mich kopfüber hinein.«

»Den Rest wissen wir,« sagte der Maharatt. »Also Jäger bist du?«

»Ja, und ein tüchtiger.«

»Willst du mit uns kommen?«

Ein seltsamer Blitz leuchtete in den Augen des Bengalesen.

»Ich verlange nichts Besseres,« sagte er schleunigst. »Ich bin allein auf der Welt.«

»Gut, wir nehmen dich an. Morgen früh werde ich dich dem Herrn vorstellen!«

Die beiden Indier tauchten die Ruder ein und führten das Kanoe wieder zu der kleinen Bucht zurück. Kaum waren sie gelandet, als sich Punthy wütend bellend und zähnefletschend gegen den Bengalesen warf.

»Still, Punthy!« sagte Kammamurri, indem er ihn zurückhielt. »Er gehört zu uns!« Anstatt zu gehorchen, knurrte der Hund drohend weiter.

»Diese Bestie scheint mir nicht allzu höflich zu sein,« sagte Mantschadi mit erzwungenem Lächeln.

»Hab' keine Furcht, er wird dir Freund werden,« sagte der Maharatt.

Sie banden das Boot an und erreichten die Hütte, vor der der Tiger wachte. Seltsam, auch er begann [feindlich] zu knurren und betrachtete mißtrauisch den neuen Ankömmling.

»Oh!« rief er erschreckt aus. »Ein Tiger!«

»Er ist gezähmt. Bleib hier, ich gehe unterdessen zum Herrn.«

»Zum Herrn? Ist er vielleicht hier?« fragte der Bengalese betroffen.

»Jawohl.«

»Lebt er noch?«

»Was?« rief der Maharatt überrascht. »Warum fragst du so?«

Der Bengalese fuhr zusammen und wurde verwirrt.

»Woher weißt du, daß er verwundet ist, um dergleichen Fragen zu stellen?« versetzte Kammamurri.

»Sagtest du mir nicht, daß er verwundet wäre?«

»Ich kann mich nicht entsinnen.«

»Und doch kannst nur du oder dein Gefährte es mir gesagt haben.«

»Es muß so sein.«

Kammamurri und Aghur betraten die Hütte. Tremal-Naik schlief tief, und träumend kamen ihm abgerissene Worte über die Lippen.

»Es lohnt sich nicht, ihn zu wecken,« brummte Kammamurri, indem er sich zu Aghur wandte.

»Wir werden ihn morgen vorstellen,« meinte letzterer.

»Was denkst du über jenen Mantschadi?«

»Es scheint ein guter Mensch zu sein, und ich glaube wohl, daß er uns tapfer beistehen wird.«

»Das glaube ich auch.«

»Wir werden ihn bis morgen wachen lassen.«

Aghur nahm eine Schüssel »Kandschi«, eine dicke Reissuppe, und reichte sie Mantschadi, der gierig zu essen begann. Nachdem er ihn ermahnt hatte, gut Wache zu halten und bei irgendeiner drohenden Gefahr sofort Alarm zu geben, trat er in die Hütte und schloß vorsichtshalber die Tür.

Kaum war er verschwunden, als sich Mantschadi mit überraschender Leichtigkeit erhob. Mit einem Schlage funkelten seine Augen, und ein satanisches Lächeln umzuckte seine Lippen.

Er näherte sich der Hütte, legte das Ohr an und lauschte in tiefster Spannung. So stand er eine reichliche Viertelstunde, dann machte er sich mit rasender Schnelligkeit davon und hielt eine halbe Meile von der Hütte inne.

Er legte die Finger an die Lippen und stieß einen scharfen Pfiff aus. Bald stieg im Süden ein rötlicher Punkt aus der Finsternis auf. Er zerplatzte mit dumpfem Knalle und goß ein bläuliches Licht aus, das sofort erlosch.

Noch zweimal ertönte der Pfiff, dann herrschte wieder das geheimnisvolle Schweigen der Dschungel.


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